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Document 62019TJ0235

Urteil des Gerichts (Zehnte Kammer) vom 9. Juni 2021 (Auszüge).
Health Information Management (HIM) gegen Europäische Kommission.
Schiedsklausel – Im Rahmen des Programms zur Unterstützung der Politik für Informations- und Kommunikations-Technologien (IKT) geschlossene Finanzhilfevereinbarungen – Prüfbericht – Von der Kommission ausgestellte Belastungsanzeigen – Untersuchung des OLAF – Nichtigkeitsklage – Widerklage – Vollständige Erstattung der Finanzhilfen – Schadensersatz.
Rechtssache T-235/19.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2021:343

 URTEIL DES GERICHTS (Zehnte Kammer)

9. Juni 2021 ( *1 )

„Schiedsklausel – Im Rahmen des Programms zur Unterstützung der Politik für Informations- und Kommunikations-Technologien (IKT) geschlossene Finanzhilfevereinbarungen – Prüfbericht – Von der Kommission ausgestellte Belastungsanzeigen – Untersuchung des OLAF – Nichtigkeitsklage – Widerklage – Vollständige Erstattung der Finanzhilfen – Schadensersatz“

In der Rechtssache T‑235/19,

Health Information Management (HIM) mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt P. Zeegers,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch J. Estrada de Solà und M. Ilkova als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend zum einen eine auf Art. 272 AEUV gestützte Klage auf Feststellung, dass die Kommission die Belastungsanzeigen Nr. 3241901815 und Nr. 3241901886 vom 4. Februar 2019, mit denen die Rückzahlung der Beträge von 94445 Euro bzw. 121517 Euro aufgrund der Finanzhilfevereinbarungen Nr. 225023 für das Projekt „ElDeRly-friEndly Alarm handling and MonitorING (Dreaming)“ und Nr. 250449 für das Projekt „Health monitoring and sOcial integration environMEnt for Supporting WidE ExTension of independent life at HOME (HOME SWEET HOME)“ begehrt wird, die im Rahmen des durch den Beschluss Nr. 1639/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 2006 zur Einrichtung eines Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (2007-2013) vorgesehenen Programms zur Unterstützung der Politik für Informations- und Kommunikations-Technologien (IKT) geschlossen wurden, unter Verstoß gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen ausgestellt hat und diese Beträge daher nicht geschuldet werden, und, soweit erforderlich, eine auf Art. 263 AEUV gestützte Klage auf Nichtigerklärung dieser Belastungsanzeigen sowie zum anderen eine Widerklage der Kommission auf Verurteilung von HIM zur vollständigen Rückzahlung der aufgrund der genannten Vereinbarungen erhaltenen Finanzhilfen und zur Zahlung von 58876,50 Euro als Schadensersatz,

erlässt
DAS GERICHT (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kornezov sowie der Richter E. Buttigieg und G. Hesse (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

folgendes

Urteil ( 1 )

Vorgeschichte des Rechtsstreits

[nicht wiedergegeben]

2

Die Klägerin gehört zwei Konsortien an, die sich aus den Begünstigten zweier Finanzhilfevereinbarungen zusammensetzen, die im Rahmen des mit dem Beschluss Nr. 1639/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 2006 zur Einrichtung eines Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (2007-2013) (ABl. 2006, L 310, S. 15, im Folgenden: WI-Rahmenprogramm) aufgestellten Programms zur Unterstützung der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) geschlossen wurden.

3

Die erste Vereinbarung mit der Nr. 225023 wurde am 10. Oktober 2008 zwischen der Europäischen Gemeinschaft, vertreten durch die Europäische Kommission, und der Tesan Televita Srl als Koordinatorin des Projekts „ElDeRly-friEndly Alarm handling and MonitorING (Dreaming)“ (im Folgenden: Vereinbarung Dreaming bzw. Projekt Dreaming) geschlossen. Die zweite Vereinbarung mit der Nr. 250449 wurde am 31. Mai 2010 zwischen der Gemeinschaft, vertreten durch die Kommission, und der Digipolis SCRL als Koordinatorin des Projekts „HOME SWEET HOME: Health monitoring and sOcial integration environMEnt for Supporting WidE ExTension of independent life at HOME“ (im Folgenden: Vereinbarung HOME SWEET HOME bzw. Projekt HOME SWEET HOME) geschlossen.

4

Die Projekte Dreaming und HOME SWEET HOME sollten älteren Menschen, die ihre Selbständigkeit zu verlieren drohten, den Verbleib im eigenen Haushalt durch eine Kombination technischer Geräte und Systeme ermöglichen, zu denen ein angepasstes Mobiltelefon und ein leicht zu bedienendes Videotelefoniesystem gehörten, die mit sozialmedizinischen Hilfszentren verbunden waren.

[nicht wiedergegeben]

24

Im Rahmen der Durchführung dieser beiden Projekte beauftragte die Kommission die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PKF Littlejohn LLP mit einer Prüfung, die zwischen dem 18. April 2014 und dem 27. Mai 2015 durchgeführt wurde.

25

In der Zwischenzeit hatte das OLAF am 30. April 2015 eine Untersuchung eingeleitet, bei der es u. a. um den Vorwurf betrügerischer Handlungen ging, die die Klägerin bei der Durchführung der streitigen Vereinbarungen begangen haben soll.

[nicht wiedergegeben]

35

Mit Vorabinformationsschreiben vom 20. September 2018 wies die Kommission darauf hin, dass zur Umsetzung der Schlussfolgerungen des Prüfberichts Beträge von 94445 Euro für das Projekt Dreaming und von 121517 Euro für das Projekt HOME SWEET HOME zurückgefordert werden müssten, die den nicht förderfähigen Kosten entsprächen, soweit sie von der Kommission finanziert und an die Klägerin gezahlt worden seien. Sie forderte die Klägerin auf, innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt dieses Schreibens Stellung zu nehmen; andernfalls werde sie Belastungsanzeigen ausstellen, um das Verfahren zur Eintreibung dieser Beträge einzuleiten.

[nicht wiedergegeben]

37

Der Bericht des OLAF wurde am 13. November 2018 fertiggestellt. In den Schlussfolgerungen dieses Berichts kam das OLAF im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zwischen dem Jahr 2008 und dem Jahr 2014 mehrere Unregelmäßigkeiten begangen habe, insbesondere im Zusammenhang mit den Projekten Dreaming und HOME SWEET HOME. Es wurden drei Arten von Unregelmäßigkeiten festgestellt. Die erste betraf im Wesentlichen einen Interessenkonflikt auf Seiten der Klägerin, weil diese ihre Partner der mit der Durchführung der genannten Projekte betrauten Konsortien (im Folgenden: Konsortialpartner) dahin gehend beeinflusst habe, dass sie als Lieferanten ein mit der Klägerin verbundenes Unternehmen auswählten, und weil sie Provisionen auf die Verkäufe dieses Unternehmens erhalten habe. Die zweite im Bericht festgestellte Art von Unregelmäßigkeiten betraf den Vorwurf, die Klägerin habe zu hohe Personalkosten in Rechnung gestellt. Die dritte Art von Unregelmäßigkeiten soll im Wesentlichen darin bestanden haben, dass für bestimmte Produkte, die für die Durchführung der in Rede stehenden Projekte erforderlich gewesen seien, überhöhte Preise in Rechnung gestellt worden seien.

[nicht wiedergegeben]

39

Am 4. Februar 2019 übersandte die Kommission der Klägerin zwei Belastungsanzeigen über die Rückforderung des Teils des Finanzbeitrags der Union, der in Bezug auf das Projekt Dreaming und das Projekt HOME SWEET HOME als nicht gerechtfertigt angesehen wurde, nämlich die Belastungsanzeige Nr. 3241901815 in Höhe von 94445 Euro und die Belastungsanzeige Nr. 3241901886 in Höhe von 121517 Euro. In beiden Belastungsanzeigen setzte die Kommission den 18. März 2019 als letzten Zahlungstag fest.

