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Document 62022CJ0140

    Urteil des Gerichtshofs (Neunte Kammer) vom 7. Dezember 2023.
    SM und KM gegen mBank S.A.
    Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy dla Warszawy-Śródmieścia w Warszawie.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 – Folgen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel – An eine Fremdwährung gekoppelter Hypothekendarlehensvertrag, der missbräuchliche Klauseln über den Wechselkurs enthält – Nichtigkeit dieses Vertrags – Rückzahlungsansprüche – Gesetzliche Zinsen – Verjährungsfrist.
    Rechtssache C-140/22.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:965

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

    7. Dezember 2023 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 – Folgen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel – An eine Fremdwährung gekoppelter Hypothekendarlehensvertrag, der missbräuchliche Klauseln über den Wechselkurs enthält – Nichtigkeit dieses Vertrags – Rückzahlungsansprüche – Gesetzliche Zinsen – Verjährungsfrist“

    In der Rechtssache C‑140/22

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy dla Warszawy-Śródmieścia w Warszawie (Rayongericht Warschau-Stadtmitte, Polen) mit Entscheidung vom 18. Januar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Februar 2022, in dem Verfahren

    SM,

    KM

    gegen

    mBank S. A.,

    Beteiligte:

    Rzecznik Finansowy,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

    unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei, des Richters S. Rodin (Berichterstatter) und der Richterin L. S. Rossi,

    Generalanwalt: A. M. Collins,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    von KM und SM, vertreten durch W. Bochenek und P. Stalski, Radcowie prawni,

    der mBank S. A., vertreten durch A. Cudna-Wagner und K. Stokłosa, Radcowie prawni, und B. Miąskiewicz, Adwokat,

    der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und S. Żyrek als Bevollmächtigte,

    der portugiesischen Regierung, vertreten durch C. Alves, P. Barros da Costa, A. Cunha, B. Lavrador und A. Pimenta als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen SM und KM auf der einen und der mBank S. A., einem Kreditinstitut, auf der anderen Seite über die Erstattung von Zahlungen, die im Rahmen eines aufgrund missbräuchlicher Klauseln für nichtig zu erklärenden Hypothekendarlehensvertrags an die mBank geleistet wurden.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    Im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 heißt es:

    „Durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln kann der Verbraucher besser geschützt werden. …“

    4

    Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

    „Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

    5

    Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sieht vor:

    „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

    Polnisches Recht

    6

    Art. 60 der Ustawa – Kodeks cywilny (Gesetz über das Zivilgesetzbuch) vom 23. April 1964 (Dz. U. Nr. 16, Pos. 93) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Zivilgesetzbuch) lautet:

    „Vorbehaltlich der gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen kann der Wille einer Person, die ein Rechtsgeschäft vornimmt, durch jedes Verhalten dieser Person zum Ausdruck gebracht werden, das ihren Willen in hinreichender Weise offenbart, einschließlich der Bekanntgabe dieses Willens in elektronischer Form.“

    7

    Art. 117 des Zivilgesetzbuchs bestimmt:

    „§ 1.   Vorbehaltlich der im Gesetz vorgesehenen Ausnahmen unterliegen vermögensrechtliche Ansprüche der Verjährung.

    § 2.   Nach Ablauf der Verjährungsfrist kann derjenige, gegen den sich der Anspruch richtet, seine Erfüllung verweigern, es sei denn, dass er auf die Erhebung der Verjährungseinrede verzichtet. Der Verzicht auf die Verjährungseinrede vor Ablauf der Verjährungsfrist ist jedoch unwirksam.

    § 21.   Nach Ablauf der Verjährungsfrist kann die Erfüllung eines Anspruchs gegen einen Verbraucher nicht mehr verlangt werden.“

    8

    Art. 1171 des Zivilgesetzbuchs sieht vor:

    „§ 1. In Ausnahmefällen kann das Gericht nach Abwägung der Interessen der Parteien den Ablauf der Verjährungsfrist für einen Anspruch gegen einen Verbraucher unberücksichtigt lassen, wenn dies aus Gründen der Billigkeit geboten ist.

    § 2. Bei der Ausübung der in § 1 genannten Befugnis hat das Gericht insbesondere Folgendes zu berücksichtigen:

    1)

    die Dauer der Verjährungsfrist;

    2)

    die Dauer des Zeitraums zwischen dem Ablauf der Verjährungsfrist und der Geltendmachung des Anspruchs;

    3)

    die Art der Umstände, die dazu geführt haben, dass der Berechtigte den Anspruch nicht geltend gemacht hat, einschließlich des Einflusses des Verhaltens des Verpflichteten auf die verspätete Geltendmachung des Anspruchs durch den Berechtigten.“

    9

    Art. 118 des Zivilgesetzbuchs in seiner bis zum 8. Juli 2018 geltenden Fassung lautete:

    „Wird durch eine besondere Vorschrift nichts anderes bestimmt, so beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre und für Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen und Ansprüche im Zusammenhang mit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit drei Jahre.“

