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Document 62022CC0276

Schlussanträge der Generalanwältin L. Medina vom 19. Oktober 2023.
Edil Work 2 Srl und S.T. Srl gegen STE Sàrl.
Vorabentscheidungsersuchen der Corte suprema di cassazione.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 49 und 54 AEUV – Niederlassungsfreiheit – Gesellschaft, die in einem Mitgliedstaat ansässig ist, aber ihre Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat ausübt – Arbeitsweise und Geschäftsführung der Gesellschaft – Nationale Regelung, die die Anwendung des Rechts des Mitgliedstaats vorsieht, in dem eine Gesellschaft ihre Tätigkeiten ausübt – Beschränkung der Niederlassungsfreiheit – Rechtfertigung – Schutz der Interessen der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter und der Arbeitnehmer – Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken und rein künstlicher Gestaltungen – Verhältnismäßigkeit.
Rechtssache C-276/22.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:796

 SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

LAILA MEDINA

vom 19. Oktober 2023 ( 1 )

Rechtssache C‑276/22

Edil Work 2 S.r.l.,

S.T. S.r.l.

gegen

STE S.a.r.l.,

Beteiligte:

CM

(Vorabentscheidungsersuchen der Corte suprema di cassazione [Kassationsgerichtshof, Italien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Niederlassungsfreiheit – Art. 49 und 54 AEUV – Anwendungsbereich – Grenzüberschreitende Tätigkeiten – Ausübung einer Geschäftstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Gründung – Gesellschaftsstatut (lex societatis) – Geschäftsführung und Organisation von Gesellschaften – Hauptgeschäftszweck – Anwendbares Recht“

1.

Eine italienische Gesellschaft, deren Hauptvermögen ein Schloss in Italien war, verlegte ihren Sitz nach Luxemburg. Sie wurde in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt und nach luxemburgischem Recht (neu) gegründet. Sechs Jahre später ernannte die Gesellschafterversammlung eine Alleingeschäftsführerin, die wiederum einen Generalbevollmächtigten ernannte. Dieser übertrug sodann das Eigentum an diesem Schloss auf eine andere Gesellschaft, die S.T. S.r.l. (im Folgenden: ST), die es wiederum an die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Edil Work 2 S.r.l. (im Folgenden: Edil Work 2), veräußerte.

2.

Der Ausgangsrechtsstreit betrifft im Wesentlichen die Gültigkeit dieser beiden Übertragungen des Eigentums an dem Schloss (im Folgenden auch: Einbringungen des Schlosses als Sacheinlage), die davon abhängt, welches nationale Recht auf die in Rede stehende Erteilung der Generalvollmacht anwendbar ist. Wäre luxemburgisches Recht darauf anwendbar, so wären diese Übertragungen nach diesem Recht wirksam; wäre dagegen italienisches Recht anwendbar, wären sie aufgrund einer Bestimmung unwirksam, wonach eine Generalvollmacht nur an Mitglieder des Verwaltungsrats der Gesellschaft erteilt werden kann.

3.

Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, die im Wesentlichen die Vereinbarkeit der italienischen Rechtsvorschriften über das internationale Privatrecht mit den Art. 49 und 54 AEUV betrifft, nach denen eine Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union italienischem Recht unterliegt, wenn sie in Italien gegründet wurde oder ihr Verwaltungssitz oder „Hauptgeschäftszweck“ in Italien liegt ( 2 ).

I. Rechtlicher Rahmen

4.

Art. 25 („Gesellschaften und andere Körperschaften“) der Legge di diritto internazionale privato (legge 218/1995) ( 3 ) (Gesetz über das internationale Privatrecht Nr. 218/1995, im Folgenden: Gesetz 218/1995) bestimmt:

„1.   Gesellschaften, Vereine, Stiftungen und alle anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts oder des bürgerlichen Rechts, selbst ohne gesellschaftsrechtlichen Charakter, unterliegen dem Recht des Staates, in dem das Verfahren zu ihrer Gründung abgeschlossen worden ist. Es gilt jedoch italienisches Recht, wenn sich der Verwaltungssitz in Italien befindet oder wenn dort der Hauptgeschäftszweck dieser juristischen Personen verwirklicht wird.

2.   Das für die Körperschaft geltende Recht regelt insbesondere a) die Rechtsnatur; b) den Namen oder die Firmenbezeichnung; c) die Gründung, die Umwandlung und die Löschung; d) die Rechtsfähigkeit; e) die Bildung, die Befugnisse und die Arbeitsweise der Organe; f) die Vertretung der juristischen Person; g) die Modalitäten für den Erwerb und den Verlust der Gesellschaftereigenschaft und die mit dieser Eigenschaft verbundenen Rechte und Pflichten; h) die Haftung für die Verbindlichkeiten der juristischen Person; i) die Konsequenzen bei Verstößen gegen das Gesetz oder den Gründungsakt.

3.   Die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes in einen anderen Staat und der Zusammenschluss von Körperschaften mit Sitz in verschiedenen Staaten sind nur dann wirksam, wenn sie im Einklang mit den Rechtsvorschriften der betroffenen Staaten erfolgen.“

5.

Art. 2381 Abs. 2 des italienischen Zivilgesetzbuches sieht vor, dass der Verwaltungsrat der Gesellschaft, wenn die Satzung oder die Generalversammlung dies zulassen, die eigenen Aufgaben einem Vollzugsausschuss, der aus einigen seiner Mitglieder zusammengesetzt ist, oder einem oder mehrerer seiner Mitglieder übertragen kann. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach dieser Bestimmung der Verwaltungsrat einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung seine Befugnisse nur an Mitglieder aus seiner Mitte übertragen könne.

II. Sachverhalt

6.

Im Jahr 2004 verlegte eine italienische Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Vermögen und Geschäftstätigkeit ausschließlich aus dem in der Nähe von Rom belegenen Immobilienkomplex Castello di Tor Crescenza (im Folgenden: das Schloss) bestand, ihren Sitz in das Großherzogtum Luxemburg, wo sie (neu) gegründet und in STE, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, umfirmiert wurde. Am 30. August 2010 fand in Luxemburg eine außerordentliche Gesellschafterversammlung von STE statt, in der SB zur Alleingeschäftsführerin (gérante) ernannt wurde ( 4 ). SB ernannte bei dieser Gelegenheit FF zum Generalbevollmächtigten (mandataire général) von STE und erteilte ihm die Vollmacht, „im Großherzogtum Luxemburg und im Ausland im Namen und auf Rechnung der Gesellschaft alle erforderlichen Handlungen und Geschäfte umfassend und unbeschränkt, jedoch stets im Rahmen des Gesellschaftszwecks“ vorzunehmen.

7.

Im Jahr 2012 übertrug FF das Eigentum an dem Schloss an die italienische Gesellschaft ST, die es danach an Edil Work 2, eine von FF kontrollierte italienische Gesellschaft, übertrug.

8.

Im Jahr 2013 erhob STE beim Tribunale di Roma (Gericht Rom, Italien) Klage gegen ST und Edil Work 2 und beantragte die Feststellung, dass die beiden Einbringungen des Schlosses als Sacheinlage wegen der Unwirksamkeit der Erteilung der Generalvollmacht an FF nichtig seien. Das Tribunale di Roma (Gericht Rom) wies den Antrag mit der Begründung zurück, dass FF wirksam bevollmächtigt worden sei.

9.

In der Berufungsinstanz gab die Corte d’appello di Roma (Berufungsgericht Rom, Italien) dem Antrag statt. Dieses Gericht erklärte zunächst, dass nach Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes 218/1995 italienisches Recht anwendbar sei, da das Schloss „das alleinige und gesamte Vermögen“ der Gesellschaft sei und damit der „Hauptgeschäftszweck“ in Italien liege. Es stellte sodann fest, dass die Übertragung von (räumlich und inhaltlich) unbeschränkten Geschäftsführungsbefugnissen an Dritte wie FF gegen Art. 2381 Abs. 2 des Zivilgesetzbuches verstoße, wonach der Verwaltungsrat der Gesellschaft die eigenen Aufgaben nur an Mitglieder aus seiner Mitte übertragen könne. Das Gericht erklärte daher die Bevollmächtigung von FF durch die Geschäftsführerin der Gesellschaft für nichtig und infolgedessen die nachfolgenden Einbringungen des Schlosses als Sacheinlage in die beiden beklagten Gesellschaften für unwirksam.

10.

