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Document 62011CJ0472

    Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 21. Februar 2013.
    Banif Plus Bank Zrt gegen Csaba Csipai und Viktória Csipai.
    Vorabentscheidungsersuchen des la Fővárosi Bíróság (jetzt Fővárosi Törvényszék).
    Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Prüfung der Missbräuchlichkeit einer Klausel durch das nationale Gericht von Amts wegen – Verpflichtung des nationalen Gerichts, das von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Klausel festgestellt hat, den Parteien Gelegenheit zur Äußerung zu geben, bevor es die Konsequenzen aus dieser Feststellung zieht – Vertragsklauseln, die bei der Prüfung der Missbräuchlichkeit zu berücksichtigen sind.
    Rechtssache C‑472/11.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:88

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

    21. Februar 2013 ( *1 )

    „Richtlinie 93/13/EWG — Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen — Prüfung der Missbräuchlichkeit einer Klausel durch das nationale Gericht von Amts wegen — Verpflichtung des nationalen Gerichts, das von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Klausel festgestellt hat, den Parteien Gelegenheit zur Äußerung zu geben, bevor es die Konsequenzen aus dieser Feststellung zieht — Vertragsklauseln, die bei der Prüfung der Missbräuchlichkeit zu berücksichtigen sind“

    In der Rechtssache C-472/11

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Bíróság (jetzt Fővárosi Törvényszék) (Ungarn) mit Entscheidung vom 16. Juni 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 16. September 2011, in dem Verfahren

    Banif Plus Bank Zrt

    gegen

    Csaba Csipai,

    Viktória Csipai

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter M. Ilešič, E. Levits und M. Safjan sowie der Richterin M. Berger (Berichterstatterin),

    Generalanwalt: P. Mengozzi,

    Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2012,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der Banif Plus Bank Zrt, vertreten durch E. Héjja, ügyvéd,

    der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,

    der spanischen Regierung, vertreten durch S. Martínez-Lage Sobredo als Bevollmächtigten,

    der slowakischen Regierung, vertreten durch M. Kianička als Bevollmächtigten,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Simon und M. van Beek als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 6 und 7 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29, im Folgenden: Richtlinie).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Banif Plus Bank Zrt (im Folgenden: Banif Plus Bank) und den Eheleuten Csipai wegen der Zahlung von aus einem Darlehensvertrag fälligen Beträgen im Fall der vorzeitigen Kündigung dieses Vertrags durch das Kreditinstitut aufgrund eines dem Darlehensnehmer zurechenbaren Verhaltens.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie definiert die missbräuchliche Klausel wie folgt:

    „Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.“

    4

    Hinsichtlich der Prüfung der Missbräuchlichkeit einer Klausel heißt es in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie:

    „Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.“

    5

    In Bezug auf die mit der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel verbundenen Wirkungen bestimmt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie:

    „Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

    6

    Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie ergänzt:

    „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

    Nationales Recht

    7

    Gemäß Art. 209 Abs. 1 des Zivilgesetzbuchs sind „allgemeine Vertragsbedingungen und Klauseln in einem Verbrauchervertrag, die nicht individuell ausgehandelt worden sind, missbräuchlich, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben die sich aus dem Vertrag ergebenden Rechte und Pflichten der Parteien einseitig und ungerechtfertigt zum Nachteil der Vertragspartei regeln, die die Klauseln nicht verfasst hat“.

    8

    Nach Art. 209/A Abs. 2 des Zivilgesetzbuchs sind derartige Klauseln nichtig.

    9

    Art. 2 Buchst. j des Regierungserlasses Nr. 18/1999 vom 5. Februar 1999 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sieht vor:

    „… vorbehaltlich des Nachweises des Gegenteils [sind] insbesondere Klauseln als missbräuchlich anzusehen, die

    j)

    den Verbraucher zu überhöhten Zahlungen verpflichten, wenn er seine Verpflichtungen nicht oder nicht nach Maßgabe der vertraglichen Bestimmungen erfüllt.“

    10

    Nach Art. 3 Abs. 2 des Zivilprozessgesetzes Nr. III von 1952 ist das Gericht vorbehaltlich abweichender Rechtsvorschriften an die Anträge und das Vorbringen der Parteien gebunden.

