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Document 62001TJ0329
Judgment of the Court of First Instance (Third Chamber) of 27 September 2006.#Archer Daniels Midland Co. v Commission of the European Communities.#Competition - Cartels - Sodium Gluconate - Article 81 EC - Fine - Article 15(2) of Regulation No 17 - Guidelines on the method of setting fines - Leniency Notice - Principle of proportionality - Equal treatment - Non-retroactivity - Obligation to state reasons - Rights of the defence.#Case T-329/01.
Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte Kammer) vom 27. September 2006.
Archer Daniels Midland Co. gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb - Kartelle - Natriumglukonat - Artikel 81 EG - Geldbußen - Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 - Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen - Mitteilung über Zusammenarbeit - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - Gleichbehandlung - Rückwirkungsverbot - Begründungspflicht - Rechte der Verteidigung.
Rechtssache T-329/01.
Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte Kammer) vom 27. September 2006.
Archer Daniels Midland Co. gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb - Kartelle - Natriumglukonat - Artikel 81 EG - Geldbußen - Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 - Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen - Mitteilung über Zusammenarbeit - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - Gleichbehandlung - Rückwirkungsverbot - Begründungspflicht - Rechte der Verteidigung.
Rechtssache T-329/01.
Sammlung der Rechtsprechung 2006 II-03255
ECLI identifier: ECLI:EU:T:2006:268
Rechtssache T‑329/01
Archer Daniels Midland Co.
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
„Wettbewerb – Kartelle – Natriumglukonat – Artikel 81 EG – Geldbuße – Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Mitteilung über Zusammenarbeit – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Gleichbehandlung – Rückwirkungsverbot – Begründungspflicht – Verteidigungsrechte“
Urteil des Gerichts (Dritte Kammer) vom 27. September 2006
Leitsätze des Urteils
1. Gemeinschaftsrecht – Allgemeine Rechtsgrundsätze – Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)
2. Wettbewerb – Geldbußen – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)
3. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)
4. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)
5. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Abschreckungswirkung der Geldbuße
(Artikel 81 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)
6. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Konkrete Auswirkungen auf den Markt
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Abschnitt 1 A Absatz 1)
7. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)
8. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)
9. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände
(Artikel 81 Absatz 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Abschnitt 3 dritter Gedankenstrich)
10. Wettbewerb – Geldbußen – Kumulierung gemeinschaftsrechtlicher Sanktionen wegen verschiedener Sachverhalte, die auf denselben Komplex von Vereinbarungen zurückgehen
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)
11. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände
(Artikel 81 Absatz 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)
12. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Nichtverhängung oder Herabsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission, Abschnitte B Buchstabe b und C)
13. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Beurteilung des Umfangs der Kooperation jedes Unternehmens im Verwaltungsverfahren
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission, Abschnitte B, C und D)
14. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 19 Absatz 1)
15. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Ermessen der Kommission – Gerichtliche Nachprüfung
(Artikel 229 EG)
1. Das in Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention als Grundrecht gewährleistete Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften bildet einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der bei der Verhängung von Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln einzuhalten ist. Nach diesem Grundsatz müssen die verhängten Sanktionen denen entsprechen, die zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung vorgesehen waren.
Der Erlass von Leitlinien, die geeignet sind, die allgemeine Wettbewerbspolitik der Kommission auf dem Gebiet von Geldbußen zu ändern, kann grundsätzlich in den Geltungsbereich des Rückwirkungsverbots fallen.
Denn zum einen können die Leitlinien Rechtswirkungen entfalten. Diese Rechtswirkungen ergeben sich nicht daraus, dass die Leitlinien selbst Normcharakter hätten, sondern daraus, dass sie von der Kommission erlassen und veröffentlicht worden sind. Der Erlass und die Veröffentlichung der Leitlinien bewirken eine Selbstbeschränkung der Kommission in der Ausübung ihres Ermessens. Die Kommission kann von den Leitlinien nicht mehr abweichen, ohne dass dies gegebenenfalls als Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die der Gleichbehandlung, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit geahndet wird.
Zum anderen fallen die Leitlinien als Instrument einer Wettbewerbspolitik ebenso in den Geltungsbereich des Rückwirkungsverbots wie die neue gerichtliche Auslegung einer Norm, die eine Zuwiderhandlung festlegt, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Artikel 7 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der zufolge diese Bestimmung der rückwirkenden Anwendung der neuen Auslegung einer solchen Norm entgegensteht. Das ist nach dieser Rechtsprechung insbesondere dann der Fall, wenn es sich um eine richterliche Auslegung handelt, deren Ergebnis zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung insbesondere unter Berücksichtigung der Auslegung, die zu dieser Zeit in der Rechtsprechung zur fraglichen Rechtsvorschrift vertreten wurde, nicht hinreichend vorhersehbar war. Allerdings hängt nach dieser Rechtsprechung die Bedeutung des Begriffes der Vorhersehbarkeit in hohem Maß ab vom Inhalt der in Rede stehenden Vorschriften, von dem durch sie geregelten Bereich sowie von der Zahl und der Eigenschaft ihrer Adressaten. Der Vorhersehbarkeit des Gesetzes steht es indessen nicht entgegen, dass die betreffende Person gezwungen wird, fachkundigen Rat einzuholen, um unter den Umständen des konkreten Falles angemessen zu beurteilen, welche Folgen sich aus einer bestimmten Handlung ergeben können. Das gilt insbesondere für berufsmäßig tätige Personen, die gewohnt sind, sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sehr umsichtig verhalten zu müssen. Von ihnen kann daher erwartet werden, dass sie die Risiken ihrer Tätigkeit besonders sorgfältig beurteilen.
Um zu kontrollieren, ob das Rückwirkungsverbot eingehalten wurde, ist zu prüfen, ob die Änderung, die im Erlass der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, liegt, zur Zeit der Begehung der in Frage stehenden Zuwiderhandlungen hinreichend vorhersehbar war. Insoweit besteht die hauptsächliche Neuerung der Leitlinien darin, dass als Ausgangspunkt der Berechnung Grundbeträge verwendet werden, die innerhalb von hierfür in den Leitlinien vorgesehenen Spannen festgelegt werden, wobei diese Spannen verschiedenen Schweregraden der Zuwiderhandlungen entsprechen, als solche aber keinen Bezug zum relevanten Umsatz aufweisen. Diese Methode beruht somit im Wesentlichen auf einer – wenn auch relativen und flexiblen – Tarifierung der Geldbußen.
Ferner ist die Kommission dadurch, dass sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen. Vielmehr verlangt es die wirksame Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln, dass die Kommission das Niveau der Geldbußen jederzeit den Erfordernissen dieser Politik anpassen kann.
Dementsprechend können Unternehmen, die von einem Verwaltungsverfahren betroffen sind, das zu einer Geldbuße führen kann, weder darauf vertrauen, dass die Kommission das zuvor praktizierte Bußgeldniveau nicht überschreiten wird, noch auf eine bestimmte Methode für die Berechnung der Geldbußen.
Die betreffenden Unternehmen müssen sich folglich dessen bewusst sein, dass die Kommission jederzeit beschließen kann, das Niveau der Geldbußen gegenüber dem in der Vergangenheit praktizierten Niveau anzuheben. Das gilt nicht nur dann, wenn die Kommission das Niveau der Geldbußen durch deren Verhängung in Einzelentscheidungen anhebt, sondern auch dann, wenn diese Anhebung dadurch erfolgt, dass Verhaltensnormen mit allgemeiner Geltung wie die Leitlinien auf konkrete Fälle angewandt werden.
(vgl. Randnrn. 38-46)
2. Hat die Kommission für die Berechnung der Höhe der Geldbuße eines Unternehmens die in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, beschriebene Methode angewandt, so kann darin keine Diskriminierung gegenüber Unternehmen liegen, die im selben Zeitraum Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft begingen, jedoch aufgrund des Zeitpunkts der Aufdeckung der Zuwiderhandlung oder des Ablaufs des sie betreffenden Verwaltungsverfahrens vor dem Erlass und der Veröffentlichung der Leitlinien bestraft wurden.
(vgl. Randnr. 53)
3. Die Schwere von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln ist anhand zahlreicher Gesichtspunkte zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Sache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten.
Ebenso können zu den Gesichtspunkten für die Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung je nach Fall die Menge und der Wert der Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, sowie die Größe und Wirtschaftskraft des Unternehmens und damit der Einfluss gehören, den es auf den relevanten Markt ausüben konnte. Daraus ergibt sich zum einen, dass bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der – wenn auch nur annähernd und unvollständig – etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Marktanteil der betroffenen Unternehmen an dem in Frage stehenden Markt herangezogen werden darf, der einen Anhaltspunkt für das Ausmaß der Zuwiderhandlung liefern kann. Zum anderen folgt daraus, dass weder der einen noch der anderen dieser Zahlen eine im Verhältnis zu den übrigen Beurteilungskriterien übermäßige Bedeutung zugemessen werden darf und dass die Festsetzung einer angemessenen Geldbuße nicht das Ergebnis eines bloßen auf den Gesamtumsatz gestützten Rechenvorgangs sein kann.
Jedenfalls genügt der Umstand, dass die gegen ein Unternehmen verhängte Geldbuße höher ist als sein Umsatz aus dem Verkauf des von dem Kartell betroffenen Produkts im Europäischen Wirtschaftsraum während der Zeit seiner Teilnahme am Kartell oder diesen sogar erheblich übersteigt, allein nicht, um eine Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße zu belegen.
(vgl. Randnrn. 76-77, 80)
4. Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 wird die Höhe der Geldbuße nach der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung bemessen. Nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, setzt die Kommission ferner den Ausgangsbetrag nach der Schwere der Zuwiderhandlung unter Berücksichtigung ihrer Art, ihrer konkreten Auswirkungen auf den Markt und des Umfangs des räumlichen Marktes fest.
Dieser rechtliche Rahmen verpflichtet die Kommission somit als solcher nicht dazu, die geringe Größe des Produktmarktes zu berücksichtigen.
Bei der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung hat die Kommission jedoch sehr viele Faktoren zu berücksichtigen, die je nach der Art der fraglichen Zuwiderhandlung und den besonderen Umständen des Einzelfalls von unterschiedlicher Art und Bedeutung sind. Es lässt sich nicht ausschließen, dass zu diesen Faktoren, die für die Schwere einer Zuwiderhandlung maßgebend sind, je nach Fall auch die Größe des betroffenen Produktmarktes gehören kann.
Zwar kann demnach die Marktgröße einen Faktor darstellen, der bei der Ermittlung der Schwere der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen ist, doch ist dieser je nach den Umständen des Einzelfalls von unterschiedlicher Bedeutung.
(vgl. Randnrn. 99-102)
5. Die Abschreckung ist eine der Haupterwägungen, von denen sich die Kommission bei der Zumessung von Geldbußen wegen eines Verstoßes gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln leiten lassen muss.
Würde die Geldbuße in einer Höhe festgesetzt, mit der lediglich der Gewinn aus dem Kartell zunichte gemacht würde, hätte sie keine abschreckende Wirkung. Denn es ist vernünftigerweise davon auszugehen, dass Unternehmen im Rahmen ihrer finanziellen Kalkulation und Geschäftsführung nicht nur rational das Niveau der ihnen für eine Zuwiderhandlung drohenden Geldbußen, sondern auch die Größe des Risikos, dass das Kartell aufgedeckt wird, berücksichtigen. Würde die Funktion der Geldbuße auf die bloße Aufhebung des erhofften Gewinns oder Vorteils reduziert, so würde darüber hinaus nicht hinreichend berücksichtigt, dass ein unter Artikel 81 Absatz 1 EG fallendes Verhalten den Charakter einer Zuwiderhandlung hat. Würde die Geldbuße auf einen bloßen Ausgleich des verursachten Schadens beschränkt, so würde nämlich außer der abschreckenden Wirkung, die nur auf künftige Verhaltensweisen gerichtet sein kann, der repressive Charakter einer solchen Maßnahme im Hinblick auf die tatsächlich begangene konkrete Zuwiderhandlung vernachlässigt.
Ebenso kann im Fall eines Unternehmens, das auf zahlreichen Märkten präsent ist und über eine besonders große Finanzkraft verfügt, die Berücksichtigung des Umsatzes auf dem in Frage stehenden Markt nicht genügen, um eine abschreckende Wirkung der Geldbuße zu gewährleisten. Je größer nämlich ein Unternehmen ist und je größer seine gesamten Ressourcen sind, die es zu unabhängigem Handeln auf dem Markt befähigen, desto mehr muss es sich der Bedeutung seiner Rolle für ein unbeeinträchtigtes Funktionieren des Wettbewerbs auf dem Markt bewusst sein. Daher sind die tatsächlichen Umstände, die sich auf die Wirtschaftskraft eines Unternehmens beziehen, das sich einer Zuwiderhandlung schuldig gemacht hat, bei der Zumessung der Geldbuße zu berücksichtigen, um ihre abschreckende Wirkung zu gewährleisten.
(vgl. Randnrn. 140-142)
6. Nach Abschnitt 1 A Absatz 1 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, berücksichtigt die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße nach Maßgabe der Schwere des Verstoßes u. a. die konkreten Auswirkungen des Verstoßes auf den Markt, sofern diese messbar sind. Solche messbaren Auswirkungen des Kartells auf den betreffenden Markt sind als hinreichend nachgewiesen anzusehen, wenn die Kommission in der Lage ist, konkrete und glaubhafte Indizien dafür vorzulegen, dass das Kartell mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf den Markt hatte.
Die Prüfung der Auswirkungen eines Kartells auf den Markt erfordert die Aufstellung von Hypothesen. In diesem Zusammenhang muss die Kommission insbesondere prüfen, welchen Preis das relevante Produkt ohne Kartell gehabt hätte. Indessen ist es mit Unwägbarkeiten behaftet, im Rahmen der Prüfung der Gründe für die tatsächliche Preisentwicklung Mutmaßungen über den jeweiligen Anteil anzustellen, den die einzelnen Gründe hatten. Es ist dem objektiven Umstand Rechnung zu tragen, dass die Teilnehmer aufgrund des Preiskartells auf die Möglichkeit, mittels der Preise miteinander zu konkurrieren, gerade verzichtet haben. Die Beurteilung des Einflusses anderer Faktoren als dieses freiwilligen Verzichts der Kartellteilnehmer beruht daher zwangsläufig auf hinreichend hohen und nicht genau quantifizierbaren Wahrscheinlichkeiten.
Soll dem in Abschnitt 1 A Absatz 1 festgelegten Kriterium nicht seine praktische Wirksamkeit genommen werden, kann es der Kommission daher nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie sich auf die konkreten Auswirkungen einer wettbewerbswidrigen Vereinbarung, wie eines Kartells in Bezug auf die Preise oder Marktanteile, auf den relevanten Markt gestützt hat, ohne diese Auswirkungen zu quantifizieren oder hierzu eine bezifferte Beurteilung vorzulegen.
(vgl. Randnrn. 174-178)
7. Bei der Feststellung der Schwere einer Zuwiderhandlung im Bereich des Wettbewerbs ist insbesondere der normative und wirtschaftliche Zusammenhang zu berücksichtigen, in den sich die beanstandete Verhaltensweise einfügt. Dabei muss die Kommission, um die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt zu beurteilen, auf den Wettbewerb abstellen, den es normalerweise ohne die Zuwiderhandlung gegeben hätte.
Daraus folgt zum einen, dass bei Preisabsprachen – mit einem angemessenen Grad an Wahrscheinlichkeit – festgestellt werden muss, dass es die Absprachen den Beteiligten tatsächlich erlaubt haben, ein höheres Preisniveau als ohne das Kartell zu erzielen. Zum anderen folgt daraus, dass die Kommission unter Berücksichtigung des vorhandenen wirtschaftlichen und gegebenenfalls normativen Rahmens alle objektiven Bedingungen auf dem betreffenden Markt in ihre Beurteilung einbeziehen muss. Gegebenenfalls ist das Vorhandensein von „objektiven wirtschaftlichen Faktoren“ zu berücksichtigen, aus denen sich ergibt, dass sich das Preisniveau „bei freiem Wettbewerb“ nicht ebenso entwickelt hätte wie die tatsächlich praktizierten Preise.
(vgl. Randnrn. 191-192)
8. Im Bereich der Bekämpfung verbotener Kartelle ist das von einem Unternehmen behauptete tatsächliche Verhalten bei der Bewertung der Auswirkungen eines Kartells auf den Markt nicht von Bedeutung, da lediglich die Wirkungen der gesamten Zuwiderhandlung, an der das Unternehmen beteiligt war, zu berücksichtigen sind.
(vgl. Randnr. 204)
9. Bei der für die Festsetzung einer Geldbuße erforderlichen Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln muss die Kommission nicht nur die besonderen Umstände des Einzelfalls, sondern auch den Kontext der Zuwiderhandlung berücksichtigen und für die abschreckende Wirkung ihres Vorgehens Sorge tragen. Nur die Berücksichtigung dieser Aspekte kann nämlich die volle Wirksamkeit des Vorgehens der Kommission für die Wahrung eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt gewährleisten.
Eine Beurteilung der Regelung in Abschnitt 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, allein anhand ihres Wortlauts könnte den Eindruck vermitteln, dass die bloße Beendigung einer Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission allgemein und vorbehaltlos einen mildernden Umstand darstellt. Eine solche Auslegung dieser Regelung würde aber die praktische Wirksamkeit der Vorschriften, die die Erhaltung eines effizienten Wettbewerbs ermöglichen, mindern, da sie sowohl die Sanktion, die wegen einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 EG verhängt werden kann, als auch ihre abschreckende Wirkung abschwächen würde.
Im Unterschied zu anderen mildernden Umständen bildet nämlich dieser Umstand keinen wesensmäßigen Teil der subjektiven Eigenschaften des Zuwiderhandelnden oder des konkreten Sachverhalts, da er hauptsächlich aus dem äußeren Eingreifen der Kommission folgt. Die Beendigung einer Zuwiderhandlung nur infolge eines Eingreifens der Kommission kann daher nicht dem Verdienst gleichgestellt werden, das in einer eigenständigen Initiative des Zuwiderhandelnden liegt, sondern stellt nur eine angemessene und normale Reaktion auf das Eingreifen dar. Zudem belegt ein solcher Umstand nur die Rückkehr des Zuwiderhandelnden zu rechtmäßigem Verhalten und trägt nicht dazu bei, die Verfolgung von Verstößen durch die Kommission wirksamer zu machen. Der angeblich mildernde Charakter eines solchen Umstands lässt sich auch nicht als bloßer Anreiz rechtfertigen, die Zuwiderhandlung zu beenden. Insoweit bietet bereits die Einstufung der Fortführung einer Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission als erschwerender Umstand zu Recht einen Anreiz für die Beendigung der Zuwiderhandlung, verringert aber weder die Sanktion noch ihre abschreckende Wirkung.
Die Anerkennung der Beendigung einer Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission als mildernder Umstand würde daher durch eine Minderung sowohl der Sanktion als auch ihrer abschreckenden Wirkung die praktische Wirksamkeit von Artikel 81 Absatz 1 EG ungerechtfertigt beeinträchtigen. Folglich darf sich die Kommission nicht selbst dazu verpflichten, die bloße Beendigung eines Verstoßes nach ihrem ersten Eingreifen als mildernden Umstand zu berücksichtigen. Die Regelung des Abschnitts 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien ist daher, damit sie der praktischen Wirksamkeit von Artikel 81 Absatz 1 EG nicht zuwiderläuft, restriktiv so auszulegen, dass nur besondere Umstände des Einzelfalls, unter denen eine Beendigung des Verstoßes nach dem ersten Eingreifen der Kommission konkret verwirklicht wird, die Berücksichtigung dieser Beendigung als mildernden Umstand rechtfertigen können.
Im Fall einer besonders schweren Zuwiderhandlung, die eine von den betreffenden Unternehmen vorsätzlich herbeigeführte Festsetzung von Preisen und Aufteilung der Märkte zum Gegenstand hatte, kann die Beendigung der Zuwiderhandlung nicht als mildernder Umstand gewertet werden, wenn sie auf das Eingreifen der Kommission zurückzuführen ist.
(vgl. Randnrn. 276-282)
10. Der Grundsatz ne bis in idem verbietet es, dieselbe Person mehr als einmal wegen desselben rechtswidrigen Verhaltens zum Schutz desselben Rechtsguts mit einer Sanktion zu belegen. Seine Anwendung hängt von der dreifachen, kumulativ geltenden Voraussetzung der Identität des Sachverhalts, des Zuwiderhandelnden und des geschützten Rechtsguts ab.
Demgemäß gilt dieser Grundsatz nicht in einem Fall, in dem die mit zwei Sanktionen belegten Handlungen zwar auf denselben Komplex von Vereinbarungen zurückgehen, aber sich sowohl nach ihrem Zweck als auch nach ihrem geografischen Schwerpunkt unterscheiden. So verhält es sich, wenn die Sanktionen Kartelle auf verschiedenen Märkten betreffen. So verhält es sich ebenfalls im Fall eines Kartells, das auch das Gebiet von Drittstaaten betrifft, da nach dem Territorialitätsprinzip die Wahrnehmung der Zuständigkeit der Kommission nicht in Konflikt mit der der Wettbewerbsbehörden dieser Drittstaaten steht, soweit Geldbußen gegen Unternehmen verhängt werden sollen, die die Wettbewerbsregeln im Europäischen Wirtschaftsraum und in diesen Drittstaaten verletzen.
(vgl. Randnrn. 290-292)
11. Es ist zwar bedeutsam, dass ein Unternehmen Maßnahmen ergreift, um künftige Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zu verhindern, doch ändert dies nichts daran, dass die festgestellte Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde. Die Kommission braucht einen solchen Umstand daher nicht als mildernd zu berücksichtigen, und zwar erst recht nicht im Fall eines offensichtlichen Verstoßes gegen Artikel 81 Absatz 1 EG.
Auch wenn die Kommission nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, einem Unternehmen als erschwerenden Umstand zur Last legen kann, dass es bereits eine oder mehrere Zuwiderhandlungen gleicher Art begangen hat, folgt hieraus nicht, dass ein Unternehmen, wenn die fragliche Zuwiderhandlung seine erste dieser Art ist, wegen eines mildernden Umstands günstiger behandelt werden muss.
(vgl. Randnrn. 299-300)
12. Um in den Genuss einer erheblich niedrigeren Festsetzung der Geldbuße nach Abschnitt C der Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen zu gelangen, muss ein Unternehmen nach Abschnitt B Buchstabe b dieser Mitteilung, auf den Abschnitt C Bezug nimmt, als Erstes Angaben machen, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung sind. Nach der Mitteilung erfüllt das Unternehmen, das die geheime Absprache bei der Kommission anzeigt, diese Voraussetzung nicht nur dann, wenn es sämtliche entscheidenden Nachweise für die Ausarbeitung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte oder gar für den Erlass einer Entscheidung liefert, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird.
(vgl. Randnrn. 319-321)
13. Um einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu vermeiden, ist die Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen dahin anzuwenden, dass die Kommission bei der Herabsetzung von Geldbußen Unternehmen, die ihr im gleichen Verfahrensstadium und unter analogen Umständen ähnliche Informationen über die ihnen zur Last gelegten Tatsachen unterbreiten, gleichbehandeln muss. Allein darin, dass eines der Unternehmen die ihnen von der Kommission im gleichen Verfahrensstadium gestellten Fragen als Erstes beantwortet und dabei die inkriminierten Tatsachen eingeräumt hat, liegt kein objektiver Grund für eine unterschiedliche Behandlung der Unternehmen.
Dies gilt jedoch nur im Rahmen einer Kooperation von Unternehmen, die nicht in den Anwendungsbereich der Abschnitte B und C der Mitteilung über Zusammenarbeit fällt.
Im Gegensatz zu diesen Abschnitten sieht nämlich Abschnitt D keine unterschiedliche Behandlung der betroffenen Unternehmen nach der Reihenfolge ihrer Zusammenarbeit mit der Kommission vor.
(vgl. Randnrn. 338-339, 341)
14. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte muss, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, dass die Betroffenen tatsächlich erkennen können, welches Verhalten ihnen die Kommission zur Last legt. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Mitteilung der Beschwerdepunkte nämlich den ihr durch die Gemeinschaftsverordnungen zugewiesenen Zweck erfüllen, den Unternehmen und Unternehmensvereinigungen alle Angaben zur Verfügung zu stellen, deren sie bedürfen, um sich wirksam verteidigen zu können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt.