    10

    Art. 118 des Zivilgesetzbuchs in seiner seit dem 8. Juli 2018 geltenden Fassung bestimmt:

    „Wird durch eine besondere Vorschrift nichts anderes bestimmt, so beträgt die Verjährungsfrist sechs Jahre und für Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen und Ansprüche im Zusammenhang mit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit drei Jahre. Die Verjährungsfrist endet jedoch am letzten Tag des Kalenderjahres, es sei denn, die Verjährungsfrist ist kürzer als zwei Jahre.“

    11

    Gemäß Art. 120 § 1 des Zivilgesetzbuchs gilt:

    „Der Lauf der Verjährung beginnt an dem Tag, an dem der Anspruch fällig geworden ist. Ist die Fälligkeit des Anspruchs von der Vornahme einer bestimmten Handlung durch den Berechtigten abhängig, so beginnt der Lauf der Verjährung an dem Tag, an dem der Anspruch fällig geworden wäre, wenn der Berechtigte die Handlung am frühestmöglichen Termin vorgenommen hätte.“

    12

    Art. 3851 des Zivilgesetzbuchs bestimmt:

    „§ 1. Die Bestimmungen eines mit einem Verbraucher geschlossenen Vertrags, die nicht individuell vereinbart worden sind, sind für ihn unverbindlich, wenn sie seine Rechte und Pflichten in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise gestalten und seine Interessen grob verletzen (unzulässige Vertragsbestimmungen). Dies gilt nicht für Bestimmungen, die die Hauptleistungen der Parteien, darunter den Preis oder die Vergütung, festlegen, wenn sie eindeutig formuliert worden sind.

    § 2. Ist eine Vertragsbestimmung nach § 1 für den Verbraucher unverbindlich, so sind die Parteien an den Vertrag in seinem übrigen Umfang gebunden.

    § 3. Als nicht individuell vereinbart gelten diejenigen Vertragsbestimmungen, auf deren Inhalt der Verbraucher keinen wirklichen Einfluss gehabt hat. Dies gilt insbesondere für Vertragsbestimmungen, die einem Vertragsmuster entstammen, das dem Verbraucher von dem Vertragspartner vorgeschlagen worden ist.

    § 4. Die Beweislast dafür, dass eine Bestimmung individuell vereinbart worden ist, trägt derjenige, der sich darauf beruft.“

    13

    Art. 405 des Zivilgesetzbuchs sieht vor:

    „Wer einen Vermögensvorteil auf Kosten einer anderen Person ohne rechtlichen Grund erlangt hat, ist verpflichtet, den Vorteil in Natur herauszugeben und, falls dies unmöglich ist, seinen Wert zu erstatten.“

    14

    Art. 410 des Zivilgesetzbuchs sieht vor:

    „§ 1.   Die Vorschriften der vorstehenden Artikel werden insbesondere auf eine nicht geschuldete Leistung angewandt.

    § 2.   Eine Leistung ist nicht geschuldet, wenn derjenige, der sie erbracht hat, nicht oder nicht gegenüber der Person, an die er geleistet hat, leistungsverpflichtet war oder wenn die Grundlage der Leistung entfallen ist oder der beabsichtigte Zweck der Leistung nicht erreicht worden ist oder wenn das zur Leistung verpflichtende Rechtsgeschäft unwirksam war und nicht nach der Erbringung der Leistung wirksam geworden ist.“

    15

    Art. 455 des Zivilgesetzbuchs lautet:

    „Ist eine Frist für die Erbringung der Leistung nicht bestimmt und ergibt sie sich auch nicht aus den Besonderheiten des Schuldverhältnisses, so muss die Leistung unverzüglich erbracht werden, nachdem der Schuldner hierzu aufgefordert worden ist.“

    16

    In Art. 481 § 1 des Zivilgesetzbuchs heißt es:

    „Gerät der Schuldner mit der Erbringung einer Geldleistung in Verzug, so kann der Gläubiger für die Dauer des Verzugs Zinsen verlangen, auch wenn er keinen Schaden erlitten hat und der Verzug auf Umständen beruht, die der Schuldner nicht zu vertreten hat.“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    17

    Am 18. Februar 2009 schlossen SM und KM mit der mBank einen variabel verzinsten Hypothekendarlehensvertrag, der auf polnische Zloty (PLN) lautete und an den Schweizer Franken (CHF) gekoppelt war (im Folgenden: Darlehensvertrag).

    18

    Gemäß diesem Vertrag waren SM und KM verpflichtet, monatliche Raten in polnischen Zloty zu entrichten, deren Höhe auf der Grundlage des Verkaufskurses des Schweizer Frankens ermittelt wurde, der am Fälligkeitstag der monatlichen Raten in der Wechselkurstabelle der mBank veröffentlicht wurde (im Folgenden: Umrechnungsklauseln).

