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Document 62011CC0661

Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 18. April 2013.
Martin y Paz Diffusion SA gegen David Depuydt und Fabriek van Maroquinerie Gauquie NV.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour de cassation - Belgien.
Marken - Richtlinie 89/104/EWG - Art. 5 - Zustimmung des Inhabers einer Marke zur Benutzung eines mit dieser identischen Zeichens durch einen Dritten - Im Rahmen einer geteilten Verwertung erteilte Zustimmung - Möglichkeit des Inhabers, die geteilte Verwertung zu beenden und die ausschließliche Benutzung seiner Marke wieder aufzunehmen.
Rechtssache C-661/11.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:252

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 18. April 2013 ( 1 )

Rechtssache C‑661/11

Martin y Paz Diffusion SA

gegen

David Depuydt

und

Fabriek van Maroquinerie Gauquie SA

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Belgien])

„Marken — Richtlinie 89/104/EWG — Art. 5 Abs. 1 — Ausschließliches Recht des Markeninhabers — Geteilte Nutzung einer Marke — Zustimmung — Widerruf der Zustimmung zur Nutzung einer Marke — Unlauterer Wettbewerb“

1. 

Kann dem Inhaber einer Marke die Ausübung seines ausschließlichen Rechts und die Nutzung der Marke für bestimmte Waren endgültig verwehrt werden, weil ein Dritter die Marke während eines langen Zeitraums für diese Waren mit Zustimmung des Inhabers benutzt hat? Das ist der Kern der Fragen, um deren Beantwortung der Gerichtshof im vorliegenden Fall ersucht wird.

2. 

Den Fragen liegt ein recht ungewöhnlicher Sachverhalt zugrunde. Beide Parteien des Ausgangsverfahrens – Martin y Paz Diffusion (im Folgenden: MyP) auf der einen Seite und Fabriek van Maroquinerie Gauquie (im Folgenden: Gauquie) zusammen mit ihrem Geschäftsführer David Depuydt auf der anderen Seite – sind in der Ledermodeartikel-Branche tätig. Sie haben dieselbe Marke, allerdings für jeweils unterschiedliche Waren, benutzt. Die Parteien hatten zunächst kooperiert und die von ihnen verwendete Marke im Laufe der Zeit geändert. Schließlich ließ MyP die Marken teilweise auf sich eintragen. Später verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den Parteien, und es kam zu mehreren Rechtstreitigkeiten.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

3.

Die Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 ( 2 ) (im Folgenden: Richtlinie), die hier anwendbar ist, wurde zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken erlassen.

4.

Der sechste Erwägungsgrund der Richtlinie lautet: „Diese Richtlinie schließt nicht aus, dass auf die Marken andere Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten als die des Markenrechts, wie die Vorschriften gegen den unlauteren Wettbewerb, über die zivilrechtliche Haftung oder den Verbraucherschutz, Anwendung finden.“

5.

Im siebten Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es u. a., dass „[d]ie Eintragungshindernisse und Ungültigkeitsgründe betreffend die Marke selbst, wie fehlende Unterscheidungskraft, oder betreffend Kollisionen der Marke mit älteren Rechten … erschöpfend aufzuführen [sind]“.

6.

In Art. 3 der Richtlinie sind Eintragungshindernisse und Ungültigkeitsgründe aufgeführt. Nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie kann ein Mitgliedstaat vorsehen, dass eine Marke von der Eintragung ausgeschlossen ist oder im Fall der Eintragung der Ungültigerklärung unterliegt, wenn und soweit „der Antragsteller die Eintragung der Marke bösgläubig beantragt hat“. In Art. 4 sind weitere Eintragungshindernisse und Ungültigkeitsgründe bei Kollision mit älteren Rechten genannt.

7.

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„(1)   Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr

a)

ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist;

b)

ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.“

8.

Art. 8 der Richtlinie regelt Lizenzen.

9.

Die Richtlinie wurde durch Art. 17 der am 28. November 2008 in Kraft getretenen Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ( 3 ) aufgehoben. Der siebte Erwägungsgrund der neuen Richtlinie entspricht nunmehr dem sechsten Erwägungsgrund der alten Richtlinie, und Art. 5 Abs. 1 der neuen Richtlinie ist von geringfügigen Abweichungen abgesehen mit Art. 5 Abs. 1 der alten Richtlinie identisch. Wegen des Zeitpunkts der streitgegenständlichen Ereignisse ist die alte Richtlinie einschlägig.

B – Nationales Recht

10.

Das vorlegende Gericht hat Art. 2.20 Abs. 1 und Art. 2.32 Abs. 1 der am 25. Februar 2005 in Den Haag unterzeichneten Benelux-Übereinkunft auf dem Gebiet des geistigen Eigentums (Marken und Muster oder Modelle) (im Folgenden: Benelux-Übereinkunft) anzuwenden, mit denen Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie umgesetzt werden. Die Benelux-Übereinkunft trat am 1. Februar 2007 in Kraft und ist seitdem geändert worden.

11.

Art. 2.20 Abs. 1 bestimmt:

„Die registrierte Marke gewährt dem Inhaber ein ausschließliches Recht. Unter Vorbehalt der etwaigen Anwendung des allgemeinen Rechts der zivilrechtlichen Haftung gewährt das ausschließliche Recht an der Marke dem Inhaber, es Dritten zu untersagen, ohne seine Zustimmung:

a)

im geschäftlichen Verkehr ein identisches Zeichen für Waren und Dienstleistungen zu benutzen, die mit den registrierten Waren und Dienstleistungen identisch sind;

b)

im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke oder der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfassten Waren und Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht einschließlich der Gefahr, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;

c)

…“

12.

Art. 2.32 Abs. 1 lautet: „(1) Die Marke kann für alle oder einen Teil der Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke hinterlegt oder eingetragen wurde, Gegenstand einer Lizenz sein.“

II – Sachverhalt und Ausgangsverfahren

A – Sachverhalt

13.

Die vorliegende Rechtssache betrifft den Umfang des ausschließlichen Rechts von MyP aus jetzt noch zwei Marken, die sie beim Benelux-Amt für geistiges Eigentum (BAGE) hat eintragen lassen: eine am 14. August 1998 angemeldete Bildmarke in Form eines gestreckten „N“ (Nr. 636308) für alle Waren der Klassen 18 (Leder) und 25 (Bekleidungsstücke) der Klassifikation von Nizza ( 4 ) sowie die am 24. Januar 2002 angemeldete Wortmarke „NATHAN BAUME“ (Nr. 712962) für Waren der Klassen 18 und 25.

14.

Die Konflikte haben ihren Ursprung jedoch darin, dass sich MyP und Gauquie früher die Benutzung einer dritten Marke geteilt hatten, nämlich „NATHAN“; diese Marke geht auf Nathan Svitckenbaum zurück, der in den 30er Jahren die Herstellung von Ledermodeartikeln unter dem Namen Nathan Baum aufgenommen hatte. Im Jahr 1990 war Paul Baquet, ein weiterer Produzent von Ledermodeartikeln, Inhaber der Rechte an dem Namen „Nathan“.

15.

Am 6. Juni 1990 veräußerte Herr Baquet den Namen „NATHAN“ an MyP. Gemäß dem Vertrag erfolgte der Verkauf „zur Vermarktung einer Produktlinie an Kleinlederwaren“. Herr Baquet „behält das Eigentum am Namen für die Herstellung von Handtaschen“. MyP „verpflichtet sich, hinsichtlich der Herstellung und des Vertriebs von Taschen mit den Modellen und dem Namen von NATHAN keinen unlauteren Wettbewerb zu betreiben“.

16.

Fünf Jahre später erwarb Herr Depuydt mit Vertrag vom 2. Mai 1995 den restlichen Betrieb von Herrn Baquet, u. a. „die Firmenbezeichnung/das Firmenzeichen Paul Baquet ‚NATHAN‘“ sowie die Wortmarke „NATHAN“, die Herr Baquet im Jahr 1991 für die Klassen 18 und 25 beim BAGE angemeldet hatte. Im Hinblick auf den Vertrag zwischen Herrn Baquet und MyP verpflichtete sich Herr Depuydt, keine Kleinlederwaren unter dem Namen „NATHAN“ herzustellen oder zu vertreiben.