Verfahren und Anträge der Parteien

40

Mit Klageschrift, die am 4. April 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

41

Am 12. Juli 2019 hat die Kommission bei der Kanzlei des Gerichts eine Klagebeantwortung eingereicht, die eine Widerklage enthielt.

42

Die Klägerin hat die Erwiderung am 5. September 2019 eingereicht.

43

Am 7. November 2019 hat die Klägerin einen ergänzenden Schriftsatz eingereicht, der den neuen Antrag enthielt, der Kommission aufzugeben, den Namen der Klägerin aus dem Früherkennungs- und Ausschlusssystem (EDES) zu entfernen.

44

Am 6. Januar 2020 hat die Kommission die Gegenerwiderung eingereicht, die ihre Stellungnahme zum ergänzenden Schriftsatz der Klägerin enthielt.

45

Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen, die am 9. Juni bzw. 4. August 2020 auf der Grundlage von Art. 89 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts erlassen wurden, hat das Gericht den Parteien Fragen gestellt, die diese fristgerecht beantwortet haben.

46

Da ein Mitglied der Zehnten Kammer an der weiteren Mitwirkung am Verfahren gehindert war, hat der Präsident des Gerichts am 10. August 2020 gemäß Art. 17 Abs. 2 der Verfahrensordnung einen anderen Richter dazu bestimmt, die Kammer zu ergänzen.

47

Da keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens einen entsprechenden Antrag gestellt hat, hat das Gericht, das sich für durch die Aktenstücke hinreichend unterrichtet hielt, gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung beschlossen, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden.

48

Die Klägerin beantragt,

für Recht zu erkennen, dass sie die am 4. Februar 2019 ausgestellten Belastungsanzeigen Nr. 3241901815 und Nr. 3241901886 nicht bezahlen muss,

soweit erforderlich, diese Belastungsanzeigen für nichtig zu erklären,

der Kommission aufzugeben, den Namen der Klägerin aus der EDES-Datenbank zu entfernen,

die Widerklage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen,

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

49

Die Kommission beantragt,

den Hauptantrag der Klägerin auf Feststellung, dass gegen sie keine Ansprüche bestehen, als unbegründet zurückzuweisen,

den ergänzenden Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung der am 4. Februar 2019 ausgestellten Belastungsanzeigen Nr. 3241901815 und Nr. 3241901886 als unzulässig zurückzuweisen,

den im ergänzenden Schriftsatz der Klägerin vom 7. November 2019 gestellten Antrag auf Anordnung der Streichung ihres Namens aus der EDES-Datenbank als unzulässig zurückzuweisen,

festzustellen, dass die der Klägerin in der Widerklage vorgeworfenen Vertragsverletzungen Unregelmäßigkeiten darstellen,

die Klägerin zu verurteilen, ihr alle erhaltenen Finanzhilfen in Höhe von 230348 Euro für das Projekt Dreaming und in Höhe von 282451 Euro für das Projekt HOME SWEET HOME zurückzuzahlen,

die Klägerin zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 58876,50 Euro zu verurteilen,

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

Zur Zuständigkeit des Gerichts und zur Zulässigkeit der Klage und der Widerklage

Zur Zuständigkeit des Gerichts

50

Es ist festzustellen, dass sich die Zuständigkeit des Gerichts für die Entscheidung über die vorliegende, nach Art. 272 AEUV erhobene Klage aus der Schiedsklausel in Art. 10 Abs. 3 der beiden streitigen Vereinbarungen ergibt, die dem Gericht die Zuständigkeit für die Entscheidung aller Rechtsstreitigkeiten über die Auslegung, Durchführung oder Gültigkeit dieser Vereinbarungen verleiht.

51

Aus dem gleichen Grund ist das Gericht auch für die Entscheidung über die von der Kommission erhobene Widerklage zuständig. Nach der Rechtsprechung erstreckt sich die bei Klageerhebung bestehende Zuständigkeit des Gerichts für die Entscheidung über eine aufgrund einer Schiedsklausel erhobene Klage nämlich zwangsläufig auf die Zuständigkeit für die Entscheidung über eine im Rahmen dieser Klage von einem Organ erhobene Widerklage, die auf die vertragliche Beziehung oder auf den der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt gestützt wird oder in unmittelbarem Zusammenhang mit den Verpflichtungen aus dem Vertrag steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2014, Isotis/Kommission, T‑59/11, EU:T:2014:679, Rn. 265 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ebenso wie die Klage der Klägerin stützt sich auch die Widerklage der Kommission auf die zwischen den Parteien durch die streitigen Vereinbarungen begründete vertragliche Beziehung. Außerdem betrifft diese Widerklage die Rückzahlung sämtlicher Beträge, die aufgrund der streitigen Vereinbarungen an die Klägerin gezahlt wurden, so dass sie die Beträge umfasst, die Gegenstand der mit der Klage angefochtenen Belastungsanzeigen sind.

[nicht wiedergegeben]

Zur Begründetheit

Zur Widerklage

76

Die Widerklage ist zuerst zu prüfen, weil sie auf die Rückzahlung sämtlicher Beträge gerichtet ist, die der Klägerin aufgrund der streitigen Vereinbarungen gezahlt wurden, so dass sie die Beträge umfasst, die Gegenstand der mit der Klage angefochtenen Belastungsanzeigen sind.

77

Die Widerklage ist darauf gerichtet, die Klägerin aufgrund der streitigen Vereinbarungen zur Zahlung von 571675,50 Euro zu verurteilen. Dieser Antrag stützt sich auf die Schlussfolgerungen des Berichts des OLAF.

78

In Bezug auf diesen Bericht macht die Kommission geltend, bei der Klägerin seien Unregelmäßigkeiten im Rahmen der Durchführung der Projekte Dreaming und HOME SWEET HOME festgestellt worden. Die Kommission hebt die beiden ihrer Ansicht nach eklatantesten Unregelmäßigkeiten hervor, nämlich erstens das Vorliegen eines Interessenkonflikts und zweitens die Berechnung überhöhter Preise für die Geräte und die Vereinnahmung von Verkaufsprovisionen.

79

Zur ersten dieser geltend gemachten Unregelmäßigkeiten weist die Kommission darauf hin, dass die Klägerin 25 % der Anteile am Kapital der Gesellschaft XJ halte. In diesem Zusammenhang wirft die Kommission der Klägerin vor, ihre Konsortialpartner im Rahmen dieser Projekte dazu veranlasst zu haben, die für die Durchführung dieser Projekte erforderlichen Geräte von XJ zu erwerben. Darüber hinaus wirft sie der Klägerin vor, weder der Kommission noch ihren Konsortialpartnern die Gefahr eines Interessenkonflikts angezeigt zu haben. Vielmehr habe die Klägerin zwei falsche Erklärungen über das Nichtvorliegen eines Interessenkonflikts abgegeben, bevor sie als Empfängerin von Finanzhilfen für die beiden in Rede stehenden Projekte zugelassen worden sei.

80

Zur zweiten behaupteten Unregelmäßigkeit trägt die Kommission u. a. vor, dass die Klägerin von XJ Verkaufsprovisionen in Höhe von 5 % bis 10 % als Gegenleistung für den von ihr im Rahmen dieser Projekte vermittelten Verkauf der Geräte erhalten habe. Außerdem habe die Klägerin dazu beigetragen, den Preis bestimmter Geräte künstlich zu erhöhen. Insoweit weist die Kommission darauf hin, dass für diese Projekte der Kauf des Mobiltelefonmodells Z zu einem Stückpreis von 1018 Euro vorgesehen gewesen sei. Später sei dieses Modell jedoch durch ein preiswerteres Modell ersetzt worden, nämlich durch das Modell Y zu einem Stückpreis von 616 Euro. Die Kommission führt einen Schriftwechsel an, aus dem hervorgehen soll, dass die Klägerin, XJ und ein drittes Unternehmen in diesem Zusammenhang beschlossen hätten, den Preis anderer für die in Rede stehenden Projekte vorgesehener Geräte künstlich zu erhöhen, um die Kostendifferenz von 70350 Euro untereinander aufzuteilen. So sei der Preis für ein Videotelefonie-Terminal von 438,50 Euro auf 577 Euro und der Preis für die zugehörige Software von 200 Euro auf 422 Euro erhöht worden.