Edil Work 2 und die ST legten hiergegen Kassationsbeschwerde bei der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) ein. Sie bestreiten die Anwendbarkeit von Art. 25 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes 218/1995. Die Corte d’appello di Roma (Berufungsgericht Rom) habe nämlich nicht berücksichtigt, dass Bedeutung und Tragweite dieser Regelung durch das Unionsrecht, das verlange, dass die nationale Regelung bei einer mit ihm unvereinbaren Auslegung nicht angewendet werde, grundlegend eingeschränkt worden seien.

11.

STE, die Kassationsbeschwerdegegnerin, trat der Kassationsbeschwerde entgegen und wies insbesondere darauf hin, dass die Wirksamkeit der erteilten Vollmacht an FF und die Gültigkeit der späteren Einbringungen als Sacheinlage in die klagenden Gesellschaften anhand des italienischen Rechts zu prüfen seien, ohne dass das Unionsrecht sich auf die Auslegung auswirke, da sich der Hauptgeschäftszweck der Gesellschaft in Italien befinde.

12.

Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass Art. 25 Abs. 3 des Gesetzes 218/1995 die Umwandlung italienischer Gesellschaften in ausländische Gesellschaften durch Verlegung ihres satzungsmäßigen Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat erlaube, sofern die Verlegung sowohl im Wegzugs- als auch im Zuzugsmitgliedstaat wirksam sei. Außerdem habe diese Sitzverlegung nicht zur Folge, dass die Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft erlösche, auch nicht mit der Löschung der Gesellschaft im italienischen Handelsregister.

13.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt sich die Frage, ob die (Neu‑)Gründung von STE, die den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit (im Folgenden: Hauptniederlassung) in Italien als luxemburgische Gesellschaft beibehalten habe, zur Folge habe, dass die Maßnahmen der Geschäftsführung und der Organisation dieser Gesellschaft dem luxemburgischen Recht unterliegen, nach dem die in Rede stehende Übertragung von Geschäftsführungsbefugnissen wirksam wäre. Wäre dagegen italienisches Recht anwendbar, wäre die in Rede stehende Bevollmächtigung nichtig.

14.

Zur Bestimmung des auf die Übertragung von Geschäftsführungsbefugnissen anwendbaren Rechts führt das vorlegende Gericht aus, dass nach Art. 25 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes 218/1995 der allgemeine Anknüpfungspunkt der Ort der Gründung der Gesellschaft sei. Nach diesem Satz müsste sich im vorliegenden Fall die in Rede stehende Erteilung der Generalvollmacht nach luxemburgischem Recht richten. Satz 2 dieser Bestimmung enthalte jedoch eine Ausnahme von dieser Regel, nach der das italienische Recht auf Gesellschaften Anwendung finde, die ihren „Hauptgeschäftszweck“ in Italien hätten. Nach dieser Ausnahme wäre daher auf die in Rede stehende Übertragung von Geschäftsführungsbefugnissen das italienische Recht anwendbar, da sich das alleinige Vermögen und damit der Hauptgeschäftszweck dieser Gesellschaft, nämlich das Schloss, in Italien befinde. Da im letztgenannten Fall nach Art. 2381 Abs. 2 des Zivilgesetzbuchs der Verwaltungsrat einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ( 5 ) die eigenen Befugnisse nur an Mitglieder aus seiner Mitte übertragen könne, wäre die Übertragung dieser Befugnisse auf einen Dritten, im vorliegenden Fall FF, nach italienischem Recht rechtswidrig.

15.

Unter diesen Umständen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass erstens der Umstand, dass nur der satzungsmäßige Sitz und nicht der Verwaltungssitz oder die Hauptniederlassung verlegt werde, für sich genommen die Anwendbarkeit dieser Freiheit nicht ausschließe, da die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV den Anspruch einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft auf Umwandlung in eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft umfasse, sofern die Voraussetzungen des Rechts jenes anderen Mitgliedstaats eingehalten seien und insbesondere das Kriterium erfüllt sei, das in diesem anderen Mitgliedstaat für die Verbundenheit einer Gesellschaft mit seiner nationalen Rechtsordnung erforderlich sei.

16.

Zweitens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die in Art. 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit nicht nur die Gründung, sondern auch die Geschäftsführung von Gesellschaften umfasse. Diese Tätigkeiten sollten gemäß dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie (EU) 2019/2121 ( 6 ) unter den in den Bestimmungen des Niederlassungsmitgliedstaats festgelegten Bedingungen ausgeübt werden. Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass dieser Mitgliedstaat Luxemburg ist.

17.

Drittens stellt das vorlegende Gericht fest, dass nach Art. 2507 des Zivilgesetzbuchs im Kapitel „Im Ausland gegründete Gesellschaften“ die Bestimmungen dieses Kapitels im Einklang mit den Grundsätzen des Unionsrechts auszulegen seien.

18.

Das vorlegende Gericht führt aus, dass zwar das Recht des Mitgliedstaats der Umwandlung (im vorliegenden Fall Luxemburg) für die Geschäftsführung und Organisation einer Gesellschaft maßgebend sein müsse, die Gesellschaft jedoch im vorliegenden Fall ihre Hauptniederlassung in Italien behalte. Ein solcher Umstand kann nach Ansicht des vorlegenden Gerichts die Anwendung des italienischen Rechts auf die in Rede stehende Erteilung der Generalvollmacht rechtfertigen.

19.

Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen die Art. 49 und 54 AEUV dem entgegen, dass ein Mitgliedstaat, in dem eine Gesellschaft (konkret eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung) ursprünglich gegründet wurde, auf diese die nationalen Bestimmungen über die Organisation und die Geschäftsführung der Gesellschaft anwendet, wenn die Gesellschaft, nachdem sie ihren Sitz verlegt und sich nach dem Recht des Zuzugsmitgliedstaats neu gegründet hat, ihre Hauptniederlassung im Wegzugsmitgliedstaat behält und die in Rede stehende Maßnahme der Geschäftsführung sich maßgeblich auf die Tätigkeit der Gesellschaft auswirkt?

20.

Edil Work 2, STE, die italienische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Beteiligten haben darüber hinaus in der Sitzung vom 11. Juli 2023 mündlich verhandelt.

III. Würdigung

A.   Vorbemerkungen

21.

Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Niederlassungsfreiheit einer nationalen Regelung entgegensteht, die es einem Mitgliedstaat, in dem eine Gesellschaft ursprünglich gegründet wurde (im vorliegenden Fall Italien), erlaubt, sein nationales Recht auf die Maßnahmen der Geschäftsführung und der Organisation dieser Gesellschaft anzuwenden, wenn diese Gesellschaft im Rahmen einer grenzüberschreitenden Umwandlung ihren satzungsmäßigen Sitz in einen anderen Mitgliedstaat (im vorliegenden Fall Luxemburg) verlegt, ihren Hauptgeschäftszweck aber im Wegzugsmitgliedstaat (Italien) beibehalten hat.

22.

Zunächst sei daran erinnert, dass der Gerichtshof die Vorlagefrage gegebenenfalls umzuformulieren hat. Außerdem kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat ( 7 ). Um im vorliegenden Fall eine sachdienliche Antwort auf das Vorabentscheidungsersuchen geben zu können, muss der Umfang der Vorlagefrage zutreffend bestimmt werden.

1. Abgrenzung zwischen grenzüberschreitenden Umwandlungen und grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Tätigkeiten

23.

Meines Erachtens ist es unerlässlich, zwei verschiedene Fragen auseinanderzuhalten. Die erste betrifft die Beschränkungen, die Gesellschaften auferlegt werden, wenn sie eine grenzüberschreitende Umwandlung oder eine Neugründung in einem anderen Mitgliedstaat vornehmen ( 8 ). Diese Frage stellt sich, wenn die Mitgliedstaaten die grenzüberschreitende Umstrukturierung von Gesellschaften beschränken und wenn es um die Zulässigkeit der Umwandlung einer Gesellschaft in eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft geht – diese Fälle wurden als „Wegzugsfälle“ bezeichnet ( 9 ). So musste sich der Gerichtshof beispielsweise in der Rechtssache Daily Mail ( 10 ) zu dieser Frage äußern, in der es um eine britische Gesellschaft ging, die ihre Hauptverwaltung aus dem Vereinigten Königreich (damals noch ein Mitgliedstaat) in die Niederlande verlegen wollte, ohne ihre Rechtspersönlichkeit oder ihren Status als Gesellschaft britischen Rechts zu verlieren. Die Steuerbehörden des Vereinigten Königreichs verweigerten die nach nationalem Recht erforderliche Genehmigung für die Sitzverlegung. Der Gerichtshof entschied, dass sich die Vorschriften über diese Sitzverlegung nach dem nationalen Recht richteten, nach dem die Gesellschaft gegründet worden war ( 11 ).