Die Kommission erfüllt ihre Verpflichtung zur Wahrung des Anhörungsrechts der Unternehmen, wenn sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen festzusetzen seien, und die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte wie Schwere und Dauer der vermuteten Zuwiderhandlung sowie den Umstand anführt, ob diese „vorsätzlich oder fahrlässig“ begangen worden sei. Damit macht sie gegenüber den Unternehmen die Angaben, die diese für ihre Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Festsetzung einer Geldbuße benötigen.
Bei der Bemessung von Geldbußen werden die Verteidigungsrechte der fraglichen Unternehmen gegenüber der Kommission folglich dadurch gewahrt, dass sie sich zu Dauer, Schwere und Vorhersehbarkeit des wettbewerbswidrigen Charakters der Zuwiderhandlung äußern können.
(vgl. Randnrn. 359, 361-362)
15. Hat die Prüfung der Klagegründe, mit denen ein Unternehmen die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung der Kommission rügt, durch die ihm eine Geldbuße wegen Verletzung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln auferlegt wurde, keinen Rechtsmangel ergeben, so ist die verhängte Geldbuße im Rahmen der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Nachprüfung nicht herabzusetzen.
(vgl. Randnr. 382)
URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)
27. September 2006(*)
„Wettbewerb – Kartelle – Natriumglukonat – Artikel 81 EG – Geldbußen – Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Mitteilung über Zusammenarbeit – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Gleichbehandlung – Rückwirkungsverbot – Begründungspflicht – Rechte der Verteidigung“
In der Rechtssache T‑329/01
Archer Daniels Midland Co. mit Sitz in Decatur, Illinois (Vereinigte Staaten von Amerika), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt C. O. Lenz und L. Martin Alegi, M. Garcia und E. Batchelor, Solicitors,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Whelan, A. Bouquet und W. Wils als Bevollmächtigte,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung des Artikels 1 der Entscheidung K(2001) 2931 endg. der Kommission vom 2. Oktober 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG und Artikel 53 EWR-Abkommen (COMP/E-1/36.756 – Natriumglukonat), soweit er die Klägerin betrifft oder zumindest soweit darin festgestellt wird, dass sie nach dem 4. Oktober 1994 an einer Zuwiderhandlung teilgenommen hat, und wegen Nichtigerklärung des Artikels 3 dieser Entscheidung, soweit er die Klägerin betrifft, sowie, hilfsweise, Nichtigerklärung oder Herabsetzung der mit dieser Entscheidung gegen die Klägerin verhängten Geldbuße
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten J. Azizi sowie der Richter M. Jaeger und F. Dehousse,
Kanzler: I. Natsinas, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2004
folgendes
Urteil
Sachverhalt
1 Die Archer Daniels Midland Co. (im Folgenden: ADM oder Klägerin) ist die Muttergesellschaft eines Konzerns, der Getreide und Ölsaaten verarbeitet. Sie ist 1990 auf dem Markt für Natriumglukonat tätig geworden.
2 Natriumglukonat gehört zu den Chelatbildnern, Produkte, die in industriellen Verfahren die Metallionen inaktivieren. Diese Verfahren umfassen u. a. die industrielle Reinigung (Reinigung von Flaschen und Utensilien), die Oberflächenbehandlung (Rostschutzbehandlungen, Fettentfernung, Aluminiumätzen) und die Wasserbehandlung. Chelatbildner werden entsprechend in der Lebensmittelindustrie, der Kosmetikindustrie, der pharmazeutischen Industrie, der Papierindustrie und weiteren Industrien verwendet. Natriumglukonat wird weltweit verkauft; auf den Weltmärkten sind konkurrierende Unternehmen tätig.
3 Im Jahr 1995 betrug der Gesamtabsatz von Natriumglukonat weltweit ungefähr 58,7 Mio. Euro und im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ungefähr 19,6 Mio. Euro. Zur Zeit des Sachverhalts lag die weltweite Produktion von Natriumglukonat nahezu vollständig in den Händen von fünf Unternehmen, erstens der Fujisawa Pharmaceutical Co. Ltd (im Folgenden: Fujisawa), zweitens der Jungbunzlauer AG (im Folgenden: Jungbunzlauer), drittens der Roquette Frères SA (im Folgenden: Roquette), viertens der Glucona vof (im Folgenden: Glucona), die bis Dezember 1995 von der Akzo Chemie BV, einer 100%igen Tochtergesellschaft der Akzo Nobel NV (im Folgenden: Akzo), und der Coöperatieve Verkoop- en Productievereniging van Aardappelmeel en Derivaten Avebe BA (im Folgenden: Avebe) kontrolliert wurde, sowie fünftens ADM.
4 Im März 1997 teilte das amerikanische Justizministerium der Kommission mit, dass nach einer Untersuchung der Märkte für Lysin und Zitronensäure auch eine Untersuchung des Marktes für Natriumglukonat eingeleitet worden sei. Im Oktober und Dezember 1997 sowie im Februar 1998 wurde die Kommission darüber unterrichtet, dass Akzo, Avebe, Glucona, Roquette und Fujisawa ihre Beteiligung an einem Kartell eingestanden hatten, in dessen Rahmen sie die Preise für Natriumglukonat festgesetzt und die Absatzmengen für dieses Produkt in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern untereinander aufgeteilt hatten. Nachdem diese Unternehmen mit dem amerikanischen Justizministerium bestimmte Vereinbarungen getroffen hatten, wurden ihnen von den amerikanischen Behörden Geldbußen auferlegt. Die Geldbuße, die wegen des Kartells auf dem Markt für Natriumglukonat gegen ADM verhängt wurde, wurde in eine Gesamtbuße von 100 Mio. USD einbezogen, die im Rahmen der Kartellsachen Lysin und Zitronensäure entrichtet wurden.
5 Am 18. Februar 1998 richtete die Kommission gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), Auskunftsverlangen an die wichtigsten Hersteller, Einführer, Ausführer und Abnehmer von Natriumglukonat in Europa. ADM befand sich nicht unter den Adressaten.
6 Auf das Auskunftsverlangen hin nahm Fujisawa Kontakt mit der Kommission auf und teilte ihr mit, dass sie im Rahmen der genannten Untersuchung mit den amerikanischen Behörden zusammengearbeitet habe und auf der Grundlage der Mitteilung der Kommission vom 18. Juli 1996 über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit) auch mit der Kommission zusammenarbeiten wolle. Am 12. Mai 1998 legte Fujisawa im Anschluss an eine Zusammenkunft mit der Kommission am 1. April 1998 eine schriftliche Erklärung zusammen mit einem Dossier vor, das eine Zusammenfassung der Entwicklung des Kartells und eine Reihe von Dokumenten enthielt.
7 Am 16. und 17. September 1998 führte die Kommission Nachprüfungen gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 in den Geschäftsräumen von Avebe, Glucona, Jungbunzlauer und Roquette durch.
8 Am 10. November 1998 richtete die Kommission ein Auskunftsverlangen an ADM. Am 26. November 1998 bekundete ADM ihre Absicht, mit der Kommission zusammenzuarbeiten. Bei einer Zusammenkunft am 11. Dezember 1998 legte ADM die „erste Tranche [ihrer] Zusammenarbeit“ vor. Eine Erklärung des Unternehmens und Unterlagen zu dem Fall wurden der Kommission sodann am 21. Januar 1999 übergeben.
9 Am 2. März 1999 richtete die Kommission detaillierte Auskunftsverlangen an Glucona, Roquette und Jungbunzlauer. Mit Schreiben vom 14., 19. und 20. April 1999 teilten diese Unternehmen mit, dass sie mit der Kommission zusammenarbeiten wollten, und legten ihr bestimmte Informationen über das Kartell vor. Am 25. Oktober 1999 richtete die Kommission zusätzliche Auskunftsverlangen an ADM, Fujisawa, Glucona, Roquette und Jungbunzlauer.
10 Am 17. Mai 2000 sandte die Kommission ADM und den übrigen betroffenen Unternehmen auf der Grundlage der ihr übermittelten Informationen eine Mitteilung der Beschwerdepunkte wegen Verstoßes gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (im Folgenden: EWR-Abkommen). ADM und alle übrigen betroffenen Unternehmen nahmen zu den Beschwerdepunkten der Kommission schriftlich Stellung. Keiner der Beteiligten beantragte eine Anhörung oder bestritt die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegten Tatsachen.
11 Am 11. Mai 2001 sandte die Kommission ADM und den übrigen betroffenen Unternehmen nochmals zusätzliche Auskunftsverlangen.
12 Am 2. Oktober 2001 erließ die Kommission die Entscheidung K(2001) 2931 endg. in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (COMP/E-1/36.756 – Natriumglukonat) (im Folgenden: Entscheidung). Die Entscheidung wurde ADM mit Schreiben vom 12. Oktober 2001 zugestellt.
13 Die Entscheidung enthält u. a. folgende Bestimmungen:
„Artikel 1
[Akzo], [ADM], [Avebe], [Fujisawa], [Jungbunzlauer] und [Roquette] haben gegen Artikel 81 Absatz 1 [EG] bzw. – seit dem 1. Januar 1994 – Artikel 53 Absatz 1 EWR-Abkommen verstoßen, indem sie an einer fortdauernden Vereinbarung und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweise im Natriumglukonatsektor mitgewirkt haben.
Die Dauer der Zuwiderhandlung war folgende:
– im Falle von [Akzo], [Avebe], [Fujisawa] und [Roquette] von Februar 1987 bis Juni 1995;
– im Falle von [Jungbunzlauer] von Mai 1988 bis Juni 1995 und
– im Falle von [ADM] von Juni 1991 bis Juni 1995.
…
Artikel 3
Wegen der in Artikel 1 genannten Zuwiderhandlung werden folgende Geldbußen verhängt:
a) [Akzo] 9 Mio. EUR
b) [ADM] 10,13 Mio. EUR
c) [Avebe] 3,6 Mio. EUR
d) [Fujisawa] 3,6 Mio. EUR
e) [Jungbunzlauer] 20,4 Mio. EUR
f) [Roquette] 10,8 Mio. EUR
…“
14 Bei der Bemessung der Geldbußen wandte die Kommission in der Entscheidung die Methode an, die in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), beschrieben ist, sowie die Mitteilung über Zusammenarbeit.
15 Als Erstes ermittelte die Kommission anhand der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung den Grundbetrag der Geldbuße.
16 Dabei stellte die Kommission zur Schwere der Zuwiderhandlung zunächst fest, dass die betroffenen Unternehmen unter Berücksichtigung der Art der Zuwiderhandlung, ihrer konkreten Auswirkungen auf den Natriumglukonatmarkt im EWR und des Umfangs des betreffenden räumlichen Marktes einen sehr schweren Verstoß begangen hätten (Randnr. 371 der Entscheidung).
17 Weiter vertrat die Kommission die Auffassung, dass der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit, dem Wettbewerb Schaden zuzufügen, Rechnung zu tragen und die Geldbuße in einer Höhe festzusetzen sei, die eine hinreichende Abschreckungswirkung gewährleiste. Unter Zugrundelegung des weltweiten Umsatzes, den die betroffenen Unternehmen im Jahr 1995, dem letzten Jahr der Zuwiderhandlung, durch den Verkauf von Natriumglukonat erzielt hatten und den sie auf die Auskunftsverlangen hin der Kommission mitgeteilt hatten, die anhand dessen die Marktanteile der einzelnen Unternehmen berechnet hatte, teilte die Kommission die Unternehmen in zwei Gruppen ein. Der ersten Gruppe ordnete sie die Unternehmen zu, die nach den ihr vorliegenden Zahlen Anteile von mehr als 20 % am weltweiten Natriumglukonatmarkt hielten, und zwar Fujisawa (35,54 %), Jungbunzlauer (24,75 %) sowie Roquette (20,96 %). Gegen diese Unternehmen setzte die Kommission einen Ausgangsbetrag von 10 Mio. Euro fest. Der zweiten Gruppe ordnete sie die Unternehmen zu, die nach den ihr vorliegenden Zahlen Anteile von weniger als 10 % am weltweiten Natriumglukonatmarkt hielten, nämlich Glucona (ungefähr 9,5 %) und ADM (9,35 %). Gegen diese Unternehmen setzte die Kommission einen Ausgangsbetrag von 5 Mio. Euro fest, gegen Akzo und Avebe, die gemeinsam Glucona besaßen, damit jeweils 2,5 Mio. Euro (Randnr. 385 der Entscheidung).
18 Diesen Ausgangsbetrag passte die Kommission an, um zu gewährleisten, dass die Geldbußen hinreichend abschreckende Wirkung hätten, und um die Tatsache zu berücksichtigen, dass Großunternehmen juristische und wirtschaftliche Kenntnisse und Infrastrukturen hätten, die es ihnen erleichterten, ihr Verhalten als Zuwiderhandlung zu erkennen und die entsprechenden wettbewerbsrechtlichen Folgerungen daraus zu ziehen. Angesichts der Größe und der Gesamtressourcen der betroffenen Unternehmen wandte die Kommission deshalb einen Multiplikationskoeffizienten von 2,5 auf die für ADM und Akzo ermittelten Ausgangsbeträge an und erhöhte diesen Betrag entsprechend auf 12,5 Mio. Euro im Fall von ADM und auf 6,25 Mio. Euro im Fall von Akzo (Randnr. 388 der Entscheidung).
19 Um der Dauer der Zuwiderhandlung der einzelnen Unternehmen Rechnung zu tragen, wurde der so ermittelte Ausgangsbetrag pro Jahr um 10 % erhöht, d. h. um 80 % im Fall von Fujisawa, Akzo, Avebe und Roquette, 70 % im Fall von Jungbunzlauer und 35 % im Fall von ADM (Randnrn. 389 bis 392 der Entscheidung).
20 Gegen ADM setzte die Kommission auf diese Weise einen Grundbetrag von 16,88 Mio. Euro fest. Im Fall von Akzo, Avebe, Fujisawa, Jungbunzlauer und Roquette wurden Grundbeträge von 11,25, 4,5, 18, 17 und 18 Mio. Euro festgesetzt (Randnr. 396 der Entscheidung).
21 Als Zweites wurde wegen erschwerender Umstände der Grundbetrag der Geldbuße von Jungbunzlauer um 50 % erhöht, weil dieses Unternehmen als Anführer des Kartells gehandelt habe (Randnr. 403 der Entscheidung).
22 Als Drittes prüfte und verwarf die Kommission das Vorbringen einiger Unternehmen, dass ihnen mildernde Umstände zuzubilligen seien (Randnrn. 404 bis 410 der Entscheidung).
23 Als Viertes gewährte die Kommission Fujisawa gemäß Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit eine „wesentlich niedrigere Festsetzung“ (80 %) der Geldbuße, die ohne Zusammenarbeit gegen sie verhängt worden wäre. ADM erfüllte nach Ansicht der Kommission nicht die in Abschnitt C der Mitteilung genannten Voraussetzungen für eine „erheblich niedrigere Festsetzung“ ihrer Geldbuße. Gemäß Abschnitt D der Mitteilung gewährte die Kommission ADM und Roquette (jeweils 40 %) sowie Akzo, Avebe und Jungbunzlauer (jeweils 20 %) eine „spürbar niedrigere Festsetzung“ der Geldbuße (Randnrn. 418, 423, 426 und 427 der Entscheidung).
Verfahren und Anträge der Parteien
24 ADM hat mit Klageschrift, die am 21. Dezember 2001 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
25 Das Gericht (Dritte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und den Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Artikel 64 seiner Verfahrensordnung schriftliche Fragen gestellt, die die Parteien fristgerecht beantwortet haben.
26 Die Parteien haben in der Sitzung vom 18. Februar 2004 mündlich verhandelt.
27 Mit Schreiben vom 21. Juli 2006 hat ADM beantragt, in die Prüfung des Gerichts einen neuen Klagegrund einzubeziehen, der auf die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien von 2006) gestützt ist. Die Klägerin macht geltend, es handele sich bei den Leitlinien von 2006 um einen rechtlichen und tatsächlichen Grund im Sinne von Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts, der erst während des Verfahrens zutage getreten sei. Mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz einer ordnungsgemäßen Rechtspflege hat das Gericht, ohne das Verfahren wiederzueröffnen, die Kommission aufgefordert, zu diesem Antrag der Klägerin Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 11. August 2006 hat die Kommission mitgeteilt, dass dem Antrag ihrer Auffassung nach nicht stattzugeben sei.
28 ADM beantragt,
– Artikel 1 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft oder zumindest soweit darin festgestellt wird, dass sie an einer Zuwiderhandlung nach dem 4. Oktober 1994 beteiligt war;
– Artikel 3 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft;
– hilfsweise, die gegen sie verhängte Geldbuße für nichtig zu erklären oder erheblich herabzusetzen;
– der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
29 Die Kommission beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– ADM die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
30 Die von ADM geltend gemachten Klagegründe, die sich alle auf die Festsetzung der Höhe der gegen sie verhängten Geldbuße beziehen, betreffen erstens die Anwendbarkeit der Leitlinien auf den vorliegenden Fall, zweitens die Schwere der Zuwiderhandlung, drittens die Dauer der Zuwiderhandlung, viertens das Vorliegen mildernder Umstände, fünftens ihre Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren und sechstens die Wahrung der Verteidigungsrechte.
A – Zur Anwendbarkeit der Leitlinien
1. Zur Verletzung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des für Strafen geltenden Rückwirkungsverbots
a) Vorbringen der Parteien
31 ADM macht geltend, dass sich die durch die Leitlinien eingeführte Berechnungsmethode für Geldbußen radikal von der vorherigen Praxis der Kommission unterscheide, die – wie die Kommission in der Entscheidung (Randnr. 395) eingeräumt habe – darin bestanden habe, dass die Geldbuße entsprechend einem Grundbetrag festgesetzt worden sei, der einem bestimmten Prozentsatz der Umsätze auf dem relevanten Gemeinschaftsmarkt entsprochen habe. Demgegenüber sei durch die Leitlinien ein von dem Umsatz mit dem betroffenen Produkt unabhängiger Bußgeldbetrag von beispielsweise 20 Mio. Euro für besonders schwere Verstöße eingeführt worden.
32 In Befolgung ihrer bisherigen ständigen Praxis habe die Kommission in dem Zeitraum (von 1991 bis 1994 oder von 1991 bis 1995), der von der vorliegenden Kartellsache betroffen sei, im Allgemeinen Geldbußen verhängt, deren Höhe zwischen 2 % und 9 % des Umsatzes mit dem in Frage stehenden Produkt auf dem Gemeinschaftsmarkt betragen habe. Dagegen führe die Anwendung der neuen, sich aus den Leitlinien ergebenden Politik zu Geldbußen, die 43‑ bis 153‑mal höher ausfielen als nach der vorherigen Praxis.
33 Gewiss verfüge die Kommission über die Befugnis, Geldbußen nach ihrem Ermessen zu erhöhen, wenn die wettbewerbsrechtliche Politik eine Verhängung von Geldbußen mit erhöhter Abschreckungswirkung erfordere. Mit der Festsetzung von Geldbußen, deren Betrag zwischen 43‑ und 153‑mal höher sei, als er nach der vorherigen Praxis gewesen wäre, habe die Kommission diesen Ermessensspielraum aber offenkundig überschritten. Entgegen der Argumentation der Kommission werde dies durch das Urteil des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T‑16/99 (Lögstör Rör/Kommission, Slg. 2002, II‑1633, Randnr. 237) gerade bestätigt. Zum einen habe das Gericht darin die für die Kommission bestehende Möglichkeit, das Niveau von Geldbußen innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, der Voraussetzung unterstellt, dass dies erforderlich sei, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen. Weder in der Entscheidung noch in ihren Schriftsätzen habe die Kommission jedoch dargelegt oder den Beweis angetreten, dass die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik die Verhängung von Geldbußen erfordere, die 43‑ bis 153‑mal höher seien als nach der vorherigen Praxis. Außerdem habe sie in dem Fall, der dem genannten Urteil zugrunde gelegen habe, ebenso wie in allen anderen Fällen des Fernwärmerohre-Kartells – außer in dem von ABB – Geldbußen von vergleichbarer Höhe wie nach ihrer vorherigen Praxis verhängt. Gegen die an dem Fernwärmerohre-Kartell beteiligten Unternehmen seien nämlich Geldbußen in Höhe von nur 3 bis 14 % der betreffenden Umsätze verhängt worden, und sogar die gegen ABB verhängte Geldbuße sei nicht höher gewesen als 44 % ihres in Frage stehenden Umsatzes.
34 Die Klägerin hebt hervor, dass Unternehmen in der Lage sein müssten, unter vorhersehbaren Bedingungen geschäftlich zu operieren. Wie auch in den Leitlinien (Absatz 1) gesagt werde, müsse die Kommission eine kohärente und nichtdiskriminierende politische Linie einhalten. Das Fehlen von Rechtssicherheit bei der Bußgeldbemessung sei unvereinbar mit dem Gedanken einer wirksamen Herbeiführung der abschreckenden Wirkung von Geldbußen. Eine Geldbuße könne im Einzelfall abschreckende Wirkung nur dann entfalten, wenn den Unternehmen die anwendbaren Sanktionen im Voraus bekannt seien. Eine wirksame Amnestie oder Kronzeugenregelung setzten voraus, dass die bei Verweigerung der Zusammenarbeit geltenden Sanktionen klar im Voraus feststünden. Es erscheine auch verfehlt, Unternehmen – insbesondere angesichts der erheblichen Zeit, die die Untersuchung solcher Zuwiderhandlungen in Anspruch nehme – in einem Zustand fortwährender Ungewissheit über die Höhe der Geldbußen für wettbewerbliche Zuwiderhandlungen zu halten. Es sei deshalb ein Gebot des Grundsatzes der Rechtssicherheit, dass die Kommission bei der Bemessung von Geldbußen nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 einen gewissen Grad an Vorhersehbarkeit gewährleiste.
35 So sei etwa durch die US Sentencing Guidelines (Section 1B1.11[b][1]) und die Rechtsprechung eines amerikanischen Bundesgerichts (Urteil United States v. Kimler, 167 F. 3d 889 [5th Circ. 1999]) klargestellt worden, dass eine rückwirkende Anwendung neuer Leitlinien über Geldbußen durch das in der Verfassung der Vereinigten Staaten niedergelegte Rückwirkungsverbot untersagt sei, wenn dies eine höhere Sanktion zur Folge hätte, als sie im Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung angedroht war.
36 Die rückwirkende Anwendung der neuen, in den Leitlinien festgelegten Politik auf eine Zuwiderhandlung, die vor deren Veröffentlichung begangen worden sei, mit der Folge, dass gegen ADM eine derart höhere Geldbuße als nach der vorherigen Praxis verhängt werde, ohne dass dieser Sprung erforderlich sei, um die Einhaltung der Wettbewerbspolitik durchzusetzen, verletze daher den Grundsatz der Rechtssicherheit und sei damit rechtswidrig.
37 Die Kommission weist diesen Klagegrund zurück.
b) Würdigung durch das Gericht
38 Das Gericht erinnert zunächst daran, dass das in Artikel 7 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) als Grundrecht gewährleistete Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts bildet, der bei der Verhängung von Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln einzuhalten ist. Nach diesem Grundsatz müssen die verhängten Sanktionen denen entsprechen, die zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung vorgesehen waren (Urteil des Gerichtshofes vom 28. Juni 2005 in den Rechtssachen C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 202; Urteile des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T‑23/99, LR AF 1998/Kommission, Slg. 2002, II‑1705, Randnrn. 218 bis 221, und vom 9. Juli 2003 in der Rechtssache T‑224/00, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Slg. 2003, II‑2597, Randnr. 39).
39 Das Gericht stellt weiter fest, dass der Erlass der Leitlinien, die geeignet sind, die allgemeine Wettbewerbspolitik der Kommission auf dem Gebiet von Geldbußen zu ändern, grundsätzlich in den Geltungsbereich des Rückwirkungsverbots fallen kann.
40 Denn zum einen können die Leitlinien Rechtswirkungen entfalten. Diese Rechtswirkungen ergeben sich nicht daraus, dass die Leitlinien selbst Normcharakter hätten, sondern daraus, dass sie von der Kommission erlassen und veröffentlicht worden sind. Der Erlass und die Veröffentlichung der Leitlinien bewirken eine Selbstbeschränkung der Kommission in der Ausübung ihres Ermessens. Die Kommission kann von den Leitlinien nicht mehr abweichen, ohne dass dies gegebenenfalls als Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die der Gleichbehandlung, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit geahndet wird (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnrn. 209 bis 212).
