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Document 62020CC0576

Schlussanträge des Generalanwalts N. Emiliou vom 3. Februar 2022.


Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:75

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 3. Februar 2022 ( 1 )

Rechtssache C‑576/20

CC

gegen

Pensionsversicherungsanstalt

(Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs [Österreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Soziale Sicherheit der Wandererwerbstätigen – Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit – Art. 44 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – Prüfung eines Anspruchs auf Altersrente – Berücksichtigung von in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Kindererziehungszeiten – Voraussetzungen – Grundsatz der Gleichstellung von Sachverhalten – In nur einem Mitgliedstaat ausgeübte Erwerbstätigkeit“

I. Einleitung

1.

Der Oberste Gerichtshof (Österreich) hat dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vorgelegt ( 2 ).

2.

Dieses Ersuchen ist im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen CC (im Folgenden: Revisionswerberin) und der Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: PVA), dem Träger des gesetzlichen Altersversicherungssystems in Österreich, ergangen. Es betrifft die von der letzteren bei der Berechnung der Alterspension der Revisionswerberin abgelehnte Berücksichtigung von Zeiten, in denen sie sich der Erziehung ihrer Kinder in Belgien und Ungarn gewidmet hat.

3.

In diesem Zusammenhang beziehen sich die Fragen insbesondere auf die Voraussetzungen, nach denen der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, in dem eine Person gearbeitet hat, verpflichtet ist, die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats auf die von dieser Person in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Kindererziehungszeiten anzuwenden.

4.

Der Gerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ( 3 ), die den Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 vorausging und keine Bestimmung zu dieser konkreten Frage enthielt, entschieden, dass der erstgenannte Mitgliedstaat seine Rechtsvorschriften auf solche Kindererziehungszeiten anwenden muss, wenn diese in einer „hinreichenden Verbindung“ zu Zeiten einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit stehen, die diese Person zuvor in seinem Hoheitsgebiet zurückgelegt hat.

5.

Die zentrale Frage in der vorliegenden Rechtssache ist, ob dieser Lösungsansatz jetzt noch gilt, nachdem der Gesetzgeber Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 erlassen und ausdrücklich Kriterien geregelt hat, die diese Verpflichtung näher konkretisieren sollen. Wie ich im Folgenden erläutern werde, ist das Kriterium der „hinreichenden Verbindung“ meines Erachtens durch diese Bestimmung ersetzt worden.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. Verordnung (EG) Nr. 883/2004

6.

Titel II („Bestimmung des anwendbaren Rechts“) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ( 4 ) enthält u. a. Art. 11, der bestimmt:

„(1)   Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(3)   Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a)

eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

e)

jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a bis d fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.“

7.

Art. 87 dieser Verordnung bestimmt:

„(1)   Diese Verordnung begründet keinen Anspruch für den Zeitraum vor dem Beginn ihrer Anwendung.

(2)   Für die Feststellung des Leistungsanspruchs nach dieser Verordnung werden alle Versicherungszeiten sowie gegebenenfalls auch alle Beschäftigungszeiten, Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit oder Wohnzeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung in dem betreffenden Mitgliedstaat zurückgelegt worden sind.“

8.

Nach Art. 91 der Verordnung Nr. 883/2004 gilt diese Verordnung ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens ihrer Durchführungsverordnung, der Verordnung Nr. 987/2009, am 1. Mai 2010. Sie hebt die Verordnung Nr. 1408/71 auf.

2. Verordnung Nr. 987/2009

9.

Die Verordnung Nr. 987/2009 regelt nach Art. 89 der Verordnung Nr. 883/2004 die Durchführung der letztgenannten Verordnung.

10.

Im 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 987/2009 heißt es:

„Bestimmte Regeln und Verfahren sind für die Bestimmung der anwendbaren Rechtsvorschriften für die Anrechnung der Zeiten, die ein Versicherter in verschiedenen Mitgliedstaaten der Kindererziehung gewidmet hat, erforderlich.“

11.

Art. 44 der Verordnung bestimmt:

„(1)   Im Sinne dieses Artikels bezeichnet der Ausdruck ‚Kindererziehungszeit‘ jeden Zeitraum, der im Rahmen des Rentenrechts eines Mitgliedstaats ausdrücklich aus dem Grund angerechnet wird oder Anrecht auf eine Zulage zu einer Rente gibt, dass eine Person ein Kind aufgezogen hat, unabhängig davon, nach welcher Methode diese Zeiträume berechnet werden und unabhängig davon, ob sie während der Erziehungszeit anfallen oder rückwirkend anerkannt werden.

(2)   Wird nach den Rechtsvorschriften des gemäß Titel II der [Verordnung Nr. 883/2004] zuständigen Mitgliedstaats keine Kindererziehungszeit berücksichtigt, so bleibt der Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nach Titel II der [Verordnung Nr. 883/2004] auf die betreffende Person anwendbar waren, weil diese Person zu dem Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung der Kindererziehungszeit für das betreffende Kind nach diesen Rechtsvorschriften begann, eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, zuständig für die Berücksichtigung dieser Zeit als Kindererziehungszeit nach seinen eigenen Rechtsvorschriften, so als hätte diese Kindererziehung in seinem eigenen Hoheitsgebiet stattgefunden.

…“

12.

Art. 93 der Verordnung Nr. 987/2009 lautet:

„Artikel 87 der [Verordnung Nr. 883/2004] gilt für die Sachverhalte im Anwendungsbereich der Durchführungsverordnung“.

B.   Nationales Recht

13.

§ 16 Abs. 3a des Allgemeinen Pensionsgesetzes (APG) (BGBl. I Nr. 142/2004) sieht insbesondere vor, dass für die Erfüllung der Mindestversicherungszeit nach § 4 Abs. 1 dieses Gesetzes als Versicherungsmonate auch Ersatzzeiten der Kindererziehung nach § 227a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) (BGBl. Nr. 189/1955) und § 116a des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes (GSVG) (BGBl. Nr. 560/1978) gelten.

14.

§ 227a ASVG bestimmt:

„(1)   Als Ersatzzeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955 und vor dem 1. Jänner 2005 gelten überdies in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitragszeit bzw. beim Fehlen einer solchen, in dem die erste nachfolgende Beitragszeit vorliegt, bei einer (einem) Versicherten, die (der) ihr (sein) Kind (Abs. 2) tatsächlich und überwiegend erzogen hat, die Zeit dieser Erziehung im Inland im Ausmaß von höchstens 48 Kalendermonaten, gezählt ab der Geburt des Kindes. Im Fall einer Mehrlingsgeburt verlängert sich diese Frist auf 60 Kalendermonate.

…“

15.

§ 116a GSVG ist mit § 227a ASVG im Wesentlichen identisch.

III. Sachverhalt, nationales Verfahren und Vorlagefragen

16.

Die Revisionswerberin beantragte am 11. Oktober 2017 bei der PVA die Zuerkennung einer Alterspension. Sie wies nach, dass sie vom 4. Oktober 1976 bis zum 28. August 1977 zunächst elf Beitragsmonate der Pflichtversicherung als Lehrling in Österreich und dann vom 1. Jänner 1982 bis zum 30. September 1986 weitere 57 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer selbständigen Erwerbstätigkeit im selben Mitgliedstaat erworben habe.

17.

Im Oktober 1986 begab sich die Revisionswerberin zum Studium ins Vereinigte Königreich. Sie blieb dort, bis sie Anfang November 1987 nach Belgien zog. Während ihres Aufenthalts in Belgien brachte sie zwei Kinder zur Welt, das erste im Dezember 1987 und das zweite im Februar 1990. Sie wohnte mit ihren Kindern zunächst in Belgien, dann vom 5. Dezember 1991 bis zum 31. Dezember 1992 in Ungarn und schließlich vom 1. Jänner 1993 bis zum 8. Februar 1993 im Vereinigten Königreich.

18.

Vom 5. Dezember 1987 (dem Tag der Geburt ihres ersten Kindes) bis zum 8. Februar 1993 (dem Tag ihrer Rückkehr nach Österreich) widmete sich die Revisionswerberin der Erziehung ihrer Kinder. Während dieses Zeitraums war sie nicht erwerbstätig.

19.

Nach ihrer Rückkehr nach Österreich widmete sich die Revisionswerberin weiterhin vollständig der Erziehung ihrer Kinder. Anschließend legte sie weitere „Versicherungszeiten“ aufgrund selbständiger Beschäftigung zurück, bis sie im Oktober 2017 in Pension ging.

20.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 2017 erkannte die PVA der Revisionswerberin eine Alterspension unter Anerkennung von 14 Monaten an „Ersatzzeiten“ für die von ihr für die Erziehung ihrer Kinder von Jänner 1993 bis Februar 1994 im Vereinigten Königreich und in Österreich zurückgelegte Zeit zu ( 5 ).

21.

Die Revisionswerberin focht diese Entscheidung mit der Begründung an, dass sie Anspruch auf eine höhere Alterspension habe, da die von ihr für die Erziehung ihrer Kinder vom 5. Dezember 1987 bis zum 31. Dezember 1992 in Belgien und Ungarn zurückgelegten Zeiten (im Folgenden: streitige Kindererziehungszeiten) ebenfalls als „Ersatzzeiten“ hätten berücksichtigt werden müssen.

22.

Die PVA machte geltend, dass die Revisionswerberin die Kriterien nach Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 für diese Zeiten nicht erfülle. Zum einen sei sie unmittelbar vor Beginn der Berücksichtigung der streitigen Kindererziehungszeiten gemäß dem österreichischen Recht nicht erwerbstätig gewesen. Zum anderen seien diese Zeiten in Mitgliedstaaten (nämlich Belgien und Ungarn) zurückgelegt worden, deren Rechtsvorschriften eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten bereits vorsähen.

23.