    19

    Da SM und KM die Umrechnungsklauseln für missbräuchlich hielten, beschwerten sie sich am 4. Juli 2019 bei der mBank. Sie forderten die Erstattung der von der Bank aufgrund der Nichtigkeit des Darlehensvertrags zu Unrecht eingezogenen monatlichen Darlehensraten in Höhe von 242238,61 PLN (etwa 52277 Euro) binnen 30 Tagen und – falls keine Gründe für die Nichtigerklärung dieses Vertrags bestünden – die Zahlung eines Betrags von 52298,92 PLN (etwa 11288 Euro) als Erstattung der Überzahlung im Zusammenhang mit den von der Bank im Zeitraum vom 20. Juli 2009 bis zum 18. März 2019 eingezogenen monatlichen Raten (Zins und Tilgung).

    20

    Mit Schreiben vom 16. Juli 2019 antwortete die mBank, dass der Darlehensvertrag rechtmäßig und gültig sei und keine missbräuchlichen Klauseln enthalte.

    21

    Am 31. Juli 2019 beantragten SM und KM beim Sąd Rejonowy dla Warszawy-Śródmieścia w Warszawie (Rayongericht Warschau-Stadtmitte, Polen), dem vorlegenden Gericht, die Durchführung eines Vergleichsversuchs und forderten die Zahlung der oben in Rn. 19 genannten Beträge durch die mBank.

    22

    Am 4. Dezember 2019 antwortete die mBank auf diesen Antrag, dass sie keine Vergleichsmöglichkeit sehe.

    23

    Am 13. Dezember 2019 bekräftigten SM und KM ihren Antrag in einer öffentlichen Sitzung vor dem vorlegenden Gericht, an der die mBank nicht teilnahm. Das Gericht stellte daraufhin fest, dass kein Vergleich erzielt worden sei und verfügte die Beendigung des Vergleichsverfahrens.

    24

    Am 10. August 2020 erklärten SM und KM, mit der vollumfänglichen Nichtigerklärung des Darlehensvertrags einverstanden zu sein, die Nichtigerklärung des Vertrags als für sie günstig zu erachten und die Folgen dieser Nichtigkeit, einschließlich der rechtlichen und finanziellen Folgen, zu akzeptieren.

    25

    Nachdem das vorlegende Gericht SM und KM über die Folgen der Nichtigerklärung des Darlehensvertrags belehrt hatte, erklärten sie im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor diesem Gericht am 27. Oktober 2020, diese Folgen zu verstehen und die Nichtigerklärung des Vertrags zu akzeptieren.

    26

    Das vorlegende Gericht stellt fest, dass die Umrechnungsklauseln des Darlehensvertrags missbräuchlich seien und dass der Vertrag bei Nichtigerklärung dieser Klauseln nicht weiter bestehen könne.

    27

    Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Richtlinie 93/13 weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass, soweit die Nichtigkeit der missbräuchlichen Klauseln zur vollumfänglichen Nichtigerklärung des Darlehensvertrags führe, die beiden Vertragsparteien aufgrund dieser Nichtigerklärung wechselseitige Ansprüche auf Erstattung des Gegenwerts aller in Erfüllung dieses Vertrags zu Unrecht geleisteten Zahlungen hätten.

    28

    Das vorlegende Gericht legt dar, dass die Auslegung des polnischen Rechts zu den Auswirkungen der Unverbindlichkeit unrechtmäßiger Vertragsklauseln bis zu einem Beschluss des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) vom 7. Mai 2021 als gefestigt gegolten habe.

    29

    Mit diesem Beschluss habe der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) die Auslegung, wonach polnische Gerichte verpflichtet seien, von Amts wegen das Vorliegen missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen zu prüfen und die absolute Nichtigkeit solcher Klauseln festzustellen, als nicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs vereinbar betrachtet, nach der ein Verbraucher der Anwendung einer missbräuchlichen Klausel zustimmen kann. Zum einen sei die betreffende missbräuchliche Klausel, da sie in einem derartigen Fall ihre volle Wirkung entfalte, nämlich nicht absolut nichtig, sondern vielmehr „schwebend unwirksam“. Zum anderen habe der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) festgestellt, da im Fall der Nichtigerklärung eines Darlehensvertrags, der eine missbräuchliche Klausel enthalte, der betreffende Gewerbetreibende das Recht habe, die Erstattung des geliehenen Kapitals zu fordern, müsse ihm auch das Recht eingeräumt werden, die Unwirksamkeit der Klausel und die sich daraus ergebende Nichtigerklärung des Vertrags geltend zu machen.

    30

    Das vorlegende Gericht hegt Zweifel an der Vereinbarkeit des Konzepts der „schwebenden Unwirksamkeit“ mit der Richtlinie 93/13. Gemäß diesem Konzept bleibe ein Rechtsakt gültig, entfalte jedoch keine Wirkung, bis der Verbraucher gegebenenfalls seine Zustimmung erteile. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebe sich aber, dass eine missbräuchliche Klausel als von Anfang an nicht existent anzusehen sei und dass ein nationales Gericht alle Konsequenzen aus der Unwirksamkeit einer als missbräuchlich eingestuften Vertragsklausel ziehen müsse, ohne auf eine entsprechende Erklärung des Verbrauchers zu warten.