[nicht wiedergegeben]

Zu den behaupteten Unregelmäßigkeiten

117

Die Kommission wirft der Klägerin vor, insbesondere gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen aus Klausel II.3 Buchst. g und i der Allgemeinen Bedingungen der beiden streitigen Vereinbarungen und gegen den im belgischen Recht, das für die streitigen Vereinbarungen hilfsweise gelte, vorgesehenen Grundsatz der Vertragserfüllung nach Treu und Glauben verstoßen zu haben. Hierzu macht sie geltend, es bestehe ein Interessenkonflikt im Zusammenhang mit der Kapitalbeteiligung an einem Lieferanten bestimmter Geräte sowie dem Bezug von Verkaufsprovisionen und der Ausstellung überhöhter Rechnungen.

[nicht wiedergegeben]

124

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen eines Vertrags, der eine Schiedsklausel im Sinne von Art. 272 AEUV enthält, Sache der Partei ist, die der Kommission Kostennachweise für die Gewährung einer Finanzhilfe der Union vorgelegt hat, zu beweisen, dass es sich bei diesen Kosten um tatsächliche Kosten handelte, die für die Durchführung des Projekts unumgänglich waren und während seiner Laufzeit tatsächlich aufgewandt wurden. Verlangt hingegen die Kommission nach einer Finanzprüfung die Rückzahlung einer Forderung, obliegt ihr – sofern der Begünstigte die Kostenaufstellungen und sonstigen einschlägigen Angaben vorgelegt hat – die Beweislast dafür, dass die vertragliche Leistung mangelhaft ist oder dass die Kostenaufstellungen nicht korrekt oder glaubwürdig sind (vgl. Urteil vom 13. Juli 2017, Talanton/Kommission, T‑65/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:491, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

125

Da die Klägerin im vorliegenden Fall die Kostenaufstellungen und sonstigen einschlägigen Angaben vorgelegt hat, obliegt es der Kommission, konkrete Beweise dafür vorzulegen, dass die vertraglichen Leistungen der Klägerin im Hinblick auf die Verpflichtungen, die diese im Rahmen der streitigen Vereinbarungen eingegangen ist, mangelhaft waren.

126

Zunächst ist festzustellen, dass sich aus Klausel II.3 Buchst. g der Allgemeinen Bedingungen der streitigen Vereinbarungen ergibt, dass die Gefahr eines Interessenkonflikts eine Konvergenz wirtschaftlicher Interessen, politische oder nationale Affinitäten, familiäre oder emotionale Bindungen oder eine sonstige Art von Interessen voraussetzt. Diese Konvergenz, diese Affinitäten oder diese Bindungen müssen daher im Anschluss an eine konkrete Beurteilung des Vertragsgegenstands und der Situation der betroffenen Parteien tatsächlich festgestellt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Januar 2019, EKETA/Kommission, T‑166/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:26, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).

127

Da in dieser Klausel der Allgemeinen Bedingungen von der „Gefahr“ eines Interessenkonflikts die Rede ist, der die unparteiische und objektive Ausführung des Projekts beeinträchtigen „kann“, wird hingegen kein Nachweis verlangt, dass dieser Konflikt tatsächlich Einfluss auf die Durchführung des Vertrags oder deren Kosten hat oder hatte (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Januar 2019, EKETA/Kommission, T‑166/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:26, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).

128

Im vorliegenden Fall beruht der behauptete Interessenkonflikt auf zwei Gesichtspunkten, nämlich dem Umstand, dass die Klägerin Verkaufsprovisionen von XJ erhielt, und dem Umstand, dass die Klägerin Minderheitsaktionärin dieser Gesellschaft war.

– Zum behaupteten Interessenkonflikt wegen der Kapitalbeteiligung der Klägerin an einem Lieferanten

129

Zunächst ist unstreitig, dass die Klägerin 25 % der Kapitalanteile an XJ hielt und dies der Kommission nicht angezeigt hatte.

130

Ferner hat die Kommission nachgewiesen, dass die konkreten Handlungen der Klägerin im Rahmen der Durchführung der beiden in Rede stehenden Projekte geeignet waren, die unparteiische und objektive Durchführung dieser Projekte im Sinne von Klausel II.3 Buchst. g der Allgemeinen Bedingungen der streitigen Vereinbarungen zu gefährden.

131

Hierzu ist festzustellen, dass die Auswahl der von XJ vorgeschlagenen Produkte und Lösungen auf Initiative der Klägerin bereits vor der Unterzeichnung der Vereinbarung Dreaming getroffen worden war, wie sich aus der Beschreibung des Projekts in Anhang I dieser Vereinbarung ergibt. Wie die Kommission in Rn. 72 der Klagebeantwortung dargelegt hat, war das Projekt HOME SWEET HOME eine Fortsetzung des Projekts Dreaming, so dass die gleichen Produkte beibehalten wurden.

132

Außerdem ist auf die mangelnde Transparenz der Klägerin in Bezug auf ihre Verbindungen zu XJ hinzuweisen. Wie oben in den Rn. 108 und 109 ausgeführt, steht fest, dass zumindest einige der Konsortialpartner über die Art dieser Verbindungen nicht informiert waren. Darüber hinaus hat die Klägerin es unterlassen, die Kommission über ihre Verbindungen zu dem Lieferanten der bereits in der Beschreibung des Projekts Dreaming aufgeführten Geräte zu informieren, und sogar, wie bereits in Rn. 121 festgestellt, falsche Erklärungen vorgelegt, wonach kein Interessenkonflikt bestehe.

133

Schließlich drängte die Klägerin ihre Konsortialpartner, die Geräte bei XJ zu erwerben, und zwar u. a. mit der Begründung, dass es auf dem Markt keine anderen für die Durchführung der Projekte geeigneten Geräte gebe. Aus dem E‑Mail-Austausch in Anlage B.20, insbesondere aus der E‑Mail vom 10. August 2010, die die Klägerin an ihre mit dem Projekt HOME SWEET HOME betrauten Konsortialpartner geschickt hatte, geht nämlich hervor, dass die Klägerin sich im Zusammenwirken mit XJ bemühte, von diesen Partnern Bestellungen für den Kauf der Produkte dieses Unternehmens einzuholen, indem sie ihnen insbesondere vorgedruckte Bestellformulare übersandte.

134

Daher ist im Einklang mit der vorstehend in den Rn. 124 bis 127 angeführten Rechtsprechung festzustellen, dass die Kommission konkrete Beweise dafür vorgelegt hat, dass die Klägerin in einen Interessenkonflikt verwickelt war, der die unparteiische und objektive Durchführung der Vereinbarungen beeinträchtigen konnte, was einen Verstoß gegen Klausel II.3 Buchst. g der Allgemeinen Bedingungen der beiden streitigen Vereinbarungen darstellt.

135

Das Vorbringen der Klägerin kann die vorstehenden Ausführungen nicht in Frage stellen.

136

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Verbindungen zwischen ihr und XJ hätten dem Haushalt für die Projekte nicht geschadet, so dass sie nicht gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen im Hinblick auf das Vorliegen eines Interessenkonflikts verstoßen habe. Sie macht insbesondere geltend, dass die von XJ gelieferten Geräte die einzigen Produkte gewesen seien, die die Durchführung der Projekte ermöglicht hätten.

137

Es ist festzustellen, dass die angeblich ausschließliche Eignung der Geräte von XJ nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen ist, u. a. weil die von XL durchgeführte Ausschreibung, wie sich aus Rn. 76 der Klagebeantwortung der Kommission und aus Anhang B.25 ergibt, zur Abgabe von mindestens vier Angeboten für das Projekt HOME SWEET HOME mit einem Konkurrenzprodukt von XJ geführt hatte. Außerdem hat die Klägerin, wie die Kommission zu Recht festgestellt hat, das ursprünglich vorgesehene Telefonmodell durch ein anderes Modell ersetzt, was darauf hinweist, dass zumindest einige der in den beiden Projekten verwendeten Geräte austauschbar waren. Zudem hat die Klägerin, sollte die Lösung von XJ tatsächlich die einzig mögliche gewesen sein, nicht erklärt, warum sie die für den Kauf der Geräte zuständigen sozialmedizinischen Partner angeschrieben und gedrängt hat, ein zum Kauf der Produkte dieses Unternehmens führendes Verfahren einzuleiten (vgl. oben, Rn. 133). Das Fehlen einer technischen Lösung, die mit der von XJ konkurrierte, hätte für XJ nämlich eine privilegierte Verhandlungsposition zur Folge haben müssen. Für die Einmischung der Klägerin in diese Beschaffungsverfahren gibt es somit keine andere Erklärung als die von der Kommission vorgetragene.