Das Gericht erster Instanz, das Arbeits- und Sozialgericht Wien (Österreich), wies die Klage der Revisionswerberin mit der Begründung ab, dass sie die Voraussetzungen nach Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 nicht erfülle. Das Oberlandesgericht Wien (Österreich) bestätigte diese Entscheidung. Die Rechtswerberin hat daraufhin Revision beim Obersten Gerichtshof (Österreich) erhoben, mit der sie beantragt, ihrer Klage stattzugeben.

24.

Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 auf die vorliegende Rechtssache in zeitlicher Hinsicht anwendbar seien. Es stellt weiterhin fest, dass, da die Revisionswerberin zum Zeitpunkt des Beginns ihrer Kindererziehungszeiten weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Erwerbstätigkeit in Österreich ausgeübt habe, komme eine Berücksichtigung der streitigen Kindererziehungszeiten durch die PVA nach Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 nicht in Betracht.

25.

Insoweit stellt es fest, dass der Zweck der Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 weder in einer Harmonisierung oder auch nur einer Angleichung, sondern lediglich in einer Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten bestehe. Personen wie die Revisionswerberin könnten daher nicht verlangen, dass ihr Umzug in einen anderen Mitgliedstaat keine Auswirkungen auf ihre sozialversicherungsrechtlichen Verhältnisse habe und dass die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem sie gearbeitet hätten, in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten (hier Belgien und Ungarn) zurückgelegte Kindererziehungszeiten so behandelten, als ob sie in ihrem eigenen Hoheitsgebiet zurückgelegt worden seien.

26.

Das vorlegende Gericht ist indes auch der Auffassung, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens demjenigen des Urteils Reichel-Albert ( 6 ) vergleichbar sei, das im Kontext der Anwendung der (vor dem Inkrafttreten der Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 geltenden) Verordnung Nr. 1408/71 ergangen sei. Nach dem Grundgedanken der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Urteil Reichel-Albert und anderen früheren Urteilen (namentlich den Urteilen Elsen ( 7 ) und Kauer ( 8 )), die ebenfalls unter der Geltung der Verordnung Nr. 1408/71 ergangen seien, genüge es für die Anwendbarkeit des österreichischen Rechts auf die streitigen Kindererziehungszeiten, zwischen diesen Kindererziehungszeiten und den Versicherungszeiten aufgrund einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit in diesem Mitgliedstaat das Vorliegen einer „hinreichenden Verbindung“ festzustellen.

27.

Insoweit hebt das vorlegende Gericht hervor, dass sich die Revisionswerberin zwar zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Kinder nicht in Österreich aufgehalten habe, tatsächlich jedoch nur in diesem Mitgliedstaat gearbeitet und Versicherungszeiten einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit erworben habe. Da ferner die Verordnung Nr. 1408/71 zum Zeitpunkt der streitigen Kindererziehungszeiten noch in Kraft gewesen sei, sprächen ausgehend von der vorgenannten Rechtsprechung des Gerichtshofs beachtliche Gründe dafür, das Kriterium einer „hinreichenden Verbindung“ auf diese Zeiten anzuwenden. Andernfalls wäre die Revisionswerberin nach Inkrafttreten von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 im Hinblick auf ihre eigenen Interessen nunmehr schlechter gestellt als vorher. Eine solche Änderung ihrer Rechtsstellung träte lange nach Absolvierung der streitigen Kindererziehungszeiten ein.

28.

Das vorlegende Gericht hat daher Zweifel, ob die Frage der Anwendbarkeit des österreichischen Rechts auf die streitigen Kindererziehungszeiten ausschließlich anhand von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 zu beantworten sei. Fraglich sei, ob diese Bestimmung in der vorliegenden Rechtssache gegen den Vertrauensschutz verstoße, der der Revisionswerberin möglicherweise aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 erwachsen sei.

29.

Vor diesem Hintergrund hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen, dass er der Berücksichtigung von in anderen Mitgliedstaaten verbrachten Kindererziehungszeiten durch einen für die Gewährung einer Alterspension zuständigen Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften die Pensionswerberin mit Ausnahme dieser Kindererziehungszeiten ihr gesamtes Erwerbsleben hindurch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, schon deshalb entgegensteht, weil diese Pensionswerberin zu dem Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung der Kindererziehungszeit für das betreffende Kind nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats begann, weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat?

Für den Fall der Verneinung der ersten Frage:

2.

Ist Art. 44 Abs. 2 Satz 1 erster Halbsatz der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen, dass der gemäß Titel II der Verordnung Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zuständige Mitgliedstaat Kindererziehungszeiten nach seinen Rechtsvorschriften generell nicht berücksichtigt, oder nur in einem konkreten Fall nicht berücksichtigt?

30.

Das Vorabentscheidungsersuchen vom 13. Oktober 2020 ist am 4. November 2020 in das Register des Gerichtshofs eingetragen worden. Die Revisionswerberin, die PVA, die tschechische, die spanische und die österreichische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

31.

In der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2021 waren alle Parteien und Beteiligten mit Ausnahme der tschechischen Regierung vertreten.

IV. Würdigung

32.

Nach Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 müssen die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, in dem eine Person eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat (im Folgenden: Mitgliedstaat A), für die Gewährung einer Altersrente die von dieser Person in einem anderen Mitgliedstaat (im Folgenden: Mitgliedstaat B) zurückgelegten Kindererziehungszeiten so berücksichtigen, als hätte diese Kindererziehung in seinem eigenen Hoheitsgebiet stattgefunden ( 9 ), wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

Nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats B werden keine Kindererziehungszeiten berücksichtigt.

Die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A waren zuvor auf die betreffende Person anwendbar, weil sie in diesem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübte.

Für diese Person galten wegen der genannten Tätigkeit die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A zu dem Zeitpunkt fort, zu dem nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats die Berücksichtigung der Kindererziehungszeit für das betreffende Kind begann ( 10 ).

33.

Mit seinen Fragen, die ich nacheinander erörtern werde, ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um eine Klärung des materiellen Anwendungsbereichs dieser Bestimmung in zweifacher Hinsicht.

34.

Erstens stellt es sich im Wesentlichen die Frage, ob der Lösungsansatz des Gerichtshofs in seiner früheren Rechtsprechung (insbesondere im Urteil Reichel-Albert) für die Anwendung von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 weiterhin gilt, so dass die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats A selbst dann, wenn die oben genannte dritte Voraussetzung nicht erfüllt ist, verpflichtet wären, ihre Rechtsvorschriften auf diese Zeiten anzuwenden, sofern eine „hinreichende Verbindung“ zwischen den in ihrem Hoheitsgebiet zurückgelegten einschlägigen Zeiten einer Beschäftigung oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit und den im Mitgliedstaat B zurückgelegten Kindererziehungszeiten besteht.

35.

Es möchte insbesondere wissen, ob und gegebenenfalls inwieweit das Kriterium der „hinreichenden Verbindung“, das der Gerichtshof für die Anwendung der Allgemeinen Regelung in der Verordnung Nr. 1408/71 entwickelt hat, die keine bestimmte Vorschrift über Kindererziehungszeiten enthielt, weiterhin relevant ist, wenn in Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 unmittelbar geregelt ist, die Rechtsvorschriften welches Mitgliedstaats auf diese Zeiten anzuwenden sind. Diese Frage ergibt sich daraus, dass im Rahmen des Ausgangsverfahrens für die streitigen Kindererziehungszeiten die dritte Voraussetzung dieser Bestimmung nicht erfüllt sein dürfte, weil die Revisionswerberin zu dem Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung dieser Zeiten nach österreichischem Recht beginnen würde, keine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit in Österreich ausübte. Diese Zeiten könnten allerdings das vom Gerichtshof in seiner früheren Rechtsprechung aufgestellte Kriterium der „hinreichenden Verbindung“ erfüllen.

36.

Zweitens möchte das vorlegende Gericht in Bezug auf die oben in Nr. 32 aufgeführte erste Voraussetzung geklärt wissen, ob Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 nur dann anwendbar ist, wenn der Mitgliedstaat B grundsätzlich in seinen Rechtsvorschriften keine Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten vorsieht, oder ob die Bestimmung auch dann anwendbar ist, wenn es zwar solche Rechtsvorschriften gibt, die Kindererziehungszeiten von dem letzteren Mitgliedstaat aber im konkreten Fall nicht berücksichtigt werden. Im Fall der ersten Alternative wäre im Rahmen des Ausgangsverfahrens das österreichische Recht auf die streitigen Kindererziehungszeiten jedenfalls nicht anwendbar, sofern das belgische oder ungarische Recht eine Regelung enthielten, die eine Berücksichtigung dieser Zeiten grundsätzlich ermöglichen würde. Im Fall der zweiten Alternative müsste dagegen nicht nur geprüft werden, ob es solche gesetzlichen Regelungen gibt, sondern es wäre auch zu prüfen, ob in der vorliegenden Rechtssache die streitigen Kindererziehungszeiten von den zuständigen belgischen oder ungarischen Behörden tatsächlich berücksichtigt worden sind.

A.   Erste Frage

37.

Meine Würdigung der ersten Frage wird folgendem Aufbau folgen. Zunächst werde ich das vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 aufgestellte Kriterium der „hinreichenden Verbindung“ darstellen (1). Anschließend werde ich erläutern, warum dieses Kriterium meines Erachtens im Rahmen der Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 und insbesondere für die Anwendung von Art. 44 Abs. 2 der letztgenannten Verordnung nicht mehr relevant ist (2). Abschließend werde ich mit einigen wenigen kurzen Anmerkungen darauf eingehen, warum die Revisionswerberin meines Erachtens kein schutzwürdiges Vertrauen darauf haben kann, dass ihre Situation unter die frühere Rechtsprechung des Gerichtshofs fällt (3).

1. Vergangenheit: Die Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Urteilen Elsen, Kauer und Reichel-Albert und das Kriterium der „hinreichenden Verbindung“

38.

