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Document 62020TO0727

Beschluss des Gerichts (Vierte erweiterte Kammer) vom 9. März 2022.
Nigar Kirimova gegen Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum.
Aufhebungsklage – Vertretung durch einen Anwalt, der kein vom Kläger unabhängiger Dritter ist – Unzulässigkeit.
Rechtssache T-727/20.

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2022:136

 BESCHLUSS DES GERICHTS (Vierte erweiterte Kammer)

9. März 2022 ( *1 )

„Aufhebungsklage – Vertretung durch einen Anwalt, der kein vom Kläger unabhängiger Dritter ist – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑727/20,

Nigar Kirimova, wohnhaft in München (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwältin A. Parassina und Rechtsanwalt A. García López,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch G. Predonzani und A. Söder als Bevollmächtigte,

Beklagter,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Aufhebung der Entscheidung des Exekutivdirektors des EUIPO vom 30. September 2020, mit der der Antrag der Klägerin auf Befreiung von dem Erfordernis, die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) zu besitzen, von dem die Eintragung in die Liste der beim Amt zugelassenen Vertreter abhängt, abgelehnt wurde,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni, der Richter L. Madise und P. Nihoul, der Richterin R. Frendo (Berichterstatterin) sowie des Richters J. Martín y Pérez de Nanclares,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1

Die Klägerin, Frau Nigar Kirimova, war zum Zeitpunkt des untersuchten Sachverhalts bei der Kanzlei Brandstock Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (im Folgenden: Brandstock Legal) als Juristin tätig. Am 10. Oktober 2019 beantragte sie beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) die Eintragung in die Liste der beim Amt zugelassenen Vertreter gemäß Art. 120 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1). Da sie die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit besitzt, beantragte sie gleichzeitig auf der Grundlage von Art. 120 Abs. 4 Buchst. b dieser Verordnung eine Befreiung von dem in Art. 120 Abs. 2 Buchst. a vorgesehenen Erfordernis, die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) besitzen zu müssen (im Folgenden: Staatsangehörigkeitserfordernis).

2

Mit Schreiben vom 30. Januar 2020 teilte das EUIPO der Klägerin mit, dass ihr Antrag auf Befreiung unzulässig sei, da er nicht durch die erforderlichen Nachweise gestützt werde.

3

Am 9. und 13. März 2020 nahm die Klägerin zu dem Schreiben vom 30. Januar 2020 Stellung.

4

Am 30. September 2020 lehnte der Exekutivdirektor des EUIPO den Antrag der Klägerin auf Befreiung vom Staatsangehörigkeitserfordernis ab (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

Verfahren und Anträge der Parteien

5

Mit Klageschrift, die von einer Anwältin der Kanzlei Brandstock Legal unterzeichnet und am 7. Dezember 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

6

Das Gericht hat die Klägerin im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 seiner Verfahrensordnung aufgefordert, jedes Beschäftigungsverhältnis anzugeben, das sie möglicherweise mit ihrer Rechtsanwältin hat. Die Klägerin ist dieser Aufforderung am 20. Januar 2021 nachgekommen.

7

Das EUIPO hat seine Klagebeantwortung am 21. April 2021 eingereicht.

8

Am 7. Juni 2021 hat die Klägerin ihre Erwiderung eingereicht und am 23. Juli 2021 das EUIPO seine Gegenerwiderung.

9

Mit Entscheidung vom 21. September 2021 hat der Präsident des Gerichts gemäß Art. 27 Abs. 3 der Verfahrensordnung die vorliegende Rechtssache zur Optimierung der Rechtsprechungskapazitäten des Gerichts und mithin im Interesse einer geordneten Rechtspflege einem anderen Berichterstatter zugewiesen.

10

Auf Vorschlag der Vierten Kammer des Gerichts hat das Gericht gemäß Art. 28 der Verfahrensordnung die Rechtssache an einen erweiterten Spruchkörper verwiesen.