138

Auch das übrige Vorbringen der Klägerin ist nicht geeignet, die von der Kommission vorgelegten konkreten Beweise zu entkräften.

139

So trifft es zwar zu, dass die Kommission, wie die Klägerin geltend macht, Kenntnis von der Absicht hatte, die Ausrüstung von XJ zu erwerben, bevor sie sich zur Finanzierung der Projekte verpflichtete, was aber nichts daran ändert, dass die Kommission vor der Untersuchung des OLAF keine Kenntnis von den Verbindungen der Klägerin zu XJ hatte.

140

Zudem kann auch das Argument der Klägerin, ihre Minderheitsbeteiligung an einem der Lieferanten für die beiden in Rede stehenden Projekte habe keine Gefahr eines Interessenkonflikts mit sich gebracht, keinen Erfolg haben. Der Umstand, Anteilseigner – wenn auch nur als Minderheitsaktionär – des Hauptlieferanten von Geräten für die genannten Projekte zu sein, birgt nämlich die Gefahr einer Konvergenz wirtschaftlicher Interessen in sich, die unter Klausel II.3 Buchst. g der Allgemeinen Bedingungen der streitigen Vereinbarungen fällt.

141

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Klägerin die von der Kommission vorgelegten Beweise für einen bei ihr vorliegenden Interessenkonflikt, der geeignet war, die Durchführung der in Rede stehenden Projekte und die Höhe der Finanzhilfen zu Lasten des von der Union verwalteten Haushalts zu beeinflussen, nicht rechtlich hinreichend widerlegt hat, weil sie im Hinblick auf ihre Beteiligung an XJ nicht nachgewiesen hat, dass der Erwerb der von diesem Unternehmen vertriebenen Geräte die einzige Möglichkeit gewesen sei, bzw., sollte dies nicht der Fall gewesen sein, dass diese Wahl allein auf dem Preis-Leistungs-Verhältnis dieser Produkte beruht habe.

142

Folglich ergibt sich aus all diesen Erwägungen, dass das Vorbringen der Kommission zum Vorliegen eines nicht angezeigten Interessenkonflikts wegen der Kapitalbeteiligung der Klägerin an einem Zulieferer erwiesen ist.

– Zum behaupteten Interessenkonflikt im Zusammenhang mit Provisionen, die die Klägerin für die von einem Lieferanten erzielten Verkäufe erhalten habe, und mit der behaupteten Ausstellung überhöhter Rechnungen

143

Was erstens die Verkaufsprovisionen betrifft, die die Klägerin erhalten haben soll, ist festzustellen, dass die Klägerin unstreitig eine Rechnung über eine Provision in Höhe von 45991 Euro für im Rahmen des Projekts Dreaming in den Jahren 2008 und 2009 erzielte Umsätze an XJ ausgestellt hat. Insoweit hat XJ bestätigt, für Verkäufe, die unter Mitwirkung der Klägerin getätigt wurden, Verkaufsprovisionen in Höhe von 5 % bis 10 % gezahlt zu haben. Die Kommission verweist auf ein Schreiben der Klägerin, aus dem hervorgehen soll, dass diese einräumt, dass sie Verkaufsprovisionen u. a. für Verkäufe im Rahmen des Projekts Dreaming erhalten habe und diese Einkünfte hätte anzeigen müssen.

144

Die Kommission macht geltend, die Vereinnahmung einer Verkaufsprovision verstoße gegen mehrere im vorliegenden Fall anwendbare Regelungen, nämlich gegen Klausel II.3 Buchst. g und i der Allgemeinen Bedingungen der streitigen Vereinbarungen sowie gegen den Grundsatz der Vertragserfüllung nach Treu und Glauben und damit gegen Art. 1134 des belgischen Zivilgesetzbuchs. Außerdem sei das in Rede stehende Verhalten auch als Unregelmäßigkeit im Sinne von Klausel II.1 dieser Allgemeinen Bedingungen einzustufen.

145

Die Klägerin hält dem entgegen, durch die Vereinnahmung von Verkaufsprovisionen im Rahmen des Projekts Dreaming habe sie keine Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder vertraglichen Bestimmungen verletzt. Es handele sich um eine gängige Geschäftspraxis. Jedenfalls sei nicht erwiesen, dass der Bezug solcher Provisionen zu einer Erhöhung der Preise der für die Durchführung dieses Projekts erworbenen Produkte geführt habe.

146

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass sich der Umstand, dass die Klägerin Verkaufsprovisionen erhalten hat, in den vorstehend in den Rn. 126 bis 140 festgestellten Kontext eines bei ihr bestehenden Interessenkonflikts einfügt, der sich aus ihrer Verbindung zu XJ ergibt. Zum einen hat die Klägerin, wie oben in Rn. 137 dargelegt, nicht nachgewiesen, dass die Wahl der von XJ vertriebenen Geräte auf dem Preis-Leistungs-Verhältnis dieser Geräte und nicht allein auf ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen beruhte. Somit war die Vereinnahmung von Verkaufsprovisionen durch die Klägerin zumindest geeignet, die Wahl dieser Geräte zu beeinflussen. Zum anderen waren die von XJ an die Klägerin gezahlten Verkaufsprovisionen geeignet, die Gesamtkosten der Geräte zu erhöhen und so die Haushalte für die in Rede stehenden Projekte zu schädigen.

147

Die Klägerin macht lediglich geltend, dass der Umstand, dass XJ aufgrund ihrer Mitwirkung eine bestimmte Menge von Produkten habe verkaufen können, zu einem Rückgang der Stückpreise geführt habe. Diese Behauptung stützt sich jedoch nicht auf konkrete Beweise. Insbesondere ist in keiner Weise nachgewiesen, dass sich der Bezug von Verkaufsprovisionen positiv auf die Budgets ausgewirkt hätte, die für die in Rede stehenden Projekte bewilligt wurden.

148

Daraus folgt, dass es der Klägerin nicht gelungen ist, die Schlussfolgerung zu entkräften, dass die Vereinnahmung von Verkaufsprovisionen geeignet war, die unparteiische und objektive Durchführung der in Rede stehenden Projekte zu gefährden.

149

Was zweitens die behauptete Ausstellung überhöhter Rechnungen betrifft, legt die Kommission dar, für das Projekt Dreaming hätte ursprünglich in den Wohnungen der älteren Menschen das Mobiltelefonmodell Z installiert werden sollen, das zum Stückpreis von 1018 Euro verkauft worden sei. Im Lauf der Durchführung dieses Projekts sei dieses Modell durch ein preiswerteres Mobiltelefon ersetzt worden, nämlich durch das Modell Y, das zu einem Stückpreis von 616 Euro verkauft worden sei.

150

Die Kommission wirft der Klägerin vor, diese Kostensenkung nicht an das Projekt weitergegeben zu haben, indem sie die Kosten der technischen Geräte für jeden der Teilnehmer herabsetzte, sondern im Gegenteil unter Mithilfe der Unternehmen XJ und XM den als unerwartet bezeichneten Gewinn aus der Kostendifferenz einbehalten und zu gleichen Teilen zwischen ihr und diesen beiden Unternehmen aufgeteilt zu haben. Insoweit stützt sich die Kommission insbesondere auf eine E‑Mail von XJ vom 17. November 2008 an die Klägerin und an XM.