17.

Im Lauf des Jahres 1995 brachte Herr Depuydt Handtaschen unter der Marke „NATHAN“ auf den Markt, auf denen ein Buchstabe „N“ in Form einer horizontal gestreckten grafischen Darstellung angebracht ist ( 5 ). Mindestens seit 1996 machte MyP von dem gestreckten Buchstaben „N“ Gebrauch, will dieses Zeichen aber bereits seit Ende 1990 oder Anfang 1991 benutzt haben, was aber von Herrn Depuydt und Gauquie bestritten wird.

18.

Die Parteien waren gezwungen, ihre Markennutzung zu überdenken, als im Jahr 1998 die (nicht mit ihnen verbundene) Firma Natan rügte, die Marke „NATHAN“ weise eine zu starke Ähnlichkeit mit ihrer eigenen Marke „NATAN“ auf.

19.

Seit 2002 machen sowohl MyP als auch Gauquie von der Bildmarke „N“ und dem neuen Begriff „NATHAN BAUME“ Gebrauch. Sie teilen sich die Nutzung dieser Marken in derselben Weise wie seinerzeit die Nutzung der Marke „NATHAN“. So vertreibt MyP unter Verwendung der Bildmarke „N“ und der Wortmarke „NATHAN BAUME“ (die beiden einzigen Marken, um die es in dem Rechtsstreit jetzt noch geht) ein Sortiment von Lederwaren (darunter etwa Kulturbeutel, Brieftaschen, Reisetaschen, Gürtel), und Gauquie produziert und verkauft Handtaschen und Schuhe. Außerdem verkaufen sich die Parteien gegenseitig ihre Waren und stellen sie in ihren jeweiligen Geschäften aus.

20.

Am 14. August 1998 meldete MyP beim BAGE sowohl die hier streitige Marke „N“ als auch „NATHAN“ als Bildmarke an. Die Marke „NATHAN BAUME“ wurde im Jahr 2002 von MyP angemeldet. Herr Depuydt und Gauquie geben an, von MyP nicht über die Anmeldung informiert worden zu sein. Die Übertragung der ursprünglich von Herrn Baquet angemeldeten Wortmarke „NATHAN“ an MyP und Herrn Depuydt wurde am 17. August 1998 bzw. am 19. Dezember 2000 eingetragen.

21.

Trotz der Eintragung dieser Marken setzten die Parteien ihre Beziehung wie bisher fort. Schließlich verschlechterte sich jedoch ihr Verhältnis, und zwar nach den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung deshalb, weil MyP begann, andere Produkte auf den Markt zu bringen, und Gauquie zu einer Abstimmung über die Wahl der Materialien, Farbtöne und Kommunikation aufforderte. MyP hatte bereits im Juli 1998 gegenüber Gauquie die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den beiden Gesellschaften gerügt, die sie dem Image der Marke für abträglich hielt, und wiederholt (auch im Dezember 2001 sowie im Juni und im Dezember 2003) eine engere Kooperation angeregt. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts erhob MyP im Dezember 2004 den Vorwurf „eines Verstoßes gegen die Regeln des Miteigentums an der Marke ‚NATHAN BAUME‘“. Der Versuch, zu einer Einigung zu gelangen, blieb erfolglos.

B – Ausgangsverfahren

22.

Eine von Herrn Depuydt und Gauquie beim Tribunal de commerce de Nivelles erhobene Klage vom 24. Mai 2005 mit dem Antrag, die Bildmarken „N“ und „NATHAN“ sowie die Wortmarke „NATHAN BAUME“ für ungültig oder zumindest ausschließlich für Kleinlederwaren gültig zu erklären, hatte keinen Erfolg.

23.

Als Reaktion auf den von Herrn Depuydt und Gauquie unternommenen Versuch, die Marken für ungültig erklären zu lassen, beendete MyP die geteilte Benutzung der Marken und verklagte Herrn Depuydt und Gauquie am 11. Januar 2007 vor demselben Gericht auf Unterlassung der Benutzung der Bildmarke „N“ und der Wortmarke „NATHAN BAUME“ für Waren der Klassen 18 und 25. Herr Depuydt und Gauquie erhoben Widerklage mit dem Antrag, MyP die Benutzung der Marken „N“, „NATHAN“ und „NATHAN BAUME“ für andere Waren als Kleinlederwaren, insbesondere für Handtaschen, zu untersagen. Das Gericht wies die Klage von MyP ab und verpflichtete die Gesellschaft zur Unterlassung der Herstellung, der Vermarktung, des Verkaufs und des Vertriebs von Handtaschen, die mit Handtaschen von Herrn Depuydt und Gauquie identisch oder ihnen ähnlich sind.

24.

Gegen beide Urteile wurden Rechtsmittel eingelegt, über die die Cour d’appel de Bruxelles am 8. November 2007 entschied.

25.

Die Cour d’appel erklärte die drei auf MyP eingetragenen streitigen Marken, nämlich die beiden Bildmarken „NATHAN“ und „N“ sowie die Wortmarke „NATHAN BAUME“, für gültig. Insbesondere sei der Antrag, die Marken wegen bösgläubiger Anmeldung für ungültig zu erklären, verfristet.

26.

Gauquie und Herrn Depuydt wurde unter Hinweis auf das durch die Marke gewährte ausschließliche Recht untersagt, die drei Marken für irgendwelche anderen Waren als Handtaschen und Schuhe zu benutzen. Das Gericht begründete die Zulassung dieser Ausnahmen mit dem Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs, nämlich einer Zweckentfremdung des Verfahrens. MyP habe ihr ausschließliches Recht aus Rache derart kategorisch geltend gemacht. MyP habe in der Vergangenheit immer anerkannt, dass Gauquie zur Nutzung der Marken „N“ und „NATHAN BAUME“ für Handtaschen und Schuhe berechtigt sei. Das Gericht sah darin keine (unbefristete, stillschweigend verlängerbare) Lizenzvereinbarung zwischen den Parteien. Stattdessen habe MyP sogar eine Art von Miteigentum an den Marken anerkannt. Dies stelle eine „unwiderrufliche Zustimmung“ zur Nutzung der Marken durch Gauquie für Handtaschen und Schuhe dar.

27.

Auf der anderen Seite wurde MyP untersagt, die Marken im geschäftlichen Verkehr für Handtaschen und Schuhe zu benutzen. Nach Ansicht des Gerichts würde eine solche Nutzung einen unlauteren Wettbewerb darstellen. Erstens habe MyP aus freien Stücken immer anerkannt, dass sich das für sie geltende Verbot, in Bezug auf die Herstellung und den Vertrieb von Taschen mit dem Namen „NATHAN“ unlauteren Wettbewerb mit Herrn Baquet zu betreiben, für Handtaschen und Schuhe auf die Marken „N“ und „NATHAN BAUME“ erstreckt habe. Zweitens habe Gauquie für die Bewerbung ihrer Waren seit vielen Jahren Investitionen erheblichen Umfangs getätigt, die MyP unberechtigterweise zugutekämen.

28.

In einem Auslegungsurteil vom 12. September 2008 wurden die Begriffe „Handtaschen“ und „Nutzung im geschäftlichen Verkehr“ näher definiert.

29.

MyP focht das Urteil und das Auslegungsurteil der Cour d’appel bei der Cour de cassation an, soweit sie die Marken „N“ und „NATHAN BAUME“ betreffen. Sie führte zwei Rechtsmittelgründe an.

30.

