This document is an excerpt from the EUR-Lex website
Document 62002TJ0059
Judgment of the Court of First Instance (Third Chamber) of 27 September 2006.#Archer Daniels Midland Co. v Commission of the European Communities.#Competition - Cartels - Citric acid - Article 81 EC - Fine - Article 15(2) of Regulation No 17 - Guidelines on the method of setting fines - Leniency Notice - Principles of legal certainty and non-retroactivity - Principle of proportionality - Equal treatment - Obligation to state reasons - Rights of the defence.#Case T-59/02.
Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte Kammer) vom 27. September 2006.
Archer Daniels Midland Co. gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb - Kartelle - Zitronensäure - Artikel 81 EG - Geldbuße - Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 - Leitlinien für die Festsetzung von Geldbußen - Mitteilung über Zusammenarbeit - Grundsatz der Rechtssicherheit und Rückwirkungsverbot - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - Gleichbehandlung - Begründungspflicht - Rechte der Verteidigung.
Rechtssache T-59/02.
Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte Kammer) vom 27. September 2006.
Archer Daniels Midland Co. gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb - Kartelle - Zitronensäure - Artikel 81 EG - Geldbuße - Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 - Leitlinien für die Festsetzung von Geldbußen - Mitteilung über Zusammenarbeit - Grundsatz der Rechtssicherheit und Rückwirkungsverbot - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - Gleichbehandlung - Begründungspflicht - Rechte der Verteidigung.
Rechtssache T-59/02.
Sammlung der Rechtsprechung 2006 II-03627
ECLI identifier: ECLI:EU:T:2006:272
Rechtssache T-59/02
Archer Daniels Midland Co.
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
„Wettbewerb – Kartelle – Zitronensäure – Artikel 81 EG – Geldbuße – Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Mitteilung über Zusammenarbeit – Grundsatz der Rechtssicherheit und Rückwirkungsverbot – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Gleichbehandlung – Begründungspflicht – Verteidigungsrechte“
Urteil des Gerichts (Dritte Kammer) vom 27. September 2006
Leitsätze des Urteils
1. Gemeinschaftsrecht – Allgemeine Rechtsgrundsätze – Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15; Mitteilungen 96/C 207/04 und 98/C 9/03 der Kommission)
2. Wettbewerb – Geldbußen – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)
3. Wettbewerb – Geldbußen – Sanktionen der Gemeinschaft und Sanktionen in einem Mitgliedstaat oder einem Drittstaat wegen Verstoßes gegen das nationale Wettbewerbsrecht
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)
4. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung
(Artikel 81 Absatz 1 EG und 82 EG; EWR-Abkommen, Artikel 53 Absatz 1; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)
5. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)
6. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Abschreckungswirkung der Geldbuße
(Artikel 81 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)
7. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Konkrete Auswirkungen auf den Markt
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Abschnitt 1 A Absatz 1)
8. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)
9. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)
10. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte
(Artikel 81 EG und 82 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 11)
11. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Erschwerende Umstände
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Abschnitt 2)
12. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)
13. Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Geldbußen – Höhe – Festsetzung
(Artikel 81 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates)
14. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände
(Artikel 81 Absatz 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Abschnitt 3 dritter Gedankenstrich)
15. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände
(Artikel 81 Absatz 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)
16. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission, Abschnitte B, C und D)
17. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 19 Absatz 1)
18. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 19 Absatz 1)
19. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Ermessen der Kommission – Gerichtliche Nachprüfung
(Artikel 229 EG)
1. Das in Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention als Grundrecht gewährleistete Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften bildet einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der bei der Verhängung von Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln einzuhalten ist. Nach diesem Grundsatz müssen die verhängten Sanktionen denen entsprechen, die zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung vorgesehen waren.
Der Erlass von Leitlinien, die geeignet sind, die allgemeine Wettbewerbspolitik der Kommission auf dem Gebiet von Geldbußen zu ändern, kann grundsätzlich in den Geltungsbereich des Rückwirkungsverbots fallen.
Denn zum einen können die Leitlinien Rechtswirkungen entfalten. Diese Rechtswirkungen ergeben sich nicht daraus, dass die Leitlinien selbst Normcharakter hätten, sondern daraus, dass sie von der Kommission erlassen und veröffentlicht worden sind. Der Erlass und die Veröffentlichung der Leitlinien, wie auch der Mitteilung über Zusammenarbeit, bewirken eine Selbstbeschränkung der Kommission in der Ausübung ihres Ermessens. Die Kommission kann von den Leitlinien nicht mehr abweichen, ohne dass dies gegebenenfalls als Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die der Gleichbehandlung, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit geahndet wird.
Zum anderen fallen die Leitlinien als Instrument einer Wettbewerbspolitik ebenso in den Geltungsbereich des Rückwirkungsverbots wie die neue gerichtliche Auslegung einer Norm, die eine Zuwiderhandlung festlegt, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Artikel 7 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der zufolge diese Bestimmung der rückwirkenden Anwendung einer neuen Auslegung einer solchen Norm entgegensteht. Das ist nach dieser Rechtsprechung insbesondere dann der Fall, wenn es sich um eine richterliche Auslegung handelt, deren Ergebnis zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung insbesondere unter Berücksichtigung der Auslegung, die zu dieser Zeit in der Rechtsprechung zur fraglichen Rechtsvorschrift vertreten wurde, nicht hinreichend vorhersehbar war. Allerdings hängt nach dieser Rechtsprechung die Bedeutung des Begriffes der Vorhersehbarkeit in hohem Maß ab vom Inhalt der in Rede stehenden Vorschrift, von dem durch sie geregelten Bereich sowie von der Zahl und der Eigenschaft ihrer Adressaten. Der Vorhersehbarkeit des Gesetzes steht es indessen nicht entgegen, dass die betreffende Person gezwungen wird, fachkundigen Rat einzuholen, um unter den Umständen des konkreten Falles angemessen zu beurteilen, welche Folgen sich aus einer bestimmten Handlung ergeben können. Das gilt insbesondere für berufsmäßig tätige Personen, die gewohnt sind, sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sehr umsichtig verhalten zu müssen. Von ihnen kann daher erwartet werden, dass sie die Risiken ihrer Tätigkeit besonders sorgfältig beurteilen.
Um zu kontrollieren, ob das Rückwirkungsverbot eingehalten wurde, ist zu prüfen, ob die Änderung, die im Erlass der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, liegt, zur Zeit der Begehung der in Frage stehenden Zuwiderhandlungen hinreichend vorhersehbar war. Insoweit besteht die hauptsächliche Neuerung der Leitlinien darin, dass als Ausgangspunkt der Berechnung Grundbeträge verwendet werden, die innerhalb von hierfür in den Leitlinien vorgesehenen Spannen festgelegt werden, wobei diese Spannen verschiedenen Schweregraden der Zuwiderhandlungen entsprechen, als solche aber keinen Bezug zum relevanten Umsatz aufweisen. Diese Methode beruht somit im Wesentlichen auf einer – wenn auch relativen und flexiblen – Tarifierung der Geldbußen.
Ferner ist die Kommission dadurch, dass sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen. Vielmehr verlangt es die wirksame Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln, dass die Kommission das Niveau der Geldbußen jederzeit den Erfordernissen dieser Politik anpassen kann.
Dementsprechend können Unternehmen, die von einem Verwaltungsverfahren betroffen sind, das zu einer Geldbuße führen kann, weder darauf vertrauen, dass die Kommission das zuvor praktizierte Bußgeldniveau nicht überschreiten wird, noch auf eine bestimmte Methode für die Berechnung der Geldbußen.
Die betreffenden Unternehmen müssen sich folglich dessen bewusst sein, dass die Kommission jederzeit beschließen kann, das Niveau der Geldbußen gegenüber dem in der Vergangenheit praktizierten Niveau anzuheben. Das gilt nicht nur dann, wenn die Kommission das Niveau der Geldbußen durch deren Verhängung in Einzelentscheidungen anhebt, sondern auch dann, wenn diese Anhebung dadurch erfolgt, dass Verhaltensnormen mit allgemeiner Geltung wie die Leitlinien auf konkrete Fälle angewandt werden.
(vgl. Randnrn. 41-49, 409)
2. Hat die Kommission für die Berechnung der Höhe der Geldbuße eines Unternehmens die in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, beschriebene Methode angewandt, so kann darin keine Diskriminierung gegenüber Unternehmen liegen, die im selben Zeitraum Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft begingen, jedoch aufgrund des Zeitpunkts der Aufdeckung der Zuwiderhandlung oder des Ablaufs des sie betreffenden Verwaltungsverfahrens vor dem Erlass und der Veröffentlichung der Leitlinien bestraft wurden.
(vgl. Randnr. 53)
3. Der Grundsatz ne bis in idem verbietet es, dieselbe Person mehr als einmal wegen desselben rechtswidrigen Verhaltens zum Schutz desselben Rechtsguts mit einer Sanktion zu belegen. Seine Anwendung hängt von der dreifachen, kumulativ geltenden Voraussetzung der Identität des Sachverhalts, des Zuwiderhandelnden und des geschützten Rechtsguts ab.
So kann es zulässig sein, dass gegen ein Unternehmen wegen desselben rechtswidrigen Verhaltens zwei Parallelverfahren durchgeführt und somit zwei gesonderte Sanktionen verhängt werden, eine von der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats, die andere nach dem Gemeinschaftsrecht, sofern diese Verfahren verschiedenen Zielen dienen und die verletzten Normen nicht identisch sind.
Daraus folgt, dass der Grundsatz ne bis in idem erst recht nicht in einem Fall anwendbar sein kann, in dem die einerseits von der Kommission und andererseits durch Behörden von Drittstaaten geführten Verfahren und verhängten Sanktionen offenkundig nicht den gleichen Zielen dienen. Denn im ersten Fall geht es um die Erhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gebiet der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum, im zweiten Fall hingegen wird ein Schutz des Marktes eines Drittstaats angestrebt. Die für den Grundsatz ne bis in idem geltende Anwendungsvoraussetzung, dass die geschützten Rechtsgüter identisch sind, ist in einem solchen Fall nicht erfüllt.
(vgl. Randnrn. 61-63)
4. Die Befugnis der Kommission, Geldbußen gegen Unternehmen zu verhängen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 81 Absatz 1 EG oder Artikel 82 EG verstoßen, gehört zu den Befugnissen, die der Kommission eingeräumt worden sind, um sie in die Lage zu versetzen, die ihr durch das Gemeinschaftsrecht übertragene Überwachungsaufgabe zu erfüllen. Diese Aufgabe beinhaltet auch den Auftrag, eine allgemeine Politik mit dem Ziel zu verfolgen, die im Vertrag niedergelegten Grundsätze auf das Wettbewerbsrecht anzuwenden und das Verhalten der Unternehmen in diesem Sinne zu lenken.
Daraus folgt die Befugnis der Kommission, das Niveau der Geldbußen so anzusetzen, dass ihre abschreckende Wirkung erhöht wird, wenn Zuwiderhandlungen einer bestimmten Art wegen des Gewinns, den eine Reihe der betroffenen Unternehmen daraus ziehen können, immer noch verhältnismäßig häufig sind, obwohl ihre Rechtswidrigkeit von Beginn der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik an feststand.
Das von der Kommission verfolgte Ziel der Abschreckung bezieht sich auf das Verhalten der Unternehmen innerhalb der Gemeinschaft oder im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Die abschreckende Wirkung einer wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft gegen ein Unternehmen festgesetzten Geldbuße darf daher weder allein nach Maßgabe der besonderen Situation des Unternehmens noch danach ermittelt werden, ob es die in Drittstaaten außerhalb des EWR geltenden Wettbewerbsregeln beachtet hat.
(vgl. Randnrn. 70-72)
5. Die Schwere von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln ist anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache und ihr Kontext gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten.
Ebenso können zu den Gesichtspunkten für die Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung je nach Fall die Menge und der Wert der Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, sowie die Größe und Wirtschaftskraft des Unternehmens und damit der Einfluss gehören, den es auf den relevanten Markt ausüben konnte. Daraus ergibt sich zum einen, dass bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der – wenn auch nur annähernd und unvollständig – etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Marktanteil der betroffenen Unternehmen auf dem fraglichen Markt herangezogen werden darf, der einen Anhaltspunkt für das Ausmaß der Zuwiderhandlung liefern kann. Zum anderen folgt daraus, dass weder der einen noch der anderen dieser Zahlen eine im Verhältnis zu den übrigen Beurteilungskriterien übermäßige Bedeutung zugemessen werden darf und dass die Festsetzung einer angemessenen Geldbuße nicht das Ergebnis eines bloßen, auf den Gesamtumsatz gestützten Rechenvorgangs sein kann.
(vgl. Randnrn. 98-99)
6. Die Abschreckung ist eine der Haupterwägungen, von denen sich die Kommission bei der Zumessung von Geldbußen wegen eines Verstoßes gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln leiten lassen muss.
Würde die Geldbuße in einer Höhe festgesetzt, mit der lediglich der Gewinn aus dem Kartell zunichte gemacht würde, hätte sie keine abschreckende Wirkung. Denn es ist vernünftigerweise davon auszugehen, dass Unternehmen im Rahmen ihrer finanziellen Kalkulation und Geschäftsführung nicht nur rational das Niveau der ihnen für eine Zuwiderhandlung drohenden Geldbußen, sondern auch die Größe des Risikos, dass das Kartell aufgedeckt wird, berücksichtigen. Würde die Funktion der Geldbuße auf die bloße Aufhebung des erhofften Gewinns oder Vorteils reduziert, so würde darüber hinaus nicht hinreichend berücksichtigt, dass ein unter Artikel 81 Absatz 1 EG fallendes Verhalten den Charakter einer Zuwiderhandlung hat. Würde die Geldbuße auf einen bloßen Ausgleich des verursachten Schadens beschränkt, so würde nämlich außer der abschreckenden Wirkung, die nur auf künftige Verhaltensweisen gerichtet sein kann, der repressive Charakter einer solchen Maßnahme im Hinblick auf die tatsächlich begangene konkrete Zuwiderhandlung vernachlässigt.
Ebenso kann im Fall eines Unternehmens, das auf zahlreichen Märkten präsent ist und über eine besonders große Finanzkraft verfügt, die Berücksichtigung des Umsatzes auf dem in Frage stehenden Markt nicht genügen, um eine abschreckende Wirkung der Geldbuße zu gewährleisten. Je größer nämlich ein Unternehmen ist und je größer seine gesamten Ressourcen sind, die es zu unabhängigem Handeln auf dem Markt befähigen, desto mehr muss es sich der Bedeutung seiner Rolle für ein unbeeinträchtigtes Funktionieren des Wettbewerbs auf dem Markt bewusst sein. Daher sind die tatsächlichen Umstände und insbesondere der Gesamtumsatz, die sich auf die Wirtschaftskraft eines Unternehmens beziehen, das sich einer Zuwiderhandlung schuldig gemacht hat, bei der Prüfung der Schwere der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.
(vgl. Randnrn. 129-131)
7. Nach Abschnitt 1 A Absatz 1 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, berücksichtigt die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße nach Maßgabe der Schwere des Verstoßes u. a. die konkreten Auswirkungen des Verstoßes auf den Markt, sofern diese messbar sind. Solche messbaren Auswirkungen des Kartells sind als hinreichend nachgewiesen anzusehen, wenn die Kommission in der Lage ist, konkrete und glaubhafte Indizien dafür vorzulegen, dass das Kartell mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf den Markt hatte.
Die Prüfung der Auswirkungen eines Kartells auf den Markt erfordert die Aufstellung von Hypothesen. In diesem Zusammenhang muss die Kommission insbesondere prüfen, welchen Preis das relevante Produkt ohne Kartell gehabt hätte. Indessen ist es mit Unwägbarkeiten behaftet, im Rahmen der Prüfung der Gründe für die tatsächliche Preisentwicklung Mutmaßungen über den jeweiligen Anteil anzustellen, den die einzelnen Gründe hatten. Es ist dem objektiven Umstand Rechnung zu tragen, dass die Teilnehmer aufgrund des Preiskartells auf die Möglichkeit, mittels der Preise miteinander zu konkurrieren, gerade verzichtet haben. Die Beurteilung des Einflusses anderer Faktoren als dieses freiwilligen Verzichts der Kartellteilnehmer beruht daher zwangsläufig auf hinreichend hohen und nicht genau quantifizierbaren Wahrscheinlichkeiten.
Soll daher dem in Abschnitt 1 A Absatz 1 festgelegten Kriterium nicht seine praktische Wirksamkeit genommen werden, kann es der Kommission nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie sich auf die konkreten Auswirkungen, die ein Kartell mit wettbewerbswidrigem Zweck, wie eine Preis- oder Quotenabsprache, auf den Markt hatte, gestützt hat, ohne diese Auswirkungen zu quantifizieren oder hierzu eine bezifferte Beurteilung vorzulegen.
(vgl. Randnrn. 157-161)
8. Bei der Feststellung der Schwere einer Zuwiderhandlung im Bereich des Wettbewerbs ist insbesondere der normative und wirtschaftliche Zusammenhang zu berücksichtigen, in den sich die beanstandete Verhaltensweise einfügt. Dabei muss die Kommission, um die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt zu beurteilen, auf den Wettbewerb abstellen, den es normalerweise ohne die Zuwiderhandlung gegeben hätte.
Daraus folgt zum einen, dass bei Preisabsprachen – mit einem angemessenen Grad an Wahrscheinlichkeit – festgestellt werden muss, dass es die Absprachen den Beteiligten tatsächlich erlaubt haben, ein höheres Preisniveau als ohne das Kartell zu erzielen. Zum anderen folgt daraus, dass die Kommission unter Berücksichtigung des vorhandenen wirtschaftlichen und gegebenenfalls normativen Rahmens alle objektiven Bedingungen auf dem betreffenden Markt in ihre Beurteilung einbeziehen muss. Gegebenenfalls ist das Vorhandensein von „objektiven wirtschaftlichen Faktoren“ zu berücksichtigen, aus denen sich ergibt, dass sich das Preisniveau „bei freiem Wettbewerb“ nicht ebenso entwickelt hätte wie die tatsächlich praktizierten Preise.
(vgl. Randnrn. 181-182)
9. Dass die Teilnehmer an einem Kartell ihre Vereinbarung nicht einhielten und die vereinbarten Preise nicht vollständig anwandten, bedeutet nicht, dass sie damit die Preise angewandt hätten, die sie ohne das Kartell hätten praktizieren können, und stellt daher keinen Umstand dar, der als mildernder Umstand berücksichtigt werden muss. Denn ein Unternehmen, das trotz der Absprache mit seinen Konkurrenten eine mehr oder weniger unabhängige Marktpolitik verfolgt, versucht möglicherweise nur, das Kartell zu seinem Vorteil auszunutzen.
(vgl. Randnr. 189)
10. Es wird der Kommission durch keine Bestimmung untersagt, sich als Beweismittel für das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Artikel 81 EG und 82 EG und für die Verhängung einer Geldbuße eines Dokuments zu bedienen, das im Rahmen eines anderen Verfahrens als des Verfahrens vor der Kommission erstellt wurde.
Als einer der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, deren integraler Bestandteil die Grundrechte sind und in deren Licht alle gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen auszulegen sind, ist jedoch das Recht eines Unternehmens anerkannt, von der Kommission im Rahmen von Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 nicht gezwungen zu werden, seine Beteiligung an einer Zuwiderhandlung zuzugeben. Der Schutz dieses Rechts setzt voraus, dass im Fall eines Streites über die Tragweite einer Frage geprüft wird, ob eine Antwort des Adressaten tatsächlich dem Eingeständnis einer Zuwiderhandlung gleichkäme, so dass die Verteidigungsrechte beeinträchtigt würden.
Stützt sich die Kommission im Rahmen ihrer freien Würdigung der ihr vorliegenden Beweise auf eine Aussage, die in einem anderen Kontext als dem des Verfahrens vor der Kommission gemacht wurde, und enthält diese Aussage möglicherweise Angaben, die das betreffende Unternehmen gegenüber der Kommission, wenn diese ihm Fragen zum gleichen Gegenstand gestellt hätte, hätte verweigern dürfen, so muss die Kommission dem Unternehmen Verfahrensrechte garantieren, die denen gleichwertig sind, welche ein von ihr selbst befragtes Unternehmen genießt.
Die Einhaltung dieser Verfahrensgarantien verlangt in einem solchen Kontext, dass die Kommission von Amts wegen prüft, ob dem ersten Anschein nach ernste Zweifel daran bestehen, dass im Rahmen des Verfahrens, in dem die fraglichen Aussagen gemacht wurden, die Verfahrensrechte der Beteiligten eingehalten wurden. Bestehen solche ernsten Zweifel nicht, so sind die Verfahrensrechte der Beteiligten als hinreichend gewährleistet anzusehen, wenn die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, gegebenenfalls unter Beifügung der in Frage stehenden Dokumente, klar darauf hinweist, dass sie beabsichtigt, sich auf die fraglichen Aussagen zu stützen. Auf diese Weise ermöglicht es die Kommission den Beteiligten, sich nicht nur zum Inhalt dieser Aussagen, sondern auch zu etwaigen Unregelmäßigkeiten oder besonderen Umständen im Zusammenhang mit den Aussagen selbst oder mit ihrer Zuleitung an die Kommission zu äußern.
(vgl. Randnrn. 261-265)
11. Wurde eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln von mehreren Unternehmen begangen, so ist für die Bußgeldzumessung zu ermitteln, welches relative Gewicht der Beteiligung jedem von ihnen zukommt, wofür insbesondere ihre jeweilige Rolle während der Dauer ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung zu ermitteln ist.
Daraus ergibt sich insbesondere, dass für die Berechnung des Bußgeldbetrags die von einem oder mehreren Unternehmen im Rahmen eines Kartells eingenommene Rolle als „Anführer“ berücksichtigt werden muss, da Unternehmen, die eine solche Rolle gespielt haben, aus diesem Grund im Vergleich zu den anderen Unternehmen eine besondere Verantwortung zu tragen haben.
(vgl. Randnrn. 296-297)
12. Bei der Zumessung einer Geldbuße wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verfügt die Kommission über ein Ermessen. Dass sie in der Vergangenheit bei Vorliegen erschwerender Umstände einen bestimmten Erhöhungssatz auf Geldbußen anwandte, nimmt ihr nicht die Befugnis, diesen Satz in den durch die Verordnung Nr. 17 und die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS‑Vertrag festgesetzt werden, gezogenen Grenzen zu erhöhen, wenn sich dies als erforderlich erweist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen.
(vgl. Randnr. 312)
13. Bei der Anwendung von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 muss die Kommission in jedem Einzelfall – d. h., wenn sie Geldbußen wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages verhängt – die allgemeinen Rechtsgrundsätze einhalten, zu denen der Grundsatz der Gleichbehandlung in seiner Auslegung durch die Gemeinschaftsgerichte gehört. Ein Unternehmen kann die Höhe der ihm auferlegten Geldbuße unter Berufung auf einen Verstoß gegen den genannten Grundsatz jedoch nur erfolgreich rügen, wenn es dartut, dass die tatsächlichen Gegebenheiten in den von ihm angeführten anderen Entscheidungen, wie Märkte, Erzeugnisse, Länder, Unternehmen und betroffene Zeiträume, vergleichbar mit seinem eigenen Fall waren.
(vgl. Randnrn. 315-316)
14. Bei der für die Festsetzung einer Geldbuße erforderlichen Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln muss die Kommission nicht nur die besonderen Umstände des Einzelfalls, sondern auch den Kontext der Zuwiderhandlung berücksichtigen und für die abschreckende Wirkung ihres Vorgehens Sorge tragen. Nur die Berücksichtigung dieser Aspekte kann nämlich die volle Wirksamkeit des Vorgehens der Kommission für die Wahrung eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt gewährleisten.
Eine Beurteilung der Regelung in Abschnitt 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS‑Vertrag festgesetzt werden, allein anhand ihres Wortlauts könnte den Eindruck vermitteln, dass die bloße Beendigung einer Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission allgemein und vorbehaltlos einen mildernden Umstand darstellt. Eine solche Auslegung dieser Regelung würde aber die praktische Wirksamkeit der Vorschriften, die die Erhaltung eines effizienten Wettbewerbs ermöglichen, mindern, da sie sowohl die Sanktion, die wegen einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 EG verhängt werden kann, als auch ihre abschreckende Wirkung abschwächen würde.
Im Unterschied zu anderen mildernden Umständen bildet nämlich dieser Umstand keinen wesensmäßigen Teil der subjektiven Eigenschaften des Zuwiderhandelnden oder des konkreten Sachverhalts, da er hauptsächlich aus dem äußeren Eingreifen der Kommission folgt. Die Beendigung einer Zuwiderhandlung nur infolge eines Eingreifens der Kommission kann daher nicht dem Verdienst gleichgestellt werden, das in einer eigenständigen Initiative des Zuwiderhandelnden liegt, sondern stellt nur eine angemessene und normale Reaktion auf das Eingreifen dar. Zudem belegt ein solcher Umstand nur die Rückkehr des Zuwiderhandelnden zu rechtmäßigem Verhalten und trägt nicht dazu bei, die Verfolgung von Verstößen durch die Kommission wirksamer zu machen. Der angeblich mildernde Charakter eines solchen Umstands lässt sich auch nicht als bloßer Anreiz rechtfertigen, die Zuwiderhandlung zu beenden. Insoweit bietet bereits die Einstufung der Fortführung einer Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission als erschwerender Umstand zu Recht einen Anreiz für die Beendigung der Zuwiderhandlung, verringert aber weder die Sanktion noch ihre abschreckende Wirkung.
Die Anerkennung der Beendigung einer Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission als mildernder Umstand würde daher durch eine Minderung sowohl der Sanktion als auch ihrer abschreckenden Wirkung die praktische Wirksamkeit von Artikel 81 Absatz 1 EG ungerechtfertigt beeinträchtigen. Folglich darf sich die Kommission nicht selbst dazu verpflichten, die bloße Beendigung eines Verstoßes nach ihrem ersten Eingreifen als mildernden Umstand zu berücksichtigen. Die Regelung des Abschnitts 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien ist daher, damit sie der praktischen Wirksamkeit von Artikel 81 Absatz 1 EG nicht zuwiderläuft, restriktiv so auszulegen, dass nur besondere Umstände des Einzelfalls, unter denen eine Beendigung des Verstoßes nach dem ersten Eingreifen der Kommission konkret verwirklicht wird, die Berücksichtigung dieser Beendigung als mildernden Umstand rechtfertigen können.
Im Fall einer besonders schweren Zuwiderhandlung, die eine von den betreffenden Unternehmen vorsätzlich herbeigeführte Festsetzung von Preisen und Aufteilung der Märkte zum Gegenstand hatte, kann die Beendigung der Zuwiderhandlung nicht als mildernder Umstand gewertet werden, wenn sie auf das Eingreifen der Kommission zurückzuführen ist.
(vgl. Randnrn. 334-338, 340-341)
15. Es ist zwar bedeutsam, dass ein Unternehmen Maßnahmen ergreift, um künftige Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zu verhindern, doch ändert dies nichts daran, dass die festgestellte Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde. Die Kommission braucht einen solchen Umstand daher nicht als mildernd zu berücksichtigen, und zwar erst recht nicht im Fall eines offensichtlichen Verstoßes gegen Artikel 81 Absatz 1 EG.
(vgl. Randnr. 359)
16. Um einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu vermeiden, ist die Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen dahin anzuwenden, dass die Kommission bei der Herabsetzung von Geldbußen Unternehmen, die ihr im gleichen Verfahrensstadium und unter analogen Umständen ähnliche Informationen über die ihnen zur Last gelegten Tatsachen unterbreiten, gleichbehandeln muss. Allein darin, dass eines der Unternehmen die ihnen von der Kommission im gleichen Verfahrensstadium gestellten Fragen als Erstes beantwortet und dabei die inkriminierten Tatsachen eingeräumt hat, liegt kein objektiver Grund für eine abweichende Behandlung dieses Unternehmens.
Dies gilt jedoch nur im Rahmen einer Kooperation von Unternehmen, die nicht in den Anwendungsbereich der Abschnitte B und C der Mitteilung über Zusammenarbeit fällt.
Im Gegensatz zu diesen Abschnitten sieht nämlich Abschnitt D keine unterschiedliche Behandlung der betroffenen Unternehmen nach der Reihenfolge ihrer Zusammenarbeit mit der Kommission vor.
(vgl. Randnrn. 400-401, 403)
17. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte muss, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, dass die Betroffenen tatsächlich erkennen können, welches Verhalten ihnen die Kommission zur Last legt. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Mitteilung der Beschwerdepunkte nämlich den ihr durch die Gemeinschaftsverordnungen zugewiesenen Zweck erfüllen, den Unternehmen und Unternehmensvereinigungen alle Angaben zur Verfügung zu stellen, deren sie bedürfen, um sich wirksam verteidigen zu können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt.
(vgl. Randnr. 416)
18. Die Kommission erfüllt ihre Verpflichtung zur Wahrung des Anhörungsrechts der Unternehmen, wenn sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen festzusetzen seien, und die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte wie Schwere und Dauer der vermuteten Zuwiderhandlung sowie den Umstand anführt, ob diese „vorsätzlich oder fahrlässig“ begangen worden sei. Damit macht sie gegenüber den Unternehmen die Angaben, die diese für ihre Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Festsetzung einer Geldbuße benötigen.
Bei der Bemessung von Geldbußen werden die Verteidigungsrechte der fraglichen Unternehmen gegenüber der Kommission folglich dadurch gewahrt, dass sie sich zu Dauer, Schwere und Vorhersehbarkeit des wettbewerbswidrigen Charakters der Zuwiderhandlung äußern können. Dies gilt umso mehr, als die Kommission mit der Veröffentlichung der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS‑Vertrag festgesetzt werden, alle Beteiligten eingehend darüber unterrichtet hat, welche Methode sie bei der Berechnung einer etwaigen Geldbuße anwenden und wie sie diese Kriterien berücksichtigen wird. Dem steht nicht entgegen, dass die Leitlinien sich nicht ausdrücklich auf einen Multiplikator beziehen, da sie doch angeben, dass es nötig sein wird, die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen, Wettbewerber wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, und die Geldbuße auf einen Betrag festzusetzen, der eine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet.
(vgl. Randnrn. 434-435)
19. Hat die Prüfung der Klagegründe, mit denen ein Unternehmen die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung der Kommission rügt, durch die ihm eine Geldbuße wegen Verletzung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln auferlegt wurde, keinen Rechtsmangel ergeben, so hat das Gericht darüber zu befinden, ob die angefochtene Entscheidung in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung von ihm abzuändern ist.
(vgl. Randnr. 443)
URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)
27. September 2006(*)
„Wettbewerb – Kartelle – Zitronensäure – Artikel 81 EG – Geldbuße – Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 – Leitlinien für die Festsetzung von Geldbußen – Mitteilung über Zusammenarbeit – Grundsatz der Rechtssicherheit und Rückwirkungsverbot – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Gleichbehandlung – Begründungspflicht – Rechte der Verteidigung“
In der Rechtssache T‑59/02
Archer Daniels Midland Co. mit Sitz in Decatur, Illinois (Vereinigte Staaten von Amerika), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt C. O. Lenz und L. Martin Alegi, M. Garcia und E. Batchelor, Solicitors,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Oliver als Bevollmächtigten,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung des Artikels 1 der Entscheidung 2002/742/EG der Kommission vom 5. Dezember 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/36.604 – Zitronensäure) (ABl. 2002, L 239, S. 18), soweit darin festgestellt wird, dass die Klägerin dadurch gegen Artikel 81 EG und Artikel 53 EWR-Abkommen verstoßen hat, dass sie sich an der Einschränkung von Produktionskapazitäten auf dem in Frage stehenden Markt und der Bestimmung eines Herstellers, der die Preiserhöhungen in jedem einzelstaatlichen Markt anführen sollte, beteiligt hat, und des Artikels 3 dieser Entscheidung, soweit er die Klägerin betrifft, und, hilfsweise, Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten J. Azizi sowie der Richter M. Jaeger und F. Dehousse,
Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2004
folgendes
Urteil
Sachverhalt
1 Die Klägerin, die Archer Daniels Midland Co. (im Folgenden: ADM oder Klägerin), ist die Muttergesellschaft eines Konzerns, der Getreide und Ölsaaten verarbeitet. Sie ist seit 1991 auf dem Markt für Zitronensäure aktiv.
2 Zitronensäure ist das weltweit am häufigsten verwendete Säuerungs- und Konservierungsmittel. Sie wird in mehreren Sorten mit unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten verwendet, vor allem in Lebensmitteln und Getränken, Waschmitteln und Haushaltsreinigern, Arzneimitteln und Kosmetika und in diversen industriellen Verfahren.
3 Im Jahr 1995 erreichte das gesamte weltweite Verkaufsvolumen von Zitronensäure 894,72 Mio. Euro, wovon auf den Europäischen Wirtschaftsraum (im Folgenden: EWR) 323,69 Mio. Euro entfielen. Ein Anteil von rund 60 % des Weltmarktes lag 1996 in den Händen der fünf Adressaten der mit der vorliegenden Klage angefochtenen Entscheidung, nämlich der Klägerin, der Jungbunzlauer AG (im Folgenden: Jungbunzlauer), der F. Hoffmann-La Roche AG (im Folgenden: Roche), der – zur Bayer AG gehörenden – Haarmann & Reimer Corporation (im Folgenden: H & R) und der Cerestar Bioproducts BV (im Folgenden: Cerestar) (im Folgenden zusammen: betroffene Unternehmen).
4 Im August 1995 setzte das Justizministerium der USA die Kommission davon in Kenntnis, dass eine Untersuchung des Zitronensäuremarktes eingeleitet worden sei. Zwischen Oktober 1996 bis Juni 1998 räumten alle betroffenen Unternehmen, darunter auch ADM, ihre Teilnahme an einem Kartell ein. Im Anschluss an Vereinbarungen mit dem amerikanischen Justizministerium verhängten die amerikanischen Stellen gegen die Unternehmen Geldbußen. Außerdem wurden einige beschuldigte Einzelpersonen persönlich mit Geldbußen belegt. Auch in Kanada kam es zu Ermittlungen und zur Verhängung von Geldbußen gegen einige der genannten Unternehmen, darunter auch gegen ADM.
5 Am 6. August 1997 richtete die Kommission nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), Auskunftsverlangen an die vier führenden Zitronensäurehersteller der Gemeinschaft. Im Januar 1998 richtete sie auch Auskunftsverlangen an die größten Zitronensäureabnehmer der Gemeinschaft und im Juni und Juli 1998 wiederum an die führenden europäischen Zitronensäurehersteller.
6 Nach dem ersten an sie gerichteten Auskunftsverlangen vom Juli 1998 nahm Cerestar mit der Kommission Kontakt auf und bot in einem Gespräch vom 29. Oktober 1998 an, auf der Grundlage der Mitteilung der Kommission vom 18. Juli 1996 über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit) mit der Kommission zusammenzuarbeiten. Bei dieser Gelegenheit berichtete Cerestar mündlich über die Kartellpraktiken, an denen sie beteiligt gewesen sei. Am 25. März 1999 sandte Cerestar der Kommission eine schriftliche Erklärung, in der sie diese Ausführungen bestätigte.
7 Mit Schreiben vom 28. Juli 1998 richtete die Kommission ein weiteres Auskunftsverlangen an Jungbunzlauer, das diese mit Schreiben vom 28. September 1998 beantwortete.
8 Bei einer Zusammenkunft am 11. Dezember 1998 bekundete auch ADM ihre Bereitschaft, mit der Kommission zusammenzuarbeiten, und äußerte sich ebenfalls mündlich zu den wettbewerbswidrigen Praktiken, an denen sie beteiligt gewesen sei. Mit Schreiben vom 15. Januar 1999 bestätigte ADM diese Ausführungen.