41 Zum anderen fallen die Leitlinien als Instrument einer Wettbewerbspolitik ebenso in den Geltungsbereich des Rückwirkungsverbots wie nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Artikel 7 Absatz 1 EMRK (vgl. insbesondere EGMR, Urteile S. W. und C. R./Vereinigtes Königreich vom 22. November 1995, Série A, Nrn. 335‑B und 335‑C, Randnrn. 34 bis 36 und 32 bis 34, Cantoni/Frankreich vom 15. November 1996, Recueil des arrêts et décisions 1996‑V, Randnrn. 29 bis 32, und Coëme u. a./Belgien vom 22. Juni 2000, Recueil des arrêts et décisions 2000‑VII, Randnr. 145) die neue gerichtliche Auslegung einer Norm, die eine Zuwiderhandlung festlegt. Nach dieser Rechtsprechung steht Artikel 7 Absatz 1 EMRK der rückwirkenden Anwendung einer neuen Auslegung einer solchen Norm entgegen. Das ist nach dieser Rechtsprechung insbesondere dann der Fall, wenn es sich um eine richterliche Auslegung handelt, deren Ergebnis zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung insbesondere unter Berücksichtigung der Auslegung, die zu dieser Zeit in der Rechtsprechung zur fraglichen Rechtsvorschrift vertreten wurde, nicht hinreichend vorhersehbar war. Allerdings hängt nach dieser Rechtsprechung die Bedeutung des Begriffes der Vorhersehbarkeit in hohem Maß ab vom Inhalt der in Rede stehenden Vorschrift, von dem durch sie geregelten Bereich sowie von der Zahl und der Eigenschaft ihrer Adressaten. Der Vorhersehbarkeit des Gesetzes steht es indessen nicht entgegen, dass die betreffende Person gezwungen wird, fachkundigen Rat einzuholen, um unter den Umständen des konkreten Falles angemessen zu beurteilen, welche Folgen sich aus einer bestimmten Handlung ergeben können. Das gilt nach dem Urteil Cantoni/Frankreich (Randnr. 35) insbesondere für berufsmäßig tätige Personen, die gewohnt sind, sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sehr umsichtig verhalten zu müssen. Von ihnen kann daher erwartet werden, dass sie die Risiken ihrer Tätigkeit besonders sorgfältig beurteilen (oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnrn. 215 bis 223).
42 Demnach ist zu prüfen, ob die in dem Erlass der Leitlinien liegende Änderung zur Zeit der Begehung der in Frage stehenden Zuwiderhandlungen hinreichend vorhersehbar war.
43 Die hauptsächliche Neuerung der Leitlinien besteht darin, dass als Ausgangspunkt der Berechnung Grundbeträge verwendet werden, die innerhalb von hierfür in den Leitlinien vorgesehenen Spannen festgelegt werden, wobei diese Spannen verschiedenen Schweregraden der Zuwiderhandlungen entsprechen, als solche aber keinen Bezug zum relevanten Umsatz aufweisen. Diese Methode beruht somit im Wesentlichen auf einer – wenn auch relativen und flexiblen – Tarifierung der Geldbußen (oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 225).
44 Ferner ist daran zu erinnern, dass die Kommission dadurch, dass sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert ist, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen. Vielmehr verlangt es die wirksame Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln, dass die Kommission das Niveau der Geldbußen jederzeit den Erfordernissen dieser Politik anpassen kann (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 227, Urteile des Gerichtshofes vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 109, und vom 2. Oktober 2003 in der Rechtssache C‑196/99 P, Aristrain/Kommission, Slg. 2003, I‑11005, Randnr. 81; Urteile des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T‑12/89, Solvay/Kommission, Slg. 1992, II‑907, Randnr. 309, und vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑304/94, Europa Carton/Kommission, Slg. 1998, II‑869, Randnr. 89; oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 56).
45 Dementsprechend können Unternehmen, die von einem Verwaltungsverfahren betroffen sind, das zu einer Geldbuße führen kann, weder darauf vertrauen, dass die Kommission das zuvor praktizierte Bußgeldniveau nicht überschreiten wird, noch auf eine bestimmte Methode für die Berechnung der Geldbußen (oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 228).
46 Die betreffenden Unternehmen müssen sich folglich dessen bewusst sein, dass die Kommission jederzeit beschließen kann, das Niveau der Geldbußen gegenüber dem in der Vergangenheit praktizierten Niveau anzuheben. Das gilt nicht nur dann, wenn die Kommission das Niveau der Geldbußen durch deren Verhängung in Einzelentscheidungen anhebt, sondern auch dann, wenn diese Anhebung dadurch erfolgt, dass Verhaltensnormen mit allgemeiner Geltung wie die Leitlinien auf konkrete Fälle angewandt werden (oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnrn. 229 und 230).
47 Vorbehaltlich der Ausführungen unten in den Randnummern 99 ff. macht ADM daher zu Unrecht im Wesentlichen geltend, dass die Anhebung des Bußgeldniveaus durch die Kommission im Zusammenhang mit dem Kartell offensichtlich außer Verhältnis zu dem Ziel stehe, die Durchführung der Wettbewerbspolitik zu gewährleisten.
48 Auch der von ADM angeführte Umstand, dass die Anwendung der neuen Politik zu Geldbußen führe, deren Beträge zwischen 43‑ und 153‑mal höher seien als die Geldbußen, die nach der vorherigen Praxis verhängt worden wären, ist – selbst wenn er als wahr unterstellt wird – nicht geeignet, eine Verletzung des Rückwirkungsverbots zu begründen. Bei Berücksichtigung insbesondere der oben in Randnummer 41 zitierten Rechtsprechung war es für ADM hinreichend vorhersehbar, dass die Kommission im Rahmen der Durchführung einer anderen Wettbewerbspolitik die allgemeine Höhe der Geldbußen jederzeit ändern könnte. ADM konnte damit eine derartige Anhebung – wenn sie als wahr unterstellt wird – zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung hinreichend vorhersehen.
49 Soweit ADM schließlich geltend macht, es sei zur Gewährleistung einer abschreckenden Wirkung der Geldbußen unerlässlich, dass den Unternehmen im Voraus das Niveau der Geldbußen bekannt sei, auf das sie sich bei der Zuwiderhandlung gegen Wettbewerbsregeln einstellen müssten, genügt der Hinweis, dass die abschreckende Wirkung von Geldbußen keineswegs voraussetzt, dass Unternehmen im Voraus das genaue Niveau der bei einer bestimmten wettbewerblichen Zuwiderhandlung zu erwartenden Geldbuße kennen.
50 Der Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit und des für Strafen geltenden Rückwirkungsverbots ist daher zurückzuweisen.
2. Zur Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
a) Vorbringen der Parteien
51 Nach Auffassung von ADM verletzt die Anwendung der Leitlinien den Grundsatz der Gleichbehandlung, weil sie Unternehmen, die eine Zuwiderhandlung gegen das geltende Wettbewerbsrecht begangen hätten, nicht nach dem Datum der Zuwiderhandlung, sondern nach dem von der Kommission willkürlich gewählten Datum des Erlasses ihrer Entscheidung ungleich behandele. So seien beispielsweise gegen die Unternehmen, die von der Entscheidung 97/624/EG der Kommission vom 14. Mai 1997 in einem Verfahren nach Artikel [82 EG] (IV/34.621, 35.059/F‑3 ─ Irish Sugar plc) (ABl. L 258, S. 1) und der Entscheidung 94/210/EG der Kommission vom 29. März 1994 in einem Verfahren zur Anwendung von Artikel [81 EG] und [82 EG] (IV/33.941 – HOV-SVZ/MCN) (ABl. L 104, S. 34) betroffen gewesen seien, Geldbußen in Höhe von nur 6,8 % und 5 % des Absatzes auf dem in Frage stehenden Markt verhängt worden, obgleich diese Zuwiderhandlungen zur gleichen Zeit wie das Kartell für Natriumglukonat begangen worden seien
52 Die Kommission weist diesen Klagegrund zurück.
b) Würdigung durch das Gericht
53 Nach ständiger Rechtsprechung kann die Anwendung der in den Leitlinien beschriebenen Methode für die Berechnung der Höhe der Geldbuße keine Diskriminierung gegenüber Unternehmen darstellen, die im selben Zeitraum Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft begingen, jedoch aufgrund des Zeitpunkts der Aufdeckung der Zuwiderhandlung oder des Ablaufs des sie betreffenden Verwaltungsverfahrens vor dem Erlass und der Veröffentlichung der Leitlinien bestraft wurden (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnrn. 69 bis 73; Urteil des Gerichts vom 12. Juli 2001 in den Rechtssachen T‑202/98, T‑204/98 und T‑207/98, Tate & Lyle u. a./Kommission, Slg. 2001, II‑2035, Randnrn. 118 und 119).
54 Aus den Gründen, die in den in der vorstehenden Randnummer zitierten Urteilen dargelegt sind, ist der Klagegrund einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes folglich ebenfalls zurückzuweisen.
B – Zur Schwere der Zuwiderhandlung
1. Einleitung
55 Nach Auffassung von ADM hat die Kommission bei der Berechnung der Höhe der Geldbuße die Schwere der Zuwiderhandlung nicht fehlerfrei beurteilt. Mit den Klagegründen, die ADM insoweit vorbringt, rügt sie erstens die fehlende oder ungenügende Berücksichtigung des Umsatzes aus dem Verkauf des in Frage stehenden Produkts, zweitens die fehlende oder unzureichende Berücksichtigung der begrenzten Größe des Marktes für Natriumglukonat, drittens die doppelte Berücksichtigung des Erfordernisses einer abschreckenden Wirkung der Geldbuße, viertens die fehlerhafte Anwendung eines Multiplikators für die Erhöhung des Ausgangsbetrags und fünftens die fehlerhafte Beurteilung der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt.
56 Vor der Prüfung, ob diese Klagegründe durchgreifen, ist zusammenzufassen, welche Methode die Kommission im vorliegenden Fall ausweislich ihrer Entscheidung befolgte, um die Schwere der Zuwiderhandlung zu beurteilen und zu berücksichtigen.
57 Aus der Entscheidung geht hervor, dass die Kommission im Rahmen der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung zunächst die Auffassung vertrat, dass die betroffenen Unternehmen unter Berücksichtigung der Art der Zuwiderhandlung, ihrer konkreten Auswirkungen auf den Natriumglukonatmarkt im EWR und des Umfangs des betreffenden räumlichen Marktes einen sehr schweren Verstoß begangen hätten, durch den der gesamte EWR beeinträchtigt worden sei (Randnrn. 334 bis 371 der Entscheidung).
58 Weiter war die Kommission der Ansicht, dass die betroffenen Unternehmen „unterschiedlich zu behandeln [sind], um ihrer tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit, dem Wettbewerb einen spürbaren Schaden zuzufügen, Rechnung zu tragen und die Geldbuße auf eine Höhe festzusetzen, die eine hinreichende Abschreckungswirkung gewährleistet“. In diesem Zusammenhang erläuterte die Kommission, dass sie das jeweilige Gewicht und damit die tatsächliche Auswirkung des rechtswidrigen Verhaltens jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb berücksichtigen werde (Randnrn. 378 und 379 der Entscheidung).
59 Bei der Beurteilung dieser Gesichtspunkte legte die Kommission den Umsatz zugrunde, den die betroffenen Unternehmen im letzten Jahr der Zuwiderhandlung, 1995, weltweit durch den Verkauf von Natriumglukonat erzielt hatten. Die Kommission stellte hierzu fest: „Da es sich [bei Natriumglukonat] um einen weltweiten Markt handelt, ergeben diese Zahlen das umfassendste Bild des Vermögens der beteiligten Unternehmen, anderen Wirtschaftsbeteiligten im Gemeinsamen Markt und/oder dem EWR einen erheblichen Schaden zuzufügen“ (Randnr. 381 der Entscheidung). Dieses Vorgehen werde durch die Tatsache gestützt, dass es sich um ein weltweit tätiges Kartell gehandelt habe, dessen Zweck u. a. die Zuteilung der weltweiten Märkte gewesen sei, um dadurch die Wettbewerbsreserven vom EWR-Markt fernzuhalten. Außerdem enthalte der Weltumsatz eines Kartellteilnehmers auch einen Hinweis auf seinen Beitrag zur Wirksamkeit des Kartells insgesamt bzw. auf die Instabilität, die das Kartell bei seiner Nichtteilnahme getroffen hätte (Randnr. 381 der Entscheidung).
60 Auf dieser Grundlage bildete die Kommission zwei Gruppen von Unternehmen, zum einen die Gruppe der „drei wichtigsten Hersteller von [Natriumglukonat] mit weltweiten Marktanteilen über 20 %“ und zum anderen die der Unternehmen, „die wesentlich geringere Anteile am weltweiten [Natriumglukonatmarkt] hielten (weniger als 10 %)“ (Randnr. 382 der Entscheidung). Die Kommission setzte gegen die Unternehmen der ersten Gruppe, d. h. Fujisawa, Jungbunzlauer und Roquette mit Marktanteilen von ungefähr 36 %, 25 % und 21 %, einen Ausgangsbetrag von 10 Mio. Euro fest und gegen die Unternehmen der zweiten Gruppe, Glucona und ADM, die Marktanteile von ungefähr 9 % hielten, einen Ausgangsbetrag von 5 Mio. Euro. Da Glucona im gemeinsamen Besitz von Akzo und Avebe stand, setzte die Kommission gegen jede dieser Gesellschaften einen Grundbetrag von 2,5 Mio. Euro fest (Randnr. 385 der Entscheidung).
61 Schließlich passte die Kommission diesen Ausgangsbetrag an, um zu gewährleisten, dass die Geldbußen hinreichend abschreckende Wirkung hätten, und um die Tatsache zu berücksichtigen, dass Großunternehmen juristische und wirtschaftliche Kenntnisse und Infrastrukturen hätten, die es ihnen erleichterten, ihr Verhalten als Zuwiderhandlung zu erkennen und die entsprechenden wettbewerbsrechtlichen Folgerungen daraus zu ziehen. Angesichts der Größe und der Gesamtressourcen der betroffenen Unternehmen wandte die Kommission deshalb einen Multiplikationskoeffizienten von 2,5 auf die für ADM und Akzo ermittelten Ausgangsbeträge an und setzte dementsprechend den Betrag der Geldbuße anhand der Schwere der Zuwiderhandlung auf 12,5 Mio. Euro im Fall von ADM und 6,25 Mio. Euro im Fall von Akzo fest (Randnr. 388 der Entscheidung).
2. Zur fehlenden oder unzureichenden Berücksichtigung des Umsatzes aus dem Verkauf des in Frage stehenden Produkts
a) Vorbringen der Parteien
62 Die Klägerin wirft der Kommission vor, dass sie ihren Umsatz aus dem Verkauf des in Frage stehenden Produkts für die Berechnung der Höhe der Geldbuße nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt habe.
63 Die Klägerin macht geltend, dass der mit dem fraglichen Produkt erzielte Umsatz für die Bemessung von Geldbußen nach der Rechtsprechung des Gerichts ein wesentlicher Gesichtspunkt sei (Urteile des Gerichts vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache T‑77/92, Parker Pen/Kommission, Slg. 1994, II‑549, Randnrn. 92 bis 95, vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen T‑24/93 bis T‑26/93 und T‑28/93, Compagnie maritime belge transports u. a./Kommission, Slg. 1996, II‑1201, Randnr. 233, vom 21. Oktober 1997 in der Rechtssache T‑229/94, Deutsche Bahn/Kommission, Slg. 1997, II‑1689, Randnr. 127, und vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑327/94, SCA Holding/Kommission, Slg. 1998, II‑1373, Randnr. 176).
64 Die Berücksichtigung des Umsatzes mit dem betroffenen Produkt im EWR sei eine geeignete Grundlage für die Beurteilung, inwieweit der Wettbewerb auf dem betroffenen Produktmarkt in der Gemeinschaft geschädigt worden sei und welche relative Bedeutung den Kartellteilnehmern für die in Frage stehenden Produkte zukomme. Dieser Schluss werde durch die Rechtsprechung des Gerichts gestützt (oben in Randnr. 44 zitiertes Urteil Europa Carton/Kommission, Randnr. 126, und Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑309/94, KNP BT/Kommission, Slg. 1998, II‑1007, Randnr. 108, im Rechtsmittelverfahren bestätigt durch Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 2000 in der Rechtssache C‑248/98 P, KNP BT/Kommission, Slg. 2000, I‑9641).
65 Ferner werde durch das Urteil des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T‑9/99 (HFB u. a./Kommission, Slg. 2002, II‑1487, Randnr. 442) bestätigt, dass eine unverhältnismäßige Berücksichtigung der Gesamtgröße eines Unternehmens für die Bemessung der Geldbuße rechtswidrig sei.
66 Auch in ihrer Entscheidungspraxis der letzten Jahre in mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbaren Kartellsachen (Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag [IV/C/33.833 – Karton], ABl. L 243, S. 1, Entscheidung 94/815/EG der Kommission vom 30. November 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag [Sache IV/33.126 und 33.322 – Zement], ABl. L 343, S. 1, Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags [IV/31.149 – Polypropylen], ABl. L 230, S. 1, Entscheidung 89/515/EWG der Kommission vom 2. August 1989 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag [IV/31.553 – Betonstahlmatten], ABl. L 260, S. 1, und Entscheidung 94/215/EGKS der Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von europäischen Trägerherstellern, ABl. L 116, S. 1) habe sich die Kommission, wie sie im Übrigen in der Entscheidung (Randnr. 395) selbst anerkannt habe, auf den Umfang des Umsatzes mit dem in Frage stehenden Produkt auf dem Gemeinschaftsmarkt gestützt. Unter Heranziehung dieses Berechnungskriteriums habe die Kommission in diesen Entscheidungen Geldbußen in Höhe von zwischen 2 % und 9 % des Umsatzes der betroffenen Unternehmen mit dem in Frage stehenden Produkt festgesetzt. Hätte die Kommission dieses Berechnungskriterium auch im vorliegenden Fall zugrunde gelegt, so hätte sie der Klägerin eine Geldbuße zwischen 66 000 und 236 000 Euro auferlegt. Infolge der Aufgabe dieses Berechnungskriteriums habe die Kommission hingegen im vorliegenden Fall Geldbußen verhängt, die zwischen 43‑ und 153‑mal höher seien als die Geldbußen, die sie nach der genannten Grundlage festgesetzt hätte.
67 Die Klägerin meint, die Vorgehensweise der Kommission habe zur Folge, dass im Fall eines geringwertigen Nebenprodukts die gleichen Sanktionen verhängt würden wie im Fall eines Kartells für eine hochwertige und wirtschaftlich bedeutende Ware. Ihr beschränkter Umsatz aus dem Verkauf von Natriumglukonat sei von der Kommission in keinem Schritt ihrer Berechnung der Geldbuße hinreichend berücksichtigt worden.
68 Selbst wenn man auf ihre Verkäufe von Natriumglukonat im EWR während der gesamten Zeit der Zuwiderhandlung – und nicht nur während eines Jahres – abstelle, bleibe die von der Kommission festgesetzte Geldbuße offensichtlich unverhältnismäßig. So habe sie aus dem Verkauf von Natriumglukonat im EWR zwischen Juni 1991 und Juni 1995 (also während der von der Kommission behaupteten Dauer der Zuwiderhandlung) nur einen Umsatz von 7,83 Mio. Euro erzielt. Die Geldbuße belaufe sich auf 216 % dieses Betrages. Von Juni 1991 bis Oktober 1994 (also in dem Zeitraum, in dem die Klägerin nach ihrer eigenen Auffassung am Kartell teilnahm) habe sie aus dem Verkauf von Natriumglukonat im EWR einen Umsatz von etwa 5,96 Mio. Euro erzielt, womit sich die Geldbuße auf 283 % des Produktumsatzes belaufe. Von welchem Zeitraum der Beteiligung der Klägerin an dem Kartell auch immer man ausgehe, überschreite die Geldbuße jedenfalls um mehr als 200 % den Gesamtwert aller Verkäufe in der ganzen Zeit der Kartellbeteiligung der Klägerin. Zu einer Geldbuße in Höhe von 644 % des jährlichen Verkaufs käme man nach der Methode der amerikanischen Kartellbehörden, auf die sich die Kommission beziehe, nur dann, wenn das Kartell 32 Jahre (und nicht nur weniger als vier Jahre) bestanden hätte.
69 Die Kommission habe daher nicht nur die leitenden Grundsätze der Rechtsprechung, sondern auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.
70 Ferner heiße es in den Leitlinien, es sei „nötig …, die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, Wettbewerber und den Verbraucher wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen“, und „die tatsächliche Auswirkung des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen“.
71 Die wirtschaftlichen Auswirkungen, sei es auf den Wettbewerb oder auf andere Wirtschaftsteilnehmer, könnten aber nur nach dem Volumen der Verkäufe des in Frage stehenden Produkts beurteilt werden. Nur wenn man diese Verkäufe berücksichtige, lasse sich der Umfang der potenziellen Schädigung der Verbraucher und des Wettbewerbs durch wettbewerbswidrige Aufschläge oder andere rechtswidrige Gewinne abschätzen.
72 Da die Kommission den Umsatz aus dem Verkauf des in Frage stehenden Produkts außer Betracht gelassen habe, habe sie somit ihre eigenen Leitlinien nicht fehlerfrei angewandt.
73 Schließlich habe die Kommission, da sie für die Nichtberücksichtigung der Verkäufe der Klägerin auf dem fraglichen Produktmarkt im EWR in ihrer Entscheidung keine speziellen Gründe angegeben habe, auch die Begründungspflicht verletzt.
74 Die Kommission weist diese Klagegründe zurück.
b) Würdigung durch das Gericht
75 Die Klägerin rügt eine Verletzung erstens des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, zweitens der Leitlinien und drittens der Begründungspflicht.
Zur Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
76 Wie in ständiger Rechtsprechung anerkannt ist, ist die Schwere von Zuwiderhandlungen anhand zahlreicher Gesichtspunkte zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Sache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (Beschluss des Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache C‑137/95 P, SPO u. a./Kommission, Slg. 1996, I‑1611, Randnr. 54, und Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C‑219/95 P, Ferriere Nord/Kommission, Slg. 1997, I‑4411, Randnr. 33; oben in Randnr. 65 zitiertes Urteil HFB u. a./Kommission, Randnr. 443).
77 Ferner können nach ständiger Rechtsprechung zu den Gesichtspunkten für die Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung je nach Fall die Menge und der Wert der Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, sowie die Größe und Wirtschaftskraft des Unternehmens und damit der Einfluss gehören, den es auf den relevanten Markt ausüben konnte. Daraus ergibt sich zum einen, dass bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der – wenn auch nur annähernd und unvollständig – etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Marktanteil der betroffenen Unternehmen an dem in Frage stehenden Markt herangezogen werden darf, der einen Anhaltspunkt für das Ausmaß der Zuwiderhandlung liefern kann. Zum anderen folgt daraus, dass weder der einen noch der anderen dieser Zahlen eine im Verhältnis zu den übrigen Beurteilungskriterien übermäßige Bedeutung zugemessen werden darf und dass die Festsetzung einer angemessenen Geldbuße nicht das Ergebnis eines bloßen auf den Gesamtumsatz gestützten Rechenvorgangs sein kann (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 44 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 120 und 121, oben in Randnr. 63 zitierte Urteile Parker Pen/Kommission, Randnr. 94, und SCA Holding/Kommission, Randnr. 176, oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 188, und oben in Randnr. 65 zitiertes Urteil HFB u. a./Kommission, Randnr. 444).
78 Wenn somit auch, wie die Klägerin hervorhebt, der Umsatz mit dem in Frage stehenden Produkt eine geeignete Grundlage darstellen kann, um die Schädigung des Wettbewerbs auf dem betroffenen Produktmarkt in der Gemeinschaft und die relative Bedeutung der Kartellteilnehmer im Hinblick auf die betroffenen Produkte zu ermitteln, ist doch dieser Gesichtspunkt bei weitem nicht das einzige Kriterium, nach dem die Kommission die Schwere der Zuwiderhandlung zu beurteilen hat.