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

    11

    Am 16. Juni 2006 schloss Herr Csipai mit der Banif Plus Bank einen Darlehensvertrag, dessen Ende auf den 15. Juni 2012 festgelegt war.

    12

    Klausel 29 des von der Banif Plus Bank vorformulierten Vertrags sah vor, dass der Darlehensnehmer bei einer vorzeitigen Kündigung des Vertrags wegen einer Vertragsverletzung seinerseits oder aufgrund eines von ihm zu vertretenden Verhaltens verpflichtet ist, neben Verzugszinsen und Kosten den Gesamtbetrag der noch ausstehenden Raten zu zahlen. Die fällig gestellten Raten enthielten neben der Hauptforderung die für das Darlehen vereinbarten Zinsen sowie die Versicherungsprämie.

    13

    Herr Csipai zahlte zuletzt im Februar 2008 eine Tilgungsrate. Die Banif Plus Bank kündigte daraufhin den Vertrag und verlangte vom Darlehensnehmer gemäß Klausel 29 dieses Vertrags die Zahlung der noch ausstehenden Beträge. Da Herr Csipai dieser Forderung nicht nachkam, erhob die Banif Plus Bank Klage gegen ihn und, unter Berufung auf die Regeln des Familienrechts, seine Ehefrau.

    14

    Im Rahmen des vor ihm anhängigen Verfahrens teilte der Pesti Központi kerületi bíróság (Bezirksgericht für Pest-Zentrum) als erstinstanzliches Gericht den Parteien mit, dass er diese Klausel 29 für missbräuchlich halte und forderte sie auf, sich dazu zu äußern. Herr Csipai machte geltend, dass die Forderungen der Banif Plus Bank überhöht seien und er den Anspruch lediglich in Höhe der Hauptforderung anerkenne. Die Banif Plus Bank bestritt die Missbräuchlichkeit der in Rede stehenden Klausel.

    15

    Mit Entscheidung vom 6. Juli 2010 verurteilte der Pesti Központi kerületi bíróság Herrn Csipai, einen Betrag an die Banif Plus Bank zu zahlen, der ohne Anwendung der Klausel 29 des Vertrags berechnet wurde.

    16

    Die Banif Plus Bank legte Berufung gegen diese Entscheidung ein. Unter diesen Umständen hat der Fővárosi Bíróság beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Entspricht die Vorgehensweise eines nationalen Gerichts der Regelung des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13, wenn es das Vorliegen einer missbräuchlichen Vertragsbestimmung feststellt und trotz des Fehlens eines entsprechenden Begehrens der Parteien diesen mitteilt, dass es den vierten Satz von Klausel 29 der allgemeinen Vertragsbedingungen des zwischen den Prozessparteien geschlossenen Darlehensvertrags für nichtig hält? Die Nichtigkeit ergibt sich aus der Verletzung von Rechtsvorschriften, konkret der Art. 1 Abs. 1 Buchst. c und 2 Buchst. j des Regierungserlasses Nr. 18/1999.

    2.

    Im Zusammenhang mit der ersten Frage: Ist das Gericht befugt, die Prozessparteien aufzufordern, eine Erklärung zu der genannten Vertragsklausel abzugeben, damit die Rechtsfolgen einer etwaigen Missbräuchlichkeit der Klausel herausgearbeitet und die in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 niedergelegten Ziele erreicht werden können?

    3.

    Kann das Gericht unter den zuvor dargelegten Umständen anlässlich der Prüfung einer missbräuchlichen Vertragsklausel jede Vertragsklausel prüfen, oder kann es nur diejenigen Klauseln prüfen, auf die die Partei, die mit dem Verbraucher einen Vertrag geschlossen hat, ihren Anspruch stützt?

    Zu den Vorlagefragen

    Zur ersten und zur zweiten Frage

    17

    Mit seinen ersten beiden Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie es verbieten oder aber erlauben, dass das nationale Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen festgestellt hat, den Parteien mitteilt, dass es das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes festgestellt habe, und sie auffordere, sich hierzu zu äußern.