9 Am 3. März 1999 richtete die Kommission an Roche, Jungbunzlauer und Cerestar ergänzende Auskunftsverlangen.
10 Am 28. April, 21. Mai und 28. Juli 1999 gaben die Bayer AG (im Folgenden: Bayer) im Namen von H & R, Jungbunzlauer und Roche Erklärungen nach der Mitteilung über Zusammenarbeit ab.
11 Am 29. März 2000 richtete die Kommission auf der Grundlage der ihr erteilten Auskünfte an die Klägerin und die anderen betroffenen Unternehmen eine Mitteilung der Beschwerdepunkte wegen Verstoßes gegen die Artikel 81 Absatz 1 EG und 53 Absatz 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (im Folgenden: EWR‑Abkommen). Die Klägerin und die anderen betroffenen Unternehmen nahmen dazu schriftlich Stellung. Keines der Unternehmen beantragte eine Anhörung oder bestritt den in den Beschwerdepunkten dargelegten Sachverhalt.
12 Am 27. Juli 2001 richtete die Kommission an die Klägerin und die anderen betroffenen Unternehmen ergänzende Auskunftsverlangen.
13 Am 5. Dezember 2001 erließ die Kommission die Entscheidung 2002/742/EG in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E‑1/36.604 – Zitronensäure) (im Folgenden: Entscheidung). Die Entscheidung wurde der Klägerin mit Schreiben vom 17. Dezember 2001 zugestellt.
14 In dem verfügenden Teil der Entscheidung heißt es:
„Artikel 1
[ADM, Cerestar, Roche, H & R und Jungbunzlauer] haben gegen Artikel 81 Absatz 1 [EG] und Artikel 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen verstoßen, indem sie an einer fortdauernden Vereinbarung und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweise in der Zitronensäurebranche mitgewirkt haben.
Die Zuwiderhandlung dauerte
– im Falle von [ADM, Roche, H & R und Jungbunzlauer] von März 1991 bis Mai 1995 und
– im Falle von [Cerestar] von Mai 1992 bis Mai 1995.
…
Artikel 3
Wegen der in Artikel 1 genannten Zuwiderhandlung werden folgende Geldbußen verhängt:
a) [ADM] 39,69 Mio. EUR,
b) [Cerestar] 170 000 EUR,
c) [Roche] 63,5 Mio. EUR,
d) [H & R] 14,22 Mio. EUR,
e) [Jungbunzlauer] 17,64 Mio. EUR.“
15 In den Randnummern 80 bis 84 der Entscheidung führte die Kommission aus, dass das Kartell die Zuteilung spezifischer Absatzquoten und deren Einhaltung durch jedes Mitglied, die Festlegung von Ziel- und/oder Mindestpreisen, den Verzicht auf die Gewährung von Preisnachlässen und den Austausch spezifischer Kundendaten umfasst habe.
16 Zur Berechnung der Höhe der Geldbußen wandte die Kommission in der Entscheidung das Verfahren an, das in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS‑Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), und in der Mitteilung über Zusammenarbeit festgelegt ist.
17 Dabei setzte sie in einem ersten Schritt nach dem Kriterium der Dauer und der Schwere des Verstoßes den Grundbetrag der Geldbuße fest.
18 Hinsichtlich der Schwere des Verstoßes stellte die Kommission in diesem Zusammenhang zunächst fest, dass die betroffenen Unternehmen angesichts der Art des Verstoßes, seiner konkreten Auswirkungen auf den Zitronensäuremarkt des EWR und der Größe des betroffenen räumlichen Marktes eine besonders schwere Zuwiderhandlung begangen hätten (Randnr. 230 der Entscheidung).
19 Sie hob weiter hervor, es seien zum einen das tatsächliche wirtschaftliche Vermögen, den Wettbewerb zu schädigen, und zum anderen das Erfordernis zu berücksichtigen, eine Geldbuße mit hinreichend abschreckender Wirkung festzusetzen. Demgemäß teilte sie die betroffenen Unternehmen nach ihrem weltweiten Umsatz aus dem Verkauf von Zitronensäure im Jahr 1995 als dem letzten Jahr der Zuwiderhandlung in drei Kategorien ein, und zwar in die erste H & R mit einem weltweiten Marktanteil von 22 %, in die zweite ADM und Jungbunzlauer mit weltweiten Marktanteilen von jeweils [vertraulich](1) sowie Roche mit 9 % und in die dritte Cerestar mit einem Anteil von 2,5 %. Auf dieser Grundlage setzte die Kommission als Ausgangsbetrag 35 Mio. Euro für das Unternehmen der ersten Kategorie, 21 Mio. Euro für die der zweiten und 3,5 Mio. Euro für das der dritten fest (Randnr. 239 der Entscheidung).
20 Die Kommission nahm sodann eine Anpassung dieses Ausgangsbetrags vor, um eine hinreichend abschreckende Wirkung der Geldbuße zu gewährleisten. Dafür multiplizierte sie in Anbetracht der Größe und der gesamten Ressourcen der betroffenen Unternehmen, wie sie in der Höhe ihres weltweiten Gesamtumsatzes zum Ausdruck gelangten, die für ADM und Roche festgesetzten Ausgangsbeträge mit dem Faktor 2 und den für H & R festgesetzten Ausgangsbetrag mit dem Faktor 2,5 (Randnrn. 50 und 246 der Entscheidung).
21 Um der Dauer der Zuwiderhandlung jedes einzelnen Unternehmens Rechnung zu tragen, hob sie den so behandelten Ausgangsbetrag anschließend um 10 % pro Jahr an, im Fall von ADM, H & R, Roche und Jungbunzlauer um 40 % und im Fall von Cerestar um 30 % (Randnrn. 249 und 250 der Entscheidung).
22 So gelangte die Kommission im Fall der Klägerin zu einem Grundbetrag der Geldbuße in Höhe von 58,8 Mio. Euro. Im Fall von Cerestar, Roche, H & R und Jungbunzlauer betrugen diese Grundbeträge 4,55, 58,8, 122,5 und 29,4 Mio. Euro (Randnr. 254 der Entscheidung).
23 In einem zweiten Schritt erhöhte die Kommission die Grundbeträge im Fall von ADM und Roche um 35 % wegen erschwerender Umstände, weil diese beiden Unternehmen die Anführer des Kartells gewesen seien (Randnr. 273 der Entscheidung).
24 In einem dritten Schritt prüfte und verwarf die Kommission das Vorbringen mehrerer Unternehmen, es seien ihnen mildernde Umstände zugute zu halten (Randnrn. 274 bis 291 der Entscheidung).
25 In einem vierten Schritt reduzierte die Kommission die so errechneten Beträge im Fall von Cerestar und H & R nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, damit sie nicht 10 % ihres jeweiligen weltweiten Gesamtumsatzes überstiegen (Randnr. 293 der Entscheidung).
26 In einem fünften Schritt gewährte die Kommission nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit Cerestar eine „wesentlich niedrigere Festsetzung“ der Geldbuße, die ohne ihre Kooperation festgesetzt worden wäre (um 90 %). Den anderen vier betroffenen Unternehmen gewährte sie eine „spürbar niedrigere Festsetzung“ der Geldbuße nach Abschnitt D der Mitteilung, und zwar eine Reduktion um 50 % im Fall von ADM, 40 % im Fall von Jungbunzlauer, 30 % im Fall von H & R und 20 % im Fall von Roche (Randnr. 326 der Entscheidung).
Verfahren und Anträge der Beteiligten
27 Mit Klageschrift, die am 28. Februar 2002 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat ADM die vorliegende Klage erhoben.
28 Mit gesondertem Schriftsatz, der am 28. Februar 2002 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin beantragt, bestimmte Angaben in ihren Schriftsätzen und bestimmte Anlagen als vertraulich zu behandeln.
29 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte Kammer) die mündliche Verhandlung eröffnet und im Wege prozessleitender Maßnahmen nach Artikel 64 der Verfahrensordnung des Gerichts den Verfahrensbeteiligten schriftliche Fragen gestellt, die von ihnen fristgerecht beantwortet worden sind.
30 In der Sitzung vom 9. Juni 2004 haben die Verfahrensbeteiligten mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.
31 Die Klägerin beantragt,
– Artikel 1 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin festgestellt wird, dass sie gegen Artikel 81 EG und Artikel 53 EWR-Abkommen verstoßen hat, indem sie sich an der Einschränkung von Produktionskapazitäten auf dem in Frage stehenden Markt und der Bestimmung eines Herstellers, der die Preiserhöhungen in jedem einzelstaatlichen Markt anführen sollte, beteiligt hat;
– Artikel 3 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft;
– hilfsweise, die gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen;
– der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
32 Die Kommission beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
I – Zur Anwendbarkeit der Leitlinien
A – Vorbringen der Parteien
33 ADM macht geltend, dass sich die durch die Leitlinien eingeführte Berechnungsmethode für Geldbußen radikal von der vorherigen Praxis der Kommission unterscheide, die – wie die Kommission in der Entscheidung (Randnr. 253) eingeräumt habe – darin bestanden habe, dass die Geldbuße entsprechend einem Grundbetrag festgesetzt worden sei, der einem bestimmten Prozentsatz der Umsätze auf dem relevanten Gemeinschaftsmarkt entsprochen habe. Demgegenüber sei durch die Leitlinien ein von dem Umsatz mit dem betroffenen Produkt unabhängiger Bußgeldbetrag von beispielsweise 20 Mio. Euro für besonders schwere Verstöße eingeführt worden.
34 Demgemäß habe die Kommission in dem Zeitraum (1991 bis 1995), der von der vorliegenden Kartellsache betroffen sei, in Befolgung dieser ständigen Praxis Geldbußen verhängt, deren Höhe im Allgemeinen zwischen 2,5 % und 9 % des Umsatzes mit dem in Frage stehenden Produkt auf dem Gemeinschaftsmarkt betragen habe. Dagegen führe die Anwendung der neuen, sich aus den Leitlinien ergebenden Politik zu Geldbußen, die 10‑ bis 34‑mal höher ausfielen als nach der vorherigen Praxis.
35 Gewiss verfüge die Kommission über die Befugnis, Geldbußen nach ihrem Ermessen zu erhöhen, wenn die wettbewerbsrechtliche Politik eine Verhängung von Geldbußen mit erhöhter Abschreckungswirkung erfordere. Mit der Festsetzung von Geldbußen, deren Betrag zwischen 10‑ und 34‑mal höher sei, als er nach der vorherigen Praxis gewesen wäre, habe die Kommission diesen Ermessensspielraum aber offenkundig überschritten. Entgegen der Argumentation der Kommission werde dies durch das Urteil des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T‑16/99 (Lögstör Rör/Kommission, Slg. 2002, II‑1633, Randnr. 237) gerade bestätigt. Zum einen habe das Gericht darin die für die Kommission bestehende Möglichkeit, das Niveau von Geldbußen innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, der Voraussetzung unterstellt, dass dies erforderlich sei, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen. Weder in der Entscheidung noch in ihren Schriftsätzen habe die Kommission jedoch dargelegt oder den Beweis angetreten, dass die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik die Verhängung von Geldbußen erfordere, die 10‑ bis 34‑mal höher seien als nach der vorherigen Praxis. Außerdem habe sie in dem Fall, der dem genannten Urteil zugrunde gelegen habe, ebenso wie in allen anderen Fällen des Fernwärmerohre-Kartells – außer in dem von ABB (Urteil des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T‑31/99, ABB Asea Brown Boveri/Kommission, Slg. 2002, II‑1881) – Geldbußen von vergleichbarer Höhe wie nach ihrer vorherigen Praxis verhängt. Gegen die an dem Fernwärmerohre-Kartell beteiligten Unternehmen seien nämlich Geldbußen in Höhe von nur 3 % bis 14 % der betreffenden Umsätze verhängt worden, und sogar die gegen ABB verhängte Geldbuße sei nicht höher gewesen als 44 % ihres in Frage stehenden Umsatzes.
36 Die Klägerin hebt hervor, dass Unternehmen in der Lage sein müssten, geschäftlich unter vorhersehbaren Bedingungen zu operieren. Wie auch in den Leitlinien (Absatz 1) gesagt werde, müsse die Kommission eine kohärente und nichtdiskriminierende politische Linie einhalten. Das Fehlen von Rechtssicherheit bei der Bußgeldbemessung sei unvereinbar mit dem Gedanken einer wirksamen Herbeiführung der abschreckenden Wirkung von Geldbußen. Eine Geldbuße könne im Einzelfall abschreckende Wirkung nur dann entfalten, wenn den Unternehmen die anwendbaren Sanktionen im Voraus bekannt seien. Eine wirksame Amnestie oder Kronzeugenregelung setzten voraus, dass die bei Verweigerung der Zusammenarbeit geltenden Sanktionen klar im Voraus feststünden. Es erscheine auch verfehlt, Unternehmen – insbesondere angesichts der erheblichen Zeit, die die Untersuchung solcher Zuwiderhandlungen in Anspruch nehme – in einem Zustand fortwährender Ungewissheit über die Höhe der Geldbußen für wettbewerbliche Zuwiderhandlungen zu halten. Es sei deshalb ein Gebot des Grundsatzes der Rechtssicherheit, dass die Kommission bei der Bemessung von Geldbußen nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 einen gewissen Grad an Vorhersehbarkeit gewährleiste.
37 So sei etwa durch die US Sentencing Guidelines (Section 1B1.11[b][1]) und die Rechtsprechung eines amerikanischen Bundesgerichts (Urteil United States v. Kimler, 167 F. 3d 889 [5th Circ. 1999]) klargestellt worden, dass eine rückwirkende Anwendung neuer Leitlinien über Geldbußen durch das in der Verfassung der USA niedergelegte Rückwirkungsverbot untersagt sei, wenn dies eine höhere Sanktion zur Folge hätte, als sie im Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung angedroht war.
38 Die rückwirkende Anwendung der neuen, in den Leitlinien festgelegten Politik auf eine Zuwiderhandlung, die vor deren Veröffentlichung begangen worden sei, mit der Folge, dass gegen ADM eine derart höhere Geldbuße als nach der vorherigen Praxis verhängt werde, ohne dass dieser Sprung erforderlich sei, um die Einhaltung der Wettbewerbspolitik durchzusetzen, verletze daher den Grundsatz der Rechtssicherheit und sei damit rechtswidrig.
39 Zum anderen verletze die Anwendung der Leitlinien den Grundsatz der Gleichbehandlung, da sie Unternehmen, die eine wettbewerbsrechtliche Zuwiderhandlung begangen hätten, nicht nach deren Datum, sondern nach dem des Erlasses der Entscheidung der Kommission, das diese aber willkürlich wählen könne, ungleich behandele. Beispielsweise seien gegen die Unternehmen, an die die Entscheidung 97/624/EG der Kommission vom 14. Mai 1997 in einem Verfahren nach Artikel [82 EG] (IV/34.621, 35.059/F-3 – Irish Sugar plc) (ABl. L 258, S. 1) und die Entscheidung 94/210/EG der Kommission vom 29. März 1994 in einem Verfahren zur Anwendung von Artikel [81 und 82 EG] (IV/33.941 – HOV-SVZ/MCN) (ABl. L 104, S. 34) gerichtet worden seien, Geldbußen in Höhe von nur 6,8 % und 5 % der Verkäufe auf dem betroffenen Markt verhängt worden, obgleich es sich um Zuwiderhandlungen gehandelt habe, die zur gleichen Zeit wie das Kartell für Zitronensäure durchgeführt worden seien.
40 Nach Auffassung der Kommission ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.
B – Würdigung durch das Gericht
41 Das Gericht erinnert zunächst daran, dass das in Artikel 7 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) als Grundrecht gewährleistete Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts bildet, der bei der Verhängung von Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln einzuhalten ist. Nach diesem Grundsatz müssen die verhängten Sanktionen denen entsprechen, die zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung vorgesehen waren (Urteil des Gerichtshofes vom 28. Juni 2005 in den Rechtssachen C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 202; Urteile des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T‑23/99, LR AF 1998/Kommission, Slg. 2002, II‑1705, Randnrn. 218 bis 221, und vom 9. Juli 2003 in der Rechtssache T‑224/00, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Slg. 2003, II‑2597, Randnr. 39).
42 Das Gericht stellt weiter fest, dass der Erlass der Leitlinien, die geeignet sind, die allgemeine Wettbewerbspolitik der Kommission auf dem Gebiet von Geldbußen zu ändern, grundsätzlich in den Geltungsbereich des Rückwirkungsverbots fallen kann.
43 Denn zum einen können die Leitlinien Rechtswirkungen entfalten. Diese Rechtswirkungen ergeben sich nicht daraus, dass die Leitlinien selbst Normcharakter hätten, sondern daraus, dass sie von der Kommission erlassen und veröffentlicht worden sind. Der Erlass und die Veröffentlichung der Leitlinien bewirken eine Selbstbeschränkung der Kommission in der Ausübung ihres Ermessens. Die Kommission kann von den Leitlinien nicht mehr abweichen, ohne dass dies gegebenenfalls als Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die der Gleichbehandlung, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit geahndet wird (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnrn. 209 bis 212).
44 Zum anderen fallen die Leitlinien als Instrument einer Wettbewerbspolitik ebenso in den Geltungsbereich des Rückwirkungsverbots wie nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Artikel 7 Absatz 1 EMRK (vgl. insbesondere EGMR, Urteile S. W. und C. R./Vereinigtes Königreich vom 22. November 1995, Série A, Nrn. 335‑B und 335‑C, Ziff. 34 bis 36 und 32 bis 34, Cantoni/Frankreich vom 15. November 1996, Recueil des arrêts et décisions 1996‑V, Randnrn. 29 bis 32, und Coëme u. a./Belgien vom 22. Juni 2000, Recueil des arrêts et décisions 2000‑VII, Ziff. 145) die neue gerichtliche Auslegung einer Norm, die eine Zuwiderhandlung festlegt. Nach dieser Rechtsprechung steht Artikel 7 Absatz 1 EMRK der rückwirkenden Anwendung einer neuen Auslegung einer solchen Norm entgegen. Das ist ihr zufolge insbesondere dann der Fall, wenn es sich um eine richterliche Auslegung handelt, deren Ergebnis zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung insbesondere unter Berücksichtigung der Auslegung, die zu dieser Zeit in der Rechtsprechung zur fraglichen Rechtsvorschrift vertreten wurde, nicht hinreichend vorhersehbar war. Allerdings hängt nach dieser Rechtsprechung die Bedeutung des Begriffes der Vorhersehbarkeit in hohem Maß ab vom Inhalt der in Rede stehenden Vorschrift, von dem durch sie geregelten Bereich sowie von der Zahl und der Eigenschaft ihrer Adressaten. Der Vorhersehbarkeit des Gesetzes steht es indessen nicht entgegen, dass die betreffende Person gezwungen wird, fachkundigen Rat einzuholen, um unter den Umständen des konkreten Falles angemessen zu beurteilen, welche Folgen sich aus einer bestimmten Handlung ergeben können. Das gilt nach dem Urteil Cantoni/Frankreich (Ziff. 35) insbesondere für berufsmäßig tätige Personen, die gewohnt sind, sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sehr umsichtig verhalten zu müssen. Von ihnen kann daher erwartet werden, dass sie die Risiken ihrer Tätigkeit besonders sorgfältig beurteilen (oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnrn. 215 bis 223).
45 Demnach ist zu prüfen, ob die in dem Erlass der Leitlinien liegende Änderung zur Zeit der Begehung der in Frage stehenden Zuwiderhandlungen hinreichend vorhersehbar war.
46 Die hauptsächliche Neuerung der Leitlinien besteht darin, dass als Ausgangspunkt der Berechnung Grundbeträge verwendet werden, die innerhalb von hierfür in den Leitlinien vorgesehenen Spannen festgelegt werden, wobei diese Spannen verschiedenen Schweregraden der Zuwiderhandlungen entsprechen, als solche aber keinen Bezug zum relevanten Umsatz aufweisen. Diese Methode beruht somit im Wesentlichen auf einer – wenn auch relativen und flexiblen – Tarifierung der Geldbußen (oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 225).
47 Ferner ist daran zu erinnern, dass die Kommission dadurch, dass sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert ist, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen. Vielmehr verlangt es die wirksame Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln, dass die Kommission das Niveau der Geldbußen jederzeit den Erfordernissen dieser Politik anpassen kann (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 227, Urteile des Gerichtshofes vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique Diffusion française u. a./Kommission, 1983, 1825, Randnr. 109, und vom 2. Oktober 2003 in der Rechtssache C‑196/99 P, Aristrain/Kommission, Slg. 2003, I‑11005, Randnr. 81; Urteile des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T‑12/89, Solvay/Kommission, Slg. 1992, II‑907, Randnr. 309, und vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑304/94, Europa Carton/Kommission, Slg. 1998, II‑869, Randnr. 89; oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 56).
48 Dementsprechend können Unternehmen, die von einem Verwaltungsverfahren betroffen sind, das zu einer Geldbuße führen kann, weder darauf vertrauen, dass die Kommission das zuvor praktizierte Bußgeldniveau nicht überschreiten wird, noch auf eine bestimmte Methode für die Berechnung der Geldbußen (oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 228).
49 Die betreffenden Unternehmen müssen sich folglich dessen bewusst sein, dass die Kommission jederzeit beschließen kann, das Niveau der Geldbußen gegenüber dem in der Vergangenheit praktizierten Niveau anzuheben. Das gilt nicht nur dann, wenn die Kommission das Niveau der Geldbußen durch die Verhängung von Geldbußen in Einzelentscheidungen anhebt, sondern auch dann, wenn diese Anhebung dadurch erfolgt, dass Verhaltensnormen mit allgemeiner Geltung wie die Leitlinien auf konkrete Fälle angewandt werden (oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnrn. 229 und 230).
50 ADM macht daher zu Unrecht im Wesentlichen geltend, dass die Anhebung des Bußgeldniveaus durch die Kommission im Zusammenhang mit dem Kartell offensichtlich außer Verhältnis zu dem Ziel stehe, die Durchführung der Wettbewerbspolitik zu gewährleisten.
51 Auch der von ADM angeführte Umstand, dass die Anwendung der neuen Politik zu Geldbußen führe, deren Beträge zwischen 10‑ und 34‑mal höher seien als die Geldbußen, die nach der vorherigen Praxis verhängt worden wären, ist – selbst wenn er als wahr unterstellt wird – nicht geeignet, eine Verletzung des Rückwirkungsverbots zu begründen. Bei Berücksichtigung insbesondere der oben in Randnummer 44 zitierten Rechtsprechung war es für ADM hinreichend vorhersehbar, dass die Kommission im Rahmen der Durchführung einer anderen Wettbewerbspolitik das allgemeine Niveau der Geldbußen jederzeit ändern könnte. ADM konnte damit eine derartige Anhebung – wenn sie als wahr unterstellt wird – zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung hinreichend vorhersehen.
52 Soweit ADM schließlich geltend macht, es sei zur Gewährleistung einer abschreckenden Wirkung der Geldbußen unerlässlich, dass den Unternehmen im Voraus das Niveau der Geldbußen bekannt sei, auf das sie sich bei der Zuwiderhandlung gegen Wettbewerbsregeln einstellen müssten, genügt der Hinweis, dass die abschreckende Wirkung von Geldbußen keineswegs voraussetzt, dass Unternehmen im Voraus das genaue Niveau der bei einer bestimmten wettbewerblichen Zuwiderhandlung zu erwartenden Geldbuße kennen.
53 Was die von der Klägerin erhobene Rüge einer Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung angeht, so kann nach ständiger Rechtsprechung die Anwendung der in den Leitlinien beschriebenen Methode für die Berechnung der Höhe der Geldbuße keine Diskriminierung gegenüber Unternehmen darstellen, die im selben Zeitraum Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft begingen, jedoch aufgrund des Zeitpunkts der Aufdeckung der Zuwiderhandlung oder des Ablaufs des sie betreffenden Verwaltungsverfahrens vor dem Erlass und der Veröffentlichung der Leitlinien bestraft wurden (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients u. a./Kommission, Randnrn. 69 bis 73; Urteil des Gerichts vom 12. Juli 2001 in den Rechtssachen T‑202/98, T‑204/98 und T‑207/98, Tate & Lyle u. a./Kommission, Slg. 2001, II‑2035, Randnrn. 118 und 119).
54 Die Rüge einer Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ist daher zurückzuweisen.
II – Zu den Auswirkungen von bereits in anderen Ländern verhängten Geldbußen
A – Vorbringen der Parteien
55 Die Klägerin macht geltend, dass die Kommission mit ihrer Weigerung, von dem in der Entscheidung festgesetzten Bußgeldbetrag die bereits in den USA und in Kanada gegen sie verhängten Geldbußen abzuziehen, gegen das Verbot einer mehrfachen Ahndung ein und derselben Zuwiderhandlung verstoßen habe. Wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 14. Dezember 1972 in der Rechtssache 7/72 (Boehringer/Kommission, Slg. 1972, 1281) ergebe, sei die Kommission zur Anrechnung einer von einer Drittstaatsbehörde verhängten Sanktion verpflichtet, wenn die Handlung, die einerseits die Kommission und andererseits diese Behörde zu Lasten des klagenden Unternehmens festgestellt hätten, identisch sei. Ebenso verhalte es sich im vorliegenden Fall, denn anders als im Entscheidungssachverhalt des Urteils Boehringer/Kommission hätten die amerikanischen und kanadischen Behörden nach dem Zweck des Kartells, seinem Schauplatz und seiner Dauer dasselbe Kartell mit einer Sanktion belegt wie die Kommission, die sich im Übrigen auf von den amerikanischen Behörden erhobene Beweise gestützt habe.
56 So werde in der Entscheidung zu Unrecht ausgeführt, dass mit den in den USA und Kanada verhängten Geldbußen nur die wettbewerbswidrigen Auswirkungen des Kartells im Hoheitsgebiet dieser Länder berücksichtigt worden seien (Randnr. 333 der Entscheidung). Dem am 15. Oktober 1996 in den USA gegen ADM ergangenen Urteil lasse sich vielmehr entnehmen, dass es sich um ein weltweites Kartell gehandelt habe, das den Handel „in den Vereinigten Staaten und andernorts“ beeinträchtigt habe. Im Übrigen sei die verhängte Geldbuße gerade wegen der räumlichen Ausdehnung der Zuwiderhandlung besonders hoch ausgefallen. Auch in Kanada sei besonders berücksichtigt worden, dass es sich um ein weltweites Kartell gehandelt habe.
57 Selbst wenn die Darstellung der Kommission zuträfe, wäre es doch für die Anwendung des Verbots der Mehrfachahndung ohne Bedeutung, dass andere Behörden nur die örtlichen Auswirkungen einer Zuwiderhandlung berücksichtigt hätten. Nach dem Urteil Boehringer/Kommission (zitiert oben in Randnr. 55) komme es insoweit allein auf die Identität der inkriminierten Handlungen an. Dies werde durch die Praxis der Kommission selbst bestätigt, die in einer Entscheidung aus dem Jahr 1983 von der Geldbuße, die sie gegen an einem Kartell beteiligte Unternehmen verhängt habe, den bereits von den deutschen Behörden festgesetzten Bußgeldbetrag abgezogen habe, obgleich sie nur über außerhalb Deutschlands gelegene Teile des Kartells entschieden habe (vgl. Entscheidung 83/546/EWG der Kommission vom 17. Oktober 1983 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] [IV/30.064 – Gusseisen- und Gussstahlwalzen], ABl. L 317, S. 1).
58 Die Kommission habe es somit versäumt, bei der Zumessung des Bußgelds zu berücksichtigen, dass sie bereits in Drittländern zu genügend hohen Geldbußen und Schadensersatzbeträgen verurteilt worden sei, um sie von der Begehung einer weiteren wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung abzuschrecken. Sie sei daher bereits hinreichend mit Sanktionen belegt worden.
59 Die Kommission habe ebenfalls fehlerhaft angenommen, dass die von ihr im Rahmen der US-amerikanischen und kanadischen Verfahren geleisteten Schadensersatzzahlungen nur dem Schadensausgleich gedient hätten. Die im Rahmen der Vereinbarung gezahlten Schadensersatzbeträge hätten vielmehr von den betroffenen Abnehmern verlangte Schadensersatzzahlungen in dreifacher Höhe („triple damages“) eingeschlossen. Der gezahlte Schadensersatz sei daher über bloße Kompensation hinausgegangen und habe ein strafrechtliches Element enthalten. Die Kommission hätte diese Beträge mit strafrechtlichem Charakter daher nach dem Grundsatz berücksichtigen müssen, dass wegen derselben Zuwiderhandlung keine doppelte Sanktion erfolgen dürfe.
60 Nach Auffassung der Kommission ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.
B – Würdigung durch das Gericht
61 Der Grundsatz ne bis in idem verbietet es, dieselbe Person mehr als einmal wegen desselben rechtswidrigen Verhaltens zum Schutz desselben Rechtsguts mit einer Sanktion zu belegen. Seine Anwendung hängt von der dreifachen, kumulativ geltenden Voraussetzung der Identität des Sachverhalts, des Zuwiderhandelnden und des geschützten Rechtsguts ab (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 7. Januar 2004 in den Rechtssachen C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Aalborg Portland u. a./Kommission, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 338).
62 So hat die Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte die Möglichkeit bejaht, dass gegen ein Unternehmen wegen desselben rechtswidrigen Verhaltens zwei Parallelverfahren durchgeführt und somit zwei gesonderte Sanktionen verhängt werden dürfen, eine von der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats, die andere nach dem Gemeinschaftsrecht, sofern diese Verfahren verschiedenen Zielen dienen und die verletzten Normen nicht identisch sind (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Februar 1969 in der Rechtssache 14/68, Wilhelm u. a., Slg. 1969, 1, Randnr. 11; Urteile des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T‑141/89, Tréfileurope/Kommission, Slg. 1995, II‑791, Randnr. 191, und vom 6. April 1995 in der Rechtssache T‑149/89, Sotralentz/Kommission, Slg. 1995, II‑1127, Randnr. 29).
63 Daraus folgt, dass der Grundsatz ne bis in idem erst recht nicht in einem Fall wie dem vorliegenden anwendbar sein kann, indem die einerseits von der Kommission und andererseits von den amerikanischen und kanadischen Behörden geführten Verfahren und verhängten Sanktionen offenkundig nicht den gleichen Zielen dienen. Denn im ersten Fall geht es um die Erhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gebiet der Europäischen Union oder im EWR, im zweiten Fall hingegen wird ein Schutz des amerikanischen und kanadischen Marktes angestrebt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 29. April 2004 in den Rechtssachen T‑236/01, T‑239/01, T‑244/01, T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, Slg. 2004, II‑1181, Randnr. 134 und die dort zitierte Rechtsprechung). Die für den Grundsatz ne bis in idem geltende Anwendungsvoraussetzung, dass die geschützten Rechtsgüter identisch sind, ist daher nicht erfüllt.
64 Die Klägerin beruft sich daher zu Unrecht auf den Grundsatz ne bis in idem.
65 Dieser Schluss wird durch das von der Klägerin angeführte Urteil Boehringer/Kommission (vgl. oben, Randnr. 55) nicht in Frage gestellt. Denn dort hat der Gerichtshof nicht ausgeführt, dass die Kommission zur Anrechnung der von den Behörden eines Drittstaats verhängten Sanktion verpflichtet ist, wenn der einem Unternehmen von diesen Behörden und von der Kommission angelastete Sachverhalt derselbe ist, sondern sich auf die Feststellung beschränkt, dass diese Frage zu entscheiden ist, wenn sie sich stellt (oben in Randnr. 55 zitiertes Urteil Boehringer/Kommission, Randnr. 3).
66 Selbst wenn der allgemeine Billigkeitsgrundsatz die Kommission unter besonderen Umständen dazu verpflichten könnte, von Drittstaatsbehörden verhängte Sanktionen dann zu berücksichtigen, wenn mit diesen auch Handlungen im Gemeinschaftsgebiet geahndet werden, bleibt doch festzustellen, dass die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass es sich im vorliegenden Fall so verhält und die amerikanischen und kanadischen Behörden das Kartell auch geahndet haben, soweit es das Gemeinschaftsgebiet oder den EWR betraf.
67 Denn der bloße Hinweis in der mit den amerikanischen Behörden geschlossenen Vereinbarung, dass das Kartell „in den Vereinigten Staaten und andernorts“ bestanden habe, ist kein Beweis dafür, dass die amerikanischen Behörden bei der Berechnung der Bußgeldhöhe andere Durchführungshandlungen oder Auswirkungen des Kartells berücksichtigten als die, die das amerikanische Hoheitsgebiet betrafen, also insbesondere solche im EWR (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 63 zitiertes Urteil Tokai Carbon u. a./Kommission, Randnr. 143).
68 Ebenso genügt der bloße Hinweis auf den verhängten Bußgeldbetrag, der wegen der räumlichen Ausdehnung der Zuwiderhandlung besonders hoch ausgefallen sei, nicht als Beleg dafür, dass die Auswirkungen des Kartells auf dem Markt des EWR berücksichtigt worden wären.
69 Was die Vereinbarung mit den kanadischen Behörden betrifft, so hat die Klägerin nicht den geringsten Beweis dafür erbracht, dass diese Behörden bei der Bußgeldzumessung andere Durchführungshandlungen oder Auswirkungen des Kartells als in Kanada berücksichtigt hätten, also insbesondere solche im EWR. Die Bezugnahme der kanadischen Behörden auf die weltweite Ausdehnung des Kartells, auf die sich die Klägerin beruft, diente ausschließlich zur Bewertung der Bedeutung des Kartells auf dem gesamten kanadischen Markt.
70 Was die abschreckende Wirkung der bereits verhängten Geldbußen und festgesetzten Schadensersatzbeträge, darunter auch „triple damages“ ohne kompensatorischen Charakter, anbelangt, so ist daran zu erinnern, dass die Befugnis der Kommission, Geldbußen gegen Unternehmen zu verhängen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 81 Absatz 1 EG oder Artikel 82 EG verstoßen, zu den Befugnissen gehört, die der Kommission eingeräumt worden sind, um sie in die Lage zu versetzen, die ihr durch das Gemeinschaftsrecht übertragene Überwachungsaufgabe zu erfüllen. Diese Aufgabe beinhaltet auch den Auftrag, eine allgemeine Politik mit dem Ziel zu verfolgen, die im Vertrag niedergelegten Grundsätze auf das Wettbewerbsrecht anzuwenden und das Verhalten der Unternehmen in diesem Sinne zu lenken (oben in Randnr. 47 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 105).
71 Daraus folgt die Befugnis der Kommission, das Niveau der Geldbußen so anzusetzen, dass ihre abschreckende Wirkung erhöht wird, wenn Zuwiderhandlungen einer bestimmten Art wegen des Gewinns, den eine Reihe der betroffenen Unternehmen daraus ziehen können, immer noch verhältnismäßig häufig sind, obwohl ihre Rechtswidrigkeit von Beginn der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik an feststand (oben in Randnr. 47 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 108).
72 Die Klägerin kann dagegen nicht mit Erfolg geltend machen, dass eine Abschreckung in ihrem Fall deshalb nicht notwendig gewesen sei, weil sie wegen des gleichen Sachverhalts bereits in Drittstaaten verurteilt worden sei. Das von der Kommission verfolgte Ziel der Abschreckung bezieht sich auf das Verhalten der Unternehmen innerhalb der Gemeinschaft oder im EWR. Die abschreckende Wirkung einer wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße darf daher weder allein nach Maßgabe der besonderen Situation der Klägerin noch danach ermittelt werden, ob sie die in Drittstaaten außerhalb des EWR geltenden Wettbewerbsregeln beachtet hat (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 63 zitiertes Urteil Tokai Carbon u. a./Kommission, Randnrn. 146 und 147).
73 Der Klagegrund der unterbliebenen Berücksichtigung der in anderen Staaten bereits verhängten Geldbußen ist daher zurückzuweisen.