79 Diesem Gesichtspunkt würde deshalb im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin eine unverhältnismäßige Bedeutung zuerkannt, wenn die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Geldbuße darauf beschränkt bliebe, nur deren Verhältnis zu dem Umsatz mit dem in Frage stehenden Produkt zu würdigen.
80 Der von der Klägerin angeführte Umstand allein, dass die verhängte Geldbuße höher sei als ihr Umsatz aus dem Verkauf des in Frage stehenden Produkts im EWR während der Zeit der Zuwiderhandlung oder diesen sogar erheblich übersteige, genügt jedenfalls nicht, um eine Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße zu belegen. Die Verhältnismäßigkeit des Bußgeldniveaus ist vielmehr anhand aller Gesichtspunkte zu beurteilen, die die Kommission für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigen muss, also die Art der Zuwiderhandlung, ihre konkreten Auswirkungen auf den betroffenen Markt und der räumliche Umfang des Marktes. Ob die Entscheidung im Licht der Argumente der Klägerin im Hinblick auf bestimmte dieser Kriterien als stichhaltig anzusehen ist, wird nachstehend zu prüfen sein.
81 Der Klagegrund, wonach es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletze, dass die Geldbuße höher sei als der Umsatz der Klägerin aus dem Verkauf des in Frage stehenden Produkts im EWR während der Dauer der Zuwiderhandlung, ist daher zurückzuweisen.
Zur Verletzung der Leitlinien
82 Wie das Gericht bereits mehrfach festgestellt hat, sehen die Leitlinien zwar nicht vor, dass die Höhe von Geldbußen anhand des Gesamtumsatzes oder des Umsatzes der Unternehmen auf dem betreffenden Markt berechnet wird. Sie schließen jedoch auch nicht aus, dass diese Umsätze bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden, damit die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gewahrt bleiben und soweit die Umstände es erfordern (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil LR AF 1998/Kommission, im Rechtsmittelverfahren bestätigt durch das ebenda zitierte Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 258, und in Randnr. 38 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 187).
83 Nach den Leitlinien bilden somit die Umsätze der betroffenen Unternehmen – sei es der Gesamtumsatz oder der Umsatz aus dem Verkauf des betroffenen Produkts – nicht den Ausgangspunkt für die Berechnung der Geldbußen und erst recht nicht die einzigen maßgeblichen Kriterien, um die Schwere der Zuwiderhandlung zu ermitteln.
84 Die Kommission kann sie aber als einen von mehreren relevanten Gesichtspunkten berücksichtigen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Kommission den Bußgeldbetrag nach dem dritten bis sechsten Absatz des Abschnitts 1 A der Leitlinien anpasst, um eine hinreichend abschreckende Höhe der Geldbußen zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang berücksichtigt die Kommission die tatsächliche Fähigkeit der Urheber des Verstoßes, Wettbewerber und den Verbraucher wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, und das Erfordernis, eine hinreichend abschreckende Wirkung der Geldbuße sicherzustellen (Abschnitt 1 A vierter Absatz), und gewichtet zudem die festgesetzten Beträge, um das jeweilige Gewicht und damit die tatsächlichen Auswirkungen des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, vor allem wenn an einem Verstoß derselben Art Unternehmen von unterschiedlicher Größe beteiligt waren (Abschnitt 1 A sechster Absatz).
85 Die Kommission hat in ihren Schriftsätzen insbesondere darauf hingewiesen, dass sie, um im Rahmen einer differenzierten Behandlung der beteiligten Unternehmen die tatsächlichen Auswirkungen des rechtswidrigen Verhaltens jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb zu beurteilen, den Umsatz aus dem Verkauf des in Frage stehenden Produkts berücksichtigen muss.
86 So ist den Randnummern 378 bis 382 der Entscheidung entgegen dem Vorbringen von ADM zu entnehmen, dass die Kommission in diesem Zusammenhang durchaus die Umsätze der Beteiligten aus dem Verkauf des betroffenen Produkts berücksichtigt hat. Wie oben in den Randnummern 58 und 60 bereits festgestellt, hat sie nämlich für die differenzierte Behandlung der betroffenen Unternehmen auf deren Umsatz aus dem weltweiten Verkauf von Natriumglukonat im letzten Jahr der Zeit der Zuwiderhandlung, also im Jahr 1995, abgestellt.
87 Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Kartell von Unternehmen, die nahezu alle Anteile am Weltmarkt für das in Frage stehende Produkt auf sich vereinigen. Das Kartell betrifft außerdem die Festsetzung von Preisen und die Aufteilung des Marktes durch Zuweisung von Verkaufsquoten. In einem solchen Fall kann sich die Kommission im Rahmen der differenzierten Behandlung der betroffenen Unternehmen fehlerfrei auf die Umsätze der Kartellteilnehmer aus ihrem weltweiten Verkauf von Natriumglukonat stützen. Da nämlich mit dieser differenzierten Behandlung bezweckt wird, der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit der Urheber einer Zuwiderhandlung Rechnung zu tragen, durch ihr rechtswidriges Handeln den Wettbewerb zu schädigen, und damit ihr jeweiliges Gewicht im Kartell zu berücksichtigen, hat die Kommission mit der Annahme, dass der Weltmarktanteil der jeweiligen Kartellmitglieder insoweit von geeignetem Indizwert ist, ihr weites Ermessen nicht überschritten.
88 Der Klagegrund eines Verstoßes gegen die Leitlinien ist daher zurückzuweisen.
Zur Verletzung der Begründungspflicht
89 Nach ständiger Rechtsprechung muss die durch Artikel 253 EG vorgeschriebene Begründung die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Artikels 253 EG genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteile des Gerichtshofes vom 2. April 1998 in der Rechtssache C‑367/95 P, Kommission/Sytraval und Brink’s France, Slg. 1998, I‑1719, Randnr. 63, und vom 30. September 2003 in der Rechtssache C‑301/96, Deutschland/Kommission, Slg. 2003, I‑9919, Randnr. 87).
90 Im Fall einer Entscheidung, mit der gegen mehrere Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln Geldbußen verhängt werden, ist der Umfang der Begründungspflicht insbesondere im Licht des Umstands zu berücksichtigen, dass die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache und ihr Kontext gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (oben in Randnr. 76 zitierter Beschluss SPO u. a./Kommission, Randnr. 54).
91 Im vorliegenden Fall hat die Kommission den Bußgeldbetrag nicht auf der Grundlage des Umsatzes mit dem betroffenen Produkt im EWR berechnet. Entgegen dem Vorbringen von ADM war sie jedoch auch nicht dazu verpflichtet, den gegen ein Unternehmen verhängten Bußgeldbetrag nach seinem Umsatz mit dem betroffenen Produkt im EWR zu bemessen (vgl. oben, Randnrn. 86 und 87). Es kann daher der Kommission nicht angelastet werden, dass sie nicht die Gründe angab, aus denen sie diesen Faktor für die Berechnung der zu verhängenden Geldbuße nicht herangezogen hat.
92 Der Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht ist daher ebenfalls zurückzuweisen.
3. Zur fehlenden oder unzureichenden Berücksichtigung der begrenzten Größe des in Frage stehenden Produktmarktes
a) Vorbringen der Parteien
93 Nach Auffassung von ADM hat die Kommission, anders als sie in Randnummer 377 der Entscheidung angegeben habe, für die Berechnung der Geldbuße die begrenzte Größe des in Frage stehenden Produktmarktes nicht oder jedenfalls nicht fehlerfrei berücksichtigt.
94 Insoweit sei erstens darauf hinzuweisen, dass die Kommission gegen alle betroffenen Unternehmen zusammen einen Ausgangsbetrag von 40 Mio. Euro, davon allein 5 Mio. Euro im Fall von ADM, festgesetzt habe (Randnr. 385 der Entscheidung). Dieser Betrag von 40 Mio. Euro entspreche jedoch mehr als 200 % der Verkäufe von Natriumglukonat im EWR im Jahr 1995 durch alle betroffenen Unternehmen. Die letztlich von der Kommission festgesetzte Geldbuße entspreche vor ihrer Herabsetzung wegen Zusammenarbeit 438 % und nach dieser Herabsetzung 294 % des Volumens der Natriumglukonatverkäufe im EWR im Jahr 1995 (Randnrn. 396 und 440 der Entscheidung).
95 Vergleiche man zweitens den von der Kommission im vorliegenden Fall gegen sie festgesetzten Bußgeldbetrag mit den Geldbußen in der Sache „Zinkphosphat“ (Entscheidung 2003/437/EG der Kommission vom 11. Dezember 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen [Sache COMP/E‑1/37.027 – Zinkphosphat], ABl. 2003, L 153, S. 1), so habe die Kommission den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt. Obgleich beide Sachen sich zeitlich überschnitten hätten und nicht nur nach der Größe der betroffenen Märkte, sondern auch nach der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung vergleichbar seien, habe die Kommission im Fall Zinkphosphat die begrenzte Marktgröße in Europa berücksichtigt und in dieser Sache die Gesamtbuße auf 11,95 Mio. Euro (oder 75 % des Gesamtvolumens der Verkäufe des in Frage stehenden Produkts) festgesetzt, im vorliegenden Fall hingegen auf 40 Mio. Euro (oder mehr als 200 % der Verkäufe des in Frage stehenden Produkts im EWR). In der Sache Zinkphosphat sei außerdem der Grundbetrag für die Unternehmen mit einem Marktanteil von mehr als 20 % auf 3 Mio. Euro und für das Unternehmen mit einem deutlich geringeren Marktanteil auf 0,75 Mio. Euro festgesetzt worden. Dagegen habe die Kommission im Fall Natriumglukonat den Ausgangsbetrag für die Berechnung der Geldbuße auf 10 Mio. Euro für die Unternehmen mit einem Marktanteil von mehr als 20 % und auf 5 Mio. Euro für die mit einem deutlich geringeren Marktanteil festgesetzt.
96 Auch insoweit verstoße die Entscheidung drittens gegen die Begründungspflicht, da Randnummer 377 in Widerspruch zu den Randnummern 394 und 395 der Entscheidung stehe. In Randnummer 377 habe die Kommission nämlich behauptet, dass sie den Umsatz mit dem in Frage stehenden Produkt berücksichtigt habe, während sie in den Randnummern 394 und 395 das Vorbringen von ADM, wonach dieser Umsatz zu berücksichtigen sei, gerade zurückgewiesen habe.
97 Die Kommission weist diese Klagegründe zurück. Was den Vergleich des vorliegenden Falles mit der Sache Zinkphosphat angehe, so seien in Letzterer erstens die ursprünglich festgesetzten Geldbußen wegen der in Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 vorgesehenen Obergrenze von 10 % des Gesamtumsatzes um die Hälfte herabgesetzt worden und sei zweitens von der Kommission keinerlei erschwerender Umstand angenommen worden. Soweit zwischen der Vorgehensweise in beiden Sachen Unterschiede bestünden, rechtfertigten sich diese durch das der Kommission in diesem Bereich zustehende Ermessen.
b) Würdigung durch das Gericht
98 ADM rügt eine Verletzung erstens des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, zweitens des Grundsatzes der Gleichbehandlung und drittens der Begründungspflicht.
Zur Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
99 Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 wird die Höhe der Geldbuße nach der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung bemessen. Nach den Leitlinien setzt die Kommission ferner den Ausgangsbetrag nach der Schwere der Zuwiderhandlung unter Berücksichtigung ihrer Art, ihrer konkreten Auswirkungen auf den Markt und des Umfangs des räumlichen Marktes fest.
100 Dieser rechtliche Rahmen verpflichtet die Kommission somit als solcher nicht dazu, die geringe Größe des betroffenen Produktmarktes zu berücksichtigen.
101 Nach der Rechtsprechung hat die Kommission bei der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung jedoch sehr viele Faktoren zu berücksichtigen, die je nach der Art der fraglichen Zuwiderhandlung und den besonderen Umständen des Einzelfalls von unterschiedlicher Art und Bedeutung sind (oben in Randnr. 44 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 120). Es lässt sich nicht ausschließen, dass zu diesen Faktoren, die für die Schwere einer Zuwiderhandlung maßgebend sind, je nach Fall auch die Größe des betroffenen Produktmarktes gehören kann.
102 Zwar kann demnach die Marktgröße einen Faktor darstellen, der bei der Ermittlung der Schwere der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen ist, doch ist dieser je nach den Umständen des Einzelfalls von unterschiedlicher Bedeutung.
103 Im vorliegenden Fall umfasste die Zuwiderhandlung u. a. ein Preiskartell, das bereits seiner Art nach einen sehr schweren Verstoß darstellt. Außerdem belieferten die am Kartell beteiligten Unternehmen mehr als 90 % des Weltmarktes und 95 % des europäischen Marktes (Randnr. 9 der Entscheidung). Schließlich ist Natriumglukonat offenkundig ein Rohstoff, der in einer Reihe sehr unterschiedlicher Endprodukte verwendet wird und damit zahlreiche Märkte betrifft (Randnrn. 6 und 8 der Entscheidung). Vor diesem Hintergrund ist die begrenzte Größe des relevanten Marktes, unterstellt man diesen Umstand als wahr, im Verhältnis zu allen anderen Faktoren, die für die Schwere der Zuwiderhandlung maßgebend sind, von nur geringerer Bedeutung.
104 Jedenfalls ist zu berücksichtigen, dass die Kommission davon ausging, dass die Zuwiderhandlung als ein besonders schwerer Verstoß im Sinne der Leitlinien anzusehen sei, die für derartige Fälle bestimmen, dass die Kommission einen Ausgangsbetrag von mehr als 20 Mio. Euro vorsehen kann. Im vorliegenden Fall ergibt sich jedoch aus Randnummer 385 der Entscheidung, dass die Kommission nur einen Ausgangsbetrag von 10 Mio. Euro für die Unternehmen der ersten Gruppe und von 5 Mio. Euro für die Unternehmen der zweiten Gruppe festgesetzt hat, und damit die Hälfte oder ein Viertel des Betrages, den sie nach den Leitlinien für besonders schwere Verstöße hätte vorsehen können.
105 Diese Festsetzung des Ausgangsbetrags der Geldbuße bestätigt, dass die Kommission, wie sie in Randnummer 377 der Entscheidung erläutert hat, auch die Marktgröße berücksichtigt hat.
106 Der Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist daher zurückzuweisen.
Zur Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
107 Nach ständiger Rechtsprechung verbietet es der Grundsatz der Gleichbehandlung, vergleichbare Sachverhalte verschieden und verschiedene Sachverhalte gleich zu behandeln, es sei denn, eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Dezember 1984 in der Rechtssache 106/83, Sermide, Slg. 1984, 4209, Randnr. 28, und Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑311/94, BPB de Eendracht/Kommission, Slg. 1998, II‑1129, Randnr. 309).
108 Ferner ist daran zu erinnern, dass die Entscheidungspraxis der Kommission nicht als rechtlicher Rahmen für Geldbußen im Wettbewerbsrecht dient, sondern dieser durch Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, der durch die Leitlinien ergänzt wird, festgelegt wird (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnrn. 209 bis 213 und die dort zitierte Rechtsprechung).
109 Überdies verfügt die Kommission bei der Bemessung von Bußgeldbeträgen über ein weites Ermessen, so dass die Wirtschaftsteilnehmer in die Festsetzung bestimmter Beträge durch die Kommission kein berechtigtes Vertrauen setzen können (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnrn. 171 und 172 und die dort zitierte Rechtsprechung).
110 Schließlich kann allein aus der Tatsache, dass die Kommission in ihrer frühren Entscheidungspraxis ein bestimmtes Verhalten mit einem bestimmten Bußgeldbetrag geahndet hat, keinesfalls abgeleitet werden, dass sie verpflichtet wäre, dies in einer späteren Entscheidung ebenfalls zu tun (vgl. u. a. analog Urteile des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T‑7/89, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II‑1711, Randnr. 357, und vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑347/94, Mayr-Melnhof/Kommission, Slg. 1998, II‑1751, Randnr. 368, und oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil LR AF 1998/Kommission, Randnrn. 234 und 337).
111 Im vorliegenden Fall kann somit die bloße Berufung der Klägerin auf die Entscheidung Zinkphosphat als solche nicht durchgreifen, da die Kommission nicht verpflichtet war, die vorliegende Sache ebenso zu beurteilen.
112 Was die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im vorliegenden Fall angeht, so können andere Bußgeldentscheidungen der Kommission nur richtungsweisenden Charakter haben, zumal die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden tatsächlichen Gegebenheiten wie die Märkte, die Erzeugnisse, die Länder, die Unternehmen und die betroffenen Zeiträume nicht die gleichen wie im Fall der angefochtenen Entscheidung waren (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 13. Januar 2004 in der Rechtssache T‑67/01, JCB Service/Kommission, Slg. 2004, II‑49, Randnr. 187).
113 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich die Gegebenheiten, die dem von der Entscheidung betroffenen Kartell zugrunde liegen, von denen unterscheiden, die der Entscheidung Zinkphosphat zugrunde lagen. Denn das Kartell auf dem Zinkphosphatmarkt erstreckte sich nur auf das Gebiet des EWR, während das Kartell für Natriumglukonat weltweit bestand. Anders als im vorliegenden Fall gehörten zu dem Kartell auf dem Zinkphosphatmarkt außerdem nur Unternehmen von relativ begrenzter Größe. So lagen die weltweiten Umsätze der von der Entscheidung Zinkphosphat betroffenen Unternehmen im Jahr 2000 zwischen 7,09 und 278,8 Mio. Euro, während der weltweite Umsatz der im vorliegenden Fall betroffenen Unternehmen im selben Jahr zwischen 314 Mio. und 14,003 Mrd. Euro betrug, der von ADM 13,936 Mrd. Euro.
114 Selbst unter der Voraussetzung, dass alle Gegebenheiten, die in der Sache Zinkphosphat für die Festsetzung eines angemessenen Bußgeldbetrags relevant waren, als mit denen des vorliegenden Falles vergleichbar anzusehen wären, ist das Gericht im Rahmen seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung jedenfalls der Auffassung, dass der Grundbetrag, den die Kommission im vorliegenden Fall wegen der von ADM begangenen Zuwiderhandlung festsetzte, in Anbetracht aller von der Kommission in der Entscheidung angeführten Gesichtspunkte und der Würdigung einer Reihe dieser Gesichtspunkte im vorliegenden Urteil angemessen ist.
115 ADM kann daher im vorliegenden Fall aus der Entscheidung der Kommission in der Sache Zinkphosphat keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes herleiten.
Zur Verletzung der Begründungspflicht
116 Soweit ADM einen Widerspruch zwischen der Randnummer 377 und den Randnummern 394 und 395 der Entscheidung geltend macht, ist festzustellen, dass die Kommission in Randnummer 377 ihrer Entscheidung ausführte, sie habe die begrenzte Größe des Natriumglukonatmarktes für die Bemessung der Ausgangsbeträge berücksichtigt. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin hat die Kommission dieser Angabe nicht dadurch widersprochen, dass sie in Randnummer 395 der Entscheidung die insbesondere von ADM vorgetragene Argumentation zurückwies, wonach sie die Geldbußen anhand der Umsätze der betroffenen Unternehmen auf dem in Frage stehenden Markt festzusetzen habe. Zum einen ist der geringe Umsatz mancher Beteiligten, darunter von ADM, auf dem in Frage stehenden Markt nicht notwendig ein Hinweis auf dessen begrenzte Größe. Zum anderen hat die Kommission, wie oben in Randnummer 104 ausgeführt, die begrenzte Größe des Marktes im vorliegenden Fall dadurch berücksichtigt, dass sie, obgleich es sich um einen seiner Art nach besonders schweren Verstoß handelte, nur einen Ausgangsbetrag von 10 Mio. Euro ansetzte. Die Entscheidung ist daher insoweit nicht in sich widersprüchlich.
117 Der Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht ist daher ebenfalls zurückzuweisen.
4. Zur doppelten Berücksichtigung der abschreckenden Wirkung der Geldbuße
a) Vorbringen der Parteien
118 ADM meint, die Kommission habe die abschreckende Wirkung der Geldbuße bei deren Bemessung doppelt berücksichtigt, nämlich einmal bei der Bewertung der Rolle der Kartellteilnehmer im Rahmen der Bemessung des Ausgangsbetrags (Randnrn. 378, 382 und 385 der Entscheidung) und ein zweites Mal für die Erhöhung des Bußgeldbetrags um 250 % zur Berücksichtigung der Größe und der gesamten Ressourcen von ADM (Randnrn. 386 bis 388 der Entscheidung). Selbst wenn das Vorbringen der Kommission vor dem Gericht insoweit zuträfe, wäre die Entscheidung in diesem Punkt jedenfalls mit einem Begründungsmangel behaftet.
119 Die Kommission bestreitet, dass sie die abschreckende Wirkung der Geldbuße doppelt berücksichtigt habe. Vielmehr sei sie, um die Geldbuße in hinreichend abschreckender Höhe festzusetzen, in zwei gesonderten, sukzessiven Schritten nach unterschiedlichen Kriterien vorgegangen. Sie habe ihre Entscheidung insoweit auch ausreichend begründet.
b) Würdigung durch das Gericht
120 ADM rügt mit ihrem Vorbringen erstens einen Verstoß gegen die Leitlinien und zweitens eine Verletzung der Begründungspflicht.
Zum Verstoß gegen die Leitlinien
121 Wie ADM zutreffend vorträgt, verwies die Kommission im Rahmen ihrer differenzierten Behandlung der Kartellteilnehmer nach Maßgabe ihrer Marktanteile, in deren Zuge sie ADM den Unternehmen mit einem Marktanteil von weniger als 10 % zuordnete, auf das Erfordernis, dass Geldbußen in abschreckender Höhe festzusetzen seien (Randnrn. 378, 382 und 385 der Entscheidung). Denselben Gesichtspunkt führte sie an, als sie zur Berücksichtigung der Größe und der gesamten Ressourcen bestimmter Kartellteilnehmer, darunter ADM, in ihrem Fall einen Multiplikator von 2,5 anwandte (Randnrn. 386 bis 388 der Entscheidung).
122 Um den Ausgangsbetrag der Geldbuße nach der Schwere der Zuwiderhandlung festzusetzen, bewertete die Kommission jedoch zum einen die Zuwiderhandlung als solche anhand objektiver Gesichtspunkte wie die Art der Zuwiderhandlung selbst, ihre Auswirkungen auf den Markt und den räumlichen Marktumfang. Zum anderen stützte sie sich auf subjektive Gesichtspunkte, nämlich die jeweiligen besonderen Gegebenheiten der einzelnen Kartellteilnehmer wie die Größe und die Gesamtressourcen des Unternehmens. Im Rahmen dieses zweiten Teils ihrer Beurteilung verfolgte sie insbesondere das Ziel, eine abschreckende Höhe der Geldbuße zu gewährleisten.
123 Auch wenn sich die Kommission, wie sie zutreffend vorträgt, im Rahmen dieses zweiten Teils ihrer Beurteilung auf dieses Ziel zweimal bezog, nahm sie doch in Wirklichkeit nur eine einzige Berechnung vor, die sie in zwei Schritte unterteilte, um die Geldbuße so im Fall jedes einzelnen Kartellteilnehmers in einer Höhe festzusetzen, die unter Berücksichtigung seiner jeweiligen besonderen Gegebenheiten sicherstellte, dass das Ziel einer Abschreckung im Hinblick auf alle objektiven und subjektiven Elemente der Schwere der Zuwiderhandlung erreicht werden könnte.
124 Entgegen dem Vorbringen von ADM hat die Kommission den Abschreckungscharakter der Geldbuße daher nicht „doppelt berücksichtigt“.
125 Der Klagegrund eines Verstoßes gegen die Leitlinien ist daher zurückzuweisen.
Zur Verletzung der Begründungspflicht
126 Insoweit ist festzustellen, dass ADM für ihr Vorbringen kein konkretes Argument anführt, sondern sich auf den Vorwurf beschränkt, die Kommission habe die doppelte Berücksichtigung des Abschreckungscharakters der Geldbuße nicht begründet.
127 Jedenfalls hat die Kommission, wie oben in den Randnummern 121 bis 125 dargelegt, den Abschreckungscharakter der Geldbuße nicht doppelt berücksichtigt. Sie brauchte daher insoweit auch keine besondere Begründung zu geben.