Vor dem Inkrafttreten der Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 beruhte die Rechtsprechung des Gerichtshofs nach meinem Verständnis auf einem zweistufigen Ansatz auf der Grundlage

der auf die allgemeinen Kriterien nach Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 gestützten Anwendbarkeit der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A auf im Mitgliedstaat B zurückgelegte Kindererziehungszeiten, sofern zwischen diesen Zeiten und den im Mitgliedstaat A zurückgelegten Versicherungszeiten eine „enge Verbindung“ oder eine „hinreichende Verbindung“ bestand (Stufe 1), und

der sich aus dem Primärrecht der Union ergebenden Verpflichtung, wonach nach diesen Rechtsvorschriften die im Mitgliedstaat B zurückgelegten Kindererziehungszeiten so behandelt werden mussten, als hätten sie im Mitgliedstaat A stattgefunden (d. h. diese Zeiten gleichbehandelt werden mussten) (Stufe 2).

39.

Dieser zweistufige Ansatz wurde erstmals im Urteil Elsen dargestellt, einer Rechtssache, in der es um die Erziehung eines Kindes in Frankreich ging, dessen für die Erziehung verantwortlicher Elternteil bis zur Geburt des Kindes und auch nach dem Mutterschaftsurlaub eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Grenzgängerin in Deutschland ausübte. In diesem Urteil stellte der Gerichtshof fest, dass auf den Fall von Frau Elsen wegen der engen Verbindung, die zwischen den von ihr in Frankreich zurückgelegten Erziehungszeiten und den in Deutschland aufgrund ihrer Berufstätigkeit zurückgelegten Versicherungszeiten hergestellt werden konnte, die deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit anwendbar waren (Stufe 1) ( 11 ). Sodann prüfte er, ob diese Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht (insbesondere mit den einschlägigen Bestimmungen des Vertrags) im Hinblick auf die in ihnen enthaltene Voraussetzung vereinbar waren, wonach der Anspruch auf Altersrente im Wesentlichen davon abhängig gemacht wurde, dass die Kindererziehung in Deutschland stattfand oder hiervon ausgegangen werden konnte (Stufe 2) ( 12 ).

40.

Im Rahmen der Stufe 1 stellte der Gerichtshof fest, dass nach den allgemeinen Kriterien des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1408/71 eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt war oder eine selbständige Tätigkeit ausübte, dem Recht der sozialen Sicherheit dieses Staates unterlag, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnte ( 13 ). In dem fraglichen Verfahren konnte nicht angenommen werden, dass Frau Elsen im Sinne dieser Bestimmung während der Zeit, in der sie sich der Erziehung ihres Kindes in Frankreich gewidmet hatte, einer Beschäftigung nachging. Gleichwohl befand der Gerichtshof, dass zwischen diesen Zeiten und Frau Elsens Beschäftigungszeiten in Deutschland eine „enge Verbindung“ bestehe. Es konnte nicht davon ausgegangen werden, dass Frau Elsen keiner Berufstätigkeit mehr nachging und deshalb den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterlag, in dem sie wohnte (Frankreich). Auf die streitigen Kindererziehungszeiten war somit deutsches Recht anwendbar ( 14 ).

41.

Einer ähnlichen Begründung folgte das Urteil Kauer. In jener Rechtssache war die Klägerin eine österreichische Staatsangehörige, deren drei Kinder in Österreich geboren wurden. Sie hatte 1970 ihren Wohnsitz nach Belgien verlegt, wo sie sich ganz der Betreuung ihrer Kinder widmete. Nach ihrer Rückkehr nach Österreich im September 1975 hatte sie ihre Erwerbstätigkeit wieder aufgenommen. Der Gerichtshof stellte fest, dass nach dem Urteil Elsen aufgrund des Umstands, dass eine Person wie Frau Kauer ausschließlich in einem Mitgliedstaat (Österreich) gearbeitet hatte und dem Recht dieses Staates unterlag, als ihre Kinder geboren wurden, zwischen diesen Erziehungszeiten und den Versicherungszeiten, die aufgrund einer Berufstätigkeit in diesem Mitgliedstaat zurückgelegt wurden, eine „hinreichende Verbindung“ hergestellt werden konnte ( 15 ). Der Gerichtshof stellte somit in Bezug auf die oben in Nr. 38 genannte Stufe 1 fest, dass auf die von Frau Kauer in Belgien zurückgelegten Kindererziehungszeiten österreichisches Recht anwendbar war.

42.

Meines Erachtens hat der Gerichtshof in beiden Rechtssachen seine Schlussfolgerung zur Stufe 1, nämlich dass auf die fraglichen Kindererziehungszeiten die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A (des Beschäftigungsmitgliedstaats) anwendbar seien, auf den Umstand gestützt, dass die Klägerin zur Zeit der Geburt des Kindes und des Beginns der Kindererziehungszeit entweder in diesem Mitgliedstaat berufstätig war oder als Folge ihrer früheren Erwerbstätigkeit anderweitig dessen Rechtsvorschriften unterlag. Meines Erachtens konnte der Gerichtshof aufgrund eben dieses konkreten Umstands zu dem Schluss gelangen, dass eine „enge Verbindung“ (Urteil Elsen) bzw. eine „hinreichende Verbindung“ (Urteil Kauer) zwischen den im Mitgliedstaat A zurückgelegten einschlägigen Versicherungszeiten und den im Mitgliedstaat B zurückgelegten Kindererziehungszeiten bestand ( 16 ).

43.

Eine andere Sachverhaltsgestaltung lag der Rechtssache Reichel-Albert zugrunde. Dort hatte der das Kind erziehende Elternteil unmittelbar vor der Geburt des Kindes nicht den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A unterlegen. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens war eine deutsche Staatsangehörige, die ebenso wie die Klägerinnen in den Rechtssachen Elsen und Kauer vor ihrem Umzug in einen anderen Mitgliedstaat (Belgien) nur in einem Mitgliedstaat (hier Deutschland) eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hatte. Im Gegensatz zu den Klägerinnen jener beiden Rechtssachen hatte sie sich jedoch vor der Geburt ihres ersten Kindes einige Monate in Belgien aufgehalten. Sie blieb dann mehrere Jahre zu Hause bei ihren Kindern in Belgien, arbeitete in dieser Zeit nicht und kehrte anschließend nach Deutschland zurück, wo sie wieder erwerbstätig war ( 17 ).

44.

Auf der Grundlage des von ihm in den Urteilen Elsen und Kauer angewendeten Kriteriums der „hinreichenden Verbindung“ stellte der Gerichtshof fest, dass die deutschen Rechtsvorschriften auf Frau Reichel-Alberts Situation anwendbar seien, obwohl die Zeiten, in denen sie diesen Rechtsvorschriften aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit in Deutschland unterlegen hatte, der Zeit der Geburt ihres ersten Kindes in Belgien nicht unmittelbar vorausgingen. Zwei Gesichtspunkte haben meines Erachtens die Schlussfolgerung des Gerichtshofs beeinflusst. Zum einen hatte Frau Reichel-Albert in nur einem Mitgliedstaat (Deutschland) gearbeitet und Beiträge gezahlt, und zwar sowohl vor als auch nach der vorübergehenden Verlegung ihres Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat (Belgien), in dem sie zu keiner Zeit gearbeitet hatte ( 18 ). Zum anderen war Frau Reichel-Albert aus rein familiären Gründen ( 19 ) nach Belgien verzogen, und zwar unmittelbar aus Deutschland, wo sie bis zu dem Monat vor ihrem Umzug gearbeitet hatte.

45.

Wie oben in Nr. 38 angegeben, standen die drei vorgenannten Rechtssachen alle im Zusammenhang mit der Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71. Diese Verordnung führte in ihrem Art. 13 Abs. 2 eine Allgemeine Regelung auf, die der Lösung kollisionsrechtlicher Fragen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit dienen sollte, enthielt aber keine Vorschrift über Kindererziehungszeiten. Angesichts dieser Gesetzeslücke stellte der Gerichtshof (im Rahmen der oben in Nr. 38 genannten Stufe 1) fest, dass die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dem die Person gearbeitet hatte, zurückgelegten Kindererziehungszeiten weiterhin dem Recht dieses Mitgliedstaats unterlagen, sofern im Wesentlichen zwischen diesen Zeiten und den dort zurückgelegten einschlägigen („Warte-“) Zeiten einer Erwerbstätigkeit eine „hinreichende Verbindung“ bestand.

46.

Erst nach Abschluss dieser Prüfung wandte sich der Gerichtshof den einschlägigen Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Bürger zu und sah die Frage der Vereinbarkeit mit dem Primärrecht der Union als problematisch an (Stufe 2). Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Im Urteil Reichel-Albert kam der Gerichtshof erst nach seiner Feststellung, dass zwischen den streitigen ausländischen Kindererziehungszeiten und den einschlägigen, von der Klägerin zurückgelegten Versicherungszeiten einer Erwerbstätigkeit eine „hinreichende Verbindung“ bestand, so dass auf diese ausländischen Kindererziehungszeiten deutsches Recht anwendbar war (Stufe 1), zu dem Schluss, dass diese Rechtsvorschriften mit Art. 21 AEUV unvereinbar waren (Stufe 2), da Frau Reichel-Albert, obwohl sie in Belgien zu keiner Zeit eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hatte, weniger günstig behandelt wurde, als wenn sie von der Freizügigkeit nach den Verträgen nicht Gebrauch gemacht hätte ( 20 ).

47.

Nachdem ich die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Verordnung Nr. 1408/71 kurz dargestellt habe, werde ich mich jetzt der aktuellen Rechtslage zuwenden und erläutern, warum das Kriterium der „hinreichenden Verbindung“ für ein Verfahren wie das der vorliegenden Rechtssache, auf das Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 anwendbar ist, meines Erachtens nicht relevant ist.

2. Aktuelle Rechtslage: Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 und warum das Kriterium der „hinreichenden Verbindung“ nicht mehr relevant ist

48.