    31

    Dem Beschluss des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vom 7. Mai 2021 sei zu entnehmen, dass sich eine missbräuchliche Klausel so lange in einem „Schwebezustand“ befinde, bis der Verbraucher in einer förmlichen Erklärung bestätige, dass er erstens der Aufrechterhaltung dieser Klausel nicht zustimme, zweitens zum einen davon Kenntnis habe, dass die Nichtigkeit dieser Klausel die Nichtigerklärung des Vertrags bedeute, in dem sie enthalten sei, sowie zum anderen die Folgen dieser Nichtigerklärung kenne und drittens der Nichtigerklärung dieses Vertrags zustimme (im Folgenden: förmliche Erklärung). Die Verpflichtung zur Abgabe einer solchen Erklärung ergebe sich aber weder aus der Richtlinie 93/13 noch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Daher verstoße es gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13, seine Anwendbarkeit von der Abgabe einer förmlichen Erklärung abhängig zu machen.

    32

    Außerdem könne der betreffende Gewerbetreibende für die Dauer der schwebenden Unwirksamkeit des Vertrags nicht die Erbringung der darin vereinbarten Leistungen fordern, so dass der Lauf der Verjährung für diesen Vertrag nicht beginnen könne.

    33

    Ein Gewerbetreibender könne im Fall einer außergerichtlichen Forderung nach Nichtigerklärung einer missbräuchlichen Klausel auch nicht prüfen, ob der Verbraucher über seine Rechte und die Folgen der Nichtigerklärung dieser Klausel belehrt worden sei. Der Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher die Nichtigerklärung beantragt und erklärt habe, sich seiner Rechte sowie der Folgen der Nichtigerklärung einer missbräuchlichen Klausel bewusst zu sein, sei wichtig, da er den Beginn der Verjährungsfrist für Rückzahlungsforderungen des Gläubigers und der Möglichkeit ihrer Fälligstellung und Aufrechnung markiere.

    34

    Das vorlegende Gericht hegt Zweifel an der Auslegung des polnischen Rechts durch den Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in dessen Beschluss vom 7. Mai 2021, wonach der Lauf der Verjährung für den Anspruch eines Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher auf Erstattung einer Leistung aus einem für nichtig erklärten Vertrag erst zu dem Zeitpunkt beginne, zu dem der Verbraucher eine förmliche Erklärung abgebe; diese Auslegung stehe nämlich im Widerspruch zum Effektivitätsgrundsatz.

    35

    Es weist darauf hin, dass dieser Anspruch nach dieser Auslegung in Fällen, in denen der Verbraucher keine förmliche Erklärung abgebe, nie verjähre. Die Verjährungsfrist des Anspruchs beginne auch dann nicht zu laufen, wenn der Verbraucher zwar eine solche Erklärung abgebe, der Gewerbetreibende aber bestreite, dass es sich um eine „ausdrückliche Erklärung des Verbrauchers zur Bestätigung des Erhalts aller Informationen“ handle, wie vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) gefordert, und in weiterer Folge geltend mache, dass die Erklärung unwirksam sei.

    36

    Das vorlegende Gericht vertritt die Ansicht, dass diese Auslegung dem Gewerbetreibenden eine bessere rechtliche Ausgangsposition verschaffe als dem Verbraucher, da die Verjährungsfrist für den Anspruch des Gewerbetreibenden immer später zu laufen beginne als jene für den Anspruch des Verbrauchers. Sie beginne auch später als jene für den Anspruch der Bank im Fall der Ungültigkeit eines Vertrags, der keine missbräuchlichen Klauseln enthalte, was einen Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz darstelle. Im Übrigen verstoße der Umstand, dass die Rechtsstellung des Gewerbetreibenden so günstig sei, auch gegen den Effektivitätsgrundsatz und gegen Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13, da ein Gewerbetreibender, der einen Vertrag mit missbräuchlichen Klauseln aufsetze, de facto die Gewähr habe, dass sein Anspruch nicht verjähre, wenn der Verbraucher ihm nicht vorab ausdrücklich mitteile, zu wissen, dass dieser Vertrag missbräuchliche Klauseln enthalte, und die sich daraus ergebenden rechtlichen Folgen zu kennen.

    37

    Der Lauf der Verjährung für den Anspruch des Gewerbetreibenden müsse spätestens an dem Tag beginnen, an dem dieser das erste Schreiben des Verbrauchers erhalte, in dem die Nichtigkeit des Vertrags oder das Vorliegen missbräuchlicher Klauseln geltend gemacht würden. In diesem Fall müsse der Gewerbetreibende sich darüber im Klaren sein, dass dem Verbraucher die Folgen der Nichtigerklärung dieses Vertrags bewusst seien und er sie akzeptiere.