Mit dem ersten Rechtsmittelgrund, der die Beschränkung der gegen Gauquie und Herrn Depuydt ergangenen Unterlassungsanordnung betrifft, machte MyP geltend, dass einem Dritten die Benutzung einer Marke nur aufgrund einer Lizenz gestattet sein könne, die die nach Art. 2.20 Abs. 1 der Benelux-Übereinkunft erforderliche Zustimmung darstelle. Eine unwiderrufliche Zustimmung, d. h. eine unwiderrufliche Verpflichtung, gebe es aus Gründen des Ordre public nicht und widerspräche dem durch eine Marke gewährten ausschließlichen Recht. Eine Beendigung der Zustimmung und die Ausübung des Markenrechts könnten nicht rechtsmissbräuchlich sein; selbst wenn es sich jedoch um einen Rechtsmissbrauch handeln sollte, bestehe die sachgerechte Sanktion jedenfalls nicht in einem Verbot der Ausübung des Rechts aus der Marke, sondern in der Reduzierung der Ausübung des Rechts auf das Normalmaß und der Gewährung von Schadensersatz.

31.

In Bezug auf die gegen sie ergangene Anordnung, die Marken in bestimmten Fällen nicht zu benutzen, trug MyP mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund vor, die Marken gewährten das ausschließliche Recht, anderen die Benutzung der Marken ohne die Zustimmung von MyP zu verbieten. Dieses Recht umfasse das Recht, die Marken selbst zu benutzen, da der Inhaber sonst Gefahr laufe, dass die Marken für verfallen erklärt würden. Nach Beendigung einer Lizenz (selbst wenn mit der Lizenz eine Verpflichtung des Markeninhabers zur Unterlassung der Eigennutzung der Marke verbunden gewesen sein sollte) erlange der Markeninhaber die volle Ausübung seines Rechts zurück. Der Nutzen, den der Inhaber gegebenenfalls aus der Werbung ziehe, die der von ihm zur Verwendung der Marke autorisierte Dritte betrieben habe, und die aus der Rückerlangung des Rechts resultierende Verwechslungsgefahr seien nur die notwendigen Folgen der rechtmäßigen Ausübung des ausschließlichen Rechts. Hilfsweise machte MyP geltend, dass das Gericht die Nutzung der Marke nicht hätte endgültig untersagen dürfen, sondern eine weniger einschneidende Sanktion hätte verhängen müssen.

III – Zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

32.

Mit Urteil vom 2. Dezember 2011 wies das vorlegende Gericht das Vorbringen von MyP, dem zufolge ihr Versuch, Gauquie die Benutzung der Marken untersagen zu lassen, lediglich die Ausübung ihres ausschließlichen Rechts aus der Marke gewesen sei und daher nicht als Rechtsmissbrauch angesehen werden könne, mit der Begründung zurück, dass dieses Argument auf einem Missverständnis des angefochtenen Urteils beruhe. In der angefochtenen Entscheidung sei nicht nur der lange Zeitraum der geteilten Nutzung berücksichtigt worden, sondern auch das Rachemotiv sowie die Art und Weise, in der MyP ihren Anspruch formuliert habe.

33.

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts werfen die beiden von MyP angeführten Rechtsmittelgründe außerdem verschiedene Fragen betreffend die Auslegung der Richtlinie 89/104 auf. Das Gericht hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.1

Sind die Art. 5 Abs. 1 und 8 Abs. 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken dahin auszulegen, dass das durch die eingetragene Marke gewährte ausschließliche Recht von seinem Inhaber einem Dritten endgültig nicht mehr entgegengehalten werden kann, und zwar für sämtliche von der Eintragung betroffenen Waren,

wenn der Inhaber während eines langen Zeitraums die Verwertung dieser Marke mit diesem Dritten im Rahmen einer Form von Miteigentum für einen Teil der betroffenen Waren geteilt hat;

wenn er bei dieser Aufteilung diesem Dritten seine unwiderrufliche Zustimmung dazu erteilt hat, dass der Dritte diese Marke für diese Waren benutzt?

1.2

Sind die genannten Artikel dahin auszulegen, dass die Anwendung einer nationalen Regel wie der, wonach der Inhaber eines Rechts dieses nicht fehlerhaft oder missbräuchlich ausüben darf, dazu führen kann, dass die Ausübung dieses ausschließlichen Rechts für einen Teil der betroffenen Waren endgültig verhindert wird, oder sind sie dahin auszulegen, dass diese Anwendung darauf zu beschränken ist, die fehlerhafte oder missbräuchliche Ausübung des Rechts in anderer Weise zu sanktionieren?

2.1

Sind die Art. 5 Abs. 1 und 8 Abs. 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken dahin auszulegen, dass in dem Fall, dass der Inhaber einer eingetragenen Marke seine einem Dritten gegenüber eingegangene Verpflichtung, diese Marke für bestimmte Waren nicht zu benutzen, beendet und somit diese Nutzung wieder selbst aufzunehmen beabsichtigt, das nationale Gericht gleichwohl diese Wiederaufnahme der Nutzung mit der Begründung endgültig untersagen kann, dass sie einen unlauteren Wettbewerb darstelle, weil daraus für den Inhaber ein Nutzen aus der Werbung entstehe, die der Dritte zuvor für diese Marke gemacht habe, und bei den Kunden möglicherweise Verwirrung entstehe, oder sind sie dahin auszulegen, dass das nationale Gericht eine andere Sanktion verhängen muss, die diese Wiederaufnahme der Nutzung durch den Inhaber nicht endgültig verhindert?

2.2

Sind die genannten Artikel dahin auszulegen, dass die endgültige Untersagung der Nutzung durch den Inhaber gerechtfertigt ist, wenn der Dritte seit vielen Jahren Investitionen getätigt hat, um dem Publikum die Waren zur Kenntnis zu bringen, für die ihm der Inhaber der Marke deren Nutzung erlaubt hat?

34.

Die Vorlageentscheidung ist am 3. Januar 2012 beim Gerichtshof eingegangen.

35.

MyP, Herr Depuydt und Gauquie (gemeinsam), die Republik Polen sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

36.

In der mündlichen Verhandlung vom 10. Januar 2013 haben die Parteien des Ausgangsverfahrens und die Kommission Ausführungen gemacht.

IV – Würdigung

A – Zulässigkeit

37.

Herr Depuydt und Gauquie führen zwei Gründe für die Unzulässigkeit der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen an. Erstens beträfen Fragen nach der Auslegung der Richtlinie das nationale Recht, da die Richtlinie in dieses umgesetzt worden sei. Das Gleiche gelte für die Frage, ob das Recht aus der Marke durch nationale Vorschriften beschränkt werden könne. Auch die Kommission sieht nur einen entfernten Bezug des Rechtsstreits zum Markenrecht der Union.

38.

Zweitens seien die Fragen für den vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie regele nicht die Frage, ob das ausschließliche Recht des Markeninhabers durch nationale Vorschriften beschränkt werden könne. Da das nationale Gericht ausdrücklich festgestellt habe, dass keine Lizenz vorliege, sei auch Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie nicht einschlägig ( 6 ). Des Weiteren machen Herr Depuydt und Gauquie geltend, die erste Frage betreffe eine Maßnahme, die in keinem Zusammenhang mit dem Sachverhalt stehe.

39.

Beide Argumente überzeugen mich nicht. Selbstverständlich ermächtigt Art. 267 AEUV den Gerichtshof nur zur Vorabentscheidung über die Auslegung des Unionsrechts, nicht aber dazu, über die Auslegung des nationalen Rechts zu entscheiden ( 7 ). Die Cour de cassation ersucht den Gerichtshof jedoch um Auslegung der Richtlinie und nicht der nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie. Dass die Richtlinie in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist, bedeutet nicht, dass die nationalen Gerichte die Richtlinie nicht weiter zu berücksichtigen hätten. Sie haben vielmehr das nationale Recht im Licht des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen ( 8 ).

40.

Was die Entscheidungserheblichkeit der vom nationalen Gericht gestellten Fragen anlangt, so ist es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte, bei denen ein Rechtsstreit anhängig ist, die Erheblichkeit der von ihnen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen ( 9 ). Der Gerichtshof kann von diesem Grundsatz nur abweichen, wenn die Auslegung des Unionsrechts „offensichtlich“ ( 10 ) für die anhängige Rechtssache bedeutungslos ist.

41.

