Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62012CC0059

    Schlussanträge des Generalanwalts Y. Bot vom 4. Juli 2013.
    BKK Mobil Oil Körperschaft des öffentlichen Rechts gegen Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V.
    Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs.
    Richtlinie 2005/29/EG – Unlautere Geschäftspraktiken – Anwendungsbereich – Irreführende Angaben einer Krankenkasse des gesetzlichen Krankenversicherungssystems – Krankenkasse in Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.
    Rechtssache C‑59/12.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:450

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    YVES BOT

    vom 4. Juli 2013 ( 1 )

    Rechtssache C‑59/12

    BKK Mobil Oil Körperschaft des öffentlichen Rechts

    gegen

    Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V.

    (Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])

    „Verbraucherschutz — Unlautere Geschäftspraktiken — Richtlinie 2005/29/EG — Persönlicher Anwendungsbereich — Irreführende Angaben einer Krankenkasse, die in der Form einer Einrichtung des öffentlichen Rechts gegründet wurde — Begriff ‚Gewerbetreibender‘“

    1. 

    Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen bittet der Bundesgerichtshof (Deutschland) den Gerichtshof um Auslegung des Begriffs „Gewerbetreibender“ im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG ( 2 ) über unlautere Geschäftspraktiken und damit um Erläuterung des Anwendungsbereichs ihrer Bestimmungen. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob die irreführende Werbung einer Krankenkasse, bei der es sich um eine mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe betraute Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt, eine unlautere Geschäftspraxis eines Gewerbetreibenden gegenüber den Verbrauchern darstellen und daher von den Mitgliedstaaten untersagt werden kann.

    2. 

    Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der BKK Mobil Oil Körperschaft des öffentlichen Rechts (im Folgenden: BKK), einer deutschen Krankenkasse, und der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. (im Folgenden: Wettbewerbszentrale) wegen einer Werbung, mit der sich die BKK an ihre Mitglieder gewandt hatte und die für irreführend befunden wurde.

    3. 

    Die Bedeutung, die die Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts haben wird, ist klar. Es geht um die Erläuterung des Anwendungsbereichs der Richtlinie und insbesondere darum, konkret zu bestimmen, welche Bedeutung der Unionsgesetzgeber den Begriffen „Gewerbetreibender“ und „Unternehmen“, die er beide unterschiedslos verwendet, geben wollte. Das Ziel ist eindeutig: Es geht darum, ein hohes Verbraucherschutzniveau im Einklang mit dem in Art. 169 AEUV aufgestellten Ziel zu gewährleisten, indem eine wirksame und kohärente Umsetzung der von der Richtlinie angestrebten Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken sichergestellt und insbesondere verhindert wird, dass der Verbraucher wegen der Rechtsform des betreffenden Unternehmens seines Schutzes beraubt wird.

    4. 

    In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, der Auslegung zu folgen, die das vorlegende Gericht sowie die italienische Regierung und die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen vertreten.

    5. 

    Ich werde darlegen, dass die Art und die Bedeutung des dem Verbraucherschutz zugrunde liegenden öffentlichen Interesses es rechtfertigen, die in Rede stehenden Bestimmungen auf das Verhalten einer Einrichtung anzuwenden, die – welche Rechtsform oder welche im Allgemeininteresse liegende Aufgabe sie auch haben mag – gegen ihre berufliche Sorgfaltspflicht verstößt und in ihrem Geschäftsbereich gegenüber den Verbrauchern unlautere Geschäftspraktiken anwendet. Ich werde daher dem Gerichtshof vorschlagen zu entscheiden, dass eine Einrichtung wie die im Ausgangsverfahren fragliche als „Gewerbetreibende“ im Sinne der in Rede stehenden Bestimmungen angesehen werden kann, wenn sie sich mit einer kommerziellen Werbung an die Verbraucher wendet, und zwar in derselben Weise wie jeder andere Marktteilnehmer, der eine solche Tätigkeit ausübt.

    6. 

    Ich werde meine Erwägungen sowohl auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Begriff des Unternehmens im Wettbewerbsrecht als auch auf den Wortlaut von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie und deren Zielsetzung stützen.

    I – Rechtlicher Rahmen

    A – Unionsrecht

    7.

    Nach Art. 1 der Richtlinie in Verbindung mit ihrem 14. Erwägungsgrund bezweckt sie, durch vollständige Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten.

    8.

    Die vom Unionsgesetzgeber verwendeten Begriffe werden in Art. 2 der Richtlinie definiert. Gemäß Art. 2 Buchst. b der Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „Gewerbetreibender“„jede natürliche oder juristische Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne [der] Richtlinie im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, und jede Person, die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden handelt“.

