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Document 62020TO0329

    Beschluss des Gerichts (Zweite Kammer) vom 25. Oktober 2021.
    4B Company Srl gegen Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum.
    Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das einen Schmuckanhänger darstellt – Beibehaltung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters in einer geänderten Form – Art. 25 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Rechtsschutzinteresse – Unzulässigkeit.
    Rechtssache T-329/20.

    Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

    ECLI identifier: ECLI:EU:T:2021:732

     BESCHLUSS DES GERICHTS (Zweite Kammer)

    25. Oktober 2021 ( *1 )

    „Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das einen Schmuckanhänger darstellt – Beibehaltung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters in einer geänderten Form – Art. 25 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Rechtsschutzinteresse – Unzulässigkeit“

    In der Rechtssache T‑329/20,

    4B Company Srl mit Sitz in Montegiorgio (Italien), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt G. Brogi,

    Klägerin,

    gegen

    Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch S. Scardocchia und A. Folliard-Monguiral als Bevollmächtigte,

    Beklagter,

    andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

    Deenz Holding Ltd mit Sitz in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt N. Alberti,

    betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 19. März 2020 (Sache R 2449/2018-3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen 4B Company und Deenz Holding

    erlässt

    DAS GERICHT (Zweite Kammer)

    unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tomljenović (Berichterstatterin), der Richterin P. Škvařilová-Pelzl und des Richters I. Nõmm,

    Kanzler: E. Coulon,

    aufgrund der am 29. Mai 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

    aufgrund der am 18. August 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

    aufgrund der am 31. August 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

    aufgrund der schriftlichen Frage des Gerichts an die Parteien und ihrer am 23. und 26. März 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Antworten auf diese Frage

    folgenden

    Beschluss

    Vorgeschichte des Rechtsstreits

    1

    Am 12. Februar 2003 meldete die Pianegonda Srl Società Unipersonale, Rechtsvorgängerin der Streithelferin, der Deenz Holding Ltd, nach der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an.

    2

    Das angemeldete und im vorliegenden Fall angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster wird in folgenden Abbildungen wiedergegeben:

    Image

    3

    Das angegriffene Geschmacksmuster besteht aus einem Anhänger in Form eines langgezogenen Herzens, der sich durch das auf der rechten Vorderseite in Großbuchstaben eingravierte Wort „Pianegonda“ sowie durch ein ebenfalls an der Vorderseite platziertes Loch auszeichnet, das es ermöglicht, den Anhänger an einem Halsband oder einer Kette anzubringen. Zudem besteht das Herz aus zwei flachen Platten, die miteinander verbunden sind, zwischen denen aber etwas Raum bleibt, so dass auch dort ein Halsband oder eine Kette durchgefädelt werden kann.

    4

    Das angegriffene Geschmacksmuster ist zur Verwendung für folgende Erzeugnisse der Klasse 11.01 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung bestimmt: „Schmuckanhänger“.

    5

    Das angegriffene Geschmacksmuster wurde am 1. April 2003 unter der Nr. 2100-0001 als Gemeinschaftsgeschmacksmuster eingetragen und im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 2003/01 vom selben Tag veröffentlicht.

    6

    Am 20. Februar 2007 wurde das angegriffene Geschmacksmuster auf A umgeschrieben.

    7

    Am 14. März 2017 beantragte die Klägerin, die 4B Company Srl, gemäß Art. 52 der Verordnung Nr. 6/2002 die Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters.

    8

    Der Antrag auf Nichtigerklärung wurde auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 6/2002 gestützt.

    9

    Mit dem Antrag auf Nichtigerklärung wurde geltend gemacht, dass das angegriffene Geschmacksmuster die Unionswortmarke PIANEGONDA verwende. Die Klägerin ist Inhaberin dieser Unionswortmarke, die am 29. November 2000 unter der Nr. 1417625 für Waren u. a. der Klasse 14 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung eingetragen wurde, die auch Schmuckwaren umfassen.

    10

    Am 21. August 2017 beantragte A als Inhaber des angegriffenen Geschmacksmusters im Nichtigkeitsverfahren gemäß Art. 25 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 und Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 2245/2002 der Kommission vom 21. Oktober 2002 zur Durchführung der Verordnung Nr. 6/2002 (ABl. 2002, L 341, S. 28) die Beibehaltung dieses Geschmacksmusters in einer geänderten Form ohne Gravur des der Wortmarke PIANEGONDA entsprechenden Wortes.