24.

Die zweite Frage betrifft die Beschränkungen, die Gesellschaften auferlegt werden, die in einem Mitgliedstaat gegründet wurden, aber in einem anderen Mitgliedstaat wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben wollen ( 12 ). So hatte der Gerichtshof z. B. in der Rechtssache Überseering ( 13 ) zu entscheiden, ob der Mitgliedstaat, in den eine Gesellschaft ihre Hauptverwaltung (in dem Fall Deutschland) verlegt hatte, das Recht hatte, über die Rechtsfähigkeit der in den Niederlanden gegründeten Gesellschaft zu entscheiden. Es ging mit anderen Worten um die Frage, ob ein Aufnahmemitgliedstaat berechtigt ist, die Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer ausländischen Gesellschaft zu verweigern, wenn diese ihren Hauptverwaltungssitz in diesen Zuzugsstaat verlegt hat. Außerdem hatte der Gerichtshof in der Rechtssache Inspire Art ( 14 ) zu den niederländischen Rechtsvorschriften über ausländische Gesellschaften, die ihre wirtschaftliche Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat ausüben, Stellung zu nehmen. Diese Rechtssache betraf eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Vereinigten Königreichs gegründet worden war. Die Gesellschaft hatte später eine Zweigniederlassung in den Niederlanden gegründet und übte dort ihre hauptsächliche wirtschaftliche Tätigkeit aus. Die Gesellschaft beantragte die Eintragung ihrer niederländischen Zweigniederlassung im Handelsregister in den Niederlanden, woraufhin dieses ihr bestimmte Auflagen auferlegen wollte. Der Gerichtshof entschied, dass eine Reihe der Anforderungen in den niederländischen Rechtsvorschriften gegen den Grundsatz der Freizügigkeit verstoßen. Der Gerichtshof hat diese beiden Rechtssachen klar von der Rechtssache Daily Mail abgegrenzt, in der es um die Möglichkeit des Gründungsstaats ging, den Umzug einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat zu beschränken ( 15 ).

25.

Im vorliegenden Fall hat STE, eine italienische Gesellschaft, ihren Sitz bereits wirksam nach Luxemburg verlegt, indem sie sich in eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts umgewandelt hat und in Italien gelöscht wurde. Diese Gesellschaft strebt nicht die Niederlassung in Italien an, sondern übt lediglich eine wirtschaftliche Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat aus. Daher ist darauf hinzuweisen, dass es in der vorliegenden Rechtssache entgegen dem Vorbringen von STE und der italienischen Regierung nicht darum geht, ob die grenzüberschreitende Umwandlung von Gesellschaften beschränkt wird, sondern vielmehr darum, ob einer luxemburgischen Gesellschaft, die in Italien eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, Beschränkungen auferlegt werden.

26.

Insoweit geht erstens aus den Akten hervor und wurde in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass STE, die ursprünglich in Italien eingetragen war, im Jahr 2004 in eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts umgewandelt wurde, ohne dass ihr Italien oder Luxemburg irgendwelche Beschränkungen auferlegt hätten. Mit anderen Worten scheint die Umwandlung dieser Gesellschaft nach ihrer (Neu‑)Gründung in Luxemburg sowohl nach dem Recht des Zuzugsstaats (Luxemburg) als auch nach dem Recht des Wegzugsstaats (Italien) anerkannt worden zu sein. Zweitens war das Unternehmen von 2004 (Jahr der Umwandlung) bis 2010 in Italien tätig, ohne dass sich die Behörden eines dieser beiden Staaten gegen die Umwandlung ausgesprochen hätte. Insbesondere haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass die italienischen Behörden während dieses Zeitraums von sechs Jahren nicht versucht haben, das italienische Gesellschaftsrecht auf die Maßnahmen der Gesellschaft anzuwenden. Drittens gilt Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes 218/1995 unterschiedslos sowohl für Gesellschaften, die ursprünglich in einem anderen Mitgliedstaat gegründet wurden, als auch für solche, die umgewandelt wurden. Die in dieser Bestimmung enthaltenen Kollisionsnormen betreffen nicht Fragen der grenzüberschreitenden Umwandlung und deren Auswirkungen. Daher würde sich meines Erachtens die gleiche Frage in einer Situation stellen, in der eine ursprünglich in Luxemburg gegründete Gesellschaft ihren Hauptgeschäftszweck in Italien hat, d. h., wenn STE von Anfang an eine luxemburgische Gesellschaft gewesen wäre, die Eigentümerin des Schlosses war.

27.

Daraus folgt, dass die Frage, ob die in Rede stehenden italienischen Vorschriften die Verlegung und/oder Umwandlung einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat beschränken, für das vorliegende Verfahren unerheblich ist und nicht entschieden werden muss. Die Kernfrage der vorliegenden Rechtssache ist, ob die Anwendung des italienischen Rechts auf die Maßnahmen der Geschäftsführung und Organisation einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Gründungsstaat – über den „Hauptgeschäftszweck“ als Anknüpfungspunkt – eine Beschränkung der Ausübung der Grundfreiheiten darstellt. Für die Zwecke der in den vorliegenden Schlussanträgen nachfolgenden Prüfung ist der Wegzugsmitgliedstaat daher Luxemburg und der Mitgliedstaat, in dem die in Rede stehende Gesellschaft ihre wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, Italien.

2. Zum Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits

28.

Der Ausgangsrechtsstreit betrifft die Wirksamkeit der Erteilung der Generalvollmacht an einen Dritten, der nicht Mitglied des Verwaltungsrats ist, und die Gültigkeit der Einbringung eines Gebäudekomplexes als Sacheinlage. Für die Bestimmung des Gegenstands der Vorlagefrage ist es wichtig, zwischen der Erteilung der Generalvollmacht und der Übertragung des Eigentums an dem Gebäudekomplex zu unterscheiden. Meines Erachtens ist in der vorliegenden Rechtssache zwischen der Frage des Gesellschaftsstatuts (lex societatis) einerseits und der Beschränkung der Übertragung von unbeweglichen Sachen durch einen Mitgliedstaat andererseits zu unterscheiden. Während die erste Frage unter die Niederlassungsfreiheit fällt, kann die zweite Frage unter die in Art. 63 AEUV verankerte Kapitalverkehrsfreiheit fallen. Um die anwendbare Grundfreiheit zu bestimmen, muss zunächst der Zweck der Regelung ( 16 ) unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ermittelt werden.

29.

Zwar hat die Corte d’appello di Roma (Berufungsgericht Rom) im Ausgangsverfahren entschieden, dass sich „die alleinige und gesamte Vermögensbasis“ der Gesellschaft, also deren Hauptgeschäftszweck, in Italien befinde, und aus diesem Grund das einschlägige italienische Recht angewandt. Folglich scheint dieses Gericht bei der Anwendung des italienischen Rechts auf den Belegenheitsort des Hauptvermögens der Gesellschaft und damit auf das Eigentumsrecht an einem Grundstück abgestellt zu haben. Insbesondere vertrat dieses Gericht im Wesentlichen die Auffassung, dass die Erteilung der Generalvollmacht und die beiden Einbringungen des Schlosses als Sacheinlage unter die Regel des Rechts der belegenen Sache (lex rei sitae) fielen und dass diese Einbringungen daher nach italienischem Recht unwirksam seien.

30.

Ich weise jedoch darauf hin, dass der Ausgangsrechtsstreit die Wirksamkeit der Erteilung der Generalvollmacht an einen Dritten betrifft, der nicht Mitglied des Verwaltungsrats ist. Dies scheint prima facie keine Frage zu dinglichen Rechten an unbeweglichen Sachen zu sein ( 17 ). Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof geltend gemacht hat, ist die Wirksamkeit der Übertragung von Befugnissen durch den Geschäftsführer an einen Dritten eine Frage der Geschäftsführung und der Organisation einer Gesellschaft, die somit unter das Gesellschaftsstatut (lex societatis) fällt, das diese Gesellschaft an eine bestimmte Rechtsordnung bindet ( 18 ). Eine solche Schlussfolgerung wird durch den Wortlaut von Art. 25 Abs. 2 des Gesetzes 218/1995 gestützt, das die Sachmaterien aufzählt, auf die das Gesellschaftsstatut (lex societatis) Anwendung findet, wie „die Bildung, die Befugnisse und die Arbeitsweise der Organe“ und die „Vertretung der juristischen Person“. Die nationale Regelung bezweckt also die Anwendung des italienischen Rechts auf die oben genannten Maßnahmen ausländischer Gesellschaften, so dass sie unter die in Art. 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit fällt.