    18

    Aus den Akten geht hervor, dass diese Fragen davon abhängen, ob im nationalen Recht eine Regel besteht, wonach das Gericht, das von Amts wegen einen Nichtigkeitsgrund festgestellt hat, die Parteien darauf hinweisen und ihnen die Möglichkeit geben muss, zur etwaigen Feststellung der Ungültigkeit der betreffenden Rechtsbeziehung eine Erklärung abzugeben, ohne die es die Nichtigkeit nicht feststellen kann.

    19

    Zur Beantwortung dieser Fragen ist darauf hinzuweisen, dass das mit der Richtlinie geschaffene Schutzsystem auf dem Gedanken beruht, dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können (vgl. u. a. Urteile vom 6. Oktober 2009, Asturcom Telecomunicaciones, C-40/08, Slg. 2009, I-9579, Randnr. 29, und vom 14. Juni 2012, Banco Español de Crédito, C-618/10, Randnr. 39).

    20

    In Anbetracht dieser schwächeren Position sieht Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie vor, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind. Wie sich aus der Rechtsprechung ergibt, handelt es sich um eine zwingende Bestimmung, die darauf zielt, die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen (vgl. u. a. Urteile vom 9. November 2010, VB Pénzügyi Lízing, C-137/08, Slg. 2010, I-10847, Randnr. 47, und Banco Español de Crédito, Randnr. 40).

    21

    Um den durch die Richtlinie angestrebten Schutz zu gewährleisten, hat der Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt, dass die bestehende Ungleichheit zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem nur durch ein positives Eingreifen von dritter, von den Vertragsparteien unabhängiger Seite ausgeglichen werden kann (vgl. u. a. Urteile VB Pénzügyi Lízing, Randnr. 48, und Banco Español de Crédito, Randnr. 41).

    22

    Im Licht dieser Erwägungen hat der Gerichtshof entschieden, dass das nationale Gericht von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, prüfen und damit dem Ungleichgewicht zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden abhelfen muss (vgl. u. a. Urteile VB Pénzügyi Lízing, Randnr. 49, und Banco Español de Crédito, Randnr. 42).

    23

    Folglich ist die Aufgabe, die dem nationalen Gericht in dem fraglichen Bereich vom Unionsrecht zugewiesen wird, nicht auf die bloße Befugnis beschränkt, über die etwaige Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel zu entscheiden, sondern umfasst außerdem die Verpflichtung, diese Frage von Amts wegen zu prüfen, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt (vgl. u. a. Urteile vom 4. Juni 2009, Pannon GSM, C-243/08, Slg. 2009, I-4713, Randnr. 32, und Banco Español de Crédito, Randnr. 43).

    24

    Hierzu hat der Gerichtshof auf ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts, bei dem ein Streitverfahren zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden anhängig war, entschieden, dass dieses Gericht verpflichtet ist, von Amts wegen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um festzustellen, ob eine Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, und, wenn ja, von Amts wegen zu beurteilen, ob eine solche Klausel möglicherweise missbräuchlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile VB Pénzügyi Lízing, Randnr. 56, und Banco Español de Crédito, Randnr. 44).

    25

    Was die Konsequenzen anbelangt, die aus der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel zu ziehen sind, haben die Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie vorzusehen, dass eine solche Klausel unverbindlich ist, und „die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften [festzulegen]“.

    26

    Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten ist, die Verfahrensmodalitäten für Klagen festzulegen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Modalitäten dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen internen Sachverhalten gelten (Grundsatz der Äquivalenz), und nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. in diesem Sinne Urteile Asturcom Telecomunicaciones, Randnr. 38, und Banco Español de Crédito, Randnr. 46).

    27

    Was die Verpflichtung betrifft, die Effektivität des von der Richtlinie vorgesehenen Schutzes hinsichtlich der Rechtsfolge einer missbräuchlichen Klausel zu gewährleisten, hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass das nationale Gericht alle Konsequenzen ziehen muss, die sich nach nationalem Recht aus der Feststellung der Missbräuchlichkeit der betreffenden Klausel ergeben, um sich zu vergewissern, dass diese für den Verbraucher unverbindlich ist (Urteil Asturcom Telecomunicaciones, Randnr. 59). Der Gerichtshof hat jedoch näher ausgeführt, dass das nationale Gericht nach der Richtlinie die fragliche Klausel dann nicht unangewendet lassen muss, wenn der Verbraucher nach einem Hinweis dieses Gerichts die Missbräuchlichkeit und Unverbindlichkeit nicht geltend machen möchte (vgl. Urteil Pannon GSM, Randnrn. 33 und 35).