III – Zur Schwere der Zuwiderhandlung
A – Einleitung
74 Nach Auffassung von ADM hat die Kommission bei der Berechnung der Bußgeldhöhe die Schwere der Zuwiderhandlung nicht fehlerfrei beurteilt. Mit den Klagegründen, die ADM insoweit vorbringt, rügt sie erstens die fehlende oder ungenügende Berücksichtigung des Umsatzes aus dem Verkauf des in Frage stehenden Produkts, zweitens die fehlerhafte Anwendung eines Multiplikators für die Erhöhung des Ausgangsbetrags und drittens die fehlerhafte Beurteilung der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt.
75 Vor der Prüfung, ob diese Klagegründe durchgreifen, ist zusammenzufassen, welche Methode die Kommission im vorliegenden Fall ausweislich ihrer Entscheidung befolgte, um die Schwere der Zuwiderhandlung zu beurteilen und zu berücksichtigen.
76 Aus der Entscheidung geht hervor, dass die Kommission im Rahmen der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung zunächst die Auffassung vertrat, dass die betroffenen Unternehmen unter Berücksichtigung der Art der Zuwiderhandlung, ihrer konkreten Auswirkungen auf den Zitronensäuremarkt und des Umfangs des betroffenen räumlichen Marktes, nämlich des gesamten EWR, eine besonders schwere Zuwiderhandlung begangen hätten (Randnrn. 204 bis 232 der Entscheidung).
77 Weiter war die Kommission der Ansicht, dass die betroffenen Unternehmen „unterschiedlich zu behandeln [sind], um das tatsächliche wirtschaftliche Vermögen der Beteiligten zu berücksichtigen, dem Wettbewerb spürbaren Schaden zuzufügen, und um die Geldbuße mit hinreichend abschreckender Wirkung festzusetzen“. In diesem Zusammenhang erläuterte die Kommission, dass sie das jeweilige Gewicht und damit die tatsächliche Auswirkung des rechtswidrigen Verhaltens jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb berücksichtigen werde (Randnrn. 233 und 234 der Entscheidung).
78 Bei der Beurteilung dieser Gesichtspunkte legte die Kommission den Umsatz zugrunde, den die betroffenen Unternehmen im letzten Jahr der Zuwiderhandlung, 1995, weltweit durch den Verkauf von Zitronensäure erzielt hatten. Die Kommission stellte hierzu fest: „Angesichts der weltweiten Dimension des Marktes vermitteln diese Zahlen den besten Eindruck von der Fähigkeit der beteiligten Unternehmen, anderen Unternehmen auf dem Gemeinsamen Markt und/oder im EWR spürbaren Schaden zuzufügen“ (Randnr. 236 der Entscheidung). Diese Vorgehensweise werde dadurch begründet, dass es sich um ein weltweites Kartell gehandelt habe, das u. a. die weltweite Aufteilung von Märkten zum Zweck gehabt habe. Außerdem liefere der weltweite Umsatz jedes Kartellmitglieds Hinweise auf seinen Beitrag zur Wirksamkeit des Kartells als Ganzes oder umgekehrt auf dessen Instabilität im Falle einer Nichtbeteiligung (Randnr. 236 der Entscheidung).
79 Auf dieser Grundlage bildete die Kommission drei Gruppen von Unternehmen: In die erste Gruppe ordnete sie H & R ein, da dieses Unternehmen „mit einem Marktanteil von 22 % der größte Marktteilnehmer“ gewesen sei. Der zweiten Gruppe ordnete sie die Klägerin, Jungbunzlauer und Roche zu, da die beiden erstgenannten Unternehmen mit „vergleichbaren Marktanteilen von jeweils [vertraulich]“ auf dem Markt präsent seien, während Roche einen Marktanteil von 9 % gehabt habe. In die dritte Gruppe ordnete sie Cerestar ein, da das Unternehmen „der kleinste Akteur mit einem geschätzten Marktanteil von 2,5 %“ im Jahr 1995 gewesen sei. Die Kommission setzte so die Ausgangsbeträge im Fall von H & R auf 35 Mio. Euro, im Fall von ADM, Jungbunzlauer und Roche auf 21 Mio. Euro und im Fall von Cerestar auf 3,5 Mio. Euro fest (Randnrn. 237 bis 239 der Entscheidung).
80 Um zu gewährleisten, dass die Geldbußen hinreichend abschreckende Wirkung hätten, passte die Kommission anschließend diesen Ausgangsbetrag der Größe und den gesamten Ressourcen der betroffenen Unternehmen an. Demgemäß wandte sie einen Multiplikator von 2 (also eine Erhöhung um 100 %) auf den gegen ADM festgesetzten Ausgangsbetrag an, der damit auf 42 Mio. Euro angehoben wurde, und einen Multiplikator von 2,5 (also eine Erhöhung um 150 %) auf den gegen Roche festgesetzten Ausgangsbetrag, der damit auf 87,5 Mio. Euro angehoben wurde (Randnrn. 240 bis 246 der Entscheidung).
B – Zur fehlenden oder unzureichenden Berücksichtigung des Umsatzes aus dem Verkauf des in Frage stehenden Produkts
1. Vorbringen der Parteien
81 Die Klägerin wirft der Kommission vor, dass sie ihren Umsatz aus dem Verkauf des in Frage stehenden Produkts für die Berechnung der Höhe der Geldbuße nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt habe.
82 Die Klägerin macht insoweit geltend, dass der mit dem fraglichen Produkt erzielte Umsatz für die Bemessung von Geldbußen nach der Rechtsprechung des Gerichts ein wesentlicher Gesichtspunkt sei (Urteile des Gerichts vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache T‑77/92, Parker Pen/Kommission, Slg. 1994, II‑549, Randnrn. 92 bis 95, vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen T‑24/93 bis T‑26/93 und T‑28/93, Compagnie maritime belge transports u. a./Kommission, Slg. 1996, II‑1201, Randnr. 233, vom 21. Oktober 1997 in der Rechtssache T‑229/94, Deutsche Bahn/Kommission, Slg. 1997, II‑1689, Randnr. 127, und vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑327/94, SCA Holding/Kommission, Slg. 1998, II‑1373, Randnr. 176).
83 Die Berücksichtigung des Umsatzes mit dem betroffenen Produkt im EWR sei eine geeignete Grundlage für die Beurteilung, inwieweit der Wettbewerb auf dem betroffenen Produktmarkt in der Gemeinschaft geschädigt worden sei und welche relative Bedeutung den Kartellteilnehmern für die in Frage stehenden Produkte zukomme. Diese Auffassung werde durch die Rechtsprechung des Gerichts gestützt (oben in Randnr. 47 zitiertes Urteil Europa Carton/Kommission, Randnr. 126, und Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑309/94, KNP BT/Kommission, Slg. 1998, II‑1007, Randnr. 108, im Rechtsmittelverfahren bestätigt durch Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 2000 in der Rechtssache C‑248/98 P, KNP BT/Kommission, Slg. 2000, I‑9641).
84 Ferner werde durch das Urteil LR AF 1998/Kommission (zitiert oben in Randnr. 41) bestätigt, dass eine unverhältnismäßige Berücksichtigung der Gesamtgröße eines Unternehmens für die Bemessung der Geldbuße rechtswidrig sei.
85 Auch in ihrer Entscheidungspraxis der letzten Jahre in mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbaren Kartellsachen (Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag [IV/C/33.833 – Karton], ABl. L 243, S. 1, Entscheidung 94/815/EG der Kommission vom 30. November 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag [Sache IV/33.126 und 33.322 – Zement], ABl. L 343, S. 1, Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags [IV/31.149 – Polypropylen], ABl. L 230, S. 1, Entscheidung 89/515/EWG der Kommission vom 2. August 1989 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag [IV/31.553 – Betonstahlmatten], ABl. L 260, S. 1, und Entscheidung 94/215/EGKS der Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von europäischen Trägerherstellern, ABl. L 116, S. 1) habe sich die Kommission, wie sie im Übrigen in der Entscheidung (Randnr. 253) selbst anerkannt habe, auf den Umfang des Umsatzes mit dem in Frage stehenden Produkt auf dem Gemeinschaftsmarkt gestützt. Unter Heranziehung dieses Berechnungskriteriums habe die Kommission in diesen Entscheidungen Geldbußen in Höhe von 2,5 % bis 9 % des Umsatzes der betroffenen Unternehmen mit dem in Frage stehenden Produkt festgesetzt. Hätte die Kommission dieses Berechnungskriterium auch im vorliegenden Fall zugrunde gelegt, so hätte sie der Klägerin eine Geldbuße zwischen 1,15 und 4,14 Mio. Euro auferlegt. Infolge der Aufgabe dieses Berechnungskriteriums habe die Kommission hingegen im vorliegenden Fall Geldbußen verhängt, die zwischen 10‑ und 34‑mal höher seien als die Geldbußen, die sie nach der genannten Grundlage festgesetzt hätte.
86 Die Kommission behaupte auch zu Unrecht, dass sie den Umsatz der Beteiligten durch deren Einteilung in drei Gruppen nach ihrem Anteil am Weltmarkt für Zitronensäure berücksichtigt habe (Randnr. 236). Richtigerweise hätte die Kommission auch den begrenzten Wert der Verkäufe von Zitronensäure im EWR im Jahr 1995 berücksichtigen müssen.
87 Erstens müsse die Kommission nämlich, wie sie selbst einräume, die Schwere der Zuwiderhandlung und damit das Niveau der Geldbuße anhand der Auswirkungen im EWR beurteilen. Das von der Kommission in Randnummer 236 der Entscheidung angeführte Argument, der weltweite Umsatz sei deshalb zugrunde zu legen, weil das Kartell „die Nichtentfaltung von Wettbewerbsreserven im EWR-Markt“ bezweckt habe, entbehre jeder Grundlage. In der Entscheidung werde nicht behauptet, dass die Beteiligten eine Vereinbarung über die Fernhaltung von Lieferungen vom EWR-Markt getroffen hätten. Das Kartell habe Quoten auf weltweiter Basis festgesetzt (Randnrn. 97 bis 101 der Entscheidung) und keine gesonderten Quoten für Europa gehabt. Betreffe ein Kartell die Verbraucher des EWR, so sei deren Schädigung die gleiche, gleichviel, ob sich das Kartell über den EWR hinaus erstrecke oder nicht. Insoweit dürfe es daher keinen Unterschied bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung und der Festsetzung der verhängten Geldbuße geben.
88 Zweitens sei die Entscheidungspraxis der Kommission in sich unstimmig. Denn in den Sachen „nahtlose Stahlrohre“ (Entscheidung 2003/382/EG der Kommission vom 8. Dezember 1999 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag [Sache IV/E-1/35.860-B – nahtlose Stahlrohre], ABl. 2003, L 140, S. 1) und „Natriumglukonat“ (Entscheidung vom 2. Oktober 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG und Artikel 53 EWR-Abkommen [COMP/E-1/36.756 – Natriumglukonat]) habe sich die Kommission dafür entschieden, nur die Verkäufe innerhalb des EWR zu berücksichtigen.
89 Drittens veranschauliche gerade der vorliegende Fall die widersinnigen Folgen einer Berücksichtigung des weltweiten Umsatzes, weil die Verkäufe der Klägerin in Kanada und in den USA, die ungefähr 50 % ihrer Zitronensäureverkäufe auf dem Weltmarkt ausmachten, bereits von den Behörden dieser Länder bei der Verhängung von Sanktionen gegen ADM berücksichtigt worden seien. Mit der Einbeziehung des weltweiten Umsatzes habe die Kommission daher hinsichtlich der Verkäufe der Klägerin, für die sie bereits mit Sanktionen belegt worden sei, eine unverhältnismäßige Geldbuße ausgesprochen.
90 Viertens hätte die Kommission, selbst wenn man unterstelle, dass der weltweite Umsatz aus dem Verkauf von Zitronensäure ein relevanter Faktor für die Bußgeldzumessung sein könnte, diesen Umsatz doch nicht in angemessener Weise berücksichtigt. Der gegen ADM festgesetzte Bußgeldbetrag (vor Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit) mache 66 % des weltweiten Umsatzes aus dem Verkauf von Zitronensäure aus. Eine solche Sanktion übersteige bei weitem jeden Schaden, der den Verbrauchern oder dem Wettbewerb durch die Kartellbeteiligung der Klägerin, die ihrerseits nur einem Bruchteil des weltweiten Umsatzes entspreche, zugefügt worden sei. Genau genommen habe sich die Kommission ausschließlich auf die gesamten Umsätze und Ressourcen des Unternehmens gestützt. Diese unverhältnismäßige Zugrundelegung des Gesamtumsatzes führe aber zur Verhängung einer rechtswidrigen Geldbuße.
91 Damit habe die Kommission nicht nur die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze verkannt, sondern auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.
92 Ferner heiße es in den Leitlinien, es sei „nötig …, die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, Wettbewerber und den Verbraucher wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, zu berücksichtigen“. Danach sei zudem bei Kartellen eine Gewichtung vorzunehmen, um „die tatsächliche Auswirkung des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen“.
93 Die wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb oder andere Wirtschaftsteilnehmer ließen sich aber nur anhand der Verkaufszahlen des in Frage stehenden Produkts beurteilen. Nur wenn man von diesen Verkäufen ausgehe, könne der Umfang der potenziellen Schädigung der Verbraucher oder des Wettbewerbs im Verhältnis zu den wettbewerbswidrigen Zuschlägen oder anderen rechtswidrigen Gewinnen beurteilt werden.
94 Die Kommission habe daher mit ihrem Versäumnis, den Umsatz aus dem fraglichen Produkt zu berücksichtigen, ihre eigenen Richtlinien nicht richtig angewandt.
95 Da die Kommission ihren Entschluss, die Verkäufe der Klägerin auf dem in Frage stehenden Produktmarkt unberücksichtigt zu lassen, in der Entscheidung auch nicht speziell begründet habe, habe sie zugleich ihre Begründungspflicht verletzt.
96 Nach Auffassung der Kommission sind diese Klagegründe zurückzuweisen.
2. Würdigung durch das Gericht
97 Die Klägerin rügt zum einen einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ihre Leitlinien und zum anderen eine Verletzung der Begründungspflicht.
a) Zur Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
98 Wie in ständiger Rechtsprechung anerkannt ist, ist die Schwere von Zuwiderhandlungen anhand zahlreicher Gesichtspunkte zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Sache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (Beschluss des Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache C‑137/95 P, SPO u. a./Kommission, Slg. 1996, I‑1611, Randnr. 54, und Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C‑219/95 P, Ferriere Nord/Kommission, Slg. 1997, I‑4411, Randnr. 33; Urteil des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T‑9/99, HFB u. a./Kommission, Slg. 2002, II‑1487, Randnr. 443).
99 Ferner können nach ständiger Rechtsprechung zu den Gesichtspunkten für die Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung je nach Fall die Menge und der Wert der Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, sowie die Größe und Wirtschaftskraft des Unternehmens und damit der Einfluss gehören, den es auf den relevanten Markt ausüben konnte. Daraus ergibt sich zum einen, dass bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der – wenn auch nur annähernd und unvollständig – etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Marktanteil der betroffenen Unternehmen an dem in Frage stehenden Markt herangezogen werden darf, der somit einen Anhaltspunkt für das Ausmaß der Zuwiderhandlung liefern kann. Zum anderen folgt daraus, dass weder der einen noch der anderen dieser Zahlen eine im Verhältnis zu den übrigen Beurteilungskriterien übermäßige Bedeutung zugemessen werden darf und dass die Festsetzung einer angemessenen Geldbuße nicht das Ergebnis eines bloßen auf den Gesamtumsatz gestützten Rechenvorgangs sein kann (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 47 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 120 und 121, oben in Randnr. 82 zitierte Urteile Parker Pen/Kommission, Randnr. 94, und SCA Holding/Kommission, Randnr. 176, oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 188, und oben in Randnr. 98 zitiertes Urteil HFB u. a./Kommission, Randnr. 444).
100 Wenn somit auch, wie die Klägerin hervorhebt, der Umsatz mit dem in Frage stehenden Produkt eine geeignete Grundlage darstellen kann, um die Schädigung des Wettbewerbs auf dem betroffenen Produktmarkt in der Gemeinschaft und die relative Bedeutung der Kartellteilnehmer im Hinblick auf die betroffenen Produkte zu ermitteln, ist doch dieser Gesichtspunkt bei weitem nicht das einzige Kriterium, nach dem die Kommission die Schwere der Zuwiderhandlung zu beurteilen hat.
101 Diesem Gesichtspunkt würde deshalb im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin eine unverhältnismäßige Bedeutung zuerkannt, wenn die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Geldbuße, wie die Klägerin vorzuschlagen scheint. darauf beschränkt bliebe, nur deren Verhältnis zu dem Umsatz mit dem in Frage stehenden Produkt zu würdigen. Die Verhältnismäßigkeit der Bußgeldhöhe ist vielmehr anhand aller Faktoren zu beurteilen, die die Kommission bei der Bewertung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigen muss, wie die Art der Zuwiderhandlung, ihre konkreten Auswirkungen auf den betroffenen Markt und der Umfang des räumlichen Marktes.
102 Die Stichhaltigkeit der Entscheidung im Hinblick auf bestimmte dieser Gesichtspunkte ist auf der Grundlage der vier genannten Argumente der Klägerin zu prüfen, mit denen sie im Wesentlichen dartun will, dass die Kommission im vorliegenden Fall den Umsatz der betroffenen Unternehmen im EWR und nicht ihren weltweiten Umsatz hätte zugrunde legen müssen.
103 Mit ihrem ersten Argument wendet sich die Klägerin im Wesentlichen gegen die Ausführungen der Kommission in Randnummer 236 der Entscheidung, wonach für die Einteilung der Beteiligten in drei Kategorien auf den weltweiten Umsatz abzustellen sei, weil das Kartell „die Nichtentfaltung von Wettbewerbsreserven im EWR-Markt“ bezweckt habe. Die Klägerin macht geltend, dass in der Entscheidung nicht einmal behauptet werde, es sei die Fernhaltung von Lieferungen vom Markt des EWR vereinbart worden.
104 Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Klägerin diese Passage der Entscheidung ohne ihren Kontext anführt. Die Lektüre der Randnummer 236 der Entscheidung insgesamt lässt klar erkennen, dass nach Auffassung der Kommission im Zusammenhang mit einem weltweiten Kartell wie im vorliegenden Fall die tatsächliche Fähigkeit der Beteiligten zur Schädigung des betroffenen Marktes nur anhand der weltweiten Umsätze beurteilt werden kann. Das erste Argument greift daher nicht durch.
105 Mit ihrem zweiten Argument möchte die Klägerin aufzeigen, dass die Kommission in ihrer neueren Verwaltungspraxis selbst vom Umsatz im EWR ausgegangen ist.
106 Die beiden Entscheidungen, die die Klägerin dafür anführt, sind jedoch im vorliegenden Fall nicht einschlägig. In der Sache „nahtlose Stahlrohre“ (vgl. oben, Randnr. 88), hat die Kommission die Beteiligten nicht in bestimmter Weise klassifiziert (vgl. Randnrn. 159 bis 162 der Entscheidung „nahtlose Stahlrohre“). In der Sache „Natriumglukonat“ (vgl. oben, Randnr. 88) hat die Kommission hingegen, wie im vorliegenden Fall, für die Klassifizierung der Unternehmen auf den weltweiten Umsatz abgestellt. Die Argumentation der Klägerin ist daher sachlich unzutreffend.
107 Mit ihrem dritten Argument macht ADM im Wesentlichen geltend, dass ihre Verkäufe von Zitronensäure in Kanada und in den USA, die etwa 50 % ihres weltweiten Verkaufs von Zitronensäure ausmachten, bereits von den Behörden dieser Länder bei der Verhängung von Sanktionen gegen sie berücksichtigt worden seien. Soweit die Klägerin mit diesem Vorbringen im Wesentlichen die Rüge einer Verletzung des Verbots der Mehrfachahndung wiederholt, ist es bereits oben als unbegründet zurückgewiesen worden (vgl. oben, Randnrn. 61 bis 73). Soweit die Klägerin mit diesem Vorbringen geltend macht, dass die Kommission die Geldbuße nicht auf der Grundlage von Verhaltensweisen auf Märkten außerhalb des Gemeinschaftsgebiets festsetzen dürfe, ist das Vorbringen sachlich unbegründet. Die Kommission hat nämlich den weltweiten Umsatz nicht zur Grundlage der Berechnung der Geldbuße gemacht, sondern lediglich als ein Mittel genutzt, um die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der einzelnen Unternehmen zur Schädigung des Wettbewerbs festzustellen und um die Geldbuße in einer Höhe festzusetzen, die im Fall jedes Unternehmens eine hinreichend abschreckende Wirkung gewährleistet, was wegen des Vorliegens eines weltweiten Kartells gerechtfertigt erscheint.
108 Mit ihrem vierten Argument will ADM im Wesentlichen dartun, dass die Zugrundelegung des Umsatzes aus dem weltweiten Verkauf von Zitronensäure zu einer Geldbuße führt, die in Relation zur Schädigung der Verbraucher und des Wettbewerbs unverhältnismäßig sei.
109 Insoweit ist daran zu erinnern, dass im vorliegenden Fall ein Kartell in Frage steht, zu dem weltweit tätige Unternehmen mit einem Gesamtanteil von 60 % am Weltmarkt für das in Frage stehende Produkt gehörten und das außer der Preisfestsetzung insbesondere die Marktaufteilung durch die Zuweisung von Verkaufsquoten umfasste. In einem solchen Fall durfte sich die Kommission im Rahmen der differenzierten Behandlung der Beteiligten, wie sie es getan hat, auf die weltweiten Umsätze der einzelnen Kartellmitglieder aus dem Verkauf von Zitronensäure stützen. Mit dieser differenzierten Behandlung soll nämlich die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, den Wettbewerb durch ihr rechtswidriges Verhalten zu schädigen, und damit ihr jeweiliges Gewicht innerhalb des Kartells festgestellt werden. Die Kommission hat daher mit ihrer Annahme, dass der jeweilige Anteil der Kartellteilnehmer am Weltmarkt einen geeigneten Indizwert besitzt, die Grenzen des ihr in diesem Bereich zustehenden weiten Ermessens nicht überschritten.
110 Das Vorbringen einer Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist daher zurückzuweisen.
b) Zum Verstoß gegen die Leitlinien
111 Wie insoweit festzustellen ist, sehen die Leitlinien zwar nicht vor, dass die Höhe von Geldbußen anhand des Gesamtumsatzes oder des Umsatzes der Unternehmen auf dem betreffenden Markt berechnet wird. Sie schließen jedoch auch nicht aus, dass diese Umsätze bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden, damit die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gewahrt bleiben und wenn die Umstände es erfordern (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil LR AF 1998/Kommission, im Rechtsmittelverfahren bestätigt durch das ebenda zitierte Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 258, und in Randnr. 41 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 187).
112 Nach den Leitlinien bilden somit die Umsätze der betroffenen Unternehmen – sei es der Gesamtumsatz oder der Umsatz aus dem Verkauf des betroffenen Produkts – nicht den Ausgangspunkt für die Berechnung der Geldbußen und erst recht nicht die einzigen maßgeblichen Kriterien, um die Schwere der Zuwiderhandlung zu ermitteln.
113 Die Kommission kann sie aber als einen von mehreren relevanten Gesichtspunkten berücksichtigen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Kommission den Bußgeldbetrag nach dem dritten bis sechsten Absatz des Abschnitts 1 A der Leitlinien anpasst, um ein hinreichend abschreckendes Niveau der Geldbußen zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang berücksichtigt die Kommission die tatsächliche Fähigkeit der Urheber des Verstoßes, Wettbewerber und den Verbraucher wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, und das Erfordernis, eine hinreichend abschreckende Wirkung der Geldbuße sicherzustellen (Abschnitt 1 A vierter Absatz), und gewichtet zudem die festgesetzten Beträge, um das jeweilige Gewicht und damit die tatsächliche Auswirkung des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, und zwar insbesondere dann, wenn an einem Verstoß derselben Art Unternehmen von unterschiedlicher Größe beteiligt waren (Abschnitt 1 A sechster Absatz).
114 Im vorliegenden Fall hat die Kommission in ihren Schriftsätzen ausgeführt, sie habe sich auf den Umsatz auf dem betroffenen Produktmarkt gestützt, um die relative Bedeutung der einzelnen Unternehmen zu beurteilen. Wie Randnummer 236 der Entscheidung zu entnehmen ist, hat sich die Kommission jedoch, um die relative Bedeutung der Unternehmen auf dem betroffenen Markt zu berücksichtigen, tatsächlich auf den weltweiten Umsatz mit dem in Frage stehenden Produkt bezogen. Wie oben in den Randnummern 77 und 78 bereits ausgeführt, hat sie nämlich im Interesse einer differenzierten Behandlung, um der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit der Urheber der Zuwiderhandlung zu einer erheblichen Schädigung des Wettbewerbs Rechnung zu tragen und die Geldbuße auf einem Niveau festzusetzen, das ihre hinreichend abschreckende Wirkung gewährleistet, auf den Umsatz der Beteiligten aus dem weltweiten Verkauf von Zitronensäure im letzten Jahr der Zuwiderhandlung, also 1995, abgestellt.
115 Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein weltweites Kartell, zu dem Unternehmen mit einem sehr hohen Anteil am Weltmarkt für das betroffene Produkt gehörten. Ferner umfasste das Kartell die Festsetzung von Preisen und die Aufteilung des Marktes durch die Zuweisung von Verkaufsquoten. In einem solchen Fall darf sich die Kommission im Rahmen einer differenzierten Behandlung der betroffenen Unternehmen auf die Umsätze der Kartellteilnehmer aus ihrem weltweiten Verkauf von Zitronensäure stützen. Da nämlich mit dieser differenzierten Behandlung bezweckt wird, die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber eines Verstoßes zu würdigen, den Wettbewerb durch ihr rechtswidriges Verhalten zu schädigen, und damit ihrem jeweiligen Gewicht innerhalb des Kartells Rechnung zu tragen, hat die Kommission mit ihrer Annahme, dass der Anteil der einzelnen Kartellteilnehmer am Weltmarkt von geeignetem Indizwert ist, die Grenzen ihres weiten Ermessens nicht überschritten.
116 Der Klagegrund eines Verstoßes gegen die Leitlinien ist daher zurückzuweisen.
c) Zur Verletzung der Begründungspflicht
117 Nach ständiger Rechtsprechung muss die durch Artikel 253 EG vorgeschriebene Begründung die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Artikels 253 EG genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteile des Gerichtshofes vom 2. April 1998 in der Rechtssache C‑367/95 P, Kommission/Sytraval und Brink’s France, Slg. 1998, I‑1719, Randnr. 63, und vom 30. September 2003 in der Rechtssache C‑301/96, Deutschland/Kommission, Slg. 2003, I‑9919, Randnr. 87).
118 Im Fall einer Entscheidung, mit der gegen mehrere Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln Geldbußen verhängt werden, ist der Umfang der Begründungspflicht insbesondere im Licht des Umstands zu berücksichtigen, dass die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache und ihr Kontext gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (oben in Randnr. 98 zitierter Beschluss SPO u. a./Kommission, Randnr. 54).
119 Im vorliegenden Fall hat die Kommission den gegen ein Unternehmen zu verhängenden Bußgeldbetrag auf der Grundlage seines Umsatzes mit dem betroffenen Produkt berechnet, dabei aber nicht auf den Umsatz im EWR, sondern auf den weltweiten Umsatz mit diesem Produkt abgestellt (vgl. oben, Randnr. 114). Entgegen dem Vorbringen von ADM war sie nicht dazu verpflichtet, den Umsatz mit dem betroffenen Produkt im EWR zugrunde zu legen (vgl. oben, Randnr. 111). Es kann daher der Kommission nicht angelastet werden, dass sie nicht die Gründe angab, aus denen sie diesen Faktor für die Berechnung der zu verhängenden Geldbuße nicht herangezogen hat.
120 Der Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht ist daher ebenfalls zurückzuweisen.
C – Zur Anwendung eines Multiplikators auf den Ausgangsbetrag
1. Vorbringen der Parteien
121 ADM hält die Anwendung eines Multiplikators von 2 auf den Ausgangsbetrag (Randnr. 246 der Entscheidung) für eine offensichtlich unverhältnismäßige Maßnahme, die zudem auf fehlerhaften Erwägungen beruhe und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletze.
122 Die Klägerin erinnert daran, dass sie im Rahmen der in den USA und in Kanada wegen Wettbewerbsverstößen eingeleiteten Verfahren bereits Geldbußen in Höhe von 30 Mio. USD in den USA und 2 Mio. CAD in Kanada entrichtet, die Verbraucher in Höhe von 83 Mio. USD entschädigt und etwa 34 Mio. USD für die Beilegung der von Aktionären gegen sie eröffneten Rechtsstreitigkeiten gezahlt habe. Darüber hinaus habe sie es hinnehmen müssen, dass einer ihrer Mitarbeiter in den USA zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Sie habe daraufhin weltweit eine Politik zur Einhaltung der Wettbewerbsregeln eingeleitet. Alle diese Sanktionen und Maßnahmen ließen die Verhängung einer neuen Sanktion mit abschreckendem Charakter durch die Kommission als unnötig und unverhältnismäßig erscheinen.
123 ADM führt zweitens aus, dass eine Geldbuße, da Unternehmen rational handelnde Wirtschaftseinheiten seien, bereits dann tatsächlich abschreckenden Charakter habe, wenn sie auf einem Niveau festgesetzt werde, auf dem ihr zu erwartender Betrag größer sei als der Gewinn aus der Zuwiderhandlung. Sobald Unternehmen feststellten, dass der durch eine Sanktion verursachte Verlust den Gewinn aus dem Kartell zunichte mache, habe die Geldbuße abschreckende Wirkung. Diese Sichtweise habe auch der Gerichtshof im Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission (zitiert oben in Randnr. 47, Randnr. 108) bestätigt. Sie stehe ebenso in Einklang mit den Leitlinien, nach deren Abschnitt 1 A Absatz 4 die abschreckende Wirkung nach der Fähigkeit der Kartellteilnehmer, den Verbraucher zu schädigen, zu bemessen sei. Damit aber verlangten die Leitlinien, dass bei der Ermittlung einer hinreichenden Abschreckungswirkung der Gewinn aus einem rechtswidrigen Kartell berücksichtigt werde. Diese Betrachtungsweise liege als gemeinsames Konzept auch anderen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zugrunde.
124 ADM bestreitet nicht, dass der weltweite Umsatz in die Bußgeldbemessung einbezogen werden darf. Werde ihm aber ein übermäßiges Gewicht beigelegt, so führe dies zu einer unverhältnismäßigen Geldbuße. Die Kommission begründe die von ihr angewandte Erhöhung indessen nur mit einem Vergleich, mit dem sie sich auf den Umsatz von ADM beziehe. Es gebe aber keine vernünftige Begründung dafür, dass die für eine abschreckende Wirkung angewandte Erhöhung an ihrem weltweiten Umsatz ausgerichtet worden sei. Die Vorgehensweise der Kommission erkläre in keiner Weise, warum auch die Gewinne von ADM aus dem Verkauf von Produkten, die ohne jeden Bezug zu der Zuwiderhandlung seien, zunichte gemacht werden müssten, um Unternehmen von weiteren Aktivitäten im Rahmen eines Kartells für Zitronensäure abzuschrecken.
125 Die Klägerin wiederholt drittens ihr Vorbringen, dass eine wirksam abschreckende Sanktion den aus dem Kartell erwarteten Gewinn zunichte machen müsse (vgl. oben, Randnr. 123). Im vorliegenden Fall sei es aber Jungbunzlauer, die im EWR die höchsten jährlichen Verkäufe aufzuweisen (77 Mio. Euro) und den höchsten Gewinn aus dem Kartell bezogen habe. Gegen Jungbunzlauer sei jedoch in diesem Stadium der Bußgeldbemessung keine Erhöhung zu Abschreckungszwecken angewandt worden. Hingegen sei gegen sie selbst bei jährlichen Verkäufen im EWR in Höhe von 46 Mio. Euro der Ausgangsbetrag der Geldbuße durch eine zu Abschreckungszwecken vorgenommene Erhöhung um 21 Mio. Euro verdoppelt worden. Damit habe die Kommission den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt.
126 Viertens sei die Kommission nicht berechtigt, sich – in ihrer Klagebeantwortung – auf den Umstand zu stützen, dass ADM außer am Kartell auf dem Zitronensäuremarkt gleichzeitig an zwei anderen Kartellen teilgenommen habe. Dieser Gesichtspunkt sei nämlich in der Entscheidung nicht genannt. Im Übrigen habe die Kommission in allen Entscheidungen, die diese Kartelle beträfen, einen Multiplikator angewandt, um eine abschreckende Wirkung der Geldbuße sicherzustellen.
127 Fünftens sei die Entscheidung auch insoweit unzureichend begründet. Die Kommission habe nämlich nicht erläutert, auf welcher Grundlage sie eine Erhöhung in einer derartigen Größenordnung für erforderlich gehalten habe, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Sie habe lediglich erklärt, dass gegen größere Unternehmen höhere Geldbußen festgesetzt werden müssten, aber weder erklärt, aus welchen Gründen im Fall der Klägerin eine Verdoppelung der Geldbuße angemessen erscheine, noch klargestellt, ob Gesichtspunkte wie die bereits verhängten Sanktionen mit ihrer abschreckenden Wirkung gegen das Streben nach Gewinnen aus dem Kartell berücksichtigt worden seien. Die Kommission sei aber verpflichtet gewesen, die Gründe für die in Frage stehende Maßnahme klar zu benennen, zumal es keine veröffentlichten Kartellsachen gebe, in denen die Kommission als zusätzlichen Schritt im Verfahren der Bußgeldzumessung eine „hinreichend abschreckende“ Erhöhung vorgenommen habe. Im Übrigen stelle diese Erhöhung einen bedeutenden Teil der letztlich gegen sie verhängten Geldbuße dar.
128 Nach Auffassung der Kommission ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.
2. Würdigung durch das Gericht
a) Zur Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
129 Soweit die Klägerin im Wesentlichen geltend macht, dass Unternehmen rational handelnde Wirtschaftseinheiten seien und eine Geldbuße daher bereits dann tatsächlich abschreckenden Charakter habe, wenn sie auf einem Niveau festgesetzt werde, auf dem ihr zu erwartender Betrag den Gewinn aus der Zuwiderhandlung übersteige, ist daran zu erinnern, dass die Abschreckung eine der Haupterwägungen ist, von denen sich die Kommission bei der Bußgeldzumessung leiten lassen muss (Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnr. 173, und vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 49/69, BASF/Kommission, Slg. 1972, 713, Randnr. 38).
130 Würde die Geldbuße auf einem Niveau festgesetzt, mit dem lediglich der Gewinn aus dem Kartell zunichte gemacht würde, hätte sie jedoch keine abschreckende Wirkung. Denn es ist vernünftigerweise davon auszugehen, dass Unternehmen im Rahmen ihrer finanziellen Kalkulation und Geschäftsführung nicht nur rational das Niveau der ihnen für eine Zuwiderhandlung drohenden Geldbußen, sondern auch die Größe des Risikos, dass das Kartell aufgedeckt wird, berücksichtigen. Würde die Funktion der Geldbuße auf die bloße Aufhebung des erhofften Gewinns oder Vorteils reduziert, so würde darüber hinaus nicht hinreichend berücksichtigt, dass ein unter Artikel 81 Absatz 1 EG fallendes Verhalten den Charakter einer Zuwiderhandlung hat. Würde die Geldbuße auf einen bloßen Ausgleich des verursachten Schadens beschränkt, so würde nämlich außer der abschreckenden Wirkung, die nur auf künftige Verhaltensweisen gerichtet sein kann, der repressive Charakter einer solchen Maßnahme im Hinblick auf die tatsächlich begangene konkrete Zuwiderhandlung vernachlässigt.