11

Die Klägerin beantragt,

die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass sie gemäß Art. 120 Abs. 4 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 vom Staatsangehörigkeitserfordernis befreit wird;

die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem EUIPO aufgegeben wird, sie gemäß Art. 120 der Verordnung 2017/1001 in die Liste der zugelassenen Vertreter einzutragen;

dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

12

Das EUIPO beantragt,

die Klage abzuweisen;

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

13

Ohne eine Einrede der Unzulässigkeit mit gesondertem Schriftsatz gemäß Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung zu erheben, macht das EUIPO die Unzulässigkeit der Klage geltend.

14

Das EUIPO trägt vor, nach Art. 19 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei eine Partei nicht berechtigt, selbst zu handeln, sondern müsse die Dienste eines Anwalts in Anspruch nehmen. Aus der Rechtsprechung ergebe sich, dass ein Anwalt im Sinne dieser Bestimmung ein von der Partei, die er vor Gericht vertrete, in struktureller, hierarchischer und funktionaler Hinsicht unabhängiger Dritter sei. Die Anwältin, die die Klage im Namen der Klägerin erhoben habe, sei jedoch zum Zeitpunkt der Klageerhebung Anwältin in derselben Kanzlei wie die Klägerin gewesen, habe die Funktion einer Vorgesetzten der Klägerin ausgeübt und erfülle daher nicht die Voraussetzung, ein unabhängiger Dritter zu sein. Die Klage sei daher mit einem nicht behebbaren Mangel behaftet und als solche unzulässig.

15

Nach Art. 129 der Verfahrensordnung kann das Gericht auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung der Parteien jederzeit von Amts wegen die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss darüber zu entscheiden, ob unverzichtbare Prozessvoraussetzungen fehlen. Da sich das Gericht im vorliegenden Fall durch die Aktenstücke für hinreichend unterrichtet hält, entscheidet es ohne Fortsetzung des Verfahrens durch mit Gründen versehenen Beschluss.

16

Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 19 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der gemäß Art. 53 Abs. 1 dieser Satzung auf das Gericht anwendbar ist, andere Parteien als die Mitgliedstaaten, die Unionsorgane, die Vertragsstaaten des Abkommens über den EWR und die in jenem Abkommen genannte Überwachungsbehörde der Europäischen Freihandelsassoziation durch einen Anwalt vertreten sein müssen. Art. 19 Abs. 4 der Satzung sieht vor, dass nur ein Anwalt, der berechtigt ist, vor einem Gericht eines Mitgliedstaats oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den EWR aufzutreten, vor den Unionsgerichten als Vertreter oder Beistand einer Partei auftreten kann.

17

In Bezug auf den Begriff „Anwalt“ ist festzustellen, dass dieser mangels eines Verweises in Art. 19 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen ist und dabei nicht nur der Wortlaut dieser Vorschrift, sondern auch ihr Zusammenhang und ihr Ziel zu berücksichtigen sind (vgl. Urteil vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18

Nach ständiger Rechtsprechung geht aus dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor, dass eine Partei im Sinne dieser Vorschrift für die Erhebung einer Klage beim Gericht verpflichtet ist, sich eines Dritten zu bedienen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19

Das Ziel des Erfordernisses einer rechtlichen Vertretung durch einen Dritten entspricht dem Rollenverständnis des Anwalts, der im Interesse einer geordneten Rechtspflege handelt und vor allem tätig wird, um in völliger Unabhängigkeit und unter Beachtung der Berufs- und Standesregeln die Interessen seines Mandanten bestmöglich zu schützen und zu verteidigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 61 und 62 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

20

Die Frage der Unabhängigkeit des Anwalts ist auch im Hinblick auf das Recht jeder Person, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, sowie das Recht, sich dort beraten, verteidigen und vertreten zu lassen, die in Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistet werden, zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in den verbundenen Rechtssachen Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2019:774, Nrn. 78 und 104). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsvertretung ein Vertrauensverhältnis erfordert, das auf einer privaten Entscheidung vertraglicher Natur gründet, wobei dem Rechtsuchenden die Wahl seines Anwalts freisteht und der Anwalt grundsätzlich seine Mandanten frei auswählen kann (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in den verbundenen Rechtssachen Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2019:774, Nr. 111).