    28

    Aus dieser Rechtsprechung geht hervor, dass es für die volle Effektivität des von der Richtlinie vorgesehenen Schutzes erforderlich ist, dass das nationale Gericht, das von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Klausel festgestellt hat, alle Konsequenzen aus dieser Feststellung ziehen kann, ohne darauf zu warten, dass der über seine Rechte informierte Verbraucher erklärt, dass er die Nichtigerklärung der genannten Klausel begehrt.

    29

    Jedoch muss das nationale Gericht bei der Anwendung des Unionsrechts auch die Erfordernisse eines effektiven gerichtlichen Schutzes der den Einzelnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechte einhalten, der durch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantiert wird. Zu diesen Erfordernissen zählt der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens, der Bestandteil der Verteidigungsrechte ist und den das Gericht vor allem dann wahren muss, wenn es einen Rechtsstreit auf der Grundlage eines von Amts wegen berücksichtigten Gesichtspunkts entscheidet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Dezember 2009, Kommission/Irland u. a., C-89/08 P, Slg. 2009, I-11245, Randnrn. 50 und 54).

    30

    So hat der Gerichtshof entschieden, dass der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens im Allgemeinen nicht nur jedem Verfahrensbeteiligten das Recht verleiht, die Schriftstücke und Erklärungen, die sein Gegner dem Unionsgericht vorgelegt hat, zur Kenntnis zu nehmen und zu erörtern, sondern auch das Recht der Beteiligten umfasst, die Gesichtspunkte zur Kenntnis zu nehmen, die das Unionsgericht von Amts wegen berücksichtigt hat und auf die es seine Entscheidung gründen möchte, und sie zu erörtern. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass es für die Erfüllung der Anforderungen im Zusammenhang mit dem Recht auf ein faires Verfahren nämlich darauf ankommt, dass die Beteiligten sowohl die tatsächlichen als auch die rechtlichen Umstände kennen, die für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sind (vgl. Urteil Kommission/Irland u. a., Randnrn. 55 f.).

    31

    Stellt das nationale Gericht aufgrund der tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, die ihm vorliegen oder von denen es infolge zu diesem Zweck von Amts wegen durchgeführter Untersuchungsmaßnahmen Kenntnis erlangt hat, fest, dass eine Klausel in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, und gelangt es nach einer von Amts wegen vorgenommenen Beurteilung zu dem Ergebnis, dass diese Klausel missbräuchlich ist, ist es folglich im Allgemeinen verpflichtet, die Parteien darüber zu informieren und sie aufzufordern, dies in der von den nationalen Verfahrensvorschriften dafür vorgesehenen Form kontradiktorisch zu erörtern.

    32

    Die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende nationale Regel, wonach das Gericht, das von Amts wegen einen Nichtigkeitsgrund festgestellt hat, die Parteien darauf hinweisen und ihnen die Möglichkeit geben muss, zur etwaigen Feststellung der Ungültigkeit der betreffenden Rechtsbeziehung eine Erklärung abzugeben, erfüllt dieses Erfordernis.

    33

    Falls von Amts wegen festgestellt wird, dass eine Klausel missbräuchlich ist, kann im Übrigen die Verpflichtung, die Parteien darauf hinzuweisen und ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, für sich genommen nicht als mit dem Grundsatz der Effektivität unvereinbar angesehen werden, der für die Anwendung der durch Unionsrecht verliehenen Rechte durch die Mitgliedstaaten gilt. Es steht nämlich fest, dass bei der Anwendung dieses Grundsatzes insbesondere die Grundsätze zu berücksichtigen sind, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, von denen der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens ein Teil ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Asturcom Telecomunicaciones, Randnr. 39).