    38

    Das vorlegende Gericht ist sogar der Auffassung, dass der Lauf der Verjährung für den Anspruch des Gewerbetreibenden gemäß der allgemeinen Regel an dem Tag beginnen müsse, an dem dieser seine Leistung erbringe, oder kurze Zeit später. Einer Bank, die einen Vertrag mit missbräuchlichen Klauseln aufsetze, müsse aufgrund ihres Fachwissens von Anfang an bewusst sein, dass der Vertrag solche Klauseln enthalte und dies zur Rückabwicklung der darin vorgesehenen wechselseitigen Leistungen führe. Außerdem habe der Sąd Okręgowy w Warszawie – Sąd Ochrony Konkurencji i Konsumentów (Regionalgericht Warschau – Gericht für Wettbewerbs- und Verbraucherschutzsachen, Polen) in einer Rechtssache, in der die mBank Partei war, bereits am 27. Dezember 2010 entschieden, dass eine Klausel wie die im vorliegenden Verfahren in Rede stehende unzulässig sei. Daher laufe die Annahme, dass die Verjährungsfrist des Anspruchs einer Bank auf Erstattung des geliehenen Kapitals erst an dem Tag zu laufen beginne, an dem der betroffene Verbraucher eine förmliche Erklärung abgebe, nicht nur darauf hinaus, unzulässiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu akzeptieren, sondern fördere dieses sogar, was einen Verstoß gegen die Richtlinie 93/13 darstelle.

    39

    Ein Teil der polnischen Gerichte verstehe die vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vertretene Auslegung dahin gehend, dass die Forderung eines Verbrauchers gegen eine Bank erst fällig werde, nachdem er freiwillig und aufgeklärt erklärt habe, mit der Nichtigerklärung des Vertrags einverstanden zu sein.

    40

    Dieser Auslegung zu folgen würde nach Ansicht des vorlegenden Gerichts bedeuten, dass, selbst wenn ein Verbraucher vorab eine Bank aufforderte, zu Unrecht geleistete Zahlungen aufgrund der Nichtigkeit eines mit ihr abgeschlossenen Vertrags zurückzuzahlen, seine Forderung nicht fällig wäre, so dass er erst ab dem Tag der Abgabe einer entsprechenden Erklärung gesetzliche Verzugszinsen geltend machen könne. Es verstoße aber gegen den Äquivalenzgrundsatz, die Ausübung des Rechts des Verbrauchers, Verzugszinsen geltend zu machen, an eine weitere Voraussetzung zu knüpfen, da eine unverjährbare Forderung nach den allgemeinen Grundsätzen des polnischen Zivilrechts zum Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung fällig werde. Diese Auslegung widerspreche nicht nur der Rechtsprechung des Gerichtshofs, sondern begünstige auch, dass ein Gewerbetreibender die Erstattung einer Forderung eines Verbrauchers vorsätzlich hinauszögere und so das betreffende Gerichtsverfahren in die Länge ziehe.

    41

    Gemäß der Auslegung des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) sei die Forderung eines Verbrauchers auf Erstattung der von ihm auf der Grundlage eines wegen missbräuchlicher Klauseln ungültigen Darlehensvertrags geleisteten Zahlungen um die Kapitalzinsen zu kürzen, die der betroffenen Bank zustünden, wenn der Darlehensvertrag gültig gewesen wäre. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob die Richtlinie 93/13 sowie der Effektivitäts- und der Äquivalenzgrundsatz eine derartige Kürzung des Erstattungsanspruchs des Verbrauchers zulassen.

    42

    Insoweit führt das vorlegende Gericht aus, dass die Erforderlichkeit einer solchen Kürzung der Forderung des Verbrauchers darauf beruhe, dass die Rückzahlung aller Leistungen in voller Höhe eine ungerechtfertigte Bereicherung des Verbrauchers bedeute. Diese Auslegung widerspreche jedoch dem Äquivalenzgrundsatz, da sie das Recht eines Verbrauchers auf Erstattung der zu Unrecht an die Bank gezahlten Beträge beschränke, obwohl die Bank vom Verbraucher die Erstattung aller zu Unrecht an ihn erbrachten Leistungen fordern könne.

    43

    Diese Auslegung verstoße zum einen auch gegen den Effektivitätsgrundsatz – in gleicher Weise, wie wenn den Banken das Recht eingeräumt würde, Forderungen gegen Verbraucher wegen Nutzung des Darlehensbetrags außerhalb eines Vertrags zu stellen. Zum anderen käme sie einer vorübergehenden Beschränkung des Rückzahlungsantrags des Verbrauchers gleich, was nach dem Urteil vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a. (C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980), gegen die Richtlinie 93/13 verstoße.

