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Document 62019TO0616(01)

Beschluss des Gerichts (Zweite Kammer) vom 22. April 2021.
Katjes Fassin GmbH & Co. KG gegen Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum.
Verfahren – Wiederaufnahmeantrag – Unionsmarke – Widerspruchsverfahren – Klage gegen eine Entscheidung des EUIPO, mit der die Eintragung einer Marke teilweise abgelehnt wurde – Zurücknahme des Widerspruchs vor Zustellung der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde – Dem Kläger und dem Gericht unbekannte Tatsache – Antragsfrist – Rechtsschutzinteresse – Zulässigkeit.
Rechtssache T-616/19 REV.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2021:213

 BESCHLUSS DES GERICHTS (Zweite Kammer)

22. April 2021 ( *1 )

„Verfahren – Wiederaufnahmeantrag – Unionsmarke – Widerspruchsverfahren – Klage gegen eine Entscheidung des EUIPO, mit der die Eintragung einer Marke teilweise abgelehnt wurde – Zurücknahme des Widerspruchs vor Zustellung der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde – Dem Kläger und dem Gericht unbekannte Tatsache – Antragsfrist – Rechtsschutzinteresse – Zulässigkeit“

In der Rechtssache T‑616/19 REV,

Katjes Fassin GmbH & Co. KG mit Sitz in Emmerich am Rhein (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte T. Schmitz, S. Stolzenburg-Wiemer, M. Breuer und I. Dimitrov,

Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren,

andere Parteien des Verfahrens:

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch A. Söder als Bevollmächtigte,

Beklagter des abgeschlossenen Rechtsstreits,

und

Haribo The Netherlands & Belgium BV mit Sitz in Breda (Niederlande),

Streithelferin im abgeschlossenen Rechtsstreit,

wegen Wiederaufnahme des durch Beschluss vom 10. Juli 2020, Katjes Fassin/EUIPO – Haribo The Netherlands & Belgium (WONDERLAND) (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), abgeschlossenen Verfahrens

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tomljenović sowie der Richter F. Schalin und I. Nõmm (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund des am 18. September 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Wiederaufnahmeantrags,

aufgrund der am 23. Oktober 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Stellungnahme des EUIPO zum Wiederaufnahmeantrag

folgenden

Beschluss

Sachverhalt

1

Am 18. Januar 2017 meldete die Antragstellerin, die Katjes Fassin GmbH & Co. KG, nach der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) in geänderter Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EU] 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke [ABl. 2017, L 154, S. 1]) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eine Unionsmarke an.

2

Bei der beantragten Marke handelte es sich um das Wortzeichen WONDERLAND. Die Eintragung wurde für Waren der Klasse 30 des Abkommen von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung beantragt.

3

Die Anmeldung wurde im Blatt für Unionsmarken Nr. 2017/017 vom 26. Januar 2017 veröffentlicht.

4

Am 22. März 2017 erhob die Haribo The Netherlands & Belgium BV nach Art. 41 der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt Art. 46 der Verordnung 2017/1001) Widerspruch gegen die Eintragung der Marke WONDERLAND für sämtliche von der Anmeldung erfassten Waren.

5

Der Widerspruch war u. a. auf die ältere Benelux-Wortmarke WONDERMIX gestützt, eingetragen am 1. Juli 2015 unter der Nr. 974248 für Waren in Klasse 30.

6

Als Widerspruchsgrund wurde das Eintragungshindernis des Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001) geltend gemacht.

7

Am 7. September 2018 gab die Widerspruchsabteilung dem Widerspruch wegen Verwechslungsgefahr mit der älteren Benelux-Marke für sämtliche mit der Anmeldung der Marke WONDERLAND beanspruchten Waren statt.

8

Am 6. November 2018 legte die Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren nach den Art. 66 bis 71 der Verordnung 2017/1001 beim EUIPO Beschwerde gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung ein.