131 Ebenso kann im Fall eines Unternehmens, das wie ADM auf zahlreichen Märkten präsent ist und über eine besonders große Finanzkraft verfügt, die Berücksichtigung des Umsatzes auf dem in Frage stehenden Markt nicht genügen, um eine abschreckende Wirkung der Geldbuße zu gewährleisten. Je größer nämlich ein Unternehmen ist und je größer seine gesamten Ressourcen sind, die es zu unabhängigem Handeln auf dem Markt befähigen, desto mehr muss es sich der Bedeutung seiner Rolle für ein unbeeinträchtigtes Funktionieren des Wettbewerbs auf dem Markt bewusst sein. Daher sind die tatsächlichen Umstände, die sich auf die Wirtschaftskraft eines Unternehmens beziehen, das sich einer Zuwiderhandlung schuldig gemacht hat, bei der Prüfung der Schwere der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen. Infolgedessen führt die Berücksichtigung des weltweiten Umsatzes von ADM für die Berechnung der Bußgeldhöhe im vorliegenden Fall nicht zu einer unverhältnismäßigen Geldbuße.
132 Der Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist daher zurückzuweisen.
b) Zur Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
133 Der Grundsatz der Gleichbehandlung verbietet es der Kommission, vergleichbare Sachverhalte verschieden und verschiedene Sachverhalte gleich zu behandeln, es sei denn, eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Dezember 1984 in der Rechtssache 106/83, Sermide, Slg. 1984, 4209, Randnr. 28, und Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑311/94, BPB de Eendracht/Kommission, Slg. 1998, II‑1129, Randnr. 309).
134 ADM macht im Wesentlichen geltend, dass die Kommission gegen Jungbunzlauer, obwohl diese eine höhere Verkaufszahl für Zitronensäure (77 Mio. Euro) als sie selbst (46 Mio. Euro) erzielt habe, keine Erhöhung der Geldbuße wie in ihrem eigenen Fall vorgenommen habe.
135 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Anwendung des Multiplikators sicherstellen soll, dass die Geldbuße auch für sehr große Unternehmen eine abschreckende Wirkung hat. Der Umsatz von Jungbunzlauer im Jahr 2000 erreichte jedoch nur knapp 314 Mio. Euro, während sich der von ADM auf 13 936 Mio. Euro belief. Es ist außerdem der Umstand zu berücksichtigen, dass sehr große Unternehmen wie ADM eine erhöhte Verantwortung für die Erhaltung des freien Wettbewerbs auf den Märkten, auf denen sie präsent sind, tragen und im Allgemeinen über die juristische und wirtschaftliche Sachkunde und Infrastruktur verfügen, die es ihnen ermöglichen, ihr Verhalten als Zuwiderhandlung gegen das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht zu erkennen.
136 Der Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ist daher ebenfalls zurückzuweisen.
c) Zur Verletzung der Begründungspflicht
137 Soweit ADM im Wesentlichen geltend macht, die Kommission habe weder erläutert, aus welchen Gründen eine Verdoppelung der Geldbuße für angemessen gehalten worden sei, noch klargestellt, ob die bereits verhängten Geldbußen mit ihrer abschreckenden Wirkung gegen das Streben nach Gewinnen aus dem Kartell berücksichtigt worden seien, genügt zunächst der Hinweis auf die oben in den Randnummern 117 und 118 zitierte Rechtsprechung. Es ist weiter daran zu erinnern, dass die Kommission die Anwendung eines Multiplikators auf die u. a. gegen ADM festgesetzte Geldbuße mit dem Erfordernis begründet hat, eine hinreichend abschreckende Wirkung der Geldbuße sicherzustellen. Die Kommission hat sich insoweit auf die weltweiten Umsätze der Beteiligten gestützt (Randnrn. 50 und 241 der Entscheidung). Schließlich hat sie in Randnummer 246 der Entscheidung angegeben, dass sie die Anwendung des Multiplikators von 2 für angezeigt halte, um einen abschreckenden Charakter der gegen ADM zu verhängenden Geldbuße zu gewährleisten.
138 Was insbesondere die Höhe des im Fall von ADM angewandten Multiplikators angeht, so durfte sich die Kommission darauf beschränken, auf die Größe des Unternehmens, wie sie sich annähernd aus seinem weltweiten Umsatz ergibt, und das Erfordernis des abschreckenden Charakters der Geldbuße zu verweisen. Es oblag ihr im Rahmen der Begründungspflicht nicht, zu dieser von ihr gewählten Berechnungsweise Zahlenangaben zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 2000 in der Rechtssache C‑291/98 P, Sarrió/Kommission, Slg. 2000, I‑9991, Randnr. 80).
139 Die Kommission hat daher die Entscheidung insoweit hinreichend begründet. Der Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht ist somit ebenfalls zurückzuweisen.
D – Zu dem Vorliegen von Beurteilungsfehlern hinsichtlich der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt
1. Einleitung
140 Die Schwere von Zuwiderhandlungen ist anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache und ihr Kontext gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (oben in Randnr. 98 zitierter Beschluss SPO u. a./Kommission, Randnr. 54; ebenda zitierte Urteile Ferriere Nord/Kommission, Randnr. 33, und HFB u. a./Kommission, Randnr. 443). In diesem Zusammenhang können die konkreten Auswirkungen des Kartells auf den betroffenen Markt als eines der relevanten Kriterien berücksichtigt werden.
141 In ihren Leitlinien (Abschnitt 1 A Absatz 1) hat die Kommission ausgeführt, dass sie bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes außer seiner Art und dem Umfang des betreffenden räumlichen Marktes „die konkreten Auswirkungen [des Verstoßes] auf den Markt“ berücksichtigt, „sofern diese messbar sind“.
142 Im vorliegenden Fall lässt sich den Randnummern 210 bis 230 der Entscheidung entnehmen, dass die Kommission den nach der Schwere der Zuwiderhandlung bemessenen Betrag der Geldbuße tatsächlich unter Berücksichtigung dieser drei Kriterien ermittelt hat. So hat sie insbesondere (in Randnr. 230 der Entscheidung) angenommen, dass das Kartell „konkrete Auswirkungen“ auf den Zitronensäuremarkt gehabt habe.
143 Die Klägerin meint jedoch, dass der Kommission in diesem Zusammenhang mehrere Beurteilungsfehler bei der Prüfung der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Zitronensäuremarkt unterlaufen seien. Ihrer Auffassung nach haben diese Fehler die Berechnung der Bußgelder beeinflusst.
2. Zu der Rüge, dass die Kommission für den Nachweis von konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt eine verfehlte Vorgehensweise gewählt habe
a) Vorbringen der Parteien
144 Nach Ansicht von ADM hat die Kommission für den Nachweis, dass die Zuwiderhandlung konkrete Auswirkungen auf den Markt gehabt habe, eine verfehlte Vorgehensweise gewählt.
145 Die Klägerin wirft der Kommission vor, dass sie konkrete Auswirkungen des Kartells auf den Markt für Zitronensäure nicht nachgewiesen habe. In Randnummer 211 der Entscheidung habe die Kommission nämlich selbst ausgeführt, dass sich der Abstand zwischen den tatsächlich praktizierten Preisen und den Preisen, die ohne das Kartell angewandt worden wären, nicht in zuverlässiger Weise messen lasse. Anstatt aber eine vertretbare wirtschaftliche Theorie darüber zu entwickeln, was sich ohne das Kartell zugetragen hätte, habe die Kommission nur Mutmaßungen angestellt, wonach die Durchführung der Kartellabsprachen Wirkungen auf den betroffenen Markt hätte haben müssen.
146 Obgleich ADM der Kommission den in den Randnummern 222 und 223 der Entscheidung erwähnten und in ihrer Antwort auf die Beschwerdepunkte herangezogenen Sachverständigenbericht vom 30. Juni 2000 zugeleitet habe, aus dem hervorgehe, dass sich das Kartell auf den relevanten Markt nicht ausgewirkt habe (im Folgenden: Sachverständigenbericht), habe die Kommission die darin enthaltenen Daten keiner sachgerechten wirtschaftlichen Analyse unterzogen. In dem Sachverständigenbericht heiße es:
„So ergeben die Kapazitätsengpässe und der Nachfrageüberhang, die zunehmend wettbewerbsfähige Lieferungen aus chinesischen Zitronensäureimporten und erhebliche Kapazitätsausweitungen verschiedener Hersteller nach sich zogen, eine überzeugende Erklärung für das Preisverhalten von 1991 bis 1995 … Dass die Preise im Zuwiderhandlungszeitraum trotz des Nachfrageüberhangs nicht wieder auf das Niveau Mitte der achtziger Jahre stiegen, und der Umstand, dass die beteiligten Hersteller weder die Produktionskapazitäten noch den Zutritt neuer Konkurrenten zum Markt kontrollieren konnten, widerlegt die Hypothese, dass die Hersteller die Zitronensäurepreise in diesem Zeitraum wirksam kontrollierten.“
147 In Randnummer 226 der Entscheidung habe die Kommission selbst eingeräumt, dass die insbesondere von ADM gegebene Erklärung für die Preissteigerungen 1991 und 1992 „triftig sein [könnte]“. Die Kommission habe dennoch einfach behauptet, es lasse sich nicht ausschließen, dass das Kartell Auswirkungen auf den Markt gehabt habe.
148 Damit habe die Kommission jedoch zunächst nicht den Beweis erbracht, dass das Kartell auf den Markt konkrete Auswirkungen gehabt habe, die im Sinne der Leitlinien messbar seien, sondern eine Umkehr der Beweislast vorgenommen.
149 Zweitens sei es nach dem Vorstehenden ein Rechtsfehler, dass die Kommission erklärt habe, die Preisfluktuationen seien mit einem wirksamen Kartell ohne weiteres vereinbar. Denn mit dieser völlig abstrakten Behauptung habe die Kommission weder den Kontext der betroffenen Industriebranche noch die Faktoren berücksichtigt, aus denen zu schließen sei, dass die Preise aus den im Sachverständigenbericht eingehend dargelegten Gründen nicht über ein abgestimmtes Niveau hinaus gestiegen seien.
150 Drittens habe die Kommission fehlerhaft angenommen, dass kurzfristige Preiserhöhungen zwangsläufig Folge eines wirksamen Kartells seien. In Wirklichkeit gebe es verschiedene Produktbereiche mit Wettbewerb, in denen es angesichts eines ähnlichen Kapazitätsengpasses und Nachfrageüberhangs kurzfristige Preiserhöhungen um 40 % und mehr gegeben habe.
151 Schließlich habe die Kommission einen Nachweis konkreter Auswirkungen des Kartells auf den betroffenen Markt nicht schlüssig daraus herleiten können, dass die Kartellmitglieder 60 % des Weltmarktes und 70 % des europäischen Marktes für Zitronensäure abdeckten und an einem dauerhaften und komplexen Kartell beteiligt gewesen seien.
b) Würdigung durch das Gericht
152 Vor der Entscheidung über die Begründetheit der Rügen der Klägerin hinsichtlich der von der Kommission gewählten Vorgehensweise für den Nachweis, dass das Kartell konkrete Auswirkungen auf den Zitronensäuremarkt gehabt habe, ist zunächst die von der Kommission vorgenommene und in den Randnummern 210 bis 228 der Entscheidung wiedergegebene Beurteilung zusammenzufassen.
– Zusammenfassung der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung
153 Die Kommission hat zunächst (in Randnr. 210 der Entscheidung) festgestellt, dass „[d]ie Zuwiderhandlung … von Unternehmen begangen [worden sei], die während des in Rede stehenden Zeitraums über 60 % des weltweiten und 70 % des europäischen Zitronensäuremarktes abdeckten“.
154 Da die Vereinbarungen auch angewandt worden seien, hätten sie sich auf das Marktgeschehen konkret ausgewirkt (Randnr. 210 der Entscheidung). In Randnummer 212 der Entscheidung hat die Kommission unter Bezugnahme auf die in der Entscheidung enthaltene Darstellung des Sachverhalts ihre Auffassung wiederholt, dass die Kartellabsprachen „sorgfältig umgesetzt“ worden seien; so habe sich ein Teilnehmer „erstaunt über den Grad der Formalität und Organisation [gezeigt], der bei dieser Abmachung an den Tag gelegt wurde“. In Randnummer 216 der Entscheidung heißt es dann: „Angesichts der vorstehenden Ausführungen und der Bemühungen, die alle Teilnehmer in die komplexe Organisation des Kartells investierten, kann die Wirksamkeit der Umsetzung nicht in Frage gestellt werden.“
155 Dabei hat es die Kommission nicht für erforderlich gehalten, „genau zu quantifizieren, in welchem Ausmaß das Preisniveau durch diese Vereinbarungen tatsächlich geändert wurde“ (Randnr. 211 der Entscheidung). Denn „[d]iese Preisänderung [könne] nicht immer auf zuverlässige Weise gemessen werden, da eine Reihe externer Faktoren die Preisentwicklung des Erzeugnisses gleichzeitig beeinflusst haben können, so dass Schlussfolgerungen über die relative Bedeutung aller möglichen Ursachen äußerst schwierig“ seien (ebenda). Gleichwohl hat die Kommission in Randnummer 213 ihrer Entscheidung die Entwicklung des Preises für Zitronensäure von März 1991 bis 1995 im Wesentlichen dahin beschrieben, dass er ab März 1991 bis Mitte 1993 um 40 % gestiegen sei und sich danach im Großen und Ganzen auf diesem Niveau gehalten habe. In den Randnummern 214 und 215 der Entscheidung hat die Kommission daran erinnert, dass die Kartellteilnehmer Absatzquoten festgelegt und für deren Durchsetzung einen Melde-, Überwachungs- und Ausgleichsmechanismus konzipiert und angewandt hätten.
156 In den Randnummern 217 bis 228 der Entscheidung hat die Kommission dann das Vorbringen der Beteiligten im Verwaltungsverfahren, darunter das der Klägerin, zusammengefasst, analysiert und zurückgewiesen. Diese Zurückweisung hat sie in Randnummer 226 der Entscheidung wie folgt begründet:
„Keines der angeführten Argumente der Parteien zur Abschwächung der Feststellung der Kommission, dass das Kartell konkrete Auswirkungen auf den Markt hatte, ist schlüssig. Die Erklärungen, die ADM, H & R und Jungbunzlauer für die Preissteigerungen von 1991–1992 vorbrachten, könnten zum Teil triftig sein, belegen aber nicht auf überzeugende Weise, dass die Durchsetzung des Kartells nicht eine Rolle bei den Preisveränderungen gespielt haben könnte. Zwar können die beschriebenen Phänomene ohne ein Kartell auftreten, sie sind aber auch mit der Situation bei Vorliegen eines Kartells vollkommen vereinbar. Die Tatsache, dass die Preise für Zitronensäure in den ersten 14 Monaten um 40 % stiegen, kann nicht ausschließlich durch eine reine Wettbewerbsreaktion erklärt werden, sondern muss im Zusammenhang damit interpretiert werden, dass die Teilnehmer koordinierte Preiserhöhungen und die Zuteilung von Marktanteilen sowie einen Melde- und Überwachungsmechanismus vereinbart hatten. All dies hätte zum Erfolg der Preiserhöhungen beigetragen.“
– Würdigung
157 Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Kommission nach Abschnitt 1 A Absatz 1 der Leitlinien bei der Bemessung der Geldbuße nach Maßgabe der Schwere des Verstoßes u. a. die „konkreten Auswirkungen [des Verstoßes] auf den Markt [berücksichtigt], sofern diese messbar sind“.
158 Insoweit ist die genaue Bedeutung der Worte „sofern diese [d. h. die konkreten Auswirkungen] messbar sind“ zu untersuchen. Insbesondere ist zu klären, ob mit diesen Worten gemeint ist, dass die Kommission die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung im Rahmen der Bußgeldbemessung nur dann berücksichtigen darf, wenn und soweit sie in der Lage ist, diese Auswirkungen quantitativ zu bestimmen.
159 Wie die Kommission zutreffend vorgetragen hat, erfordert die Prüfung der Auswirkungen eines Kartells auf den betreffenden Markt die Aufstellung von Hypothesen. In diesem Zusammenhang muss die Kommission insbesondere prüfen, welchen Preis das relevante Produkt ohne Kartell gehabt hätte. Indessen ist es mit Unwägbarkeiten behaftet, im Rahmen der Prüfung der Gründe für die tatsächliche Preisentwicklung Mutmaßungen über den jeweiligen Anteil anzustellen, den die einzelnen Gründe hatten. Es ist dem objektiven Umstand Rechnung zu tragen, dass die Teilnehmer aufgrund des Preiskartells auf die Möglichkeit, mittels der Preise miteinander zu konkurrieren, gerade verzichtet haben. Die Beurteilung des Einflusses anderer Faktoren als dieses freiwilligen Verzichts der Kartellteilnehmer beruht daher zwangsläufig auf hinreichend hohen und nicht genau quantifizierbaren Wahrscheinlichkeiten.
160 Soll daher dem in Abschnitt 1 A Absatz 1 der Leitlinien festgelegten Kriterium nicht seine praktische Wirksamkeit genommen werden, kann es der Kommission nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie sich auf die konkreten Auswirkungen, die ein Kartell mit wettbewerbswidrigem Zweck, wie eine Preis- oder Quotenabsprache, auf den Markt hatte, gestützt hat, ohne diese Auswirkungen zu quantifizieren oder hierzu eine bezifferte Beurteilung vorzulegen.
161 Die konkreten Auswirkungen eines Kartells auf den betreffenden Markt sind folglich als hinreichend nachgewiesen anzusehen, wenn die Kommission in der Lage ist, konkrete und glaubhafte Indizien dafür vorzulegen, dass das Kartell mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf diesen Markt hatte.
162 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der obigen Zusammenfassung der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung (vgl. oben, Randnrn. 153 bis 156), dass sie sich für ihre Feststellung, das Kartell habe „konkrete Auswirkungen“ auf den Markt gehabt, auf zwei Anhaltspunkte stützte. Sie hat zum einen darauf verwiesen, dass die Kartellteilnehmer die Kartellabmachungen sorgfältig umgesetzt hätten (vgl. insbesondere Randnrn. 210, 212, 214 und 215 der Entscheidung) und dass die Kartellteilnehmer im fraglichen Zeitraum über 60 % des weltweiten und 70 % des europäischen Zitronensäuremarktes abgedeckt hätten (Randnr. 210 der Entscheidung). Zum anderen hat sie darauf abgestellt, dass sich aus den Angaben der Beteiligten im Verwaltungsverfahren eine gewisse Übereinstimmung der vom Kartell festgesetzten Preise mit den von den Kartellteilnehmern auf dem Markt tatsächlich praktizierten Preisen ergebe (Randnr. 213 der Entscheidung).
163 Auch wenn die in den Randnummern 210 und 216 der Entscheidung verwendeten Formulierungen für sich genommen dahin verstanden werden könnten, als habe die Kommission einen Kausalzusammenhang zwischen der Schaffung des Kartells und seinen konkreten Auswirkungen auf den Markt hergestellt, zeigt doch die Betrachtung der gesamten von der Kommission vorgenommenen Beurteilung, dass sie sich entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht darauf beschränkte, aus der Durchführung des Kartells auf das Vorliegen von konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt zu schließen.
164 Neben dem Umstand, dass die Kartellabmachungen „sorgfältig“ umgesetzt worden seien, zog die Kommission für ihre Beurteilung die Preisentwicklung von Zitronensäure im Zeitraum der Zuwiderhandlung heran. So beschrieb sie in Randnummer 213 der Entscheidung, welche Zitronensäurepreise die Kartellteilnehmer zwischen 1991 und 1995 vereinbart, ihren Kunden mitgeteilt und weitgehend angewandt hätten. Es wird nachstehend zu prüfen sein, ob der Kommission, wie die Klägerin geltend macht, bei der Beurteilung des Sachverhalts, auf den sie ihre Schlussfolgerungen gestützt hat, offensichtliche Fehler unterliefen. Gleichwohl kann es, wie oben in Randnummer 160 festgestellt wurde, der Kommission nicht vorgeworfen werden, dass sie nicht versuchte, den Umfang der Auswirkungen des Kartells auf den Markt zu quantifizieren oder hierzu eine bezifferte Beurteilung vorzulegen.
165 In diesem Zusammenhang kann es der Kommission auch nicht vorgeworfen werden, dass sie die Tatsache, dass die Kartellteilnehmer einen sehr bedeutenden Anteil am Zitronensäuremarkt abdeckten (60 % des Weltmarktes und 70 % des europäischen Marktes), für einen wichtigen Faktor hielt, den sie für ihre Prüfung der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt zu berücksichtigen hatte. Unbestreitbar nimmt nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Preis- und Verkaufsquotenabsprache wirksam wird, mit der Bedeutung des Marktanteils zu, den die an der Absprache Beteiligten halten. Zwar belegt dies allein nicht, dass es konkrete Auswirkungen auf den betreffenden Markt gab, jedoch hat die Kommission in ihrer Entscheidung einen solchen Kausalzusammenhang auch keineswegs hergestellt, sondern diesen Umstand nur als einen unter mehreren Gesichtspunkten berücksichtigt.
166 Die Kommission durfte im Übrigen davon ausgehen, dass dieses Indiz während der Dauer des Kartells an Bedeutung gewinnt. Angesichts der Verwaltungs- und Geschäftsführungskosten, die das reibungslose Funktionieren eines komplexen Kartells, das wie im vorliegenden Fall die Preisfestsetzung, die Aufteilung der Märkte und den Austausch von Informationen betrifft, verlangt und angesichts der mit derartigen rechtswidrigen Aktivitäten verbundenen Risiken konnte die Kommission nämlich die Tatsache, dass die Unternehmen die Zuwiderhandlung über einen langen Zeitraum fortsetzten, vernünftigerweise als Hinweis darauf werten, dass die Kartellmitglieder einen gewissen Vorteil von dem Kartell hatten, und damit auch als Hinweis darauf, dass es konkrete Auswirkungen auf den betreffenden Markt hatte.
167 Dass die Kommission schließlich in Randnummer 226 der Analyse den Sachverständigenbericht als teilweise triftig bewertete, aber nicht als überzeugenden Beweis dafür ansah, dass die Durchführung des Kartells bei der Fluktuation der Zitronensäurepreise keine Rolle gespielt habe, stellt keine Umkehr der Beweislast dar. Dieser Passus in der Beurteilung der Kommission zeigt vielmehr, dass sie die verschiedenen Argumente für und wider das Vorliegen von konkreten Auswirkungen des Kartells sorgfältig abwog.
168 Nach alledem hat die Kommission für die Beurteilung der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Zitronensäuremarkt keine offensichtlich fehlerhafte Vorgehensweise gewählt.
3. Zur Beurteilung der Entwicklung der Zitronensäurepreise
a) Vorbringen der Parteien
169 Die Klägerin meint, dass die Beweise der Kommission für die Durchführung des Kartells nur sehr begrenzt seien und tatsächliche Auswirkungen nicht belegten.
170 Erstens sei die von der Kommission vorgenommene Analyse der Preisentwicklung für Zitronensäure nicht beweiskräftig. Die Kommission habe nämlich nur die angekündigten Preise, nicht aber die tatsächlich berechneten geprüft. Überwiegend seien die Preise, die ADM ihren Kunden berechnet habe, jedoch unter den Kartellpreisen im gesamten fraglichen Zeitraum verblieben. Auch Cerestar und Jungbunzlauer hätten erklärt, dass sie die vereinbarten Preise ignoriert hätten. Dass die tatsächlich praktizierten Preise im Allgemeinen unter den vereinbarten Preisen verblieben seien, werde auch durch die Zahlen über die durchschnittlichen monatlichen Verkäufe in Europa belegt, die ADM, H & R und Jungbunzlauer der Kommission vorgelegt hätten (vgl. Randnr. 95 der Entscheidung und die Schreiben von Jungbunzlauer vom 28. September 1998, von H & R [Bayer] vom 23. September 1997 und von ADM vom 5. Dezember 1997).
171 Es sei außerdem auf verschiedene Passagen in den Verkaufsberichten von H & R zwischen März 1991 und September 1994 hinzuweisen, aus denen sich ergebe, dass die ganze Zeit über fortwährend Druck auf die Preise bestanden habe.
172 Dieses Ergebnis werde im Übrigen durch die Äußerungen der Kunden über die Festsetzung wettbewerbsorientierter Preise bestätigt.
173 Die Kommission habe in den Randnummern 91, 116 und 217 bis 226 der Entscheidung eingeräumt, dass es zumindest ab Mitte 1993 bis Mai 1995 in großem Maßstab Täuschungen über die Einhaltung der Kartellabsprachen gegeben habe, die sich unmittelbar auf die vom Kartell festgesetzten Preise ausgewirkt hätten, und dass es wegen der chinesischen Importe auch unmöglich gewesen sei, diese Preise einzuhalten.
174 ADM hält zweitens die Beurteilung der Verkaufsquoten durch die Kommission für nicht stichhaltig. Die Kommission habe ihre Beurteilung nämlich auf die vereinbarten Quoten und die Schaffung eines Überwachungs- und Ausgleichsmechanismus beschränkt, ohne die von den verschiedenen Beteiligten tatsächlich verkauften Mengen von Zitronensäure zu ermitteln.
175 Wie sich aus Randnummer 97 der Entscheidung ergebe und im Sachverständigenbericht bestätigt werde, habe der rasche Anstieg der Nachfrage vor allem 1991–1992 die vereinbarten Quoten in Tonnen undurchführbar gemacht. Die Beteiligten hätten sie daher schon zwei Monate nach ihrer Vereinbarung in der Sitzung am 6. März 1991 aufgegeben. An ihre Stelle seien quotierte Prozentanteile am Verkauf getreten, was es den Beteiligten erlaubt habe, unter Ausnutzung der steigenden Nachfrage zusätzlich erhebliche Mengen aus den vorangegangenen Jahren abzusetzen.
176 Ferner sei den Randnummern 106 und 107 der Entscheidung und dem Sachverständigenbericht (Randnrn. 35 bis 40) zu entnehmen, dass die Verkäufe durch die Beteiligten ständig über oder unter ihren Quoten gelegen hätten, was Anlass zu fortwährenden Streitigkeiten gegeben habe. Jungbunzlauer habe dazu unwidersprochen durch die Kommission ausgeführt, dass sie sich niemals an die ursprünglich vereinbarten Marktanteile gehalten habe. Dass die Kartellteilnehmer die Absprachen nicht eingehalten hätten, stehe auch in Einklang mit der ungestörten Kapazitätsausweitung durch ADM, Jungbunzlauer und Roche im fraglichen Zeitraum.
177 Wie Randnummer 106 der Entscheidung zu entnehmen sei, habe auch das vereinbarte Ausgleichs- und Überwachungssystem die Beteiligten nicht wirksam zur Einhaltung ihrer Quoten anhalten können und ebenfalls Anlass zu erheblichen Auseinandersetzungen im Kartell gegeben.
178 In vergleichbaren Fällen habe die Kommission angenommen, dass das Kartell infolge der Nichteinhaltung der Kartellabsprachen nur begrenzte Auswirkungen gehabt habe. So habe die Kommission in ihrer Entscheidung „Griechische Fährschiffe“ aus dem Abweichen von den vereinbarten Kartellpreisen auf nur begrenzte Auswirkungen auf den Markt geschlossen, und in ihrer Entscheidung „Fährdienstbetreiber – Währungsaufschläge“ habe sie aus dem Widerstand der Kunden gegen die Preiserhöhungen ebenfalls diesen Schluss gezogen. Die gleiche Bedeutung hätte aber in der vorliegenden Sache den Abschlägen gegenüber den vereinbarten Preisen und der mangelnden Einhaltung der vereinbarten Quoten zuerkannt werden müssen.
179 Die Kommission weist dieses Vorbringen der Klägerin zurück.
b) Würdigung durch das Gericht
180 Um festzustellen, ob die Kommission die konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt richtig beurteilt hat, ist nach ständiger Rechtsprechung vor allem zu prüfen, wie sie die Auswirkungen der Preisabsprache beurteilt hat (vgl. oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 148, und in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑308/94, Cascades/Kommission, Slg. 1998, II‑925, Randnr. 173, und in der Rechtssache T‑347/94, Mayr-Melnhof/Kommission, Slg. 1998, II‑1751, Randnr. 225).
181 Nach der Rechtsprechung sind bei der Feststellung der Schwere der Zuwiderhandlung namentlich der normative und wirtschaftliche Zusammenhang, in den sich die beanstandete Verhaltensweise einfügt, zu berücksichtigen (Urteil des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnr. 612, und oben in Randnr. 98 zitiertes Urteil Ferriere Nord/Kommission, Randnr. 38) und muss die Kommission, um die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt zu beurteilen, auf den Wettbewerb abstellen, den es normalerweise ohne die Zuwiderhandlung gegeben hätte (vgl. in diesem Sinne Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, Randnrn. 619 und 620; oben in Randnr. 180 zitiertes Urteil Mayr-Melnhof/Kommission, Randnr. 235, und Urteil des Gerichts vom 11. März 1999 in der Rechtssache T‑141/94, Thyssen Stahl/Kommission, Slg. 1999, II‑347, Randnr. 645).
182 Wie daraus zum einen folgt, muss bei Preisabsprachen – mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit (vgl. oben, Randnr. 161) – festgestellt werden, dass es die Absprachen den Beteiligten tatsächlich erlaubt haben, ein höheres Preisniveau als ohne das Kartell zu erzielen. Zum anderen folgt daraus, dass die Kommission unter Berücksichtigung des vorhandenen wirtschaftlichen und gegebenenfalls normativen Rahmens alle objektiven Bedingungen auf dem betreffenden Markt in ihre Beurteilung einbeziehen muss. So ist den Urteilen des Gerichts zu dem Kartell für Karton (vgl. insbesondere oben in Randnr. 180 zitiertes Urteil Mayr-Melnhof/Kommission, Randnrn. 234 und 235) zu entnehmen, dass gegebenenfalls das Vorhandensein von „objektiven wirtschaftlichen Faktoren“ zu berücksichtigen ist, aus denen sich ergibt, dass sich das Preisniveau „bei freiem Wettbewerb“ nicht ebenso entwickelt hätte wie die tatsächlich praktizierten Preise (vgl. auch oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnrn. 151 und 152, und oben in Randnr. 180 zitiertes Urteil Cascades/Kommission, Randnrn. 183 und 184).
183 Im vorliegenden Fall analysierte die Kommission auf der Grundlage von Dokumenten, die die Klägerin und Jungbunzlauer im Verwaltungsverfahren einreichten, die Entwicklung der Zitronensäurepreise von März 1991 bis 1995 sowie – als flankierende Maßnahmen, um den Druck auf die Preissteigerung aufrechtzuerhalten – die Festsetzung von Verkaufsquoten und die Schaffung eines Ausgleichssystems.
184 Dabei hat die Kommission die Entwicklung der von den Kartellteilnehmern vereinbarten und angewandten Preise für Zitronensäure in Randnummer 213 der Entscheidung folgendermaßen beschrieben:
„Von März 1991 bis Mitte 1993 wurden die im Kartell vereinbarten Preise den Kunden mitgeteilt und insbesondere in den Anfangsjahren des Kartells weitgehend durchgesetzt. Die Erhöhung des Preises für kristallwasserfreie Zitronensäure auf 2,25 DEM/kg im April 1991, die auf dem Kartelltreffen vom März 1991 beschlossen wurde, bereitete kaum Schwierigkeiten. Darauf folgte im Juli eine telefonisch getroffene Entscheidung, den Preis für kristallwasserfreie Zitronensäure im August auf 2,70 DEM/kg anzuheben. Auch diese Preiserhöhung wurde erfolgreich durchgesetzt. Eine letzte Steigerung auf 2,80 DEM/kg für kristallwasserfreie Zitronensäure wurde bei dem Treffen im Mai 1992 abgesprochen und im Juni 1992 in die Tat umgesetzt. Danach wurde keine Preiserhöhung mehr durchgeführt, und das Kartell konzentrierte sich darauf, diese Preise aufrechtzuerhalten.“
185 Die Kommission führte weiter aus, dass die Kartellteilnehmer zwischen 1991 und 1994 jedem von ihnen Verkaufsquoten in der Form fester und genauer Tonnagen zugeteilt hätten, für die es ein System der Kontrolle gegeben habe. Diese Quoten seien auch tatsächlich angewandt worden. Die Einhaltung der Vereinbarungen sei ständig überwacht worden. Die Kartellmitglieder hätten auch einen Ausgleichsmechanismus vereinbart und tatsächlich angewandt, der der Ahndung von Kartellmitgliedern gedient habe, die höhere Tonnagen als die ihnen als Verkaufsquote zugeteilten verkauft hätten, und den Kartellmitgliedern, die ihre Quoten nicht hätten ausschöpfen können, einen Ausgleich geboten habe (Randnrn. 214 und 215 der Entscheidung mit einem Verweis auf die Sachverhaltsdarstellung in der Entscheidung).
186 Die Klägerin bestreitet die tatsächlichen Feststellungen der Kommission zur Preisentwicklung und Festsetzung der Verkaufsquoten nicht, sondern macht im Wesentlichen nur geltend, dass die Preise und Quoten in Wirklichkeit nicht vollständig eingehalten worden seien.
187 Was die Preisentwicklung für Zitronensäure angehe, so ergebe sich aus verschiedenen Mitteilungen an die Kommission im Verwaltungsverfahren und aus dem Sachverständigenbericht, dass die tatsächlich angewandten Preise überwiegend unter den vereinbarten Preisen geblieben seien.
188 Aus den von der Klägerin vorgelegten Zahlen geht jedoch hervor, dass es eine dauerhafte Parallele zwischen den von den Kartellteilnehmern vereinbarten Preisen und den tatsächlich praktizierten Preisen gab. Diesen Zahlen ist insbesondere zu entnehmen, dass nach dem Beschluss der Kartellteilnehmer zwischen März 1991 und Mai 1992, den Preis für Zitronensäure zur Verwendung in Lebensmitteln von 2,25 DM/kg auf etwa 2,80 DM/kg anzuheben, die von den Kunden tatsächlich verlangten Preisen, die im April 1991 zwischen 1,90 und 2,10 DM/kg lagen, auf 2,30 bis 2,70 DM/kg anstiegen. Den Zahlen kann weiter entnommen werden, dass die von den Kunden tatsächlich verlangten Preise in dem gesamten Zeitraum, für die die Kartellmitglieder das Preisniveau auf 2,80 DM/kg festgesetzt hatten, fortwährend über den Preisen verblieben, die vor der Preiserhöhung 1991 und 1992 praktiziert worden waren.
189 Dass die Beteiligten ihre Vereinbarung nicht einhielten und die vereinbarten Preise nicht vollständig anwandten, bedeutet nicht, dass sie damit die Preise angewandt hätten, die sie ohne das Kartell hätten praktizieren können. Wie die Kommission in Randnummer 219 der Entscheidung zu Recht ausgeführt hat, hat das Gericht im Rahmen der Beurteilung von mildernden Umständen bereits entschieden, dass ein Unternehmen, das trotz der Absprache mit seinen Konkurrenten eine mehr oder weniger unabhängige Marktpolitik verfolgt, möglicherweise nur versucht, das Kartell zu seinem Vorteil auszunutzen (oben in Randnr. 180 zitiertes Urteil Cascades/Kommission, Randnr. 230). Im Übrigen ermöglichte es das Kartell, wie die Kommission in Randnummer 226 der Entscheidung erwähnt hat, seinen Mitgliedern, die Preisentwicklung auf dem Markt zu koordinieren.