21

Unter Berücksichtigung der Rolle des Anwalts beim wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz der Interessen seines Mandanten (siehe oben, Rn. 19) und von Art. 47 der Charta der Grundrechte dürfen Eingriffe in das Verhältnis zwischen ihm und seinem Mandanten nur aus schwerwiegenden Gründen erfolgen, die klar und zwingend „den [Schutz des] Kläger[s] vor seinem Anwalt“ gebieten (Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in den verbundenen Rechtssachen Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2019:774, Nr. 111). Folglich ist, wie der Gerichtshof entschieden hat, die Unabhängigkeit des Anwalts nicht als das Fehlen jeglicher Verbindung mit seinem Mandanten zu verstehen, sondern dahin, dass es keine Verbindungen geben darf, die offensichtlich die Fähigkeit des Anwalts beeinträchtigen, seiner Aufgabe nachzukommen, die in der Verteidigung seines Mandanten durch den bestmöglichen Schutz von dessen Interessen besteht (Urteil vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 64 und 67).

22

In Anbetracht von Art. 19 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der auf ihm beruhenden Rechtsprechung und von Art. 47 der Charta der Grundrechte sowie im Hinblick darauf, dass die Möglichkeit des Unionsrichters, Klagen als unzulässig abzuweisen, mithin auf diejenigen Fälle beschränkt ist, in denen der Anwalt offensichtlich nicht unabhängig ist, folgt daraus im Umkehrschluss, dass die Zuständigkeit für die Lösung aller übrigen Schwierigkeiten, die sich aus Interessenkonflikten oder ‑konfusionen ergeben, grundsätzlich bei den hierzu ermächtigten nationalen Behörden liegt, und zwar insbesondere bei denjenigen, die standes- und disziplinarrechtliche Zuständigkeiten wahrnehmen; der Unionsrichter soll nur in Ausnahmefällen tätig werden.

23

Nach ständiger Rechtsprechung sind Ausnahmen indessen eng auszulegen, damit allgemeine Regelungen nicht ausgehöhlt werden (vgl. Urteil vom 22. April 2010, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑346/08, EU:C:2010:213, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24

Daraus folgt, dass die Fälle, in denen der Anwalt an der Vertretung seines Mandanten gehindert sein kann, von solcher Art und solchem Umfang sein müssen, dass der Anwalt – selbst wenn er formal im Verhältnis zum Mandanten ein Dritter sein sollte – offenkundig wirtschaftliche oder persönliche Bindungen zum Rechtsstreit oder zu einer der Parteien hat, die seine tatsächliche Unabhängigkeit in Frage stellen (Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in den verbundenen Rechtssachen Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2019:774, Nr. 137). Diese Bindungen müssen mit anderen Worten schwerwiegende Gründe dafür darstellen, dass der Anwalt als nicht hinreichend unabhängig anzusehen ist, um die Interessen seines Mandanten bestmöglich zu schützen und zu verteidigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 61 und 62).

25

Um sicherzustellen, dass der Anwalt tatsächlich ein unabhängiger Dritter ist, ist insoweit das berufliche Umfeld zu berücksichtigen, in dem er hinsichtlich der beim Unionsgericht anhängigen Rechtssache tätig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2012, Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej und Polen/Kommission, C‑422/11 P und C‑423/11 P, EU:C:2012:553, Rn. 25).

26

So kann die Vertretung des Klägers durch eine Person, die sein Arbeitnehmer oder wirtschaftlich von ihm abhängig ist, nicht dem Erfordernis der Vertretung durch einen unabhängigen Dritten genügen (Beschluss vom 5. September 2013, ClientEarth/Rat, C‑573/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:564, Rn. 13).

27

Die Missachtung des Erfordernisses der anwaltlichen Unabhängigkeit kann gleichwohl in einer großen Vielfalt von anderen Sachverhalten festgestellt werden, die daher in jedem Einzelfall zu prüfen sind (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 20. November 2017, BikeWorld/Kommission,T‑702/15, EU:T:2017:834, Rn. 35, und Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in den verbundenen Rechtssachen Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2019:774, Nr. 64).