151

Zu diesem Zweck hätten die Klägerin und die beiden genannten Unternehmen die Preise anderer für die Durchführung des Projekts erforderlicher Geräte künstlich erhöht, wie die in Rn. 90 der Klagebeantwortung wiedergegebene Tabelle belege. So seien der Preis eines Videotelefonie-Terminals von 438,50 Euro auf 577 Euro und der Preis für die zugehörige Software von 200 Euro auf 400 Euro heraufgesetzt worden, ohne dass hierfür ein objektiver Grund bestanden hätte.

152

Zur Berechnung des Betrags, um den die Rechnungen überhöht worden seien, hat die Kommission anhand einer Analyse der Rechnungen, die in der von ihr vorgelegten Akte enthalten sind, die Stückzahlen der zu überhöhten Preisen in Rechnung gestellten Geräte ermittelt. Die Preisaufschläge hätten sich auf 45697,50 Euro für das Projekt Dreaming und auf 26064,50 Euro für das Projekt HOME SWEET HOME belaufen, d. h. insgesamt auf 71762 Euro.

153

Die Klägerin macht geltend, die Vorwürfe der Kommission entsprächen nicht den Tatsachen. Während der Durchführung des Projekts Dreaming habe sich herausgestellt, dass das Telefon Z nicht mehr vertrieben werde. Als Lieferantin der technischen Ausrüstung habe XJ daher vorgeschlagen, ein anderes Gerät, nämlich das Telefon Y, zu verwenden, das zum Preis von 616 Euro verkauft worden sei. In der Zwischenzeit seien die Kosten anderer Geräte gestiegen. Jedenfalls habe sich die Transaktion für XJ als weitgehend verlustbringend erwiesen.

154

Im Übrigen räumt die Klägerin ein, dass die Preisänderungen mit XM, die im Rahmen des Projekts Dreaming ebenfalls Empfängerin von Finanzbeihilfen war, und mit XJ erörtert wurden, insbesondere in einer E‑Mail vom 16. Dezember 2008. Die in dieser E‑Mail gemachten Vorschläge, die Preissenkung bei einem Produkt durch eine Preiserhöhung bei anderen Produkten auszugleichen, seien jedoch nicht umgesetzt worden. Außerdem sei es nicht das Ziel der Klägerin gewesen, Gewinne zu erzielen. Nach ihrer Ansicht sei ein Lieferant weder aufgrund einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift noch aufgrund redlicher Handelsbräuche oder des Gebots, Verträge nach Treu und Glauben zu erfüllen, dazu verpflichtet, seinen Angebotspreis herabzusetzen, falls der Preis für einen der zu liefernden Gegenstände sinke. Dies gelte umso mehr, wenn der Preis anderer Waren steige und die Gesamtkosten gleich blieben.

155

Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission anhand der vorgelegten Unterlagen, insbesondere auf der Grundlage des Schriftwechsels zwischen den Geschäftsführern der drei betroffenen Gesellschaften, der die Anlage B.21 bildet, rechtlich hinreichend nachgewiesen, dass die Klägerin nach dem Austausch des Telefonmodells Z durch das preiswertere Modell Y die Preise für das Terminal und die Software in enger Abstimmung mit XJ und XM künstlich erhöht hat. Aus diesem Schriftwechsel geht nämlich insbesondere hervor, dass, „im Zuge des Austauschs des Modells Z durch das Modell Y der Preisunterschied von 402 Euro den Budgets der Gesellschaft XM für die Software und das Terminal zugeschlagen wurde“ und dass es „korrekt [sei], den Restbetrag von 402 Euro zu gleichen Teilen zwischen [XJ, XM und der Klägerin] aufzuteilen“.

156

Der Behauptung der Klägerin, der Vorschlag zur Aufteilung des Restbetrags sei nie umgesetzt worden, kann in Anbetracht der von der Kommission vorgelegten Beweise nicht gefolgt werden. So geht aus der Tabelle im Anhang einer der zwischen der Klägerin, XM und XJ ausgetauschten E‑Mails (Anlage B.21, S. 1124) hervor, dass die Preise der Videotelefonie-Terminals und der zugehörigen Software gestiegen waren. Ferner ergibt sich aus den Rechnungen Nr. 151, 157, 158, 165 und 179, die XJ den Käufern der betreffenden Geräte zugesandt hat, dass die erhöhten Preise tatsächlich in Rechnung gestellt wurden. Die Behauptung der Klägerin, dass die Erhöhung der Preise der Software und des Terminals einem tatsächlichen Anstieg der Marktpreise dieser Produkte entsprochen habe, wird durch keinerlei Beweis untermauert.

157

Die Kommission wirft der Klägerin daher zu Recht vor, gegen Klausel II.3 Buchst. g und i der Allgemeinen Bedingungen sowie gegen den Grundsatz der Vertragserfüllung nach Treu und Glauben verstoßen zu haben.

Zur Einstufung der Verstöße gegen die vertraglichen Verpflichtungen als Unregelmäßigkeiten im Sinne von Klausel II.1 der Allgemeinen Bedingungen der streitigen Vereinbarungen

158

Mit ihrem dritten Antrag begehrt die Kommission die Feststellung, dass die der Klägerin vorgeworfenen Verstöße gegen vertragliche Verpflichtungen Unregelmäßigkeiten im Sinne von Klausel II.1 der Allgemeinen Bedingungen der streitigen Vereinbarungen sind.

159

Nach dieser Klausel II.1 entspricht der Begriff der Unregelmäßigkeit folgender Definition:

„Unregelmäßigkeit: bezeichnet jeden Verstoß gegen eine Bestimmung des Rechts [der Union] oder jede Nichteinhaltung einer Bestimmung dieser Finanzhilfevereinbarung infolge einer Handlung oder Unterlassung einer oder mehrerer Vertragsparteien, die dem Haushalt [der Union] schadet oder schaden kann.“

160

Somit wird der Begriff der Unregelmäßigkeit durch zwei kumulative Kriterien definiert: den Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift oder Vertragsbestimmung und den Umstand, dass dieser Verstoß finanzielle Folgen hat oder haben kann, indem die von der Union verwalteten Haushalte mit nicht gerechtfertigten Ausgaben belastet werden. Dagegen setzt eine solche Definition keine Erheblichkeitsschwelle voraus (vgl. entsprechend Urteil vom 2. Oktober 2012, ELE.SI.A/Kommission, T‑312/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:512, Rn. 107).

161

In dieser Hinsicht hat die Kommission rechtlich hinreichend nachgewiesen, dass das der Klägerin zur Last gelegte Verhalten negative Folgen für die von der Union verwalteten Haushalte mit sich bringen konnte. Wegen des Interessenkonflikts auf Seiten der Klägerin und der von ihr vereinnahmten Provisionen für die Verkäufe bestimmter Geräte, die die Konsortialpartner im Rahmen der Durchführung der in Rede stehenden Projekte erworben hatten, bestand nämlich die ernsthafte Gefahr, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis dieser Geräte nicht demjenigen entsprach, das sich aus einem transparenten Aushandlungsverfahren hätte ergeben können. Hinsichtlich der überhöhten Rechnungen für die Software und das Terminal ist zudem offensichtlich, dass sie ungerechtfertigte Ausgaben verursacht haben, weil sie dazu führten, dass die Preissenkung für die Telefone nicht zugunsten des Projekthaushalts weitergegeben wurde.

162

Das Gericht stellt daher fest, dass die Klägerin durch ihr Verhalten ihre vertraglichen Verpflichtungen in einer Weise verletzt hat, die finanzielle Folgen für die von der Union verwalteten Haushalte haben konnte. Folglich ist dieses Verhalten als Unregelmäßigkeit im Sinne der Klausel II.1 der Allgemeinen Bedingungen der beiden streitigen Vereinbarungen einzustufen.

163

Daher ist festzustellen, dass die der Klägerin vorgeworfenen Vertragsverletzungen, die das Vorliegen eines Interessenkonflikts, die Vereinnahmung von Verkaufsprovisionen und die Ausstellung überhöhter Rechnungen betreffen, Unregelmäßigkeiten im Sinne der genannten vertraglichen Bestimmung sind.