9

Mit Entscheidung vom 8. Juli 2019 (Sache R 2164/2018-4) hob die Vierte Beschwerdekammer des EUIPO die Entscheidung der Widerspruchsabteilung teilweise auf, soweit diese das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für einige der mit der angemeldeten Marke beanspruchten Waren bejaht hatte, und bestätigte die Entscheidung der Widerspruchsabteilung, soweit diese für die übrigen Waren das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr bejaht hatte.

10

Am 12. September 2019 erhob die Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren beim Gericht Klage gegen die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer, soweit diese das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für einen Teil der angegriffenen Waren bejaht hatte.

11

Mit Beschluss vom 10. Juli 2020, Katjes Fassin/EUIPO – Haribo The Netherlands & Belgium (WONDERLAND) (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), wies das Gericht die Klage der Antragstellerin ab.

12

Mit Schreiben vom 27. Juli 2020 ersuchte die Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren das EUIPO um Erläuterungen, warum sie nicht darüber informiert worden sei, dass die Widerspruchsführerin, die in der Rechtssache T‑616/19 vor dem Gericht als Streithelferin aufgetreten sei, ihren Widerspruch gegen die Eintragung der Marke WONDERLAND zurückgenommen habe.

13

Mit Schriftsatz, der am 18. September 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin gemäß Art. 169 der Verfahrensordnung des Gerichts in Verbindung mit Art. 44 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt.

14

Mit Schriftsatz, der am 21. September 2020 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren gegen den Beschluss vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), ein Rechtsmittel gemäß Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union eingelegt.

15

Mit Beschluss vom 12. November 2020, Katjes Fassin/EUIPO (C‑446/20 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:910), hat der Gerichtshof das Rechtsmittel für unzulässig erklärt.

Anträge der Parteien

16

Die Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren beantragt,

das Verfahren in der Rechtssache T‑616/19 wiederaufzunehmen;

den Beschluss vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), abzuändern;

dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

17

Das EUIPO beantragt,

den Wiederaufnahmeantrag zurückzuweisen;

der Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

18

Zur Stützung ihres Wiederaufnahmeantrags beruft sich die Antragstellerin auf die Tatsache, dass der Widerspruch der Streithelferin in der Rechtssache T‑616/19 gegen die Eintragung der Marke WONDERLAND zurückgenommen worden sei. Dieser tatsächliche Umstand sei ihr selbst und dem Gericht zum Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), unbekannt gewesen. Ihrer Ansicht nach hätte dieser neue Gesichtspunkt das Gericht, wenn es ihn hätte berücksichtigen können, zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits, als sie ergangen sei, veranlassen können.

19

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 169 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 44 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union beim Gericht nur beantragt werden kann, wenn eine Tatsache von entscheidender Bedeutung bekannt wird, die vor Verkündung des Urteils oder Zustellung des Beschlusses dem Gericht und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei unbekannt war.

20

Sodann lässt sich der ständigen Rechtsprechung entnehmen, dass der Wiederaufnahmeantrag kein Rechtsmittel darstellt, sondern einen außerordentlichen Rechtsbehelf, der es erlaubt, die Rechtskraft einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, auf die sich das Gericht gestützt hat, in Frage zu stellen. Die Wiederaufnahme setzt voraus, dass vor dem Erlass oder der Zustellung der gerichtlichen Entscheidung liegende Umstände tatsächlicher Art entdeckt werden, die dem Gericht, das diese Entscheidung erlassen hat, und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei bis dahin unbekannt waren und die das Gericht, wenn es sie hätte berücksichtigen können, zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits, als sie ergangen ist, hätten veranlassen können (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 4. Dezember 2014, JAS/Kommission, T‑573/11 REV, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1124, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 28. November 2017, Staelen/Bürgerbeauftragter, T‑217/11 REV, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:861, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21