190 Das Gleiche gilt für die angebliche Ineffizienz des Systems der Verkaufsquoten. Insoweit trägt die Klägerin nur vor, dass dieses System in der Zeit des Kartells dahin geändert worden sei, dass jedem Kartellmitglied der Verkauf höherer Tonnagen als die ihm zugeteilten ermöglicht worden sei, um den Anstieg der Nachfrage zu nutzen. Dieses Vorbringen kann jedoch nicht durchgreifen. Es kann nämlich nicht belegen, dass die von den Kartellmitgliedern tatsächlich verkauften Tonnagen denen entsprachen, die sie ohne Kartell verkauft hätten, und dass das System, selbst wenn es weniger effizient angewandt wurde als von den Beteiligten vorgesehen, nicht Druck auf die Preise ausübte. Im Übrigen lässt sich nicht ausschließen, dass sich die Preise ohne ein Kartell, das die Beteiligten am Preiswettbewerb hinderte, nicht noch ausgeprägter entwickelt hätten.
191 Demnach konnte die Kommission fehlerfrei zu dem Ergebnis gelangen, dass sie über konkrete und glaubhafte Indizien dafür verfügte, dass die im Rahmen des Kartells praktizierten Zitronensäurepreise mit hinreichender Wahrscheinlichkeit höher waren als die, die ohne Kartell praktiziert worden wären.
192 Selbst wenn man davon ausginge, dass die von den Kartellmitgliedern angewandten Preise, wie ADM auf der Grundlage der wirtschaftlichen Analyse in dem Sachverständigenbericht geltend macht, weitgehend den Preisen entsprachen, die ohne Kartell bestanden hätten, würde dies nichts an der Richtigkeit der von der Kommission in Randnummer 226 der Entscheidung getroffenen Feststellung ändern, dass das Kartell seinen Mitgliedern eine Koordinierung der Preisentwicklung ermöglichte. Selbst wenn diese Preisentwicklung weitgehend durch das Spiel der Marktkräfte begünstigt worden wäre, so dass sich nicht geltend machen ließe, dass sich das Preisniveau ebenso wie die tatsächlich praktizierten Preisen entwickelte, hätten die Beteiligten doch zumindest die Preisentwicklung koordinieren können.
193 Das Vorbringen der Klägerin kann daher nicht durchgreifen.
4. Zur Definition des relevanten Produktmarktes
a) Vorbringen der Parteien
194 Nach Auffassung von ADM sind der Kommission bei der Definition des relevanten Marktes Fehler unterlaufen. Die Definition des relevanten Marktes sei aber erforderlich, um die Auswirkungen des Kartells auf den Markt zu messen, womit diese Fehler die Berechnung der Geldbuße beeinflusst hätten. Die Definition des relevanten Produktmarktes bilde einen wesentlichen Teil der von der Kommission obligatorisch zu leistenden Analyse, wenn sie für die Bußgeldzumessung messbare wirtschaftliche Auswirkungen des Kartells auf den relevanten Produktmarkt berücksichtigen wolle. Ohne eine solche Analyse erschöpfe sich die Feststellung solcher Auswirkungen durch die Kommission in einer theoretischen Beurteilung der Auswirkungen, die restriktive Maßnahmen möglicherweise auf den Wettbewerb hätten, beruhe aber nicht auf einer Analyse der wettbewerbswidrigen Auswirkungen, die im Anschluss an eine Zuwiderhandlung anhand konkreter Anhaltspunkte tatsächlich beobachtet worden seien (Urteil des Gerichts vom 15. März 2000 in den Rechtssachen T‑25/95, T‑26/95, T‑30/95 bis T‑32/95, T‑34/95 bis T‑39/95, T‑42/95 bis T‑46/95, T‑48/95, T‑50/95 bis T‑65/95, T‑68/95 bis T‑71/95, T‑87/95, T‑88/95, T‑103/95 und T‑104/95, Cimenteries CBR u. a./Kommission, Slg. 2000, II‑491, Randnr. 4866).
195 Laut den Randnummern 8 bis 14 der Entscheidung gebe es für mehr als 90 % der Anwendungen von Zitronensäure Ersatzprodukte. Weiter heiße es im Sachverständigenbericht, dass als der kartellrechtlich relevante Produktmarkt der Markt für Zitronensäure einschließlich Phosphaten und sehr wahrscheinlich auch Mineralsäuren anzusehen sei. Im gleichen Sinne hätten sich andere Zitronensäurehersteller im Verwaltungsverfahren geäußert. Die Substituierbarkeit von Zitronensäure durch andere Produkte werde auch in einem Bericht von R. Bradley, H. Janshekar und Y. Yoshikawa mit dem Titel „CEH Marketing Research Report, Citric Acid“ dargestellt, der 1996 im „Chemical Economics Handbook – SRI International“ erschienen sei (im Folgenden: CEH-Bericht) und auf den sich auch die Kommission in der Entscheidung (vgl. insbesondere Randnr. 72) gestützt habe.
196 Trotz dieser Situation habe die Kommission nicht geprüft, ob das Produkt Zitronensäure als solches einen wirtschaftlich relevanten Markt bilde oder ob es als Teil eines größeren Marktes anzusehen sei, der auch diese Ersatzprodukte umfasse.
197 Die Kommission weist dieses Vorbringen der Klägerin zurück.
b) Würdigung durch das Gericht
198 Wie zunächst festzustellen ist, hat die Kommission in der Entscheidung nicht geprüft, ob sich der fragliche Produktmarkt auf Zitronensäure beschränkt oder, wie ADM geltend macht, unter Einbeziehung ihrer Ersatzprodukte extensiver zu definieren ist. Sie hat unter den Überschriften „Das Erzeugnis“ (Randnrn. 4 bis 14 der Entscheidung) und „Der Zitronensäuremarkt“ (Randnrn. 38 bis 53 der Entscheidung) nur die verschiedenen Anwendungen von Zitronensäure und die Größe des Zitronensäuremarktes beschrieben.
199 Hingegen wird der fragliche Produktmarkt in dem Sachverständigenbericht, den die Klägerin der Kommission im Verwaltungsverfahren vorlegte, analysiert und unter Einbeziehung der Ersatzprodukte, insbesondere der Phosphate und Mineralsäuren, extensiver definiert. Gleichwohl prüfte die Kommission in der Entscheidung nicht das Vorbringen von ADM, dass der relevante Produktmarkt extensiver definiert werden müsse.
200 Dennoch kann diese Argumentation von ADM nur durchgreifen, wenn sie aufzeigt, dass die Kommission, hätte sie den Produktmarkt ebenso wie ADM definiert, zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, dass die Zuwiderhandlung auf den Markt, definiert als der Markt für Zitronensäure und ihre Substitute, keine Auswirkungen hatte. Wie oben in Randnummer 161 festgestellt, darf sich die Kommission nämlich nur unter dieser Voraussetzung für die Bemessung der Geldbuße nach der Schwere der Zuwiderhandlung nicht auf das Kriterium der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt stützen.
201 Angesichts der von der Kommission in den Randnummern 213 ff. der Entscheidung entwickelten Analyse der Preisentwicklung und Verkaufsquoten hat die Klägerin jedoch weder belegen noch auch nur ein Bündel stimmiger Indizien dafür aufzeigen können, dass das Kartell für Zitronensäure mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den größeren Markt für Zitronensäure und ihre Substitute keine oder jedenfalls nur zu vernachlässigende Auswirkungen gehabt hätte. Auch in dem Sachverständigenbericht wird trotz der darin getroffenen Feststellungen, dass der Markt extensiver definiert werden müsse, die angebliche Wirkungslosigkeit des Kartells hinsichtlich der Preisentwicklung allein für den Zitronensäuremarkt analysiert.
202 Schließlich stützt sich die Klägerin zu Unrecht auf Randnummer 4866 des Urteils Cimenteries CBR u. a./Kommission (zitiert oben in Randnr. 194). Auch wenn das Gericht dort festgestellt hat, dass die Kommission ihre Analyse auf konkrete Angaben stützen muss und sich nicht auf eine theoretische Beurteilung beschränken darf, betraf dieser Passus des Urteils doch nicht die Definition des relevanten Produktmarktes, sondern die tatsächlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt als solche.
203 Die Rüge einer fehlerhaften Definition des relevanten Produktmarktes ist daher zurückzuweisen.
204 Demnach hat die Klägerin nicht dargetan, dass der Kommission hinsichtlich der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt offensichtliche Beurteilungsfehler unterlaufen wären.
IV – Zur Dauer der Zuwiderhandlung
205 Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe in den Randnummern 91, 116 und 217 bis 226 der Entscheidung eingeräumt, dass es zumindest ab Mitte 1993 bis Mai 1995 in großem Maßstab Täuschungen über die Einhaltung der Kartellabsprachen gegeben habe, die sich unmittelbar auf die vom Kartell festgesetzten Preise ausgewirkt hätten, und dass es wegen der chinesischen Importe auch unmöglich gewesen sei, diese Preise einzuhalten. (vgl. oben, Randnr. 173).
206 Unter diesen Umständen hätte die Kommission jedoch auf die Klägerin nicht eine Erhöhung von 10 % je Jahr der Zuwiderhandlung anwenden dürfen (Randnr. 249 der Entscheidung). Damit habe die Kommission die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Gleichbehandlung verletzt, da sie von ihrer vorherigen Entscheidungspraxis (Entscheidung 98/273/EG der Kommission vom 28. Januar 1998 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag [IV/35.733 – VW], ABl. L 124, S. 60) abgewichen sei, in der sie für Zeiträume, in denen die Absprache nicht eingehalten oder durchgeführt worden sei, nur geringere Erhöhungen angewandt habe.
207 Nach Auffassung der Kommission ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.
208 Wie dazu festzustellen ist, kann die Kommission nach Abschnitt B der Leitlinien im Fall von Zuwiderhandlungen mittlerer Dauer, d. h. in der Regel zwischen einem und fünf Jahren, den für die Schwere des Verstoßes ermittelten Bußgeldbetrag um bis zu 50 % anheben.
209 Im vorliegenden Fall hat die Kommission in Randnummer 249 der Entscheidung festgestellt, dass ADM die Zuwiderhandlung vier Jahre lang und damit über einen Zeitraum von mittlerer Dauer im Sinne der Leitlinien verwirklichte, und demgemäß die Geldbuße wegen der Dauer um 40 % erhöht. Damit hat die Kommission die Regeln eingehalten, die sie sich selbst in den Leitlinien auferlegt hat. Nach Auffassung des Gerichts ist diese Erhöhung um 40 % wegen der Dauer der Zuwiderhandlung im vorliegenden Fall nicht offensichtlich unverhältnismäßig.
210 Soweit sich die Klägerin auf die Entscheidung der Kommission in der Sache VW (zitiert oben in Randnr. 206) beruft, ist darauf hinzuweisen, dass dieser ein anderer Sachverhalt als im vorliegenden Fall zugrunde lag. Insoweit genügt der Hinweis, dass es sich dort um ein Kartell handelte, das länger als zehn Jahre bestand, und dass die Kommission gemäß ihren Leitlinien in diesem Fall für die Erhöhung der Geldbuße einen bestimmten Prozentsatz pro Jahr anwandte und nicht, wie im vorliegenden Fall, einen einzigen Prozentsatz. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich damit aus den Begründungserwägungen dieser von ihr angeführten Entscheidung keineswegs, dass die Kommission darin bestrebt gewesen wäre, eine neue allgemeine Praxis zu begründen, die von ihr in allen folgenden Entscheidungen einzuhalten gewesen wäre.
211 Dieser Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
V – Zu den erschwerenden Umständen
A – Einleitung
212 Die Kommission hat die Klägerin zusammen mit Roche in den Randnummern 267 und 273 der Entscheidung als Anführer des Kartells eingestuft und die gegen die beiden Unternehmen verhängte Geldbuße aus diesem Grund um 35 % erhöht.
213 ADM bestreitet, Anführer des Kartells gewesen zu sein, und hält diese Erhöhung für unzulässig. In diesem Zusammenhang macht die Klägerin im Wesentlichen vier Klagegründe geltend, die sich auf die Erhöhung der Geldbuße wegen erschwerender Umstände beziehen. Sie rügt erstens, dass die Kommission sie als Anführer des Kartells angesehen habe. Zweitens habe die Kommission den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt, indem sie gegen ADM den gleichen Prozentsatz für die Erhöhung angewandt habe wie im Fall von Roche. Drittens sei die Kommission hinsichtlich des gegen ADM angewandten Erhöhungssatzes von ihrer Entscheidungspraxis abgewichen und habe damit die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit verletzt. Viertens beruhe die Entscheidung auf einer Verletzung der Begründungspflicht.
B – Zur Einstufung von ADM als Anführer des Kartells
1. Einleitung
214 Wie den Randnummern 263 bis 266 der Entscheidung zu entnehmen ist, hat sich die Kommission für ihre Feststellung, dass die Klägerin zusammen mit Roche als Anführer des Kartells anzusehen sei, im Wesentlichen darauf gestützt, dass ADM eine maßgebliche Rolle bei der Errichtung des Kartells gespielt habe und eine treibende Kraft bei der Abhaltung der Kartellsitzungen gewesen sei. Die Kommission stützte sich insoweit vor allem auf drei Elemente.
215 Erstens verwies sie in den Randnummern 263 und 264 der Entscheidung darauf, dass ADM, nachdem sie im Dezember 1990 auf dem Markt tätig geworden sei, im Januar 1991 verschiedene bilaterale Treffen mit den wichtigsten Zitronensäureherstellern organisiert habe, nämlich mit H & R, Roche und Jungbunzlauer (im Folgenden: von ADM organisierte bilaterale Treffen im Januar 1991). Zweitens bezog sich die Kommission in Randnummer 265 der Entscheidung auf die Aussage eines ehemaligen Vertreters von ADM, der an den Kartellsitzungen teilgenommen hatte (im Folgenden: ehemaliger ADM-Vertreter), in dem kartellrechtlichen Verfahren in den USA, die in einem Bericht des Federal Bureau of Investigation (FBI) festgehalten ist (im Folgenden: FBI-Bericht) und deren Gegenstand u. a. das Verhalten eines anderen Vertreters der Klägerin war, der ebenfalls an den Kartellsitzungen teilgenommen hatte (im Folgenden: anderer ADM-Vertreter). Drittens stützte sich die Kommission in Randnummer 266 der Entscheidung auf eine Erklärung von Cerestar im Verwaltungsverfahren (im Folgenden: Erklärung von Cerestar).
216 ADM wirft der Kommission vor, dass ihr hinsichtlich aller drei Elemente Beurteilungsfehler unterlaufen seien und sie die Entscheidung insoweit auch nicht ausreichend begründet habe. Diese Rügen sind für jedes der drei Elemente gesondert zu prüfen. Die Klägerin macht im Übrigen geltend, dass diese Elemente jedenfalls nicht den Schluss zuließen, dass sie im Rahmen des Kartells die Rolle eines Anführers gespielt habe.
2. Zu den angeblichen Fehlern der Kommission hinsichtlich der Rolle von ADM als Anführer
a) Zu den von ADM organisierten bilateralen Treffen im Januar 1991
Vorbringen der Parteien
217 Die Klägerin meint, ihr Verhalten in den Treffen im Januar 1991 mit H & R, Roche und Jungbunzlauer könne nicht als ein Beleg für ihre Rolle als Anführer im Kartell angesehen werden. Insoweit sei auf Randnummer 264 der Entscheidung zu verweisen, wo die Kommission selbst erklärt habe, dass „die Abhaltung einer Runde bilateraler Treffen zwischen ADM und [ihren] Wettbewerbern kurz vor der ersten multilateralen Kartellbesprechung nicht ausreicht, um daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass ADM der Anstifter des Kartells gewesen ist“.
218 Jedenfalls verstoße die Entscheidung insoweit gegen die Begründungspflicht, weil die Kommission mit ihrer Feststellung, dass diese bilateralen Treffen nicht genügten, um ADM als Anstifter des Kartells einzustufen, selbst ihrer in Randnummer 263 vorgenommenen Beurteilung widersprochen habe.
219 Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.
Würdigung durch das Gericht
220 In Randnummer 263 der Entscheidung stützte sich die Kommission hinsichtlich der von ADM organisierten bilateralen Treffen im Januar 1991 nach eigenen Angaben auf zwei Dokumente, nämlich erstens ein von ADM erstelltes Memorandum vom 15. Januar 1999 im Zusammenhang mit einem Treffen des ehemaligen Vertreters von ADM im Kartell mit Dienststellen der Kommission am 11. Dezember 1998 und zweitens den FBI-Bericht.
221 Hinsichtlich der von ADM organisierten bilateralen Treffen im Januar 1991 mit den wichtigsten Zitronensäureherstellern, nämlich H & R, Roche und Jungbunzlauer, hielt es die Kommission trotz der Angabe der Klägerin, es habe sich bei diesen Treffen um reine Vorstellungsgespräche bei ihren Wettbewerbern gehandelt, für „sehr wahrscheinlich“, dass „diese Treffen eine bestimmende Rolle bei der (neuerlichen) Bildung des Zitronensäurekartells im März 1991 spielten“. Denn angesichts „der sehr geringen Zeitspanne zwischen diesen Treffen und der ersten multilateralen Kartellbesprechung am 6. März 1991 [sei] es höchst wahrscheinlich, dass die Möglichkeit oder Absicht, ein formelles Kartell zu gründen, besprochen“ worden sei. Dies werde „insbesondere vom Inhalt der durchgeführten Diskussionen bestätigt, wie sie von einem ADM-Mitarbeiter wiedergegeben werden: obwohl die Beschreibung der Diskussionen vage bleibt, gibt der Mitarbeiter an, dass ein Wettbewerber zumindest bei zwei Gelegenheiten für die Art und Weise, wie er sein Zitronensäuregeschäft führte, … verächtlich gemacht“ worden sei. Die Kommission wertet diesen „Ausdruck von Verstimmung gegenüber einem Wettbewerber, dem ein ungebührliches Verhalten auf dem Markt vorgeworfen wird, ... eindeutig [als] Hinweis auf das wettbewerbsfeindliche Ziel, für mehr Disziplin auf dem Markt zu sorgen“ (Randnrn. 74, 75 und 263 der Entscheidung).
222 In Randnummer 264 der Entscheidung führte die Kommission weiter aus, dass „die Abhaltung einer Runde bilateraler Treffen zwischen ADM und [ihren] Wettbewerbern kurz vor der ersten multilateralen Kartellbesprechung nicht ausreicht, um daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass ADM der Anstifter des Kartells gewesen ist, obwohl es stark darauf hindeutet“.
223 Soweit ADM im Zusammenhang mit diesen bilateralen Treffen Beurteilungsfehler geltend macht, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sie nicht bestreitet, die Treffen organisiert zu haben. Sie wirft der Kommission auch nicht vor, dass sie die Dokumente, auf die sie sich insoweit stützte, unzutreffend zusammengefasst habe. Die Klägerin meint vielmehr, die bilateralen Treffen hätten ausschließlich dazu gedient, sich bei den übrigen Kartellmitgliedern vorzustellen.
224 Wenn die Kommission auch in Randnummer 264 der Entscheidung ausführte, dass die verfügbaren Informationen über diese bilateralen Treffen nicht genügten, um auf eine Anstifterrolle von ADM in diesen Treffen zu schließen, durfte sie doch die Feststellung treffen, dass die Abhaltung dieser von ADM kurz vor dem ersten multilateralen Kartelltreffen organisierten bilateralen Treffen „stark darauf hindeutet“, dass ADM ein Anstifter des Kartells war.
225 Allein der Umstand, dass die Kommission in Randnummer 264 der Entscheidung den Beweiswert relativierte, den sie der Abhaltung dieser bilateralen Treffen für die Anstifterrolle von ADM im Kartell zumaß, bedeutet nicht, dass sie diese Treffen fehlerhaft analysiert hätte. Vielmehr zeigt die Herangehensweise der Kommission, dass sie die verwerteten Dokumente sorgfältig analysierte und auf dieser Grundlage zu dem Schluss gelangte, dass die bilateralen Treffen nur ein starkes Indiz für eine Anführerrolle von ADM im Kartell seien, für definitive Schlussfolgerungen aber nicht genügten.
226 Es stellt daher keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler dar, dass die Kommission neben anderen Elementen, auf die sie sich stützte, die Existenz dieser Treffen als zusätzliches Indiz dafür wertete, dass ADM im Kartell die Rolle eines Anführers spielte.
227 Soweit ADM eine Verletzung der Begründungspflicht geltend macht, ist darauf hinzuweisen, dass die Erwägungen, auf die sich das Gemeinschaftsorgan stützte, den Randnummern 263 und 264 der Entscheidung klar und eindeutig zu entnehmen sind. So führte die Kommission in Randnummer 263 der Entscheidung aus, dass die nacheinander stattfindenden Treffen von ADM mit H & R, Roche und Jungbunzlauer im Januar 1991 sehr wahrscheinlich eine entscheidende Rolle für die Schaffung des Zitronensäurekartells im März 1991 gespielt hätten, und erläuterte sodann in Randnummer 264 der Entscheidung die sich aus dieser Feststellung für ADM ergebenden Konsequenzen mit dem Hinweis, dass die Abhaltung einer Reihe von bilateralen Treffen zwischen ADM und ihren Wettbewerbern kurz vor der ersten multilateralen Kartellsitzung allein nicht genüge, um ADM als Anstifter anzusehen, aber hierfür ein starkes Indiz sei. Diese Darlegungen enthalten keinen Widerspruch und lassen in den von der Kommission angestellten Erwägungen keine Unstimmigkeit erkennen. Der Kommission lässt sich daher insoweit kein Begründungsmangel vorwerfen.
228 Der Kommission sind daher in diesem Zusammenhang weder Beurteilungsfehler noch ein Verstoß gegen die Begründungspflicht unterlaufen.
b) Zu der Aussage des ehemaligen ADM-Vertreters vor dem FBI
Zusammenfassung des Sachverhalts und Wortlaut der Entscheidung
229 Am 11. und 12. Oktober 1996 machte der ehemalige ADM-Vertreter eine Aussage vor der „Grand Jury“ in dem kartellrechtlichen Verfahren in den USA, das zum Abschluss eines „Plea Agreement“ führte. Die Befragung, in dem der ehemalige ADM-Vertreter von seinen Rechtsanwälten unterstützt wurde, fand nach Erlass einer „compulsion order“ statt und führte zur Erstellung des FBI-Berichts vom 5. November 1996.
230 Einem Schreiben der zuständigen amerikanischen Behörden an den Rechtsanwalt des ehemaligen ADM-Vertreters vom 11. Oktober 1996 ist zu entnehmen, dass die Befragung auf Ersuchen von ADM stattfand, die sich zu der Befragung vorbehaltlich ihres in der amerikanischen Verfassung verbürgten Rechts zur Aussageverweigerung bei Gefahr der Selbstbezichtigung (Fifth Amendement) bereit erklärte. Aus dem Schreiben geht auch hervor, dass die amerikanischen Behörden dem ehemaligen ADM-Vertreter vor der Befragung hinsichtlich der in seiner Aussage eingeräumten Tatsachen Straffreiheit zugesichert hatten, sofern er die Fragen nach bestem Wissen und Gewissen beantworte und alle ihm verfügbaren Informationen offenlege. Die amerikanischen Behörden hatten außerdem zugesichert, dass die Aussage des ehemaligen ADM-Vertreters weder unmittelbar noch mittelbar gegen ADM oder ihre Mitarbeiter, Tochtergesellschaften oder verbundenen Gesellschaften strafrechtlich verwertet werden dürfe.
231 In der Befragung am 11. und 12. Oktober 1996 gab der ehemalige ADM-Vertreter eine genaue Beschreibung des Funktionierens des Kartells und der Beteiligten. Er beschrieb insbesondere die regelmäßigen Sitzungen auf höchster Ebene (so genannte „Master“- oder „G‑4/G‑5“-Sitzungen) und die vornehmlich technischen Sitzungen (so genannte „Sherpa“-Sitzungen), an denen er selbst großteils teilgenommen hatte. In dem FBI-Bericht findet sich auf den Seiten 21 und 22 insbesondere der Passus aus der Aussage des ehemaligen ADM-Vertreters, den die Kommission in Randnummer 265 der Entscheidung zitierte.
232 Der FBI-Bericht wurde der Kommission im Verwaltungsverfahren von Bayer vorgelegt. In dem Verwaltungsverfahren wurde der ehemalige ADM-Vertreter anlässlich eines Treffens zwischen der Kommission und ADM am 11. Dezember 1998 (vgl. Randnr. 57 der Entscheidung) auch von der Kommission selbst befragt. In dieser Sitzung übergab ADM der Kommission ein undatiertes Memorandum mit dem Titel „Memorandum auf der Grundlage des Gesprächs des [ehemaligen Vertreters von ADM im Kartell] mit der Kommission am 11. Dezember 1998“.
233 In der Mitteilung der Beschwerdepunkte stützte sich die Kommission insbesondere auf die Aussage des ehemaligen ADM-Vertreters in der Fassung, in der sie im FBI-Bericht wiedergegeben ist. Sie fügte der Mitteilung der Beschwerdepunkte den Bericht außerdem bei.
234 In ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte bezog sich ADM ihrerseits auf die Aussage ihres ehemaligen Vertreters vor dem FBI, um die Bedeutung der Zusammenarbeit von ADM nicht nur im Verfahren vor der Kommission, sondern auch in dem vor den amerikanischen Behörden hervorzuheben. Im Übrigen führte ADM den FBI-Bericht mehrfach dafür an, dass sie im Verfahren vor der Kommission in vollem Umfang kooperiert habe, dass das Kartell auf den Zitronensäuremarkt nur beschränkte Auswirkungen gehabt habe und dass ihr bei der Berechnung der Geldbuße mildernde Umstände zugute zu halten seien. In diesem Zusammenhang verwies sie auf den FBI-Bericht, um darzutun, dass sie nicht die Rolle eines Anführers des Kartells gespielt habe und dass ihr ein mildernder Umstand zuzuerkennen sei.
235 In Randnummer 265 der Entscheidung bezog sich die Kommission auf den FBI-Bericht wie folgt:
„Während seines Verhörs durch das FBI im Jahr 1996 nahm ein ehemaliger Vertreter von ADM bei den Kartellbesprechungen auf einen anderen Vertreter, der ebenfalls für ADM an denselben Treffen teilgenommen hatte, Bezug und sagte über ihn, dass … der Mechanismus für die G‑4/G‑5-Absprachen eine Idee [dieses anderen ADM-Vertreters] zu sein schienen und dieser auf dem Treffen vom 6. März 1991 in Basel, wo die Kartellabsprache formuliert [worden sei], eine ziemlich aktive Rolle [gespielt habe]. Über denselben Kollegen meinte er ferner, dass … man [ihn] als den ‚Weisen‘ betrachtete, und [ein Vertreter von Jungbunzlauer] ihn sogar den ‚Prediger‘ nannte.“
Vorbringen der Parteien
236 ADM macht geltend, dass die Kommission den FBI-Bericht fehlerhaft als Beweisdokument für eine „leadership“ von ADM gewertet habe.
237 Dazu trägt die Klägerin erstens vor, dass sich die Kommission deshalb nicht auf den FBI-Bericht hätte stützen dürfen, weil er zu Beweismitteln gehöre, die die Behörden eines Drittstaats bei ihrer Untersuchung gesammelt hätten und für die die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien keine Geltung hätten. Weder der ehemalige ADM-Vertreter noch sein Rechtsanwalt hätten Gelegenheit gehabt, die Niederschrift der Aussage zu korrigieren, zu genehmigen oder zu unterzeichnen.
238 Derartige Aussagen würden vor den Gerichten der USA als ihrem Wesen nach wenig verlässlich betrachtet. Außerdem habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. November 1993 in der Rechtssache C‑60/92 (Otto, Slg. 1993, I‑5683, Randnr. 20) festgestellt, dass Informationen aus einem nationalen Verfahren, in dem das von der Gemeinschaft anerkannte Verteidigungsrecht gegen eine Selbstbezichtigung nicht gelte, zwar durch einen Verfahrensbeteiligten der Kommission zur Kenntnis gebracht werden könnten, dass aber die Kommission, wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 18. Oktober 1989 in der Rechtssache 374/87 (Orkem/Kommission, Slg. 1989, 3283) ergebe, diese Informationen – wie übrigens auch eine staatliche Behörde – nicht als Beweismittel für eine wettbewerbsrechtliche Zuwiderhandlung in einem Verfahren, das zu Sanktionen führen könne, oder als Indiz, das die Einleitung einer einem solchen Verfahren vorausgehenden Untersuchung rechtfertigen könnte, verwerten dürfe.
239 Die Klägerin betont, sie berufe sich nicht darauf, dass die amerikanischen Behörden keine Verfahrensgarantien eingehalten hätten. Der ehemalige ADM-Vertreter sei durchaus von seinem Rechtsanwalt begleitet worden und habe Straffreiheit erhalten. Dennoch handele es sich um Beweismittel aus einem Verfahren in einem Drittland, für die die im Gemeinschaftsrecht geltenden Garantien keine Geltung hätten. Die Kommission sei offenkundig nicht in der Lage, den Beweiswert eines Dokuments festzustellen, wenn sie nicht verstehe, wie es zustande gekommen sei, und die für seine Abfassung geltenden Verfahrensgarantien nicht kenne, etwa so wichtige Aspekte wie die, ob das Dokument unter Eid entstanden sei oder ob es dem Zeugen oder seinem Rechtsanwalt zur Durchsicht ausgehändigt worden sei.
240 Zweitens dürfe sich die Kommission auf den FBI-Bericht deshalb nicht stützen, weil ADM keine Gelegenheit gehabt habe, im Fall einer Selbstbezichtigung die im Urteil Orkem/Kommission (zitiert oben in Randnr. 238) anerkannten Verteidigungsrechte in Anspruch zu nehmen. Dabei sei irrelevant, dass die ADM zugesicherte Straffreiheit nur für ein Strafverfahren gegolten habe.
241 Die Aussage sei von dem früheren Vertreter von ADM unter Verzicht auf das Aussageverweigerungsrecht wegen Gefahr der Selbstbezichtigung unter der Voraussetzung gemacht worden, dass sie von den amerikanischen Behörden u. a. nicht gegen den ehemaligen ADM-Vertreter oder gegen ADM selbst verwertet würde. Anders als die amerikanischen Behörden habe die Kommission ihr aber in dem von ihr selbst geführten Verfahren nicht Gelegenheit gegeben, hinsichtlich der Aussage des ehemaligen ADM-Vertreters ihr Recht zur Aussageverweigerung wegen Gefahr der Selbstbezichtigung auszuüben. Zwar sei nichts dagegen einzuwenden, dass sich die Kommission des FBI-Berichts auszugsweise bediene, soweit er mit der unmittelbaren Aussage des ehemaligen ADM-Vertreters vor der Kommission selbst übereinstimme. Diese unmittelbare Aussage des ehemaligen ADM-Vertreters vor der Kommission beziehe sich aber nicht auf Punkte wie „leadership“, für die sich die Kommission auf den FBI-Bericht gestützt habe. Obwohl die Kommission den ehemaligen ADM-Vertreter selbst befragt und uneingeschränkt Gelegenheit gehabt habe, von ihm mündlich oder mittels schriftlicher Fragen Auskunft zu erlangen, habe sie den Punkt, ob ADM ein Anführer gewesen sei, nicht angesprochen und auch zu einem späteren Zeitpunkt im Verfahren nie aufgeworfen.
242 Drittens sei der FBI-Bericht aus drei Gründen seinem Wesen nach nicht verlässlich.
243 Zunächst sei der Bericht von FBI-Mitarbeitern und amerikanischen Staatsanwälten abgefasst worden, denen es darum gegangen sei, die Ermittlungen in ihrem Sinne voranzubringen. Derartige Berichte seien von den amerikanischen Gerichten als Beweise vom Hörensagen und ferner deshalb für unzulässig erklärt worden, weil die Ermittler, die eine schlüssige strafrechtliche Beschuldigung aufbauen wollten, dazu neigen könnten, die Aussagen des Befragten nicht vollständig wiederzugeben.
244 Ferner sei auch insoweit zu bedenken, dass weder der ehemalige ADM-Vertreter selbst noch sein Rechtsbeistand Gelegenheit gehabt hätten, die Aussage zu lesen, zu genehmigen oder zu unterzeichnen. So habe der ehemalige ADM-Vertreter zwei Jahre später in einem Kreuzverhör in einem öffentlichen Gerichtsverfahren, in dem er als von den amerikanischen Behörden benannter Zeuge aufgetreten sei, zu seiner früheren Aussage erklärt, dass er den FBI-Bericht bis dahin nicht gesehen habe. In dem Kreuzverhör habe der ehemalige ADM-Vertreter auch die Richtigkeit eines ihm bei dieser Gelegenheit vorgelegten Passus aus dem Bericht bezweifelt.
245 Schließlich sei der FBI-Bericht hinsichtlich der angeblichen Anführerrolle von ADM in sich widersprüchlich. So habe die Kommission den Passus auf Seite 22 des Berichts verwertet, wonach der Vorgesetzte des ehemaligen ADM-Vertreters die Vereinbarung formuliert und in der ersten Sitzung am 6. März 1991 eine aktive Rolle gespielt habe. Auf Seite 7 des Berichts aber heiße es zur selben Sitzung vom 6. März 1991, dass „die Sitzung ‚sichtlich von [dem Vertreter von Roche] geleitet‘ worden sei, den der ehemalige ADM-Vertreter als den ‚Hauptprotagonisten‘ bezeichnet“ habe.
246 Darüber hinaus gehe aus dem Memorandum vom 11. Dezember 1998 (vgl. oben, Randnr. 232) hervor, dass der Vertreter von Roche „die Leitung dieser informellen Gruppe gehabt“ habe, dass „ADM daran kaum teilgenommen“ habe und dass „[die Vertreter von ADM] vor allem nur zugehört“ hätten (S. 3).
247 Viertens sei auf die Erklärungen des ehemaligen ADM-Vertreters und seines Rechtsanwalts vom 26. Februar 2002 für das vorliegende Verfahren zu verweisen.
248 Zu der Erklärung des Rechtsanwalts des ehemaligen ADM-Vertreters führt die Klägerin aus, es lasse sich seinen Notizen zu den Antworten des früheren ADM-Vertreters auf die Fragen des FBI entnehmen, dass der FBI-Bericht subtil, aber maßgeblich vom tatsächlichen Wortlaut dieser Antworten zur Frage der Anführerschaft abweiche. Die Notizen seien gleichzeitig mit den Aussagen des Mandanten gefertigt worden, während der FBI-Bericht nur eine nachträgliche Wiedergabe der vom ehemaligen ADM-Vertreter gebrauchten Worte sei.
249 So ergebe sich aus den Notizen des Rechtsanwalts des früheren ADM-Vertreters, dass sein Mandant zur Rolle des anderen ADM-Vertreters in der Sitzung am 6. März 1991 geäußert habe, dieser habe „eine relativ aktive Rolle“ gespielt, aber habe die Sitzung niemals „leiten wollen“. Im FBI-Bericht erscheine dies als eine „aktive Rolle“, aber sei die wichtige adverbiale Einschränkung weggelassen worden.
250 Ferner ergebe sich aus den Notizen des Rechtsanwalts des früheren ADM-Vertreters, dass das FBI diesen nicht gefragt habe, ob der Mechanismus der „G‑4/G‑5“-Vereinbarung eine Idee des anderen ADM-Vertreters gewesen sei. Genau genommen habe man den ehemaligen ADM-Vertreter in einer ganze Serie von Fragen zum Kartell auch gefragt, ob es wahrscheinlich so gewesen sei, dass es sich um eine Idee des anderen ADM-Vertreters gehandelt habe, worauf der ehemalige ADM-Vertreter mit „ja“ geantwortet habe. Die Fragen hätten also darauf gezielt, ob der Kartellbeitritt von ADM die Idee des anderen ADM-Vertreters gewesen sei, nicht aber der Mechanismus der Vereinbarung. Frage und Antwort seien völlig mehrdeutig gewesen und nicht zu vergleichen mit der dann im FBI-Bericht auftauchenden positiven Feststellung, dass „die Mechanik der G‑4/G‑5-Vereinbarung die Idee des [anderen ADM-Vertreters] gewesen zu sein“ scheine. Was hingegen die Diskussionen über den in der Sitzung vom 6. März 1991 abgesprochenen Kartellmechanismus angehe, so zeigten die Notizen des Rechtsanwalts des ehemaligen ADM-Vertreters, dass dieser unzweideutig erklärt habe, der Vertreter von Roche sei der Hauptbeteiligte gewesen, der ein Quotensystem vorgeschlagen habe. Überdies ergebe sich aus den Notizen, dass der andere ADM-Vertreter „nicht häufig das Wort ergriffen“ habe und „die Gewohnheit gehabt [habe], in den Sitzungen zuzuhören und zu verfolgen, was geschieht“. Dies stimme mit der Aussage des ehemaligen ADM-Vertreters überein, dass der andere ADM-Vertreter nicht habe leiten wollen und dass dies „vorher von anderen gemacht“ worden sei.