Zur vollständigen Rückzahlung der ausgezahlten Beträge

164

Die Kommission begehrt als Erstes die vollständige Rückzahlung der an die Klägerin gezahlten Beträge u. a. auf der Grundlage von Art. 119 der Haushaltsordnung und Art. 183 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2342/2002 der Kommission vom 23. Dezember 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1605/2002 (ABl. 2002, L 357, S. 1) in Verbindung mit Klausel II.26 Abs. 6 und Klausel II.28 Abs. 5 der Allgemeinen Bedingungen der streitigen Vereinbarungen und mit Art. 9 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1639/2006.

[nicht wiedergegeben]

166

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, selbst wenn ein Interessenkonflikt erwiesen wäre, rechtfertige dies nicht die Rückforderung der gesamten Finanzhilfen, zumal sich diese Situation nicht negativ auf den Haushalt für die in Rede stehenden Projekte ausgewirkt habe. Ferner seien diese Projekte abgeschlossen und die erzielten Ergebnisse als ausreichend eingestuft worden. Außerdem weist sie darauf hin, dass die Rückforderung der Finanzhilfen zu ihrer Insolvenz führen würde.

167

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die streitigen Vereinbarungen und damit die Gewährung der Finanzhilfe, die ihr Gegenstand war, nach Art. 10 Abs. 1 dieser beiden Vereinbarungen deren Bestimmungen, den das WI-Rahmenprogramm betreffenden Rechtsakten der Union, der Haushaltsordnung und ihren Durchführungsvorschriften sowie weiteren Bestimmungen des Unionsrechts und subsidiär dem belgischen Recht unterlagen.

168

Erstens ist zu den einschlägigen vertraglichen Bestimmungen darauf hinzuweisen, dass nach Klausel II.26 Abs. 6 der Allgemeinen Bedingungen der streitigen Vereinbarungen jede Zahlung einer Prüfung oder Kontrolle unterzogen und auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Prüfung oder Kontrolle geändert oder zurückgefordert werden kann. Nach Klausel II.28 Abs. 5 dieser Allgemeinen Bedingungen ergreift die Kommission auf der Grundlage der Ergebnisse der Prüfung geeignete Maßnahmen, einschließlich des Erlasses einer Einziehungsanordnung in Bezug auf alle oder einen Teil der geleisteten Zahlungen und der Verhängung von Sanktionen.

169

Diese Bestimmungen schließen es daher nicht aus, dass die Kommission die im Rahmen der genannten Vereinbarungen gezahlten Beträge vollständig zurückfordern kann. Vielmehr geht aus ihnen ausdrücklich hervor, dass sämtliche Zahlungen zurückgefordert werden können.

170

Zweitens bestimmt Art. 119 der Haushaltsordnung:

„(1)   Der Betrag der Finanzhilfe gilt erst dann als endgültig, wenn die abschließenden Berichte und Abrechnungen unbeschadet späterer Kontrollen durch das betreffende Organ von diesem akzeptiert worden sind.

(2)   Verletzt der Empfänger seine Pflichten, wird die Finanzhilfe in den in den Durchführungsbestimmungen vorgesehenen Fällen ausgesetzt, gekürzt oder gestrichen, nachdem ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist.“

171

Die Verwendung des Wortes „gestrichen“ in diesem Art. 119 Abs. 2 betrifft somit den Fall der Rückforderung sämtlicher erhaltenen Beträge.

172

Diese Schlussfolgerung steht auch im Einklang mit dem in Art. 317 AEUV verankerten Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung hinsichtlich der Mittel der Union. Danach sind die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union im Fall der Nichteinhaltung der in einer Finanzhilfevereinbarung festgelegten Bedingungen verpflichtet, die gezahlte Finanzhilfe in Höhe der für nicht glaubhaft oder nicht überprüfbar gehaltenen Beträge zurückzufordern.

173

Darüber hinaus haben die Unionsgerichte bereits entschieden, dass im System der finanziellen Zuschüsse der Union die Verwendung dieser Zuschüsse Vorschriften unterliegt, die zur teilweisen oder vollständigen Rückzahlung eines bereits gewährten Zuschusses führen können (Urteile vom 7. Juli 2010, Kommission/Hellenic Ventures u. a., T‑44/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2010:284, Rn. 85, und vom 16. Dezember 2010, Kommission/Arci Nuova associazione comitato di Cagliari und Gessa, T‑259/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2010:536, Rn. 61).

174

Ferner geht aus der Rechtsprechung hervor, dass der Empfänger einer Finanzhilfe keinen endgültigen Anspruch auf volle Auszahlung der Finanzhilfe erwirbt, wenn er die an die Unterstützung geknüpften Bedingungen nicht eingehalten hat (vgl. Urteil vom 10. Oktober 2019, Help – Hilfe zur Selbsthilfe/Kommission, T‑335/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:736, Rn. 200 und die dort angeführte Rechtsprechung).

175

Daraus folgt, dass die vertraglichen Bestimmungen und die maßgeblichen Vorschriften der Haushaltsordnung es der Kommission nicht verwehren, sämtliche an die Klägerin aufgrund der streitigen Vereinbarungen gezahlten Beträge zurückzufordern.

176

Sodann ist zu prüfen, ob die Kommission unter den Umständen des vorliegenden Falles einen Anspruch auf vollständige Rückzahlung dieser Beträge hat.

177

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die der Klägerin vorgeworfenen Handlungen, wie oben in Rn. 162 festgestellt, als „Unregelmäßigkeiten“ im Sinne der Klausel II.1 der Allgemeinen Bedingungen der streitigen Vereinbarungen eingestuft werden können.

178

Außerdem ist zum Kontext, in den sich diese Vertragsklausel einfügt, darauf hinzuweisen, dass sich aus Klausel II.10 Abs. 3 Buchst. f dieser Allgemeinen Bedingungen ergibt, dass die Begehung einer Unregelmäßigkeit eine Handlung oder Unterlassung von solcher Schwere ist, dass sie die fristlose Kündigung der betreffenden Vereinbarung rechtfertigen kann. Darüber hinaus sieht Klausel II.5 Abs. 3 Buchst. d vierter Gedankenstrich dieser Allgemeinen Bedingungen vor, dass die Kommission bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten, die von einem oder mehreren Begünstigten begangen wurden, die Zahlung des für den betreffenden Begünstigten bestimmten Betrags jederzeit ganz oder teilweise aussetzen kann.

179

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Klägerin dadurch, dass sie die Gefahr eines Interessenkonflikts nicht angezeigt, Verkaufsprovisionen erhalten und sich an der Ausstellung überhöhter Rechnungen für bestimmte Geräte beteiligt hat, gegen den Grundsatz der Vertragserfüllung nach Treu und Glauben verstoßen hat, wie er im belgischen Recht in Art. 1134 Abs. 3 und Art. 1135 des Zivilgesetzbuchs niedergelegt ist.

180

In den Rn. 128 und 129 des vorliegenden Urteils ist nämlich festgestellt worden, dass sich die Klägerin XJ gegenüber in einem Interessenkonflikt befand, der Grundlage der Entscheidung war, dieses Unternehmen als Lieferanten der Geräte auszuwählen. Wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, ist es unmöglich, die Auswirkungen dieses Interessenkonflikts auf das Budget der betreffenden Projekte zu beziffern, weil sich nicht bestimmen lässt, welchen Preis diese Geräte gehabt hätten oder ob ihr Erwerb überhaupt notwendig gewesen wäre, wenn es diesen Interessenkonflikt nicht gegeben hätte. Ferner ergibt sich aus Rn. 141 des vorliegenden Urteils, dass die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass ihr Verhalten keine negativen Auswirkungen auf das Budget für diese Projekte hatte. So hat sie nicht nachgewiesen, dass die Produkte von XJ die einzigen waren, mit denen sich diese Projekte durchführen ließen, und die Wahl dieser Produkte daher auf objektiven Erwägungen beruhte. Sie hat auch nicht dargetan, dass die von ihr vereinnahmten Verkaufsprovisionen keinen Einfluss auf den Preis der betreffenden Produkte hatten. In Anbetracht dieses Interessenkonflikts ist nicht erwiesen, dass die gekauften Geräte das beste Preis-Leistungs-Verhältnis aufwiesen. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass dieser Interessenkonflikt das gesamte Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und der Kommission beeinflusst hat.