Ausgehend von der oben in den Nrn. 16 bis 20 dargestellten Chronologie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalts und des Zeitpunkts des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 987/2009 steht nach meinem Dafürhalten fest, dass auf die vorliegende Rechtssache diese Verordnung zeitlich anwendbar ist ( 21 ). Dieser Punkt wird weder vom vorlegenden Gericht noch von den Parteien des Ausgangsverfahrens oder von den Beteiligten bestritten. Die vorliegende Rechtssache unterscheidet sich somit von den Rechtssachen Elsen, Kauer und Reichel-Albert zumindest insoweit, als die Verfahren jener Rechtssachen in ihrer Gesamtheit nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung fielen ( 22 ).

49.

Die Parteien des Ausgangsverfahrens und die Beteiligten sind auch darin einig, dass sich die Revisionswerberin im Rahmen des Ausgangsverfahrens nicht auf Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 berufen kann, weil sie zu dem Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung der streitigen Kindererziehungszeiten nach österreichischem Recht beginnen würde, weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Erwerbstätigkeit in Österreich ausübte. Wie oben in Nr. 32 ausgeführt, besteht die dritte Voraussetzung nach Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 darin, dass noch davon ausgegangen werden kann, dass die Person zu dem Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung der streitigen Kindererziehungszeit für das betreffende Kind nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats beginnen würde, eine Erwerbstätigkeit im Mitgliedstaat A (hier Österreich) „ausübt“. Nach österreichischem Recht wäre dieser Zeitpunkt der 1. Jänner 1988 ( 23 ). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Revisionswerberin Österreich bereits seit über einem Jahr verlassen und ein weiteres Studium im Vereinigten Königreich absolviert, bevor sie sich in Belgien niederließ, wo ihre beiden Kinder geboren wurden.

50.

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens dem des Urteils Reichel-Albert insoweit vergleichbar sei, als auch in jener Rechtssache der Zeitraum, in dem die Klägerin aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit in diesem Mitgliedstaat den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A unterlegen habe, nicht unmittelbar vor der Geburt ihrer Kinder gelegen habe. Es möchte daher wissen, ob der Lösungsansatz des Urteils Reichel-Albert auf die vorliegende Rechtssache anwendbar sein könnte. Wäre dies der Fall, dann hätte die Revisionswerberin seiner Auffassung nach Anspruch auf Berücksichtigung der von ihr in Belgien und Ungarn zurückgelegten Kindererziehungszeiten.

51.

Festzustellen ist, dass hierzu im Verfahren vor dem Gerichtshof zwei verschiedene Argumentationsansätze vorgebracht worden sind.

52.

Einerseits soll nach Ansicht der Revisionswerberin, die in diesem Punkt von der Kommission und der tschechischen Regierung unterstützt wird, der Gerichtshof an die ratio decidendi des Urteils Reichel-Albert gebunden sein; demnach seien in Fällen mit vergleichbarem Sachverhalt im Ausland zurückgelegte Kindererziehungszeiten, die materiell nicht in den Anwendungsbereich von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 fielen (die aber in den zeitlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung fielen), weiterhin auf der Grundlage von Art. 21 AEUV und des Kriteriums der „hinreichenden Verbindung“ zu beurteilen. Andernfalls hätte Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 zur Folge, dass Antragsteller auf Altersrente weniger günstig behandelt würden als vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung. Im Rahmen des Ausgangsverfahrens würde die Revisionswerberin allein deshalb finanziell schlechter gestellt, weil sie sich entschieden habe, ihre Kinder in einem anderen Mitgliedstaat als Österreich zu erziehen. Wäre sie in Österreich geblieben, wäre die PVA nach österreichischem Recht nämlich verpflichtet, diese Zeiten in vollem Umfang zu berücksichtigen.

53.

Die PVA sowie die österreichische und die spanische Regierung sind andererseits im Wesentlichen der Ansicht, dass das Prüfungskriterium des Urteils Reichel-Albert, das auf das Bestehen einer „engen Verbindung“ oder einer „hinreichenden Verbindung“ zwischen den im Mitgliedstaat A zurückgelegten Zeiten einer Erwerbstätigkeit und den im Mitgliedstaat B zurückgelegten Kindererziehungszeiten abstellte, durch die in Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 festgelegten Kriterien ersetzt worden sei, so dass der Gerichtshof dieses Kriterium nicht mehr anwenden könne.

54.

Ich stimme mit der letztgenannten Ansicht überein.

55.

Erstens möchte ich zunächst darauf hinweisen, dass im Hinblick auf die Berücksichtigung ausländischer Kindererziehungszeiten Art. 21 AEUV nach der oben genannten Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt, dass der Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften als diejenigen festgestellt worden sind, die auf einen bestimmten Sachverhalt anwendbar sind, in dem eine Person von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich entschieden hat, ihr(e) Kind(er) in einem anderen Mitgliedstaat zu erziehen, diesen Sachverhalt so behandeln muss, als hätte er in seinem Hoheitsgebiet stattgefunden ( 24 ).

56.

Diese Regel bleibt meines Erachtens auch nach Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 unverändert. Die in dieser Bestimmung aufgeführten Voraussetzungen schränken nur die Arten von Sachverhalten ein, in denen festgestellt werden kann, dass die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A auf einen bestimmten ausländischen Erziehungssachverhalt anwendbar sind ( 25 ), sie berühren aber in keiner Weise die Pflichten, die dem Mitgliedstaat A im Fall der Feststellung der Anwendbarkeit des Rechts dieses Mitgliedstaats auf diesen Sachverhalt obliegen. Man darf also nicht aus den Augen verlieren, dass die beiden oben in Nr. 38 genannten zwei Stufen zwar jetzt in einer einzigen Rechtsvorschrift enthalten sind, sich aber aus der letzteren auch weiterhin zwei Pflichten ergeben: i) Mitgliedstaat A muss seine Rechtsvorschriften auf die im Mitgliedstaat B zurückgelegten Kindererziehungszeiten anwenden, wenn die Voraussetzungen nach Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 erfüllt sind, und ii) sofern dies der Fall ist und die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A anwendbar sind, muss dieser Mitgliedstaat diese Zeiten so behandeln, als seien sie in seinem Hoheitsgebiet zurückgelegt worden.

57.

Vor dem Hintergrund dieser Anmerkungen lässt sich jetzt herausarbeiten, worin das eigentliche Problem der vorliegenden Rechtssache liegt. Es liegt nicht darin, dass die Revisionswerberin nach den österreichischen Rechtsvorschriften allein deshalb weniger günstig behandelt werden könnte, weil sie während der Zeit, in der sie ihre Kinder erzogen, in zwei anderen Mitgliedstaaten gelebt hat (was nach Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 eindeutig nicht möglich ist) ( 26 ). Vielmehr sind es die Voraussetzungen, durch die die Anwendbarkeit der österreichischen Rechtsvorschriften auf ihren Sachverhalt begrenzt werden, und die in dieser Bestimmung enger gefasst sind als in dem dem Urteil Reichel-Albert zugrunde gelegten Prüfungskriterium.

58.

Zweitens ist mir bewusst, dass dann, wenn das Unionsrecht den Mitgliedstaaten weitergehende Pflichten zur Anwendung ihrer Rechtsvorschriften auf ausländische Kindererziehungszeiten auferlegen würde, als sie bereits in Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 vorgesehen sind, die in dieser Bestimmung aufgeführten Voraussetzungen lediglich als eine der Fallgestaltungen anzusehen wären, in der der Mitgliedstaat A verpflichtet wäre, seine Rechtsvorschriften auf im Mitgliedstaat B zurückgelegte Kindererziehungszeiten anzuwenden.

59.

Einer solchen Auslegung von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 würde ich zugestandenermaßen eher zuneigen, wenn der Wortlaut dieser Bestimmung zumindest in gewissem Maße offen oder mehrdeutig wäre. Nach meinem Verständnis enthält diese Bestimmung jedoch nicht den geringsten Hinweis darauf, dass das Unionsrecht dem Mitgliedstaat, in dem die Person, die den Antrag auf Altersrente stellt, eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, solche weiteren Verpflichtungen auferlegen könnte. Wie oben in Nr. 45 ausgeführt, wurde das Kriterium der „hinreichenden Verbindung“ vom Gerichtshof im Zusammenhang mit den allgemeinen Kriterien der Verordnung Nr. 1408/71 und nicht mit Art. 21 AEUV selbst formuliert (aus dem sich in den Urteilen Elsen, Kauer und Reichel-Albert in Stufe 2 die Pflicht des Mitgliedstaats A ergab, ausländische Kindererziehungszeiten so zu behandeln, als seien sie in seinem eigenen Hoheitsgebiet zurückgelegt worden) ( 27 ). Da dieser Rechtsakt inzwischen aufgehoben und durch die Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 ersetzt wurde, wobei Art. 44 Abs. 2 der letzteren sich speziell mit dieser konkreten Frage befasst, scheint der Schluss nicht mehr als logisch, dass die in dieser Bestimmung enthaltenen Regelungen alle früheren Ansätze des Gerichtshofs, die Voraussetzungen zu definieren, unter denen die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A auf im Mitgliedstaat B zurückgelegte Kindererziehungszeiten anwendbar werden können, verdrängt hat.

60.

Das ist natürlich nicht das Ende der Geschichte und kann es auch nicht sein, denn es ist auch zu prüfen, welche Absicht der Gesetzgeber mit Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 verfolgte und ob die Umstände seines Erlasses für diese Auslegung sprechen. Insoweit stelle ich fest, dass der Entstehungsgeschichte von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 zu entnehmen ist, dass er nicht nur eingeführt wurde, um den Urteilen des Gerichtshofs in den Rechtssachen Elsen und Kauer Rechnung zu tragen, sondern auch, um deren Reichweite zu definieren ( 28 ). Meines Erachtens kann daher ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Unionsgesetzgeber sich bewusst dafür entschieden hat, nicht das vom Gerichtshof formulierte Kriterium der „engen Verbindung“ oder der „hinreichenden Verbindung“ heranzuziehen, sondern sich stattdessen für die konkretere Voraussetzung entschieden hat, dass die Person dann noch den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A unterliegt, wenn sie zu dem Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung der Kindererziehungszeit nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats beginnen würde, eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit in diesem Mitgliedstaat ausgeübt hat ( 29 ).