    9.

    Nach Art. 2 Buchst. d der Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern“„jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt“.

    10.

    Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie gilt sie „für unlautere Geschäftspraktiken … zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts“.

    11.

    Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie schließlich stellt ein grundsätzliches Verbot unlauterer Geschäftspraktiken auf. Art. 5 Abs. 2 bestimmt die Merkmale einer solchen Praxis wie folgt:

    „Eine Geschäftspraxis ist unlauter, wenn

    a)

    sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht

    und

    b)

    sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet …, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen.“

    B – Deutsches Recht

    12.

    Die Richtlinie wurde durch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ( 3 ) in das deutsche Recht umgesetzt.

    13.

    Die Begriffe „geschäftliche Handlung“ und „Unternehmer“ werden in § 2 UWG definiert, während das Verbot unlauterer und irreführender geschäftlicher Handlungen in den §§ 3 und 5 UWG normiert ist.

    II – Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

    14.

    Das Ausgangsverfahren betrifft folgende Werbung, die die BKK im Dezember 2008 an ihre Mitglieder richtete:

    „Wer die BKK … jetzt verlässt, bindet sich an die [neue gesetzliche Krankenkasse] für die nächsten 18 Monate. Somit entgehen Ihnen attraktive Angebote, die Ihnen die BKK … im nächsten Jahr bietet, und Sie müssen am Ende möglicherweise draufzahlen, wenn Ihre neue Kasse mit dem ihr zugeteilten Geld nicht auskommt und deswegen einen Zusatzbeitrag erhebt.“

    15.

    Vor dem nationalen Gericht machte die Wettbewerbszentrale geltend, die Werbung der BKK sei irreführend. Sie verlangt insbesondere die Rücknahme der Werbung und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten. Die BKK dagegen ist der Auffassung, ihr Verhalten könne nicht unter die Bestimmungen der Richtlinie fallen, da sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe betraut sei, nicht mit Gewinnerzielungsabsicht handele und damit nicht als „Gewerbetreibende“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie angesehen werden könne.

    16.

    Das vorlegende Gericht, bei dem der Rechtsstreit anhängig ist, fragt nach dem Anwendungsbereich der Richtlinie. Es möchte wissen, ob die BKK, als sie in der genannten Weise gegenüber ihren Mitgliedern auftrat, als „Gewerbetreibende“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie handelte, so dass ihre Handlung eine nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie und § 3 UWG verbotene unlautere Geschäftspraxis darstellen könnte.

    17.

    Wegen seiner Zweifel an der Auslegung der in Rede stehenden Bestimmungen hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage vorgelegt:

    Ist Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. d der Richtlinie dahin auszulegen, dass eine – sich als Geschäftspraxis eines Unternehmens gegenüber Verbrauchern darstellende – Handlung eines Gewerbetreibenden auch darin liegen kann, dass eine gesetzliche Krankenkasse gegenüber ihren Mitgliedern (irreführende) Angaben darüber macht, welche Nachteile den Mitgliedern im Fall eines Wechsels zu einer anderen gesetzlichen Krankenkasse entstehen?

    18.

    Die Wettbewerbszentrale, die italienische Regierung und die Kommission haben beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht.

    III – Würdigung

    19.

    Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie in Verbindung mit ihrem Art. 2 Buchst. d dahin auszulegen ist, dass eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die mit der Verwaltung einer gesetzlichen Krankenversicherung betraut ist, als „Gewerbetreibende“ oder „Unternehmen“ angesehen werden kann, wenn sie sich an ihre Mitglieder mit einer irreführenden Werbung wendet, die eine unlautere Geschäftspraxis darstellen könnte.

    20.

    Die Frage ist daher, ob im Rahmen des Verbraucherschutzrechts eine mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe betraute Einrichtung des öffentlichen Rechts, wie z. B. eine Krankenkasse, als „Gewerbetreibende“ bzw. als „Unternehmen“ eingestuft werden kann oder ob diese Einrichtung angesichts der ihrem Tätigwerden zugrunde liegenden Regelung und der ihr obliegenden Aufgabe vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen ist.

    21.

    Bevor ich mit der Prüfung der Vorlagefrage des Bundesgerichtshofs beginne, möchte ich drei Bemerkungen machen.

    22.