Was Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie angeht, führt das vorlegende Gericht selbst aus, dass zwischen den Parteien kein Lizenzvertrag bestanden habe. Da der Gerichtshof an diese Tatsachenfeststellung gebunden ist, ergibt sich in der Tat, dass Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht maßgebend ist. Angesichts dieses Umstands und um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, müssen die Fragen so umformuliert werden, dass Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie nicht darin erwähnt wird ( 11 ).

B – Materiell-rechtliche Würdigung

42.

Das vorlegende Gericht hat eine Reihe von Sachverhaltsangaben gemacht, die für den vorliegenden Fall bedeutsam sind. Da der Gerichtshof an sie gebunden ist, sollte auf einige von ihnen besonders hingewiesen werden. Erstens ist MyP Inhaberin der in Rede stehenden gültig eingetragenen Marken für alle in Rede stehenden Waren. Zweitens haben Gauquie und Herr Depuydt die Marken seit ihrer Anmeldung durch MyP mit Zustimmung von MyP benutzt. Drittens haben die Parteien unstreitig keinen Lizenzvertrag geschlossen. Viertens gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Gauquie und Herr Depuydt ebenfalls Inhaber der streitigen Marken sind. Zwar spricht das vorlegende Gericht von einer „Form von Miteigentum“, es erklärt jedoch nicht, dass Gauquie und Herr Depuydt die Marken angemeldet hätten oder dass ihnen Markenrechte aufgrund von Benutzung zustünden ( 12 ).

43.

Abgesehen vom Fehlen einer Lizenz ähnelt diese Fallkonstellation auf den ersten Blick einem normalen Lizenzverhältnis mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen, etwa der Tatsache, dass eine Lizenz beendet werden kann. Dieses Ergebnis wird aber durch die besondere Vorgeschichte der Parteien in Frage gestellt – die Parteien hatten ursprünglich gleichermaßen Anspruch auf die Zeichen. Sie haben die Benutzung während eines langen Zeitraums aufgeteilt. Wie jedoch bereits erwähnt, meldete MyP zu einem bestimmten Zeitpunkt die Marken – angeblich „geheim“ – an, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass Marken veröffentlicht werden und die Möglichkeit zur Überwachung besteht. Der Versuch, die Eintragung wegen Bösgläubigkeit für ungültig erklären zu lassen, scheiterte wegen Verfristung.

44.

Trotz der vorstehend dargestellten Tatsachenfeststellungen entschied die Cour d’appel im Sinne einer Wiederaufnahme der geteilten Benutzung, die die Parteien während eines langen Zeitraums gepflogen hatten. Sie erreichte dieses Ergebnis einerseits durch Beschränkung des Rechts aus den Marken und andererseits durch Verpflichtung des Markeninhabers, die Benutzung der Zeichen für einige Waren zu unterlassen. Angesichts dieses Urteils stellt sich dem vorlegenden Gericht die Frage, ob und durch welche Konstruktionen die Situation einer geteilten Nutzung aufrechterhalten werden kann. Da einige der vorgeschlagenen Rechtskonstruktionen auf nationalem Recht basieren, lautet eine wichtige Frage in dieser Rechtssache, inwieweit das nationale Recht dem Unionsrecht im Bereich der Marken Grenzen setzen kann. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über die nationalen Vorschriften Sache der nationalen Gerichte ist. Der Gerichtshof hat insoweit lediglich die Aufgabe, die Grenzen zu definieren, die dem nationalen Recht durch die Richtlinie gezogen sind.

1. Erste Frage

45.

Die erste Frage des vorlegenden Gerichts gilt den Beschränkungen, denen die Geltendmachung des ausschließlichen Rechts aus der Marke in einer Situation wie der hier gegebenen unterworfen werden kann, in der die Benutzung der Marke während eines langen Zeitraums geteilt wurde. Das vorlegende Gericht hat die Frage in zwei Teilfragen gegliedert.

a) Gegenstand der ersten Teilfrage

46.

Die erste Teilfrage lautet, ob der Inhaber einer eingetragenen Marke nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie sein ausschließliches Recht für sämtliche von der Eintragung betroffenen Waren einem Dritten endgültig nicht entgegenhalten kann, wenn der Inhaber die Verwertung dieser Marke für einen Teil der betroffenen Waren mit diesem Dritten „im Rahmen einer Form von Miteigentum“ geteilt hat und wenn der Dritte die Marke mit der „unwiderruflichen Zustimmung“ des Inhabers benutzt hat.

47.

Aus der Vorlageentscheidung des nationalen Gerichts ergibt sich, dass es wissen möchte, ob es eine markenrechtliche Grundlage dafür gibt, dass der Inhaber einer eingetragenen Marke sein Recht einem Dritten, mit dem er die Verwertung der Marke während eines langen Zeitraums geteilt hat, endgültig nicht entgegenhalten kann. Die Bezugnahmen des Gerichts auf „Form von Miteigentum“ und „unwiderrufliche Zustimmung“ bedürfen einer näheren Erklärung.

48.

Zunächst einmal lässt sich die Bedeutung der Wendung „Form von Miteigentum“ meines Erachtens ohne Schwierigkeiten dem Kontext des Urteils der Cour d’appel entnehmen, aus dem das vorlegende Gericht zitiert. Die Cour d’appel stützt ihre Begründung auf die geteilte Benutzung der Marken durch die Parteien – wobei es erwähnt, dass MyP sogar so weit gegangen sei, eine „Form von Miteigentum“ anzuerkennen – und gelangt dann zu dem Ergebnis, dass MyP ihre „unwiderrufliche Zustimmung“ zur Benutzung der Marke erteilt habe. Die Cour d’appel sagt nicht, dass Herr Depuydt und Gauquie die Marken angemeldet hätten oder dass ihnen Markenrechte aufgrund von Benutzung zustünden. Der Begriff wird also nicht im rechtstechnischen Sinne verwendet. Er ist vielmehr als Tatsachenfeststellung und als Rückbezug auf die einvernehmliche geteilte Benutzung der Marken zu verstehen.

49.

Der vom vorlegenden Gericht – ebenfalls im Rahmen eines Zitats aus dem Urteil der Cour d’appel – verwendete Begriff „unwiderrufliche Zustimmung“ stellt eine Tatsachenfeststellung dar, die das Gericht aus dem Verhalten von MyP folgert. In der mündlichen Verhandlung haben Herr Depuydt und Gauquie geltend gemacht, die Feststellung des Vorliegens einer „unwiderruflichen Zustimmung“ sei Sache des nationalen Gerichts. Die Kommission geht davon aus, dass das Vorliegen einer unwiderruflichen Zustimmung als Tatsachenfeststellung zu werten sei. Allerdings setzt die Tatsachenfeststellung, dass eine „unwiderrufliche Zustimmung“ erteilt worden ist, voraus, dass die vom Markeninhaber erteilte Zustimmung rechtlich überhaupt unwiderruflich sein kann. Die Frage, ob die in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie erwähnte Zustimmung unwiderruflich erteilt werden kann, muss der Gerichtshof beantworten.

50.

Zweifellos ist dem Gerichtshof die Beantwortung dieser Frage nicht verwehrt. Es ist zwar Sache des nationalen Gerichts, die Tatsachen festzustellen – und somit im vorliegenden Fall zu entscheiden, ob eine Zustimmung erteilt worden ist –, jedoch ist der Gerichtshof nicht an die Auffassung des vorlegenden Gerichts bezüglich der Existenz bestimmter Rechtsinstitute gebunden. Ebenso legt das nationale Gericht den Gegenstand fest, den es dem Gerichtshof vorlegt. Dies hindert den Gerichtshof jedoch nicht daran, diesem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, unabhängig davon, worauf das vorlegende Gericht Bezug genommen hat ( 13 ).

51.

Auf dieser Grundlage konnte der Gerichtshof, als ihm in der Rechtssache Libertel eine Frage nach der Unterscheidungskraft einer bestimmten Farbe als Marke gestellt wurde, entscheiden, ob eine Farbe als solche eine Marke darzustellen vermag ( 14 ). Derselbe Grundsatz gilt auch hier.

52.