Im Übrigen ist die Wiederaufnahme nach Art. 169 Abs. 2 der Verfahrensordnung unbeschadet der in Art. 44 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union vorgesehenen Frist von zehn Jahren innerhalb von drei Monaten nach dem Tag zu beantragen, an dem der Antragsteller Kenntnis von der Tatsache erhalten hat, auf die er seinen Wiederaufnahmeantrag stützt. Gemäß Art. 169 Abs. 3 Buchst. d der Verfahrensordnung muss der Wiederaufnahmeantrag die Benennung der Beweismittel für das Vorliegen der Tatsachen enthalten, die die Wiederaufnahme rechtfertigen, sowie für die Wahrung der in Art. 169 Abs. 2 genannten Fristen.

22

Außerdem sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Wiederaufnahmeantrags gegen ein Urteil aufgrund des außergewöhnlichen Charakters des Wiederaufnahmeverfahrens eng auszulegen (Beschluss vom 16. April 2012, de Brito Sequeira Carvalho/Kommission, T‑40/07 P-REV und T‑62/07 P-REV, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:182, Rn. 12, vgl. auch Beschluss vom 4. Dezember 2014, JAS/Kommission, T‑573/11 REV, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1124, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 44 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union durch eine Entscheidung eröffnet wird, die das Vorliegen der neuen Tatsache ausdrücklich feststellt, ihr die für die Eröffnung des Wiederaufnahmeverfahrens erforderlichen Merkmale zuerkennt und deshalb den Antrag für zulässig erklärt. Gemäß Art. 169 Abs. 5 der Verfahrensordnung entscheidet das Gericht, nachdem den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, durch Beschluss über die Zulässigkeit des Antrags, ohne der Entscheidung in der Sache vorzugreifen.

24

Diese Gliederung des Verfahrens in zwei Stadien, von denen das erste die Zulässigkeit und das zweite die Sache betrifft, erklärt sich aus der Strenge der Voraussetzungen für die Eröffnung des Wiederaufnahmeverfahrens, die ihrerseits dadurch verständlich wird, dass die Wiederaufnahme die Rechtskraft eines Urteils beseitigt (vgl. Urteil vom 8. Juli 1999, DSM/Kommission, C‑5/93 P, EU:C:1999:364, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25

Die Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags ist unter Berücksichtigung der oben in den Rn. 19 bis 24 dargestellten Erwägungen zu prüfen.

26

Erstens hat das EUIPO in seiner Stellungnahme zum Wiederaufnahmeantrag bestätigt, dass ihm die Streithelferin in der Rechtssache T‑616/19 mit Fax vom 25. Juni 2020 mitgeteilt habe, dass sie den Widerspruch gegen die von der Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren beantragte Eintragung der Marke WONDERLAND zurückgenommen habe.

27

Zweitens wird der Vortrag der Antragstellerin, dieser tatsächliche Umstand sei ihr unbekannt gewesen, vom EUIPO nicht bestritten. Auch die Streithelferin in der Rechtssache T‑616/19 ist diesem Vortrag nicht entgegengetreten, da sie keine Stellungnahme zum Wiederaufnahmeantrag abgegeben hat.

28

Bei der Zurücknahme eines Widerspruchs gegen die Eintragung einer Marke sehen die Prüfungsrichtlinien des EUIPO für Unionsmarken und eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster unter „Unionsmarken“ Teil C Abschnitt 1 Nr. 6.2.2.3. vor, dass „[d]en Beteiligten … eine Bestätigung der Zurücknahme zu[geht]“ und „[d]ie Datenbank des [EUIPO] … unter Berücksichtigung der Zurücknahme des Widerspruchs entsprechend aktualisiert [wird]“. Das EUIPO bestreitet insoweit nicht, dass die Angaben zur Anmeldung der Marke WONDERLAND zum Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), in der betreffenden Datenbank nicht aktualisiert worden waren und die Zurücknahme des Widerspruchs dort folglich nicht vermerkt war. Folglich konnte die Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren, wie sie geltend macht, nicht wissen, dass und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt die Streithelferin in der Rechtssache T‑616/19 tatsächlich mitteilen werde, dass sie ihren Widerspruch zurücknehme.