    44

    Vor diesem Hintergrund hat der Sąd Rejonowy dla Warszawy-Śródmieścia w Warszawie (Rayongericht Warschau-Stadtmitte) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Sind Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 und der Effektivitäts- und der Äquivalenzgrundsatz dahin auszulegen, dass sie einer gerichtlichen Auslegung nationaler Vorschriften entgegenstehen, die vorsieht, dass, wenn der Vertrag eine missbräuchliche Klausel enthält, ohne die der Vertrag nicht erfüllt werden kann,

    1.

    der Vertrag erst dann endgültig und rückwirkend ab dem Zeitpunkt seines Abschlusses unwirksam (nichtig) wird, wenn der Verbraucher die Erklärung abgibt, dass er nicht damit einverstanden ist, dass die missbräuchliche Klausel weiterbesteht, sich der Folgen der Nichtigkeit des Vertrags bewusst ist und der Nichtigkeit des Vertrags zustimmt,

    2.

    die Verjährungsfrist für den Anspruch des Gewerbetreibenden auf Erstattung nicht geschuldeter Leistungen, die aufgrund des Vertrags erbracht wurden, erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Verbraucher die im ersten Punkt genannte Erklärung abgibt, auch wenn der Verbraucher den Gewerbetreibenden schon früher zur Zahlung der zu Unrecht an ihn entrichteten Beträge aufgefordert hat und der Gewerbetreibende schon früher davon ausgehen konnte, dass der von ihm aufgesetzte Vertrag missbräuchliche Klauseln enthält,

    3.

    der Verbraucher die gesetzlichen Verzugszinsen erst ab dem Zeitpunkt verlangen kann, zu dem er die im ersten Punkt genannte Erklärung abgibt, auch wenn er den Gewerbetreibenden schon früher zur Zahlung aufgefordert hat,

    4.

    der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Leistungen, die er aufgrund des nichtigen Darlehensvertrags erbracht hat (Darlehensraten, Gebühren, Provisionen und Versicherungsprämien), um den Gegenwert der Kapitalzinsen zu kürzen ist, die der Bank zustünden, wenn der Darlehensvertrag wirksam wäre, während die Bank die Erstattung der Leistungen, die sie aufgrund desselben nichtigen Darlehensvertrags erbracht hat (Kapital), in voller Höhe verlangen kann?

    Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

    45

    Die mBank macht geltend, dass die Punkte 1 bis 3 der Vorlagefrage im Wesentlichen auf eine Auslegung polnischer Rechtsvorschriften durch den Gerichtshof abzielten, wofür dieser aber nicht zuständig sei.

    46

    Hierzu führt die mBank aus, dass sich die Wahl der Sanktionen für den Fall, dass ein Vertrag nicht mit der Richtlinie 93/13 vereinbar sei und daher ohne eine als missbräuchlich angesehene Klausel nicht weiter bestehen könne, nach dem nationalen Recht richte, so dass nicht der Gerichtshof, sondern die nationalen Gerichte dieses Recht auszulegen und anzuwenden hätten.

    47

    Es ist darauf hinzuweisen, dass das Verfahren nach Art. 267 AEUV ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten benötigen. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist es Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, das allein eine genaue Kenntnis des diesem zugrunde liegenden Sachverhalts hat und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Beschluss vom 16. Dezember 2021, Fedasil, C‑505/21, EU:C:2021:1049, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    48

    Durch die Einbettung des den Verbrauchern durch die Richtlinie 93/13 gewährten Schutzes in das nationale Recht kann nicht die Tragweite und folglich das Wesen dieses Schutzes geändert und somit die vom Unionsgesetzgeber ausweislich des zehnten Erwägungsgrundes der Richtlinie 93/13 angestrebte Verbesserung des Schutzes durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln in Frage gestellt werden (Urteil vom 15. Juni 2023, Bank M. [Folgen der Nichtigerklärung des Vertrags], C‑520/21, EU:C:2023:478, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    49

    Außerdem müssen die nationalen Gerichte das innerstaatliche Recht bei seiner Anwendung so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie 93/13 auslegen, um das mit ihr angestrebte Ergebnis zu erreichen, wobei das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung die Verpflichtung der nationalen Gerichte umfasst, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie unvereinbar ist (Urteil vom 4. Juni 2020, Kancelaria Medius, C‑495/19, EU:C:2020:431, Rn. 47 und 50 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    50

    Da im vorliegenden Fall die Punkte 1 bis 3 der Vorlagefrage die Auslegung von Bestimmungen der Richtlinie 93/13 und nicht von nationalen Bestimmungen betreffen, ist das Argument der mBank, dass der Gerichtshof nicht zuständig sei, zurückzuweisen.

    51

    Der Gerichtshof ist folglich für die Beantwortung der Punkte 1 bis 3 der Vorlagefrage zuständig.