31.

Da das Ausgangsverfahren die Frage der Bestimmung des Gesellschaftsstatuts (lex societatis) zum Gegenstand hat, das auf eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft anwendbar ist, ist die dem Gerichtshof vom vorlegenden Gericht gestellte Frage im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 49 AEUV zu prüfen, die das Recht der Angehörigen der Europäischen Union umfasst, Unternehmen unter den gleichen Bedingungen wie den im Recht des betreffenden Niederlassungsstaats für dessen eigene Angehörige festgelegten zu gründen und zu leiten, und gemäß Art. 54 AEUV für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften das Recht einschließt, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben ( 19 ). Beabsichtigt ein Wirtschaftsteilnehmer, seine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit tatsächlich auszuüben, ist seine Situation im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit, wie sie in Art. 49 AEUV definiert ist, zu prüfen ( 20 ).

32.

In Bezug auf die Erteilung der Generalvollmacht an einen Dritten, der nicht Mitglied des Verwaltungsrats ist, schlage ich daher vor, die in Rede stehende nationale Regelung im Hinblick auf diese Freiheit zu prüfen.

33.

Was das Einbringen von Immobilien als Sacheinlage betrifft, so müsste festgestellt werden, sollte der Gerichtshof die nationale Regelung im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr prüfen, dass feststeht, dass Maßnahmen im Zusammenhang mit der Übertragung von unbeweglichen Sachen in der Regel unter das Recht des Belegenheitsorts der Sache fallen. Daher erscheint es prima facie plausibel, dass die bloße Anwendung dieses Rechts an sich noch keine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt.

3. Zwischenergebnis

34.

Nach alledem schlage ich vor, die Vorlagefrage umzuformulieren und dabei den Fokus auf die Erteilung der Generalvollmacht an einen Dritten, der nicht Mitglied des Verwaltungsrats ist, zu legen. Das auf die Erteilung der Generalvollmacht anwendbare Recht ist nämlich von der Frage der Wirksamkeit der Einbringungen als Sacheinlage, die unter die Kategorie der dinglichen Rechte an einem Grundstück fallen, zu trennen und geht dieser Frage voraus. Daher ist die Vorlagefrage so umzuformulieren, dass sie darauf abzielt, ob die in Art. 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen ist, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Anwendung seines nationalen Rechts auf eine Geschäftsführungs- und Organisationsmaßnahme wie die Übertragung von Befugnissen einer Gesellschaft vorsieht, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründet wurde, deren Hauptgeschäftszweck sich aber in seinem Hoheitsgebiet befindet.

B.   Zum Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit

1. Abgrenzung zwischen dem Diskriminierungs- und dem Beschränkungsansatz

35.

Nach Art. 54 AEUV stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, für die Anwendung der Bestimmungen des AEU‑Vertrags über die Niederlassungsfreiheit den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind ( 21 ).

36.

Im Bereich des Gesellschaftsrechts sind die Mitgliedstaaten seit dem Urteil Überseering ( 22 ) verpflichtet, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats wirksam gegründeten Gesellschaften auch ohne sachliche Verbindung mit diesem anderen Staat anzuerkennen. Sobald eine Gesellschaft rechtswirksam gegründet worden ist, ist davon auszugehen, dass sie die Niederlassungsfreiheit in der Union ausüben kann.

37.

Die Niederlassungsfreiheit umfasst nach Art. 49 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV für die in der letztgenannten Bestimmung genannten Gesellschaften u. a. das Recht auf Gründung und Leitung dieser Gesellschaften nach den Bestimmungen des Niederlassungsstaats für seine eigenen Gesellschaften ( 23 ). Diese Freiheit erstreckt sich auf alle Entwicklungsstufen dieser Gesellschaften, was über das erste Fußfassen auf dem Markt eines Mitgliedstaats hinaus auch die tatsächliche Ausübung einer Geschäftstätigkeit umfasst ( 24 ). Könnte der Mitgliedstaat der Niederlassung nach seinem Belieben eine ungleiche Behandlung allein deshalb vornehmen, weil sich der Sitz einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat befindet, würde Art. 49 AEUV seines Sinnes entleert. Die Niederlassungsfreiheit soll daher die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat gewährleisten, indem sie jede Diskriminierung aufgrund des Ortes des Sitzes einer Gesellschaft verbietet ( 25 ).

38.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Niederlassungsfreiheit nicht nur unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen (sog. Diskriminierungsansatz) verbietet, durch die gebietsfremde Gesellschaften „ungünstiger“ behandelt werden als gebietsansässige Gesellschaften ( 26 ), sondern auch nationale Maßnahmen, die zwar nicht diskriminierend sind, aber den Marktzugang behindern (sog. Beschränkungsansatz). Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass nationale Maßnahmen, die die Ausübung der Grundfreiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, Beschränkungen dieser Freiheit darstellen ( 27 ). Wenn man diesen Ansatz zu Ende denkt, beseitigt er zumindest theoretisch die Notwendigkeit eines Vergleichs oder der Feststellung einer Benachteiligung im Hinblick auf eine vergleichbare Situation.

2. Theorie des tatsächlichen Sitzes und Gründungstheorie

39.

Was die Anerkennung einer Gesellschaft nach dem internationalen Privatrecht betrifft, so gibt es im Wesentlichen zwei verschiedene Theorien, die Theorie des tatsächlichen Sitzes ( 28 ) und die Gründungstheorie ( 29 ). Der Gerichtshof hat entschieden, dass der Ort des satzungsmäßigen Sitzes, der Ort der Hauptverwaltung oder der Ort der Hauptniederlassung der in Art. 54 AEUV genannten Gesellschaften als Kriterien für die Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Mitgliedstaats dienen können ( 30 ). Mit anderen Worten werden nach dieser Bestimmung alle drei Anknüpfungskriterien gleich geachtet ( 31 ). Daraus folgt, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, welchen Anknüpfungspunkt sie anwenden und welche Kollisionsnormen anwendbar sind. Daher können sich der Ansatz und das nationale Recht über das internationale Privatrecht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erheblich unterscheiden ( 32 ).

40.

Demselben Gedankengang folgend hat der Gerichtshof in Anbetracht dessen, dass Art. 54 AEUV den satzungsmäßigen Sitz, die Hauptverwaltung und die Hauptniederlassung gleichstellt, entschieden, dass ein Mitgliedstaat in Ermangelung einer einheitlichen unionsrechtlichen Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, anhand einer einheitlichen Anknüpfung, nach der sich das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht bestimmt, sowohl die Anknüpfung bestimmen kann, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können, als auch die Anknüpfung, die für den Erhalt dieser Eigenschaft verlangt wird ( 33 ).

41.

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Vorlagefrage eine Gesellschaft betrifft, die bereits nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet worden ist und die Maßnahmen der Geschäftsführung und der Organisation in Bezug auf einen in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Vermögenswert vorgenommen hat. Eine solche Situation scheint grundsätzlich in den Anwendungsbereich des ersten Satzes von Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes 218/1995 zu fallen, wonach eine in einem anderen Staat gegründete Gesellschaft dem Recht dieses Staates unterliegt. Der zweite Satz von Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes 218/1995 dehnt jedoch den Anwendungsbereich des italienischen Rechts auf eine Gesellschaft aus, die ihren „Verwaltungssitz“ oder ihren „Hauptgeschäftszweck“ in Italien hat. Dieser Satz fügt daher zwei zusätzliche Kollisionsnormen hinzu, die im Wesentlichen auf den tatsächlichen Sitz einer Gesellschaft und auf deren Hauptgeschäftszweck abstellen. Nach den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts scheint die Gründungstheorie somit zwar der allgemeine Grundsatz zu sein, doch erstreckt sich die Anwendung des italienischen Rechts auch auf Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz und ihren Hauptgeschäftszweck in diesem Staat haben.

42.