128 Der Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht ist daher ebenfalls zurückzuweisen.
5. Zur Anwendung eines Multiplikators zur Erhöhung des Ausgangsbetrags
a) Vorbringen der Parteien
129 ADM hält die Anwendung eines Multiplikators von 2,5 auf den Ausgangsbetrag für eine offensichtlich unverhältnismäßige Maßnahme, die überdies auf fehlerhaften Erwägungen beruhe und den Grundsatz der Gleichbehandlung verletze.
130 ADM führt erstens aus, dass eine Geldbuße, da Unternehmen rational handelnde Wirtschaftseinheiten seien, bereits dann tatsächlich abschreckenden Charakter habe, wenn sie auf einem Niveau festgesetzt werde, auf dem ihr zu erwartender Betrag größer sei als der Gewinn aus der Zuwiderhandlung. Sobald Unternehmen feststellten, dass der durch eine Sanktion verursachte Verlust den Gewinn aus dem Kartell zunichte mache, habe die Geldbuße abschreckende Wirkung. Diese Sichtweise habe auch der Gerichtshof im Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission (zitiert oben in Randnr. 44, Randnr. 108) bestätigt. Sie stehe ebenso in Einklang mit den Leitlinien, nach deren Abschnitt 1 A Absatz 4 die abschreckende Wirkung nach der Fähigkeit der Kartellteilnehmer, den Verbraucher zu schädigen, zu bemessen sei; damit verlangten die Leitlinien, dass bei der Ermittlung einer hinreichenden Abschreckungswirkung der Gewinn aus einem rechtswidrigen Kartell berücksichtigt werde. Diese Betrachtungsweise liege als gemeinsames Konzept auch anderen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zugrunde.
131 Selbst wenn man annähme, dass eine etwaige Gewinne nicht übersteigende Geldbuße nicht genüge, bestünde doch eine rationale Grundlage für die Gewährleistung der abschreckenden Wirkung einer Geldbuße darin, die aus dem Kartell erhofften Gewinne nach einem Prozentsatz an den Verkäufen des in Frage stehenden Produkts zu schätzen und zum Ausgleich einer möglichen Fehlerquote um einen bestimmten Zuschlag zu erhöhen. Eben diese rationale Vorgehensweise werde in den USA befolgt. In der Rechtsprechung des Gerichtshofes (oben in Randnr. 44 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 108) und des Gerichts (oben in Randnr. 65 zitiertes Urteil HFB u. a./Kommission, insbesondere Randnr. 456) sei anerkannt, dass zwischen der abschreckenden Wirkung der Geldbuße und den aus einem Kartell zu erwartenden Gewinnen ein Zusammenhang bestehe.
132 ADM bestreitet nicht, dass der weltweite Umsatz in die Bußgeldbemessung einbezogen werden darf. Werde ihm aber ein übermäßiges Gewicht beigelegt, so führe dies zu einer unverhältnismäßigen Geldbuße. Die Kommission begründe die von ihr angewandte Erhöhung aber nur mit einem Vergleich, mit dem sie sich auf den Umsatz von ADM beziehe. Es gebe aber keine vernünftige Begründung dafür, dass die für eine abschreckende Wirkung angewandte Erhöhung vor allem an ihrem weltweiten Umsatz ausgerichtet worden sei. Die Vorgehensweise der Kommission erkläre in keiner Weise, warum die Gewinne von ADM aus dem Verkauf von Produkten, die ohne jeden Bezug zu der Zuwiderhandlung seien, zunichte gemacht werden müssten, um Unternehmen von weiteren Aktivitäten im Rahmen eines Kartells für Natriumglukonat abzuschrecken.
133 Zweitens macht ADM in ihrer Erwiderung für den Fall, dass das Gericht die Bußgelderhöhung zum Zweck der Abschreckung entgegen dem vorstehend wiedergegebenen Vorbringen wegen der Größe und der gesamten Ressourcen von ADM für gerechtfertigt hält, hilfsweise geltend, dass die Kommission nicht zusätzlich zur mit diesem Zweck begründeten Erhöhung um 7,5 Mio. Euro die Geldbuße nochmals um 35 % wegen der Zuwiderhandlungsdauer hätte erhöhen dürfen. Diese Erhöhung sei logischerweise nur dann teilweise gerechtfertigt, wenn die Erhöhung zu Abschreckungszwecken auf den etwaigen Kartellgewinnen beruhe. Je länger das Kartell dauere, desto größer aber seien die Gewinne daraus, so dass eine Erhöhung zur Berücksichtigung der Kartelldauer angemessen erschiene. Bei einer fehlerfreien Methode zur Berechnung der Geldbuße wäre die Erhöhung nur auf den Grundbetrag von 5 Mio. Euro angewandt worden. Offenbar sei die Kommission selbst bestrebt gewesen, zu diesem Ergebnis zu gelangen, denn in Randnummer 392 der Entscheidung heiße es, dass sich „[d]er Ausgangsbetrag der für die Schwere ermittelten Geldbuße (Randnr. 385) … somit um 35 %“ erhöhe. In Randnummer 385 der Entscheidung werde aber nur der Ausgangsbetrag von 5 Mio. Euro genannt.
134 Drittens habe die Kommission den Gleichbehandlungsgrundsatz dadurch verletzt, dass sie für die Erhöhung des Ausgangsbetrags der Geldbuße die Tatsache berücksichtigt habe, dass Großunternehmen juristische und wirtschaftliche Kenntnisse und Infrastrukturen hätten, die es ihnen erleichterten, ihr Verhalten als Zuwiderhandlung zu erkennen und die entsprechenden wettbewerbsrechtlichen Folgerungen daraus zu ziehen (Randnr. 86 der Entscheidung).
135 Denn alle an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen seien multinationale Konzerne mit Weltumsätzen von mehr als 300 Mio. Euro, die somit alle – intern und extern – über die nötige juristische Sachkenntnis verfügt hätten, um die Risiken einer rechtswidrigen Kartellbeteiligung zu erkennen und die Folgen der Zuwiderhandlung abzuschätzen.
136 Außerdem sei die Entscheidung insoweit unzureichend begründet.
137 Nach Ansicht der Kommission handelt es sich bei dem Vorbringen, mit dem die zusätzliche Erhöhung der Geldbuße um 35 % zur Berücksichtigung der Zuwiderhandlungsdauer gerügt wird, um einen neuen Klagegrund, der nach Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts als unzulässig zurückzuweisen sei. Auch die übrigen geltend gemachten Klagegründe seien zurückzuweisen.
b) Würdigung durch das Gericht
138 ADM rügt eine Verletzung erstens des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, zweitens des Gleichbehandlungsgrundsatzes und drittens der Begründungspflicht.
Zur Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
139 ADM erhebt im Rahmen dieses Klagegrundes zwei verschiedene Rügen.
140 Sie macht zum einen geltend, dass eine Geldbuße, da Unternehmen rational handelnde Wirtschaftseinheiten seien, bereits dann tatsächlich abschreckenden Charakter habe, wenn sie auf einem Niveau festgesetzt werde, auf dem ihr zu erwartender Betrag den Gewinn aus der Zuwiderhandlung überschreitet. Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Abschreckung eine der Haupterwägungen ist, von denen sich die Bußgeldzumessung leiten lassen muss (Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnr. 173, und vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 49/69, BASF/Kommission, Slg. 1972, 713, Randnr. 38, und die oben in Randnr. 90 zitierte Rechtsprechung).
141 Würde die Geldbuße in einer Höhe festgesetzt, mit der lediglich der Gewinn aus dem Kartell zunichte gemacht würde, hätte sie jedoch keine abschreckende Wirkung. Denn es ist vernünftigerweise davon auszugehen, dass Unternehmen im Rahmen ihrer finanziellen Kalkulation und Geschäftsführung nicht nur rational das Niveau der ihnen für eine Zuwiderhandlung drohenden Geldbußen, sondern auch die Größe des Risikos, dass das Kartell aufgedeckt wird, berücksichtigen. Würde die Funktion der Geldbuße auf die bloße Aufhebung des erhofften Gewinns oder Vorteils reduziert, so würde darüber hinaus nicht hinreichend berücksichtigt, dass ein unter Artikel 81 Absatz 1 EG fallendes Verhalten den Charakter einer Zuwiderhandlung hat. Würde die Geldbuße auf einen bloßen Ausgleich des verursachten Schadens beschränkt, so würde nämlich außer der abschreckenden Wirkung, die nur auf künftige Verhaltensweisen gerichtet sein kann, der repressive Charakter einer solchen Maßnahme im Hinblick auf die tatsächlich begangene konkrete Zuwiderhandlung vernachlässigt. Es wird daher sowohl durch die abschreckende Wirkung als auch die repressive Wirkung der Geldbuße gerechtfertigt, dass die Kommission eine Geldbuße verhängen darf, die je nach den Umständen des Einzelfalls den Gewinn, den sich das Unternehmen erhofft, sogar erheblich überschreiten kann.
142 Ebenso kann im Fall eines Unternehmens, das wie ADM auf zahlreichen Märkten präsent ist und über eine besonders große Finanzkraft verfügt, die Berücksichtigung des Umsatzes auf dem in Frage stehenden Markt nicht genügen, um eine abschreckende Wirkung der Geldbuße zu gewährleisten. Je größer nämlich ein Unternehmen ist und je größer seine gesamten Ressourcen sind, die es zu unabhängigem Handeln auf dem Markt befähigen, desto mehr muss es sich der Bedeutung seiner Rolle für ein unbeeinträchtigtes Funktionieren des Wettbewerbs auf dem Markt bewusst sein. Daher sind die tatsächlichen Umstände, die sich auf die Wirtschaftskraft eines Unternehmens beziehen, das sich einer Zuwiderhandlung schuldig gemacht hat, bei der Zumessung der Geldbuße zu berücksichtigen, um ihre abschreckende Wirkung zu gewährleisten.
143 Wie die Kommission jedoch zutreffend – und unwidersprochen seitens ABM – ausgeführt hat, bildet der gegen ADM nach Anwendung des Multiplikators von 2,5 festgesetzte Bußgeldbetrag nur einen sehr geringen Teil, nämlich 0,0538 %, ihres weltweiten Jahresumsatzes und kann auch unter diesem Gesichtspunkt nicht als unverhältnismäßig angesehen werden.
144 ADM macht ferner in ihrer Erwiderung geltend, dass die Kommission neben dem Betrag von 7,5 Mio. Euro, der die Erhöhung im Interesse der Abschreckungswirkung bereits eingeschlossen habe, keinesfalls zusätzlich eine Erhöhung um 35 % hätte vornehmen dürfen, um der Dauer der Zuwiderhandlung Rechnung zu tragen. Insoweit ist zunächst daran zu erinnern, dass nach Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Allerdings ist ein Vorbringen, das eine Erweiterung eines bereits unmittelbar oder mittelbar in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels darstellt und in engem Zusammenhang mit diesem steht, als zulässig anzusehen. Das Gleiche gilt für eine zur Stützung eines Klagegrundes vorgebrachte Rüge (Urteil des Gerichts vom 21. März 2002 in der Rechtssache T‑231/99, Joynson/Kommission, Slg. 2002, II‑2085, Randnr. 156).
145 Im vorliegenden Fall hat ADM den Multiplikator von 2,5 in ihrer Klageschrift mit der Begründung als übermäßig gerügt, dass er über das hinausgehe, was zur Sicherung einer Abschreckungswirkung der Geldbuße erforderlich sei. In ihrer Erwiderung hat sie hilfsweise zu dieser Rüge geltend gemacht, dass die Kommission jedenfalls die Erhöhung um 35 % wegen der Kartelldauer nicht auf den nach Anwendung des Multiplikators von 2,5 erzielten Betrag, sondern auf den vor dessen Anwendung angesetzten Betrag hätte anwenden müssen. ADM erhebt damit eine Rüge, die in engem Zusammenhang zu der bereits in ihrer Klageschrift formulierten Rüge steht und damit lediglich einen schon zuvor vorgetragenen Klagegrund erweitert. Die Rüge ist daher in der Sache zu prüfen.
146 Was die Begründetheit der Rüge angeht, so hat die Kommission den Erhöhungskoeffizienten wegen der Zuwiderhandlungsdauer jedoch zu Recht auf den bereits mit dem Multiplikator von 2,5 erhöhten Grundbetrag angewandt. Denn dieser Multiplikator ist, wie oben bereits entschieden (vgl. oben, Randnrn. 140 bis 143), ein Abschreckungsfaktor, der in einem ersten Schritt einen hinreichend abschreckenden Charakter der Geldbuße im Hinblick auf die Merkmale des betroffenen Unternehmens gewährleistet. Nichts jedoch hinderte die Kommission daran, den so errechneten Betrag anschließend nochmals um einen zweiten Faktor anzuheben, der seinerseits den Merkmalen des rechtswidrigen Verhaltens Rechnung trug. Denn je eher Unternehmen zur Begehung besonders schwerer Verstöße über einen langen Zeitraum hinweg bereit sind, desto größer ist das Erfordernis der Abschreckung.
147 Soweit in Randnummer 392 der Entscheidung auf deren Randnummer 385 verwiesen wird, hat die Kommission vor dem Gericht eingeräumt, dass es sich um einen Fehler handele. Dieser ist jedoch auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung ohne Einfluss, da der Art und Weise, in der die Erhöhung wegen der Zuwiderhandlungsdauer berechnet wurde, und dem Verweis auf den wegen der Schwere der Zuwiderhandlung festgesetzten Ausgangsbetrag – bereits einschließlich der Erhöhung mittels des Multiplikators von 2,5 – klar zu entnehmen ist, dass die Kommission in Wirklichkeit den wegen der Schwere der Zuwiderhandlung nach dieser Anpassung festgesetzten Grundbetrag meinte. Dies ergibt sich auch aus der logischen Prüfungsfolge der Kommission, die in den Randnummern 378 bis 388 der Entscheidung Schritt für Schritt die hinsichtlich der einzelnen Unternehmen bestehenden besonderen Gegebenheiten berücksichtigte. Es ist daher offensichtlich, dass der Verweis in Randnummer 392 in Wirklichkeit nicht allein der Randnummer 385, sondern den Randnummern 385 bis 388 galt. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass nach den Leitlinien die Berücksichtigung der Zuwiderhandlungsdauer zur „Festsetzung eines Zuschlags zu der Geldbuße“ führen kann (Abschnitt 1 B Absatz 2).
148 ADM rügt daher zu Unrecht, dass die Kommission die Geldbuße zusätzlich zu der Erhöhung wegen des Erfordernisses der Abschreckung ein weiteres Mal um 35 % erhöhte, um die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.
149 Der Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist daher zurückzuweisen.
Zur Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
150 ADM macht geltend, dass alle an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen multinationalen Konzernen angehört hätten und damit ausnahmslos – intern und extern – über die nötige juristische Sachkunde verfügt hätten, um zu beurteilen, ob der Eintritt in ein illegales Kartell mit Risiken verbunden sei, und um die Konsequenzen der Zuwiderhandlung abzuschätzen.
151 Wie dazu festzustellen ist, hat die Kommission für die Anwendung eines Multiplikators von 2,5 auf den Ausgangsbetrag der gegen bestimmte Kartellteilnehmer, darunter ADM, verhängten Geldbuße zwar zwei Gründe erwogen. Sie hat nämlich zum einen das Erfordernis betont, eine hinreichend abschreckende Wirkung der Geldbuße zu gewährleisten, und zum anderen den Umstand berücksichtigt, dass Großunternehmen über die juristischen und wirtschaftlichen Kenntnisse und Infrastrukturen verfügten, die es ihnen erleichterten, ihr Verhalten als Zuwiderhandlung zu erkennen und die entsprechenden wettbewerbsrechtlichen Folgerungen daraus zu ziehen (Randnr. 386 der Entscheidung).
152 Wie Randnummer 388 der Entscheidung zu entnehmen ist, hat die Kommission im Fall von ADM den Multiplikator von 2,5 jedoch im Wesentlichen deshalb angewandt, um einen abschreckenden Charakter der Geldbuße zu gewährleisten. Wie oben in den Randnummern 139 bis 143 ausgeführt, hat die Kommission das Erfordernis, eine hinreichend abschreckende Wirkung der Geldbuße sicherzustellen, aber zu Recht berücksichtigt und durfte insbesondere, wie in Randnummer 387 der Entscheidung angegeben, den nach der relativen Bedeutung des Marktes festgesetzten Ausgangsbetrag erhöhen, um der Größe und den Gesamtressourcen der betroffenen Unternehmen Rechnung zu tragen. Da ADM und Akzo außerdem im Jahr 2000 einen weltweiten Umsatz von jeweils rund 14 Mrd. Euro erzielten, während der Umsatz der übrigen Kartellteilnehmer zwischen nur 300 Mio. und 3 Mrd. Euro lag, durfte die Kommission, um dieses Ziel zu erreichen, unbestreitbar zwischen zwei Kategorien von Kartellteilnehmern nach ihrer Größe und ihren Gesamtressourcen unterscheiden und den Ausgangsbetrag der Geldbuße im Fall von ADM und Akzo um einen Multiplikator von 2,5 erhöhen.
153 Was die juristischen und wirtschaftlichen Kenntnisse und Infrastrukturen der betroffenen Unternehmen anbelangt, so ist das Gericht der Auffassung, dass sie für eine Erhöhung des Bußgeldbetrags berücksichtigt werden durften. ADM bestreitet nicht, dass sie über diese juristischen und wirtschaftlichen Kenntnisse und Infrastrukturen verfügt hat. Im Fall eines Unternehmens wie ADM, das im Jahr 2000 weltweit einen Umsatz von etwa 14 Mrd. Euro erzielte, kann davon auch ausgegangen werden. Die Kommission hat das Vorhandensein solcher Kenntnisse und Infrastrukturen daher für die Erhöhung des Grundbetrags der gegen ADM verhängten Geldbuße zu Recht vorausgesetzt. Diese Beurteilung wird nicht durch das Argument von ADM in Frage gestellt, dass auch die Unternehmen der anderen Kategorie über juristische und wirtschaftliche Kenntnisse und Infrastrukturen verfügt hätten, die eine Erhöhung ihrer Geldbuße rechtfertigten. Selbst wenn dies zuträfe und die Kommission diesen Umstand bei den Unternehmen dieser zweiten Kategorie zu Unrecht nicht berücksichtigt hätte, kann dies jedenfalls nicht von ADM geltend gemacht werden, um eine Herabsetzung der gegen sie angewandten Erhöhung zu erreichen.
154 Der Klagegrund einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist daher zurückzuweisen.
Zur Verletzung der Begründungspflicht
155 ADM macht, ohne dazu Weiteres vorzutragen, geltend, dass die Entscheidung hinsichtlich der Anwendung des Multiplikators von 2,5 unzureichend begründet sei. Wie dazu festzustellen ist, hat die Kommission in Randnummer 386 der Entscheidung die beiden bereits oben in Randnummer 151 erwähnten Gründe für die Anwendung des Multiplikators angeführt. In Randnummer 387 der Entscheidung führte sie sodann aus, dass angesichts der in Randnummer 48 der Entscheidung genannten Zahlen die Kartellteilnehmer in zwei Kategorien einzuteilen seien. In Randnummer 388 der Entscheidung schließlich hat sie darauf hingewiesen, dass sie die Anwendung eines Multiplikators von 2,5 für angezeigt halte, um einen abschreckenden Charakter der Geldbuße zu gewährleisten.
156 Was die Höhe dieses Multiplikators im Fall von ADM angeht, so durfte sich die Kommission darauf beschränken, auf die Größe des Unternehmens, wie sie annähernd aus seinem weltweit erzielten Umsatz erkennbar wird, und auf das Erfordernis zu verweisen, eine abschreckende Wirkung der Geldbuße zu gewährleisten. Es oblag ihr im Rahmen ihrer Begründungspflicht hingegen nicht, die der Entscheidung zugrunde liegende Berechnungsweise durch bezifferte Angaben zu erläutern (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 2000 in der Rechtssache C‑291/98 P, Sarrió/Kommission, Slg. 2000, I‑9991, Randnr. 80).
157 Die Kommission hat die Entscheidung daher insoweit hinreichend begründet. Der Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht ist somit ebenfalls zurückzuweisen.
6. Zu dem Vorliegen von Beurteilungsfehlern im Zusammenhang mit den konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt
a) Einleitung
158 Wie zunächst in Erinnerung zu bringen ist, ist die Schwere von Zuwiderhandlungen anhand zahlreicher Gesichtspunkte zu ermitteln (vgl. oben, Randnr. 76). Als eines der relevanten Kriterien können in diesem Zusammenhang die konkreten Auswirkungen des Kartells auf den betroffenen Markt berücksichtigt werden.
159 Wie die Kommission in den Leitlinien (Abschnitt 1 A Absatz 1) ausgeführt hat, berücksichtigt sie, um die Schwere einer Zuwiderhandlung zu beurteilen, außer der Art der Zuwiderhandlung selbst und dem Umfang des betroffenen räumlichen Marktes „die konkreten Auswirkungen [der Zuwiderhandlung] auf den Markt, sofern diese messbar sind“.
160 Im vorliegenden Fall ist den Randnummern 334 bis 388 der Entscheidung zu entnehmen, dass die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße nach der Schwere der Zuwiderhandlung tatsächlich diese drei Kriterien berücksichtigte. In diesem Zusammenhang hat sie insbesondere darauf abgestellt, dass das Kartell „konkrete Auswirkungen“ auf den Markt für Natriumglukonat gehabt habe (Randnr. 371 der Entscheidung).
161 Nach Auffassung von ADM sind der Kommission jedoch bei der Beurteilung der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den in Frage stehenden Markt mehrere Beurteilungsfehler unterlaufen, die die Berechnung der Bußgeldbeträge beeinflusst hätten.
b) Zu der Rüge, dass die Kommission für den Nachweis von konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt eine verfehlte Vorgehensweise gewählt habe
Vorbringen der Parteien
162 ADM meint, die Kommission habe, vor allem infolge ihrer fehlerhaften Vorgehensweise bei der Beweisführung, das Bestehen konkreter Auswirkungen des Kartells auf den Natriumglukonatmarkt nicht nachgewiesen.
163 So habe sie sich zunächst auf die Feststellung beschränkt, dass das Kartell tatsächlich durchgeführt worden sei, und daraus geschlossen, dass es auch konkrete Auswirkungen auf den Markt gehabt haben müsse. Nach Abschnitt 1 A Absatz 1 der Leitlinien und den eigenen Ausführungen der Kommission in Randnummer 341 der Entscheidung dürfe die Durchführung eines Kartells aber nicht mit ihren konkreten Auswirkungen auf den in Frage stehenden Markt verwechselt werden.
164 Die Kommission habe sich für den Schluss, dass es konkrete Auswirkungen des Kartells auf den Markt gegeben habe, auch nicht auf die verhältnismäßig lange Dauer des Kartells stützen dürfen. Damit habe die Kommission nicht das Bestehen von konkreten Auswirkungen bewiesen, sondern lediglich eine rechtswidrige Vermutung in diesem Sinne angestellt.
165 Schließlich habe die Kommission, was die Entwicklung der Natriumglukonatpreise angehe, nicht, wie es Abschnitt 1 A Absatz 1 der Leitlinien verlange, den Nachweis erbracht, dass das Kartell „messbare“ Auswirkungen auf diese Entwicklung gehabt habe. Die Kommission habe sich ausschließlich auf die in den Geschäftsräumen von Roquette bei der Nachprüfung sichergestellten Diagramme gestützt und, als sie sich mit den begründeten Einwänden von ADM gegen ihre Schlussfolgerungen aus diesen Diagrammen hätte auseinandersetzen müssen, in Randnummer 359 der Entscheidung nur ausgeführt, „[d]ie von ADM vorgebrachten Argumente könn[t]en nicht überzeugend nachweisen, dass die Durchführung der Kartellvereinbarung keinerlei Rolle bei den Preisschwankungen gespielt habe“. Ohne die Stichhaltigkeit ihrer Argumente in Abrede zu stellen, habe die Kommission weiter nur angegeben, dass die Entwicklung der Natriumglukonatpreise, wie sie sich aus den Diagrammen ergebe, „mit dem Vorhandensein eines Kartells vollauf vereinbar“ sei (ebenda). Damit habe die Kommission aber nicht das Bestehen von konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt bewiesen, sondern rechtswidrig die Beweislast auf die Parteien abgewälzt.