61.

Ergänzt sei, dass der Unionsgesetzgeber offenbar in verschiedensten anderen Bestimmungen der Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 die für die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 entwickelte Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur übernommen, sondern sie auch klargestellt hat (und in einigen Fällen vielleicht auch von ihr abgewichen ist) ( 30 ). Dies dürfte meines Erachtens jedenfalls dem dritten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 883/2004 zu entnehmen sein, der bestätigt, dass der Gesetzgeber die Vorschriften dieser früheren Verordnung aktualisieren und vereinfachen wollte, da die letztere nach mehrfachen Änderungen und Aktualisierungen, u. a. um verschiedenen Urteilen des Gerichtshofs Rechnung zu tragen, komplexer und umfangreicher geworden sei.

62.

Da die Verordnung Nr. 987/2009 nach den Urteilen Elsen und Kauer (wenngleich nicht nach dem Urteil Reichel-Albert) erlassen wurde, hätte der Gesetzgeber, hätte er dies gewünscht, Art. 44 Abs. 2 dieser Verordnung so formulieren können, dass die in den erstgenannten beiden Urteilen vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung vollständig und eindeutig übernommen worden wäre. Er hat sich jedoch dafür entschieden, dies nicht zu tun. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass das Fehlen einer ausdrücklichen Bezugnahme auf das Kriterium der „engen Verbindung“ oder der „hinreichenden Verbindung“ in Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dafür spricht, dass der Gesetzgeber die Anwendung der ratio decidendi der Urteile Elsen und Kauer bewusst einschränken wollte und vielmehr nur vorgesehen hat, dass unter den in dieser Bestimmung ausdrücklich genannten Voraussetzungen die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A auf die im Mitgliedstaat B zurückgelegten Kindererziehungszeiten Anwendung finden können.

63.

Ich stimme mit der Kommission darin überein, dass der Gesetzgeber zum Zeitpunkt des Erlasses von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 nicht damit rechnen konnte, dass der Gerichtshof den Anwendungsbereich des Kriteriums der „hinreichenden Verbindung“ im Urteil Reichel-Albert erweitern würde. Vielleicht hätte der Gesetzgeber den Wortlaut dieser Bestimmung anders formuliert, wenn dieses Urteil vor dem Erlass dieser Bestimmung ergangen wäre. Es ist jedoch nicht Sache des Gerichtshofs, Mutmaßungen zu dieser Frage anzustellen. Da der Gesetzgeber die Frage der Berücksichtigung ausländischer Kindererziehungszeiten in Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 ausdrücklich geregelt hat, muss meines Erachtens von diesem Zeitpunkt an jede Änderung der Voraussetzungen, unter denen der Mitgliedstaat A verpflichtet ist, seine Rechtsvorschriften auf solche Zeiten anzuwenden, ebenfalls auf Initiative des Gesetzgebers erfolgen.

64.

Drittens bestärkt mich ein genauerer Blick auf den Zweck der Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 in meiner Überzeugung, dass man nicht der Versuchung erliegen sollte, die jetzt in Art. 44 Abs. 2 der letztgenannten Verordnung enthaltenen Verpflichtungen durch einen Komplex ungeschriebener Rechtsprechungsregeln zu erweitern. Wie sich aus Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 ergibt, besteht einer der zentralen Grundsätze des Systems zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit darin, dass die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats anwendbar sein sollen ( 31 ). In diesem Zusammenhang sieht Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 eine Ausnahme von den Zuständigkeitsregeln des Titels II der Verordnung Nr. 883/2004 vor, um einem Mitgliedstaat, der nach diesen Regeln nicht mehr zuständig ist, aufzuerlegen, in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegte Kindererziehungszeiten zu berücksichtigen ( 32 ).

65.

Die Grenzen einer solchen Ausnahme müssen meines Erachtens hinreichend klar gezogen werden. Wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung festgestellt hat, bilden die Vorschriften von Titel II der Verordnung Nr. 883/2004 ein geschlossenes und einheitliches System von Kollisionsnormen, mit denen zum einen verhindert werden soll, dass Personen, die in den Geltungsbereich der Verordnung fallen, der Schutz auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil keine nationalen Rechtsvorschriften für sie gelten, und zum anderen die gleichzeitige Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden sollen ( 33 ). Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 ist eine in gewisser Hinsicht einmalige Bestimmung, weil die darin enthaltene Zuständigkeitsregel, die den Mitgliedstaat A zur Anwendung seiner Rechtsvorschriften auf ausländische Kindererziehungszeiten verpflichtet, den Umstand unberührt lässt, dass die in Titel II der Verordnung Nr. 883/2004 genannten Kriterien durchaus auf den Mitgliedstaat B als denjenigen verweisen können, dessen Rechtsvorschriften im Übrigen auf die betreffende Person anwendbar sind. Es ist folglich wichtig, dass die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats A in der Lage sind, die Voraussetzungen in vollem Umfang zu überblicken, unter denen seine Rechtsvorschriften auf Kindererziehungszeiten anwendbar werden, die von einer Person zurückgelegt worden sind, die zum maßgeblichen Zeitpunkt in diesem Mitgliedstaat weder „eine Beschäftigung“ noch „eine selbstständige Erwerbstätigkeit“ ausgeübt hat (Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004) und auch nicht in seinem Hoheitsgebiet wohnte (Art. 11 Abs. 3 Buchst. e dieser Verordnung). Soweit Zweifel an diesen Verpflichtungen bestehen könnten, wäre die praktische Wirksamkeit („effet utile“) von Art. 44 Abs. 2 zwangsläufig beeinträchtigt.

66.

Anders als die Revisionswerberin und die Kommission bin ich der Ansicht, dass aus den vorstehenden Erwägungen in ihrer Gesamtheit folgt, dass ein Mitgliedstaat im Rahmen der Anwendung von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 nicht allein deshalb verpflichtet ist, seine Rechtsvorschriften auf in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten zurückgelegte Kindererziehungszeiten anzuwenden, weil diese Zeiten mit zuvor in seinem Hoheitsgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten in einer „engen Verbindung“ stehen. Er hat diese Pflicht nur dann, wenn alle in dieser Bestimmung aufgeführten Voraussetzungen, die ich oben in Nr. 32 in Erinnerung gerufen habe, erfüllt sind.

67.

Abschließend möchte ich betonen, dass die wirtschaftlichen Folgen, die sich im Rahmen des Ausgangsverfahrens aus der Anwendung des österreichischen, des belgischen oder des ungarischen Rechts auf die streitigen Kindererziehungszeiten ergeben würden, meines Erachtens keinen Einfluss auf die Beantwortung der ersten Frage haben sollten. Ob die Revisionswerberin finanziell schlechter gestellt würde, weil das materielle Recht des Mitgliedstaats B und nicht das des Mitgliedstaats A auf ihren Fall anwendbar wäre, kann meines Erachtens auf die Beurteilung des Gerichtshofs keinen Einfluss haben. Das auf ausländische Kindererziehungszeiten zur Anwendung berufene Recht kann für die betreffende Person in manchen Fällen von Vorteil und in anderen Fällen von Nachteil sein.

68.

Insoweit sei darauf hingewiesen, dass das Primärrecht der Union einem Arbeitnehmer nicht garantiert, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat als seinen Herkunftsmitgliedstaat keine Auswirkungen auf seine sozialversicherungsrechtlichen Verhältnisse hat, da ein solcher Umzug angesichts der Unterschiede zwischen den Systemen und Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten für die betreffende Person mehr oder weniger vorteilhaft sein kann ( 34 ). Insoweit soll mit den Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 nicht eine Harmonisierung oder gar eine Angleichung bewirkt werden, sondern lediglich die Schaffung eines Koordinierungssystems, das u. a. die Festlegung der auf Arbeitnehmer anwendbaren Rechtsvorschriften betrifft, die unter unterschiedlichen Umständen von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen ( 35 ). Dass sich die Ausübung der Freizügigkeit für die betreffende Person je nach den Umständen in verschiedenem Maße günstig oder ungünstig auswirken kann, ist eine unmittelbare Folge der Entscheidung, an der Verschiedenheit der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten festzuhalten ( 36 ).

3. Die Revisionswerberin konnte kein schutzwürdiges Vertrauen darauf haben, dass ihre Situation unter die frühere Rechtsprechung fällt

69.

Nachdem ich dargelegt habe, warum der Lösungsansatz des Urteils Reichel-Albert auf die vorliegende Rechtssache meines Erachtens nicht angewendet werden kann, möchte ich der Vollständigkeit halber auf das Vorbringen der Revisionswerberin eingehen, dass sie in schutzwürdiger Weise darauf vertraut habe, dass auf die streitigen Kindererziehungszeiten österreichisches Recht anwendbar sei, da sie diese Zeiten lange vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 987/2009 zurückgelegt habe und zuvor das in den Urteilen Kauer und Elsen aufgestellte Kriterium der „engen Verbindung“ oder „hinreichenden Verbindung“ erfüllt haben würde.

70.

Die PVA und die österreichische Regierung bringen hiergegen vor, dass die Revisionswerberin im Rahmen des Ausgangsverfahrens ein solches schutzwürdiges Vertrauen nicht habe hegen können. Erstens seien zu dem Zeitpunkt, als sie nach Belgien und Ungarn umgezogen sei, Österreich kein Mitgliedstaat und die Urteile Kauer und Elsen noch nicht ergangen gewesen. Zweitens habe die Revisionswerberin Ansprüche in Bezug auf diese Zeiten erst erworben, als sie im Jahr 2017 die Gewährung einer Alterspension beantragt habe.

71.