181

Außerdem waren die von der Klägerin begangenen Verstöße gegen vertragliche Verpflichtungen so schwerwiegend, dass sie die vollständige Rückzahlung der Finanzhilfen rechtfertigen. Die Klägerin hat ihr Vertragsverhältnis mit der Kommission nämlich schwer beeinträchtigt, indem sie das Vorliegen eines Interessenkonflikts und den Erhalt von Verkaufsprovisionen nicht angezeigt und für bestimmte Produkte überhöhte Preise in Rechnung gestellt hatte.

182

Unter diesen Umständen ist die vollständige Rückforderung der aufgrund der streitigen Vereinbarungen gezahlten Beträge nicht unverhältnismäßig.

183

Diese Schlussfolgerung wird weder durch die Tatsache, dass die Klägerin die betreffenden Projekte tatsächlich durchgeführt hat, noch durch die erzielten Ergebnisse in Frage gestellt.

184

Der Nachweis, dass ein Projekt durchgeführt worden ist, genügt nämlich nicht, um die Gewährung einer spezifischen Finanzhilfe zu rechtfertigen. Der Empfänger der Finanzhilfe muss überdies nachweisen, dass ihm die Kosten entstanden sind, die er nach den für die Gewährung der betreffenden Finanzhilfe festgelegten Bedingungen deklariert hat. Seine Verpflichtung, die festgelegten finanziellen Bedingungen einzuhalten, stellt eine Hauptpflicht und damit eine Bedingung für die Gewährung der Finanzhilfe der Union dar (Urteil vom 10. Oktober 2019, Help – Hilfe zur Selbsthilfe/Kommission, T‑335/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:736, Rn. 201).

185

Daher ist der Anspruch auf vollständige Rückzahlung der aufgrund der streitigen Vereinbarungen gezahlten Beträge begründet, so dass diesem Antrag der Widerklage der Kommission stattzugeben ist.

Zum Anspruch auf Schadensersatz

186

Zusätzlich zur Rückzahlung der Finanzhilfen verlangt die Kommission Schadensersatz in Höhe von 58876,50 Euro.

187

Nach Auffassung der Kommission sind die drei Voraussetzungen für die vertragliche Haftung der Klägerin erfüllt, nämlich die Verletzung einer oder mehrerer vertraglicher Bestimmungen, das tatsächliche Vorliegen eines Schadens und das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem beanstandeten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden.

188

Die Kommission macht geltend, es sei erwiesen, dass die Klägerin Verkaufsprovisionen in Höhe von 45991 Euro erhalten habe. Sie geht von der Prämisse aus, dass XJ ihre Preise zumindest um diesen Betrag gesenkt hätte, wenn sie diese Provisionen nicht hätte zahlen müssen. Jedenfalls hätte die Klägerin diese Rückvergütung bei ordnungsgemäßer und redlicher Vertragserfüllung offenlegen und an die mit der Durchführung des betreffenden Projekts beauftragten Konsortialpartner weitergeben müssen.

189

Soweit es um die Berechnung überhöhter Preise für das Terminal und die Software geht, entnimmt die Kommission den im OLAF‑Bericht aufgeführten Beweisen, dass im Rahmen des Projekts Dreaming 135 Terminals nebst Software verkauft wurden. Pro Einheit sei ein um 338,50 Euro überhöhter Betrag angesetzt worden, was einem Gesamtbetrag von 45697,50 Euro entspreche. Im Rahmen des Projekts HOME SWEET HOME seien 77 Einheiten verkauft worden, was zu Mehrkosten in Höhe von 26064,50 Euro geführt habe.

190

Da die Kommission nur die Hälfte dieser Projekte finanziert habe, sei ihr ein Schaden von insgesamt 58876,50 Euro entstanden.

191

Die Klägerin wendet ein, selbst wenn davon auszugehen wäre, dass sie die ihr vorgeworfenen Verstöße gegen gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen begangen hätte, was sie bestreite, seien der tatsächliche Eintritt des Schadens und der Kausalzusammenhang zwischen ihrem Verhalten und dem behaupteten Schaden nicht bewiesen. Insoweit macht sie geltend, dass der Preis der betreffenden Produkte nicht niedriger gewesen wäre, wenn sie nicht als Vermittlerin aufgetreten wäre, weil es ihr zu verdanken sei, dass XJ eine größere Anzahl von Produkten zu einem niedrigeren Stückpreis habe verkaufen können. Was die Preiserhöhung für das Terminal und die Software angehe, sei deren Marktpreis tatsächlich gestiegen, so dass keine überhöhten Preise berechnet worden seien.

192

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der in Rede stehende Antrag der Widerklage die vertragliche Haftung der Klägerin zum Gegenstand hat. Die Kommission macht nämlich geltend, dass der Schaden, für den sie Ersatz verlange, durch die Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen der Klägerin verursacht worden sei. Daher ist das Gericht auf der Grundlage von Art. 272 AEUV für die Entscheidung über diesen Anspruch, der aus demselben Vertragsverhältnis herrührt wie dem, auf das die Widerklage gestützt wird, zuständig.

193

Sodann ist festzustellen, dass das Gericht, wenn es aufgrund einer Schiedsklausel nach Art. 272 AEUV angerufen wird, den Rechtsstreit auf der Grundlage des für den Vertrag geltenden materiellen Rechts entscheiden muss (vgl. Urteile vom 29. November 2016, ANKO/REA, T‑270/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:681, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 1. März 2017, Universiteit Antwerpen/REA, T‑208/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:136, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das auf den Vertrag anzuwendende Recht ist das Recht, das in dem Vertrag ausdrücklich vorgesehen ist, und die vertraglichen Vereinbarungen, in denen der übereinstimmende Wille der Parteien zum Ausdruck kommt, müssen jedem anderen Kriterium vorgehen, das nur bei Schweigen des Vertrags angewendet werden kann (vgl. Urteil vom 8. September 2015, Amitié/Kommission, T‑234/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:601, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

194

Es ist darauf hinzuweisen, dass die streitigen Vereinbarungen nach ihrem Art. 10 jeweils ihren eigenen Bestimmungen, den einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts und hilfsweise dem belgischen Recht unterliegen.

195

Es ist jedoch festzustellen, dass die Kommission keine Klausel dieser Vereinbarungen anführt, nach der eine vertragliche Haftung der Klägerin vorgesehen wäre.

196

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht keine materielle Bestimmung enthält, die die vertragliche Haftung für Schäden regelt, die von einem Vertragspartner der Union verursacht werden.

197

Insoweit verweist die Kommission in Rn. 99 der Klagebeantwortung auf das Urteil vom 12. April 2018, PY/EUCAP Sahel Niger (T‑763/16, EU:T:2018:181), das die vertragliche Haftung der Union nach Art. 340 AEUV und das in einem solchen Fall anwendbare Recht betrifft. In Rn. 66 dieses Urteils hat das Gericht die Auffassung vertreten, dass die vertragliche Haftung „anhand lediglich der in Rede stehenden Arbeitsverträge … sowie im Licht der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts im Bereich der vertraglichen Haftung“ geprüft werden könne und dass „[n]ach diesen Grundsätzen … drei Voraussetzungen erfüllt sein [müssen], damit eine Klage aus vertraglicher Haftung durchgreift, nämlich zunächst, dass die fragliche Einrichtung ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, sodann, dass der Kläger einen Schaden erlitten hat, und schließlich, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der genannten Einrichtung und diesem Schaden besteht“.

198

Die Kommission geht davon aus, dass diese Rechtsprechung auf die vertragliche Haftung des Vertragspartners eines Unionsorgans, hier der Klägerin, entsprechend anwendbar sei. Der Sachverhalt in der Rechtssache, in der das Urteil vom 12. April 2018, PY/EUCAP Sahel Niger (T‑763/16, EU:T:2018:181), ergangen ist, unterscheidet sich jedoch von der hier in Rede stehenden Situation. Aus Rn. 62 jenes Urteils geht nämlich hervor, dass in den Arbeitsverträgen nicht angegeben war, welches Recht auf sie anzuwenden ist, während im vorliegenden Fall die streitigen Vereinbarungen eine Bestimmung über das anzuwendende Recht enthalten.