166 Die Kommission bestreitet nicht, dass die Kriterien für die Durchführung des Kartells und die für seine konkreten Auswirkungen auf den Markt nicht vermischt werden dürften und dass sie selbst insoweit beweispflichtig sei. Sie habe aber im vorliegenden Fall keineswegs die Beweislast umgekehrt, sondern den Beweis rechtlich hinreichend erbracht.
Würdigung durch das Gericht
167 Vor der Entscheidung über die Begründetheit der Rügen der Klägerin hinsichtlich der von der Kommission gewählten Vorgehensweise für den Nachweis, dass das Kartell konkrete Auswirkungen auf den Natriumglukonatmarkt gehabt habe, ist zunächst die von der Kommission vorgenommene und in den Randnummern 340 bis 369 der Entscheidung wiedergegebene Beurteilung zusammenzufassen.
– Zusammenfassung der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung
168 In Randnummer 340 der Entscheidung leitete die Kommission ihre Beurteilung mit folgenden Worten ein:
„Die Kommission ist der Auffassung, dass die von Unternehmen begangene Zuwiderhandlung, die in dem von dieser Entscheidung erfassten Zeitraum mehr als 90 % des Weltmarktes und 95 % des europäischen [Natriumglukonatmarktes] umfassten, tatsächliche Auswirkungen auf den [Natriumglukonatmarkt] im EWR hatte, da sie sorgfältig durchgeführt wurde. Da die Kartellvorkehrungen darauf abzielten, die Verkaufsmengen zu beschränken, um damit die Preise auf eine Höhe zu treiben, die sonst nicht erreicht worden wäre, wozu die Beschränkung der Verkäufe an bestimmte Kunden zählte, müssen sie das übliche Muster des Marktverhaltens geändert und damit Auswirkungen im Markt gehabt haben.“
169 In Randnummer 341 der Entscheidung betonte sie, dass, „soweit möglich[,] zwischen der Durchführung der Vereinbarungen und den damit erzielten Auswirkungen im Markt zu unterscheiden [ist]“, dass aber „[e]in gewisses Maß an Überschneidung zwischen den Tatsachen, die herangezogen wurden, um in diesen beiden Punkten zu einer Schlussfolgerung zu gelangen, … verständlicherweise unvermeidbar [ist]“.
170 Anschließend untersuchte die Kommission zunächst die Durchführung des Kartells (Randnrn. 342 bis 351 der Entscheidung). Die Durchführung des Kartells werde durch verschiedene Umstände belegt, die sich auf den „Grundstein des Kartells“, die Verkaufsquoten, bezögen. Außerdem stellte die Kommission fest, dass „[k]ennzeichnend für das Kartell … das beständige Anliegen [war], Ziel- und/oder Mindestpreise festzusetzen“, und dass sich „[d]iese Preise … auf das Marktverhalten der Teilnehmer ausgewirkt haben [müssen], selbst wenn sie nicht systematisch von den Kartellteilnehmern erzielt wurden“ (Randnr. 348 der Entscheidung). Sie gelangte zu dem Schluss, dass „die Wirksamkeit der Durchführung [des Kartells] nicht in Frage gestellt werden [kann]“ (Randnr. 350 der Entscheidung).
171 In einem zweiten Schritt prüfte die Kommission die Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Natriumglukonatmarkt. Dabei stützte sie sich zunächst auf die Prüfung des relevanten Marktes in den Randnummern 34 bis 41 der Entscheidung. Später führte sie unter Bezugnahme auf die bereits in den Randnummern 235 und 236 der Entscheidung enthaltene Beurteilung und die beiden in den Geschäftsräumen von Roquette sichergestellten Tabellen (im Folgenden: Diagramme) Folgendes aus (Randnr. 354 der Entscheidung):
„Die Preisentwicklung, wie sie in den bei Roquette während der Nachprüfung vorgefundenen [Diagrammen] dargestellt ist, lässt darauf schließen, dass das von den Kartellteilnehmern verfolgte Ziel zumindest teilweise erreicht wurde. In den beiden [Diagrammen] ist die Entwicklung des [Natriumglukonatpreises] in FRF in Europa von 1977 bis 1995 dargestellt und nachgewiesen, dass im Jahr 1985 der [Natriumglukonatpreis] in Europa eingebrochen ist. Es ist möglich, dass sich diese Bewegung aus dem Zusammenbruch des vorangehenden Kartells und der sich anschließenden Steigerung der Auslastung der Produktionskapazitäten ergab. Bis Ende 1986 lag der Preis um rund 50 % unter dem Preis von Anfang 1985. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Durchsetzung der neuen Kartellvereinbarungen ab 1986 zu der abrupten Preiserhöhung zwischen 1987 und 1989, als sich die Preise verdoppelten, erheblich beitrug. Nach einem Rückgang des Preises im Jahr 1989, der kleiner war als der Rückgang des Jahres 1985, lag der Preis bis 1995 um rund 60 % über dem Preis von 1987.“
172 In den Randnummern 235 und 236 der Entscheidung, auf die sich deren Randnummer 354 bezieht, erklärte die Kommission:
„(235) Zwei bei der Roquette-Nachprüfung vorgefundene Unterlagen sind eindeutiger Nachweis dafür, dass mit dem [Natriumglukonat]-Kartell Ergebnisse erzielt wurden. Hierzu zählt [ein Diagramm] mit dem europäischen [Natriumglukonat]-Durchschnittspreis zwischen 1977 und 1995.
(236) Aus [einem] der [Diagramme] geht deutlich hervor, dass in den Jahren 1981 und 1987, als die Kartellvereinbarungen zum ersten bzw. zweiten Mal durchgesetzt wurden, die Preise in die Höhe schossen. Der scharfe Preisrückgang im Jahr 1985 fällt mit dem Ende des ersten Kartells zusammen, als sich Roquette aus der Kartellvereinbarung zurückzog. Zwischen 1987 und 1989 kam es zu einer starken Preissteigerung, bei der sich der [Natriumglukonatpreis] praktisch verdoppelte. Daraufhin blieb er bis 1995 um 60 % höher als in der Konjunkturflaute von 1987. Anders als im Zeitraum 1981 bis 1986 konnte der [Natriumglukonatpreis] jedoch auf einer beträchtlichen Höhe bis 1995 gehalten werden.“
173 Anschließend resümierte, prüfte und verwarf die Kommission die verschiedenen Argumente, die die betroffenen Teilnehmer im Verwaltungsverfahren vorgetragen hatten, um den Schluss zu widerlegen, den sie aus den in den Geschäftsräumen von Roquette sichergestellten Diagrammen gezogen hatte. Zu den Argumenten von ADM, die insbesondere geltend gemacht hatte, dass dieselbe Preisentwicklung auch ohne Kartell stattgefunden hätte, führte die Kommission aus (Randnrn. 359, 365 und 369 der Entscheidung):
„(359) … Die von ADM vorgebrachten Argumente können nicht überzeugend nachweisen, dass die Durchführung der Kartellvereinbarung keinerlei Rolle bei den Preisschwankungen gespielt habe. Die von ADM vorgebrachte Erklärung mag zwar auch zutreffen, wenn kein Kartell besteht, sie ist jedoch mit dem Vorhandensein eines Kartells vollauf vereinbar. Die Kapazitätssteigerung Mitte der 80er Jahre könnte sowohl die Ursache als auch das Ergebnis des Zusammenbruchs des ersten Kartells (1981–1985) gewesen sein. Die Entwicklungen ab 1987 sind mit der Wiederbelebung des Kartells in jenem Zeitraum voll zu vereinbaren. Deshalb ist die Tatsache, dass der [Natriumglukonatpreis] wieder zunahm, nicht ausschließlich durch eine Wettbewerbsreaktion zu erklären, sondern im Zusammenhang mit der Tatsache zu sehen, dass die Teilnehmer ‚Tiefstpreise‘ und die Zuteilung von Marktanteilen sowie ein Berichts- und Überwachungssystem vereinbart hatten. All diese Faktoren waren ein Beitrag zu erfolgreichen Preiserhöhungen.
…
(365) Aus [einem] der bei Roquette vorgefundenen [Diagramme] geht hervor, dass in dem Zeitraum 1991 bis 1995, als ADM an dem Kartell beteiligt war, die Preise unverändert blieben bzw. leicht zurückgingen. Es gibt keine Nachweise für einen größeren Rückgang der Preise und schon gar nicht dafür, dass die Preishöhe nicht rentabel gewesen wäre. Die überzeugendere Erklärung für das Verlassen des Marktes durch ADM lautet wohl, dass es unmittelbar nach seinem Beitritt zum Kartell auf große technische Schwierigkeiten stieß, die fortdauerten. Dadurch war es nie in der Lage, seine Absatzquoten auszuschöpfen.
…
(369) Schließlich ist es undenkbar, dass die Parteien wiederholt vereinbart hätten, an verschiedenen Orten der Welt zusammen zu kommen, um über einen derart langen Zeitraum Absatzmengen zuzuteilen, Preise festzusetzen und Kunden zuzuweisen, wenn sie im Hinblick u. a. auf die damit verbundenen Risiken davon überzeugt gewesen wären, dass das Kartell keine oder nur geringe Auswirkungen auf den [Natriumglukonatmarkt] haben würde.“
– Würdigung
174 Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Kommission nach Abschnitt 1 A Absatz 1 der Leitlinien bei der Bemessung der Geldbuße nach Maßgabe der Schwere des Verstoßes u. a. „die konkreten Auswirkungen [des Verstoßes] auf den Markt [berücksichtigt], sofern diese messbar sind“.
175 Insoweit ist die genaue Bedeutung der Worte „sofern diese [d. h. die konkreten Auswirkungen] messbar sind“ zu untersuchen. Insbesondere ist zu klären, ob mit diesen Worten gemeint ist, dass die Kommission die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung im Rahmen der Bußgeldbemessung nur dann berücksichtigen darf, wenn und soweit sie in der Lage ist, diese Auswirkungen quantitativ zu bestimmen.
176 Wie die Kommission zutreffend vorgetragen hat, erfordert die Prüfung der Auswirkungen eines Kartells auf den betreffenden Markt die Aufstellung von Hypothesen. In diesem Zusammenhang muss die Kommission insbesondere prüfen, welchen Preis das relevante Produkt ohne Kartell gehabt hätte. Indessen ist es mit Unwägbarkeiten behaftet, im Rahmen der Prüfung der Gründe für die tatsächliche Preisentwicklung Mutmaßungen über den jeweiligen Anteil anzustellen, den die einzelnen Gründe hatten. Es ist dem objektiven Umstand Rechnung zu tragen, dass die Teilnehmer aufgrund des Preiskartells auf die Möglichkeit, mittels der Preise miteinander zu konkurrieren, gerade verzichtet haben. Die Beurteilung des Einflusses anderer Faktoren als dieses freiwilligen Verzichts der Kartellteilnehmer beruht daher zwangsläufig auf hinreichend hohen und nicht genau quantifizierbaren Wahrscheinlichkeiten.
177 Soll diesem Kriterium, das bei der Ermittlung der Höhe der Geldbuße herangezogen werden kann, nicht seine praktische Wirksamkeit genommen werden, kann es der Kommission daher nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie sich auf die konkreten Auswirkungen eines Kartells auf den relevanten Markt gestützt hat, obwohl sie diese Auswirkungen nicht quantifizieren oder hierzu keine bezifferte Beurteilung vorlegen kann.
178 Die konkreten Auswirkungen eines Kartells auf den betreffenden Markt sind folglich als hinreichend nachgewiesen anzusehen, wenn die Kommission in der Lage ist, konkrete und glaubhafte Indizien dafür vorzulegen, dass das Kartell mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf diesen Markt hatte.
179 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Zusammenfassung der von der Kommission vorgenommenen Analyse (siehe oben, Randnrn. 168 bis 173), dass sie ihre Feststellung, das Kartell habe tatsächliche Auswirkungen auf den Markt gehabt, auf zwei Indizien stützte. Zum einen hat sie sich darauf berufen, dass die Kartellmitglieder die Kartellvereinbarungen sorgfältig durchgeführt hätten (vgl. insbesondere Randnr. 340 der Entscheidung, zitiert oben in Randnr. 168) und dass das Kartell über einen langen Zeitraum bestanden habe (Randnr. 369 der Entscheidung, zitiert oben in Randnr. 173). Zum anderen war sie der Ansicht, dass die in den Geschäftsräumen von Roquette sichergestellten Diagramme eine gewisse Übereinstimmung zwischen den vom Kartell festgesetzten Preisen und den von den Kartellmitgliedern tatsächlich auf dem Markt angewandten Preisen zeigten (Randnr. 354 der Entscheidung, zitiert oben in Randnr. 171).
180 Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich die Kommission nicht damit begnügt hat, allein aus der tatsächlichen Durchführung des Kartells auf konkrete Auswirkungen auf den Natriumglukonatmarkt zu schließen. Wie aus den oben zitierten Passagen der Entscheidung deutlich wird, hat sie, soweit möglich, versucht, die Durchführung des Kartells und dessen konkrete Auswirkungen auf den Markt getrennt zu prüfen, wobei sie im Kern die Auffassung vertrat, dass die Durchführung eines Kartells eine notwendige Voraussetzung für den Nachweis konkreter Auswirkungen des Kartells sei, ohne jedoch für diesen Nachweis auszureichen (vgl. in diesem Sinne Randnr. 341 der Entscheidung). Zwar hat die Kommission in Randnummer 341 der Entscheidung eingeräumt, dass „[e]in gewisses Maß an Überschneidung zwischen den Tatsachen, die herangezogen wurden, um in diesen beiden Punkten zu einer Schlussfolgerung zu gelangen, … unvermeidbar [ist]“ – und aus diesem Grund auch nicht, wie Roquette hervorhebt, im Rahmen jedes dieser Teile ihrer Analyse stets die richtigen Begriffe verwendet –, doch kann ihr nicht vorgeworfen werden, sie habe die Durchführung des Kartells und seine konkreten Auswirkungen verwechselt. Es kommt hinzu, dass die tatsächliche Durchführung eines Kartells als Voraussetzung dafür, dass es konkrete Auswirkungen hat, für derartige Auswirkungen ein Anfangsindiz bildet.
181 Gleichfalls nicht zu beanstanden ist, da sich (siehe oben, Randnr. 179) die Kommission nicht auf diesen Gesichtspunkt beschränkte, ihre Annahme, angesichts des Umstands, dass die Kartellmitglieder mehr als 90 % des Weltmarktes und 95 % des Natriumglukonatmarktes des EWR abgedeckt und für die Organisation, Beobachtung und Überwachung der Kartellvereinbarungen erhebliche Anstrengungen unternommen hätten, stelle die Durchführung des Kartells ein starkes Indiz für Auswirkungen auf den Markt dar.
182 Die Kommission durfte überdies davon ausgehen, dass dieses Indiz während der Dauer des Kartells an Bedeutung gewinnt. Das reibungslose Funktionieren eines komplexen Kartells, das wie im vorliegenden Fall die Preisfestsetzung, die Aufteilung der Märkte und den Austausch von Informationen betrifft, führt nämlich u. a. zu hohen Verwaltungs- und Geschäftsführungskosten. Die Kommission konnte deshalb die Tatsache, dass die Unternehmen die Zuwiderhandlung über einen langen Zeitraum fortgesetzt und deren effektive Verwaltung sichergestellt hatten, obwohl mit derartigen rechtswidrigen Aktivitäten Risiken verbunden waren, vernünftigerweise als Hinweis darauf werten, dass die Kartellmitglieder einen gewissen Vorteil von diesem Kartell hatten, und damit auch als Hinweis darauf, dass das Kartell konkrete Auswirkungen auf den betreffenden Markt hatte, auch wenn sich diese nicht quantifizieren ließen.
183 Was die bei Roquette beschlagnahmten Diagramme anbelangt, so lässt sich der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung (vgl. oben, Randnrn. 171 und 172) entnehmen, dass die Kommission, ohne in den Diagrammen einen unabweisbaren Beweis für Auswirkungen des Kartells auf die Preise zu sehen oder gar diese Auswirkungen zu beziffern zu versuchen, es für „sehr wahrscheinlich“ hielt, dass die Durchführung der Vereinbarungen zur Preisentwicklung „erheblich beitrug“.
184 Es wird nachstehend zu prüfen sein, ob der Kommission, wie ADM geltend macht, bei der Beurteilung der Tatsachen, auf die sie ihre Schlüsse gründete, Fehler unterlaufen sind. Jedoch wirft ADM der Kommission, berücksichtigt man die obigen Ausführungen in Randnummer 178, zu Unrecht vor, dass sie für den Nachweis der Auswirkungen des Kartells auf die Entwicklung der Natriumglukonatpreise eine verfehlte Vorgehensweise gewählt habe. Diesem Schluss steht nicht entgegen, dass die Kommission auf das Vorbringen von ADM erwiderte, sie könne nicht ausschließen, dass die gleiche Entwicklung möglicherweise auch ohne das Kartell stattgefunden hätte, halte aber die Argumentation von ADM angesichts der tatsächlichen Durchführung des Kartells und der Parallelität der beobachtbaren Preise mit den vereinbarten Preisen für nicht überzeugend. Ohne von den betroffenen Unternehmen, wie ADM behauptet, einen Beweis des Gegenteils zu verlangen, den zu erbringen ihnen aus den oben in Randnummer 177 genannten Gründen häufig praktisch unmöglich sein wird, hat die Kommission somit die verschiedenen Argumente, die für und gegen ihre eigene Schlussfolgerung sprachen, vielmehr sorgfältig abgewogen.
185 Nach alledem hat die Kommission für die Beurteilung der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Natriumglukonatmarkt keine verfehlte Vorgehensweise gewählt.
c) Zur Beurteilung der Entwicklung der Preise für Natriumglukonat
186 Nach Auffassung von ADM tragen die in der Entscheidung angeführten Beweise nicht den Schluss der Kommission, es sei „sehr wahrscheinlich, dass die Durchsetzung der neuen Kartellvereinbarungen ab 1986 zu der abrupten Preiserhöhung zwischen 1987 und 1989, als sich die Preise verdoppelten, erheblich beitrug“ (Randnr. 354 der Entscheidung). ADM entwickelt in diesem Zusammenhang zwei verschiedene Argumentationslinien.
Zu dem Vorbringen, dass die Kommission keine hinreichenden Informationen besessen und die anderen im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Faktoren verkannt habe
– Vorbringen der Parteien
187 ADM betrachtet es als unwahrscheinlich, dass das Kartell andere Auswirkungen gehabt habe, als sie sich auch aus den Marktkräften ergeben hätten. Wie aus der Entscheidung hervorgehe, hätten die betroffenen Unternehmen nämlich selbst angegeben, dass der 1986/87 festgesetzte Preis nicht die Rohstoffkosten gedeckt habe; dies habe sogar noch 1989 gegolten, als der Preis seinen Höchststand erreicht habe. In einer solchen Situation wäre der Preis nach Ansicht von ADM ohnehin und auch ohne Kartell gestiegen.
188 Die Kommission besitze für die Zeit von 1987 bis 1989 außerdem kaum Informationen: Für den angeblich vor dem 9. August 1989 festgesetzten Preis besitze sie keine Beweise. Die Preise im Zeitraum 1986/87 ließen auf eine Auszehrungsstrategie schließen, mit der FinnSugar, deren Produktionstechnologie für Natriumglukonat ADM 1989 erworben habe (im Folgenden: FinnSugar), habe gezwungen werden sollen, ihre Expansionspläne aufzugeben.
189 Die Kommission hält diesen Ausführungen entgegen, dass ein ruinöser Produktpreis bei einem Angebotsüberhang nur bei konkursbedingtem Marktausscheiden eines der auf dem Markt präsenten Unternehmen steigen könne. Im vorliegenden Fall hätte daher kein Unternehmen die Preise durch bloße einseitige Entscheidung wieder anheben können, ohne Marktanteile zu verlieren. Auch wenn die Erhöhung möglicherweise auch ohne Kartell stattgefunden hätte, habe das Kartell doch bestanden und biete für die festgestellten Preisbewegungen die plausibelste Erklärung.
– Würdigung durch das Gericht
190 Um festzustellen, ob die Kommission die konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt richtig beurteilt hat, ist nach ständiger Rechtsprechung vor allem zu prüfen, wie sie die Auswirkungen der Preisabsprache beurteilt hat (vgl. oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 148, und in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑308/94, Cascades/Kommission, Slg. 1998, II‑925, Randnr. 173, sowie oben in Randnr. 110 zitiertes Urteil Mayr-Melnhof/Kommission, Randnr. 225).
191 Nach der Rechtsprechung sind bei der Feststellung der Schwere der Zuwiderhandlung insbesondere der normative und wirtschaftliche Zusammenhang zu berücksichtigen, in den sich die beanstandete Verhaltensweise einfügt (Urteil des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnr. 612, und oben in Randnr. 76 zitiertes Urteil Ferriere Nord/Kommission, Randnr. 38), und muss die Kommission, um die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt zu beurteilen, auf den Wettbewerb abstellen, den es normalerweise ohne die Zuwiderhandlung gegeben hätte (vgl. in diesem Sinne Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, Randnrn. 619 und 620, oben in Randnr. 110 zitiertes Urteil Mayr-Melnhof/Kommission, Randnr. 235, und Urteil des Gerichts vom 11. März 1999 in der Rechtssache T‑141/94, Thyssen Stahl/Kommission, Slg. 1999, II‑347, Randnr. 645).
192 Wie daraus zum einen folgt, muss bei Preisabsprachen festgestellt werden, dass es die Absprachen den Beteiligten tatsächlich erlaubt haben, ein höheres Preisniveau als ohne das Kartell zu erzielen. Zum anderen folgt daraus, dass die Kommission unter Berücksichtigung des vorhandenen wirtschaftlichen und gegebenenfalls normativen Rahmens alle objektiven Bedingungen auf dem betreffenden Markt in ihre Beurteilung einbeziehen muss. So ist den Urteilen des Gerichts zu dem Kartell für Karton (vgl. insbesondere oben in Randnr. 110 zitiertes Urteil Mayr-Melnhof/Kommission, Randnrn. 234 und 235) zu entnehmen, dass gegebenenfalls das Vorhandensein von „objektiven wirtschaftlichen Faktoren“ zu berücksichtigen ist, aus denen sich ergibt, dass sich das Preisniveau „bei freiem Wettbewerb“ nicht ebenso entwickelt hätte wie die tatsächlich praktizierten Preise (vgl. auch oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnrn. 151 und 152, und oben in Randnr. 190 zitiertes Urteil Cascades/Kommission, Randnrn. 183 und 184).
193 Im vorliegenden Fall bestreitet ADM nicht die von der Kommission festgestellten Tatsachen. Insbesondere bestreitet sie nicht die Preisentwicklung, die die Kommission auf der Grundlage der bei Roquette sichergestellten Diagramme sowohl in ihrer Darstellung des Sachverhalts (Randnrn. 76 bis 80 der Entscheidung) als auch im Rahmen ihrer Beurteilung der Auswirkungen des Kartells auf den Markt (Randnr. 354 der Entscheidung) beschrieben hat.
194 Der relevante Sachverhalt, wie er sich aus der Entscheidung ergibt, kann wie folgt zusammengefasst werden:
– Im Frühjahr 1984 wurde das alte Kartell beendet (Randnr. 76 der Entscheidung).
– Etwa zwei Jahre lang (d. h. bis etwa Frühjahr 1986) herrschte auf dem Natriumglukonatmarkt freier Wettbewerb (Randnr. 77 der Entscheidung).
– Im Mai 1986 wurden erste Initiativen für die Schaffung eines neuen Kartells ergriffen (Randnr. 79 der Entscheidung).
– Im Februar 1987 wurde das neue Kartell errichtet, das mit mehreren Änderungen bis 1995 bestand (Randnrn. 79 und 80 der Entscheidung).
195 Die Entwicklung des Natriumglukonatpreises, wie sie sich aus Randnummer 354 der Entscheidung ergibt, kann wie folgt zusammengefasst werden:
– Im Jahr 1985 fielen die Natriumglukonatpreise, und 1986 hatten sie sich gegenüber Anfang 1985 praktisch halbiert.
– Zwischen 1987 und 1989 verdoppelten sich die Natriumglukonatpreise.
– 1989 fielen die Preise erneut, aber nicht so stark wie 1985, und stabilisierten sich bis 1995 auf einem Niveau von etwa 60 % über dem Niveau von 1987.