    34

    Unter diesen Voraussetzungen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens beachtet und die Effektivität des von der Richtlinie zugunsten des Verbrauchers vorgesehenen Schutzes nicht beeinträchtigt hat, als es im Rahmen des Ausgangsverfahrens sowohl das Finanzinstitut als Kläger in diesem Verfahren als auch den beklagten Verbraucher aufgefordert hat, zu seiner Beurteilung der Missbräuchlichkeit der streitigen Klausel Stellung zu nehmen.

    35

    Diese dem Verbraucher eröffnete Möglichkeit, sich zu diesem Punkt zu äußern, wird – wie bereits in Randnr. 25 des vorliegenden Urteils erwähnt worden ist – auch der Verpflichtung des nationalen Gerichts gerecht, gegebenenfalls den vom Verbraucher geäußerten Willen zu berücksichtigen, wenn dieser im Wissen um die Unverbindlichkeit einer missbräuchlichen Klausel gleichwohl angibt, dass er gegen deren Nichtanwendung sei, und so nach vorheriger Aufklärung seine freie Einwilligung in die fragliche Klausel erteilt.

    36

    Somit ist auf die ersten beiden Fragen zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass das nationale Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen festgestellt hat, um die Konsequenzen aus dieser Feststellung ziehen zu können, nicht abwarten muss, dass der über seine Rechte informierte Verbraucher erklärt, dass er die Nichtigerklärung der genannten Klausel beantragt. Der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verpflichtet jedoch im Allgemeinen das nationale Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen festgestellt hat, die Parteien darüber zu informieren und ihnen Gelegenheit zu geben, dies in der von den nationalen Verfahrensvorschriften dafür vorgesehenen Form kontradiktorisch zu erörtern.

    Zur dritten Frage

    37

    Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sie dem nationalen Gericht gestattet oder es sogar verpflichtet, bei der Prüfung einer missbräuchlichen Klausel jede Vertragsklausel zu prüfen, oder ob es aber seine Prüfung auf diejenigen Klauseln zu beschränken hat, auf die der bei ihm gestellte Antrag gestützt wird.

    38

    Vorab ist festzustellen, dass aus den Akten hervorgeht, dass im Ausgangsverfahren der von der Banif Plus Bank gestellte, gegen die Eheleute Csipai gerichtete Antrag auf Klausel 29 des zwischen den Parteien geschlossenen Darlehensvertrags gestützt ist und dass die über den Antrag auf Zahlung der einzelnen von der Banif Plus Bank geforderten Schadensersatzbeträge zu erlassende Entscheidung von der Feststellung abhängt, ob diese Klausel missbräuchlich ist oder nicht.

    39

    Somit ist die dritte Frage dahin auszulegen, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob es bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klausel, auf die der Antrag gestützt wird, andere Vertragsklauseln berücksichtigen kann oder muss.

    40

    Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie ist eine Klausel als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht. Nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie muss diese Beurteilung unter Berücksichtigung der Art der Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrags sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrags oder eines anderen Vertrags, von dem die Klausel abhängt, vorgenommen werden.

    41

    Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, dass das nationale Gericht, um die etwaige Missbräuchlichkeit der Vertragsklausel, auf die der bei ihm gestellte Antrag gestützt ist, beurteilen zu können, alle anderen Klauseln des Vertrags berücksichtigen muss.

    Kosten

    42

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

     

    1.

    Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass das nationale Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen festgestellt hat, um die Konsequenzen aus dieser Feststellung ziehen zu können, nicht abwarten muss, dass der über seine Rechte informierte Verbraucher erklärt, dass er die Nichtigerklärung der genannten Klausel beantragt. Der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verpflichtet jedoch im Allgemeinen das nationale Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen festgestellt hat, die Parteien darüber zu informieren und ihnen Gelegenheit zu geben, dies in der von den nationalen Verfahrensvorschriften dafür vorgesehenen Form kontradiktorisch zu erörtern.

     

    2.

    Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, dass das nationale Gericht, um die etwaige Missbräuchlichkeit der Vertragsklausel, auf die der bei ihm gestellte Antrag gestützt ist, beurteilen zu können, alle anderen Klauseln des Vertrags berücksichtigen muss.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.

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