29

Da der Antragstellerin nicht mitgeteilt worden war, dass der Widerspruch tatsächlich vor der Zustellung des Beschlusses vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), zurückgenommen wurde, ist daher davon auszugehen, dass sie diesen tatsächlichen Umstand zum Zeitpunkt der Zustellung nicht kennen konnte.

30

Drittens ist unter Berücksichtigung der oben in Rn. 29 festgestellten und im Übrigen vom EUIPO nicht in Abrede gestellten Tatsache davon auszugehen, dass der Zeitpunkt, zu dem die Antragstellerin Kenntnis von der Tatsache erhalten hat, auf die der Wiederaufnahmeantrag gestützt ist, nach der Zustellung des Beschlusses vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), liegt, so dass der Wiederaufnahmeantrag vom 18. September 2020 innerhalb der in Art. 169 Abs. 2 der Verfahrensordnung vorgesehenen Frist von drei Monaten ab diesem Zeitpunkt gestellt wurde.

31

Viertens haben das EUIPO und die Streithelferin auch das Gericht nicht über die Zurücknahme des Widerspruchs unterrichtet, so dass ihm dieser tatsächliche Umstand beim Erlass des Beschlusses vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), unbekannt war.

32

Fünftens handelt es sich bei der von der Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren geltend gemachten Tatsache von entscheidender Bedeutung um die Zurücknahme des Widerspruchs der Streithelferin in der Rechtssache T‑616/19 gegen die Eintragung der Marke WONDERLAND.

33

Nach ständiger Rechtsprechung entfällt bei einer Zurücknahme des Widerspruchs im Lauf des Verfahrens vor der Beschwerdekammer, das eine Entscheidung über den Widerspruch zum Gegenstand hat, oder im Lauf des Verfahrens vor dem Unionsrichter, das eine Entscheidung über eine beim EUIPO eingelegte Beschwerde gegen die Widerspruchsentscheidung zum Gegenstand hat, die Grundlage des Verfahrens, das damit gegenstandslos wird (Beschluss vom 9. Februar 2004, Synopharm/HABM – Pentafarma [DERMASYN], T‑120/03, EU:T:2004:33, Rn. 20, vgl. auch Beschluss vom 2. April 2020, Thai World Import & Export/EUIPO – Elvir [Yaco], T‑3/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:150, Rn. 4 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Folglich stellt die Zurücknahme des Widerspruchs eine Tatsache von entscheidender Bedeutung im Sinne von Art. 169 Abs. 1 der Verfahrensordnung dar, da die Fortsetzung des Verfahrens als solche von ihr abhängt.

35

Die Zurücknahme eines auf Art. 8 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 gestützten Widerspruchs führt nämlich, wie die Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren zu Recht unterstreicht, dazu, dass das aus dieser Bestimmung hergeleitete relative Eintragungshindernis, auf das die Beschwerdekammer ihre Entscheidung gestützt hat, rückwirkend entfällt. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht den Beschluss vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), nicht erlassen hätte, wenn ihm die Zurücknahme des Widerspruchs gegen die Eintragung der Marke WONDERLAND vor dem Erlass dieses Beschlusses bekannt gewesen wäre.

36

Daraus folgt, dass sämtliche in Art. 169 der Verfahrensordnung vorgesehenen Voraussetzungen dafür vorliegen, den Wiederaufnahmeantrag für zulässig zu erklären.

37

Dies vorausgeschickt ist die vom EUIPO erhobene Unzulässigkeitseinrede zu prüfen, die auf ein fehlendes Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren gestützt wird. Es macht geltend, dass der Wiederaufnahmeantrag der Antragstellerin keinen Vorteil verschaffen würde, wenn er Erfolg hätte. Aufgrund der Zurücknahme des Widerspruchs gegen die Eintragung der Marke WONDERLAND könne der Beschluss vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), nämlich keine Wirkung entfalten; der Eintragung stehe gemäß Art. 51 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 nichts mehr entgegen.