196 Erstens hat die Kommission somit für ihre Beurteilung, ob es die Vereinbarungen den betroffenen Unternehmen tatsächlich ermöglichten, ein höheres Niveau der Verkaufspreise als ohne Kartell zu erzielen, die Natriumglukonatpreise in der Zeit zwischen der Beendigung des alten Kartells und – im Februar 1987 – der Errichtung des neuen, in der es auf dem Markt freien Wettbewerb gab, ordnungsgemäß mit den nach 1987 praktizierten Preisen verglichen und dabei eine gewisse Anlaufzeit berücksichtigt, die für die effektive Errichtung des Kartells verbraucht wurde.
197 Sie hat für ihren Vergleich der Lage angesichts der tatsächlich praktizierten Preise mit der ohne Kartell anzunehmenden Lage ferner zutreffend darauf verwiesen, dass die Preise zwischen 1989 und 1995 durch eine gewisse Stabilität gekennzeichnet waren. Wie sie – insoweit seitens ADM unwidersprochen – in Randnummer 42 der Entscheidung ausgeführt hat, unterlag der Natriumglukonatmarkt aber generell erheblichen Schwankungen. Die Kommission konnte daher zu Recht zu dem Schluss gelangen, dass die Beteiligten ohne das Kartell mit einer gewissen Stabilität des Natriumglukonatpreises nicht hätten rechnen können. ADM hat nichts vorgetragen, was diesen Schluss entkräftet.
198 Was zweitens die Preisverdoppelung zwischen 1987 und 1989 angeht, so ist es, wenn sich der Natriumglukonatpreis – wie ADM vorträgt – 1987 auf einem ruinösen Niveau befand und es einen Angebotsüberhang gab, wie dies in den Jahren 1986 und 1987 der Fall gewesen war, nicht vorstellbar, dass die Preise ohne einen von außen hinzutretenden Faktor hätten steigen können. Gab es nämlich einen Angebotsüberhang, so wären die Preise gesunken oder bis zu einer neuen Verknappung des Produkts wegen konkurs- oder übernahmebedingten Ausscheidens eines Wirtschaftsteilnehmers aus dem Markt niedrig geblieben. Die Kommission hat aber im vorliegenden Fall festgestellt, dass die Preise mit der tatsächlichen Errichtung des neuen Kartells gestiegen waren.
199 Demnach durfte die Kommission zu dem Ergebnis gelangen, dass sie konkrete und glaubhafte Belege dafür besaß, dass das Kartell auf den Markt konkrete Auswirkungen hatte, die durch den Vergleich des hypothetischen Preises, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ohne das Kartell bestanden hätte, mit dem infolge des Kartells angewandten Preis im Sinne der Leitlinien „messbar“ waren.
200 Die von ADM vorgebrachten Argumente sind nicht geeignet, diesen Schluss zu entkräften. So ist insbesondere der von ADM geltend gemachte Umstand irrelevant, dass nach Angaben ihrer Wettbewerber der Preis selbst auf seinem Höchststand nicht einmal die Rohstoffkosten gedeckt habe. Selbst wenn dies nachgewiesen wäre, lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass der Preis, der ohne Kartell auf einem Markt mit ungestörtem Wettbewerb praktiziert worden wäre, ebenfalls unter den Rohstoffkosten gelegen hätte, aber noch tiefer unter dem Selbstkostenpreis. Die Kommission hat damit die von ADM und den anderen Beteiligten im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Argumente fehlerfrei beurteilt (vgl. auch oben, Randnr. 183).
201 ADM rügt daher zu Unrecht, dass die Kommission nur über unzureichende Informationen verfügt und die anderen im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Faktoren verkannt habe.
Zu dem Vorbringen, dass ADM in der Zeit des Anstiegs der Natriumglukonatpreise zwischen 1987 und 1989 nicht Mitglied des Kartells gewesen sei
– Vorbringen der Parteien
202 ADM trägt vor, dass die Zeit von 1987 und 1989, als der Preis für Natriumglukonat gestiegen sei, vor ihrem Kartellbeitritt liege und dass die Kommission die gegen sie verhängte Geldbuße nicht wegen wirtschaftlicher Auswirkungen des Kartells in einer Zeit, in der sie an diesem nicht beteiligt gewesen sei, hätte erhöhen dürfen.
203 Die Kommission hält dieses Vorbringen für unbegründet.
– Würdigung durch das Gericht
204 Nach ständiger Rechtsprechung ist das von einem Unternehmen behauptete tatsächliche Verhalten bei der Bewertung der Auswirkungen eines Kartells auf den Markt nicht von Bedeutung, sondern sind lediglich die Wirkungen der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 8. Juli 1999 in der Rechtssache C‑49/92 P, Kommission/Anic Partecipazioni, Slg. 1999, I‑4125, Randnrn. 150 und 152, und oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnrn. 160 und 167).
205 Wie die Kommission zu Recht geltend macht, hat ADM, auch wenn sie dem Kartell erst nach der Verdoppelung der Natriumglukonatpreise zwischen 1987 und 1989 beitrat, doch in der ganzen Zeit ihrer Beteiligung von den vor ihrem Beitritt erzielten Ergebnissen des Kartells profitiert, nämlich einer erheblichen Preissteigerung und einer Preisstabilisierung auf erhöhtem Niveau. Sie hat auch für die Dauerhaftigkeit dieser Ergebnisse gesorgt.
206 Daher durfte die Kommission, um die konkreten Auswirkungen des Kartells im Hinblick auf alle Beteiligten zu beurteilen, das Kartell in seiner Gesamtheit betrachten. Für die Feststellung der konkreten Auswirkungen des Kartells ist der Zeitpunkt des Kartellbeitritts von ADM irrelevant.
207 Die Rüge von ADM, sie sei in der Zeit der Erhöhung der Natriumglukonatpreise zwischen 1987 und 1989 nicht Mitglied des Kartells gewesen, ist daher zurückzuweisen.
d) Zur Definition des relevanten Marktes
Vorbringen der Parteien
208 Nach Auffassung von ADM sind der Kommission bei der Definition des relevanten Marktes Fehler unterlaufen. Die Definition des relevanten Marktes sei aber erforderlich, um die Auswirkungen des Kartells auf den Markt zu messen, womit diese Fehler die Berechnung der Geldbuße beeinflusst hätten.
209 Erstens habe die Kommission in der Entscheidung zwar eingeräumt, dass Natriumglukonat je nach Anwendung durch andere Stoffe ersetzt werden könne, aber dennoch in ihrer Definition des relevanten Marktes die Substitute für Natriumglukonat ausgeschlossen.
210 Damit habe die Kommission ihrer eigenen Praxis zuwidergehandelt, nach der partielle Substitute Teil des relevanten Marktes sein könnten. Die Kommission habe auch ihre eigene Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft (ABl. 1997, C 372, S. 5, im Folgenden: Bekanntmachung über die Marktdefinition) nicht richtig angewandt.
211 Das vorliegende Beweismaterial deute darauf hin, dass die Käufer von Natriumglukonat einen leichten, aber spürbaren Preisanstieg tatsächlich neutralisiert hätten, wenn sie sich chelatbildenden Substituten zugewandt hätten, und somit der Markt in Wirklichkeit größer sei, als die Kommission behaupte. Unter Bezugnahme auf das „Chemical Economics Handbook“ von B. Davenport u. a. (SRI International 2000, im Folgenden: CEH-Bericht 2000) führt ADM dazu aus:
– Unter dem Gesichtspunkt der Preisrelation seien folgende Stoffe näherliegende Substitute für Natriumglukonat als Glukonsäure: Glukoheptonate, HEDTA (als Puder), Aminonotri (Säure), NTA-Säure (trocken), Aminonotri (Salz NA5) und EDTA-Säure (trocken).
– Glukoheptonate seien ein Substitut, das Glukonsäure näherstehe als Natriumglukonat.
– Die Korrelation der Preise für Natriumglukonat und für Glukoheptonate liege über 96 %, was darauf schließen lasse, dass die Preise praktisch voneinander unlösbar seien.
– Die Korrelation zwischen allen im CEH-Bericht 2000 genannten Chelatbildnern und Natriumglukonat liege über 60 %, womit davon ausgegangen werden könne, dass die Natriumglukonatpreise auf Preisbewegungen der anderen Chelatbildner äußerst sensibel reagierten.
– Die Preiskorrelation zwischen Natriumglukonat und den anderen Chelatbildnern liege über 60 %, ausgenommen zwei NTA-Substitute.
212 Wie sich aus der Bekanntmachung über die Marktdefinition (Nr. 39), verschiedenen Entscheidungen der Kommission in Fusionssachen und aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1998 in der Rechtssache C‑185/95 P (Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1998, I‑8417, Randnr. 100) ergebe, sei ein hoher Korrelationsgrad zwischen den Preisen von Produkten ein Beweis dafür, dass diese im Sinne des Wettbewerbsrechts demselben Produktmarkt angehörten. Wie dem CEH-Bericht 2000 zu entnehmen sei, gebe es aber Preiskonkurrenz zwischen allen Chelatbildnern und seien Natriumglukonat und Glukoheptonate im Allgemeinen in zahlreichen Anwendungen austauschbar.
213 Die Ergebnisse des CEH-Berichts 2000 würden durch Aussagen der von der Kommission im Rahmen ihrer Untersuchung befragten Zeugen, die bei der Kommission eingereichten Antworten der betroffenen Unternehmen und interne Vermerke dieser Unternehmen bestätigt.
214 Damit belegten sowohl die von der Kommission angeführten Beweismittel – aus denen sie allerdings falsche Schlüsse gezogen habe – als auch der CEH-Bericht 2000, dass der relevante Markt unter Einschluss von Produkten wie Glukonate und Glukoheptonate, Glukonsäure, Glukoheptonate in Säureform, „Mutterlaugen“ und Lignosulfonate extensiver zu definieren gewesen wäre.
215 Die von der Kommission in ihrer Entscheidung angeführten Argumente stünden diesem Ergebnis nicht entgegen. Es komme insbesondere nicht auf die Frage an, ob die Substitute für Natriumglukonat nur unvollkommene oder partielle Substitute seien, denn wie aus Nummer 17 der Bekanntmachung über die Marktdefinition hervorgehe, habe die Kommission festzustellen, ob ein Substitut genügend Verkäufe auf sich ziehen könne, um eine geringe, aber spürbare Preiserhöhung zu vereiteln, nicht aber, ob ein Substitut sämtliche Verkäufe eines Produkts auf sich ziehe, wie es bei einem vollkommenen Substitut der Fall sei. Es sei auch irrig, das Fehlen eines generellen, für sämtliche Anwendungen einsetzbaren Substituts für Natriumglukonat als Bestätigung dafür zu werten, dass Natriumglukonat einen wettbewerbsrechtlich relevanten Produktmarkt bilde (Randnr. 37 der Entscheidung). Die Kommission habe insbesondere keine spezielle Verwendung benannt, bei der es für Natriumglukonat kein Substitut gebe.
216 Ebenso stütze sich die Kommission zu Unrecht auf das Urteil des Gerichtshofes vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461). Erstens habe der Gerichtshof darin das Kriterium eines ausreichenden Grades an Austauschbarkeit zwischen allen Produkten ein und desselben Marktes im Hinblick auf dieselbe Verwendung angewandt. Auf diesen Prüfmaßstab werde aber auch in den Wirtschaftstheorien abgestellt, die der Bekanntmachung über die Marktdefinition zugrunde lägen, und auch ADM selbst stütze ihre Argumentation auf diesen Maßstab. Zweitens unterscheide sich der Entscheidungssachverhalt dieses Urteils vom vorliegenden Fall. Während es in der Rechtssache Hoffmann-La Roche für die Vitamine C und E bei Anwendungen in Lebensmitteln keine Substitute gegeben habe, habe die Kommission im vorliegenden Fall keinerlei Anwendung genannt, für die Natriumglukonat ohne Substitut sei. Drittens sei vernünftigerweise anzunehmen, dass die Substitute sich auf die Strategie, die die Klägerin in jener Rechtssache zur Festsetzung der Preise für die Vitamine C und E entwickelt habe, nicht ausgewirkt hätten, wenn nur begrenzte Mengen dieser Vitamine für technische Anwendungen verkauft worden wären. Da die Streuung der Verkäufe auf die Substitute im technischen Bereich beschränkt geblieben wäre, wären die Auswirkungen der Preiserhöhung wegen der zu erwartenden Gewinne aus umfangreicheren Verkäufen zu höheren Preisen für Anwendungen bei Lebensmitteln, für die es keine Substitute gegeben habe, nicht vereitelt worden.
217 Jedenfalls erscheine es fragwürdig, dass die Kommission in Randnummer 37 der Entscheidung und Randnummer 78 ihrer Klagebeantwortung den Aussagen der Abnehmer entscheidende Bedeutung zumesse. Die Abnehmer würden in Randnummer 37 der Entscheidung als Hersteller bezeichnet, „die eine Vielzahl von Produkten für unterschiedliche Abnehmer zusammenstellen und sich dabei zwei oder mehr Eigenschaften von [Natriumglukonat] zunutze machen“. Diese Behauptung werde aber durch nichts gestützt. Aus dem CEH-Bericht 2000 ergebe sich vielmehr, dass es sich bei den Unternehmen, die Natriumglukonat zur Verarbeitung in anderen Produkten kauften, im Allgemeinen um Hersteller einer bestimmten Branche handele. Keiner der befragten Kunden scheine der Definition der Kommission zu entsprechen.
218 Es sei auch darauf hinzuweisen, dass die US Federal Trade Commission in der Sache Dow Chemical Company zu dem Ergebnis gelangt sei, dass Chelatbildner ungeachtet ihrer Anwendungen wirtschaftlich einen Markt bildeten.
219 Zweitens habe die Kommission in Randnummer 38 der Entscheidung ausgeführt, dass „die große Mehrzahl der Kunden, an die von der Kommission ein Auskunftsersuchen gerichtet wurde, zu der Frage der Substituierbarkeit erwidert [hätten], dass sie nicht in der Lage wären, [Natriumglukonat] für ihre gewerbliche Anwendung durch ein anderes Produkt zu ersetzen“. Dieser Schluss sei dennoch fehlerhaft. Die von der Kommission bei den Verbrauchern erhobenen Beweise seien nämlich selektiv, mehrdeutig und durch die Art der gestellten Fragen verfälscht.
220 So hätten fünf der zwölf Endabnehmer, die die von der Kommission gestellte Frage beantwortet hätten, Natriumglukonat für substituierbar gehalten, auch wenn einer von ihnen als Substitut Glukonsäure genannt habe. Diese Antworten würden durch einen Händler bestätigt, der spontan darauf hingewiesen habe, dass es verschiedene Substitute gebe. Die Käufer, die die Frage beantwortet und die Substituierbarkeit von Natriumglukonat bestätigt hätten, bildeten die Mehrheit der in den Bereichen Oberflächenbehandlung und industrielle Reinigung tätigen Unternehmen (Solvay, Chemische Werke Kluthe und Henkel), vereinigten 50 % der Natriumglukonatverkäufe auf sich und umfassten zwei der mengenmäßig größten Verbraucher (Henkel und British Gypsum).
221 Ferner habe nur ein einziger der übrigen befragten Abnehmer seine Antwort begründet, wobei die Kommission in ihrer Bekanntmachung über die Marktdefinition (Nr. 40) selbst hervorgehoben habe, dass Antworten insoweit nur verwertbar seien, als sie hinreichend durch Tatsachen untermauert seien.
222 Außerdem sei die Frage in dem von der Kommission versandten Fragebogen nicht richtig formuliert worden. Die Kommission habe nämlich die Käufer nur danach gefragt, ob sie Natriumglukonat ersetzen könnten, ihnen aber nicht die Frage gestellt, wie sie auf eine geringe, aber spürbare Preiserhöhung reagieren würden. Zudem sei unter den verneinenden Antworten nur eine einzige begründet worden, ohne dass sich klar feststellen lasse, ob der Substitution nur geringfügige technische Schwierigkeiten entgegenstünden oder ob die Käufer auch bei einer dauerhaften Preiserhöhung für Natriumglukonat niemals auf ein anderes Produkt ausweichen könnten.
223 Schließlich heißt es in Randnummer 38 der Entscheidung, es werde durch „die Tatsache, dass die [Natriumglukonat]-Hersteller über einen langen Zeitraum ein [Natriumglukonat]-Kartell eingegangen sind, dieses aktiv verfolgt, mit Ressourcen versehen und nicht auf z. B. Mutterlaugen ausgeweitet haben, [bestätigt], dass [Natriumglukonat] von den Herstellern als ein relevanter Produktmarkt angesehen wird“.
224 Entgegen diesen Ausführungen der Kommission wiesen die vorliegenden Beweise aber darauf hin, dass die Beteiligten ein Ausweichen ihrer Kunden auf von den Kartellmitgliedern nicht kontrollierte Ersatzprodukte befürchtet und deshalb vergeblich versucht hätten, zur Vermeidung jeder Übervorteilung im Kartell ihre Absprachen auf die Mutterlaugen auszudehnen.
225 Die Kommission weist das gesamte Vorbringen von ADM zurück.
Würdigung durch das Gericht
226 Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Kommission den betroffenen Produktmarkt in den Randnummern 34 bis 41 der Entscheidung untersucht und als den Markt für Natriumglukonat in fester und flüssiger Form und das Natriumglukonat-Grundprodukt Glukonsäure definiert hat. Die Kommission hat auf Einwände von ADM im Verwaltungsverfahren hin eingeräumt, dass es zwar für Natriumglukonat je nach Anwendung verschiedene partielle Substitute gebe, aber den Standpunkt eingenommen, es werde durch nichts bewiesen, dass diese Produkte die Natriumglukonatpreise effektiv beeinflussten. Nach Ansicht der Kommission sprachen vielmehr verschiedene Gesichtspunkte gegen dieses Vorbringen von ADM. Es gebe nämlich für Natriumglukonat kein vollständiges Substitut, und Natriumglukonat werde wegen seiner größeren Umweltfreundlichkeit von manchen Verwendern möglichen Substituten vorgezogen. Das werde einerseits durch die von den Kunden der Kartellteilnehmer eingereichten Antworten bestätigt, andererseits aber auch durch das Bestehen des Kartells selbst, das nämlich auf Natriumglukonat beschränkt worden sei und damit seinerseits ein Indiz dafür bilde, dass die Kartellteilnehmer selbst davon ausgegangen seien, dass sich der Markt auf Natriumglukonat beschränke (Randnrn. 37 und 38 der Entscheidung).
227 Sodann hat die Kommission in dem Teil der Entscheidung, den sie den tatsächlichen Auswirkungen des Kartells auf den Markt widmete, auf die in der vorstehenden Randnummer zusammengefasste Prüfung des Marktes verwiesen (Randnr. 353 der Entscheidung).
228 ADM macht im Wesentlichen geltend, dass die Kommission den betroffenen Produktmarkt mit dem Ausschluss der Substitute für Natriumglukonat zu eng definiert habe.
229 Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass ADM diese Rüge einer fehlerhaften Definition des betroffenen Produktmarktes nicht erhebt, um einen Verstoß der Kommission gegen Artikel 81 Absatz 1 EG darzutun. ADM bestreitet nicht, dass sie mit ihrer Beteiligung an dem Kartell auf dem Natriumglukonatmarkt eine Zuwiderhandlung im Sinne dieser Bestimmung begangen hat. Die Klägerin will im vorliegenden Zusammenhang nur dartun, dass die Kommission ihr insbesondere deshalb eine zu hohe Geldbuße auferlegt habe, weil sie das Bestehen von tatsächlichen Auswirkungen des Kartells auf den betroffenen Markt bejaht und dies bei der Bußgeldzumessung berücksichtigt habe.
230 Diesem Vorbringen könnte aber nur dann gefolgt werden, wenn ADM nachweist, dass die Kommission, hätte sie den betroffenen Produktmarkt anders definiert, hätte feststellen müssen, dass sich die Zuwiderhandlung auf den Markt, definiert als Markt für Natriumglukonat und seine Substitute, nicht ausgewirkt hat (vgl. oben, Randnr. 178).
231 Nur dies wäre nämlich geeignet, die von der Kommission nach der Schwere der Zuwiderhandlung vorgenommene Bußgeldzumessung als fehlerhaft erscheinen zu lassen.
232 Wie bereits oben in den Randnummern 196 und 197 festgestellt, hat die Kommission im vorliegenden Fall ihren Schluss, dass sich die Zuwiderhandlung auf den Natriumglukonatmarkt tatsächlich ausgewirkt habe, auf einen Vergleich der tatsächlich praktizierten Preise mit den Preisen gestützt, die ohne Kartell bestanden hätten, und dafür zwei Feststellungen zugrunde gelegt, nämlich erstens einen Vergleich der Natriumglukonatpreise in der Zeit mit freiem Wettbewerb vor dem Kartell mit den Preisen nach einer gewissen Anlaufzeit des Kartells im Jahr 1989, und zweitens die Feststellung, dass die Preise zwischen 1989 und 1995 relativ stabil gewesen seien, obgleich der Markt generell durch erhebliche Preisschwankungen gekennzeichnet sei (Randnr. 354 der Entscheidung).
233 Unter diesen Umständen könnte das Vorbringen von ADM zu einer fehlerhaften Definition des relevanten Marktes nur durchgreifen, wenn sie nachwiese, dass ein Vergleich der Lage, die angesichts der praktizierten Preise auf dem größeren, ihrer eigenen Definition entsprechenden Markt bestand, mit der Lage, die auf demselben größeren Markt ohne Kartell bestanden hätte, zu dem Ergebnis geführt hätte, dass sich das Kartell auf diesen Markt nicht ausgewirkt hat. Wie oben in Randnummer 178 festgestellt, hätte sich die Kommission nämlich nur unter diesen Umständen für ihre Bußgeldbemessung nach der Schwere der Zuwiderhandlung nicht auf das Kriterium der tatsächlichen Auswirkungen des Kartells auf den Markt stützen dürfen.
234 ADM trägt aber insoweit nur vor, dass die Schlussfolgerungen, die die Kommission hinsichtlich des relevanten Produktmarktes gezogen habe, für ihre Bewertung der wirtschaftlichen Auswirkungen eine zentrale Rolle gespielt hätten, dass die ihr dabei unterlaufenen Fehler ihr Bild von den wirtschaftlichen Auswirkungen und damit auch ihre Bußgeldzumessung verfälscht hätten und dass sie, hätte sie die Substitute für Natriumglukonat in ihre Marktdefinition einbezogen, zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass jeder Versuch der Beteiligten, die Natriumglukonatpreise zu kontrollieren, wirkungslos geblieben wäre.
235 Zwar widmet ADM einen erheblichen Teil ihrer Schriftsätze der Analyse der Gegebenheiten auf dem Markt für Chelatbildner und der Diskussion der für die wettbewerbsrechtliche Definition des in Frage stehenden Marktes relevanten Wirtschaftstheorien.
236 Sie unternimmt es aber nicht, die von der Kommission in ihrer Entscheidung vorgenommene Beurteilung des Marktes für Natriumglukonat dadurch zu widerlegen, dass sie das Niveau der auf dem größeren Markt der Chelatbildner in der Zeit des Kartells praktizierten Preise auch nur skizzenhaft mit dem Niveau vergleicht, das aller Wahrscheinlichkeit nach auf demselben größeren Markt ohne ein Kartell für Natriumglukonat bestanden hätte.
237 Damit hat es ADM aber nicht vermocht, nachzuweisen oder zumindest ein Bündel stimmiger Anhaltspunkte darzulegen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten, dass die Auswirkungen des Kartells für Natriumglukonat auf dem größeren Markt für Chelatbildner inexistent oder jedenfalls zu vernachlässigen gewesen wären.
238 Ohne dass geprüft zu werden braucht, ob die Kommission, wie ADM behauptet, mit dem Ausschluss der Substitute für Natriumglukonat vom fraglichen Produktmarkt im Rahmen der Entscheidung einen Rechtsfehler begangen hat, ist die Rüge einer fehlerhaften Definition des relevanten Marktes folglich zurückzuweisen.
239 Nach alledem hat ADM nicht dargetan, dass der Kommission bei der Beurteilung der tatsächlichen Auswirkungen des Kartells auf den Markt Fehler unterlaufen wären.