    Erstens sollte die Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts es ermöglichen, eine autonome und einheitliche Auslegung des Begriffs „Gewerbetreibender“ in der gesamten Europäischen Union herauszuarbeiten. Wie nämlich aus dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie klar hervorgeht, bezweckt der Unionsgesetzgeber eine vollständige Harmonisierung der Vorschriften über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und verweist auf das Recht der Mitgliedstaaten nur hinsichtlich der Festlegung der Sanktionen, die bei Verstoß gegen die in der Richtlinie festgelegten Maßnahmen angewandt werden können ( 4 ). Insoweit muss der Gerichtshof daher den Sinn und die Tragweite des genannten Begriffs ermitteln und dabei vor allem den Zusammenhang, in dem er verwendet wird, und die Ziele berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der er gehört, verfolgt werden ( 5 ).

    23.

    Zweitens muss die Auslegung, um die der Gerichtshof ersucht wird, es ermöglichen, eine kohärentere und einheitlichere Anwendung des Begriffs „Gewerbetreibender“ im größeren Zusammenhang des Verbraucherschutzrechts zu gewährleisten. Zwar ist nämlich der Verbraucherschutz ein Ziel, das der Unionsgesetzgeber und der Gerichtshof beharrlich verfolgen, doch fehlt es paradoxerweise an einem klaren Verständnis des Begriffs „Gewerbetreibender“. Für diesen Begriff gibt es nämlich keine einheitliche Definition, obwohl es sich um einen grundlegenden Begriff für die Durchsetzung der Verbraucherrechte handelt, der für alle Rechtstexte über die Verbraucherrechte gilt ( 6 ). Wie die Kommission am 8. Februar 2007 in ihrem Grünbuch über die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz ( 7 ) festgestellt hat, fehlt für diese Diskrepanz, was den eigentlichen Zweck der einschlägigen Richtlinien betrifft, eine fundierte Begründung, und die entstehende Unsicherheit wird noch dadurch verstärkt, dass die Mitgliedstaaten die Mindestklausel anwenden, um die nicht eindeutigen Definitionen des Begriffs des Gewerbetreibenden nach ihren eigenen Vorstellungen zu erweitern ( 8 ).

    24.

    Drittens stellt das vorlegende Gericht die Frage, weil der Gerichtshof im Bereich des Wettbewerbsrechts Einrichtungen, die Tätigkeiten mit ausschließlich sozialer Zielsetzung ausüben, wie sie die deutschen Krankenkassen oder die an der Verwaltung des staatlichen Systems der sozialen Sicherheit mitwirkenden Einrichtungen wahrnehmen, nicht als „Unternehmen“ angesehen hat ( 9 ). Diese Auslegung betrifft zwar eine Streitsache, die sich von der hier in Rede stehenden unterscheidet, bietet mir jedoch einen Schlüssel für die Herangehensweise, die mir für die Zwecke meiner Analyse relevant zu sein scheint. Ich werde daher meine Prüfung mit einer Darlegung dieser Rechtsprechung beginnen.

    25.

    Im Wettbewerbsrecht ist nach der Definition des Gerichtshofs ein Unternehmen „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“ ( 10 ). Der Begriff des Unternehmens ist demnach ein funktionaler Begriff. Das Unternehmen wird vor allem durch seine wirtschaftliche Tätigkeit definiert, die dem Gerichtshof zufolge im Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt besteht ( 11 ). Der Begriff des Unternehmens wird weder durch seine Rechtsform noch etwa durch die Art seiner Finanzierung definiert. Diese Auslegung ist für eine wirksame Durchsetzung der in den Art. 101 AEUV und 102 AEUV festgelegten Regeln unerlässlich, da durch sie verhindert werden kann, dass sich die Wirtschaftsteilnehmer durch die Wahl einer Rechtsform, die sie vom Anwendungsbereich der genannten Regeln ausschließen würde, den Wettbewerbsregeln entziehen.

    26.

    In seinem Urteil Kommission/Italien ( 12 ) hat der Gerichtshof daher eine dem italienischen Finanzministerium unterstellte staatliche Einrichtung, die Amministrazione autonoma dei monopoli di Stato, als „Unternehmen“ eingestuft. Der Gerichtshof berücksichtigte, dass diese Einrichtung wirtschaftliche Tätigkeiten gewerblicher Art ausübte, die darin bestanden, Güter oder Dienstleistungen auf dem Markt anzubieten, wobei er die Frage, ob nach innerstaatlichem Recht eine vom Staat getrennte eigene Rechtspersönlichkeit bestand, bei der Entscheidung darüber, ob die genannte Einrichtung als Unternehmen anzusehen war, für unerheblich hielt. Mit dieser Rechtsprechung zielt der Gerichtshof somit auf die öffentlichen Unternehmen ab, also auf Unternehmen, denen besondere oder ausschließliche Rechte verliehen werden, und auf Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem Interesse betraut sind.