    Zur Vorlagefrage

    52

    Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie, wenn ein von einem Kreditinstitut mit einem Verbraucher geschlossener Hypothekendarlehensvertrag vollumfänglich für nichtig erklärt wird, weil er eine missbräuchliche Klausel enthält, ohne die er nicht weiter bestehen kann,

    einer gerichtlichen Auslegung nationalen Rechts entgegenstehen, nach der die Ausübung der dem Verbraucher nach der Richtlinie zustehenden Rechte von der Abgabe einer Erklärung vor einem Gericht abhängig gemacht wird, wonach der Verbraucher erstens der Aufrechterhaltung dieser Klausel nicht zustimmt, zweitens sich sowohl des Umstands, dass die Nichtigkeit dieser Klausel zur Nichtigerklärung des Vertrags führt, als auch der Folgen dieser Nichtigerklärung bewusst ist und drittens der Nichtigerklärung des Vertrags zustimmt;

    dem entgegenstehen, dass der Ausgleich, den der betroffene Verbraucher zur Rückzahlung der in Erfüllung des in Rede stehenden Vertrags geleisteten Zahlungen fordert, um den Gegenwert der Zinsen gekürzt wird, die dem Kreditinstitut bei Weiterbestand des Vertrags zustünden.

    53

    Für die Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass eine missbräuchliche Klausel nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 für den Verbraucher unverbindlich ist. Wie sich aus der Rechtsprechung ergibt, handelt es sich um eine zwingende Bestimmung, die darauf zielt, die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen (Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    54

    Im Übrigen muss das nationale Gericht im Rahmen seiner Aufgaben nach der Richtlinie 93/13 von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel prüfen und damit dem Ungleichgewicht zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden abhelfen (Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    55

    Gemäß Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie obliegt es also den nationalen Gerichten, missbräuchliche Klauseln für unanwendbar zu erklären, damit sie den Verbraucher nicht binden, sofern dieser dem nicht widerspricht (Urteil vom 26. März 2019, Abanca Corporación Bancaria und Bankia, C‑70/17 und C‑179/17, EU:C:2019:250, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    56

    Die dem Verbraucher vorbehaltene Möglichkeit, sich gegen die Anwendung der Richtlinie 93/13 auszusprechen, kann jedoch nicht so verstanden werden, dass er zur Geltendmachung der ihm nach dieser Richtlinie zustehenden Rechte verpflichtet wäre, sich durch die Abgabe einer förmlichen Erklärung vor einem Gericht auf die Richtlinie zu berufen.

    57

    Diese Möglichkeit besteht nämlich lediglich darin, dass der Verbraucher nach einem Hinweis des nationalen Gerichts auf die Geltendmachung der Missbräuchlichkeit und Unverbindlichkeit einer Vertragsklausel verzichten und somit der betreffenden Klausel freiwillig und aufgeklärt zustimmen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2019, Dziubak, C‑260/18, EU:C:2019:819, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dass es möglich ist, auf die Geltendmachung des in der Richtlinie 93/13 vorgesehenen Schutzes zu verzichten, bedeutet bereits für sich, dass der Verbraucher diesen Schutz grundsätzlich genießt.

    58

    Wie der oben in den Rn. 53 und 55 wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung zu entnehmen ist, verlangt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind, ohne dass sich diese Unverbindlichkeit in einem Schwebezustand befinden oder an Bedingungen geknüpft werden kann, die im nationalen Recht vorgesehen sind oder sich aus der nationalen Rechtsprechung ergeben.

    59

    Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 steht also einer Auslegung des nationalen Rechts entgegen, wonach ein Verbraucher zur Geltendmachung der ihm aus dieser Richtlinie zustehenden Rechte vor einem Gericht eine förmliche Erklärung abgeben muss.

    60

    Im Übrigen steht einer solchen Auslegung auch die oben in den Rn. 54 und 55 angeführte Verpflichtung der nationalen Gerichte entgegen, missbräuchliche Klauseln gegebenenfalls von Amts wegen für unanwendbar zu erklären, damit sie den Verbraucher nicht binden, und zwar sogar dann, wenn der Verbraucher nicht vor Gericht erscheint (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juni 2020, Kancelaria Medius, C‑495/19, EU:C:2020:431, Rn. 52).

    61

    Von dem Verbraucher zur Geltendmachung seiner Rechte die Abgabe einer förmlichen Erklärung zu verlangen, könnte außerdem den Abschreckungseffekt in Frage stellen, der sich nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit deren Art. 7 Abs. 1 an die Feststellung der Missbräuchlichkeit von Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit Verbrauchern geschlossen hat, knüpfen soll (Urteil vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 63), da Gewerbetreibenden dadurch ein Anreiz geboten würde, außergerichtliche Forderungen von Verbrauchern auf Nichtigerklärung missbräuchlicher Klauseln abzulehnen, im Wissen, dass Verbraucher zur Geltendmachung der ihnen aus dieser Richtlinie zustehenden Rechte eine förmliche Erklärung vor einem Gericht abgeben müssen.