Kurz gesagt wendet der erste Satz von Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes 218/1995 das Gründungskriterium an und bestätigt damit die Anwendbarkeit des luxemburgischen Rechts im vorliegenden Fall. Die Anwendung des zweiten Satzes dieser Bestimmung führt jedoch zur Anwendung des italienischen Rechts durch die italienischen Behörden auf die in Rede stehende Erteilung der Generalvollmacht. Meines Wissens hat sich der Gerichtshof noch nicht zu einem solchen Fall geäußert, der die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme, die die kumulative Anwendung mehrerer Kollisionsnormen vorschreibt, mit dem Unionsrecht betrifft.

43.

In diesem Zusammenhang ist, wie oben ausgeführt ( 34 ), in Ermangelung einheitlicher Regeln auf Unionsebene die Bestimmung der Anknüpfungskriterien der nationalen Autonomie überlassen. Daher mag es zwar auf den ersten Blick so aussehen, als ob die Niederlassungsfreiheit einer nationalen Regelung, die die kumulative Anwendung mehrerer Kollisionsnormen vorschreibt, nicht entgegenstünde. Bei der Prüfung der Wirkung der in Rede stehenden nationalen Regelung wird jedoch deutlich, dass sie die Ausübung der in Art. 49 AEUV verankerten Niederlassungsfreiheit behindert und weniger attraktiv macht.

3. Anwendung des Beschränkungsansatzes im vorliegenden Fall

44.

Da STE im vorliegenden Fall nach luxemburgischem Recht gegründet wurde und ihren Sitz in diesem Mitgliedstaat hat, unterlagen Maßnahmen der Geschäftsführung und Organisation dieser Gesellschaft dem luxemburgischen Recht. Dieser Sachverhalt fällt auf den ersten Blick unter die Kollisionsnorm des Art. 25 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes 218/1995.

45.

Indem Art. 25 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes 218/1995 von einer in Luxemburg gegründeten Gesellschaft jedoch verlangt, dass die von ihr vorgenommenen Geschäftsführungs- und Organisationsmaßnahmen mit dem italienischen Recht vereinbar sind, wird dieser Gesellschaft tatsächlich die Verpflichtung auferlegt, das Gesellschaftsrecht zweier verschiedener Staaten kumulativ zu beachten. Es ist definitionsgemäß unmöglich, diese Situation mit den Bedingungen zu vergleichen, unter denen italienische Gesellschaften tätig sind. Diese Gesellschaften unterliegen nämlich bereits dem italienischen Recht, und da das vom italienischen Gesetzgeber gewählte Kriterium des „Hauptgeschäftszwecks“ seinem Wesen nach nur für grenzüberschreitende Sachverhalte gilt, ist es für diese Gesellschaften irrelevant. Folglich ist es nicht möglich – oder es wäre zumindest tautologisch – zu behaupten, dass die in Rede stehende italienische Regelung eine Ungleichbehandlung der betreffenden ausländischen Gesellschaften darstelle und dass diese Ungleichbehandlung ausländische Gesellschaften gegenüber inländischen Gesellschaften benachteilige. Ich bin daher der Ansicht, dass die Vorschriften über das anwendbare Gesellschaftsrecht nicht nach dem Sitz oder der „Herkunft“ der Gesellschaft unterscheiden und inländische und ausländische Gesellschaften in Bezug auf das Kriterium des „Hauptgeschäftszwecks“ nicht vergleichbar sind. Daraus folgt meines Erachtens, dass der Diskriminierungsansatz im vorliegenden Fall außer Acht bleiben muss.

46.

Es stellt sich daher die Frage, ob die Anwendung des Art. 25 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes 218/1995 die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindert oder weniger attraktiv macht ( 35 ).

47.

Meines Erachtens ist dies zu bejahen. Die kumulative Anwendung des Gesellschaftsrechts des Wegzugsmitgliedstaats und des italienischen Rechts – Letzteres, da sich der Hauptgeschäftszweck der Gesellschaft in Italien befindet – bedeutet, dass die Gesellschaftsorgane möglicherweise gleichzeitig die Anforderungen der Vorschriften des Rechts des Wegzugsmitgliedstaats und die des Mitgliedstaats, in dem sich der „Hauptgeschäftszweck“ befindet, erfüllen müssen. Theoretisch könnte eine solche allgemeine Doppelbelastung die Ausübung von Tätigkeiten in Bezug auf in Italien belegene Immobilien für eine im Wegzugsmitgliedstaat (im vorliegenden Fall Luxemburg) ansässige Gesellschaft weniger attraktiv machen und damit die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindern.

48.

Im vorliegenden Fall ist es aber nicht STE, d. h. die Gesellschaft, die von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht hat, die sich auf diese Freiheit berufen will. Vielmehr sind es die beiden Begünstigten der Einbringungen des Schlosses als Sacheinlage durch STE – ST und Edil Work 2 –, die sich auf diese Freiheit berufen. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles bin ich daher der Ansicht, dass die kumulative Anwendung des Gesellschaftsrechts zweier Mitgliedstaaten Rechtsunsicherheit für den Vertragspartner einer Gesellschaft schafft, der sich auf zwei nationale Rechtsordnungen berufen muss, wenn er die Übertragung von Befugnissen durch ihren Geschäftsführer für unwirksam erklären lassen und die Interessen dieser Gesellschaft schützen will. Im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit ( 36 ) muss eine Partei beim Eingehen eines Rechtsverhältnisses wie eines Vertrags nämlich erkennen können, welches nationale Recht auf die betreffende Gesellschaft anwendbar ist. In diesem Zusammenhang führt die Anwendung von Art. 25 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes 218/1995 auf die streitige Erteilung der Generalvollmacht für die Zwecke der Ungültigerklärung der beiden späteren Einbringungen des Schlosses als Sacheinlage zu Rechtsunsicherheit für die Begünstigten, da STE wirksam nach luxemburgischem Recht gegründet wurde und angeblich die Vorgaben des Gesellschaftsrechts dieses Landes eingehalten hat. Vor der Klage von STE, mit der sie im Wesentlichen die Anwendung des italienischen Rechts geltend macht, obwohl sie ihren Sitz nach Luxemburg verlegt und sich in eine luxemburgische Gesellschaft umgewandelt hat, gab es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Gesellschaft sowohl dem luxemburgischem Recht als auch dem italienischen Gesellschaftsrecht einschließlich seiner Schutzmaßnahmen unterlag. STE beruft sich auf einen solchen Vorteil und macht die rückwirkende Anwendung des italienischen Rechts auf die streitige Erteilung der Generalvollmacht geltend, was folglich für die Begünstigten der Einbringungen des Schlosses als Sacheinlage zu Rechtsunsicherheit führen würde.

49.

Es liegt auf der Hand, dass ein solche selektive Auswahl („Rosinenpicken“) des anwendbaren Rechts und die Überschneidung zweier Rechtsordnungen zu erheblicher Unsicherheit und finanzieller Belastung für die Vertragsparteien einer Gesellschaft führen können, die sich auf die Anwendbarkeit des Gesellschaftsrechts zweier Staaten berufen müssen. Wenn nämlich die Person, die von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht hat, die Möglichkeit hätte, die unter Wirkung dieser Freiheit begründeten Rechtsverhältnisse rückwirkend rückgängig zu machen, würde dies die praktische Wirksamkeit der Niederlassungsfreiheit erheblich beeinträchtigen.

50.

Im Übrigen scheint die rückwirkende Anwendung des italienischen Rechts auf eine gesellschaftsrechtliche Maßnahme wie die streitige Erteilung der Generalvollmacht durch einen weiteren Anknüpfungspunkt ausgelöst zu sein, nämlich durch das Vorliegen von dinglichen Rechten an unbeweglichen Sachen. Die Ausweitung des Begriffs „Hauptgeschäftszweck“ auf Maßnahmen, die der Übertragung von dinglichen Rechten an unbeweglichen Sachen vorausgehen, ohne näher zu erläutern, warum und wie es hierzu kommt, kann gegen die Grundsätze der Rechtsklarheit und folglich der Rechtssicherheit für die Vertragsparteien verstoßen.

51.