    27.

    Im Sinne des Wettbewerbsrechts ist somit eine öffentliche Einrichtung als Unternehmen anzusehen, wenn erwiesen ist, dass der Staat über diese Einrichtung wirtschaftliche Tätigkeiten gewerblicher Art ausübt, die darin bestehen, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.

    28.

    Dagegen hat der Gerichtshof vom Begriff des Unternehmens zwei Kategorien von Tätigkeiten ausgenommen, nämlich solche, die die Ausübung hoheitlicher Vorrechte implizieren ( 13 ), und solche, mit denen ein ausschließlich soziales Ziel verfolgt wird ( 14 ). Wenn daher die in Frage stehende Tätigkeit mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse oder mit der Erfüllung einer ausschließlich sozialen Aufgabe zusammenhängt, fehlt dieser Tätigkeit der wirtschaftliche Charakter, womit eine Einstufung der betreffenden Einrichtung als „Unternehmen“ ausgeschlossen ist.

    29.

    Insoweit ist das Urteil AOK Bundesverband u. a. von besonderem Interesse. In der Rechtssache, die zu dem genannten Urteil führte, hatte der Gerichtshof die Tätigkeit der deutschen Krankenkassen – wie der, um die es im Ausgangsverfahren geht – im Hinblick auf die in den Art. 101 AEUV, 102 AEUV und 106 AEUV festgelegten Bestimmungen zu beurteilen. In einem ersten Schritt erkannte der Gerichtshof an, dass die Krankenkassen oder die Einrichtungen, die an der Verwaltung des staatlichen Systems der sozialen Sicherheit mitwirken, eine Aufgabe rein sozialer Art erfüllen, die es verbietet, sie mit Unternehmen gleichzusetzen. Diese Schlussfolgerung stützte der Gerichtshof auf die Pflichtzugehörigkeit zum System der sozialen Sicherheit sowie auf den Grundsatz der Solidarität, auf dem dieses System beruht. In einem zweiten Schritt seiner Argumentation stellte sich der Gerichtshof jedoch auf den Standpunkt, dass es durchaus möglich ist, dass „die Krankenkassen … außerhalb ihrer Aufgaben rein sozialer Art im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit Geschäftstätigkeiten ausüben, die keinen sozialen, sondern einen wirtschaftlichen Zweck haben“ ( 15 ). Für diesen Fall erkannte der Gerichtshof ausdrücklich an, dass die von den Krankenkassen in diesem Rahmen getroffenen Entscheidungen möglicherweise als Beschlüsse von Unternehmen anzusehen wären ( 16 ). In Anwendung dieser Grundsätze hat der Unionsrichter im Urteil Aéroports de Paris/Kommission ( 17 ) unterschieden zwischen einerseits der rein administrativen Tätigkeiten, u. a. der Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben, mit denen die Einrichtung betraut ist, und andererseits der Tätigkeiten der Verwaltung und des Betriebs der Pariser Flughäfen, die durch Umsatzabgaben vergütet werden und daher unter den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit fallen.

    30.

    Die genannten Rechtssachen veranschaulichen besonders gut die Doppelfunktion, die bestimmte, mit im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben betraute Unternehmen ausüben, sei es, dass sie die Versorgung mit Wasser und Energie, die Beförderung, die Abfallbewirtschaftung, die Gesundheits- und Sozialdienstleistungen oder auch das Bildungswesen und die Postdienste betreffen.

    31.

    Wie ausgeführt, scheint mir die Vorgehensweise, die der Unionsrichter in den genannten Rechtssachen gewählt hat, für meine Analyse relevant zu sein.

    32.