199

Daher sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine vertragliche Haftung der Klägerin im belgischen Recht zu suchen, das hilfsweise auf die streitigen Vereinbarungen anzuwenden ist.

200

Im Bereich der vertraglichen Haftung bestimmt Art. 1142 des belgischen Zivilgesetzbuchs, der zu Buch III Titel 3 („Verträge oder vertragliche Schuldverhältnisse im Allgemeinen“) gehört, dass „[j]ede Verbindlichkeit, etwas zu tun oder nicht zu tun, … im Falle der Nichterfüllung von Seiten des Schuldners zu einem Schadenersatz führt“.

201

Darüber hinaus wird nach Art. 1147 des belgischen Zivilgesetzbuchs „[d]er Schuldner …, wenn dazu Grund besteht, entweder aufgrund der Nichterfüllung der Verbindlichkeit oder aufgrund der verzögerten Erfüllung dieser Verbindlichkeit jedes Mal zur Zahlung eines Schadenersatzes verurteilt, wenn er nicht nachweist, dass die Nichterfüllung auf eine fremde Ursache, die ihm nicht zugerechnet werden kann, zurückzuführen ist, auch wenn von seiner Seite keine Bösgläubigkeit vorliegt“.

202

Aus Art. 1147 des belgischen Zivilgesetzbuchs ergibt sich, dass für den Ersatz eines vertraglichen Schadens drei Bedingungen erfüllt sein müssen, nämlich die vollständige oder teilweise Nichterfüllung des Vertrags, ein Schaden und ein Kausalzusammenhang zwischen der Nichterfüllung und dem Schaden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2017, Meta Group/Kommission, T‑744/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:304, Rn. 271 und die dort angeführte Rechtsprechung).

203

Im vorliegenden Fall ist das Gericht der Auffassung, dass die Kommission einen hinreichend unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen der Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen, die sie der Klägerin zur Last legt, und dem geltend gemachten Schaden nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, selbst wenn letzterer erwiesen wäre.

204

Erstens ist unstreitig, dass die Klägerin im Rahmen der streitigen Vereinbarungen weder Geräte an die betreffenden Konsortialpartner verkauft noch die Erstattung von Ausgaben für den Kauf von Geräten verlangt hat. Die Geräte, für die überhöhte Rechnungen ausgestellt oder Verkaufsprovisionen gezahlt wurden, sind nämlich nicht durch die Klägerin, sondern durch andere, mit ihr nicht verbundene Wirtschaftseinheiten erworben worden, denen die Kommission die im Zusammenhang mit diesen Käufen entstandenen Kosten erstattet hat.

205

Zweitens ist auch unstreitig, dass die Verantwortung für den Kauf der Geräte, die Gegenstand der überhöhten Rechnungen und der Verkaufsprovisionen waren, nicht bei der Klägerin lag, sondern bei den Mitgliedern der Konsortien, die diese Käufe getätigt hatten. Dies wird durch die Antwort der Kommission auf eine vom Gericht im Rahmen einer prozessleitenden Maßnahme gestellte Frage bestätigt, in der sie erklärt hat, dass „die Auswahl der für die Projekte des Empfängers der Finanzhilfe verwendeten Produkte oder Materialien vollständig in dessen Verantwortung liegt, auch wenn sich die Beschreibung eines Geräts in Anhang I der Vereinbarung findet“.

206

Die Kommission, die nach dem Grundsatz actori incumbit probatio die Beweislast dafür trägt, dass die drei in Rn. 202 genannten Voraussetzungen erfüllt sind, hat jedoch das Bestehen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs nicht nachgewiesen. Insoweit behauptet sie nämlich lediglich in einem einzigen Satz und ohne jeden konkreten Nachweis, dass der Kausalzusammenhang „offensichtlich“ sei, weil sich die Klägerin an den in Rede stehenden Vertragsverletzungen, ohne die der geltend gemachte Schaden nicht eingetreten wäre, „aktiv beteiligt“ habe.

207

Solche allgemeinen Erklärungen reichen jedoch nicht aus, um in einer Situation wie der oben in den Rn. 204 und 205 beschriebenen, die durch die Einschaltung mehrerer Dritter gekennzeichnet ist, einen unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten Schaden und den in Rede stehenden Vertragsverletzungen rechtlich hinreichend nachzuweisen.

208

Außerdem ist jedenfalls darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Teil der allgemeineren Verpflichtung der Vertragsparteien ist, den Vertrag nach Treu und Glauben zu erfüllen. Darüber hinaus ist es einer Partei nach belgischem Recht wegen der in Art. 1134 des Zivilgesetzbuchs vorgesehenen Verpflichtung, Verträge nach Treu und Glauben zu erfüllen, untersagt, ein Recht in einer Weise auszuüben, die offensichtlich die Grenzen der normalen Ausübung dieses Rechts durch eine umsichtige und sorgfältige Person überschreitet (Cass. 16. November 2007, AR Nr. C.06.0349.F.1) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 2018, Nova/Kommission, T‑299/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:713, Rn. 140).

209

In Anbetracht der Tatsache, dass die Projekte, die Gegenstand der streitigen Vereinbarungen waren, ohne Verzögerung und im Einklang mit den Zielen dieser Projekte durchgeführt wurden, was unstreitig ist, und angesichts der besonders schwerwiegenden Folgen, die sich für die Klägerin aus der vollständigen Rückforderung der Finanzhilfen ergeben würden, ist das Gericht der Ansicht, dass es die Grenzen der normalen Ausübung des in Rede stehenden Rechts offensichtlich überschreitet, zusätzlich zu dieser vollständigen Rückforderung Schadensersatz zu verlangen.

210

Daraus folgt, dass der Antrag auf Schadensersatz als unbegründet zurückzuweisen ist.

Ergebnis

211

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Klägerin sämtliche Beträge, die ihr aufgrund der streitigen Vereinbarungen gezahlt wurden, wegen der von ihr begangenen Unregelmäßigkeiten zurückzuzahlen hat. Daher kann der Antrag der Klägerin auf Feststellung, dass sie die Belastungsanzeigen Nr. 3241901815 und Nr. 3241901886 nicht bezahlen muss, keinen Erfolg haben.

212

Nach alledem ist zum einen die Klage abzuweisen und zum anderen der Widerklage der Kommission stattzugeben, soweit sie auf die Feststellung, dass die der Klägerin vorgeworfenen Vertragsverletzungen Unregelmäßigkeiten im Sinne der Klausel II.1 der Allgemeinen Bedingungen der streitigen Vereinbarungen sind, und auf die Rückzahlung der im Rahmen dieser Vereinbarungen an die Klägerin gezahlten Beträge gerichtet ist. Im Übrigen ist die Widerklage abzuweisen.

[nicht wiedergegeben]

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zehnte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die von der Health Information Management (HIM) begangenen Verstöße gegen die Finanzhilfevereinbarungen Nr. 225023 betreffend die Durchführung des Projekts „ElDeRly-friEndly Alarm handling and MonitorING (Dreaming)“ und Nr. 250449 betreffend die Durchführung des Projekts „Health monitoring and sOcial integration environMEnt for Supporting WidE ExTension of independent life at HOME (HOME SWEET HOME)“ sind Unregelmäßigkeiten im Sinne der Klausel II.1 der Allgemeinen Bedingungen dieser Vereinbarungen.

 

3.

HIM wird verurteilt, an die Europäische Kommission einen Betrag von 512799 Euro zurückzuzahlen.

 

4.

Im Übrigen wird die Widerklage der Kommission abgewiesen.

 

5.

HIM trägt neben ihren eigenen Kosten die Hälfte der Kosten, die der Kommission entstanden sind.

 

Kornezov

Buttigieg

Hesse

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Juni 2021.

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

( 1 ) Es werden nur die Randnummern des Urteils wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.

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