251 Außerdem ergebe sich aus den Notizen des Rechtsanwalts des ehemaligen ADM-Vertreters, dass dieser für den anderen ADM-Vertreter nicht den Ausdruck „der Weise“ verwendet habe.
252 Auch der ehemalige ADM-Vertreter selbst habe in einer Erklärung bestätigt, dass seine ihm erinnerlichen Aussagen von den ihm im FBI-Bericht zugeschriebenen abwichen.
253 Aus dieser Erklärung gehe zunächst hervor, dass der andere ADM-Vertreter zur Sitzung am 6. März 1991 kaum beigetragen habe und nicht als deren Leiter betrachtet werden könne.
254 Außerdem ergebe sich aus der Erklärung des ehemaligen ADM-Vertreters, dass der Vertreter von Roche den ehemaligen ADM-Vertreter und den anderen Vertreter von ADM zu der Sitzung am 6. März 1991 eingeladen, diese geleitet und als Kartellmechanismus ein System des Informationsaustauschs und der Überwachung vorgeschlagen habe.
255 Ferner gehe aus der Erklärung hervor, dass sich der ehemalige ADM-Vertreter nicht daran erinnere, dass der andere ADM-Vertreter als der „Weise“ bezeichnet worden sei, aber andererseits in Erinnerung behalten habe, dass der Vertreter von Jungbunzlauer, der ab Mai 1994 als Vorsitzender an den Kartellsitzungen teilgenommen habe, den anderen ADM-Vertreter als den „Prediger“ bezeichnet habe. Nach seiner Erklärung habe der ehemalige ADM-Vertreter vermutet, dass diese Bezeichnungen deshalb verwendet worden seien, weil der andere ADM-Vertreter „im Allgemeinen eine reservierte Haltung eingenommen“ und „gewöhnlich das Wort nur ergriffen“ habe, wenn „er eine bedeutende Mitteilung machen wollte“. Schließlich ergebe sich aus der Erklärung, dass der Ausdruck „der Weise“ nicht zur Bezeichnung des anderen ADM-Vertreters verwendet worden sei.
256 Die Klägerin macht fünftens geltend, dass der FBI-Bericht mit den eigenen Schlussfolgerungen der Kommission unvereinbar sei. So habe die Kommission versucht, den anderen ADM-Vertreter in Randnummer 265 ihrer Entscheidung auf der Grundlage des FBI-Berichts als eine Person darzustellen, die in der ersten Kartellsitzung am 6. März 1991 die Rolle des Anführers gespielt habe, während sie in Randnummer 78 ihrer Entscheidung selbst ausführe, dass diese Sitzung von einem Vertreter von Roche organisiert und geleitet worden sei.
257 Diese Darstellung der Sitzung am 6. März 1991 weiche auch von der ab, die die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte gegeben habe. Dort habe sie in Randnummer 62 ausgeführt, dass die Sitzung von dem Vertreter von Roche organisiert und geleitet worden sei.
258 Die zentrale Rolle des Vertreters von Roche in der Sitzung am 6. März 1991 ergebe sich auch aus den Randnummern 85 und 89 der Entscheidung.
259 Nach Auffassung der Kommission ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.
Würdigung durch das Gericht
– Einleitung
260 ADM erhebt zwei Arten von Rügen. Sie macht erstens geltend, dass die Kommission durch die Verwertung des FBI-Berichts gemeinschaftsrechtliche Verfahrensgarantien verletzt habe. Zweitens rügt sie, dass die Kommission den Inhalt des FBI-Berichts nicht fehlerfrei gewürdigt habe.
– Zu der Rüge, dass die Kommission im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Verfahrensgarantien verletzt habe
261 Wie unstreitig ist, wird es der Kommission durch keine Bestimmung untersagt, sich als Beweismittel für das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Artikel 81 EG und 82 EG und für die Verhängung einer Geldbuße eines Dokuments zu bedienen, das, wie im vorliegenden Fall der FBI-Bericht, im Rahmen eines anderen Verfahrens als des Verfahrens vor der Kommission erstellt wurde.
262 In der Rechtsprechung ist jedoch unter Heranziehung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, deren integraler Bestandteil die Grundrechte sind und in deren Licht alle gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen auszulegen sind, das Recht eines Unternehmens anerkannt, von der Kommission im Rahmen von Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 nicht gezwungen zu werden, seine Beteiligung an einer Zuwiderhandlung zuzugeben (vgl. oben in Randnr. 238 zitiertes Urteil Orkem/Kommission, Randnr. 35). Der Schutz dieses Rechts setzt voraus, dass im Fall eines Streites über die Tragweite einer Frage geprüft wird, ob eine Antwort des Adressaten tatsächlich dem Eingeständnis einer Zuwiderhandlung gleichkäme, so dass die Verteidigungsrechte beeinträchtigt würden (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Oktober 2002 in den Rechtssachen C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Slg. 2002, I‑8375, Randnr. 273, und Urteil des Gerichts vom 20. Februar 2001 in der Rechtssache T‑112/98, Mannesmannröhren-Werke/Kommission, Slg. 1998, II‑729, Randnr. 64).
263 Zwar unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von den Entscheidungssachverhalten der genannten Rechtssachen, in denen die Kommission den Unternehmen Fragen gestellt hatte, deren Beantwortung sie verweigern durften.
264 Stützt sich die Kommission aber wie im vorliegenden Fall im Rahmen ihrer freien Würdigung der ihr vorliegenden Beweise auf eine Aussage, die in einem anderen Kontext als dem des Verfahrens vor der Kommission gemacht wurde, und enthält diese Aussage möglicherweise Angaben, die das Unternehmen nach der Rechtsprechung in der Rechtssache Orkem/Kommission (zitiert oben in Randnr. 238) gegenüber der Kommission hätte verweigern dürfen, so muss die Kommission dem Unternehmen Verfahrensrechte garantieren, die den sich aus dieser Rechtsprechung ergebenden gleichwertig sind.
265 Die Einhaltung dieser Verfahrensgarantien verlangt in einem Kontext wie dem vorliegenden, dass die Kommission von Amts wegen prüft, ob dem ersten Anschein nach ernste Zweifel daran bestehen, dass im Rahmen des Verfahrens, in dem die fraglichen Aussagen gemacht wurden, die Verfahrensrechte der Beteiligten eingehalten wurden. Bestehen solche ernsten Zweifel nicht, so sind die Verfahrensrechte der Beteiligten als hinreichend gewährleistet anzusehen, wenn die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, gegebenenfalls unter Beifügung der in Frage stehenden Dokumente, klar darauf hinweist, dass sie beabsichtigt, sich auf die fragliche Aussage zu stützen. Auf diese Weise ermöglicht es die Kommission den Beteiligten, sich nicht nur zum Inhalt dieser Aussagen, sondern auch zu etwaigen Unregelmäßigkeiten oder besonderen Umständen im Zusammenhang mit der Aussage selbst oder mit ihrer Zuleitung an die Kommission zu äußern.
266 Im vorliegenden Fall ist erstens zu berücksichtigen, dass der FBI-Bericht der Kommission von einem Konkurrenten von ADM, nämlich von Bayer, vorgelegt wurde, die ebenfalls an dem Kartell beteiligt war (vgl. oben, Randnr. 232), und dass ADM nicht geltend machte, dass dieses Dokument von Bayer oder von der Kommission in rechtswidriger Weise erlangt worden sei.
267 Zweitens ist festzustellen, dass es sich bei dem FBI-Bericht um ein von der für die Verfolgung geheimer Kartelle zuständigen Behörde der USA erstelltes Dokument handelt, das den amerikanischen Gerichten in dem Verfahren, das das gleiche Kartell zum Gegenstand hatte, vorgelegt wurde. Der Bericht weist kein äußeres Merkmal auf, das der Kommission von Amts wegen Anlass zu Zweifeln an seinem Beweiswert hätte geben müssen. Soweit ADM in diesem Kontext geltend macht, es sei in dem Schreiben der zuständigen amerikanischen Behörden vom 11. Oktober 1996 an den Rechtsanwalt des ehemaligen ADM-Vertreters zugesichert worden, dass die in dem Bericht enthaltenen Angaben weder gegen diesen noch gegen ADM verwertet werden dürften, ist darauf hinzuweisen, dass sich dieser Vorbehalt ausdrücklich auf strafrechtliche Verfahren im Sinne des Rechts der USA und nicht auf Verfahren wie die von der Kommission geführten bezog.
268 Drittens ist in noch grundlegenderer Weise daran zu erinnern, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte darauf hingewiesen hatte, dass sie sich auf den Bericht stützen wolle, und ihn dieser Mitteilung beigefügt hatte. Sie gab ADM damit Gelegenheit, sich nicht nur zu dem Inhalt des Berichts, sondern auch zu etwaigen Unregelmäßigkeiten oder besonderen Umständen im Zusammenhang mit seiner Erstellung, wie sie vor dem Gericht geltend gemacht worden sind (vgl. u. a. oben, Randnrn. 243 und 244), oder im Zusammenhang mit der Vorlage des Berichts bei der Kommission zu äußern, d. h. zu solchen Unregelmäßigkeiten oder Umständen, infolge deren die Kommission nach Auffassung von ADM das Dokument nicht verwerten konnte, ohne die im Gemeinschaftsrecht garantierten Verfahrensrechte zu verletzen.
269 ADM hat jedoch in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte gegen die Berücksichtigung des Berichts durch die Kommission keine Einwände erhoben. Vielmehr stützte sie sich ausdrücklich selbst auf den Bericht, um ihr Vorbringen, auch hinsichtlich der Frage, ob sie im Kartell die Rolle eines Anführers gespielt habe, zu untermauern. ADM trägt nicht einmal vor, dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt des Verwaltungsverfahrens die Aufmerksamkeit der Kommission auf die mangelnde Verlässlichkeit des FBI-Berichts gelenkt oder sie ersucht hätte, den ehemaligen ADM-Vertreter zur Richtigkeit der darin wiedergegebenen Äußerungen selbst zu befragen.
270 Unter diesen Umständen verletzte die Kommission damit, dass sie den FBI-Bericht im Rahmen der freien Würdigung der ihr verfügbaren Beweise verwertete, nicht die im Gemeinschaftsrecht garantierten Verfahrensrechte.
– Zu der Rüge, dass die Kommission den Inhalt des FBI-Berichts nicht fehlerfrei gewürdigt habe
271 Soweit ADM innere Widersprüche des FBI-Berichts geltend macht (vgl. oben, Randnr. 245), ist festzustellen, dass laut dem Passus des Berichts, auf den sich die Kommission in Randnummer 265 der Entscheidung stützte, der ehemalige ADM-Vertreter erklärt hatte, der andere ADM-Vertreter habe die Idee der Vereinbarung gehabt und bei der ersten Kartellsitzung am 6. März 1991 eine aktive Rolle gespielt. Laut diesem Passus fügte er hinzu, der andere ADM-Vertreter sei als „der Weise“ betrachtet und vom Jungbunzlauer-Vertreter sogar „der Prediger“ genannt worden. Hingegen heißt es auf Seite 7 des Berichts zur selben Sitzung am 6. März 1991, dass diese sichtlich von dem Roche-Vertreter geleitet worden sei, den der ehemalige ADM-Vertreter als den „Hauptprotagonisten“ bezeichnet habe.
272 Demzufolge hatte der ehemalige ADM-Vertreter den Eindruck, dass die Vertreter von ADM und Roche in dieser Sitzung eine entscheidende Rolle gespielt hätten, wobei einer von ihnen (der Vertreter von Roche) die Sitzung im Wesentlichen organisierte und leitete und der andere (der Vertreter von ADM) eine vorherrschende Rolle in der Ausgestaltung der geschlossenen Vereinbarungen gespielt habe.
273 In diesem Sinne ist das Dokument auch von der Kommission aufgefasst worden. Ausweislich der Randnummern 268 bis 272 der Entscheidung ging sie nämlich davon aus, dass sowohl ADM als auch Roche im Kartell eine Führungsrolle gespielt hätten. In Randnummer 269 stützte sie sich für diese Feststellung auf den FBI-Bericht, auch wenn sie eine andere Passage daraus zitierte als die von ADM geltend gemachte.
274 ADM rügt daher zu Unrecht, dass der FBI-Bericht in sich widersprüchlich sei.
275 Soweit ADM Widersprüche zwischen dem FBI-Bericht und der Aussage des ehemaligen ADM-Vertreters vor der Kommission, so wie sie in dem Memorandum von ADM (vgl. oben, Randnr. 246) festgehalten ist, geltend macht, ist darauf hinzuweisen, dass selbst dann, wenn die Beschreibung der Rolle der Vertreter von ADM in den fraglichen Sitzungen von der im FBI-Bericht abwiche, die Kommission doch, wie oben in Randnummer 270 festgestellt, den FBI-Bericht verwerten durfte und es ihr nicht vorgeworfen werden kann, dass sie ihn für glaubhafter hielt als das Memorandum von ADM über die Befragung des ehemaligen ADM-Vertreters durch die Kommission zu einem Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen bereits gewarnt war („in tempore suspecto“).
276 Soweit ADM Widersprüche zwischen den Schlussfolgerungen der Kommission in der Entscheidung und in der Mitteilung der Beschwerdepunkte rügt (vgl. oben, Randnrn. 256 bis 258), ist festzustellen, dass laut den Randnummern 78, 85 und 89 der Entscheidung und Randnummer 62 der Mitteilung der Beschwerdepunkte der Vertreter von Roche derjenige war, der die Sitzung am 6. März 1991 organisierte und leitete. Diese Tatsache kann aber nicht den von der Kommission gezogenen Schluss entkräften, dass ADM ein mitwirkender Anführer war. Denn es erscheint ohne weiteres möglich, dass – wie im vorliegenden Fall – ein Beteiligter eine Sitzung leitet und organisiert und ein anderer Beteiligter darin eine aktive Rolle ersten Ranges spielt, wie dies aus Randnummer 265 der Entscheidung hervorgeht, und dass beide Beteiligte wegen ihrer jeweiligen Rolle als Anführer des Kartells anzusehen sind.
277 Soweit sich ADM auf die Erklärungen des ehemaligen ADM-Vertreters und seines Rechtsanwalts vom 26. Februar 2002 im Hinblick auf das vorliegende Verfahren bezieht, die eine andere Beschreibung der Vorgänge gäben als die Aussagen des ehemaligen ADM-Vertreters beim FBI (vgl. oben, Randnrn. 247 bis 255), genügt der Hinweis, dass ADM im Verwaltungsverfahren vor der Kommission nie vortrug, dass der FBI-Bericht keine zutreffende Wiedergabe der Aussage des ehemaligen ADM-Vertreters enthalte (vgl. oben, Randnr. 234). Im Übrigen stellt es keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler dar, dass die Kommission dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten FBI-Bericht höhere Beweiskraft zumaß als diesen späteren Erklärungen, die zu einem Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen bereits gewarnt war („in tempore suspecto“), für das vorliegende Verfahren angefertigt wurden.
278 ADM hat damit nicht dargetan, dass die Kommission den Inhalt des FBI-Berichts fehlerhaft gewürdigt hätte.
279 Demnach sind der Kommission bei der Würdigung des FBI-Berichts keine offensichtlichen Fehler unterlaufen.
c) Zur Erklärung von Cerestar
Vorbringen der Parteien
280 Insoweit trägt ADM erstens vor, dass der Vorsitz in den Sherpa-Sitzungen, selbst wenn sich die Kommission auf das entsprechende Beweismittel von Cerestar stützen dürfte, allenfalls eine aktive Beteiligung am Kartell, nicht aber eine „leadership“ im Kartell belege.
281 Die Sherpa-Sitzungen seien nämlich Treffen der Beteiligten auf einer niedrigeren Ebene ihrer Unternehmenshierarchie gewesen. Die Treffen seien erst ab Juni 1993 abgehalten worden und hätten der Prüfung technischer Fragen gedient (vgl. Randnr. 117 der Entscheidung). Manche der Treffen hätten auch mit einer rechtswidrigen Absprache nichts zu tun gehabt, sondern rechtmäßigen Verbandsaktivitäten wie der Erörterung anderer möglicher Verwendungen von Zitronensäure zur Ausweitung des Marktes oder einer Antidumping-Beschwerde gegen die chinesischen Hersteller gedient. Die Sitzungen hätten daher einen Kontrast zu den Sitzungen der wichtigsten „Master“ gebildet, die während der ganzen Zeit des Kartells stattgefunden hätten und in denen die wesentlichen Entscheidungen gefallen seien (Festsetzung der Quoten, Preiserhöhungen, Kontrollmechanismen, Ausgleichszahlungen).
282 Zweitens sei das von Cerestar gelieferte Beweismittel generell mit Zurückhaltung zu würdigen, da die Erinnerungen von Cerestar an die Sitzungen unverlässlich seien: Einzelheiten würden nur für drei der siebzehn Treffen genannt, die Cerestar als „mögliche“ Kartelltreffen bezeichne, und sechs der von Cerestar erinnerten Sitzungen hätten ausweislich der von anderen Beteiligten vorgelegten Beweise und nach den eigenen Feststellungen der Kommission nicht stattgefunden.
283 Drittens sei das von Cerestar vorgelegte Beweismittel fehlerhaft, was speziell die Sherpa-Sitzungen angehe. Cerestar habe für die ganze Zeit ihrer Kartellbeteiligung nur eine dieser Sitzungen eindeutig bezeichnet (nämlich ein Treffen am 15. April 1994 auf dem Flughafen O’Hare von Chicago) und dabei erklärt, dass „Herr [D.] keine genauen Erinnerungen [habe]“. Nach dem Zeugnis der anderen Teilnehmer habe es aber diese Sitzung nicht gegeben. Daneben habe Cerestar drei weitere Sitzungen erwähnt. Das Unternehmen habe auch erklärt, dass es an weiteren Sitzungen nach dem 2. November 1994 nicht teilgenommen habe, was nicht überraschend sei, da bestimmte Sherpa-Sitzungen auch Fragen gewidmet worden seien, die mit dem Kartell nichts zu tun gehabt hätten. Dennoch habe die Kommission zwischen diesen Sherpa-Sitzungen und den anderen nicht unterschieden.
284 Viertens sei die Erklärung von Cerestar unvereinbar mit der Erklärung des ehemaligen ADM-Vertreters für das Verfahren vor der Kommission. Angesichts der Unverlässlichkeit der Erklärung von Cerestar und ihres Unvermögens, die richtigen Daten oder Orte der Sherpa-Sitzungen anzugeben, hätte die Erklärung des ehemaligen ADM-Vertreters für das Verfahren vor der Kommission als glaubhafter angesehen werden müssen. Nach der Erklärung des ehemaligen ADM-Vertreters habe es aber keinen gemeinsam ausgewählten oder offiziellen Leiter für die Sitzungen auf einer unteren Hierarchieebene der beteiligten Unternehmen gegeben und sei es irrig, einem solchen die Vorbereitung von Dossiers und Preisvorschläge zuzuschreiben. Zwar habe der ehemalige ADM-Vertreter gelegentlich zu den Treffen vorbereitete Datensätze mitgebracht, aber dies hätten die anderen Teilnehmer genauso gehandhabt. Ebenso seien alle Teilnehmer an Preisvorschlägen beteiligt gewesen. Die einzigen Gelegenheiten, zu denen der ehemalige ADM-Vertreter nach seiner Erinnerung für die übrigen Teilnehmer Preisvorschläge vorbereitet habe, hätten die Anwendung von Wechselkursen auf die vereinbarten Preise betroffen, was jedoch selten vorgekommen sei.
285 Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.
Würdigung durch das Gericht
286 Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich die Kommission in Randnummer 266 der Entscheidung auf die Erklärung von Cerestar wie folgt bezog:
„In [ihrer] Erklärung vom 25. März 1999 gibt auch Cerestar … an, dass … [die Vertreter von Roche und Jungbunzlauer] normalerweise die ‚Master‘-Treffen leiteten, doch Cerestar … eindeutig den Eindruck hatte, dass [der Vertreter von ADM] eine führende Rolle spielte. [Der Vertreter von ADM] führte den Vorsitz bei den ,Sherpa‘-Treffen, bereitete in der Regel alles vor und machte für gewöhnlich die Vorschläge für die zu vereinbarenden Preislisten.“
287 Zur Rolle als „treibende Kraft“ hat Cerestar in ihrer Erklärung angegeben, dass in den Kartellsitzungen auf höchster Ebene („Master“-Sitzungen) der ehemalige ADM-Vertreter diese Rolle innegehabt habe. Dagegen wendet ADM nur ein, es ergebe sich aus ihren eigenen Aussagen, dass sie in diesen Sitzungen nicht die Rolle einer treibenden Kraft gespielt habe, und ihren eigenen Aussagen sei der gleiche rechtliche Wert zuzuerkennen wie denen von Cerestar.
288 Jedoch ist festzustellen, dass insoweit die von Cerestar gegebene Beschreibung mit der des ehemaligen ADM-Vertreters nach dem FBI-Bericht übereinstimmt. Zur Glaubhaftigkeit der Erklärung von Cerestar ist zu bemerken, dass Cerestar im Kartell, auch wenn dies nicht als mildernder Umstand berücksichtigt wurde (vgl. Randnrn. 282 und 283 der Entscheidung), unstreitig keine aktive Rolle spielte.
289 Zur Rolle des ehemaligen ADM-Vertreters in den technischen Sitzungen („Sherpa“-Sitzungen) ist festzustellen, dass Cerestar in allgemeiner Weise angegeben hat, er habe die Sitzungen organisiert und geleitet und technische Vorschläge gemacht. Es ist daher irrelevant, dass Cerestar zu bestimmten dieser Kartellsitzungen keine Einzelheiten mitgeteilt hat.
290 Wie oben bereits entschieden, kann ADM schließlich nicht geltend machen, dass die Erklärung von Cerestar mit der Erklärung des ehemaligen ADM-Vertreters für das Verfahren vor der Kommission unvereinbar sei. Es stellt nämlich keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission dar, dass sie der Erklärung von Cerestar höheren Beweiswert beimaß als späteren Erklärungen, die zu einem Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen bereits gewarnt war („in tempore suspecto“), für das vorliegende gerichtliche Verfahren gefertigt wurden.
291 Die Kommission beging damit bei der Würdigung der Erklärung von Cerestar keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler.
3. Zur Einstufung von ADM als Anstifter im Kartell
a) Vorbringen der Parteien
292 Unter Berufung auf die Entscheidungspraxis der Kommission macht ADM geltend, dass selbst dann, wenn sich die Kommission fehlerfrei auf den FBI-Bericht und die Erklärung von Cerestar gestützt hätte, die sich aus diesen Dokumenten ergebenden Beweise allenfalls den Schluss zuließen, dass ADM eine aktive Rolle im Kartell gespielt habe, nicht aber den Schluss, dass ihre Rolle die eines Anführers gewesen sei.
293 So habe die Kommission selbst eingeräumt, dass ADM nicht Anstifter des Kartells gewesen sei (Randnr. 264 der Entscheidung), nicht als Sekretariat für die Sammlung, Überwachung und Verteilung der Verkaufsdaten fungiert habe (Randnr. 272 der Entscheidung), bei den verschiedenen Streitigkeiten zwischen den Teilnehmern keine Vermittlerrolle innegehabt habe (Randnr. 270 der Entscheidung) und schließlich andere Unternehmen weder gezwungen noch aufgefordert habe, sich am Kartell zu beteiligen (Randnr. 271 der Entscheidung). Jede dieser Aktivitäten habe die Kommission vielmehr Roche zugeordnet, wobei sie zusätzlich berücksichtigt habe, dass Roche die erste Sitzung am 6. März 1991 geleitet und organisiert und auch seither bis Mai 1994 ununterbrochen den Vorsitz der Treffen innegehabt habe (Randnrn. 120 und 268 der Entscheidung).
294 Damit habe die Kommission gegen ihre eigene Verwaltungspraxis verstoßen und den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt.
295 Die Kommission hält dieses Vorbringen für unbegründet.
b) Würdigung durch das Gericht
296 Wurde eine Zuwiderhandlung von mehreren Unternehmen begangen, so ist für die Bußgeldzumessung zu ermitteln, welches relative Gewicht der Beteiligung jedem einzelnen der Unternehmen zukommt (oben in Randnr. 181 zitiertes Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, Randnr. 623), wofür insbesondere ihre jeweilige Rolle während der Dauer ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung zu ermitteln ist (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 8. Juli 1999 in der Rechtssache C‑49/92 P, Kommission/Anic Partecipazioni, Slg. 1999, I‑4125, Randnr. 150, und Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T‑6/89, Enichem Anic/Kommission, Slg. 1991, II‑1623, Randnr. 264).
297 Daraus ergibt sich insbesondere, dass für die Berechnung des Bußgeldbetrags die von einem oder mehreren Unternehmen im Rahmen eines Kartells eingenommene Rolle als „Anführer“ berücksichtigt werden muss, da Unternehmen, die eine solche Rolle gespielt haben, aus diesem Grund im Vergleich zu den anderen Unternehmen eine besondere Verantwortung zu tragen haben (Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 2000 in der Rechtssache C‑298/98 P, Finnboard/Kommission, Slg. 2000, I‑10157, Randnr. 45; oben in Randnr. 180 zitiertes Urteil Mayr-Melnhof/Kommission, Randnr. 291).
298 Abschnitt 2 der Leitlinien enthält unter der Überschrift „Erschwerende Umstände“ eine nicht abschließende Liste der eine Erhöhung des Bußgeld-Grundbetrags rechtfertigenden Umstände, unter denen die „Rolle als Anführer oder Anstifter des Verstoßes“ genannt ist.
299 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der vorstehenden Prüfung, dass sich die Kommission für ihren Schluss, ADM habe zusammen mit Roche die Rolle eines Anführers des Kartells innegehabt, ohne offensichtliche Beurteilungsfehler auf drei Elemente stützte, nämlich erstens die von ADM organisierten bilateralen Treffen im Januar 1991, zweitens den FBI-Bericht und drittens die Erklärung von Cerestar. Diese drei von der Kommission angeführten Indizien münden aber in den gleichen Schluss ein, dass ADM in der Anfangsphase des Kartells die Rolle eines Anstifters und in seiner operativen Phase eine im Vergleich zu anderen Kartellmitgliedern vorherrschende Rolle spielte.
300 Auch wenn, wie die Kommission in Randnummer 273 der Entscheidung anerkannte, auch andere Kartellmitglieder Tätigkeiten wahrnahmen, die mit der Rolle eines Anstifters häufig verbunden sind, führt ADM doch nichts dafür an, dass die Rolle der übrigen Mitglieder ebenso ausgeprägt wie ihre eigene oder die von Roche gewesen wäre. Überdies berücksichtigte die Kommission die Tatsache, dass auch andere Mitglieder des Kartells Aktivitäten ausführten, die häufig mit der Rolle eines Anführers verbunden sind, laut Randnummer 273 der Entscheidung dadurch, dass sie die insoweit vorgenommene Erhöhung der Geldbuße auf 35 % bemaß.
301 Dass die Kommission, wie ADM ferner geltend macht, auch Roche die Rolle eines Anführers zuwies, steht diesem Schluss nicht entgegen (vgl. oben, Randnr. 276). Auch dass die Kommission in Randnummer 77 der Entscheidung annahm, es habe bereits vor den entsprechenden Initiativen von ADM Versuche anderer Beteiligter wie Jungbunzlauer gegeben, ein Kartell auf dem Zitronensäuremarkt zu errichten, kann nicht den Schluss entkräften, dass ADM in dem von der Entscheidung betroffenen Kartell, insbesondere bei seiner Errichtung, die Rolle eines Anführers spielte.
302 Folglich beruht es nicht auf Beurteilungsfehlern, dass die Kommission ADM als einen Anführer des Kartells betrachtete.
C – Zur Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung durch die Festsetzung des gleichen Erhöhungssatzes gegen ADM wie gegen Roche
1. Vorbringen der Parteien
303 ADM trägt vor, es müsse selbst dann, wenn man die ihr von der Kommission zugeschriebene, zu ihrer wahren Rolle in Gegensatz stehende Rolle als wahr unterstelle, Berücksichtigung finden, dass Roche im Kartell eine zentrale Rolle mit eben den Merkmalen gespielt habe, die die Kommission im Allgemeinen in anderen Kartellsachen als Indizien für eine „leadership“ angesehen habe. Dagegen habe ADM nur eine untergeordnete Rolle innegehabt, die allenfalls mit der von Jungbunzlauer vergleichbar sei, die ihrerseits als ein aktives Kartellmitglied eingestuft worden sei (vgl. Randnrn. 120 und 284 der Entscheidung). Im Fall von Jungbunzlauer habe die Kommission aber keinen erschwerenden Umstand angenommen und damit den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt.
304 Nach Auffassung der Kommission ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.
2. Würdigung durch das Gericht
305 Dazu ist festzustellen, dass sich die Kommission für ihren Schluss, dass Roche die Rolle eines Anführers des Kartells gespielt habe, darauf stützte, dass ihr Vertreter die erste Kartellsitzung organisiert und geleitet, auch die weiteren Sitzungen bis zum 18. Mai 1994 geleitet (vgl. Randnr. 120 der Entscheidung) und während der gesamten Kartellbeteiligung von Roche das Funktionieren des Kartells dadurch sichergestellt habe, dass er die übrigen Kartellmitglieder zur nötigen Geheimhaltung der Kartellaktivitäten angehalten und Cerestar bei ihrem Kartellbeitritt die Mechanismen der Absprachen erklärt habe.
306 Im Fall von ADM stellte die Kommission im Wesentlichen auf die maßgebliche Rolle ihrer Vertreter bei der Errichtung des Kartells und auf ihre Stellung als aktives Kartellmitglied während des Funktionierens des Kartells ab (vgl. oben, Randnr. 299).
307 Die Kommission konnte aber zu Recht zu dem Schluss gelangen, dass die Rolle von ADM in der Anfangsphase des Kartells mindestens ebenso schwerwiegend war wie die Rolle von Roche.
308 Der Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ist daher zurückzuweisen.
D – Zur Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit durch eine Abweichung von der vorherigen Entscheidungspraxis der Kommission in Zusammenhang mit dem gegen ADM angewandten Erhöhungssatz
1. Vorbringen der Parteien
309 ADM macht geltend, dass die Entscheidung selbst dann, wenn sie im Kartell die von der Kommission angenommene Rolle gespielt hätte, auch die Grundsätze der Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit verletze, da die Kommission mit der Anwendung einer Erhöhung um mehr als 25 % wegen „leadership“ von ihrer Entscheidungspraxis in vorangegangenen Kartellsachen abgewichen sei.
310 So habe die Kommission in den Sachen „Griechische Fährschiffe“, „Legierungszuschlag“ und – vor Erlass der Leitlinien – „Karton“ und „Propylen“ nur einen Erhöhungssatz von 20 bis 25 % angewandt. Noch bedeutendere Erhöhungen seien nur bei Zusammentreffen mehrerer erschwerender Umstände, darunter „leadership“, angemessen. So habe die Kommission in der Sache „Fernwärmerohre“ gegen ABB eine Erhöhung von 60 % zur Ahndung mehrerer gleichzeitig vorliegender Faktoren festgesetzt.
311 Nach Auffassung der Kommission ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.
2. Würdigung durch das Gericht
312 Es ist daran zu erinnern, dass die Kommission bei der Bußgeldzumessung über ein Ermessen verfügt (Urteil des Gerichtshofes vom 6. April 1995 in der Rechtssache T‑150/89, Martinelli/Kommission, Slg. 1995, II‑1165, Randnr. 59). Dass die Kommission in der Vergangenheit bei Vorliegen von erschwerenden Umständen einen bestimmten Erhöhungssatz auf Geldbußen anwandte, nimmt ihr nicht die Befugnis, diesen Satz in den durch die Verordnung Nr. 17 und die Leitlinien gezogenen Grenzen zu erhöhen, wenn dies für die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik erforderlich erscheint.
313 Soweit ADM eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rügt, ist festzustellen, dass die Kommission, da sie die Geldbuße auf einem Niveau festsetzen muss, das eine hinreichend abschreckende Wirkung gewährleistet, ihr Ermessen nicht dadurch überschritt, dass sie angesichts der Führungsrolle von ADM und Roche im Kartell eine Erhöhung der gegen diese beiden Beteiligten festgesetzten Geldbußen um jeweils 35 % für gerechtfertigt hielt.
314 Soweit ADM eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung rügt, ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsgrundlage für die Verhängung von Geldbußen auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts nicht die Entscheidungspraxis der Kommission bildet, sondern Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17.
315 Weiterhin ist daran zu erinnern, dass die Kommission bei der Anwendung dieser Bestimmung in jedem Einzelfall die allgemeinen Rechtsgrundsätze einhalten muss, zu denen der Grundsatz der Gleichbehandlung in seiner Auslegung durch die Gemeinschaftsgerichte gehört (vgl. oben, Randnr. 133).
316 Soweit die Klägerin die Entscheidung mit anderen Bußgeldentscheidungen der Kommission vergleicht, können diese Entscheidungen daher im Hinblick auf die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nur relevant sein, wenn dargetan wird, dass die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden tatsächlichen Gegebenheiten wie die Märkte, die Erzeugnisse, die Länder, die Unternehmen und die betroffenen Zeiträume die gleichen sind wie im vorliegenden Fall (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 13. Januar 2004 in der Rechtssache T‑67/01, JCB Service/Kommission, Slg. 2004, II‑49, Randnr. 187).
317 Das Vorbringen der Klägerin genügt aber nicht für die Feststellung, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen. So beruft sich ADM insbesondere auf keine Entscheidungen aus der gleichen Zeit wie die in der Sache Zitronensäure. Jedenfalls muss die Kommission bei der Bußgeldzumessung für den abschreckenden Charakter ihres Eingreifens Sorge tragen. Daher kann im Fall der Anführer eines Kartells auch eine erhebliche Anhebung des Bußgeldniveaus wegen erschwerender Umstände als gerechtfertigt angesehen werden, um die volle Einhaltung der Wettbewerbsregeln zu gewährleisten.
318 Die Klagegründe einer Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit sind daher zurückzuweisen.
E – Zur Verletzung der Begründungspflicht bei der Beurteilung der erschwerenden Umstände
319 ADM hält die Begründung der Entscheidung für unzureichend, weil darin nicht angegeben werde, aus welchen Gründen die Kommission zu ihren Lasten erschwerende Umstände angenommen und eine Erhöhung der gegen sie verhängten Geldbuße um 35 % für erforderlich gehalten habe.