Der Gerichtshof hat sich somit speziell mit der Frage zu befassen, ob der Inhaber einer eingetragenen Marke nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie seine Zustimmung zur Benutzung seiner Marke in dem Sinne unwiderruflich erteilen kann, dass er dem Zustimmungsempfänger, mit dem er während eines langen Zeitraums die Verwertung der Marke vor und nach deren Eintragung geteilt hat, das durch die Marke gewährte ausschließliche Recht endgültig nicht mehr entgegenhalten kann.

b) Prüfung der ersten Teilfrage

53.

Im Rahmen der so formulierten Frage wird der Gerichtshof zunächst ersucht, das Wesen der „Zustimmung“ im Kontext von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie zu prüfen.

54.

Es versteht sich von selbst, dass der Gerichtshof diesem Ersuchen nur nachkommen kann, wenn es sich bei dem in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie verwendeten Ausdruck „Zustimmung“ um einen unionsrechtlichen Begriff handelt, dessen Auslegung deshalb nicht den nationalen Gerichten überlassen werden kann.

55.

Aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes folgt, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union eine autonome Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontexts der Vorschrift und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss ( 15 ).

56.

Gewiss verliert diese Regel im Fall von Richtlinien, durch die ein Rechtsbereich nicht vollständig harmonisiert wird, einen Großteil ihrer Durchschlagskraft. Auch wenn die Richtlinie ihrem dritten Erwägungsgrund zufolge keine vollständige Angleichung der Markenrechte der Mitgliedstaaten unternimmt, so harmonisiert sie doch einige Bereiche dieses Rechtsgebiets. Insoweit verweist der neunte Erwägungsgrund auf die Notwendigkeit, dass zur Erleichterung des freien Warenverkehrs die eingetragenen Marken im Recht aller Mitgliedstaaten einen einheitlichen Schutz genießen. Dementsprechend hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Art. 5 bis 7 der Richtlinie eine umfassende Harmonisierung der Vorschriften über die Rechte aus der Marke vornehmen ( 16 ).

57.

Der in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie verwendete Begriff „Zustimmung“ gehört daher zum Unionsrecht.

58.

Der Gerichtshof hatte im Rahmen seiner Rechtsprechung bereits vielfach Gelegenheit, verschiedene Aspekte von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie zu klären. In Bezug auf das Wesen der „Zustimmung“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 ist diese Rechtsprechung meines Erachtens jedoch nicht erhellend.

59.

Aufschlussreich sind indes der Kontext von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs. Der Begriff „Zustimmung“ erscheint in der Richtlinie an mehreren Stellen: in Art. 5 Abs. 1 und 2 betreffend den Umfang des durch die Marke gewährten ausschließlichen Rechts, in Art. 7 Abs. 1 betreffend die Erschöpfung des Rechts aus der Marke, in Art. 10 Abs. 3 zur Einordnung des Benutzungserfordernisses sowie in Art. 12 Abs. 2 im Rahmen der Verfallsgründe. Die Verwendung des Begriffs in der Richtlinie ist keineswegs ungewöhnlich. In entsprechenden Kontexten ist in der Verordnung des Rates über die Gemeinschaftsmarke ebenfalls von „Zustimmung“ die Rede ( 17 ), und auch im TRIPS-Übereinkommen ( 18 ) sowie im US-amerikanischen Markenrecht ( 19 ) kommt dieser Begriff vor.

60.

Der Gerichtshof hatte den Begriff der Zustimmung unter dem Gesichtspunkt der Erschöpfung, d. h. im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie, auszulegen. Nach dieser Vorschrift ( 20 ) kann der Markeninhaber nicht die Benutzung der Marke für Waren verbieten, die unter dieser Marke von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in den Verkehr gebracht worden sind.

61.

Den Rechtssachen Zino Davidoff und Levi Strauss lag der Sachverhalt zugrunde, dass die Inhaber der betreffenden Marken ihre Waren außerhalb des EWR in den Verkehr gebracht hatten und die Waren anschließend von einer anderen Person in den EWR eingeführt wurden. Dem Gerichtshof wurde die Frage gestellt, unter welchen Voraussetzungen dem Markeninhaber unterstellt werden kann, dass er seine „Zustimmung“ zu einem Inverkehrbringen der Waren im EWR erteilt hat. Der Gerichtshof hat entschieden, dass der Begriff der Zustimmung einer einheitlichen Auslegung durch den Gerichtshof bedürfe ( 21 ). Eine Zustimmung könne ausdrücklich erteilt werden oder sie könne konkludent sein und dann aus Anhaltspunkten und Umständen vor, bei oder nach dem Inverkehrbringen der Waren außerhalb des EWR geschlossen werden. Angesichts der Bedeutung ihrer Wirkung im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie – Erlöschen des ausschließlichen Rechts des Inhabers zur Kontrolle des ersten Inverkehrbringens im EWR – „muss die Zustimmung auf eine Weise geäußert werden, die einen Willen zum Verzicht auf dieses Recht mit Bestimmtheit erkennen lässt“ ( 22 ). Auch wenn sich die Zustimmung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 auf das Inverkehrbringen von Waren bezieht ( 23 ) und die Zustimmung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie die Benutzung der Marke (oder eines zum Verwechseln ähnlichen Zeichens) im geschäftlichen Verkehr betrifft, gelten die Ausführungen des Gerichtshofs zum Wesen der Zustimmung meines Erachtens auch für den Begriff der Zustimmung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie.

62.

Den Ausführungen des Gerichtshofs lässt sich entnehmen, dass Voraussetzung für eine Zustimmung die (mit Bestimmtheit erkennbare) Äußerung des Willens zum Verzicht auf das Recht aus der Marke ist. Es handelt sich um ein Rechtsgeschäft zwischen dem Inhaber und dem Zustimmungsempfänger.

63.

Für diese Auslegung spricht auch eine Betrachtung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie in Verbindung mit Art. 8 über die Lizenz. Eine Lizenz ist die üblichste Form der Erteilung einer Zustimmung zur Benutzung einer Marke im geschäftlichen Verkehr. Tatsächlich sind Sachverhalte wie der hier zugrunde liegende, bei denen eine Zustimmung zur Markenbenutzung ohne (ausdrückliche oder konkludente) Lizenz erteilt wird, selten.

64.

Auch Art. 10 Abs. 3 der Richtlinie bestätigt meine Auffassung vom Wesen der Zustimmung. Nach der genannten Bestimmung gilt die Benutzung der Marke mit Zustimmung des Inhabers als Benutzung durch den Inhaber und erfüllt daher das Benutzungserfordernis ( 24 ). Dass die von einem anderen vorgenommene Benutzung dem Inhaber zugerechnet wird, ist deshalb gerechtfertigt, weil durch die Zustimmung des Inhabers eine Art von Vertretungsverhältnis begründet wird. Eine solche Rechtskonstruktion ist nur zulässig, wenn zwischen dem Inhaber und dem die Marke benutzenden Dritten ein Rechtsgeschäft zustande gekommen ist.

65.

Die Unterscheidung zwischen dem in Art. 9 Abs. 1 verwendeten Begriff „Duldung“ und dem Begriff „Zustimmung“ ist ebenfalls instruktiv. Während Duldung Passivität in dem Sinne impliziert, dass die Benutzung einer jüngeren Marke nicht verhindert wird, muss Zustimmung auf eine Weise geäußert werden, die einen Willen zum Verzicht auf das Recht erkennen lässt ( 25 ).

66.

Als Rechtsgeschäft zwischen dem Inhaber und dem Benutzer der Marke unterliegt die Zustimmung den einschlägigen allgemeinen Grundsätzen. Diese Regeln dürften weitgehend mit denjenigen identisch sein, die auf die häufigste Form der Zustimmung, die Lizenz, anwendbar sind. Demnach kann eine Zustimmung befristet oder unbefristet erteilt werden. Selbst im letztgenannten Fall ist eine Beendigung möglich ( 26 ). Allerdings muss bei einer solchen Beendigung der Vertrauensschutz des Markenbenutzers gewahrt werden, so dass z. B. eine angemessene Kündigungsfrist eingehalten oder ein angemessener Kündigungsgrund vorliegen muss. Eine unwiderrufliche Zustimmung ist nicht denkbar.