    11

    Am 17. November 2017 reichte die Klägerin eine Stellungnahme ein, mit der sie der Beibehaltung des Geschmacksmusters in einer geänderten Form entgegentrat, da bei einer Entfernung der eingravierten Marke die Identität des Geschmacksmusters nicht gewahrt werden könne.

    12

    Am 8. Juni 2018 wurde das angegriffene Geschmacksmuster auf die Streithelferin übertragen.

    13

    Am 15. Oktober 2018 wies die Nichtigkeitsabteilung den Antrag auf Beibehaltung des angegriffenen Geschmacksmusters in einer geänderten Form zurück und gab dem Antrag auf Nichtigerklärung statt, indem sie das angegriffene Geschmacksmuster auf der Grundlage von Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 6/2002 in seiner Gesamtheit für nichtig erklärte.

    14

    Am 13. Dezember 2018 legte die Streithelferin nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 beim EUIPO Beschwerde gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ein. Sie beantragte, diese Entscheidung aufzuheben und ihrem Antrag auf Beibehaltung des angegriffenen Geschmacksmusters in einer geänderten Form ohne Verwendung der Wortmarke PIANEGONDA stattzugeben.

    15

    Mit Entscheidung vom 19. März 2020 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) hob die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung auf, erklärte das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig, soweit es die Wortmarke PIANEGONDA verwendete, und gab dem Antrag auf Beibehaltung des angegriffenen Geschmacksmusters in einer geänderten Form statt, indem sie dessen Eintragung in das Register und seine Veröffentlichung im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster anordnete.

    Anträge der Parteien

    16

    Die Klägerin beantragt,

    die angefochtene Entscheidung insgesamt aufzuheben;

    die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung zu bestätigen, mit der das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig erklärt und der Antrag auf seine Beibehaltung in einer geänderten Form zurückgewiesen wurde;

    dem EUIPO sowie der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

    17

    Das EUIPO beantragt,

    die Klage abzuweisen;

    der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

    18

    Die Streithelferin beantragt,

    die angefochtene Entscheidung zu bestätigen;

    der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

    Rechtliche Würdigung

    19

    Nach Art. 129 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung der Hauptparteien jederzeit von Amts wegen die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss darüber zu entscheiden, ob unverzichtbare Prozessvoraussetzungen fehlen.

    20

    Daher muss sich das Gericht gegebenenfalls von Amts wegen mit der Frage befassen, ob ein Rechtsschutzinteresse des Klägers besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Oktober 2014, Fuchs/HABM – Les Complices [Stern in einem Kreis], T‑342/12, EU:T:2014:858, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung), und den Parteien Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern.

    21

    Da im vorliegenden Fall die Parteien zur Einrede der Unzulässigkeit hinsichtlich des Rechtsschutzinteresses der Klägerin Stellung genommen haben, entscheidet das Gericht gemäß Art. 129 der Verfahrensordnung.

    22

    Auf die Frage des Gerichts hat die Klägerin vorgebracht, sie habe ein Interesse an der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit sie dem Antrag auf Beibehaltung des angegriffenen Geschmacksmusters in einer geänderten Form widersprochen habe, da ihrem Widerspruch in der angefochtenen Entscheidung nicht stattgegeben worden sei. Außerdem erfülle das angegriffene Geschmacksmuster in seiner geänderten Form nicht die vom Gesetzgeber festgelegten Voraussetzungen, da die Entfernung der eingravierten Wortmarke PIANEGONDA die Eigenart dieses Geschmacksmusters in Frage stelle. Im Übrigen könne das angegriffene Geschmacksmuster in seiner geänderten Form mit der Marke PIANEGONDA verwechselt werden, da diese seit jeher mit der Form eines „Herzens“ in Verbindung gebracht werde, die auch dieses Geschmacksmuster verwende.

    23

    Die Streithelferin macht im Wesentlichen geltend, die Klägerin habe kein Rechtsschutzinteresse mehr, da ihre Interessen als Inhaberin der Marke PIANEGONDA von dem angegriffenen Geschmacksmuster in der geänderten Form nicht berührt würden, da dieses die Marke nicht länger wiedergebe.