    Das Wettbewerbsrecht und das Verbraucherschutzrecht weisen zwar wesentliche Unterschiede hinsichtlich ihres Wesens und ihres Anwendungsbereichs auf. Auch haben sie unterschiedliche Zielsetzungen, und der Unionsgesetzgeber war zudem darauf bedacht, zwischen den im Rahmen des Wettbewerbsrechts für die Unternehmen geltenden Vorschriften der Art. 101 AEUV bis 106 AEUV und den Vorschriften über den Verbraucherschutz in Art. 169 AEUV zu differenzieren. Das Wettbewerbsrecht und das Verbraucherschutzrecht gehören jedoch beide zum Wirtschaftsrecht und nehmen dadurch, dass sie die Missbräuche, die dem freien Funktionieren des Marktes inhärent sind und deren Opfer die Verbraucher und die konkurrierenden Unternehmen sind, verhindern und bekämpfen, an der Regulierung des Marktes teil. Der Begriff des Unternehmens im Rahmen des Wettbewerbsrechts ist zwar ein funktionaler Begriff, der nur durch die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit definiert wird, doch weist der Begriff des Gewerbetreibenden im Rahmen des Verbraucherschutzrechts meines Erachtens dieselben Merkmale auf. Ich stütze meine Beurteilung auf den Wortlaut des Art. 2 der Richtlinie, der Aufschluss über die konkrete Tragweite des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie gibt, sowie auf die Zielsetzung der Richtlinie.

    33.

    Wie ausgeführt, ist gemäß Art. 2 Buchst. b der Richtlinie Gewerbetreibender „jede natürliche oder juristische Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne [der] Richtlinie im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt“.

    34.

    Es liegt auf der Hand, dass der Unionsgesetzgeber die Definition des Vertragspartners des Verbrauchers äußerst weit fasst. Zum einen bezieht er durch die Verwendung des Ausdrucks „jede natürliche oder juristische Person“ sowohl die juristischen Personen des Privatrechts als auch die des öffentlichen Rechts in den Bereich der betroffenen Einrichtungen ein. Es bedarf keines Hinweises darauf, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts im Allgemeinen errichtet werden, um ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel zu verfolgen.

    35.

    Zum anderen wird der Begriff des Gewerbetreibenden durch dessen geschäftliche Tätigkeit definiert. Bekanntlich betrifft die Richtlinie nur die „Geschäftspraktiken“ der Unternehmen; diese werden in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie definiert als „jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing …, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt“.

    36.

    In diesem Zusammenhang ist von Interesse, dass die Definition des Begriffs „Gewerbetreibender“, die der Gesetzgeber der Union in Art. 2 Buchst. b der Richtlinie unterbreitet, mit der identisch ist, die er zur Bezeichnung des Gewerbetreibenden im Rahmen der Richtlinie 85/577/EWG ( 18 ) über den ambulanten Verkauf verwendet.

    37.

    Der Begriff des Gewerbetreibenden ist daher angesichts der oben angeführten Bestimmungen so zu verstehen, dass er eine natürliche oder juristische Person meint, die im betreffenden Zusammenhang unabhängig davon, ob sie dem Privatrecht oder dem öffentlichen Recht unterliegt, im Rahmen einer geschäftlichen Tätigkeit handelt.

    38.

    Es ist auch nützlich, darauf hinzuweisen, dass der Begriff des Gewerbetreibenden in der englischen Sprachfassung der Richtlinie mit „trader“ und der Begriff des Unternehmens mit „business“ übersetzt wird. Der Begriff „business“ hat in der französischen Sprache keine Entsprechung. Bezieht er sich jedoch auf die Tätigkeit einer Person, wird er unterschiedslos mit dem Ausdruck „activité professionnelle ou commerciale“ (berufliche oder gewerbliche Tätigkeit) oder aber mit „commerce“ (Geschäft) übersetzt. Bezieht er sich auf die Person, die diese Tätigkeit ausübt, wird er mit „professionnel“ (Gewerbetreibender) oder „commerçant“ (Geschäftsmann) übersetzt ( 19 ).

    39.

    Meines Erachtens kann nach dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. b und d der Richtlinie der Begriff des Gewerbetreibenden als ein funktionaler Begriff verstanden werden, der durch die Ausübung einer geschäftlichen Tätigkeit gekennzeichnet ist und nicht von der Rechtsform und den Aufgaben der Einrichtung abhängt. Diese Begriffsbestimmung erlaubt es folglich, die mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe betrauten Einrichtungen des öffentlichen Rechts einzubeziehen, die, wie ausgeführt, unter Umständen Tätigkeiten wirtschaftlicher und gewinnbringender Art ausüben, mit denen eventuell bestimmte unlautere Verhaltensweisen im Zusammenhang stehen könnten.

    40.

    Diese Qualifizierung erfordert natürlich eine Vorgehensweise von Fall zu Fall. Bei einer Einrichtung wie der hier in Rede stehenden ist die Art der Tätigkeit zu ermitteln, mit der die betreffende Handlung im Zusammenhang steht, und es ist zu unterscheiden zwischen einerseits Handlungen mit rein sozialer Zielsetzung – die, da nicht gewerblicher Natur, dem Anwendungsbereich der Richtlinie entzogen sind – und andererseits Handlungen im Rahmen einer wirtschaftlichen oder gewerblichen Tätigkeit wie der fraglichen Werbung, die, mögen sie auch von untergeordneter Bedeutung sein, in diesen Anwendungsbereich fallen können.