38

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Rechtsschutzinteresse des Klägers nach ständiger Rechtsprechung bei Klageerhebung gegeben sein muss; andernfalls wäre die Klage unzulässig. Ebenso wie das Rechtsschutzinteresse muss auch der Klagegegenstand bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen – andernfalls ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt –, was voraussetzt, dass die Klage der Partei, die sie erhoben hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (vgl. Urteil vom 7. Juni 2007, Wunenburger/Kommission, C‑362/05 P, EU:C:2007:322, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Obwohl der Gegenstand der Aufhebungsklage infolge der Zurücknahme des Widerspruchs gegen die Eintragung der Marke WONDERLAND weggefallen ist, lässt sich im vorliegenden Fall nicht ausschließen, dass die Antragstellerin im Rahmen des Wiederaufnahmeantrags ein Rechtsschutzinteresse hat.

40

Die Wiederaufnahme stellt nämlich, wie oben in Rn. 20 ausgeführt worden ist, kein Rechtsmittel dar, sondern einen außerordentlichen Rechtsbehelf.

41

Das Rechtsschutzinteresse eines Klägers bestimmt sich zudem, wie oben in Rn. 38 hervorgehoben worden ist, durch den Gegenstand der fraglichen Klage. Hierzu ist festzustellen, dass sich der Gegenstand des außerordentlichen Rechtsbehelfs, den die Wiederaufnahme darstellt, von dem einer Aufhebungsklage oder eines Rechtsmittels unterscheidet, da der außerordentliche Rechtsbehelf speziell darauf gerichtet ist, die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung in Frage zu stellen. Die Infragestellung der Rechtskraft einer für ihn nachteiligen Entscheidung reicht für denjenigen, der die Wiederaufnahme des dadurch abgeschossenen Verfahrens beantragt, aus, um ihm einen Vorteil zu verschaffen, der sein Rechtsschutzinteresse begründet.

42

Im vorliegenden Fall geht der Vorteil, den die Antragstellerin durch das Wiederaufnahmeverfahren erwirken möchte dahin, die Rechtskraft des Beschlusses vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), in Frage zu stellen, der derzeit Teil des Rechtsbestands ist und sachliche und rechtliche Erwägungen enthält, die für sie nachteilig sind. Dieser Vorteil reicht für die Feststellung eines Rechtsschutzinteresses der Antragstellerin zur Einleitung des Wiederaufnahmeverfahrens aus. Überdies ist hervorzuheben, dass die Antragstellerin durch den Beschluss vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), zur Tragung der Kosten verurteilt wurde und dass eine etwaige Wiederaufnahme des durch diesen Beschluss abgeschlossenen Verfahrens ihr auch hinsichtlich der Kostentragung einen Vorteil verschaffen könnte.

43

Folglich ist die vom EUIPO mit der Begründung erhobene Unzulässigkeitseinrede, die Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren habe kein Rechtsschutzinteresse, da der Beschluss vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), keine Auswirkungen habe, zurückzuweisen.

44

In diesem Zusammenhang bestätigt der Beschluss vom 30. April 2020, Zypern/EUIPO (C‑608/18 P, C‑609/18 P und C‑767/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:347, Rn. 31 bis 33), auf den sich das EUIPO zur Stützung seiner aus einem fehlenden Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin hergeleiteten Unzulässigkeitseinrede beruft, vielmehr deren Interesse an der Stellung des Antrags auf Wiederaufnahme des durch den Beschluss vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), abgeschlossenen Verfahrens.