    24

    Das EUIPO macht geltend, dass, soweit sich die Klägerin wegen der Wiedergabe der Marke PIANEGONDA auf dem angegriffenen Geschmacksmuster auf den Nichtigkeitsgrund nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 6/2002 stütze, diesem bereits in vollem Umfang in der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung stattgegeben worden sei, die insoweit vor der Beschwerdekammer nicht beanstandet worden sei.

    25

    Das Gericht hält es für sachdienlich, zunächst den Aufbau des mit der Verordnung Nr. 6/2002 eingeführten Systems zu prüfen und sich dann auf dieser Grundlage der Frage zu widmen, ob die Klägerin im vorliegenden Fall ein Rechtsschutzinteresse hat.

    Zum System, das mit der Verordnung Nr. 6/2002 eingeführt wurde

    26

    Im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits ist es angebracht, sich auf bestimmte Elemente des mit der Verordnung Nr. 6/2002 eingeführten Systems zu konzentrieren, nämlich zum einen auf die Eintragung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters und zum anderen auf die Nichtigerklärung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. e dieser Verordnung und seine Beibehaltung in einer geänderten Form nach Art. 25 Abs. 6 der Verordnung.

    Zur Eintragung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters

    27

    Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 bestimmt:

    „Ein Geschmacksmuster wird durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.“

    28

    In den Art. 5 und 6 der Verordnung Nr. 6/2002 werden die beiden in Art. 4 Abs. 1 genannten Kriterien der Neuheit und der Eigenart des Geschmacksmusters definiert.

    29

    Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 gilt ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster als neu, wenn der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung des Geschmacksmusters, das geschützt werden soll, oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag, kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist.

    30

    Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 hat ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag, zugänglich gemacht worden ist.

    31

    Art. 25 der Verordnung Nr. 6/2002 sieht vor:

    „(1)   Ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster kann nur dann für nichtig erklärt werden:

    b)

    wenn es die Voraussetzungen der Artikel 4 bis 9 nicht erfüllt,

    e)

    wenn in einem jüngeren Geschmacksmuster ein Zeichen mit Unterscheidungskraft verwendet wird und das [Unions]Recht oder das nationale Recht des Mitgliedstaats, dem das Zeichen unterliegt, den Rechtsinhaber dazu berechtigen, diese Verwendung zu untersagen,

    (3)   Die Nichtigkeitsgründe gemäß Absatz 1 Buchstabe d), e) und f) kann nur der Anmelder oder Inhaber des älteren Rechts geltend machen.

    …“

    32

    Nach Art. 48 der Verordnung Nr. 6/2002 hat das EUIPO die Eintragung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters vorzunehmen, wenn es nach der Prüfung gemäß Art. 45 dieser Verordnung feststellt, dass die Anmeldung die Formerfordernisse erfüllt und nicht nach Art. 47 der Verordnung zurückgewiesen wurde. Nach Art. 47 Abs. 1 der Verordnung weist das EUIPO die Anmeldung zurück, wenn es zu dem Schluss kommt, dass das angemeldete Geschmacksmuster nicht der Begriffsbestimmung des Geschmacksmusters nach Art. 3 Buchst. a der Verordnung (Erscheinungsform des Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich aus den Merkmalen des Erzeugnisses selbst ergibt) entspricht, oder wenn das Geschmacksmuster gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstößt.

    33

    Zudem geht aus dem 18. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 6/2002 hervor, dass in das Register für Gemeinschaftsgeschmacksmuster alle Anmeldungen eingetragen werden, die den formalen Erfordernissen entsprechen und deren Anmeldetag feststeht. Damit wird klargestellt, dass das Eintragungssystem nicht auf eine materiellrechtliche Prüfung der Erfüllung der Schutzvoraussetzungen vor der Eintragung gegründet ist. Dadurch wird die Belastung der Anmelder durch Eintragungs- und andere Verfahrensvorschriften auf ein Minimum beschränkt.

    34

    Nach Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 kann „[v]orbehaltlich des Artikels 25 Absätze 2, 3, 4 und 5 … jede natürliche oder juristische Person sowie eine hierzu befugte Behörde beim [EUIPO] einen Antrag auf Nichtigerklärung eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters stellen“.

    35

    Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass das mit der Verordnung Nr. 6/2002 eingeführte System für die Eintragung von Gemeinschaftsgeschmacksmustern auf dem Grundsatz beruht, dass alle Anmeldungen, die formalen Erfordernissen entsprechen, in das Register für Gemeinschaftsgeschmacksmuster eingetragen werden. Daraus folgt, dass ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster nur auf einen entsprechenden Antrag hin für nichtig erklärt werden kann, und zwar insbesondere auf Antrag einer beliebigen Person, wenn es die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung nicht erfüllt, oder, wenn ein älteres Zeichen mit Unterscheidungskraft verwendet wird, auf Antrag des Inhabers dieses Zeichens.