67.

Obwohl es also keine unwiderrufliche Zustimmung gibt, könnte es dennoch unzulässig sein, demjenigen, mit dem man während eines langen Zeitraums die Verwertung der Marke sowohl vor als auch nach deren Eintragung geteilt hat, das ausschließliche Recht aus der Marke entgegenzuhalten.

68.

Der Markeninhaber kann nicht jegliche Benutzung der Marke verhindern. Der Gerichtshof leitet aus der Zielsetzung des Markenrechts her, dass die durch einen Dritten erfolgende Benutzung der Marke nur dann verhindert werden kann, wenn die Benutzung die Funktion der Marke beeinträchtigt oder beeinträchtigen könnte ( 27 ).

69.

Polen trägt vor, eine vorangegangene geteilte Benutzung wie diejenige zwischen MyP und Gauquie könne dazu führen, dass die Funktion der Marke nicht mehr beeinträchtigt sei. In Fällen, in denen die Benutzung der Marke in einer Weise aufgeteilt gewesen sei, dass sich die Verbraucher daran gewöhnt hätten, dass eine bestimmte Warengruppe nicht vom Markeninhaber, sondern von einem Dritten hergestellt werde, dürfe der Verbraucher eine Fortsetzung der so gestalteten Benutzung erwarten. Die Hauptfunktion der Marke, gegenüber den Verbrauchern die Herkunft der Ware zu gewährleisten, sei daher möglicherweise nicht beeinträchtigt.

70.

Ich bin nicht davon überzeugt, dass dieses Argument im vorliegenden Fall durchgreift. Die fortgesetzte Benutzung der Marke durch Herrn Depuydt und Gauquie nach Beendigung der Zustimmung durch MyP würde die Hauptfunktion der Marke – die Gewährleistung der Herkunft der Ware gegenüber den Verbrauchern – beeinträchtigen.

71.

Die Rechtssache Budějovický Budvar verdeutlicht, unter welchen Voraussetzungen eine lang währende gleichzeitige Benutzung einer Marke dazu führt, dass die Fortsetzung dieser Benutzung die Funktion der Marke, die Herkunft der Ware zu gewährleisten, nicht mehr beeinträchtigt. In jener Rechtssache wurde diese Frage zwar im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gestellt, derselbe Grundsatz gilt aber auch für Art. 5 Abs. 1 ( 28 ).

72.

Der Rechtssache Budějovický Budvar lag ein außergewöhnlicher Sachverhalt zugrunde. Anheuser-Busch und Budvar hatten im Vereinigten Königreich Bier unter dem Wortzeichen „Budweiser“ vor der Eintragung der Marken fast 30 Jahre lang völlig unabhängig voneinander vertrieben. Im Jahr 2000 wurde den beiden Unternehmen gestattet, ihre Marken gemeinsam und gleichzeitig eintragen zu lassen. Aufgrund dieser Sachlage ist es dazu gekommen, dass die Verbraucher sich trotz der gemeinsamen Bezeichnung „Budweiser“ der Unterschiede zwischen den beiden Bieren klar bewusst sind. Angesichts dessen hat der Gerichtshof entschieden, dass die in redlicher Weise erfolgte gleichzeitige Benutzung der beiden identischen Marken die Hauptfunktion der Marke, d. h. die Gewährleistung der Herkunft der Waren gegenüber den Verbrauchern, nicht beeinträchtige ( 29 ).

73.

Der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache unterscheidet sich wesentlich von demjenigen der Rechtssache Budějovický Budvar. Erstens lässt das vorlegende Gericht in keiner Weise erkennen, dass den Verbrauchern die geteilte Benutzung der streitigen Marken durch MyP und Gauquie bekannt ist und daher die Gewährleistung der Herkunft bei Fortsetzung einer solchen Benutzung möglicherweise nicht beeinträchtigt würde.

74.

Vor allem aber benutzten in der Rechtssache Budějovický Budvar zwei nicht miteinander verbundene Unternehmen dieselbe Marke. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts benutzt im vorliegenden Fall eine Partei die gültige Marke der anderen mit Zustimmung des Markeninhabers und möchte die Benutzung auch nach Beendigung der Zustimmung fortsetzen. Bei einem solchen Sachverhalt beruht die These, dass die Fortsetzung der geteilten Benutzung die Funktion der Marke nicht beeinträchtige, auf einer Verkennung der Markenfunktionen.

75.

Die Hauptfunktion von Marken besteht darin, den Verbrauchern die Erkennung der Warenherkunft zu ermöglichen ( 30 ). In dieser Beziehung kommt es für die Herkunft der Waren jedoch auf den Markeninhaber an und nicht (unbedingt) auf den eigentlichen Hersteller. In der modernen Wirtschaft werden zahlreiche Erzeugnisse unter Lizenz (oder mit Zustimmung des Markeninhabers) von Dritten und/oder in komplexen Produktionsketten hergestellt. Den Verbrauchern sind diese Absprachen in der Regel nicht bekannt. Obwohl ein Wechsel des Herstellers sich auf die Qualität der Ware auswirken kann, haben die Verbraucher im Allgemeinen kein schutzwürdiges Interesse am Fortbestand der Absprachen zwischen dem Markeninhaber und dem Hersteller. Die Regelung der Markenbenutzung ist Sache des Markeninhabers. In diesem Rahmen kann er Lizenzverträge kündigen, neue Lizenzen vergeben sowie seine Herstellungs- oder Vertriebsabläufe neu ordnen. Die Gewährleistung der Herkunft wird daher dann beeinträchtigt, wenn eine Partei die Benutzung der Marke fortsetzt, obwohl sie nicht mehr die Zustimmung des Markeninhabers besitzt.

c) Prüfung der zweiten Teilfrage

76.

Mit der zweiten Teilfrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Regel des nationalen Rechts wie die, wonach der Inhaber eines Rechts dieses nicht fehlerhaft oder missbräuchlich ausüben darf, dazu führen kann, dass die Ausübung des durch die Marke gewährten ausschließlichen Rechts für einen Teil der Waren, für die die Marke eingetragen ist, endgültig verhindert wird, oder ob die Regel andere Sanktionen vorsehen muss.

77.

Herr Depuydt und Gauquie befürworten die Zulässigkeit eines endgültigen Verbots der Ausübung des ausschließlichen Rechts aus der Marke nach innerstaatlichen Vorschriften. MyP hingegen ist der Meinung, dass solche nationalen Bestimmungen nur Sanktionen vorsehen dürften, die die Ausübung des durch die Marke gewährten ausschließlichen Rechts nicht endgültig verhinderten. Die Kommission und Polen schließen sich letzterer Meinung im Wesentlichen an.

78.

Nach ihrem sechsten Erwägungsgrund schließt die Richtlinie die Anwendung anderer nationaler Rechtsvorschriften als die des Markenrechts, wie die Vorschriften gegen den unlauteren Wettbewerb und über die zivilrechtliche Haftung, grundsätzlich nicht aus. Dies gilt, wie Herr Depuydt und Gauquie zu Recht vortragen, auch für nationale Vorschriften über das Verbot der fehlerhaften oder missbräuchlichen Ausübung von Rechten ( 31 ).

79.

Allerdings sind der Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften in diesem Bereich Grenzen gesetzt. Das nationale Recht darf die volle Wirksamkeit der Richtlinie nicht behindern. Es darf nicht von der durch die Richtlinie vorgenommenen umfassenden Harmonisierung abweichen. Dies gilt sowohl im Bezug auf das als fehlerhaft oder missbräuchlich eingestufte Verhalten als auch auf die Sanktion für dieses Verhalten.

80.

Was das als fehlerhaft eingestufte Verhalten angeht, können nationale Vorschriften nicht vorsehen, dass die Ausübung eines unionsrechtlich gewährten Rechts an sich bereits als fehlerhaft oder missbräuchlich anzusehen ist. Da die Richtlinie die Beendigung der Zustimmung erlaubt, können eine solche Beendigung und die Ausübung des durch die Marke gewährten ausschließlichen Rechts gegenüber dem früheren Begünstigten der Zustimmung allein noch nicht als missbräuchlich gelten. Bei Fehlen einer Mitteilung und dergleichen können jedoch Sanktionen nach innerstaatlichem Recht eingreifen.