Ich stimme mit der PVA und der österreichischen Regierung darin überein, dass die Revisionswerberin zu dem Zeitpunkt, als sie 1987 nach Belgien und dann 1991 nach Ungarn zog, unmöglich davon ausgehen konnte, dass sie ihr Recht auf Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV ausübte und dass sie infolgedessen Anspruch darauf haben könnte, dass die in diesen anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Zeiten von der PVA so behandelt werden, als seien sie in Österreich zurückgelegt worden. Nach Art. 2 der Beitrittsakte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge ( 37 ) wurden die Bestimmungen der ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe für Österreich erst am 1. Januar 1995 verbindlich.

72.

Würde man die Prüfung an dieser Stelle beenden, ließe man jedoch außer Acht, dass in Ruhegehaltssachen der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung der zeitlich anwendbaren Vorschriften der Zeitpunkt ist, zu dem der Betroffene die Alterspension beantragt. Im Fall der Revisionswerberin ist dieser „Stichtag“ der 11. Oktober 2017. Zu diesem Zeitpunkt war Österreich in der Tat Teil der Europäischen Union.

73.

Dem Urteil Kauer ist eindeutig zu entnehmen, dass unter diesen Umständen die Bestimmung des Pensionsanspruchs der Revisionswerberin – selbst auf der Grundlage von vor dem Beitritt Österreichs zurückgelegten Versicherungszeiten – von den österreichischen Behörden in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht, insbesondere den Bestimmungen des Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, vorzunehmen ist ( 38 ). Das Ausgangsverfahren betrifft nicht die Anerkennung von Rechten aus dem Unionsrecht, die angeblich vor dem Beitritt Österreichs erworben wurden, sondern die Frage, ob die von der PVA im Dezember 2017 abgelehnte Berücksichtigung der streitigen Kindererziehungszeiten gegen die zu diesem Zeitpunkt für Österreich verbindlich gewordenen Unionsvorschriften verstieß ( 39 ).

74.

Nach dieser Klarstellung meine ich – entgegen dem Vorbringen der Revisionswerberin – dass sie nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen konnte, dass die Frage, ob die österreichischen Rechtsvorschriften auf diese Zeiten anwendbar sind, anhand des in den Urteilen Elsen und Kauer (in Bezug auf in der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltene Kriterien) entwickelten Prüfkriteriums der „engen Verbindung“ bzw. der „hinreichenden Verbindung“ geklärt werden würde.

75.

Hierzu stelle ich fest, dass der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht so weit ausgedehnt werden darf, dass „die Anwendung einer neuen Vorschrift auf die künftigen Auswirkungen von Sachverhalten, die unter der Geltung der alten Regelung entstanden sind, schlechthin ausgeschlossen ist“ ( 40 ). Die Vorschriften des materiellen Unionsrechts sind im Interesse der Beachtung des Vertrauensschutzes jedoch so auszulegen, dass sie für „vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossene Sachverhalte“ nur gelten, soweit „aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist“ ( 41 ).

76.

In der vorliegenden Rechtssache führt das Inkrafttreten der Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 (1. Mai 2010) nicht dazu, dass bei der Feststellung der Alterspension der Revisionswerberin im Ausgangsverfahren die streitigen Kindererziehungszeiten der früher geltenden Verordnung, nämlich der Verordnung Nr. 1408/71, unterliegen müssten. Dies ergibt sich jedenfalls aus Art. 87 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, der aufgrund von Art. 93 der Verordnung Nr. 987/2009 auch für die letztgenannte Verordnung gilt und im Wesentlichen vorsieht, dass für die Feststellung des Leistungsanspruchs nach diesem Rechtsakt alle relevanten Zeiten, die vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 883/2004 in dem betreffenden Mitgliedstaat zurückgelegt worden sind, berücksichtigt werden ( 42 ).

77.

Aus dieser Bestimmung ergibt sich meines Erachtens eindeutig, dass die Revisionswerberin im Ausgangsverfahren nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen konnte, dass ihre frühere Rechtsstellung unter die Verordnung Nr. 1408/71 und die dazu ergangene Rechtsprechung fällt. Da die streitigen Kindererziehungszeiten vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 987/2009 lagen, ist die Frage nach dem Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften auf diese Zeiten anzuwenden sind, somit ausschließlich am Maßstab von Art. 44 Abs. 2 dieser Verordnung zu klären.

4. Ergebnis zur ersten Frage

78.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Frage wie folgt zu beantworten: In einem Fall, in dem die Verordnung Nr. 987/2009 zeitlich anwendbar ist, ist ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet eine Person eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, nach dem Unionsrecht nur dann verpflichtet, eine von dieser Person in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegte Kindererziehungszeit so zu berücksichtigen, als hätte die Erziehung des Kindes in seinem eigenen Hoheitsgebiet stattgefunden, wenn alle Voraussetzungen nach Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 in dem betreffenden Fall erfüllt sind.

79.

Sollte der Gerichtshof entgegen meinem Vorschlag zu der Auffassung gelangen, dass der Lösungsansatz des Urteils Reichel-Albert im Rahmen des Ausgangsverfahrens weiterhin gilt, so dass Österreich seine Rechtsvorschriften auf in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegte Kindererziehungszeiten auch dann anwenden muss, wenn diese nicht unmittelbar unter Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 fallen, möchte ich hinzufügen, dass dies meines Erachtens nur möglich ist, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind.

80.

Erstens müsste, wie in den vorangegangenen Abschnitten der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, eine „hinreichende“ Verbindung zwischen den im Mitgliedstaat B zurückgelegten Kindererziehungszeiten und den von der Antragstellerin im Mitgliedstaat A zurückgelegten Versicherungszeiten bestehen. Wie die Kommission zu Recht vorgetragen hat, kann eine solche Verbindung nur dann bestehen, wenn der Antragsteller zumindest nachweist, dass der Mitgliedstaat A sein letzter Beschäftigungsmitgliedstaat war, bevor er mit der Erziehung seines Kindes/seiner Kinder begann. Selbst wenn dies der Fall ist, ist jedoch immer noch zu prüfen, ob diese Verbindung „hinreichend“ ist.

81.

Hierzu hat die PVA meines Erachtens zu Recht angemerkt, dass der Fall der Revisionswerberin im Ausgangsverfahren und derjenige von Frau Reichel-Albert in der gleichnamigen Rechtssache sich in gewissem Maße voneinander unterscheiden. Im Urteil Reichel-Albert maß der Gerichtshof offenbar dem Umstand erhebliches Gewicht bei, dass Frau Reichel-Albert zur Zeit der Geburt ihres ersten Kindes ihre Berufstätigkeit vorübergehend eingestellt und ihren Wohnsitz aus rein familiären Gründen in Belgien begründet hatte ( 43 ). Im Rahmen des Ausgangsverfahrens verließ die Klägerin Österreich im Jahr 1987, um ein im Vereinigten Königreich in Aussicht genommenes Studium zu absolvieren. Durch diese Übergangszeit der Weiterbildung könnte die Verbindung zwischen den Versicherungszeiten der Revisionswerberin in Österreich vor der Geburt ihrer Kinder und den streitigen Kindererziehungszeiten in Belgien und Ungarn schwächer sein als in der Rechtssache Reichel-Albert ( 44 ).

82.

Zweitens müsste der Antragsteller ferner nachweisen, dass die Zeit, die er der Erziehung seiner Kinder gewidmet hat, berücksichtigt worden wäre, wenn er im Mitgliedstaat A (hier Österreich) geblieben wäre. Mit anderen Worten müsste der Antragsteller nachweisen, dass er aufgrund seines Umzugs und Wohnsitzwechsels in einen anderen Mitgliedstaat nun tatsächlich schlechter gestellt ist, als wenn er einfach im Mitgliedstaat A geblieben wäre.

B.   Zweite Frage

83.

Die zweite Frage baut auf der Antwort des Gerichtshofs auf die erste Frage auf. Mit dieser Frage ersucht das vorlegende Gericht um Hinweise dazu, ob Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 den Mitgliedstaat A verpflichtet, seine Rechtsvorschriften nur in Fällen anzuwenden, in denen es keine Rechtsvorschriften über im Mitgliedstaat B zurückgelegte Kindererziehungszeiten gibt, oder auch in Fällen, in denen solche Rechtsvorschriften im Mitgliedstaat B zwar durchaus bestehen, die Kindererziehungszeiten jedoch von diesem Mitgliedstaat im konkreten Fall nicht berücksichtigt werden. Das vorlegende Gericht stellt diese Frage insbesondere im Hinblick auf die Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Reichel-Albert ( 45 ). In jener Rechtssache vertrat Generalanwalt Jääskinen die Ansicht, dass Art. 44 Abs. 2 nicht anwendbar sei, wenn der Mitgliedstaat B die Möglichkeit der Berücksichtigung solcher Zeiten vorsehe. Es sei unschädlich, dass die Betroffene im konkreten Fall wegen ihrer persönlichen Situation nicht in den Genuss dieser Vergünstigung komme ( 46 ).

84.

Ich sehe keinen Grund, warum der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache zu einem anderen Ergebnis kommen sollte. Wie oben in Nr. 56 ausgeführt, enthält Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 eine zweifache Verpflichtung. Erstens muss der Mitgliedstaat A seine Rechtsvorschriften auf die im Mitgliedstaat B zurückgelegten Kindererziehungszeiten anwenden, wenn die in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehört, dass die Kindererziehungszeiten nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats B nicht berücksichtigt werden. Zweitens muss im Fall der Anwendbarkeit der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A dieser Mitgliedstaat diese Zeiten so behandeln, als seien sie in seinem Hoheitsgebiet zurückgelegt worden.

85.