320 Nach Auffassung der Kommission ist die Begründung der Entscheidung in den Randnummern 263 bis 267 ausreichend.
321 Unter Hinweis auf die oben in den Randnummern 117 und 118 zitierte Rechtsprechung ist dazu festzustellen, dass die Kommission in den Randnummern 263 bis 265 der Entscheidung die Gesichtspunkte dargelegt hat, auf deren Grundlage sie zu der Beurteilung gelangte, dass ADM im Kartell eine Anführerrolle gespielt habe. Die Kommission stellte nämlich im Wesentlichen auf die maßgebliche Rolle der Vertreter der Klägerin bei der Errichtung des Kartells und auf die Stellung der Klägerin als erstrangiges aktives Kartellmitglied während des Funktionierens des Kartells ab. Hinsichtlich der Zumessung des angewandten Erhöhungssatzes ist im Übrigen Randnummer 273 der Entscheidung zu entnehmen, dass die Kommission berücksichtigte, dass auch andere Kartellmitglieder Tätigkeiten wahrgenommen hatten, die üblicherweise mit der Rolle eines Anführers verbunden sind.
322 Demnach kann der Kommission nicht angelastet werden, dass sie den angewandten Erhöhungssatz von 35 % wegen erschwerender Umstände nicht hinreichend begründet habe.
323 Der Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht ist daher zurückzuweisen.
324 Demnach greifen die Klagegründe von ADM gegen die Erhöhung der Geldbuße wegen erschwerender Umstände nicht durch.
VI – Zu den mildernden Umständen
A – Vorbemerkung
325 Hinsichtlich der Würdigung der mildernden Umstände durch die Kommission rügt ADM Beurteilungsfehler, die erstens die Beendigung der Kartellbeteiligung nach dem ersten Eingreifen der zuständigen Behörden, zweitens die fehlende Berücksichtigung von Schadensersatzzahlungen und drittens den Erlass eines Verhaltenskodex durch ADM betreffen.
B – Zur Beendigung der Kartellbeteiligung nach dem ersten Eingreifen der zuständigen Behörden
1. Vorbringen der Parteien
326 Die Klägerin macht geltend, dass in Abschnitt 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien die Beendigung der Verstöße nach dem ersten Eingreifen der Kommission als mildernder Umstand anerkannt sei, ihr aber im vorliegenden Fall nicht zugute gekommen sei.
327 Zudem sei der vorliegende Sachverhalt praktisch identisch mit dem der Sache „Aminosäuren“ (Entscheidung 2001/418/EG der Kommission vom 7. Juni 2000 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen [Sache COMP/36.545/F3 – Aminosäuren], ABl. 2001, L 152, S. 24, im Folgenden: Sache Aminosäuren), in der die Kommission eine Herabsetzung der Geldbuße um 10 % gewährt habe. Es sei auch auf das Urteil ABB Asea Brown Boveri/Kommission (zitiert oben in Randnr. 35, Randnr. 238) hinzuweisen, wonach Unternehmen, die mit der Kommission zum Zweck der Beendigung des Kartells zusammengearbeitet hätten, eine Herabsetzung zu gewähren sei.
328 Schließlich gebe es entgegen der Ansicht der Kommission durchaus Fälle, in denen Kartelle auch nach Eingreifen der Wettbewerbsbehörden fortgesetzt worden seien.
329 Daher habe die Kommission die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung verletzt.
330 Die Kommission meint, dass die Beendigung eines geheimen Kartells nach seiner Aufdeckung keine Belohnung verdiene und darum kein Anspruch auf ihre Berücksichtigung bei der Bußgeldzumessung bestehe.
2. Würdigung durch das Gericht
331 Abschnitt 3 der Leitlinien mit der Überschrift „Mildernde Umstände“ sieht eine Herabsetzung des Grundbetrags der Geldbuße vor, wenn die Kommission spezielle mildernde Umstände feststellt, zu denen die Beendigung der Verstöße nach dem ersten Eingreifen der Kommission (insbesondere Nachprüfungen) gehört.
332 Es ist indessen daran zu erinnern, dass die Tätigkeit der Gemeinschaft, um einen in hohem Maße wettbewerbsfähigen Gemeinsamen Markt zu schaffen, nach Artikel 3 EG ein System umfasst, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt. Eines der Hauptinstrumente für die Errichtung dieses Systems bildet Artikel 81 Absatz 1 EG, der alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verbietet, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken.
333 Ferner ist daran zu erinnern, dass der Kommission sowohl die Verwirklichung einer allgemeinen Politik mit dem Ziel, die im Vertrag niedergelegten Grundsätze auf das Wettbewerbsrecht anzuwenden und das Verhalten der Unternehmen in diesem Sinne zu lenken, als auch die Ermittlung und Ahndung einzelner Zuwiderhandlungen obliegt. Hierfür verfügt sie über die Befugnis, Geldbußen gegen Unternehmen zu verhängen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoßen haben (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 47 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 105).
334 Daraus folgt, dass die Kommission bei der für die Festsetzung der Geldbuße erforderlichen Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung nicht nur die besonderen Umstände des Einzelfalls, sondern auch den Kontext der Zuwiderhandlung berücksichtigen und für die abschreckende Wirkung ihres Vorgehens Sorge tragen muss (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 47 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 106). Nur die Berücksichtigung dieser Aspekte nämlich kann die volle Wirksamkeit des Vorgehens der Kommission für die Wahrung eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt gewährleisten.
335 Eine Beurteilung der Regelung in Abschnitt 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien allein anhand ihres Wortlauts könnte den Eindruck vermitteln, dass die bloße Beendigung einer Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission allgemein und vorbehaltlos einen mildernden Umstand darstellt. Eine solche Auslegung der Regelung würde aber die praktische Wirksamkeit der Vorschriften, die die Erhaltung eines effizienten Wettbewerbs ermöglichen, mindern, da sie sowohl die Sanktion, die wegen einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 EG verhängt werden kann, als auch ihre abschreckende Wirkung abschwächen würde.
336 Im Unterschied zu anderen mildernden Umständen bildet nämlich dieser Umstand keinen wesensmäßigen Teil der subjektiven Eigenschaften des Zuwiderhandelnden oder des konkreten Sachverhalts, da er hauptsächlich aus dem äußeren Eingreifen der Kommission folgt. Die Beendigung einer Zuwiderhandlung nur infolge eines Eingreifens der Kommission kann daher nicht dem Verdienst gleichgestellt werden, das in einer eigenständigen Initiative des Zuwiderhandelnden liegt, sondern stellt nur eine angemessene und normale Reaktion auf das Eingreifen dar. Zudem belegt ein solcher Umstand nur die Rückkehr des Zuwiderhandelnden zu rechtmäßigem Verhalten und trägt nicht dazu bei, die Verfolgung von Verstößen durch die Kommission wirksamer zu machen. Der angeblich mildernde Charakter eines solchen Umstands lässt sich, zumal bei Berücksichtigung der vorangegangenen Umstände, auch nicht als bloßer Anreiz rechtfertigen, die Zuwiderhandlung zu beenden. Insoweit ist hervorzuheben, dass die Einstufung der Fortführung einer Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission als erschwerender Umstand (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T‑28/99, Sigma Tecnologie/Kommission, Slg. 2002, II‑1845, Randnrn. 102 ff.) zu Recht bereits einen Anreiz für die Beendigung der Zuwiderhandlung bietet, aber im Gegensatz zum fraglichen mildernden Umstand weder die Sanktion noch ihre abschreckende Wirkung verringert.
337 Die Anerkennung der Beendigung einer Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission als mildernden Umstand würde daher durch eine Minderung sowohl der Sanktion als auch ihrer abschreckenden Wirkung die praktische Wirksamkeit von Artikel 81 Absatz 1 EG ungerechtfertigt beeinträchtigen. Folglich durfte sich die Kommission nicht selbst dazu verpflichten, die bloße Beendigung eines Verstoßes nach ihrem ersten Eingreifen als mildernden Umstand zu berücksichtigen. Die Regelung des Abschnitts 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien ist daher restriktiv so auszulegen, dass sie der praktischen Wirksamkeit von Artikel 81 Absatz 1 EG nicht zuwiderläuft.
338 Die Regelung ist daher dahin auszulegen, dass nur besondere Umstände des Einzelfalls, unter denen eine Beendigung des Verstoßes nach dem ersten Eingreifen der Kommission konkret verwirklicht wird, die Berücksichtigung dieser Beendigung als mildernden Umstand rechtfertigen können (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 35 zitiertes Urteil ABB Asea Brown Boveri/Kommission, Randnr. 213). Die Klägerin vertritt daher zu Unrecht die Auffassung, der Entscheidung hafte deshalb ein Rechtsmangel an, weil die Kommission die Beendigung der Zuwiderhandlung durch die Klägerin nach dem ersten Eingreifen der Kommission gemäß den Leitlinien von Amts wegen hätte berücksichtigen müssen.
339 Diese Rüge eines Rechtsmangels könnte allerdings dahin auszulegen sein, dass mit ihr die fehlende Berücksichtigung der Beendigung der Zuwiderhandlung durch die Klägerin im besonderen Kontext des vorliegenden Falles beanstandet wird.
340 Im vorliegenden Fall ist indessen daran zu erinnern, dass die in Frage stehende Zuwiderhandlung ein geheimes Kartell zum Zweck der Festsetzung von Preisen und Aufteilung von Märkten zum Gegenstand hatte. Ein derartiges Kartell wird durch Artikel 81 Absatz 1 Buchstaben a und c EG ausdrücklich untersagt und stellt eine besonders schwere Zuwiderhandlung dar. Die Beteiligten mussten sich daher der Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens bewusst sein. Dass das Kartell geheim war, bestätigt, dass die Beteiligten um die Rechtswidrigkeit ihres Handelns wussten. Nach Auffassung des Gerichts besteht daher kein Zweifel daran, dass die Zuwiderhandlung von den Beteiligten vorsätzlich verwirklicht wurde.
341 Das Gericht hat jedoch bereits entschieden, dass die Beendigung einer vorsätzlich begangenen Zuwiderhandlung nicht als mildernder Umstand gewertet werden kann, wenn sie auf das Eingreifen der Kommission zurückzuführen ist (Urteile des Gerichts vom 11. März 1999 in den Rechtssachen T‑156/94, Aristrain/Kommission, Slg. 1999, II‑645, Randnr. 138, und T‑157/94, Ensidesa/Kommission, Slg. 1999, II‑707, Randnr. 498).
342 Nach alledem ist das Gericht der Auffassung, dass die Beendigung der Zuwiderhandlung durch ADM nach dem ersten Eingreifen einer Wettbewerbsbehörde im vorliegenden Fall keinen mildernden Umstand darstellen kann.
343 Hieran ändert es nichts, dass ADM die wettbewerbswidrigen Praktiken im vorliegenden Fall infolge des Eingreifens der amerikanischen Behörden und nicht der Kommission beendete (vgl. Randnrn. 128 und 193 der Entscheidung). Dass ADM den Verstoß nach dem ersten Eingreifen der amerikanischen Wettbewerbsbehörde beendete, bedeutet nämlich keinen freiwilligeren Entschluss, als ihn eine Beendigung nach dem ersten Eingreifen der Kommission dargestellt hätte.
344 ADM beruft sich für ihr Vorbringen außerdem auf das Urteil ABB Asea Brown Boveri/Kommission (zitiert oben in Randnr. 35, Randnr. 238), in dem das Gericht entschieden habe, dass Unternehmen, die zum Zweck der Beendigung des Kartells mit der Kommission zusammengearbeitet hätten, eine Herabsetzung der Geldbuße zu gewähren sei. Wie insoweit als Hinweis genügt, erlaubt dieses Urteil jedoch nicht den Schluss, dass die Beendigung der Zuwiderhandlung durch die Klägerin nach dem ersten Eingreifen einer Wettbewerbsbehörde in allen Fällen einen mildernden Umstand darstellt. In dem von ADM angeführten Urteilpassus wird außerdem der Grundsatz formuliert, dass dieser Umstand dann zu berücksichtigen ist, wenn das Verhalten des beschuldigten Unternehmens es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen und diese gegebenenfalls zu beenden. Dies setzt aber eine Initiative des fraglichen Unternehmens voraus, die über die bloße Beendigung des Verstoßes nach dem Eingreifen der Kommission hinausgeht. Das Urteil ist daher nicht geeignet, die obige Beurteilung in Frage zu stellen.
345 Was die Sache Aminosäuren (vgl. oben, Randnr. 327) anbelangt, aus der ADM eine Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit herleitet, so ist zunächst festzustellen, dass sich eine Verwaltungspraxis nicht aus einem einzigen Fall ergeben kann. Außerdem kann allein aus der Tatsache, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis ein bestimmtes Verhalten in einer bestimmten Weise beurteilt hat, nicht gefolgert werden, dass sie verpflichtet wäre, dies in einer späteren Entscheidung ebenfalls zu tun (vgl. analog Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 357, oben in Randnr. 180 zitiertes Urteil Mayr-Melnhof, Randnr. 368, und oben in Randnr. 41 zitiertes Urteil LR AF 1998/Kommission, Randnrn. 234 und 337). Schließlich kann dieser Fall nach Auffassung des Gerichts jedenfalls weder die vorstehende Beurteilung, wie sie sich aus einem der zentralen Ziele der Gemeinschaft ergibt, noch die sich aus den Urteilen Aristrain/Kommission und Ensidesa/Kommission (zitiert oben in Randnr. 341) ergebende Rechtsprechung in Frage stellen, da in dem Fall nur die Beurteilung durch die Kommission zum Ausdruck kommt.
346 Aus den vorstehenden Gründen kann es daher nicht als fehlerhaft angesehen werden, dass die Beendigung der Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der amerikanischen Wettbewerbsbehörde im vorliegenden Fall nicht als mildernder Umstand berücksichtigt wurde.
C – Zur fehlenden Berücksichtigung von Schadensersatzzahlungen
1. Vorbringen der Parteien
347 ADM schätzt den Schadensersatzbetrag, den sie an andere Käufer als die in den USA gezahlt habe, auf etwa 15,7 Mio. USD. Davon entfielen zwischen 6,8 und 11,7 Mio. USD auf Käufe in der Europäischen Union. Nach Auffassung der Klägerin hat sich die Kommission zu Unrecht auf den Standpunkt gestellt, dass sie den im Rahmen von zivilrechtlichen Verfahren geleisteten Schadensersatz nicht zu berücksichtigen brauche (Randnr. 335 der Entscheidung). Die Klägerin meint, dass die Kommission dies vielmehr als mildernden Umstand hätte berücksichtigen müssen.
348 Nach Auffassung der Kommission ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.
2. Würdigung durch das Gericht
349 ADM macht insoweit als mildernden Umstand die Schadensersatzzahlungen geltend, die sie an andere Abnehmer als die in den USA geleistet habe und die zum Teil auf Käufe innerhalb der Europäischen Union entfielen. Da die Verurteilung von ADM zur Leistung von Schadensersatz in den USA auch Schadensersatzzahlungen in dreifacher Höhe („triple damages“) umfasste, gehört zu dem von ADM geltend gemachten Schadensersatz potenziell nicht nur bloßer Schadensausgleich, sondern auch eine Sanktion.
350 Soweit es sich bei dem Schadensersatz um eine Sanktion („triple damages“) handelt, stellt seine Leistung nach Auffassung des Gerichts keinen mildernden Umstand dar, den die Kommission im vorliegenden Fall berücksichtigen musste. Die Zahlung einer Sanktion durch ADM in den USA ist nämlich lediglich die Folge der dort eingeleiteten Verfahren. Die Zahlung der Sanktion bezieht sich nicht auf eine besondere Eigenschaft von ADM und steht in keinem hinreichenden Zusammenhang zu dem Sachverhalt, mit dem die Kommission befasst war. Sie kann daher das Vorliegen und die Schwere der begangenen Zuwiderhandlung nicht in Frage stellen.
351 Soweit mit den Schadensersatzleistungen Abnehmer in der Europäischen Union entschädigt wurden, ist festzustellen, dass mit den in Frage stehenden Verfahren und den von der Kommission einerseits und den amerikanischen Behörden andererseits verlangten Zahlungen offenkundig nicht die gleichen Ziele verfolgt wurden. Während die Kommission im ersten Fall mit einer Geldbuße die Verletzung des Wettbewerbsrechts in der Gemeinschaft oder dem EWR zu ahnden suchte, bezweckten die amerikanischen Behörden im zweiten Fall eine Entschädigung der Opfer des Handelns von ADM. Diese Schadensersatzzahlungen stehen daher nicht in hinreichendem Zusammenhang zu dem Sachverhalt, mit dem die Kommission befasst war.
352 Daher brauchte die Kommission bei der Bußgeldzumessung nicht zu berücksichtigen, dass ADM auf gegen sie in den USA erhobene Klagen hin bereits Schadensersatz geleistet hatte.
353 ADM ist jedoch der Auffassung, dass die Kommission mit der Nichtberücksichtigung des an Zitronensäureabnehmer in den USA gezahlten Schadensersatzes als mildernden Umstand den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt habe, da sie damit von ihrer Praxis in vergleichbaren Kartellsachen abgewichen sei.
354 Dazu ist festzustellen, dass ADM für das Bestehen einer solchen Praxis eine einzige Kartellsache anführt, nämlich die Sache Fernwärmerohre (Entscheidung 1999/60/EG der Kommission vom 21. Oktober 1998 in einem Verfahren gemäß Artikel 85 EG-Vertrag [Sache IV/35.691/E-4 – Fernwärmerohre], ABl. 1999, L 24, S. 1). Mit der Anführung einer einzigen Kartellsache kann aber das Bestehen einer bestimmten Praxis der Kommission nicht belegt werden. ADM hat außerdem nicht dargetan, dass die beiden Sachen vergleichbar wären. So hat sie nichts dafür vorgetragen, dass der von ihr geleistete Schadensersatz gleicher Art gewesen wäre wie der in der Sache Fernwärmerohre, nämlich dem Umfang nach bedeutend und auf einen Hersteller der Branche und seinen Eigentümer beschränkt. Dass die Kommission im Rahmen ihrer vorherigen Entscheidungspraxis ein bestimmtes Verhalten in einer bestimmten Weise beurteilt hat, bedeutet außerdem, wie oben in Randnummer 345 erwähnt, nicht, dass sie bei dem Erlass einer späteren Entscheidung zur gleichen Beurteilung gelangen muss.
355 Die Rüge, es sei eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, dass die Entscheidung von einer Praxis abweiche, in der Schadensersatzleistungen an Abnehmer des betroffenen Marktes als mildernder Umstand bewertet worden seien, ist daher zurückzuweisen.
D – Zum Erlass eines Verhaltenskodex durch ADM
1. Vorbringen der Parteien
356 Nach Auffassung von ADM hätte die Kommission bei der Berechnung der Geldbuße berücksichtigen müssen, dass ADM ein strenges und dauerhaftes Programm für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln geschaffen habe, in dessen Rahmen u. a. ein für alle Mitarbeiter des Unternehmens geltender Verhaltenskodex erlassen und eine eigene Abteilung hierfür eingerichtet worden sei.
357 Die Annahme des Programms für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln, die Ernennung einer neuen Unternehmensführung und die Kündigung von leitenden Mitarbeitern, die an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien, bewiesen die aufrichtige Reue des Unternehmens. ADM sei im Bereich des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts auch nie zuvor negativ in Erscheinung getreten. Dies zeige, dass die Kommission den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt habe.
358 Nach Auffassung der Kommission ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.
2. Würdigung durch das Gericht
359 Was die Durchführung eines Programms zur Einhaltung der Wettbewerbsregeln angeht, so ist es nach der Rechtsprechung zwar bedeutsam, dass ein Unternehmen Maßnahmen ergriffen hat, um künftige Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zu verhindern, doch ändert dies nichts daran, dass die festgestellte Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde. Die Kommission braucht einen solchen Umstand daher nicht als mildernd zu berücksichtigen, und zwar erst recht nicht, wie hier, im Fall eines offensichtlichen Verstoßes gegen Artikel 81 Absatz 1 EG (oben in Randnr. 41 zitierte Urteile Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 373, und Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnrn. 280 und 281, sowie oben in Randnr. 35 zitiertes Urteil ABB Asea Brown Boveri/Kommission, Randnr. 221).
360 Der vorliegende Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
VII – Zur Zusammenarbeit von ADM im Verwaltungsverfahren
A – Einleitung
361 Hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren macht ADM im Wesentlichen vier Klagegründe geltend. Sie hält es erstens für eine Verletzung der Mitteilung über Zusammenarbeit und des Grundsatzes des Vertrauensschutzes, dass die Kommission sie nicht als das erste Unternehmen angesehen habe, das Angaben gemacht habe, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung gewesen seien. Zweitens verletze es den Grundsatz des Vertrauensschutzes, dass die Kommission bei ADM die berechtigte Erwartung geweckt habe, sie werde in ihrem Fall Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit anwenden. Drittens verletze es den Gleichbehandlungsgrundsatz, dass die Kommission ADM und Cerestar unterschiedlich behandelt habe. Viertens liege eine Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit darin, dass die Kommission die Geldbuße in ihrem Fall nur um 50 % herabgesetzt habe.
362 Vor der Prüfung, ob diese Klagegründe durchgreifen, ist zusammenzufassen, wie die Kommission die Zusammenarbeit der Unternehmen im Verwaltungsverfahren in den Randnummern 294 bis 326 der Entscheidung beurteilt hat.
363 Zunächst gewährte die Kommission Cerestar nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit eine „wesentlich niedrigere Festsetzung“ der Geldbuße (um 90 %), die ohne Zusammenarbeit gegen sie verhängt worden wäre. In diesem Zusammenhang erkannte die Kommission an, dass Cerestar ihr als erste in einem Treffen mit Dienststellen der Kommission am 29. Oktober 1998 Angaben von entscheidender Bedeutung für den Beweis des Kartells gemacht habe. Sie fügte hinzu, „[d]ie Informationen, die Cerestar … auf der Besprechung vom 29. Oktober 1998 mitteilte und die den späteren Angaben aus der schriftlichen Erklärung vom 25. März 1999 entsprechen, reichten aus, um das Bestehen des Kartells nachzuweisen, und wurden der Kommission übermittelt, bevor sie solche Informationen von ADM erhielt“ (Randnr. 306 der Entscheidung). Die Kommission wies demgemäß das Vorbringen von ADM zurück, dass sie selbst die Voraussetzungen nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit erfülle und daher in den Genuss einer „wesentlich niedrigeren Festsetzung“ der Geldbuße kommen müsse; dabei fügte die Kommission hinzu, dass ADM „ein Anführer des Kartells“ gewesen sei (Randnrn. 305 bis 308 der Entscheidung).
364 Die Kommission gewährte ADM dann nach Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit eine „spürbar niedrigere Festsetzung“ der Geldbuße um 50 %. Dabei berücksichtigte sie, dass ADM ihr in einem Treffen am 11. Dezember 1998 mündlich über das Kartell berichtet und ihr am 15. Januar 1999 eine diesen Bericht bestätigende schriftliche Erklärung übermittelt habe. Die Kommission erkannte an, dass „die von ADM gelieferten Informationen detailliert waren und von der Kommission daher weitgehend bei der Verfolgung ihrer Untersuchung genutzt wurden“. Zusammen mit den Angaben von Cerestar seien sie zur Abfassung der Auskunftsverlangen verwendet worden, die sehr dazu beigetragen hätten, dass die übrigen Beteiligten ihre Beteiligung am Kartell eingestanden hätten. Die Kommission stellte außerdem fest, dass ADM ihr „Unterlagen aus der Zeit der Zuwiderhandlung zur Verfügung stellen konnte, u. a. auf Kartellbesprechungen gemachte handschriftliche Notizen und Preisanweisungen in Verbindung mit den vom Kartell getroffenen Entscheidungen“ (Randnrn. 312 bis 315 der Entscheidung).
B – Zu dem Vorbringen, dass ADM als Erste Angaben von entscheidender Bedeutung für den Beweis der Existenz des Kartells gemacht habe
1. Vorbringen der Parteien
365 ADM ist der Auffassung, dass die Kommission ihre eigene Mitteilung über Zusammenarbeit nicht fehlerfrei angewandt und damit gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen habe. Die ihr nach Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit gewährte Herabsetzung der Geldbuße um 50 % sei ungenügend. Entgegen den Ausführungen der Kommission in Randnummer 308 der Entscheidung sei ADM die Erste gewesen, die Angaben gemacht habe, die für den Beweis des Bestehens des Kartells im Sinne von Abschnitt B Buchstabe b der Mitteilung über Zusammenarbeit von entscheidender Bedeutung gewesen seien. Hingegen seien die von Cerestar in der Sitzung am 29. Oktober 1998 gelieferten Beweise, anders als die Kommission in Randnummer 305 der Entscheidung behaupte, nicht von entscheidender Bedeutung im Sinne der Mitteilung über Zusammenarbeit gewesen.
366 Erstens nämlich habe Cerestar keinerlei Angaben zu dem Kartell vor dem 12. Mai 1992, dem Datum ihres eigenen Beitritts, gemacht. Was die Kommission über das Kartell in der Zeit vor diesem Datum wisse, beruhe auf Informationen, die ADM geliefert habe.
367 Zweitens sei die Erklärung von Cerestar vom 18. März 1999 hinsichtlich der Daten der Treffen und der Kartellteilnehmer weder schlüssig noch präzise. Sie habe 32 Sitzungen benannt, die zu verschiedenen Daten zwischen dem 14. November 1991 (vor dem Kartellbeitritt von Cerestar) und dem 17. Juli 1996 (geraume Zeit nach Auflösung des Kartells) stattgefunden haben sollen. Dazu habe sie erklärt, dass neun der Treffen mit Gewissheit stattgefunden hätten und acht „möglicherweise“, während fünfzehn Treffen entweder keine Kartelltreffen gewesen seien oder ihr Charakter als Kartelltreffen jedenfalls zunehmend unsicher erscheine. Die Identität der Teilnehmer sei für drei der 17 Treffen benannt worden, die als die „sicher feststehenden“ oder „möglichen“ Kartelltreffen bezeichnet worden seien. Sechs der benannten Sitzungen hätten in Wirklichkeit nie stattgefunden, wie aus Zeugnissen der übrigen Beteiligten und den eigenen Feststellungen der Kommission hervorgehe.
368 Drittens habe Cerestar später in einem Schreiben vom 7. Mai 1999 an die Kommission eingeräumt, dass manche der genannten Sitzungen in Wirklichkeit, wie genauere Überprüfung ergeben habe, nicht stattgefunden hätten.
369 Viertens sei die Erklärung von Cerestar, was den Gegenstand der Treffen angehe, vage und unstimmig. Zu den Preisen und Quoten sei (außer hinsichtlich der Cerestar selbst zugewiesenen Quoten) nichts Genaues mitgeteilt worden.
370 Fünftens bleibe unklar, ob Cerestar ebenso wie ADM der Kommission einen Zeugenbeweis aus erster Hand geliefert habe. Jedenfalls habe es Cerestar für erforderlich gehalten, ihre mündliche Erklärung vom 29. Oktober 1998 zu ergänzen und zu präzisieren.
371 Sechstens habe die Kommission am 3. März 1999 an Cerestar selbst ein detaillierteres Auskunftsverlangen gerichtet, das auf den Auskünften von ADM beruht habe. Cerestar habe dieses Auskunftsverlangen, das sich auf bestimmte Sitzungsdaten und -orte bezogen und auf der Zusammenarbeit von ADM beruht habe, vor der Abgabe ihrer endgültigen Erklärung gegenüber der Kommission am 25. März 1999 (bei Datierung auf den 18. März 1999) prüfen können.
372 Hingegen seien die von der Klägerin selbst übermittelten Beweise schlüssig gewesen. So habe sie der Kommission in der Sitzung am 11. Dezember 1998 eine Zeugenaussage aus erster Hand, einen zeitnahen Urkundenbeweis und beweiskräftige Unterlagen zum Rahmen und zur Durchführung der Kartellabsprachen zur Verfügung gestellt. Die von ADM vorgelegten Beweise hätten zahlreiche genaue Einzelheiten über die Sitzungen, die Teilnehmer, die Ausgleichs- und Überwachungsmechanismen, die Preise und die Quoten enthalten, wie die Kommission in den Randnummern 313 und 314 der Entscheidung auch selbst eingeräumt habe.
373 Nach Auffassung der Kommission ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.
2. Würdigung durch das Gericht
374 In Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit mit der Überschrift „Nichtfestsetzung oder wesentlich niedrigere Festsetzung einer Geldbuße“ heißt es:
„Gegenüber einem Unternehmen, das
a) der Kommission die geheime Absprache anzeigt, bevor diese aufgrund einer Entscheidung bei den am Kartell beteiligten Unternehmen eine Nachprüfung vorgenommen hat und bereits über ausreichende Informationen verfügt, um das Bestehen des angezeigten Kartells zu beweisen,
b) als erstes Angaben macht, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung sind,
c) seine Teilnahme an der rechtswidrigen Handlung spätestens zu dem Zeitpunkt eingestellt hat, zu dem es das Kartell anzeigt,
d) der Kommission alle sachdienlichen Informationen sowie verfügbaren Unterlagen und Beweismittel über das Kartell bereitstellt und während der gesamten Dauer der Untersuchung zu einer ununterbrochenen und uneingeschränkten Zusammenarbeit bereit ist,
e) kein anderes Unternehmen zur Teilnahme am Kartell gezwungen noch zu der rechtswidrigen Handlung angestiftet oder bei ihrer Durchführung eine entscheidende Rolle gespielt hat,
wird die Höhe der ohne diese Mitarbeit festzusetzenden Geldbuße um mindestens 75 % niedriger festgesetzt und kann auf die Festsetzung der Geldbuße ganz verzichtet werden.“
375 Wie dem Wortlaut von Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit zu entnehmen ist, kann ein Unternehmen in den Genuss einer Nichtfestsetzung oder wesentlich niedrigeren Festsetzung der Geldbuße nach diesem Abschnitt nur gelangen, wenn es kumulativ alle darin unter den Buchstaben a bis e aufgeführten Voraussetzungen erfüllt.
376 Im vorliegenden Fall genügt der Hinweis, dass ADM, wie die Kommission in Randnummer 308 der Entscheidung ausgeführt hat, jedenfalls deshalb nicht in den Genuss einer Herabsetzung der Geldbuße oder sogar ihrer Nichtfestsetzung nach diesem Abschnitt der Mitteilung über Zusammenarbeit gelangen konnte, weil sie eine der darin festgelegten, kumulativ geltenden Voraussetzungen nicht erfüllte, nämlich die gemäß Buchstabe e, wonach die Nichtfestsetzung oder wesentlich niedrigere Festsetzung der Geldbuße für ein Unternehmen ausscheidet, das „zu der rechtswidrigen Handlung angestiftet oder bei ihrer Durchführung eine entscheidende Rolle gespielt hat“.
377 Wie oben in Randnummer 302 festgestellt, beruht es nämlich nicht auf einem Beurteilungsfehler, dass die Kommission ADM die Rolle eines Anführers des Kartells zuschrieb. Auch wenn die Mitteilung über Zusammenarbeit, die Leitlinien und die Entscheidung insoweit nicht wortgleich sind, soll doch nach dem Geist des Abschnitts B Buchstabe e der Mitteilung über Zusammenarbeit die wesentlich niedrigere Festsetzung einer Geldbuße durch die Kommission – und erst recht die Nichtfestsetzung einer Buße – nicht einem Beteiligten gewährt werden, der eine besonders maßgebliche Rolle im Kartell spielte, wie die Rolle eines Anführers, Initiators oder Anstifters.
378 Die Klagegründe, wonach deshalb, weil ADM als Erste entscheidende Nachweise für das Bestehen des Kartells geliefert habe, gegen die Mitteilung über Zusammenarbeit und den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen worden sei, sind deshalb zurückzuweisen, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob die Kommission zu Recht angenommen hat, dass Cerestar als Erste entscheidende Angaben für den Nachweis des Kartells machte.
379 Die Klagegründe eines Verstoßes gegen die Mitteilung über Zusammenarbeit und gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes sind daher zurückzuweisen.
C – Zur Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes
1. Vorbringen der Parteien
380 ADM macht geltend, dass die Kommission in verschiedenen Treffen ihrer Dienststellen mit ADM und in dem Schriftwechsel vor und nach dem 11. Dezember 1998, als ADM ihre Beweismittel vorgelegt habe, bestätigt habe, dass ADM als Erste im Sinne von Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit kooperiert habe.
381 So habe der Leiter der mit der Sache befassten Dienststelle in einem Treffen am 10. Dezember 1998 zwischen ADM, ihrem Rechtsbeistand und den Dienststellen der Kommission bestätigt, dass ADM als Erste mit der Kommission zusammengearbeitet habe; dies ergebe sich aus einem von dem Rechtsbeistand der Klägerin noch am selben Tag verfassten Protokoll. Ebenso habe die Kommission in ihrem Schreiben vom 19. Januar 1999 auf Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit Bezug genommen. In seinem Antwortschreiben habe der Rechtsbeistand von ADM diesen Punkt bestätigt. Schließlich habe sich die Kommission in ihrem Schreiben vom 5. Februar 1999 erneut auf Abschnitt B Buchstabe b der Mitteilung bezogen.
382 Die Kommission habe dann aber in Randnummer 308 der Entscheidung ihre Beurteilung der Kooperation von ADM geändert, obgleich diese im Verwaltungsverfahren bei der Übergabe der Beweismittel am 11. Dezember 1998 und bei ihrer anschließenden kontinuierlichen und vorbehaltlosen Kooperation auf die genannten Äußerungen der Kommission vertraut habe. Damit habe die Kommission den Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt.
383 Nach Auffassung der Kommission ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.
2. Würdigung durch das Gericht
384 Auf den Vertrauensschutz, der zu den allgemeinen Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehört, kann sich jeder berufen, bei dem die Gemeinschaftsverwaltung insbesondere durch bestimmte Zusicherungen begründete Erwartungen geweckt hat (Urteil des Gerichtshofes vom 11. März 1987 in der Rechtssache 265/85, Van den Bergh en Jurgens/Kommission, Slg. 1987, 1155, Randnr. 44, und Urteil des Gerichts vom 9. Juli 2003 in der Rechtssache T‑220/00, Cheil Jedang/Kommission, Slg. 2003, II‑2473, Randnr. 33).
385 Es ist zu prüfen, ob die Kommission ADM, wie diese geltend macht, bestimmte Zusicherungen dahin gemacht hat, dass sie ihr eine Herabsetzung der Geldbuße nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit gewähren werde.
386 Insoweit lässt sich den handschriftlichen Notizen des Rechtsanwalts von ADM zum Treffen vom 10. Dezember 1998 zwischen Vertretern von ADM und Dienststellen der Kommission entnehmen, dass ein Beamter der Kommission bei dieser Gelegenheit offenbar äußerte, ADM sei die Erste gewesen, die in der Sache Zitronensäure kooperiert habe („[Name des Beamten] hat bestätigt, dass wir die Ersten sind, die in der Sache Zitronensäure kooperieren“). Auch wenn dieser Satz in die gleiche Richtung geht wie das Vorbringen von ADM, ist er doch nicht so eindeutig, wie ADM behauptet.
387 Zweitens führte der Leiter der mit der Sache befassten Dienststelle in einem Schreiben vom 19. Januar 1999 an den Rechtsanwalt von ADM zum Treffen vom 11. Dezember 1998 aus:
„In dem Treffen erklärte sich [ADM] nach umfassender Erörterung der Angelegenheit bereit, der Kommission eine schriftliche Erklärung mit allen Informationen, die ihr über das rechtswidrige Kartell auf dem Zitronensäuremarkt, an dem sie beteiligt war, bekannt sind, auf der Grundlage der Mitteilung über Zusammenarbeit, insbesondere ihres Abschnitts B Buchstabe d, vorzulegen.“
388 Am Schluss des Schreibens unterstrich der Leiter der Dienststelle „die Bedeutung der in Abschnitt B Buchstabe d der Mitteilung festgelegten Voraussetzung“.
389 In seinem Antwortschreiben vom 1. Februar 1999 bestätigte der Rechtsanwalt von ADM, dass „[seine] Mandantin beabsichtig[e], eine kontinuierliche und vollständige Zusammenarbeit nach Abschnitt B Buchstabe d der Mitteilung über Zusammenarbeit fortzuführen“.