Schließlich möchte ich der Vollständigkeit halber hinzufügen, dass es wegen der unmittelbaren Wirkung von Art. 49 AEUV ( 37 ) im Ausgangsverfahren darauf ankommt, ob der materielle Regelungsgehalt der in dieser Bestimmung verankerten Niederlassungsfreiheit so weit reicht, dass der Vertrag – und damit der Vertragspartner im Ausgangsverfahren – ebenfalls von dieser Bestimmung geschützt ist. Insoweit bin ich der Ansicht, dass das in Art. 49 AEUV vorgesehene Verbot der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit von Personen geltend gemacht werden kann, die von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen, indem sie Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat ausüben, aber auch von ihren Vertragsparteien, insbesondere wenn es grenzüberschreitende Elemente gibt, wie im vorliegenden Fall, in dem STE, eine luxemburgische Gesellschaft, die Generalvollmacht an ihren Generalbevollmächtigten erteilt hat, der seinerseits das Hauptvermögen der Gesellschaft auf ST, eine italienische Gesellschaft, übertragen hat, und diese Geschäfte nach italienischem Recht angefochten wurden ( 38 ). Aus materiell-rechtlicher Sicht fällt daher das individuelle Recht von ST (und indirekt auch von Edil Work 2) unter das oben genannte Verbot. Hinzu kommt, dass STE, indem sie von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht hat, eine Situation geschaffen hat, die in den Anwendungsbereich dieser Freiheit fiel. Die nachfolgenden Geschäfte wie die Erteilung der Generalvollmacht und die Übertragung des Eigentums an dem Schloss fielen unter die Niederlassungsfreiheit. Folglich muss sich ein Dritter, wenn er eine Verbindung zu der im Rahmen der Ausübung dieser Freiheit entstandenen Situation herstellt, auf Art. 49 AEUV berufen können ( 39 ).

52.

Daraus folgt meines Erachtens, dass die Anwendung des italienischen Rechts gemäß Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes 218/1995 in Verbindung mit Art. 2381 Abs. 2 des Zivilgesetzbuchs auf die streitige Erteilung der Generalvollmacht eine Beschränkung der Ausübung der Niederlassungsfreiheit darstellt, die gegen Art. 49 AEUV verstößt.

C.   Rechtfertigung

53.

Nationale Maßnahmen, die die Niederlassungsfreiheit beschränken, können gerechtfertigt sein und sich als verhältnismäßig erweisen. Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass eine nicht diskriminierende nationale Maßnahme, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindert oder weniger attraktiv macht, gerechtfertigt sein kann, wenn sie einem zwingenden Grund des „Allgemeininteresses“ entspricht ( 40 ). Eine solche Maßnahme muss geeignet sein, die Erreichung des fraglichen Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist ( 41 ).

54.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht nicht die Gründe angibt, die die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die Anwendung des italienischen Rechts auf Geschäftsführungs- und Organisationsmaßnahmen einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats wirksam gegründeten Gesellschaft, die ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten in Italien ausübt und deren Hauptgeschäftszweck dort liegt, rechtfertigen können. Diese ergeben sich auch nicht aus dem Wortlaut von Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes 218/1995 oder Art. 2381 Abs. 2 des Zivilgesetzbuchs.

55.

In ihren schriftlichen Erklärungen vertritt die italienische Regierung jedoch die Auffassung, dass Gründe im Zusammenhang mit dem Schutz der Gesellschafter, der Gläubiger, der Arbeitnehmer und Dritter erfordern würden, dass die Erteilung der fraglichen Befugnisse dem italienischen Recht unterliege. Ich weise darauf hin, dass sich die Argumente dieser Regierung in der mündlichen Verhandlung auf den Schutz der Gesellschafter beschränkten und der Schutz der Interessen anderer Dritter allenfalls am Rande geltend gemacht wurde. Außerdem sei die Anwendung des italienischen Rechts insoweit erforderlich, als die Niederlassung von STE in Luxemburg nicht mit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat einhergehe und somit eine missbräuchliche Praxis darstelle. Das Unionsrecht erlaube es nicht, rein künstliche Gesellschaften zu gründen, die nicht mit der wirtschaftlichen Realität übereinstimmten. Unter Berücksichtigung dieser beiden Hauptargumente werde ich das Vorbringen zum Schutz der Gesellschafter und zur angeblich missbräuchlichen Praxis prüfen.

1. Schutz der Gesellschafter

56.

Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof bereits anerkannt hat, dass der Schutz der Interessen von Minderheitsgesellschaftern unter bestimmten Umständen und unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen kann ( 42 ). Der Gerichtshof hat das Erfordernis des Schutzes von „Minderheitsgesellschaftern“ anerkannt. In bestimmten Sonderfällen, in denen der Mitgliedstaat Beschränkungen auferlegt hat, die den Schutz aller Gesellschafter unabhängig von ihrer Gesellschaftsbeteiligung bezwecken, lässt sich jedoch meines Erachtens nicht ausschließen, dass das Ziel des (allgemeinen) Schutzes der Gesellschafter einen solchen Rechtfertigungsgrund darstellen kann ( 43 ).

57.

Allerdings enthält Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes 218/1995 keinerlei Angaben, welche Gründe des Allgemeininteresses den italienischen Gesetzgeber dazu veranlasst haben, diese Bestimmung zu erlassen. Es ist daher schwierig, die Ziele zu bestimmen, die mit dieser Regelung bezweckt werden, und somit zu prüfen, ob das mit ihr angestrebte Ziel tatsächlich verfolgt wird. Insbesondere scheint es auf den ersten Blick so zu sein, dass die italienischen Vorschriften – insbesondere Art. 2381 Abs. 2 des Zivilgesetzbuchs, der die Übertragung von Geschäftsführungsbefugnissen an einen Dritten ausschließt, der nicht Mitglied des Verwaltungsrats der Gesellschaft ist –, darauf abzielen, die Interessen dieser Mitglieder und die ausschließlich den Geschäftsführern übertragene Geschäftsführungsbefugnis zu schützen, so dass sie nur das Verhältnis zwischen den Mitgliedern des Verwaltungsrats und den Geschäftsführern regeln. Es ist daher unklar, ob die fragliche Regelung mit dem Ziel erlassen wurde, den Schutz der Gesellschafter zu gewährleisten. Eine solche Bewertung vorzunehmen ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts.

58.

Angenommen, dass das verfolgte Allgemeininteresse tatsächlich der Schutz der Gesellschafter ist, weise ich darauf hin, dass die Anwendung von Art. 25 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes 218/1995 in Verbindung mit Art. 2381 Abs. 2 des Zivilgesetzbuchs möglicherweise über das hinausgeht, was zum Schutz dieses Ziels erforderlich ist. Es geht nämlich, wie auch der vorliegende Fall demonstriert, um die Anwendung des italienischen Rechts auf eine Maßnahme der Geschäftsführung und der Organisation einer Gesellschaft, die wirksam nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründet wurde, aber ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten in Italien ausübt, ohne dass berücksichtigt wird, ob die Interessen der Gesellschafter bereits durch das Gesellschaftsrecht dieses anderen Mitgliedstaats geschützt sind. Mit anderen Worten: Art. 25 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes 218/1995 gilt unterschiedslos für alle Gesellschaften in allen Mitgliedstaaten und für alle Maßnahmen, unabhängig davon, ob die Interessen der Gesellschafter bereits in einem anderen Mitgliedstaat durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen hinreichend geschützt sind, wie z. B. die Pflicht, den Mitgliedern des Verwaltungsrats den Verkauf der Immobilien der Gesellschaft mitzuteilen, und die diesem Gremium eingeräumte Möglichkeit, von dem Verkauf Abstand zu nehmen.

59.

Unter diesen Umständen bezweifle ich, dass die Beschränkung, die sich aus der Anwendung dieser Bestimmungen des italienischen Rechts ergibt, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Erstens geht Art. 25 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes 218/1995 über das erforderliche Maß hinaus, da er unterschiedslos für alle Fälle der Erteilung einer Generalvollmacht an einen außerhalb der Gesellschaft stehenden Dritten gilt. Zweitens gibt es weniger einschneidende Alternativmaßnahmen wie etwa die Prüfung, ob die geschützten Interessen bereits im Recht des Gründungsstaats hinreichend berücksichtigt worden sind, was im Ausgangsverfahren der Fall sein könnte, zumal die Gesellschafter von der Erteilung der Generalvollmacht und den in Rede stehenden nachfolgenden Maßnahmen Kenntnis erlangt haben oder hätten haben können.