    Zur Nichtigerklärung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 6/2002 und zu seiner Beibehaltung in einer geänderten Form nach Art. 25 Abs. 6 dieser Verordnung

    36

    Wie oben in Rn. 31 ausgeführt wird ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig erklärt, wenn in diesem Geschmacksmuster ein älteres Zeichen mit Unterscheidungskraft verwendet wird und das Recht der Europäischen Union oder das nationale Recht des Mitgliedstaats, dem das Zeichen unterliegt, den Rechtsinhaber dazu berechtigen, diese Verwendung zu untersagen. Nach Art. 25 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 kann nur der Anmelder oder Inhaber des älteren Zeichens mit Unterscheidungskraft den Nichtigkeitsgrund gemäß Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung geltend machen.

    37

    Nach Art. 25 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 kann ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, wenn es gemäß Art. 25 Abs. 1 Buchst. b, e, f oder g der Verordnung für nichtig erklärt worden ist, in einer geänderten Form beibehalten werden, sofern dann die Schutzvoraussetzungen erfüllt werden und das Geschmacksmuster seine Identität behält. Dabei bedeutet „Beibehaltung in einer geänderten Form“ die Eintragung in Verbindung mit einem teilweisen Verzicht des Inhabers des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters oder die Aufnahme einer Entscheidung des EUIPO über die teilweise Nichtigkeit des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters in das Register.

    38

    Nach Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2245/2002 wird ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das in geänderter Form beibehalten wird, nach einer Teilverzichtserklärung des Inhabers oder der Aufnahme einer Entscheidung des EUIPO über die teilweise Nichtigkeit des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters in seiner geänderten Form in das Register eingetragen und im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster bekannt gemacht.

    39

    Somit ist festzustellen, dass Art. 25 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002, soweit er die Beibehaltung des Geschmacksmusters befürwortet, das Gegenstand eines Antrags auf Nichtigerklärung nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. e dieser Verordnung ist, den Schutz der Interessen des Inhabers dieses Geschmacksmusters bezweckt. Soweit eine solche Beibehaltung von einem teilweisen Verzicht nach einer Nichtigerklärung des fraglichen Geschmacksmusters gemäß Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung abhängig ist, bezweckt Art. 25 Abs. 6 auch den Schutz der Interessen des Inhabers des Zeichens, dessen Verwendung zur Nichtigerklärung des Geschmacksmusters in seiner ursprünglichen Form geführt hat. Die Möglichkeit einer Eintragung des fraglichen Geschmacksmusters in einer geänderten Form als Alternative zur Nichtigkeit des Geschmacksmusters in seiner Gesamtheit stellt im Übrigen eine Differenzierung der vorgesehenen Sanktion dar, durch die die Verhältnismäßigkeit gewährleistet werden soll.

    40

    Mit anderen Worten erlaubt Art. 25 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002, wie von der Beschwerdekammer zutreffend angenommen, die Beibehaltung der Eintragung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters, wenn das unzulässige Element entfernt wird.

    41

    Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist zu prüfen, ob die Klägerin, die die Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 6/2002 beantragt hatte, ein Interesse an der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung hat.

    Zum Rechtsschutzinteresse der Klägerin

    42

    Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Nichtigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person nur zulässig, wenn diese Person ein Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung hat, was voraussetzt, dass die Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung als solche Rechtswirkungen haben kann und dass die Klage der Partei, die sie erhoben hat, im Ergebnis auch einen Vorteil verschaffen kann (vgl. Urteil vom 10. Dezember 2009, Antwerpse Bouwwerken/Kommission, T‑195/08, EU:T:2009:491, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    43

    Im vorliegenden Fall hat die Klägerin, die Inhaberin der Wortmarke PIANEGONDA ist, die Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters beantragt und sich dafür auf den Nichtigkeitsgrund nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 6/2002 berufen, weil bei dem Geschmacksmuster ihre Marke verwendet werde.

