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Document 62007TJ0284

Urteil des Gerichts erster Instanz (Rechtsmittelkammer) vom 26. November 2008.
Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) gegen Adelaida López Teruel.
Rechtsmittel - Öffentlicher Dienst - Beamte - Zulässigkeit.
Rechtssache T-284/07 P.

Sammlung der Rechtsprechung – Öffentlicher Dienst 2008 I-B-1-00069; II-B-1-00447

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2008:533

URTEIL DES GERICHTS (Rechtsmittelkammer)
26. November 2008

Rechtssache T‑284/07 P

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM)

gegen

Adelaida López Teruel

„Rechtsmittel – Öffentlicher Dienst – Beamte – Zulässigkeit – Dienstunfähigkeit – Antrag auf Einsetzung eines Invaliditätsausschusses – Gebundene Befugnis der Anstellungsbehörde“

Gegenstand: Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union (Erste Kammer) vom 22. Mai 2007, López Teruel/HABM (F‑97/06, Slg. ÖD 2007, I-A-1-0000 und II-A-1-0000), wegen Aufhebung dieses Urteils

Entscheidung: Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen. Das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) trägt die Kosten.

Leitsätze

1.      Rechtsmittel – Zulässigkeit – Prüfung in Bezug auf den in diesem Rechtszug verhandelten Rechtsstreit – Partei, die mit ihren Anträgen vor dem Gericht für den öffentlichen Dienst ganz oder teilweise unterlegen ist

(Satzung des Gerichtshofs, Anhang I Art. 9)

2.      Rechtsmittel – Gründe – Kontrolle der vom Gericht für den öffentlichen Dienst vorgenommenen Bestimmung des Gegenstands der Klage durch das Gericht erster Instanz

(Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz, Art. 44 § 1 Buchst. c)

3.      Rechtsmittel – Gründe – Fehlerhafte Tatsachenwürdigung – Unzulässigkeit – Überprüfung der Würdigung der Beweismittel durch das Gericht erster Instanz – Ausschluss außer bei Verfälschung

(Satzung des Gerichtshofs, Anhang I Art. 11 Abs. 1)

4.      Beamte – Dienstunfähigkeit – Einleitung des Verfahrens zur Feststellung der Dienstunfähigkeit

(Beamtenstatut, Art. 78 Abs. 1, Anhang VIII Art. 13 Abs. 1)

5.      Rechtsmittel – Gründe – Angriffs- oder Verteidigungsmittel, das erstmals im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht wird – Unzulässigkeit

(Satzung des Gerichtshofs, Anhang I Art. 11 Abs. 1)

6.      Beamte – Dienstunfähigkeit – Einleitung des Verfahrens zur Feststellung der Dienstunfähigkeit – Voraussetzungen – Einleitung auf Antrag des Betroffenen – Gebundene Befugnis der Verwaltung

(Beamtenstatut, Art. 78 Abs. 1, Anhang VIII Art. 13 Abs. 1)

1.      Da die in Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I der Satzung des Gerichtshofs festgelegten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels einzig und allein in Bezug auf den in dieser Instanz verhandelten Rechtsstreit zu prüfen sind, kann eine Partei ein Rechtsmittel gegen ein Urteil des Gerichts für den öffentlichen Dienst einlegen, das auf Grundsätze gestützt ist, die in einem anderen, rechtskräftig gewordenen Urteil entwickelt wurden, und zwar auch dann, wenn das Gericht für den öffentlichen Dienst in dem angefochtenen Urteil ähnliche Rechtsfragen erörtert hat. Denn der Umstand, dass in den Gründen eines rechtskräftigen Urteils des Gerichts für den öffentlichen Dienst einem Klagegrund stattgegeben wird, verbietet es demjenigen, der ein zulässiges Rechtsmittel einlegt, nicht, in einem anderen Rechtsstreit die Beurteilung des Gerichts für den öffentlichen Dienst in Bezug auf einen Klagegrund, der dem in dem rechtskräftigen Urteil geprüften Klagegrund ähnlich ist, zu beanstanden.

Nach Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I der Satzung des Gerichtshofs reicht es für die Einlegung eines Rechtsmittels beim Gericht erster Instanz aus, dass die Partei mit ihren Anträgen ganz oder teilweise unterlegen ist.

(vgl. Randnrn. 23 bis 26)

Verweisung auf: Gerichtshof, 5. Oktober 2000, Rat/Chvatal u. a., C‑432/98 P und C‑433/98 P, Slg. 2000, I‑8535, Randnrn. 22 und 24; Gericht für den öffentlichen Dienst, 16. Januar 2007, Gesner/HABM, F‑119/05, Slg. ÖD 2007, I-A-1-0000 und II-A-1-0000

2.      Die Bestimmung des Gegenstands der Klage in einem Urteil des Gerichts für den öffentlichen Dienst ist eine Rechtsfrage, die dem Gericht erster Instanz im Rahmen eines Rechtsmittels zur Beurteilung unterbreitet werden kann. Die Klageschrift ist das verfahrenseinleitende Schriftstück, in dem die Parteien den Streitgegenstand anzugeben haben.

(vgl. Randnrn. 33 und 34)

Verweisung auf: Gerichtshof, 8. November 2007, Belgien/Kommission, C‑242/07 P, Slg. 2007, I‑9757, Randnr. 41; Gerichtshof, 18. Dezember 2007, Weißenfels/Parlament, C‑135/06 P, Slg. 2007, I‑12041, Randnrn. 51 bis 57

3.      Das erstinstanzliche Gericht, im vorliegenden Fall das Gericht für den öffentlichen Dienst, ist allein zuständig zum einen für die Feststellung des Sachverhalts, sofern sich nicht aus den ihm vorgelegten Aktenstücken die Unrichtigkeit seiner Feststellungen ergibt, und zum anderen für dessen Würdigung. Die Tatsachenwürdigung stellt also vorbehaltlich einer Verfälschung der dem erstinstanzlichen Gericht vorgelegten Beweismittel keine Rechtsfrage dar, die als solche der Kontrolle des Gerichts erster Instanz als Rechtsmittelgericht unterliegt. Eine solche Verfälschung muss sich offensichtlich aus den Akten ergeben, ohne dass eine neue Tatsachen- und Beweiswürdigung erforderlich ist.