2. Missbräuchliche Praxis

60.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung die Entscheidung einer Person, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu gründen, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften dieser Person die größte Freiheit lassen oder für die Ausübung ihrer eigenen wirtschaftlichen Zwecke am geeignetsten erscheinen, und daher ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, zur legitimen Ausübung der Niederlassungsfreiheit gehört ( 44 ). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt die Begründung des satzungsmäßigen oder tatsächlichen Sitzes einer Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats, um in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften zu kommen, für sich allein keinen Missbrauch dar ( 45 ). Gleichwohl hindert die Niederlassungsfreiheit die Mitgliedstaaten nicht daran, vor „Briefkastenfirmen“ und „Strohfirmen“ auf der Hut zu sein ( 46 ). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs können die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen treffen, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfolgen, was eine Beschränkung rechtfertigen könnte ( 47 ). Insbesondere können die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, mit denen „rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen“ verhindert werden, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften zu entgehen ( 48 ). Kürzlich hat der Gerichtshof in der Rechtssache Polbud – Wykonawstwo ( 49 ) auf seine gefestigte Rechtsprechung hingewiesen, wonach es keine allgemeine Betrugs- oder Missbrauchsvermutung geben kann ( 50 ).

61.

Im vorliegenden Fall kommt die allgemeine Anwendung des italienischen Rechts auf alle gesellschaftsrechtlichen Handlungen aller Gesellschaften aus allen anderen Mitgliedstaaten, wenn sich der „Hauptgeschäftszweck“ der Gesellschaft in Italien befindet, einer allgemeinen Betrugs- oder Missbrauchsvermutung gleich. Damit die in Rede stehende Regelung verhältnismäßig ist, muss sie die Art der Maßnahmen, die als betrügerisch angesehen werden können, und die Art der Gesellschaften, an die sie sich richtet, genau angeben. Zudem sollte eine solche Beschränkung durch zuverlässige Daten gestützt und gebührend erläutert werden. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, zu entscheiden, dass der sehr allgemeine Wortlaut von Art. 25 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes 218/1995, der nicht zwischen den verschiedenen denkbaren konkreten Situationen unterscheidet, eher zu dem Schluss führt, dass diese Bestimmung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.

62.

Außerdem weise ich darauf hin, dass ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung Maßnahmen ergreifen kann, um zu verhindern, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den Vertrag geschaffenen Erleichterungen der Anwendung des nationalen Rechts entziehen ( 51 ). Im Ausgangsverfahren scheint jedoch die mögliche Einstufung des Verhaltens von STE als „Missbrauch“ für die Beantwortung der Vorlagefrage unerheblich zu sein, da Italien die Gründung von STE in Luxemburg offenbar geduldet hat.

63.

Auf der Grundlage der dem Gerichtshof vorliegenden Informationen bin ich der Ansicht, dass die angeführte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, die sich aus der Anwendung des italienischen Rechts auf ausländische Gesellschaften ergibt, die ihren „Hauptgeschäftszweck“ in Italien haben, nicht gerechtfertigt ist. Die Vorlagefrage ist daher zu bejahen.

IV. Ergebnis

64.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) wie folgt zu beantworten:

Die in Art. 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit ist dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der sein nationales Recht rückwirkend auf eine Geschäftsführungs- und Organisationsmaßnahme – wie etwa die Erteilung einer Generalvollmacht – einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft anzuwenden ist, weil der Hauptgeschäftszweck dieser Gesellschaft im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats liegt, um Grundstücksübertragungen, die im Anschluss an diese Maßnahme vorgenommen wurden, für ungültig zu erklären.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Der Begriff „Hauptgeschäftszweck“ ist im Vorabentscheidungsersuchen nicht definiert. Das vorlegende Gericht führt jedoch aus, dass das Berufungsgericht davon ausgegangen sei, dass der „Hauptgeschäftszweck“ der STE S.a.r.l. (im Folgenden: STE), einer luxemburgischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in einem Immobilienkomplex bestehe, der das „alleinige und gesamte Vermögen“ der Gesellschaft sei.

( 3 ) GURI Nr. 128 vom 3. Juni 1995.

( 4 ) Aus den Akten geht hervor, dass STE bis zum Jahr 2010 zu 90 % von der STA s.r.l., einer Gesellschaft im Alleinbesitz von FF, gehalten wurde. Die restlichen 10 % der Anteile wurden von SB, der Ehefrau von FF, gehalten. Im Jahr 2010 übertrug STA s.r.l. jedoch 40 % der Anteile an SB.

( 5 ) Sowohl STA als auch STE sind Gesellschaften mit beschränkter Haftung.

( 6 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (ABl. 2019, L 321, S. 1).

( 7 ) Urteile vom 13. Oktober 2016, M. und S. (C‑303/15, EU:C:2016:771, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 31. Mai 2018, Zheng (C‑190/17, EU:C:2018:357, Rn. 27).

( 8 ) Zu dieser Kategorie gehören die Beschränkungen für nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaften, die sich dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterwerfen wollen, ohne ein Liquidationsverfahren in ihrem Wegzugsmitgliedstaat durchzuführen. Siehe zuletzt das Urteil vom 25. Oktober 2017, Polbud – Wykonawstwo (C‑106/16, EU:C:2017:804). Siehe auch Soegaard, G., „Cross-border Transfer and Change of Lex Societatis After Polbud, C‑106/16: Old Companies Do Not Die … They Simply Fade Away to Another Country“, European Company Law, Bd. 15, Ausgabe 1, 2018, S. 21-24.

( 9 ) Siehe Mucciarelli, F. M., European Business Organization Law Review, Bd. 9, S. 267-303.

( 10 ) Urteil vom 27. September 1988, Daily Mail (81/87, EU:C:1988:456).

( 11 ) Ebd., Rn. 19 bis 23.

( 12 ) Vgl. z. B. Urteil vom 21. Dezember 2016, AGET Iraklis (C‑201/15, EU:C:2016:972, Rn. 53 bis 55), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass die Ausübung der Niederlassungsfreiheit die freie Einstellung von Arbeitnehmern im Aufnahmemitgliedstaat, die Freiheit, Art und Umfang der im Aufnahmemitgliedstaat auszuübenden wirtschaftlichen Tätigkeit festzulegen, und damit die Freiheit, diese Tätigkeit einzuschränken oder ihre Tätigkeit und ihre Niederlassung zu beenden, einschließt.

( 13 ) Urteil vom 5. November 2002 (C‑208/00, EU:C:2002:632).

( 14 ) Urteil vom 30. September 2003 (C‑167/01, EU:C:2003:512).

( 15 ) Vgl. Rn. 66 bis 73 des Urteils Überseering und Rn. 102 und 103 des Urteils Inspire Art.

( 16 ) Um festzustellen, ob eine nationale Maßnahme in den Anwendungsbereich einer Grundfreiheit fällt, ist nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung der Zweck der betreffenden Regelung zu berücksichtigen (vgl. insbesondere Urteile vom 1. Juli 2010, Dijkman und Dijkman-Lavaleije, C‑233/09, EU:C:2010:397, Rn. 26, vom 13. November 2012, Test Claimants in the FII Group Litigation,C‑35/11, EU:C:2012:707, Rn. 90, und vom 21. Mai 2015, Wagner-Raith,C‑560/13, EU:C:2015:347, Rn. 31).

( 17 ) Zur Unterscheidung zwischen Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht und solchen betreffend dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen siehe z. B. Art. 1 Abs. 2 Buchst. f und Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6). Meines Erachtens scheint die Corte d’appello di Roma (Berufungsgericht Rom), indem sie die Anwendung der Regel des Rechts der belegenen Sache (lex rei sitae) auf die Erteilung der Generalvollmacht erstreckt hat, obwohl beide Einbringungen des Schlosses als Sacheinlage zeitlich erst danach erfolgt sind, die Bevollmächtigung und die Einbringungen miteinander vermengt und im Wesentlichen das Recht der belegenen Sache (lex rei sitae) auf beides angewandt zu haben. Damit hat das Gericht diesem Recht gegenüber dem auf die Erteilung der Generalvollmacht anzuwendenden Recht den Vorzug gegeben. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob nach nationalem Recht die bloße Einbringung eines Grundstücks wie des Schlosses als Sacheinlage ausreicht, um die Erteilung der Generalvollmacht den dinglichen Rechten an unbeweglichen Sachen zuzuordnen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die erste Einbringung zwar ein grenzüberschreitendes Element aufzuweisen scheint, auf das die Rom‑I-Verordnung anwendbar sein könnte, die zweite Einbringung jedoch ein „rein innerstaatlicher“ Vorgang zu sein scheint. Das vorlegende Gericht müsste daher prüfen, ob die beiden Verbringungen gemeinsam zu behandeln und zu prüfen sind.