390 Schließlich teilte der Leiter der mit der Sache befassten Dienststelle in einem Schreiben vom 5. Februar 1999, in dem er auf das der Kommission am 15. Januar 1999 vorgelegte Memorandum von ADM Bezug nahm, deren Anwalt mit:
„Der gesamte Gegenstand Ihrer freiwillig angebotenen Zusammenarbeit mit der Kommission nach der Mitteilung über Zusammenarbeit besteht in Materialien, die einen (entscheidenden) Beweis gegen die übrigen Kartellteilnehmer bilden.“
391 Demnach versuchte die Kommission tatsächlich, die Beteiligten dadurch zu einer möglichst vollständigen Zusammenarbeit zu motivieren, dass sie ihnen diese als so attraktiv wie möglich erscheinen ließ, nämlich durch Hinweise auf Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit.
392 In diesem Kontext erklärte die Kommission der Klägerin, dass in ihrem Fall grundsätzlich eine wesentlich niedrigere Festsetzung der Geldbuße nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit „in Betracht“ komme, und verpflichtete sich, die von ADM eingereichten Unterlagen darauf zu überprüfen, ob sie tatsächlich die in Abschnitt B, insbesondere unter Buchstabe d, festgelegten Voraussetzungen erfüllten.
393 Dennoch machte die Kommission in allen der Mitteilung der Beschwerdepunkte und dem Erlass der Entscheidung vorangegangenen Schreiben keine bestimmte Zusicherung, dass sie eine Herabsetzung der Geldbuße nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit gewähren werde, und konnte eine solche Zusicherung im Übrigen auch nicht machen.
394 Denn die Kommission kann nur auf der Grundlage einer Würdigung aller ihr von den Unternehmen im Verwaltungsverfahren mitgeteilten Informationen entscheiden, ob einem von ihnen eine Herabsetzung der Geldbuße nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit zu gewähren ist; dies hat die Kommission übrigens in Randnummer 159 der Mitteilung der Beschwerdepunkte unzweideutig hervorgehoben.
395 Der Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ist daher zurückzuweisen.
D – Zu der Rüge, wonach die Kommission durch die Ungleichbehandlung von ADM und Cerestar den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt habe
1. Vorbringen der Parteien
396 Nach Auffassung von ADM verletzt die unterschiedliche Behandlung von Cerestar und ihr selbst den Gleichbehandlungsgrundsatz, da beide Unternehmen unter vergleichbaren Umständen, im gleichen Verfahrensstadium und im gleichen Zeitraum kooperiert hätten.
397 ADM trägt vor, dass beide Beteiligte nach dem Auskunftsverlangen, das die Kommission im Juni/Juli 1998 an alle Hersteller gerichtet habe, kooperiert hätten, keines von der Zusammenarbeit des anderen gewusst habe und – was den Zeitraum der Zusammenarbeit seit dem ersten Eingeständnis der Kartellbeteiligung bis zur Übersendung einer vollständigen schriftlichen Erklärung an die Kommission angehe – die Zusammenarbeit von ADM in ungefähr gleicher Zeit stattgefunden und sogar eher als die von Cerestar begonnen und geendet habe.
398 Das Gericht habe aber im Urteil vom 13. Dezember 2001 in den Rechtssachen T‑45/98 und T‑47/98 (Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission, Slg. 2001, II‑3757, Randnrn. 246 bis 248, im Folgenden: Urteil Krupp) entschieden, dass die Beurteilung der Frage, in welchem Umfang die Unternehmen mit der Kommission zusammenarbeiteten, nicht nach zufälligen Kriterien wie der Reihenfolge, in der sie von der Kommission befragt worden seien, beurteilt werden dürfe. So habe es sich aber im vorliegenden Fall verhalten. Denn das Datum, für das die beiden Unternehmen mit der Kommission ein Treffen vereinbart hätten, um über das Kartell mündlich zu berichten, sei ein vollkommen zufälliger Faktor. Die Klägerin dürfe nicht deshalb benachteiligt werden, weil sie längere Zeit auf eingehendere Recherchen von Unterlagen in den USA und die Beschaffung unmittelbarer Zeugnisse für die Kommission verwandt habe, um entscheidende Nachweise für das Bestehen des Kartells im Sinne von Abschnitt B Buchstabe b der Mitteilung über Zusammenarbeit vorlegen zu können. Die Berichtigungen, umformulierten Erklärungen und ergänzenden Informationen, die Cerestar ihrerseits übermittelt habe, zeigten, wie begründet die Bemühungen von ADM gewesen seien, der Kommission genaue, detaillierte und erschöpfende Auskunft zu erteilen.
399 Nach Auffassung der Kommission ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.
2. Würdigung durch das Gericht
400 Mit ihrem Vorbringen stützt sich ADM im Wesentlichen auf die Grundsätze, die das Gericht in den Randnummern 138 bis 248 des Urteils Krupp entwickelt hat. In diesem Urteil hat das Gericht, wie im Übrigen auch in seinem Urteil vom 13. Dezember 2001 in der Rechtssache T‑48/98 (Acerinox/Kommission, Slg. 2001, II‑3859, Randnrn. 132 bis 141), die Anwendung von Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit durch die Kommission überprüft. Es hat im Wesentlichen entschieden, dass die Mitteilung über Zusammenarbeit, um einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu vermeiden, dahin anzuwenden ist, dass die Kommission bei der Herabsetzung von Geldbußen Unternehmen, die ihr im gleichen Verfahrensstadium und unter analogen Umständen ähnliche Informationen über die ihnen zur Last gelegten Tatsachen unterbreiten, gleichbehandeln muss. Wie das Gericht hinzugefügt hat, liegt allein darin, dass eines der Unternehmen die diesen von der Kommission im gleichen Verfahrensstadium gestellten Fragen als Erstes beantwortete und dabei die inkriminierten Tatsachen eingeräumt hat, kein objektiver Grund für eine unterschiedliche Behandlung der Unternehmen.
401 In den genannten Rechtssachen war es indessen im Unterschied zur vorliegenden unstreitig, dass die Zusammenarbeit der betroffenen Unternehmen nicht in den Anwendungsbereich der Abschnitte B und C der Mitteilung über Zusammenarbeit fiel. Wie aus Randnummer 219 des Urteils Krupp hervorgeht, wandte die Kommission auf alle von der angefochtenen Entscheidung betroffenen Unternehmen die Regelung des Abschnitts D der Mitteilung an. In diesen Rechtssachen stellte sich somit nur die Frage, ob die Kommission den Grundsatz der Gleichbehandlung dadurch verletzt hatte, dass sie im Rahmen des Ermessens, das ihr bei der Anwendung von Abschnitt D der Mitteilung zusteht, die Klägerinnen anders behandelt hatte als ein weiteres betroffenes Unternehmen.
402 Im vorliegenden Fall geht es ADM hingegen im Wesentlichen um den Nachweis, dass Cerestar aus ganz zufälligen Gründen als Erste zur Zusammenarbeit mit der Kommission veranlasst worden sei und ihr die Kommission deshalb eine Herabsetzung nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit gewährt habe, während ADM, wenn sich die Kommission zuerst an sie gewandt hätte, eine deutlichere Herabsetzung zumindest nach Abschnitt C der Mitteilung zugute gekommen wäre, weil dann sie als Erste die von Cerestar übermittelten Informationen mitgeteilt hätte. Hingegen will ADM mit ihrer Berufung auf das oben in Randnummer 398 genannte Urteil nicht dartun, dass die Kommission Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit auf sie im Vergleich zu den anderen Kartellmitgliedern in diskriminierender Weise angewandt habe.
403 Im Gegensatz zu den Abschnitten B und C der Mitteilung über Zusammenarbeit sieht jedoch Abschnitt D keine unterschiedliche Behandlung der betroffenen Unternehmen nach der Reihenfolge ihrer Zusammenarbeit mit der Kommission vor. Folglich berücksichtigte die Kommission diesen Gesichtspunkt in den Entscheidungssachverhalten der Urteile Krupp und Acerinox/Kommission (vgl. oben, Randnrn. 398 und 400), ohne dass Abschnitt D der Mitteilung ihn ausdrücklich vorsah.
404 Gleichwohl darf die Kommission, auch wenn sie im Interesse der erfolgreichen Anwendung der Regelung über die Zusammenarbeit mit den betroffenen Unternehmen im Fall geheimer Kartelle bei der Verfahrensorganisation über ein weites Ermessen verfügen muss, doch nicht willkürlich handeln.
405 Wie insoweit festzustellen ist, wies die Kommission in den Randnummern 54 und 55 der Entscheidung darauf hin, dass sie nach dem Eingreifen der amerikanischen Behörden auf dem Zitronensäuremarkt im August 1997 Auskunftsverlangen an die vier wichtigsten Zitronensäurehersteller der Gemeinschaft richtete. Auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat die Kommission bestätigt, dass dieses Auskunftsverlangen auch an ADM gesandt wurde. Im Juni und Juli 1998 wurden den wichtigsten Zitronensäureherstellern der Gemeinschaft, darunter wiederum ADM, ergänzende Auskunftsverlangen übersandt. Außerdem wurde ein erstes Auskunftsverlangen an Cerestar gerichtet. Die Übermittlung dieser zuletzt genannten Auskunftsverlangen ist sowohl – auf die Frage des Gerichts – von der Kommission als auch von ADM selbst bestätigt worden (vgl. oben, Randnr. 397). Nach diesem letzten Auskunftsverlangen ersuchte Cerestar die Kommission um ein Treffen am 29. Oktober 1998, in dem sie erklärte, sie wolle mit der Kommission zusammenarbeiten, und Materialien über das Bestehen eines Kartells auf dem Zitronensäuremarkt des EWR überreichte. Damit kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, dass sie in der Verfahrensorganisation, zu der die Versendung von Auskunftsverlangen gehörte, gegenüber ADM willkürlich gehandelt hätte.
E – Zu der Rüge, dass die Kommission mit der Herabsetzung der Geldbuße um 50 % die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit verletzt habe
1. Vorbringen der Parteien
406 Unter Bezugnahme auf das oben in den Randnummern 365 bis 372 wiedergegebene Vorbringen macht ADM geltend, dass die Kommission an ihre eigene Mitteilung über Zusammenarbeit nicht gebunden sei und ADM zumindest die gleiche oder eine höhere Herabsetzung der Geldbuße hätte gewähren müssen als Cerestar. Die Klägerin fügt hinzu, dass ihre Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren zumindest der der Stora Kopparbergs Bergslags AB in der Sache Karton gleichwertig gewesen sei, in deren Fall die Kommission die Geldbuße aber um zwei Drittel herabgesetzt habe.
407 Die Kommission habe daher die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit verletzt.
408 Nach Auffassung der Kommission ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.
2. Würdigung durch das Gericht
409 Es ist daran zu erinnern, dass Artikel 15 Absatz 2 der Richtlinie Nr. 17, der die Rechtsgrundlage für die Verhängung von Geldbußen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Regeln des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts bildet, der Kommission bei der Bußgeldzumessung ein Ermessen einräumt (Urteil des Gerichts vom 21. Oktober 1997 in der Rechtssache T‑229/94, Deutsche Bahn/Kommission, Slg. 1997, II‑1689, Randnr. 127), dessen Ausübung insbesondere von ihrer allgemeinen Politik im Bereich des Wettbewerbs abhängt (oben in Randnr. 47 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 105 und 109). In diesem Rahmen erließ die Kommission, um die Transparenz und die Objektivität ihrer Bußgeldentscheidungen zu gewährleisten, im Jahr 1996 die Mitteilung über Zusammenarbeit. Es handelt sich dabei um ein Instrument, mit dem unter Beachtung des höherrangigen Rechts die Kriterien präzisiert werden sollen, die die Kommission bei der Ausübung ihres Ermessens anzuwenden gedenkt; daraus ergibt sich eine Selbstbeschränkung dieses Ermessens (vgl. analog Urteil des Gerichts vom 30. April 1998 in der Rechtssache T‑214/95, Vlaams Gewest/Kommission, Slg. 1998, II‑717, Randnr. 89, und oben in Randnr. 63 zitiertes Urteil Tokai Carbon u. a./Kommission, Randnr. 157), da die Kommission ihre sich selbst auferlegten Leitlinien einhalten muss (vgl. analog Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache T‑380/94, AIUFFASS und AKT/Kommission, Slg. 1996, II‑2169, Randnr. 57).
410 Entgegen dem Vorbringen von ADM hatte die Kommission damit die Kriterien anzuwenden, die sie in der Mitteilung über Zusammenarbeit festgelegt hatte (oben in Randnr. 63 zitiertes Urteil Tokai Carbon u. a./Kommission, Randnr. 157). Diese Anwendung der in der Mitteilung über Zusammenarbeit festgelegten Kriterien wird im vorliegenden Fall nicht durch die Regelung der Leitlinien berührt, wonach die aktive Mitwirkung des Unternehmens an dem Verfahren ein mildernder Umstand ist. In Abschnitt 3 letzter Gedankenstrich der Richtlinien heißt es nämlich ausdrücklich, dass nur eine aktive Mitwirkung außerhalb des Anwendungsbereichs der Mitteilung über Zusammenarbeit ein mildernder Umstand ist. Die Zusammenarbeit von ADM fand aber von Anfang an auf der Grundlage der Mitteilung über Zusammenarbeit statt, was ihre Berücksichtigung als mildernden Umstand ausschließt. Was die Herabsetzung der gegen ADM festgesetzten Geldbuße angeht, so ist sie nach Auffassung des Gerichts in Anbetracht der von ADM im Rahmen ihrer Zusammenarbeit übermittelten Informationen nicht unverhältnismäßig. Was schließlich die gerügte Verletzung der Gleichbehandlung im Verhältnis zur Sache Karton angeht (vgl. oben, Randnr. 406), so wurde die Entscheidung Karton im Jahr 1994, also vor Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit, erlassen. Außerdem hat ADM nicht belegt, dass zwischen den detaillierten Beweisen, die Stora in der Sache Karton vorgelegt hatte, und den von ihr selbst offengelegten Informationen Gleichwertigkeit bestand. Insoweit kann eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung daher nicht festgestellt werden.
411 Die Klagegründe einer Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit sind daher zurückzuweisen.
VIII – Zu Mängeln des Verwaltungsverfahrens
A – Zum Umfang der den Beteiligten vorgeworfenen Zuwiderhandlung
1. Vorbringen der Parteien
412 ADM verweist darauf, dass die Kommission in Randnummer 158 der Entscheidung die Elemente aufgeführt habe, die sie als relevant für die Feststellung eines Verstoßes gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 EWR-Abkommen erachtet habe. Zwei dieser Elemente seien aber in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht genannt worden, nämlich erstens die den Beteiligten zur Last gelegte Einschränkung von Produktionskapazitäten (zweiter Gedankenstrich) und zweitens die ihnen vorgeworfene Bestimmung des Herstellers, der Preiserhöhungen auf jedem einzelnen einzelstaatlichen Markt habe „anführen“ sollen (vierter Gedankenstrich).
413 ADM wendet sich gegen die Behauptung, dass diese Auslassung keine Auswirkungen auf die Würdigung des Sachverhalts und der Beweise sowie die Bußgeldzumessung gehabt habe. So habe sie im Verwaltungsverfahren geltend gemacht, dass die Auswirkungen des Kartells gerade dadurch verringert worden seien, dass eine Beschränkung der Produktionskapazitäten nicht stattgefunden habe. Die Kommission habe dieses Vorbringen aber mit ihrer Feststellung zurückgewiesen, dass das Kartell tatsächliche Auswirkungen auf den Markt gehabt habe.
414 Folglich sei Artikel 1 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin in Verbindung mit Randnummer 158 der Entscheidung festgestellt werde, dass die Beteiligten die Produktionskapazitäten eingeschränkt und einen Hersteller bestimmt hätten, der die Preiserhöhungen auf jedem einzelstaatlichen Markt habe „anführen“ sollen.
415 Die Kommission erwidert hierauf, dass zwar diese beiden Elemente in der Mitteilung der Beschwerdepunkte tatsächlich nicht genannt worden seien, sie aber dennoch nur zwei von acht Elementen darstellten, die im Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung festgestellt worden seien, und zwar nur als Beispiele und nicht als abschließende Aufzählung. Diese beiden Elemente hätten die Sachverhaltsdarstellung und Beweisführung in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht berührt und seien ohne den geringsten Einfluss auf die Berechnung der gegen ADM verhängten Geldbuße geblieben.
2. Würdigung durch das Gericht
a) Einleitung
416 Nach der Rechtsprechung muss die Mitteilung der Beschwerdepunkte, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, dass die Betroffenen tatsächlich erkennen können, welches Verhalten ihnen die Kommission zur Last legt. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Mitteilung der Beschwerdepunkte nämlich den ihr durch die Gemeinschaftsverordnungen zugewiesenen Zweck erfüllen, den Unternehmen und Unternehmensvereinigungen alle Angaben zur Verfügung zu stellen, deren sie bedürfen, um sich wirksam verteidigen zu können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt (Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C‑89/85, C‑104/85, C‑114/85, C‑116/85, C‑117/85 und C‑125/85 bis C‑129/85, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Slg. 1993, I‑1307, Randnr. 42; Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑352/94, Mo och Domsjö/Kommission, Slg. 1998, II‑1989, Randnr. 63, im Rechtsmittelverfahren bestätigt durch Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 2000 in der Rechtssache C‑283/98 P, Mo och Domsjö/Kommission, Slg. 2000, I‑9855; Urteil des Gerichts vom 30. September 2003 in den Rechtssachen T‑191/98, T‑212/98 bis T‑214/98, Atlantic Container Line u. a./Kommission, Slg. 2003, II‑3275, Randnr. 138).
417 Es ist daher zu prüfen, ob die Kommission die Beschwerdepunkte, die sie ADM in der Entscheidung anlastete, darunter auch die beiden von ADM beanstandeten, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte so klar, und sei es auch nur in gedrängter Form, mitteilte, dass diese tatsächlich erkennen konnte, was ihr vorgeworfen wurde.
418 In Randnummer 158 der Entscheidung führte die Kommission als Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 3 EWR-Abkommen folgende Elemente auf:
„– die Zuteilung von Märkten und Marktanteilsquoten;
– das Einfrieren/Einschränken/Stilllegen von Produktionskapazitäten;
– die gemeinsame Durchführung von Preiserhöhungen;
– die Bestimmung des Herstellers, der Preiserhöhungen auf jedem einzelstaatlichen Markt ‚anführen‘ sollte;
– die Verteilung von Listen mit aktuellen und künftigen Zielpreisen zur Koordinierung von Preiserhöhungen;
– die Konzeption und Anwendung eines Melde- und Überwachungsmechanismus zur Durchsetzung der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen;
– die Aufteilung oder Zuteilung von Kunden;
– die Teilnahme an regelmäßigen Treffen und das Pflegen sonstiger Kontakte mit dem Ziel, die genannten wettbewerbsbeschränkenden Praktiken zu vereinbaren, in die Tat umzusetzen und/oder gegebenenfalls anzupassen“.
419 Es ist unstreitig, dass die Randnummer 134 der Mitteilung der Beschwerdepunkte ebenso wie Randnummer 158 der Entscheidung eine Zusammenfassung der den Beteiligten zur Last gelegten Beschwerdepunkte enthielt, darin aber die Punkte unter dem zweiten und vierten Gedankenstrich in Randnummer 158 der Entscheidung nicht aufgeführt waren.
420 Es ist daher zu prüfen, ob diese Elemente der Mitteilung der Beschwerdepunkte bei deren vollständigen Lektüre so eindeutig zu entnehmen waren, dass die Beteiligten ihre Verteidigungsrechte wahrnehmen konnten.
b) Zu dem Beschwerdepunkt des Einfrierens, Einschränkens und Stilllegens von Produktionskapazitäten für Zitronensäure
421 Unter dem zweiten Gedankenstrich in Randnummer 158 der Entscheidung legt die Kommission den Beteiligten zur Last, Produktionskapazitäten eingefroren, eingeschränkt und stillgelegt zu haben. Dieser Beschwerdepunkt steht zwar in Zusammenhang mit dem unter dem ersten Gedankenstrich der Randnummer 158 der Entscheidung (oder ist dessen Konsequenz), wonach die Beteiligten Marktanteilsquoten zugeteilt haben sollen.
422 Dennoch sind beide Beschwerdepunkte, wie die Kommission selbst einräumt, nicht identisch, da einer die Produktionskapazität und der andere die Verkaufsquoten betrifft. Insoweit ist auch daran zu erinnern, dass Artikel 81 Absatz 1 EG zwischen der Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung (Buchstabe b) und der Aufteilung der Märkte (Buchstabe c) unterscheidet.
423 In der Mitteilung der Beschwerdepunkte bezog sich die Kommission nur auf die Zuteilung von Verkaufsquoten (vgl. u. a. Randnrn. 63, 70, 79 bis 82, 86 und 87).
424 ADM macht daher zu Recht geltend, dass der Beschwerdepunkt, es seien Produktionskapazitäten eingefroren, eingeschränkt oder stillgelegt worden, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht genannt war und ihr daher in der Entscheidung nicht zur Last gelegt werden durfte.
425 Daher ist Artikel 1 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin in Verbindung mit Randnummer 158 festgestellt wird, dass ADM und die anderen Kartellmitglieder Produktionskapazitäten für Zitronensäure eingefroren, eingeschränkt und stillgelegt hätten.
c) Zu dem Beschwerdepunkt der Bestimmung eines Herstellers, der die Preiserhöhungen auf jedem einzelnen Markt „anführen“ sollte
426 Unter dem vierten Gedankenstrich in Randnummer 158 der Entscheidung legte die Kommission den Beteiligten zur Last, sie hätten einen Hersteller bestimmt, der die Preiserhöhungen auf jedem einzelstaatlichen Markt hätte „anführen“ sollen.
427 Insoweit ist festzustellen, dass die Kommission diesen Beschwerdepunkt in Zusammenhang mit der Absprache von Preiserhöhungen in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht so dargelegt hatte, dass die Beteiligten tatsächlich erkennen konnten, was ihnen die Kommission vorwarf.
428 ADM macht daher zu Recht geltend, dass der Beschwerdepunkt der Bestimmung eines Herstellers, der die Preiserhöhungen auf jedem einzelstaatlichen Markt habe „anführen“ sollen, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht genannt war und ihr daher in der Entscheidung nicht angelastet werden durfte.
429 Artikel 1 der Entscheidung ist daher für nichtig zu erklären, soweit darin in Verbindung mit Randnummer 158 festgestellt wird, dass ADM und die anderen Kartellteilnehmer einen Hersteller bestimmt hätten, der die Preiserhöhungen auf jedem einzelstaatlichen Markt habe „anführen“ sollen.
B – Zur Anwendung eines der Abschreckung dienenden Multiplikators und zur Einstufung von ADM als einer der Anführer des Kartells
1. Vorbringen der Parteien
430 ADM rügt erstens, dass sie sich nicht zur Verwertung des FBI-Berichts und der Erklärung vom 18. März 1999 als Beweismittel habe äußern können.
431 Die Klägerin wirft der Kommission zweitens vor, sie habe sie im Verwaltungsverfahren nicht darüber unterrichtet, dass sie sie als einen der Anführer des Kartells betrachte und auf welche Beweismittel sie sich insoweit stütze.
432 Drittens sei ihr unter Verletzung ihrer Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren nicht Gelegenheit gegeben worden, sich zu der Anwendung eines Multiplikators von 2 auf den Ausgangsbetrag zum Zweck der Abschreckung zu äußern, obgleich der Multiplikator in den Leitlinien nicht vorgesehen sei.
433 Nach Auffassung der Kommission sind diese Rügen zurückzuweisen.
2. Würdigung durch das Gericht
434 Nach ständiger Rechtsprechung erfüllt die Kommission ihre Verpflichtung, den Anspruch der Unternehmen auf rechtliches Gehör zu wahren, wenn sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die Unternehmen Geldbußen zu verhängen seien, und dabei die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte anführt, wie z. B. die Schwere und die Dauer der angenommenen Zuwiderhandlung sowie den Umstand, ob diese „vorsätzlich oder fahrlässig“ begangen sei. Damit macht sie den Unternehmen die Angaben, die für deren Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Verhängung von Geldbußen notwendig sind (oben in Randnr. 47 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 21).
435 Folglich sind bei der Bemessung der Geldbußen die Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen gegenüber der Kommission dadurch gewahrt, dass sie sich zu Dauer, Schwere und Vorhersehbarkeit des wettbewerbswidrigen Charakters der Zuwiderhandlung äußern können (Urteil des Gerichtshofes vom 6. Oktober 1994 in der Rechtssache T‑83/91, Tetra Pak/Kommission, Slg. 1994, II‑755, Randnr. 235, und oben in Randnr. 98 zitiertes Urteil HFB u. a./Kommission, Randnr. 312). Dies gilt umso mehr, als die Kommission mit der Veröffentlichung der Leitlinien alle Beteiligten eingehend darüber unterrichtet hat, welche Methode sie bei der Berechnung einer etwaigen Geldbuße anwenden und wie sie diese Kriterien berücksichtigen werde. Dem steht nicht entgegen, dass die Leitlinien sich nicht ausdrücklich auf einen Multiplikator beziehen, da sie doch angeben, es sei erforderlich, die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen, Wettbewerber wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, und die Geldbuße auf einen Betrag festzusetzen, der eine hinreichend abschreckende Wirkung entfalte.
436 Im vorliegenden Fall führte die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte auf, auf die sie die gegen ADM in Aussicht genommene Geldbuße stützen würde, deren Höhe sie nach der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung festzusetzen beabsichtige.
437 Die Kommission wies ferner in Randnummer 160 der Mitteilung der Beschwerdepunkte darauf hin, dass sie die Geldbuße in hinreichend abschreckender Höhe festsetzen werde. Außerdem führte sie in Randnummer 161 dieser Mitteilung im Wesentlichen aus, dass sie für die Beurteilung der Schwere des Verstoßes berücksichtigen werde, dass es sich um einen sehr schweren Verstoß handele, der die Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt und im Übrigen bereits nach der Art der Absprachen schwerwiegende Auswirkungen auf den Wettbewerb gehabt habe.
438 Die Wahrung der Verteidigungsrechte der Unternehmen verpflichtet die Kommission nicht, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genauer anzugeben, in welcher Art und Weise sie gegebenenfalls jedes dieser Elemente bei der Bemessung der Bußgeldhöhe berücksichtigen werde. Insbesondere braucht die Kommission nicht anzugeben, dass sie ADM als Anführer des Kartells ansehen könne, oder den Umfang der Erhöhung zu bezeichnen, den sie möglicherweise auf die Geldbuße gegen ADM aus diesem Grund anwenden würde (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81, Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461, Randnr. 20).
439 Soweit ADM geltend macht, sie habe sich nicht zu der Verwertung des FBI-Berichts und der Erklärung von Cerestar vom 18. März 1999 als Beweismittel äußern können, ist daran zu erinnern, dass die Kommission diese Dokumente der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt hatte und die Beteiligten somit zu diesen Unterlagen und ihrer Verwertung als Beweismittel Stellung nehmen konnten.
440 Schließlich ist festzustellen, dass die Einteilung von Kartellteilnehmern in Gruppen eine Praxis darstellt, die die Kommission auf der Grundlage der Leitlinien entwickelte. Die Entscheidung erging damit in einem ADM wohlbekannten Kontext und fügt sich in eine ständige Entscheidungspraxis ein (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 30. September 2003 in den Rechtssachen C‑57/00 P und C‑61/00 P, Freistaat Sachsen u. a./Kommission, Slg. 2003, I‑9975, Randnr. 77).
441 Der Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte ist daher zurückzuweisen.
Zur Ausübung der Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung
442 Nach der Prüfung aller Klagegründe von ADM greifen nur ihre Rügen durch, wonach die Kommission bestimmte Elemente, die sie ADM anlastete, nicht in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte angegeben hatte. Wie oben in Randnummer 424 festgestellt, macht ADM zu Recht geltend, dass der Beschwerdepunkt des Einfrierens, Einschränkens und Stilllegens von Produktionskapazitäten in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht genannt war und ihr daher nicht vorgeworfen werden durfte. Wie oben in Randnummer 428 entschieden, rügt ADM weiter zu Recht, dass auch der Beschwerdepunkt, es sei ein Hersteller bestimmt worden, der die Preiserhöhungen auf jedem einzelstaatlichen Markt habe „anführen“ sollen, nicht in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genannt war und der Klägerin daher ebenfalls nicht vorgeworfen werden durfte.
443 Das Gericht hat nach Feststellung dieser Rechtsmängel zu entscheiden, ob die Entscheidung abzuändern ist. Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit zu berücksichtigen, dass das Kartell, das die Festsetzung der Preise, die Zuteilung von Verkaufsquoten und ein Ausgleichssystem, das die Kartellteilnehmer zur Sicherung der vollen Wirksamkeit des Kartells einrichteten, zum Gegenstand hatte, eine besonders schwere Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft darstellt. Es handelte sich um eine einzige fortgesetzte Zuwiderhandlung.
444 Ferner ist den Begründungserwägungen der Entscheidung, insbesondere hinsichtlich der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung wegen ihrer Art und ihrer tatsächlichen Auswirkungen auf den Zitronensäuremarkt, zu entnehmen, dass es sich bei den beiden Beanstandungen, deren Erwähnung die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte versäumte, im Verhältnis zu den Preisfestsetzungsabsprachen, der Zuteilung von Verkaufsquoten und dem von den Kartellmitgliedern eingerichteten Ausgleichssystem nur um zusätzliche Beschwerdepunkte handelte.
445 Daher ist das Gericht im Rahmen seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung der Auffassung, dass die Entscheidung trotz dieser Versäumnisse der Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte hinsichtlich der Höhe der von der Kommission festgesetzten Geldbuße nicht abzuändern ist.
Kosten
446 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 87 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen, wenn jede Partei teils obsiegt und teils unterliegt.
447 Im vorliegenden Fall ist die Kommission insoweit unterlegen, als sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte zwei der ADM in der Entscheidung angelasteten Beschwerdepunkte nicht erwähnte (vgl. oben, Randnrn. 425 und 429), die im Verhältnis zu den übrigen von der Kommission festgestellten Beschwerdepunkte zusätzlicher Art waren. Mit ihrem gesamten übrigen Vorbringen ist die Klägerin unterlegen.
448 In dieser Situation trägt es den Umständen des vorliegenden Falles angemessen Rechnung, der Kommission ein Zehntel der Kosten von ADM und ADM ihre übrigen eigenen Kosten und die Kosten der Kommission aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Artikel 1 der Entscheidung 2002/742/EG der Kommission vom 5. Dezember 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/36.604 – Zitronensäure) wird für nichtig erklärt, soweit darin in Verbindung mit Randnummer 158 dieser Entscheidung festgestellt wird, dass die Archer Daniels Midland Co. Produktionskapazitäten für Zitronensäure einfror, einschränkte und stilllegte.
2. Artikel 1 der Entscheidung 2002/742 wird für nichtig erklärt, soweit darin in Verbindung mit Randnummer 158 dieser Entscheidung festgestellt wird, dass die Archer Daniels Midland Co. den Hersteller bestimmte, der Preiserhöhungen auf jedem betroffenen einzelstaatlichen Markt anführen sollte.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kommission trägt ein Zehntel der Kosten der Archer Daniels Midland Co.
5. Die Archer Daniels Midland Co. trägt ihre übrigen eigenen Kosten und die Kosten der Kommission.
Azizi |
Jaeger |
Dehousse |
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. September 2006.
Der Kanzler |
Der Präsident |
E. Coulon |
J. Azizi |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Verfahren und Anträge der Beteiligten
Entscheidungsgründe
I – Zur Anwendbarkeit der Leitlinien
A – Vorbringen der Parteien
B – Würdigung durch das Gericht
II – Zu den Auswirkungen von bereits in anderen Ländern verhängten Geldbußen
A – Vorbringen der Parteien
B – Würdigung durch das Gericht
III – Zur Schwere der Zuwiderhandlung
A – Einleitung
B – Zur fehlenden oder unzureichenden Berücksichtigung des Umsatzes aus dem Verkauf des in Frage stehenden Produkts
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
a) Zur Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
b) Zum Verstoß gegen die Leitlinien
c) Zur Verletzung der Begründungspflicht
C – Zur Anwendung eines Multiplikators auf den Ausgangsbetrag
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
a) Zur Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
b) Zur Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
c) Zur Verletzung der Begründungspflicht
D – Zu dem Vorliegen von Beurteilungsfehlern hinsichtlich der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt
1. Einleitung
2. Zu der Rüge, dass die Kommission für den Nachweis von konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt eine verfehlte Vorgehensweise gewählt habe
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
– Zusammenfassung der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung
– Würdigung
3. Zur Beurteilung der Entwicklung der Zitronensäurepreise
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
4. Zur Definition des relevanten Produktmarktes
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
IV – Zur Dauer der Zuwiderhandlung
V – Zu den erschwerenden Umständen
A – Einleitung
B – Zur Einstufung von ADM als Anführer des Kartells
1. Einleitung
2. Zu den angeblichen Fehlern der Kommission hinsichtlich der Rolle von ADM als Anführer
a) Zu den von ADM organisierten bilateralen Treffen im Januar 1991
Vorbringen der Parteien
Würdigung durch das Gericht
b) Zu der Aussage des ehemaligen ADM-Vertreters vor dem FBI
Zusammenfassung des Sachverhalts und Wortlaut der Entscheidung
Vorbringen der Parteien
Würdigung durch das Gericht
– Einleitung
– Zu der Rüge, dass die Kommission im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Verfahrensgarantien verletzt habe
– Zu der Rüge, dass die Kommission den Inhalt des FBI-Berichts nicht fehlerfrei gewürdigt habe
c) Zur Erklärung von Cerestar
Vorbringen der Parteien
Würdigung durch das Gericht
3. Zur Einstufung von ADM als Anstifter im Kartell
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
C – Zur Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung durch die Festsetzung des gleichen Erhöhungssatzes gegen ADM wie gegen Roche
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
D – Zur Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit durch eine Abweichung von der vorherigen Entscheidungspraxis der Kommission in Zusammenhang mit dem gegen ADM angewandten Erhöhungssatz
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
E – Zur Verletzung der Begründungspflicht bei der Beurteilung der erschwerenden Umstände
VI – Zu den mildernden Umständen
A – Vorbemerkung
B – Zur Beendigung der Kartellbeteiligung nach dem ersten Eingreifen der zuständigen Behörden
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
C – Zur fehlenden Berücksichtigung von Schadensersatzzahlungen
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
D – Zum Erlass eines Verhaltenskodex durch ADM
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
VII – Zur Zusammenarbeit von ADM im Verwaltungsverfahren
A – Einleitung
B – Zu dem Vorbringen, dass ADM als Erste Angaben von entscheidender Bedeutung für den Beweis der Existenz des Kartells gemacht habe
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
C – Zur Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
D – Zu der Rüge, wonach die Kommission durch die Ungleichbehandlung von ADM und Cerestar den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt habe
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
E – Zu der Rüge, dass die Kommission mit der Herabsetzung der Geldbuße um 50 % die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit verletzt habe
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
VIII – Zu Mängeln des Verwaltungsverfahrens
A – Zum Umfang der den Beteiligten vorgeworfenen Zuwiderhandlung
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
a) Einleitung
b) Zu dem Beschwerdepunkt des Einfrierens, Einschränkens und Stilllegens von Produktionskapazitäten für Zitronensäure
c) Zu dem Beschwerdepunkt der Bestimmung eines Herstellers, der die Preiserhöhungen auf jedem einzelnen Markt „anführen“ sollte
B – Zur Anwendung eines der Abschreckung dienenden Multiplikators und zur Einstufung von ADM als einer der Anführer des Kartells
1. Vorbringen der Parteien
2. Würdigung durch das Gericht
Zur Ausübung der Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung
Kosten
* Verfahrenssprache: Englisch.
1 – Unkenntlich gemachte vertrauliche Angabe.