(vgl. Randnrn. 46 und 47)

Verweisung auf: Gerichtshof, 18. Mai 2006, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, C‑397/03 P, Slg. 2006, I‑4429, Randnr. 85; Gerichtshof, 21. September 2006, JCB Service/Kommission, C‑167/04 P, Slg. 2006, I‑8935, Randnrn. 107 und 108; Gericht, 12. Juli 2007, Beau/Kommission, T‑252/06 P, Slg. ÖD 2007, I-B-1-0000 und II-B-1-0000, Randnrn. 45 bis 47

4.      Das Gericht für den öffentlichen Dienst begeht keinen Rechtsfehler, wenn es sich bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Antrags eines Beamten auf Einsetzung eines Invaliditätsausschusses auf Art. 78 Abs. 1 des Statuts und Art. 13 Abs. 1 des Anhangs VIII des Statuts stützt. Erkennt nämlich der Invaliditätsausschuss an, dass ein noch nicht 65 Jahre alter Beamter während der Zeit, in der er Ruhegehaltsansprüche erworben hat, dauernd voll dienstunfähig geworden ist und ein Amt seiner Laufbahn bei den Gemeinschaften nicht wahrnehmen kann, und muss der Beamte deshalb seinen Dienst aufgeben, so hat er nach diesen Bestimmungen für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Invalidengeld. Um die Wirksamkeit dieses Anspruchs zu gewährleisten, der nur nach Durchführung eines Verfahrens zur Feststellung der Dienstunfähigkeit anerkannt werden kann, ist davon auszugehen, dass dieser Anspruch notwendigerweise das Recht eines solchen Beamten umfasst, bei der Anstellungsbehörde die Einleitung dieses Verfahrens zu beantragen.

(vgl. Randnrn. 65 bis 67)

Verweisung auf: Gerichtshof, 17. Mai 1984, Bähr/Kommission, 12/83, Slg. 1984, 2155, Randnrn. 12 und 13; Gericht, 26. Februar 2003, Nardone/Kommission, T‑59/01, Slg. ÖD 2003, I‑A‑55 und II‑323, Randnrn. 31 und 32

5.      Da die die Befugnisse des Gerichts erster Instanz im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens darauf beschränkt sind, die rechtliche Entscheidung über das vor dem Gericht für den öffentlichen Dienst erörterte Vorbringen zu beurteilen, ist ein im Rechtsmittelverfahren vorgetragenes Argument, das im Rahmen des Verfahrens vor dem Gericht für den öffentlichen Dienst nicht geltend gemacht wurde, als unzulässig zurückzuweisen.

(vgl. Randnrn. 72 und 73)

Verweisung auf: Gerichtshof, 1. Juni 1994, Kommission/Brazzelli Lualdi u. a., C‑136/92 P, Slg. 1994, I‑1981, Randnr. 59; Gerichtshof, 7. November 2002, Glencore und Compagnie Continentale/Kommission, C‑24/01 P und C‑25/01 P, Slg. 2002, I‑10119, Randnr. 62; Gerichtshof, 28. September 2006, El Corte Inglés/HABM und Pucci, C‑104/05 P, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 40

6.      Beantragt ein Beamter bei der Anstellungsbehörde die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Dienstunfähigkeit, ist die Anstellungsbehörde nach den Bestimmungen des Art. 78 des Statuts, wie sie durch Art. 13 Abs. 1 des Anhangs VIII des Statuts konkretisiert sind, verpflichtet, das Verfahren einzuleiten. Die Anstellungsbehörde verfügt nach diesen Bestimmungen insofern über eine gebundene Befugnis, als sie verpflichtet ist, das Verfahren zur Feststellung der Dienstunfähigkeit einzuleiten, sobald sie feststellt, dass die in diesen Bestimmungen vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Befassung des Invaliditätsausschusses als eine bloße Möglichkeit für die Verwaltung zu begreifen, wäre mit diesen Bestimmungen unvereinbar, da eine solche Ausgestaltung der Befassung dazu führen würde, dem Anspruch des Beamten aus diesen Bestimmungen die Wirksamkeit zu nehmen. Daher kann die Anstellungsbehörde, die nicht befugt ist, medizinische Beurteilungen vorzunehmen, einen Antrag auf Einsetzung eines Invaliditätsausschusses nur dann ablehnen, wenn es für sie aufgrund objektiver und unstreitiger Anhaltspunkte ausgeschlossen ist, dass die materiellen Voraussetzungen dieser Bestimmungen erfüllt sind.

Im Übrigen ist es nicht widersprüchlich, wenn festgestellt wird, dass die Anstellungsbehörde bei der Einsetzung von Invaliditätsausschüssen eine gebundene Befugnis ausübt, und gleichzeitig anerkannt wird, dass bei der Ausübung dieser Befugnis auch Beurteilungen vorzunehmen sein können. Die Anstellungsbehörde ist nämlich berechtigt, nachzuprüfen, ob eine der Voraussetzungen für die Ausübung ihrer gebundenen Befugnis nicht erfüllt ist, ohne dass sie deswegen über einen Ermessensspielraum verfügen würde.

(vgl. Randnrn. 78 bis 82)

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