    41.

    Diese Auslegung des Begriffs des Gewerbetreibenden steht im Einklang mit der vom Unionsgesetzgeber im größeren Zusammenhang der Richtlinien über das Verbraucherschutzrecht favorisierten Auslegung. Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ( 20 ) definiert z. B. den Gewerbetreibenden als „eine natürliche oder juristische Person, die … im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist“ ( 21 ), und die Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse ( 22 ) definiert den Händler als „jede natürliche oder juristische Person, die unter ihre kommerzielle oder berufliche Tätigkeit fallende Erzeugnisse verkauft oder zum Verkauf anbietet“ ( 23 ). Im Rahmen der neuen Richtlinie 2011/83/EG ( 24 ) definiert der Unionsgesetzgeber schließlich den Unternehmer als „jede natürliche oder juristische Person, unabhängig davon, ob Letztere öffentlicher oder privater Natur ist, die … selbst oder durch eine andere Person, die in ihrem Namen oder Auftrag handelt, zu Zwecken tätig wird, die ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können“ ( 25 ).

    42.

    Allen diesen Richtlinien ist gemeinsam, dass der Gewerbetreibende sowohl eine natürliche als auch eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts sein kann, die gegenüber dem Verbraucher im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, was voraussetzt, dass sie im Rahmen einer regelmäßigen und gewinnbringenden Tätigkeit handelt.

    43.

    Dem Wortlaut des Art. 2 Buchst. b der Richtlinie vermag ich somit keinen Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass es gerechtfertigt sein könnte, mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe betraute juristische Personen des öffentlichen Rechts wie eine Krankenkasse vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen, wenn sie sich einer Geschäftspraxis bedienen.

    44.

    Meiner Ansicht nach verlangt zudem die Zielsetzung der Richtlinie, dass eine solche Einrichtung unter den Begriff des Gewerbetreibenden fällt.

    45.

    Die Richtlinie bezweckt nämlich die Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus und die Sicherstellung der Lauterkeit des Handelsverkehrs durch Verhütung und Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken ( 26 ).

    46.

    Um diese Ziele zu erreichen, hat sich der Unionsgesetzgeber zu einer vollständigen Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften entschlossen und für einen sehr weiten Anwendungsbereich der Richtlinie optiert. Nach ihrem Art. 3 Abs. 1 soll die Richtlinie nämlich alle Rechtsgeschäfte zwischen den Gewerbetreibenden und den Verbrauchern in allen Bereichen erfassen und gilt nicht nur im Rahmen der Werbung und der Vermarktung, sondern auch während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.

    47.

    Die ratio legis der Richtlinie kommt in ihrem Art. 5 zum Ausdruck, der ein grundsätzliches Verbot unlauterer Geschäftspraktiken aufstellt. Diese Bestimmung soll es daher ermöglichen, Handlungen im Rahmen einer geschäftlichen Tätigkeit zu verhindern oder auch zu ahnden, die zum einen den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widersprechen und zum anderen geeignet sind, das Geschäftsgebaren des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen. Die Richtlinie soll somit sicherstellen, dass Verbraucher nicht irregeführt oder aggressivem Marketing ausgesetzt werden und dass alle Angaben, die ein Gewerbetreibender im Rahmen seiner geschäftlichen Tätigkeit macht, unmissverständlich, korrekt und fundiert sind, so dass die Verbraucher ihre Entscheidungen in voller Kenntnis der Sachlage treffen können.

    48.

    Um die Wirksamkeit einer solchen Bestimmung und letztlich eine wirksame und kohärente Umsetzung der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken zu gewährleisten, erscheint es mir nicht nur legitim, sondern auch unerlässlich, dass eine Einrichtung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende als „Gewerbetreibende“ angesehen werden kann, wenn sie gegenüber den Verbrauchern, hier den Mitgliedern, geschäftlich tätig wird. Es gibt nämlich meines Erachtens keinen Grund, der es rechtfertigen würde, dass der Verbraucher aufgrund der Rechtsform dieser Einrichtung oder der ihr obliegenden Aufgaben jeden Schutz in Bezug auf eine Handlung verliert, durch die er getäuscht oder irregeführt wurde.

    49.