Ich räume ein, dass der Wortlaut von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 etwas missverständlich ist, da das Erfordernis der Berücksichtigung der streitigen Kindererziehungszeit durch den Mitgliedstaat B wie folgt formuliert ist: „Wird nach den Rechtsvorschriften des [Mitgliedstaats B] keine Kindererziehungszeit berücksichtigt, …“. Wie das vorlegende Gericht ausführt, kann dies entweder bedeuten, dass eine solche Zeit vom Mitgliedstaat B grundsätzlich nicht berücksichtigt wird, weil der letztere keine Rechtsvorschriften über Kindererziehungszeiten hat, oder dass sie konkret nicht berücksichtigt wird, weil die betreffende Person diese Zeit in einem bestimmten Fall nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats B nicht anerkennen lassen konnte.

86.

Dieser zweiten Auslegung ist meines Erachtens jedoch aus zwei Gründen nicht zu folgen.

87.

Erstens wäre es zu aufwändig und nicht praktikabel, die Behörden des Mitgliedstaats A zu der Prüfung zu verpflichten, ob der Anspruch einer Person nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats (Mitgliedstaat B) begründet ist, um festzustellen, ob die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A auf den Fall dieser Person anwendbar sind. Zweitens würde eine solche Auslegung der Voraussetzungen des Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 potenziell zu Fällen führen, in denen Personen i) bei den Behörden des Mitgliedstaats B geltend machen könnten, dass sie Anspruch auf Berücksichtigung der in diesem Mitgliedstaat zurückgelegten Kindererziehungszeiten nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats hätten, und ii), soweit dieses Begehren erfolglos bliebe, ihren Fall vor die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats A bringen und geltend machen könnten, dass aufgrund der Erfolglosigkeit des von ihnen bei den Behörden des Mitgliedstaats B erhobenen Anspruchs Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin zu verstehen sei, dass die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats A auf ihren Fall anwendbar seien.

88.

Diese Bestimmung wurde meines Erachtens nicht zu dem Zweck erlassen, dass Personen, die einen Antrag auf Altersrente stellen, bei den zuständigen Behörden zweier verschiedener Mitgliedstaaten auf gut Glück versuchen könnten, die Berücksichtigung ein und derselben Kindererziehungszeit zu erwirken. Wie oben in Nr. 64 ausgeführt, sieht Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 eine Ausnahme von den Zuständigkeitsregeln des Titels II der Verordnung Nr. 883/2004 vor, um einem Mitgliedstaat, der nach diesen Regeln nicht mehr zuständig ist (Mitgliedstaat A), die Berücksichtigung von in einem anderen Mitgliedstaat (Mitgliedstaat B) zurückgelegten Kindererziehungszeiten aufzuerlegen. Das Ziel dieser Bestimmung ist nicht, dass auf ein und dieselbe Kindererziehungszeit letztlich die Rechtsvorschriften sowohl des Mitgliedstaats A als auch des Mitgliedstaats B anwendbar sind, sondern dass in dem Fall, dass der Mitgliedstaat B keine Rechtsvorschriften hat, die generell die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten vorsehen, der Mitgliedstaat A verpflichtet sein kann, seine Rechtsvorschriften auf den vorliegenden konkreten Fall anzuwenden.

89.

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 meines Erachtens dahin auszulegen ist, dass der Mitgliedstaat A nicht verpflichtet ist, seine Rechtsvorschriften auf eine bestimmte Kindererziehungszeit anzuwenden, wenn der Mitgliedstaat B (der nach Titel II der Verordnung Nr. 883/2004 zuständige Mitgliedstaat) grundsätzlich die Berücksichtigung einer solchen Zeit vorsieht. Wenn es also in Belgien und Ungarn (im Oktober 2017) eine allgemeine Regelung oder Bestimmung gab, die die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten zuließ – was das vorlegende Gericht zu prüfen hat –, dann wäre die PVA im Rahmen des Ausgangsverfahrens nicht verpflichtet, die österreichischen Rechtsvorschriften auf die streitigen Kindererziehungszeiten anzuwenden.

V. Ergebnis

90.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Obersten Gerichtshof (Österreich) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

In einem Fall, in dem die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zeitlich anwendbar ist, ist ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet eine Person eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, nach dem Unionsrecht nur dann verpflichtet, eine von dieser Person in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegte Kindererziehungszeit so zu berücksichtigen, als hätte die Erziehung des Kindes in seinem eigenen Hoheitsgebiet stattgefunden, wenn alle Voraussetzungen nach Art. 44 Abs. 2 dieser Verordnung in dem betreffenden Fall erfüllt sind.

Der Umstand, dass solche Zeiten in dem Mitgliedstaat, der nach Titel II der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2009 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zuständig ist, zwar rechtlich, nicht aber praktisch, im Licht des konkreten Falls, berücksichtigt werden, ist für sich genommen für die Auslegung von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 ohne Bedeutung.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 (ABl. 2009, L 284, S. 1).

( 3 ) Verordnung des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. 1971, L 149, S. 2 bis 50).

( 4 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1).

( 5 ) Die PVA hat im Verfahren vor dem Gerichtshof vorgetragen, dass sie die im Vereinigten Königreich zurückgelegte Zeit (vom 1. Jänner 1993 bis zum 8. Februar 1993) in ihre Berechnung der Pensionsansprüche der Revisionswerberin einbezogen habe, da die Revisionswerberin ursprünglich angegeben habe, dass sie ab 31. Dezember 1992 wieder in Österreich gewesen sei. Dieser Zeitraum sei daher zusammen mit den anderen im österreichischen Hoheitsgebiet zurückgelegten Kindererziehungszeiten angerechnet worden und sei nicht Teil der streitigen Kindererziehungszeiten im Sinne von Nr. 21 der vorliegenden Schlussanträge.

( 6 ) Urteil vom 19. Juli 2012 (C‑522/10, EU:C:2012:475) (im Folgenden: Urteil Reichel-Albert).

( 7 ) Urteil vom 23. November 2000 (C‑135/99, EU:C:2000:647) (im Folgenden: Urteil Elsen).

( 8 ) Urteil vom 7. Februar 2002 (C‑28/00, EU:C:2002:82) (im Folgenden: Urteil Kauer).

( 9 ) In Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 kommt der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung zum Ausdruck, der in Art. 5 der Verordnung Nr. 883/2004 kodifiziert werden soll (vgl. in diesem Sinne auch den fünften Erwägungsgrund der letztgenannten Verordnung).

( 10 ) Am Rande sei darauf hingewiesen, dass Art. 44 Abs. 3 der Verordnung Nr. 987/2009 klarstellt, dass die in Abs. 2 dieses Artikels vorgesehene Verpflichtung nicht gilt, wenn für die betreffende Person die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats aufgrund der Ausübung einer Beschäftigung oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit anwendbar sind oder anwendbar werden.

( 11 ) In den Rn. 26 und 27 seines Urteils.

( 12 ) In den Rn. 29 ff.

( 13 ) Ebd., Rn. 25.

( 14 ) Ebd., Rn. 26.

( 15 ) Vgl. Urteil Kauer, Rn. 32 ff.

( 16 ) Von Interesse mag sein, dass die Klägerin in der Rechtssache Kauer tatsächlich einige Zeit vor der Geburt ihrer Kinder in Österreich ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben hatte und arbeitslos geworden war. Zu seiner Schlussfolgerung, dass Frau Kauer dennoch in den Zeiten, in denen sie sich der Erziehung ihrer Kinder in Belgien widmete, weiterhin den Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats unterlag, kam der Gerichtshof meines Erachtens aufgrund des Umstands, dass Frau Kauer sich erst nach der Geburt ihres jüngsten Kindes in Belgien niederließ.

( 17 ) Zwar erging das Urteil Reichel-Albert nach dem Inkrafttreten von Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009, der Gerichtshof stellte jedoch fest, dass auf den in Rede stehenden Sachverhalt das frühere Instrument zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, nämlich die Verordnung Nr. 1408/71 – und nicht die Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 – zeitlich anwendbar war.

( 18 ) Vgl. Urteil Reichel-Albert, Rn. 35.

( 19 ) Ebd.

( 20 ) Ebd., Rn. 40 bis 42.

( 21 ) Wie vom Gerichtshof im Urteil Reichel-Albert angeführt (Rn. 25 und 26), hat der Unionsgesetzgeber in Art. 97 der Verordnung Nr. 987/2009 das Inkrafttreten dieser Verordnung auf den 1. Mai 2010 festgelegt. Im Rahmen des Ausgangsverfahrens erging die von der Revisionswerberin angefochtene Entscheidung der PVA am 29. Dezember 2017, also deutlich nach Inkrafttreten der Verordnung Nr. 987/2009. Diese Verordnung war bereits anwendbar, als die Revisionswerberin bei der PVA einen Antrag auf Alterspension stellte.

( 22 ) Vgl. z. B. Urteil Reichel-Albert, Rn. 27 und 28.

( 23 ) Die PVA hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass nach § 231 Abs. 3 ASVG die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten mit dem ersten vollen Kalendermonat nach der Erfüllung der Voraussetzungen gemäß § 227a oder § 228a der betreffenden Rechtsvorschriften beginnt. Den Akten ist zu entnehmen, dass die Revisionswerberin im Dezember 1987 ihr erstes Kind zur Welt brachte.

( 24 ) Dies ergibt sich jedenfalls aus den Urteilen Elsen (Rn. 33 bis 36), Kauer (Rn. 43 und 44) und Reichel-Albert (Rn. 38 bis 44).

( 25 ) Gegenüber den Sachverhalten, die nach dem Kriterium der „hinreichenden Verbindung“ in Betracht gekommen wären, auf das der Gerichtshof für die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 abstellte.