28

So hat der Gerichtshof zwar entschieden, dass allein die Verbindung, die sich aus einem zivilrechtlichen Vertrag über einen Lehrauftrag ergibt, nicht genügt, um dem betreffenden Lehrtätigen die Fähigkeit abzusprechen, seine Universität als Anwalt zu vertreten (Urteil vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 66 bis 68). In diesem Rechtsstreit ging es jedoch um die Kündigung einer Vereinbarung zwischen der klagenden Universität und der Exekutivagentur für die Forschung (REA) über Fördermittel für das Forschungsvorhaben Cossar (Cooperative Spectrum Sensing Algorithms for Cognitive Radio Networks), die in keiner Weise den beruflichen Hintergrund des Vertreters der Universität betraf, der lediglich darin bestand, Internationales Privatrecht zu lehren. Mit anderen Worten stand der Rechtsstreit in keinem Zusammenhang mit der Tätigkeit des Anwalts bei seiner Mandantin.

29

Demgegenüber hat der Gerichtshof, wodurch die Vielfalt der zu berücksichtigenden Fallkonstellationen veranschaulicht wird, einen Anwalt, der in der juristischen Person, die er vertritt, mit wichtigen Verwaltungsbefugnissen ausgestattet ist oder dort hohe Leitungsfunktionen bekleidet, als nicht hinreichend unabhängig von dieser juristischen Person angesehen (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 29. September 2010, EREF/Kommission, C‑74/10 P und C‑75/10 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:557, Rn. 50 und 51, sowie vom 6. April 2017, PITEE/Kommission, C‑464/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:291, Rn. 25).

30

Außerdem war das Gericht der Ansicht, dass bei einer Kapitalbeteiligung von 10 % an der klagenden Gesellschaft der Anwalt die Voraussetzung nicht erfüllt, in Bezug auf diese Gesellschaft ein unabhängiger Dritter zu sein (Beschluss vom 20. November 2017, BikeWorld/Kommission,T‑702/15, EU:T:2017:834, Rn. 37, 38, 40 und 41, Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in den verbundenen Rechtssachen Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2019:774, Nr. 43), und zwar auch dann, wenn kein sich aus einem Arbeitsvertrag zwischen ihnen ergebendes Unterordnungsverhältnis vorliegt.

31

Ferner hat der Gerichtshof auch entschieden, dass Anwälte, die nicht von der von ihnen vertretenen Partei, sondern von einer mit ihr verbundenen Organisationseinheit beschäftigt werden, das Unabhängigkeitserfordernis nicht erfüllen, da selbst dann, wenn eine formale Trennung zwischen diesen beiden Organisationseinheiten vorliegt, ihre Interessen weitgehend übereinstimmen (Urteil vom 6. September 2012, Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej und Polen/Kommission, C‑422/11 P und C‑423/11 P, EU:C:2012:553, Rn. 25).

32

Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift als Juristin bei der Kanzlei Brandstock Legal beschäftigt und dass Rechtsanwältin Parassina, die unterzeichnende Anwältin der Klage, Anwältin in derselben Kanzlei war. Genauer gesagt gehörte die Klägerin sogar zu dem von Rechtsanwältin Parassina geleiteten Team und war ihr zugeordnet.

33

Daraus folgt, dass die Klägerin und ihre Anwältin ein besonders enges berufliches Verhältnis unterhalten haben.

34

Daher kann den gegenteiligen Ausführungen der Klägerin in ihren Antworten auf die oben in Rn. 6 genannte prozessleitende Maßnahme, d. h. nachdem sie auf das Problem aufmerksam gemacht wurde, das sich aus ihrer Vertretung ergeben könnte, kein Glauben geschenkt werden, wonach zwischen ihr und ihrer Anwältin keine strukturelle oder funktionale Abhängigkeit bestehe, da ihr Verhältnis horizontaler und nicht vertikaler Natur sei und sie sogar Teil zweier unterschiedlicher Organisationsstrukturen seien.