    Erstens bedeutet die Tatsache, dass eine Einrichtung des öffentlichen Rechts mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe betraut ist, nicht a fortiori, dass diese Einrichtung in ihrem Marktsegment keine geschäftliche oder wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Wie bereits ausgeführt, ist die vom Gerichtshof im Urteil AOK Bundesverband u. a. vorgenommene Analyse insoweit besonders aufschlussreich, da die Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, die Aufgaben und Tätigkeiten der deutschen Krankenkassen betrifft. Wie angegeben, hat der Gerichtshof dort ausdrücklich anerkannt, dass die Krankenkassen Tätigkeiten ausüben können, die keinen sozialen, sondern einen wirtschaftlichen Zweck haben ( 27 ). Es ist aber unabdingbar, dass bei diesen Tätigkeiten wirtschaftlicher Art die Vorschriften der Richtlinie beachtet werden, wie dies bei allen derartigen Tätigkeiten der Fall ist, die von einem privaten Wirtschaftsteilnehmer vorgenommen werden können.

    50.

    Zweitens gibt es keinen Grund, der es rechtfertigen würde, dass eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe betraut ist, von der Einhaltung derart wesentlicher Regeln wie denen der beruflichen Sorgfalt befreit wäre oder dass sie wegen der ihr obliegenden Aufgaben die Verbraucher belügen oder gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern ein unlauteres Verhalten an den Tag legen dürfte. Es liegt auf der Hand, dass die Zwänge, denen eine solche Einrichtung aufgrund ihrer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe unterliegt, sie nicht davon befreien, in ihrem Tätigkeitsbereich redlich vorzugehen und gegenüber dem Verbraucher mit Sorgfalt und Sachverstand zu handeln, da die berufliche Sorgfaltspflicht bei jeder Art von Tätigkeit zu beachten ist, womöglich noch stärker in den im Allgemeininteresse liegenden Bereichen wie dem Gesundheitsbereich. Es ist daher kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, dass eine solche Einrichtung, was ihre geschäftliche Tätigkeit anbelangt, anderen Regeln als denen unterliegt, die eine Einrichtung des Privatrechts zu beachten hat.

    51.

    Angesichts dieser Gesichtspunkte bin ich daher davon überzeugt, dass die Art und die Bedeutung des Allgemeininteresses, das dem Verbraucherschutz zugrunde liegt, es rechtfertigen, Art. 5 der Richtlinie auf Handlungen von Unternehmen anzuwenden, die – welche Rechtsform oder welche im Allgemeininteresse liegende Aufgabe sie auch haben mögen – gegen ihre berufliche Sorgfaltspflicht verstoßen und in ihrem Tätigkeitsbereich unlautere Geschäftspraktiken anwenden.

    52.

    Erfüllt daher das betreffende Verhalten die in Art. 5 der Richtlinie ausdrücklich festgelegten Voraussetzungen – handelt es sich also um eine Geschäftspraxis, die den Anforderungen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht und geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen –, stellt es per se eine unlautere Geschäftspraxis dar, unabhängig davon, ob die betreffende Einrichtung privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich tätig wurde, und unabhängig davon, welche im Allgemeininteresse liegende Aufgabe sie wahrzunehmen hat.

    53.

    Würden solche Einrichtungen vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen, bestünde die Gefahr, dass durch eine ganz erhebliche Einschränkung ihres Anwendungsbereichs ihre praktische Wirksamkeit beeinträchtigt würde.

    54.

    Wollte man die Vorschriften der Richtlinie je nach der Art des für den Gewerbetreibenden geltenden Rechtsgebiets und der ihm obliegenden Aufgaben unterschiedlich anwenden, würde man zudem in der Union einen variablen Verbraucherschutz einführen, was die vom Unionsgesetzgeber gewollte Harmonisierung gefährden könnte. Die Art und Weise, in der die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse erbracht werden, ist nämlich je nach Mitgliedstaat verschieden, da die Mitgliedstaaten ein öffentliches Unternehmen mit ihrer Wahrnehmung betrauen oder diese einem privaten Unternehmen übertragen können. Auch der Kreis der im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeiten kann von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sein, wobei die Unterschiede infolge der Öffnung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse für den Wettbewerb und des Tempos, mit dem die Mitgliedstaaten diese Öffnung vollziehen, noch verstärkt werden. Die Grenze zwischen Tätigkeiten, die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im engeren Sinne sind, und Tätigkeiten, die mit ihnen im Zusammenhang stehen, aber dem Wettbewerb unterliegen, ist somit unsicher und fließend, was natürlich kein Beurteilungskriterium sein kann.