    44

    Sie hat in ihrem Nichtigkeitsantrag daher nicht geltend gemacht, dass das angegriffene Geschmacksmuster die beiden Kriterien der Art. 5 und 6 der Verordnung Nr. 6/2002, also das der Neuheit bzw. das der Eigenart des Geschmacksmusters, nicht erfülle, obwohl nach Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 jede natürliche oder juristische Person auf dieser Grundlage die Nichtigkeit eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters beantragen kann.

    45

    Ferner beantragte A, Rechtsvorgänger der Streithelferin und Inhaber des angegriffenen Geschmacksmusters, wie oben in Rn. 10 ausgeführt, dieses gemäß Art. 25 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 und Art. 18 der Verordnung Nr. 2245/2002 in einer geänderten Form ohne Gravur des der Wortmarke PIANEGONDA entsprechenden Wortes beizubehalten.

    46

    Die Nichtigkeitsabteilung entschied daher über zwei Anträge, nämlich über den von der Klägerin gestellten Antrag auf Nichtigerklärung, dem stattgegeben wurde, und über den Antrag der Streithelferin, die zwischenzeitlich die Rechtsnachfolge von A angetreten hatte, der zurückgewiesen wurde.

    47

    Bei der Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung musste sich die Nichtigkeitsabteilung zu der Frage äußern, ob in dem angegriffenen Geschmacksmuster ein älteres Zeichen verwendet wird und ob dessen Inhaber berechtigt ist, diese Verwendung zu untersagen.

    48

    In der oben in Rn. 13 genannten Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung vom 15. Oktober 2018 stellte diese die Existenz der älteren Unionswortmarke PIANEGONDA fest, die Teil des angegriffenen Geschmacksmusters sei und Erzeugnisse bezeichne, für die das angegriffene Geschmacksmuster bestimmt sei. Aus diesem Grund erklärte sie das angegriffene Geschmacksmuster gemäß Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig.

    49

    Unter diesem Gesichtspunkt gab die Nichtigkeitsabteilung dem Antrag der Klägerin statt, der lediglich auf die Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters gemäß Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 6/2002 gerichtet war.

    50

    Die Nichtigkeitsabteilung entschied jedoch auch über den auf Art. 25 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 gestützten Antrag der Streithelferin, die Inhaberin des angegriffenen Geschmacksmusters ist, auf dessen Beibehaltung in einer geänderten Form, nämlich ohne Gravur des der Wortmarke PIANEGONDA entsprechenden Wortes. Die Nichtigkeitsabteilung wies diesen Antrag jedoch zurück, nachdem sie der Klägerin als Inhaberin der älteren Marke Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte.

    51

    Als die Nichtigkeitsabteilung die Eintragung des angegriffenen Geschmacksmusters in einer geänderten Form zurückwies, erfolgte dies daher als Reaktion auf den Antrag der Inhaberin dieses Geschmacksmusters auf Beibehaltung seiner Eintragung nach ihrem teilweisen Verzicht.

    52

    Dieser Teil der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung, mit dem die Eintragung des angegriffenen Geschmacksmusters in einer geänderten Form abgelehnt wurde, kann daher nicht als eine Entscheidung angesehen werden, mit der einem Antrag der Klägerin stattgegeben wurde, auch wenn sich die Klägerin im Rahmen ihrer Stellungnahme gegen die Beibehaltung des angegriffenen Geschmacksmusters in einer geänderten Form ausgesprochen hat, da es dem geänderten Geschmacksmuster an Neuheit und Eigenart fehle.

    53

    Unter diesen Umständen konnte die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung nur von der Partei angefochten werden, deren Anträgen nicht stattgegeben worden war, also von der Streithelferin.

    54

    Daraus folgt erstens, dass die Klägerin, deren Anträgen von der Nichtigkeitsabteilung stattgegeben worden war und die deren Entscheidung nicht angefochten hat, nur insoweit ein Interesse an der Aufhebung der Entscheidung der Beschwerdekammer geltend machen könnte, als diese ihre Anträge, denen von der Nichtigkeitsabteilung stattgegeben worden war, in Frage gestellt hätte.

    55

    Hierzu ist festzustellen, dass mit der angefochtenen Entscheidung zwar die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung aufgehoben wurde. In Nr. 2 des verfügenden Teils der angefochtenen Entscheidung wurde jedoch der verfügende Teil der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung insoweit übernommen, als das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig erklärt wird, soweit es die ältere Marke PIANEGONDA verwendet.