( 18 ) Zu den Bereichen, die im Allgemeinen unter das Gesellschaftsstatut (lex societatis) fallen, gehören die Gründung und Auflösung der Gesellschaft, die Firma, die Rechtsfähigkeit, die Kapitalstruktur, die Rechte und Pflichten der Gesellschafter und Fragen der Geschäftsführung im Innenverhältnis. Vgl. Europäische Kommission, Generaldirektion Jusitz und Verbraucher, Schuster, E., Gerner-Beuerle, C., Siems, M. und Mucciarelli, F., „Study on the law applicable to companies – Final report“, Amt für Veröffentlichungen, 2016, S. 16, verfügbar unter https://publications.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/259a1dae-1a8c-11e7-808e-01aa75ed71a1/language-en. Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache Verein für Konsumenteninformation (C‑272/18, EU:C:2019:679) zum Ausschluss und zur Definition des Gesellschaftsstatuts (lex societatis) im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Rom‑I-Verordnung.

( 19 ) Vgl. insbesondere Urteil vom 17. Juli 2014, Nordea Bank Danmark (C‑48/13, EU:C:2014:2087, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 20 ) Vgl. insbesondere Urteile vom 29. September 2011, Kommission/Österreich (C‑387/10, EU:C:2011:625, Rn. 22), und vom 23. Februar 2016, Kommission/Ungarn (C‑179/14, EU:C:2016:108, Rn. 148 bis 150).

( 21 ) Vgl. insbesondere Urteil vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 25).

( 22 ) Urteil vom 5. November 2002 (C‑208/00, EU:C:2002:632).

( 23 ) Urteil vom 25. Oktober 2017, Polbud – Wykonawstwo (C‑106/16, EU:C:2017:804, Rn. 33).

( 24 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Hogan in der Rechtssache VAS Shipping (C‑71/20, EU:C:2021:474, Nr. 63).

( 25 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Februar 2021, Novo Banco (C‑712/19, EU:C:2021:137, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 26 ) Wie Generalanwalt Bobek in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Hornbach-Baumarkt (C‑382/16, EU:C:2017:974, Nr. 29) ausgeführt hat, verstößt „[n]ach dem Diskriminierungsansatz … eine nationale Maßnahme gegen die Niederlassungsfreiheit, wenn vergleichbare Sachverhalte ungleich behandelt und hierdurch die Niederlassungsfreiheit ausübende Gesellschaften benachteiligt werden“ (Hervorhebung nur hier).

( 27 ) Urteil vom 30. November 1995, Gebhard (C‑55/94, EU:C:1995:411, Rn. 37). Vgl. auch Urteil vom 21. Januar 2010, SGI (C‑311/08, EU:C:2010:26, Rn. 56). In der jüngsten Rechtsprechung bezieht sich die vom Gerichtshof verwendete Formulierung auf Maßnahmen, die „die Ausübung der Niederlassungsfreiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen“ (Hervorhebung nur hier, Urteil vom 27. Februar 2019, Associação Peço a Palavra u. a.,C‑563/17, EU:C:2019:144, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 28 ) Nach der Theorie des tatsächlichen Sitzes sollte das Recht des Staates, in dem die Gesellschaft ihre Hauptverwaltung und ihren tatsächlichen Sitz hat, das anwendbare Recht bestimmen.

( 29 ) Dagegen verweist die Gründungstheorie auf das Recht, nach dem die Gesellschaft gegründet wurde.

( 30 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 2023, Xella Magyarország (C‑106/22, EU:C:2023:568, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 31 ) Urteile vom 27. September 1988, Daily Mail (81/87, EU:C:1988:456, Rn. 19 bis 21), und vom 25. Oktober 2017, Polbud – Wykonawstwo (C‑106/16, EU:C:2017:804, Rn. 34).

( 32 ) Siehe die in Fn. 18 angeführte Studie aus dem Jahr 2016. Vgl. zu den Unterschieden zwischen den nationalen Rechtsordnungen im Gesellschaftsrecht Andenas, M., und Wooldridge, F., „European Comparative Company Law“, Cambridge University Press, 2010.

( 33 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2008, Cartesio (C‑210/06, EU:C:2008:723, Rn. 109 und 110).

( 34 ) Siehe oben, Nrn. 39 und 40.

( 35 ) Siehe oben, Nr. 38.

( 36 ) Der Gerichtshof hat entschieden, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit, von dem sich der Grundsatz des Vertrauensschutzes ableitet, gebietet, dass eine Regelung, die nachteilige Folgen für Einzelne hat, klar und bestimmt und ihre Anwendung für die Verpflichteten voraussehbar sein muss (Urteil vom 12. Dezember 2013, Test Claimants in the Franked Investment Income Group Litigation,C‑362/12, EU:C:2013:834, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 37 ) Urteil vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 42).

( 38 ) Jedenfalls ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, wie Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Philips Electronics (C‑18/11, EU:C:2012:222, Nr. 83 und die in Fn. 52 angeführte Rechtsprechung) ausgeführt hat, in Zusammenhang mit verschiedenen Grundfreiheiten mehrfach betont hat, dass auch andere Personen als die durch die Grundfreiheit unmittelbar Berechtigten hiervon profitieren können, wenn anders die Grundfreiheit ihre volle Wirkung nicht entfalten kann.

( 39 ) So hat der Gerichtshof beispielsweise im Urteil vom 16. Juli 2015, CHEZ Razpredelenie Bulgaria (C‑83/14, EU:C:2015:480, Rn. 59), anerkannt, dass eine Person, die keine Diskriminierung, nämlich die Verletzung eines subjektiven Rechts, erfährt, im Namen „der übrigen Bewohner des Stadtviertels, in dem sie ihr Geschäft unterhält“, eine Klage wegen Diskriminierung erheben kann. Folglich könnte vertreten werden, dass eine Person, die über eine unmittelbare Verbindung zu der in Rede stehenden Situation verfügt, in der Lage sein muss, ihre Rechte zu verteidigen.

( 40 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Februar 2021, Fussl Modestraße Mayr (C‑555/19, EU:C:2021:89, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 41 ) Urteil vom 25. Oktober 2017, Polbud – Wykonawstwo (C‑106/16, EU:C:2017:804, Rn. 52).

( 42 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. November 2002, Überseering (C‑208/00, EU:C:2002:632, Rn. 92), und vom 25. Oktober 2017, Polbud – Wykonawstwo (C‑106/16, EU:C:2017:804, Rn. 54).

( 43 ) Die Absicht, Minderheitsgesellschafter zu schützen, betrifft im Allgemeinen die Frage der Beilegung interner Rechtsstreitigkeiten innerhalb der Gesellschaft, wie z. B. Rechtsstreitigkeiten zwischen Gesellschaftern oder zwischen Gesellschaftern und Geschäftsleitung oder zwischen Gesellschaft und Geschäftsleitung (vgl. Generalanwalt Wathelet in der Rechtssache Dědouch u. a., C‑560/16, EU:C:2017:872, Nr. 21). Ein solcher Schutz kann jedoch für alle Gesellschafter erforderlich sein.

( 44 ) Urteil vom 9. März 1999, Centros (C‑212/97, EU:C:1999:126, Rn. 27).

( 45 ) Ebenda. Vgl. auch Urteil vom 30. September 2003, Inspire Art (C‑167/01, EU:C:2003:512, Rn. 96).

( 46 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Cartesio (C‑210/06, EU:C:2008:294, Nr. 29) unter Bezugnahme auf das Urteil vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 68).

( 47 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2017, Polbud – Wykonawstwo (C‑106/16, EU:C:2017:804, Rn. 61).

( 48 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 51 bis 55).

( 49 ) Urteil vom 25. Oktober 2017, Polbud – Wykonawstwo (C‑106/16, EU:C:2017:804, Rn. 63 und 64).

( 50 ) Der Gerichtshof hat sich auf eine frühere Rechtsprechung gestützt, wonach der bloße Umstand, dass eine Gesellschaft den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, nicht die allgemeine Vermutung der Steuerhinterziehung begründen und keine die Wahrnehmung einer vom Vertrag garantierten Grundfreiheit beeinträchtigende Maßnahme rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. September 2000, Kommission/Belgien, C‑478/98, EU:C:2000:497, Rn. 45, vom 4. März 2004, Kommission/Frankreich, C‑334/02, EU:C:2004:129, Rn. 27, und vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 50).

( 51 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2017, Polbud – Wykonawstwo (C‑106/16, EU:C:2017:804, Rn. 39).

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