45

In den Rechtssachen, in denen der vom EUIPO angeführte Beschluss ergangen ist, wurde das Verfahren – wie im Übrigen in den meisten Rechtssachen, in denen der Gegenstand einer Aufhebungsklage gegen eine Entscheidung des EUIPO, mit der einem Widerspruch gegen die Eintragung einer Marke stattgegeben wurde, entweder aufgrund der Zurücknahme des Widerspruchs oder aufgrund der Nichtigerklärung der älteren Marke weggefallen ist, während das Verfahren noch beim Gericht oder beim Gerichtshof anhängig war – nämlich mit einem Beschluss über die Erledigung der Hauptsache beendet, mithin einer gerichtlichen Entscheidung, die keine für eine der betroffenen Parteien nachteilige sachliche oder rechtliche Erwägungen enthält.

46

Wäre das Gericht aber in die Lage versetzt worden, die Auswirkungen der Zurücknahme des Widerspruchs durch die Streithelferin in der Rechtssache T‑616/19 zu bestimmen, solange das Verfahren bei ihm noch anhängig war, hätte es gegebenenfalls einen Beschluss über die Erledigung der Hauptsache anstelle eines Beschlusses erlassen können, der für die Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren nachteilige sachliche und rechtliche Erwägungen enthält. Da dies hier nicht der Fall war, ist der außerordentliche Rechtsbehelf der Wiederaufnahme gerade der einzige, der es der Antragstellerin ermöglicht, beim Gericht den Erlass einer Entscheidung zu beantragen, die unter Berücksichtigung der Zurücknahme des Widerspruchs keine für sie nachteiligen sachlichen oder rechtlichen Erwägungen enthält.

47

Der Wiederaufnahmeantrag kann auch nicht einem Antrag auf Gutachten oder einer rein theoretischen Frage im Sinne des Urteils vom 19. Juni 2009, Socratec/Kommission (T‑269/03, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:211, Rn. 38), gleichgestellt werden, die die Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren an das Gericht richten würde. Sie ersucht das Gericht nämlich konkret darum, die Rechtskraft des Beschlusses vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), mit einer Wiederaufnahmeentscheidung zu durchbrechen, die einen möglicherweise entscheidenden tatsächlichen Umstand berücksichtigt, der ihnen nicht zur Kenntnis gebracht worden war. Hierzu ist daran zu erinnern, dass dieser Beschluss für die Antragstellerin im Wiederaufnahmeverfahren nachteilige sachliche und rechtliche Erwägungen enthält sowie ihr die Kosten auferlegt und dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich diese Erwägungen sowie die Auferlegung der Kosten nicht in einer Entscheidung des Gerichts wiedergefunden hätten, wenn die Zurücknahme des Widerspruchs ihm rechtzeitig zur Kenntnis gebracht worden wäre.

48

Nach alledem ist festzustellen, dass die in Art. 169 Abs. 1 der Verfahrensordnung vorgesehenen Zulässigkeitskriterien erfüllt sind und die Antragstellerin über ein Rechtsschutzinteresse verfügt, um die Wiederaufnahme des mit dem Beschluss vom 10. Juli 2020, WONDERLAND (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), abgeschlossenen Verfahrens zu beantragen.

49

Der Wiederaufnahmeantrag ist daher zulässig.

Kosten

50

Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten, bis über den Wiederaufnahmeantrag in der Sache entschieden ist.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

beschlossen:

 

1.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des durch den Beschluss vom 10. Juli 2020, Katjes Fassin/EUIPO – Haribo The Netherlands & Belgium (WONDERLAND) (T‑616/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:334), abgeschlossenen Verfahrens ist zulässig.

 

2.

Das Verfahren wird in der Sache fortgesetzt. Der Katjes Fassin GmbH & Co. KG, dem Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) und der Haribo The Netherlands & Belgium BV wird eine Frist zur Vorlage einer Stellungnahme in der Sache gesetzt.

 

3.

Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

 

Luxemburg, den 22. April 2021

Der Kanzler

E. Coulon

Die Präsidentin

V. Tomljenović


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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