35

Außerdem waren die Verbindungen zwischen der Klägerin und Rechtsanwältin Parassina umso enger, als der vorliegende Rechtsstreit unmittelbar den Beruf der Klägerin betrifft, den sie zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage in derselben Kanzlei wie Rechtsanwältin Parassina und unter deren Leitung ausübte. Gegenstand der Klage ist nämlich die Versagung einer Befreiung der Klägerin, ohne die sie keine Zulassung als Vertreterin natürlicher oder juristischer Personen vor dem EUIPO erhalten kann. Ihre Arbeit bei Brandstock Legal und in dem von Rechtsanwältin Parassina geleiteten Team bestand aber gerade in der Bearbeitung von Fällen des geistigen Eigentums.

36

Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass die Klägerin ihren Antrag auf Eintragung in die Liste der beim EUIPO zugelassenen Vertreter und ihren Antrag auf Befreiung vom Staatsangehörigkeitserfordernis vom Faxgerät ihres Arbeitgebers aus gestellt hat und dass sie in beiden Anträgen zwar private Post- und E‑Mail-Adressen, aber auch ihre geschäftliche E‑Mail-Adresse angegeben hat. Von demselben Faxgerät aus hat die Klägerin auch am 9. und 13. März 2020 zu dem Schreiben vom 30. Januar 2020 Stellung genommen.

37

Aus den Aktenstücken und den Schriftsätzen geht ebenfalls hervor, dass Brandstock Legal im Allgemeinen und Rechtsanwältin Parassina im Besonderen wiederholt ihr Interesse an dem von der Klägerin beim EUIPO gestellten Antrag und am Ausgang des Rechtsstreits bekundet haben.

38

Erstens wurde ein von der Anwältin der Klägerin unter dem Briefkopf und im Namen von Brandstock Legal unterzeichnetes Empfehlungsschreiben vom 6. März 2020 für das Verfahren vor dem EUIPO zur Stützung des Antrags auf Überprüfung vom 9. März 2020 verfasst und diesem Antrag als Anlage beigefügt. In diesem Schreiben hat die Anwältin der Klägerin auf den bedeutsamen Beitrag hingewiesen, den diese zur Arbeit der Kanzlei leiste, und am Ende bemerkt: „Wir würden es sehr begrüßen, wenn [sie vom EUIPO] als Vertreterin zugelassen wird“.

39

Zweitens wird, worauf das EUIPO hinweist, in der Klageschrift angegeben, dass Brandstock Legal, deren Tätigkeit nach Angaben der Klägerin ausschließlich auf Markenrecht und geistiges Eigentum ausgerichtet ist, „alle Kosten im Zusammenhang mit [ihrer] Eintragung in das irische [Marken‑]Register trägt, da es auch im Interesse [der Kanzlei] liegt, dass die formale Qualifikation der Klägerin den wesentlichen Inhalt ihrer Arbeit zutreffend wiedergibt“.

40

Drittens heißt es in der Klageschrift, dass „die Klägerin durch Rechtsanwältin Parassina selbst vertreten [wird], da diese als Supervisorin besser als jeder andere weiß, dass die Klägerin hoch qualifiziert ist“. Um dies zu veranschaulichen, heißt es in der Klageschrift, dass „das Brandstock [Legal]-Team in verschiedenen Ausschreibungen zur Mandantenakquise ‚Organigramme‘ vor[legt], aus denen hervorgeht, welches Team in dem Bereich arbeitet und in denen die Klägerin als eines der ältesten und erfahrensten Mitglieder des Teams, das für [die Kanzlei] wirbt, dargestellt wird“.

41

Viertens wird in der Klageschrift darauf hingewiesen, dass „die Klägerin dem spezifischen Ressort [eines] Mandanten … unter Berücksichtigung [seiner] Anliegen, seines umfangreichen Mandats und seiner Bedeutung für Brandstock Legal zugewiesen [wurde], weil sie eine der besten und kompetentesten Mitarbeiterinnen der Kanzlei ist“.