    56

    Daher ist dem verfahrenseinleitenden Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters wegen der Verwendung der älteren Marke PIANEGONDA auch mit der angefochtenen Entscheidung stattgegeben worden.

    57

    Somit wurde, was den Antrag auf Nichtigerklärung betrifft, sowohl mit der angefochtenen Entscheidung als auch mit der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung der Klägerin Recht gegeben. Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung kann daher keine Rechtsfolgen für die Klägerin haben, da auch die Beschwerdekammer den Forderungen, die sie im Rahmen ihres auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 6/2002 gestützten Antrags auf Nichtigerklärung geltend gemacht hat, in vollem Umfang stattgegeben hat.

    58

    Daher kann die dem Gericht vorliegende Klage, die auf die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Beschwerdekammer gerichtet ist, der Klägerin im Ergebnis keinen Vorteil verschaffen.

    59

    Zweitens kann die Klägerin, wenn sie im Rahmen ihrer Klage den Teil der angefochtenen Entscheidung, mit dem im Wesentlichen ihren Forderungen stattgegeben wurde, nicht anfechten kann, auch nicht die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragen, soweit damit dem Antrag der Inhaberin des angegriffenen Geschmacksmusters auf dessen Beibehaltung in einer geänderten Form stattgegeben wurde.

    60

    Dies zuzulassen, liefe nämlich darauf hinaus, es der Klägerin zu gestatten, in den Teil des Verfahrens einzugreifen, der den Antrag der Inhaberin des angegriffenen Geschmacksmusters betrifft, und zwar über das von der Klägerin eingeleitete Verfahren hinaus, das einen Antrag auf Nichtigerklärung nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 6/2002 betrifft.

    61

    Drittens macht die Klägerin im Rahmen ihrer Klage einen Verstoß gegen Art. 25 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 geltend, obwohl ihr Antrag auf Nichtigerklärung auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. e dieser Verordnung gestützt war. Somit zielt die Klägerin mit der vorliegenden Klage darauf ab, den Gegenstand ihres Antrags auf Nichtigerklärung sowie die dafür angeführten Gründe zu ändern.

    62

    Wie sich aus dem oben in den Rn. 30 bis 34 beschriebenen Verfahren ergibt, müsste die Klägerin, um die Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters wegen fehlender Eigenart geltend zu machen, aber einen Antrag auf Nichtigerklärung bei der Nichtigkeitsabteilung des EUIPO stellen, die für die Entscheidung über die Begründetheit eines solchen Antrags zuständig ist. Es ist nämlich Sache der Nichtigkeitsabteilung, im Rahmen eines Antrags auf Nichtigerklärung ein eingetragenes Geschmacksmuster wegen fehlender Neuheit oder Eigenart oder aufgrund eines anderen Nichtigkeitsgrundes für nichtig zu erklären.

    63

    Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Klägerin kein Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung hat.

    64

    Diese Schlussfolgerung kann durch das Vorbringen der Klägerin nicht in Frage gestellt werden.

    65

    Dass die Gefahr einer Verwechslung des angegriffenen Geschmacksmusters in der geänderten Form mit der Marke PIANEGONDA besteht, ist nämlich, selbst wenn dies als erwiesen anzusehen wäre, im Rahmen eines auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 6/2002 gestützten Antrags auf Nichtigerklärung unerheblich.

    66

    Außerdem haben die verschiedenen, von der Klägerin geltend gemachten Umstände nichts mit dem von ihr gestellten Antrag auf Nichtigerklärung zu tun. Dass die Klägerin insbesondere wegen der zwischen ihr und der Streithelferin bestehenden Streitigkeiten – und zwar auch außerhalb des Verfahrens, in dem die angefochtene Entscheidung ergangen ist – die Nichtigerklärung des Geschmacksmusters in seiner Gesamtheit erreichen möchte, kann kein bestehendes und gegenwärtiges Interesse an der Nichtigerklärung dieser Entscheidung begründen.

    67

    Nach alledem ist die vorliegende Klage als unzulässig abzuweisen.

    Kosten

    68

    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

    69

    Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen des EUIPO und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

     

    Aus diesen Gründen hat

    DAS GERICHT (Zweite Kammer)

    beschlossen:

     

    1.

    Die Klage wird abgewiesen.

     

    2.

    Die 4B Company Srl trägt die Kosten.

     

    Luxemburg, den 25. Oktober 2021

    Der Kanzler

    E. Coulon

    Die Präsidentin

    V. Tomljenović


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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