    55.

    In Anbetracht der Ziele des Unionsgesetzgebers bin ich infolgedessen der Ansicht, dass sich der Begriff „Gewerbetreibender“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie auf die mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe betrauten juristischen Personen des öffentlichen Rechts wie eine Krankenkasse erstrecken muss, wenn diese sich einer Geschäftspraxis bedienen.

    56.

    Nach alledem ist daher Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie in Verbindung mit ihrem Art. 2 Buchst. d meines Erachtens dahin auszulegen, dass eine mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe betraute Einrichtung des öffentlichen Rechts wie eine Krankenkasse als „Gewerbetreibende“ eingestuft werden kann, wenn sie sich mit einer kommerziellen Werbung an die Verbraucher wendet.

    IV – Ergebnis

    57.

    Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Bundesgerichtshof wie folgt zu antworten:

    Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist in Verbindung mit Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 dahin auszulegen, dass eine mit einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe betraute Einrichtung des öffentlichen Rechts wie eine Krankenkasse als „Gewerbetreibende“ eingestuft werden kann, wenn sie sich mit einer kommerziellen Werbung an die Verbraucher wendet.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. L 149, S. 22, im Folgenden: Richtlinie).

    ( 3 ) BGBl. 2004 I S. 1414, im Folgenden: UWG.

    ( 4 ) Art. 13 der Richtlinie.

    ( 5 ) Ich weise darauf hin, dass nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Rechts der Union als auch des Gleichheitssatzes folgt, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die den Zusammenhang der Bestimmung und das Ziel der Regelung, zu der sie gehört, berücksichtigt (vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011, Ziolkowski und Szeja, C-424/10 und C-425/10, Slg. 2011, I-14035, Randnrn. 32 und 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 6 ) Auch scheint mir der Hinweis von Interesse zu sein, dass im größeren Rahmen des Verbraucherschutzrechts der Unionsgesetzgeber keine einheitliche Terminologie für die Bezeichnung des Vertragspartners des Verbrauchers verwendet. Dieser wird, wie in der Richtlinie, abwechselnd als Gewerbetreibender oder als Unternehmen bezeichnet oder auch als Händler, Dienstleistungserbringer oder Verkäufer, was in der englischen Sprachfassung der Richtlinien über das Verbraucherschutzrecht mit den Begriffen „trader“, „seller“, „supplier“, „vendor“ oder auch „business“ wiedergegeben wird.

    ( 7 ) KOM(2006) 744 endgültig.

    ( 8 ) Punkte 4.1 und 4.2 des Anhangs I.

    ( 9 ) Urteil vom 16. März 2004, AOK Bundesverband u. a. (C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493).

    ( 10 ) Urteil vom 23. April 1991, Höfner und Elser (C-41/90, Slg. 1991, I-1979, Randnr. 21).

    ( 11 ) Urteil vom 11. Juli 2006, FENIN/Kommission (C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295, Randnr. 25).

    ( 12 ) Urteil vom 16. Juni 1987 (C-118/85, Slg. 1987, 2599).

    ( 13 ) Urteil vom 19. Januar 1994, SAT Fluggesellschaft (C-364/92, Slg. 1994, I-43).

    ( 14 ) Urteile Höfner und Elser, und vom 17. Februar 1993, Poucet und Pistre (C-159/91 und C-160/91, Slg. 1993, I-637).

    ( 15 ) Urteil AOK Bundesverband u. a. (Randnr. 58).

    ( 16 ) Ebd.

    ( 17 ) Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 2000 (T-128/98, Slg. 2000, II-3929).

    ( 18 ) Richtlinie des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31). Art. 2 der Richtlinie 85/577 definiert den Gewerbetreibenden als „eine natürliche oder juristische Person, die beim Abschluss des betreffenden Geschäfts im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, sowie eine Person, die im Namen und für Rechnung eines Gewerbetreibenden handelt“.

    ( 19 ) IATE, mehrsprachige Terminologie-Datenbank der EU.

    ( 20 ) ABl. L 95, S. 29.

    ( 21 ) Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 93/13. Hervorhebung nur hier.

    ( 22 ) ABl. L 80, S. 27.

    ( 23 ) Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 98/6. Hervorhebung nur hier.

    ( 24 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 304, S. 64).

    ( 25 ) Vgl. Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2011/83. Hervorhebung nur hier.

    ( 26 ) Erwägungsgründe 1, 8 und 11 der Richtlinie.

    ( 27 ) Randnr. 58.

    Top