42

Fünftens wird in der Klageschrift ausdrücklich betont, dass „die Eintragung der Klägerin in die Liste der zugelassenen Vertreter des EUIPO … für [die Kanzlei] und das Team von Wichtigkeit [ist]“, so dass „die angefochtene Entscheidung nicht nur der Klägerin, sondern auch [der Kanzlei] einen Schaden zu[fügt]“.

43

Zum einen geht aus diesen Angaben eindeutig hervor, dass die Kanzlei Brandstock Legal, in der Rechtsanwältin Parassina eine Abteilung leitete, zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage ein unmittelbares Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hatte. Zum anderen ergibt sich daraus auch, dass den Ausführungen der Klägerin in ihrer Erwiderung, wonach Rechtsanwältin Parassina sie nur als Freundin vertrete und Brandstock Legal kein besonderes Interesse an ihrer Eintragung als Vertreterin für Markenrecht habe, kein Glauben geschenkt werden kann.

44

Die Klägerin macht zwar geltend, der Fortbestand ihres Beschäftigungsverhältnisses hänge nicht von ihrer Eintragung in die Liste der beim EUIPO zugelassenen Vertreter ab.

45

Dennoch war Rechtsanwältin Parassina angesichts des beruflichen Umfelds der vorliegenden Rechtssache, nämlich des engen Verhältnisses zwischen der Klägerin, ihrer Vertreterin und Brandstock Legal, sowie angesichts der tiefgreifenden und expliziten Übereinstimmung der wirtschaftlichen Interessen der Protagonisten zum Zeitpunkt der Klageerhebung offensichtlich nicht hinreichend unabhängig, um die Interessen ihrer Mandantin bestmöglich zu schützen und zu verteidigen, und sie befand sich daher in einer Situation, die ihre Fähigkeit, dieser Aufgabe nachzukommen, offensichtlich beeinträchtigt hat (siehe oben, Rn. 19, 21 und 24).

46

Mithin konnte Rechtsanwältin Parassina nicht als unabhängige Dritte angesehen werden und daher nicht als ein unabhängiger dritter „Anwalt“ im Sinne von Art. 19 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union auftreten.

47

Im Übrigen wurde die besondere Verbindung zwischen Brandstock Legal und Rechtsanwältin Parassina einerseits und der Klägerin andererseits, die deren besonderes Interesse am Rechtsstreit begründet hat, nach Klageerhebung zwar dadurch unterbrochen, dass die Klägerin sich entschieden hat, ihre Tätigkeit als Beraterin im Markenrecht am deutschen Sitz eines internationalen Unternehmens fortzusetzen, und die Klägerin wird nunmehr auch von einem zweiten, der Kanzlei Brandstock Legal nicht zugehörigen Anwalt unterstützt. Zum einen ist jedoch für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Klage auf den Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift abzustellen (vgl. Beschluss vom 16. Januar 2020, Hemp Foods Australia/EUIPO – Cabrejos [Sativa], T‑128/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:3, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung), und zum anderen stellt das Erfordernis der Unterzeichnung durch einen Anwalt, der berechtigt ist, vor dem Gericht eines Mitgliedstaats oder eines anderen Vertragsstaats des EWR-Abkommens aufzutreten, ein wesentliches Formerfordernis dar, das nicht zu den Erfordernissen gemäß Art. 78 Abs. 6 der Verfahrensordnung gehört, die nach Ablauf der Klagefrist geheilt werden können (vgl. entsprechend Beschlüsse vom 5. September 2013, ClientEarth/Rat, C‑573/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:564, Rn. 22 und 23, und vom 17. Juli 2014, Brown Brothers Harriman/HABM, C‑101/14 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:2115, Rn. 21).

48

Nach alledem ist die Klage als unzulässig abzuweisen.

Kosten

49

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

50

Da im vorliegenden Fall die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des EUIPO ihre eigenen Kosten und die Kosten des EUIPO aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)

beschlossen:

 

1.

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

 

2.

Frau Nigar Kirimova trägt neben ihren eigenen Kosten die dem Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) entstandenen Kosten.

 

Luxemburg, den 9. März 2022

Der Kanzler

E. Coulon

Der Präsident

S. Gervasoni


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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