    62

    Was zudem die Möglichkeit eines Gerichts betrifft, das nach Nichtigerklärung eines Hypothekendarlehensvertrags zwischen einem Verbraucher und einem Kreditinstitut aufgrund missbräuchlicher Klauseln, ohne die der Vertrag nicht weiter bestehen kann, mit einem Rückzahlungsantrag befasst ist, den Ausgleich, den der Verbraucher zur Rückzahlung der in Erfüllung des Vertrags geleisteten Zahlungen fordert, um den Gegenwert der Zinsen zu kürzen, die dem Kreditinstitut bei Weiterbestand des Vertrags zustünden, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass in einem solchen Fall Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 einer gerichtlichen Auslegung des Rechts eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der das Kreditinstitut von dem Verbraucher einen Ausgleich verlangen darf, der über die Erstattung des in Erfüllung dieses Vertrags gezahlten Kapitals sowie die Zahlung von Verzugszinsen zum gesetzlichen Zinssatz ab dem Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung hinausgeht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2023, Bank M. [Folgen der Nichtigerklärung des Vertrags], C‑520/21, EU:C:2023:478, Rn. 84).

    63

    Unter diesem Vorbehalt betreffend die Verzugszinsen zum gesetzlichen Zinssatz hat der Gerichtshof ausgeführt, dass eine Auslegung des nationalen Rechts, wonach das Kreditinstitut von dem Verbraucher einen über die Erstattung des in Erfüllung des genannten Vertrags gezahlten Kapitals hinausgehenden Ausgleich verlangen und damit eine Vergütung für die Nutzung dieses Kapitals durch den Verbraucher erhalten dürfte, dazu beitragen würde, den Abschreckungseffekt zu beseitigen, den die Nichtigerklärung des Vertrags für die Gewerbetreibenden hat, und so die Verwirklichung des mit Art. 7 der Richtlinie 93/13 verfolgten langfristigen Ziels zu gefährden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2023, Bank M. [Folgen der Nichtigerklärung des Vertrags], C‑520/21, EU:C:2023:478, Rn. 76 bis 78).

    64

    Soweit die Richtlinie 93/13 ausschließt, dass ein Kreditinstitut einen Ausgleich fordert, der über die Erstattung des in Erfüllung des nichtigen Vertrags gezahlten Kapitals und über die Zahlung von Verzugszinsen zum gesetzlichen Zinssatz ab dem Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung hinausgeht, schließt diese Richtlinie folglich auch aus, dass dem Kreditinstitut ein Ausgleich gewährt wird, der darin besteht, dass der vom betroffenen Verbraucher in Form der Rückzahlung der in Erfüllung des in Rede stehenden Vertrags geleisteten Zahlungen geforderte Ausgleich um den Gegenwert der Zinsen gekürzt wird, die dem Kreditinstitut bei Weiterbestehen des Vertrags zustünden.

    65

    Nach alledem sind Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass sie, wenn ein von einem Kreditinstitut mit einem Verbraucher geschlossener Hypothekendarlehensvertrag vollumfänglich für nichtig erklärt wird, weil er eine missbräuchliche Klausel enthält, ohne die er nicht weiter bestehen kann,

    einer gerichtlichen Auslegung nationalen Rechts entgegenstehen, nach der die Ausübung der dem Verbraucher nach der Richtlinie zustehenden Rechte von der Abgabe einer Erklärung vor einem Gericht abhängig gemacht wird, wonach der Verbraucher erstens der Aufrechterhaltung dieser Klausel nicht zustimmt, zweitens sich sowohl des Umstands, dass die Nichtigkeit dieser Klausel zur Nichtigerklärung des Vertrags führt, als auch der Folgen dieser Nichtigerklärung bewusst ist und drittens der Nichtigerklärung des Vertrags zustimmt;

    dem entgegenstehen, dass der Ausgleich, den der betroffene Verbraucher zur Rückzahlung der in Erfüllung des in Rede stehenden Vertrags geleisteten Zahlungen fordert, um den Gegenwert der Zinsen gekürzt wird, die dem Kreditinstitut bei Weiterbestand des Vertrags zustünden.

    Kosten

    66

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass sie, wenn ein von einem Kreditinstitut mit einem Verbraucher geschlossener Hypothekendarlehensvertrag vollumfänglich für nichtig erklärt wird, weil er eine missbräuchliche Klausel enthält, ohne die er nicht weiter bestehen kann,

     

    einer gerichtlichen Auslegung nationalen Rechts entgegenstehen, nach der die Ausübung der dem Verbraucher nach der Richtlinie zustehenden Rechte von der Abgabe einer Erklärung vor einem Gericht abhängig gemacht wird, wonach der Verbraucher erstens der Aufrechterhaltung dieser Klausel nicht zustimmt, zweitens sich sowohl des Umstands, dass die Nichtigkeit dieser Klausel zur Nichtigerklärung des Vertrags führt, als auch der Folgen dieser Nichtigerklärung bewusst ist und drittens der Nichtigerklärung des Vertrags zustimmt;

    dem entgegenstehen, dass der Ausgleich, den der betroffene Verbraucher zur Rückzahlung der in Erfüllung des in Rede stehenden Vertrags geleisteten Zahlungen fordert, um den Gegenwert der Zinsen gekürzt wird, die dem Kreditinstitut bei Weiterbestand des Vertrags zustünden.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.

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