81.

Was die Sanktionen angeht, steht das endgültige Verbot der Ausübung des ausschließlichen Rechts aus der Marke für einen Teil der Waren, für die die Marke eingetragen ist, ebenfalls im Widerspruch zur Zielsetzung der Richtlinie.

82.

Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass die Art. 5 bis 7 der Richtlinie eine umfassende Harmonisierung der Rechte aus der Marke vornehmen. In der Richtlinie sind zahlreiche Eintragungshindernisse bzw. Ungültigkeitsgründe für Marken (Art. 3 und 4 der Richtlinie), Wirkungsbeschränkungen und Rechtserschöpfung (Art. 6 und 7 der Richtlinie) sowie die Möglichkeit einer Verwirkung durch Duldung (Art. 9 der Richtlinie) geregelt ( 32 ). Es ist nicht vorgetragen worden, dass eine Ausnahme von den in der Richtlinie vorgesehenen ausschließlichen Rechten Anwendung finde.

83.

Wollte man zulassen, dass nach nationalen Vorschriften ein Markeninhaber an der Ausübung seines Rechts für einen Teil der Waren, für die die Marke eingetragen ist, aus in der Richtlinie nicht vorgesehenen Gründen endgültig gehindert werden kann, würde ihm ein Teil dieses Schutzrechts entzogen, womit der mit Art. 5 verfolgte Zweck der Rechtsharmonisierung vereitelt und die Bedingungen umgangen würden, die die Richtlinie für eine Beschränkung des Rechts aufstellt. Ein solches Ergebnis kann nicht hingenommen werden.

84.

Generalanwalt Jacobs ist bei der Erörterung nationaler Vorschriften für weiter gehende markenrechtliche Schutzmaßnahmen im Kontext der Gemeinschaftsmarke zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gelangt: „Stünde es im Belieben eines jeden Mitgliedstaats, weiter gehende Schutzbestimmungen vorzusehen, so bestünde tatsächlich große Gefahr, dass das gemeinschaftliche Markenschutzsystem, einschließlich des durch die Richtlinie bezweckten Harmonisierungziels, das Funktionieren des Binnenmarktes zu schützen und Beschränkungen des Wettbewerbs sowie Behinderungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs zu vermeiden, zunichtegemacht würde.“ ( 33 ) Diese Argumentation ist auf den Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache entsprechend übertragbar.

85.

Nationale Vorschriften über fehlerhafte oder missbräuchliche Rechtsausübung dürfen somit den Inhaber einer Marke nicht endgültig an der Ausübung seines Rechts für einen Teil der Waren hindern, für die die Marke eingetragen ist.

86.

Allerdings ist nichts dagegen einzuwenden, wenn nationale Vorschriften anderweitige unionsrechtskonforme Sanktionen vorsehen, etwa die Zuerkennung von Schadensersatz oder sogar eine Unterlassungsanordnung, mit der dem Markeninhaber die Ausübung des ausschließlichen Rechts untersagt wird. Eine solche Unterlassungsanordnung darf jedoch nur vorübergehend gelten und muss das Recht des Markeninhabers wahren. Angesichts der komplexen Sachlage, der Gefahr eines langwierigen Rechtsstreits und der möglichen Zuerkennung von Schadensersatz ist es denkbar, dass die Parteien einen Lizenzvertrag schließen.

2. Prüfung der zweiten Frage

87.

Mit seiner zweiten Frage, die das vorlegende Gericht in zwei Teilfragen gliedert, die aber zusammen zu behandeln sind, möchte es im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie den nationalen Gerichten erlaubt, dem Inhaber einer eingetragenen Marke endgültig zu untersagen, die Benutzung der Marke wieder selbst aufzunehmen, nachdem er seine einem Dritten gegenüber eingegangene Verpflichtung, die Marke für bestimmte Waren nicht zu benutzen, beendet hat. Grundlage für eine solche Untersagung wäre das Verbot unlauteren Wettbewerbs, der darin zu sehen wäre, dass der Markeninhaber unberechtigterweise von der Werbung und den Investitionen des Dritten für die Marke profitiert und bei den Verbrauchern Verwirrung entsteht. Oder muss das nationale Gericht eine andere Sanktion verhängen?

88.

Nach Ansicht von Herrn Depuydt und Gauquie ist ein endgültiges Verbot der Benutzung der Marke durch den Inhaber eine angemessene Sanktion für unlauteren Wettbewerb. MyP, Polen und die Kommission sind der Auffassung, dass die nationalen Gerichte eine andere Sanktion vorsehen müssten.

89.

Auch hier gilt, dass die Richtlinie nach ihrem sechsten Erwägungsgrund die Anwendung anderer nationaler Rechtsvorschriften als die des Markenrechts, wie die Vorschriften gegen den unlauteren Wettbewerb und über die zivilrechtliche Haftung, grundsätzlich nicht ausschließt. Solche nationalen Vorschriften dürfen weder die volle Wirksamkeit der Richtlinie behindern noch von der durch die Richtlinie vorgenommenen umfassenden Harmonisierung abweichen.

90.

Die Richtlinie harmonisiert nicht etwaige vom Markeninhaber eingegangene Verpflichtungen zur Nichtbenutzung der Marke. Außerdem sieht das Markenrecht grundsätzlich kein Recht des Inhabers auf Benutzung der Marke vor ( 34 ). Das Recht aus der Marke ist in erster Linie als Abwehrrecht zum Ausschluss Dritter konzipiert.

91.

Dennoch würde die in Rede stehende nationale Sanktion mit der Richtlinie kollidieren. Sie beruht auf einem angenommenen Nutzen, den der Markeninhaber unberechtigterweise aus dem Werbeaufwand des Dritten für die Marke und aus der Verwirrung der Verbraucher ziehe, die möglicherweise dadurch entsteht, dass die betreffende Ware nunmehr von einer anderen Person hergestellt wird. Beides ist jedoch größtenteils Folge der Beendigung der Zustimmung und der Neuordnung der Benutzung der Marke. Wie oben dargelegt, schafft Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie jedoch eine Regelung, in deren Rahmen der Markeninhaber die Möglichkeit hat, eine einem Dritten erteilte Zustimmung zur Benutzung der Marke zu beenden und diese Benutzung neu zu ordnen.

92.

Auch hier ist jedoch nichts dagegen einzuwenden, wenn nationale Vorschriften dem Dritten andere unionsrechtskonforme Rechtsschutzmöglichkeiten einräumen.

V – Ergebnis

93.

Nach alledem bin ich der Meinung, dass der Gerichtshof die Vorlagefragen wie folgt beantworten sollte:

Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie kann der Inhaber einer eingetragenen Marke seine Zustimmung zur Benutzung der Marke nicht unwiderruflich erteilen. Nach erfolgtem Widerruf der Zustimmung kann das durch die eingetragene Marke gewährte ausschließliche Recht demjenigen, der die Marke mit Zustimmung des Inhabers benutzt hat, auch dann entgegengehalten werden, wenn sich der Markeninhaber und der Betreffende die Benutzung der Marke – jeder für jeweils unterschiedliche von der Marke erfasste Waren – während eines langen Zeitraums geteilt haben.

Nationale Vorschriften über fehlerhafte oder missbräuchliche Rechtsausübung dürfen den Inhaber einer Marke nicht endgültig an der Ausübung seines Rechts für einen Teil der Waren hindern, für die die Marke eingetragen ist. Allerdings steht die Richtlinie nationalen Vorschriften, die eine andere Sanktion vorsehen, nicht entgegen.

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie erlaubt es den nationalen Gerichten nicht, dem Inhaber einer eingetragenen Marke, nachdem er seine einem Dritten gegenüber eingegangene Verpflichtung, die Marke für bestimmte Waren nicht zu benutzen, beendet hat, die Wiederaufnahme der Benutzung der Marke wegen unlauteren Wettbewerbs mit der Begründung endgültig zu untersagen, der Markeninhaber ziehe Nutzen aus der Werbung und dem Werbeaufwand des Dritten für die Marke und aus der Verwirrung der Verbraucher. Allerdings steht die Richtlinie nationalen Vorschriften, die eine andere Sanktion vorsehen, nicht entgegen.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1) in geänderter Fassung.