( 26 ) Insoweit stimme ich mit der Ansicht der Kommission völlig überein, dass mit den Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 bestimmte Zuständigkeitsregelungen vorgesehen werden sollten, um die Freizügigkeit der Unionsbürger zu fördern und nicht um sie einzuschränken. Dies ist sicherlich zutreffend; der Gerichtshof hat in der Tat in ständiger Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass in der Verordnung Nr. 1408/71 und später in der Verordnung Nr. 883/2004 zur Gewährleistung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Selbständigen in der Union unter Beachtung des Grundsatzes ihrer Gleichbehandlung nach den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften eine Koordinierungsregelung geschaffen wurde, die sich u. a. mit der Bestimmung der auf sie anzuwendenden Rechtsvorschriften befasst (vgl. Urteil vom 23. Januar 2019, Zyla, C‑272/17, EU:C:2019:49, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 27 ) Dies bedeutet natürlich nicht, dass die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats auf einen bestimmten grenzüberschreitenden Sachverhalt im Bereich der sozialen Sicherheit anwendbar werden, an sich die Freizügigkeit der Unionsbürger in unzulässiger Weise beschränken dürften. Gleichwohl darf man nicht aus den Augen verlieren, dass Art. 21 AEUV auf dem Grundgedanken beruht, dass, wie sein erster Absatz klarstellt, „[j]eder Unionsbürger … das Recht [hat], sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten“ (Hervorhebung nur hier). Diese Bestimmung ist zwar keine offene Aufforderung an den Gesetzgeber, in die Grundfesten dieses Rechts einzugreifen, meines Erachtens steht jedoch fest, dass der Gesetzgeber im Bereich der sozialen Sicherheit sehr wohl u. a. die rechtlichen Kriterien neu festlegen kann, nach denen eine Person, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, beanspruchen kann, dass das Recht ihres Herkunftsmitgliedstaats auf sie anwendbar bleibt.

( 28 ) Vgl. Erwägungsgründe 12 und 14 der Verordnung Nr. 987/2009. Vgl. auch den 13. Erwägungsgrund des Standpunkts des Europäischen Parlaments, festgelegt in erster Lesung am 9. Juli 2008 im Hinblick auf den Erlass der Verordnung (P6_TC1-COD(2006)0006).

( 29 ) Im ursprünglichen Kommissionsvorschlag wich Art. 44 offenbar sogar noch weiter vom Lösungsansatz in den Urteilen Elsen und Kauer ab und war wie folgt gefasst: „Vorbehaltlich der Zuständigkeit des Mitgliedstaates gemäß Titel II der Verordnung … Nr. 883/2004 muss der Träger des Mitgliedstaates, in dem der Rentenbezieher in den 12 Monaten nach Geburt eines Kindes am längsten gewohnt hat, die in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Kindererziehungszeiten berücksichtigen, sofern auf die betreffende Person nicht aufgrund der Ausübung einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates anwendbar werden“ (Hervorhebung nur hier) (vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung [EG] Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit [KOM[2006] 16 endg.).

( 30 ) Vgl. z. B. die Begründung des Gerichtshofs in seinem Urteil vom 11. April 2013, Jeltes u. a. (C‑443/11, EU:C:2013:224, Rn. 32). In jener Rechtssache ging es um die Auslegung von Art. 65 der Verordnung Nr. 883/2004 und die Frage, ob mit dieser Bestimmung die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu der bis dahin geltenden Bestimmung (nämlich Art. 71 der Verordnung Nr. 1408/71) übernommen oder von ihr abgewichen werden sollte.

( 31 ) Zu einer allgemeinen Erläuterung der kollisionsrechtlichen Regelungen in den Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 vgl. Lhernould, J. P., „New rules on conflicts: regulations 883/2004 and 987/2009“, ERA Forum, Vol. 12, 2011, S. 25 bis 38.

( 32 ) Vgl. Jorens, Y., und Van Overmeiren, F., „General Principles of Coordination in Regulation 883/2004“, European Journal of Social Security, Vol. 11, 2009, S. 66.

( 33 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. März 2020, Pensionsversicherungsanstalt (Rehabilitationsleistungen) (C‑135/19, EU:C:2020:177, Rn. 46). Es wird die Ansicht vertreten, dass das Koordinierungssystem in Titel II der Verordnung Nr. 883/2004 eine Ausschlusswirkung habe, da keine anderen als die dort genannten Rechtsvorschriften Anwendung finden könnten. Vgl. in diesem Sinne Jorens, Y., und Van Overmeiren, F., „General Principles of Coordination in Regulation 883/2004“, European Journal of Social Security, Vol. 11, 2009, S. 72.

( 34 ) Vgl. Urteil vom 23. Januar 2019, Zyla (C‑272/17, EU:C:2019:49, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 35 ) Vgl. den ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 883/2004. Das darin geregelte System von Kollisionsnormen soll den Gesetzgebern der Mitgliedstaaten nur die Befugnis nehmen, den Geltungsbereich und die Anwendungsvoraussetzungen ihrer nationalen Rechtsvorschriften im Hinblick darauf nach ihrem Belieben zu bestimmen, welche Personen ihnen unterliegen und in welchem Gebiet die nationalen Bestimmungen ihre Wirkung entfalten sollen (vgl. Urteil vom 23. Januar 2019, Zyla, C‑272/17, EU:C:2019:49, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Übrigen bleibt gemäß Art. 48 AEUV die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich unberührt, sofern die Letzteren im Einklang mit dem Unionsrecht und insbesondere mit dem Zweck dieser Verordnungen und den Bestimmungen des AEUV über die Freizügigkeit handeln.

( 36 ) Vgl. ähnlich auch Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Reichel-Albert (C‑522/10, EU:C:2012:114, Nrn. 43, 45 und 46).

( 37 ) ABl. 1994, C 241, S. 9, und ABl. 1995, L 1, S. 1.

( 38 ) Vgl. Urteil Kauer, Rn. 45. Hingewiesen sei darauf, dass der Gerichtshof in jener Rechtssache zu dem Schluss kam, dass mit der fraglichen nationalen Regelung in der Tat eine Ungleichbehandlung eingeführt wurde, da diese Regelung die Anrechnung von in einem anderen Mitgliedstaat (Belgien) zurückgelegten Erziehungszeiten vom Anspruch auf Geldleistungen oder entsprechende Leistungen nach österreichischem Bundesrecht abhängig machte. Wie Generalanwältin Sharpston in einer anderen Rechtssache ausgeführt hat, war der Gerichtshof implizit bereit, anzuerkennen, dass Frau Kauer vom unionsrechtlichen Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht hatte, obwohl diese „Freizügigkeit“ vor dem Beitritt Österreichs zur Union ausgeübt worden war (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Wieland und Rothwangl, C‑465/14, EU:C:2016:77, Nrn. 50 und 51).

( 39 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 30. November 2000, Österreichischer Gewerkschaftsbund (C‑195/98, EU:C:2000:655, Rn. 53 und 54). In seinen Schlussanträgen in jener Rechtssache (C‑195/98, EU:C:2000:50, Nr. 147) führte Generalanwalt Jacobs meines Erachtens zu Recht an, dass jedes andere Ergebnis Wanderarbeitnehmer, die in einem „neuen“ Mitgliedstaat arbeiten oder die diesen Staat verlassen möchten, um in einem „alten“ Mitgliedstaat zu arbeiten, in nicht nachvollziehbarer Weise gegenüber Arbeitnehmern benachteiligen würde, die sich auf dem Gebiet der „alten“ Mitgliedstaaten bewegen.

( 40 ) Vgl. z. B. Urteile vom 16. Mai 1979, Tomadini (84/78, EU:C:1979:129, Rn. 21), und vom 6. Oktober 2015, Kommission/Andersen (C‑303/13 P, EU:C:2015:647, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 41 ) Vgl. Urteil vom 6. Oktober 2015, Kommission/Andersen (C‑303/13 P, EU:C:2015:647, Rn. 50). Vgl. ferner die Zusammenfassung dieser Rechtsprechung durch Generalanwalt Bobek in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache E.B. (C‑258/17, EU:C:2018:663, Nr. 47). Hingewiesen sei nebenbei darauf, dass er in Nr. 48 seiner Schlussanträge feststellte, dass derselbe Ansatz auch im Rahmen des Beitritts eines neuen Mitgliedstaats zur Europäischen Union zum Ausdruck kommt, und zwar in Bezug auf die nationale Anwendung (neuer) unionsrechtlicher Vorschriften: Frühere Sachverhalte (d. h. vor dem Beitritt liegende Sachverhalte) sind zu berücksichtigen, wenn sie relevant sind und bei der Anwendung nach dem Beitritt geltender neuer Rechtsvorschriften (erneut) bewertet werden müssen.

( 42 ) Andererseits sieht Art. 87 Abs. 5 der Verordnung Nr. 883/2004 vor, dass „[d]ie Ansprüche einer Person, der vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung in einem Mitgliedstaat eine Rente gewährt wurde, … auf Antrag der betreffenden Person unter Berücksichtigung dieser Verordnung neu festgestellt werden [können]“ (Hervorhebung nur hier).

( 43 ) Vgl. Urteil Reichel-Albert, Rn. 35 und 45 sowie Tenor des Urteils.

( 44 ) Meines Erachtens ist diese Ansicht überzeugender als diejenige der spanischen Regierung. Nach Ansicht dieser Regierung soll der entscheidende Unterschied zwischen der Rechtssache Reichel-Albert und der vorliegenden Rechtssache darin bestehen, dass Frau Reichel-Albert, anders als die Revisionswerberin des Ausgangsverfahrens, nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit in Deutschland weiterhin Arbeitslosengeld bezogen habe. Meines Erachtens dürfte dieser Umstand allein für das Verhältnis der beiden Sachverhalte zueinander keinen Unterschied machen. Zwar war die Klägerin in der Rechtssache Reichel-Albert nach dem 30. Juni 1980 arbeitslos und bezog bis Oktober 1980 Arbeitslosengeld aus Deutschland, wobei sie sich im Juli 1980 in Belgien niederließ (also während sie diese Leistung noch bezog). Dies ändert jedoch nichts daran, dass ihre Kindererziehungszeit erst am 25. Mai 1981 begann, also mehrere Monate nachdem der Bezug dieser Leistung endete.

( 45 ) C‑522/10, EU:C:2012:114.

( 46 ) Vgl. Nr. 67 jener Schlussanträge.

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