( 3 ) ABl. L 299, S. 25.

( 4 ) Abkommen von Nizza über die Internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in geänderter Fassung.

( 5 ) Herr Depuydt und Gauquie machen geltend, das Zeichen „N“ sei bereits von Herrn Baquet benutzt worden und gehöre zu dem von ihnen erworbenen Betrieb.

( 6 ) Die Kommission weist ebenfalls darauf hin, dass zwischen den beiden Parteien kein Lizenzvertrag geschlossen worden sei.

( 7 ) Urteil vom 2. Dezember 1964, Dingemans (24/64, Slg. 1964, 1375).

( 8 ) Urteil vom 10. April 1984, von Colson und Kamann (14/83, Slg. 1984, 1891, Randnr. 26).

( 9 ) Urteile vom 29. November 1978, Redmond (83/78, Slg. 1978, 2347, Randnr. 25), und vom 30. November 1995, Esso Española (C-134/94, Slg. 1995, I-4223, Randnr. 9).

( 10 ) Urteil vom 16. Juni 1981, Salonia (126/80, Slg. 1981, 1563, Randnr. 6).

( 11 ) Vgl. Urteil vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer (C-62/00, Slg. 2002, I-6325, Randnr. 32).

( 12 ) Zu solchen Rechten vgl. vierter Erwägungsgrund der Richtlinie und Art. 16 Abs. 1 Satz 3 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen).

( 13 ) Urteil vom 25. Januar 2007, Dyson (C-321/03, Slg. 2007, I-687, Randnr. 24).

( 14 ) Urteile vom 6. Mai 2003, Libertel (C-104/01, Slg. 2003, I-3793, Randnr. 22), und Dyson (oben in Fn. 13 angeführt, Randnrn. 24 bis 26).

( 15 ) Urteile vom 18. Januar 1984, Ekro (327/82, Slg. 1984, 107, Randnr. 11), vom 19. September 2000, Linster (C-287/98, Slg. 2000, I-6917, Randnr. 43), und vom 22. September 2011, Budějovický Budvar (C-482/09, Slg. 2011, I-8701, Randnr. 29).

( 16 ) Urteile vom 16. Juli 1998, Silhouette International Schmied (C-355/96, Slg. 1998, I-4799, Randnr. 25), vom 20. November 2001, Zino Davidoff und Levi Strauss (C-414/99 bis C-416/99, Slg. 2001, I-8691, Randnr. 39), vom 23. April 2009, Copad (C-59/08, Slg. 2009, I-3421, Randnr. 40), vom 3. Juni 2010, Coty Prestige Lancaster Group (C-127/09, Slg. 2010, I-4965, Randnr. 27), und Budějovický Budvar (oben in Fn. 15 angeführt, Randnr. 32).

( 17 ) Vgl. hinsichtlich der gewährten Rechte Art. 9 Abs. 1, hinsichtlich Erschöpfung Art. 13 Abs. 1, hinsichtlich Benutzung Art. 15 Abs. 2 und hinsichtlich Verfall Art. 51 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 78, S. 1).

( 18 ) In Art. 16 Abs. 1 des TRIPS-Übereinkommens über die Rechte aus der Marke wird der Begriff in einem ähnlichen Zusammenhang wie in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie verwendet.

( 19 ) Vgl. Trademark Act of 1946 (Lanham Act), § 32, geänderte Fassung, 15 U.S.C. § 1114 über Rechtsbehelfe, Verletzung und gutgläubige Verletzung durch Druckereibesitzer und Verlage.

( 20 ) In der durch Art. 65 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang XVII des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (ABl. 1994, L 1, S. 3) geänderten Fassung.

( 21 ) Urteil Zino Davidoff und Levi Strauss (oben in Fn. 16 angeführt, Randnr. 43).

( 22 ) Urteile Zino Davidoff und Levi Strauss (oben in Fn. 16 angeführt, Randnrn. 45 und 47), Copad (oben in Fn. 16 angeführt, Randnr. 42), und vom 15. Oktober 2009, Makro Zelfbedieningsgroothandel u. a. (C-324/08, Slg. 2009, I-10019, Randnr. 22).

( 23 ) Dem Gerichtshof zufolge muss sich die Zustimmung auf jedes einzelne in den Verkehr gebrachte Exemplar erstrecken – Urteile vom 1. Juli 1999, Sebago und Maison Dubois (C-173/98, Slg. 1999, I-4103, Randnr. 19), und Coty Prestige Lancaster Group (oben in Fn. 16 angeführt, Randnr. 31).

( 24 ) Eine Erörterung der entsprechenden Bestimmung der Gemeinschaftsmarkenverordnung findet sich im Urteil vom 11. Mai 2006, Sunrider/HABM (C-416/04 P, Slg. 2006, I-4237).

( 25 ) Urteil Budějovický Budvar (oben in Fn. 15 angeführt, Randnrn. 43 und 44).

( 26 ) Dieselbe Auffassung in Bezug auf Lizenzen für Gemeinschaftsmarken vertritt D. Schennen in G. Eisenführ und D. Schennen (Hrsg.), Gemeinschaftsmarkenverordnung, Carl Heymanns Verlag, 2. Aufl. 2007, Art. 22, Randnr. 18.

( 27 ) Urteile vom 12. November 2002, Arsenal Football Club (C-206/01, Slg. 2002, I-10273, Randnr. 51), vom 18. Juni 2009, L’Oréal u. a. (C-487/07, Slg. 2009, I-5185, Randnr. 58), vom 23. März 2010, Google France und Google (C-236/08 bis C-238/08, Slg. 2010, I-2417, Randnr. 76), vom 25. März 2010, BergSpechte (C-278/08, Slg. 2010, I-2517, Randnrn. 29 bis 37), vom 22. September 2011, Interflora und Interflora British Unit (C-323/09, Slg. 2011, I-8625, Randnr. 37), und Budějovický Budvar (oben in Fn. 15 angeführt, Randnr. 71). Diese Rechtsprechung geht zurück auf das Urteil vom 23. Februar 1999, BMW (C-63/97, Slg. 1999, I-905, Randnr. 38).

( 28 ) Urteile vom 20. März 2003, LTJ Diffusion (291/00, Slg. 2003, I-2799, Randnrn. 41 bis 43), und Budějovický Budvar (oben in Fn. 15 angeführt, Randnrn. 69 f.).

( 29 ) Urteil Budějovický Budvar (oben in Fn. 15 angeführt, Randnrn. 63 bis 84).

( 30 ) Urteil Budějovický Budvar (oben in Fn. 15 angeführt, Randnr. 71).

( 31 ) Dies trifft erst recht zu, weil das Unionsrecht selbst keinen Rechtsmissbrauch toleriert – Urteile vom 12. Mai 1998, Kefalas u. a. (C-367/96, Slg. 1998, I-2843, Randnr. 20), und vom 21. Februar 2006, Halifax u. a. (C-255/02, Slg. 2006, I-1609, Randnrn. 68 f.).

( 32 ) Herr Depuydt und Gauquie argumentieren offenbar, dass der elfte Erwägungsgrund erlaube, den Grundsatz der Duldung in einem weiten Sinne und über die Bestimmungen der Richtlinie hinaus zu verstehen. Damit würden die z. B. in Art. 9 Abs. 1 genannten Voraussetzungen umgangen.

( 33 ) Schlussanträge in der Rechtssache Davidoff (C‑292/00, Urteil vom 9. Januar 2003, Slg. 2003, I‑389, Nr. 63).

( 34 ) Allerdings stellt die Richtlinie in Art. 10 Abs. 1 ein Benutzungserfordernis auf. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass nach Art. 20 des TRIPS-Übereinkommens die Benutzung einer Marke nicht ungerechtfertigt durch besondere Erfordernisse erschwert werden darf.

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