C – Zu dem Vorliegen von Beurteilungsfehlern hinsichtlich der Dauer der Zuwiderhandlung
240 Nach Auffassung von ADM beruht die Feststellung der Kommission, dass die Zuwiderhandlung bis Juni 1995 angedauert habe, auf Beurteilungsfehlern. So habe sie selbst ihre Mitwirkung am Kartell bereits in der Sitzung am 4. Oktober 1994 in London beendet, und außerdem könne die Sitzung vom 3. bis 5. Juni 1995 in Anaheim (Kalifornien, USA) nicht als Fortsetzung der Zuwiderhandlung gewertet werden. Die Geldbuße sei dementsprechend herabzusetzen.
1. Zu dem Vorbringen, dass ADM ihre Kartellbeteiligung anlässlich der Sitzung am 4. Oktober 1994 in London beendet habe
a) Vorbringen der Parteien
241 ADM macht geltend, die Kommission habe unter Zurückweisung ihres Vorbringens in den Randnummern 319 bis 323 der Entscheidung zu Unrecht angenommen, dass sie ihre Beteiligung an dem Kartell nicht in der Sitzung am 4. Oktober 1994 beendet, sondern bis Juni 1995 fortgeführt habe.
242 Wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 6. April 1995 in der Rechtssache T‑141/89 (Tréfileurope/Kommission, Slg. 1995, II‑791, Randnr. 85) und dem Urteil BPB de Eendracht/Kommission (zitiert oben in Randnr. 107, Randnr. 203) ergebe, beende ein Unternehmen seine Beteiligung an einem Kartell, wenn es sich offen von diesem distanziere und aus der Vereinbarung zurückziehe. Genau dies aber habe sie in der Sitzung vom 4. Oktober 1994 getan.
243 So hätten ihre Vertreter in dieser Sitzung den anderen Teilnehmern erklärt, dass ADM die Gruppe verlassen werde, wenn die offenen Fragen hinsichtlich der Quoten nicht gelöst würden. Wie dem Dokument Nr. 6 der Kommission zu entnehmen sei, sei eine Einigung nicht erzielt worden und hätten ihre Vertreter die Sitzung daraufhin verlassen. Diese Darstellung der Sitzung vom 4. Oktober 1994 habe sich die Kommission in der Entscheidung (Randnr. 228) auch zu Eigen gemacht. Dieser tatsächliche Sitzungsverlauf stehe nicht nur in Einklang mit der weiteren Feststellung der Kommission, dass sich in den Treffen vor dieser Sitzung zunehmend Spannungen aufgebaut hätten, sondern auch mit den Beweismitteln, die Jungbunzlauer der Kommission über diese Sitzung zur Verfügung gestellt habe.
244 Um ihren Rückzug aus dem Kartell zu bekräftigen, habe ADM auch – wie von der Kommission in Randnummer 228 der Entscheidung eingeräumt worden sei – die Mitteilung ihrer Verkaufszahlen an die übrigen Kartellteilnehmer eingestellt. Anders jedoch, als die Kommission dies in Randnummer 321 der Entscheidung ausgelegt habe, habe es sich dabei nicht um eine bloße Verhandlungstaktik im Kartell gehandelt, in der ihr fester Entschluss zum Ausdruck gekommen wäre, die wettbewerbsbeschränkenden Aktivitäten fortzusetzen. Es habe sich um eine objektive Verhaltensweise gehandelt, die die übrigen Beteiligten klar verstanden hätten und in der deutlich geworden sei, dass sie dem Kartell nicht länger angehört habe.
245 Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.
b) Würdigung durch das Gericht
246 Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach der von ADM selbst (vgl. oben, Randnr. 242) angeführten Rechtsprechung von einer endgültigen Beendigung ihrer Kartellzugehörigkeit nur ausgegangen werden könnte, wenn sie sich offen vom Inhalt der Sitzungen distanziert hätte.
247 Wie aus der Darstellung des Sachverhalts durch ADM selbst hervorgeht, die im Übrigen mit der in der Entscheidung (vgl. insbesondere Randnrn. 228 und 321) in Einklang steht, distanzierte sich ADM in der Sitzung am 4. Oktober 1994 in London jedoch nicht offen von den Zielen des Kartells und den für ihre Erreichung eingesetzten Mitteln, wie insbesondere die Zuteilung von Natriumglukonat-Verkaufsquoten an die Kartellteilnehmer. Nach dieser Darstellung versuchte ADM vielmehr vergeblich, den zwischen den Kartellteilnehmern entstandenen Streit beizulegen und hinsichtlich der Verkaufsmengen einen Kompromiss zu erzielen. Eine solche Haltung bezeugt aber gerade eine grundsätzliche Zustimmung zur Durchführung des Kartells. Die Kommission konnte daher das Verhalten von ADM in dieser Sitzung in Randnummer 321 der Entscheidung zu Recht als eine Taktik, um den übrigen Kartellteilnehmern weitere Zugeständnisse abzuringen, und nicht eine Beendigung ihrer Kartellzugehörigkeit werten.
248 Auch keinem der von ADM angeführten Dokumente lässt sich entnehmen, dass die anderen Kartellteilnehmer ihr Verhalten in dieser Sitzung als eine offene Distanzierung vom Inhalt des Kartells aufgefasst hätten.
249 So enthält erstens das Schreiben von Jungbunzlauer an die Kommission vom 21. Mai 1999 keinerlei Schilderung des Verhaltens von ADM in der Sitzung vom 4. Oktober 1994 in London. Es heißt darin nur: „Als Roquette am 4. Oktober 1994 in London erklärte, keine dieser Absprachen mehr zu beachten, wurden alle Vereinbarungen hinfällig.“
250 Zweitens hat Fujisawa in ihrem Schreiben an die Kommission vom 12. Mai 1998 diese Sitzung nicht beschrieben und an ihr laut Randnummer 224 der Entscheidung auch nicht teilgenommen. Fujisawa gab vielmehr in dem Schreiben gerade an, dass das Kartell erst 1995 beendet worden sei.
251 Drittens enthält auch die Darstellung der Sitzung durch Jungbunzlauer in ihrem Schreiben an die Kommission vom 30. April 1999 keinerlei Hinweise darauf, dass ADM in dieser Sitzung erklärt habe, sich aus dem Kartell zurückziehen zu wollen. Es heißt dort vielmehr nur, dass die Forderung von ADM zum Mengenausgleich nicht akzeptiert worden sei.
252 Soweit ADM zweitens geltend macht, sie habe nach dieser Sitzung die Übermittlung ihrer Verkaufszahlen an die übrigen Kartellteilnehmer eingestellt, ist darauf hinzuweisen, dass das Kartell, wie sich aus den Randnummern 81 bis 90 der Entscheidung ergibt, aus einem komplexen Mechanismus für die Aufteilung der Märkte, die Festsetzung von Preisen und den Austausch von Informationen über die Kunden bestand. Der bloße Umstand – wenn man ihn als wahr unterstellt –, dass ADM nach dieser Sitzung den übrigen Kartellteilnehmern nicht mehr ihre Verkaufszahlen mitteilte, belegt nicht, dass das Kartell nicht länger bestanden oder ADM ihre Beteiligung daran eingestellt hätte.
253 ADM hat somit nicht dargetan, dass die Feststellung der Kommission, ADM habe ihre Kartellbeteiligung in der Sitzung am 4. Oktober 1994 nicht beendet, auf Beurteilungsfehlern beruht.
2. Zum Charakter der Sitzung vom 3. bis 5. Juni 1995 in Anaheim
a) Vorbringen der Parteien
254 ADM meint, dass die Sitzung vom 3. bis 5. Juni 1995 entgegen der Auffassung der Kommission (Randnrn. 232 und 322) nicht als Fortsetzung der Zuwiderhandlung betrachtet werden könne. Zum einen sei die Sitzung mit einem Industrietreffen zusammengefallen. Zum anderen hätten sich die Teilnehmer darum bemüht, die ursprünglichen Verkaufsmengen anonym zu erfassen (Randnr. 232 der Entscheidung). Das vorgeschlagene System eines anonymen Austauschs von Informationen über diese Mengen sei aber kein illegaler Informationsaustausch gewesen. Das System habe darin bestanden, dass die Teilnehmer ihre Verkaufsmengen so addiert hätten, dass keinem von ihnen eine Information über ein bestimmtes anderes Unternehmen offenbart worden sei. Es habe also keinen Mechanismus zur Überwachung der Einzelverkäufe der Unternehmen, der Preisabsprachen oder der Aufteilung der Verkäufe umfasst, die aber nach Meinung der Kommission die Schlüsselelemente des Natriumglukonatkartells gebildet hätten. Jedenfalls sei das von den Teilnehmern in Aussicht genommene System zur Ermittlung des Gesamtumfangs des Marktes auch gescheitert.
255 Ferner seien die Angaben eines von Roquette vorgelegten Dokuments, das die Kommission in den Randnummern 233 und 322 der Entscheidung als Beleg dafür werte, dass die Sitzung in Anaheim Themen wie „Ausgleich“, „weltweites Produktionsziel“ oder „Preis“ zum Gegenstand gehabt habe, vage und mehrdeutig. Es handele sich auch nicht um eine Zeugenaussage, sondern um eine von der amerikanischen Staatsanwaltschaft erstellte Zusammenfassung der Vereinbarung, die als Grundlage für die Gespräche mit den Zeugen von Roquette gedient habe. Als justizbehördliche Erklärung auf der Grundlage unbekannter Quellen könne dieses Dokument gegenüber den Aussagen der beteiligten Augenzeugen nur geringen Beweiswert haben.
256 Zu dem Fax, das Glucona am 1. Mai 1995 an das Hotel sandte, in dem die Sitzung vom Juni 1995 stattfinden sollte, weist ADM darauf hin, dass es eine Reservierung für den 6. Juni 1995 betroffen habe, während die Sitzung vom 3. bis 5. Juni 1995 stattgefunden habe. Die Reservierung könne sich auch auf ein anderes Treffen beziehen und belege, selbst wenn sie das Kartell beträfe, allenfalls, dass Glucona die übrigen Teilnehmer zu einer Umgestaltung des Kartells habe bewegen wollen.
257 Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.
b) Würdigung durch das Gericht
258 Wie zunächst festzustellen ist, bestreitet ADM nicht, dass die Teilnehmer an der Sitzung in Anaheim, in der alle Kartellmitglieder vertreten waren, die im Jahr 1994 erreichten Verkaufsmengen von Natriumglukonat diskutierten, wie die Kommission dies in Randnummer 232 der Entscheidung festgestellt hat. Die Kommission hat dabei, ohne dass ADM ihr insoweit widersprochen hätte, insbesondere darauf hingewiesen, dass ADM bei dieser Gelegenheit nach ihrer eigenen Darstellung von Jungbunzlauer aufgefordert wurde, „die Zahlen für den Gesamtabsatz von Natriumglukonat im Jahr 1994 zu nennen“ (Randnr. 232 der Entscheidung).
259 Diese Vorgehensweise entsprach aber im Wesentlichen der ständigen Praxis des Kartells, mit der die Einhaltung der zugeteilten Verkaufsquoten sichergestellt werden sollte und die laut den Randnummern 92 und 93 der Entscheidung darin bestand, dass die Kartellteilnehmer vor jeder Sitzung Jungbunzlauer ihre Verkaufszahlen mitteilten, die diese Angaben sammelte und in den Sitzungen verteilte.
260 Zweitens bestätigt ADM die von der Kommission in Randnummer 232 der Entscheidung gegebene Darstellung, wonach in dieser Sitzung ein neues System für den Informationsaustausch über die Verkaufsmengen vorgeschlagen wurde. Mit diesem System sollte anonym – also so, dass keiner der Teilnehmer die Zahlen der anderen erfuhr – der Gesamtumfang des Natriumglukonatmarktes wie folgt ermittelt werden:
„Unternehmen A schreibt eine beliebige Zahl auf, die einem Teil seines Gesamtabsatzes entspricht. Unternehmen B zeigt daraufhin dem Unternehmen C die Summe der entsprechenden Zahlen der Unternehmen A und B. Unternehmen C fügt diesem Betrag seinen eigenen Gesamtumfang hinzu. Daraufhin addiert Unternehmen A den Restbetrag dieses Gesamtumfangs hinzu und legt den Gesamtbetrag der Gruppe vor“ (Randnr. 232 der Entscheidung).
261 ADM kann nicht geltend machen, dass ein solches System insbesondere deshalb keine Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 EG darstelle, weil es keine Vereinbarung über die Festsetzung von Preisen, die Aufteilung von Verkaufsquoten und über einen Mechanismus zur Überwachung der jeweiligen Verkäufe der einzelnen Unternehmen umfasse.
262 Denn ohne dass die Frage geprüft zu werden braucht, ob dieses Verhalten für sich genommen gegen die Wettbewerbsregeln verstieß, durfte es die Kommission als einen neuen Versuch der Kartellmitglieder werten, „die Ordnung auf dem Markt wiederherzustellen“ und ihre in den vorangegangenen Jahren angewandten wettbewerbswidrigen Praktiken zur Kontrolle des Marktes durch ein gemeinsames Vorgehen fortzuführen, wenn auch möglicherweise in anderen Formen und mit anderen Methoden. Dass die Kartellmitglieder versuchten, ein „anonymes“ System des Informationsaustauschs wie das oben in Randnummer 260 beschriebene zu schaffen, konnte von der Kommission vernünftigerweise als natürliche Fortsetzung des Verhaltens der Unternehmen in dem Kartell ausgelegt werden, das – wie sich insbesondere aus Randnummer 93 der Entscheidung ergibt – durch ein Klima „des wachsenden gegenseitigen Misstrauens“ gekennzeichnet war, aber dennoch die Aufteilung des Marktes zum Ziel hatte. Die Kommission konnte aus dieser Perspektive fehlerfrei zu dem Schluss gelangen, dass die Kartellmitglieder mit der Einrichtung des neuen Informationsaustauschsystems ihre „feste Absicht“ bekundeten, „eine Lösung auszuarbeiten, um die wettbewerbswidrigen Vorkehrungen fortsetzen zu können“ (Randnr. 322 der Entscheidung), und „den Markt über ein gemeinsames Vorgehen zu kontrollieren“ (Randnr. 232 der Entscheidung).
263 Drittens kann der kurze Vermerk von Roquette anlässlich dieser Sitzung, auf den sich die Kommission in den Randnummern 233 und 322 der Entscheidung („6.95 Anaheim“: „Diskussion: Ausgleich, 44 000 t weltweites Produktionsziel; Preis“) bezog, vernünftigerweise als Bestätigung dieser Auffassung der Kommission angesehen werden, auch wenn der Vermerk für sich genommen und aus seinem Kontext gelöst nur eine ungenaue Vorstellung vom Inhalt der Diskussionen auf der Sitzung am 3., 4. und 5. Juni 1995 vermittelt. Da Roquette dieses Dokument der Kommission im Verwaltungsverfahren aus eigenen Stücken vorgelegt hatte, durfte es die Kommission entgegen dem Vorbringen von ADM auch als Beleg für ihre These verwerten.
264 Viertens erscheinen die verschiedenen Äußerungen von Kartellbeteiligten, die ADM anführt, nicht geeignet, die Auffassung der Kommission zu widerlegen. So ist die Bemerkung eines Mitarbeiters von Roquette, die deren Schreiben vom 22. Juli 1999 angefügt ist und der zufolge die fragliche Sitzung zu nichts geführt und zu nichts genutzt habe – was mit einer Äußerung von Jungbunzlauer im Schreiben vom 30. April 1999 übereinstimmt –, deshalb ohne Bedeutung, weil sie nur bestätigt, dass die Sitzung an der Funktionsweise der als Einheit fortdauernden Zuwiderhandlung nichts änderte (Randnr. 254 der Entscheidung). Das Schreiben dokumentiert auch nicht das Fehlen einer Absicht der Kartellteilnehmer, ihr rechtswidriges Verhalten fortzuführen.
265 Insoweit ist daran zu erinnern, dass bei der Prüfung der Anwendung von Artikel 81 Absatz 1 EG auf eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise die konkreten Auswirkungen einer Absprache nicht berücksichtigt zu werden brauchen, wenn sich ergibt, dass diese eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckte (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Juli 1966 in den Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 321, 390, oben in Randnr. 204 zitiertes Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, Randnr. 99, und Urteil vom 8. Juli 1999 in der Rechtssache C‑199/92 P, Hüls/Kommission, Slg. 1999, I‑4287, Randnr. 178; Urteil des Gerichts vom 23. Februar 1994 in den Rechtssachen T‑39/92 und T‑40/92, CB und Europay/Kommission, Slg. 1994, II‑49, Randnr. 87).
266 Fünftens ist es ohne Bedeutung, dass die Sitzung im Rahmen eines allgemeinen Industrietreffens stattfand, denn dies schließt nicht aus, dass die beteiligten Unternehmen das Industrietreffen für eine Kartellsitzung nutzten.
267 Die Kommission konnte daher zu Recht davon ausgehen, dass ADM bis Juni 1995 an dem Kartell teilnahm.
268 Demnach hat ADM nicht nachgewiesen, dass der Kommission hinsichtlich der Dauer der Zuwiderhandlung Beurteilungsfehler unterlaufen wären.
D – Zu den mildernden Umständen
269 Hinsichtlich der Würdigung der mildernden Umstände durch die Kommission rügt ADM Beurteilungsfehler, die erstens die Beendigung der Kartellbeteiligung vor der Untersuchung, zweitens die fehlende Notwendigkeit, der Geldbuße abschreckenden Charakter zu verleihen, und drittens den Erlass eines Verhaltenskodex durch ADM betreffen.
1. Zur Beendigung der Kartellbeteiligung
a) Vorbringen der Parteien
270 ADM verweist darauf, dass in Abschnitt 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien die „Beendigung der Verstöße nach dem ersten Eingreifen der Kommission (insbesondere Nachprüfungen)“ als mildernder Umstand anerkannt sei. Dieser mildernde Umstand hätte ihr hier zugute kommen müssen, da sie ihr rechtswidriges Verhalten gleich nach dem ersten Eingreifen der amerikanischen Wettbewerbsbehörde eingestellt habe. Zudem sei der vorliegende Sachverhalt praktisch identisch mit dem der Sache „Aminosäuren“ (Entscheidung 2001/418/EG der Kommission vom 7. Juni 2000 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen [Sache COMP/36.545/F3 – Aminosäuren], ABl. 2001, L 152, S. 24, im Folgenden: Sache Aminosäuren), in der die Kommission eine Herabsetzung der Geldbuße um 10 % gewährt habe. Es sei auch auf das Urteil des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T‑31/99 (ABB Asea Brown Boveri/Kommission, Slg. 2002, II‑1881, Randnr. 238) hinzuweisen, wonach Unternehmen, die mit der Kommission zum Zweck der Beendigung des Kartells zusammengearbeitet hätten, eine Herabsetzung zu gewähren sei. Schließlich gebe es entgegen der Ansicht der Kommission durchaus Fälle, in denen Kartelle auch nach Eingreifen der Wettbewerbsbehörden fortgesetzt worden seien.
271 Nach Meinung der Kommission kann sich ADM im vorliegenden Fall nicht auf Abschnitt 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien berufen. Im Fall geheimer Kartelle sei eine Fortsetzung des Kartells nach seiner Aufdeckung undenkbar. Die Anrechnung eines mildernden Umstands wegen Beendigung der Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission erscheine daher unangemessen.
b) Würdigung durch das Gericht
272 Abschnitt 3 der Leitlinien mit der Überschrift „Mildernde Umstände“ sieht eine Herabsetzung des Grundbetrags der Geldbuße vor, wenn die Kommission spezielle mildernde Umstände feststellt, zu denen die Beendigung der Verstöße nach dem ersten Eingreifen der Kommission (insbesondere Nachprüfungen) gehört.
273 Die Kommission hat in der Entscheidung anerkannt, dass ADM und die übrigen Kartellteilnehmer die Zuwiderhandlung nach dem Eingreifen der amerikanischen Behörden am 27. Juni 1995 beendeten (Randnr. 234 der Entscheidung).
274 Es ist indessen daran zu erinnern, dass die Tätigkeit der Gemeinschaft, um einen in hohem Maße wettbewerbsfähigen Gemeinsamen Markt zu schaffen, nach Artikel 3 EG ein System umfasst, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt. Eines der Hauptinstrumente für die Errichtung dieses Systems bildet Artikel 81 Absatz 1 EG, der alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verbietet, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken.
275 Ferner ist daran zu erinnern, dass der Kommission sowohl die Verwirklichung einer allgemeinen Politik mit dem Ziel, die im Vertrag niedergelegten Grundsätze auf das Wettbewerbsrecht anzuwenden und das Verhalten der Unternehmen in diesem Sinne zu lenken, als auch die Ermittlung und Ahndung einzelner Zuwiderhandlungen obliegt. Hierfür verfügt sie über die Befugnis, Geldbußen gegen Unternehmen zu verhängen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoßen haben (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 44 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 105).
276 Daraus folgt, dass die Kommission bei der für die Festsetzung der Geldbuße erforderlichen Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung nicht nur die besonderen Umstände des Einzelfalls, sondern auch den Kontext der Zuwiderhandlung berücksichtigen und für die abschreckende Wirkung ihres Vorgehens Sorge tragen muss (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 44 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 106). Nur die Berücksichtigung dieser Aspekte nämlich kann die volle Wirksamkeit des Vorgehens der Kommission für die Wahrung eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt gewährleisten.
277 Eine Beurteilung der Regelung in Abschnitt 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien allein anhand ihres Wortlauts könnte den Eindruck vermitteln, dass die bloße Beendigung einer Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission allgemein und vorbehaltlos einen mildernden Umstand darstellt. Eine solche Auslegung der Regelung würde aber die praktische Wirksamkeit der Vorschriften, die die Erhaltung eines effizienten Wettbewerbs ermöglichen, mindern, da sie sowohl die Sanktion, die wegen einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 EG verhängt werden kann, als auch ihre abschreckende Wirkung abschwächen würde.
278 Im Unterschied zu anderen mildernden Umständen bildet nämlich dieser Umstand keinen wesensmäßigen Teil der subjektiven Eigenschaften des Zuwiderhandelnden oder des konkreten Sachverhalts, da er hauptsächlich aus dem äußeren Eingreifen der Kommission folgt. Die Beendigung einer Zuwiderhandlung nur infolge eines Eingreifens der Kommission kann daher nicht dem Verdienst gleichgestellt werden, das in einer eigenständigen Initiative des Zuwiderhandelnden liegt, sondern stellt nur eine angemessene und normale Reaktion auf das Eingreifen dar. Zudem belegt ein solcher Umstand nur die Rückkehr des Zuwiderhandelnden zu rechtmäßigem Verhalten und trägt nicht dazu bei, die Verfolgung von Verstößen durch die Kommission wirksamer zu machen. Der angeblich mildernde Charakter eines solchen Umstands lässt sich, zumal bei Berücksichtigung der vorangegangenen Umstände, auch nicht als bloßer Anreiz rechtfertigen, die Zuwiderhandlung zu beenden. Insoweit ist hervorzuheben, dass die Einstufung der Fortführung einer Zuwiderhandlung nach dem Eingreifen der Kommission als erschwerender Umstand (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T‑28/99, Sigma Tecnologie/Kommission, Slg. 2002, II‑1845, Randnrn. 102 ff.) zu Recht bereits einen Anreiz für die Beendigung der Zuwiderhandlung bietet, aber im Gegensatz zum fraglichen mildernden Umstand weder die Sanktion noch ihre abschreckende Wirkung verringert.
279 Die Anerkennung der Beendigung einer Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission als mildernder Umstand würde daher durch eine Minderung sowohl der Sanktion als auch ihrer abschreckenden Wirkung die praktische Wirksamkeit von Artikel 81 Absatz 1 EG ungerechtfertigt beeinträchtigen. Folglich durfte sich die Kommission nicht dazu verpflichten, die bloße Beendigung eines Verstoßes nach ihrem ersten Eingreifen als mildernden Umstand zu berücksichtigen. Die Regelung des Abschnitts 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien ist daher restriktiv so auszulegen, dass sie der praktischen Wirksamkeit von Artikel 81 Absatz 1 EG nicht zuwiderläuft.
280 Die Regelung ist daher dahin auszulegen, dass nur besondere Umstände des Einzelfalls, unter denen eine Beendigung des Verstoßes nach dem ersten Eingreifen der Kommission konkret verwirklicht wird, die Berücksichtigung dieser Beendigung als mildernden Umstand rechtfertigen können (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 270 zitiertes Urteil ABB Asea Brown Boveri/Kommission, Randnr. 213).
281 Im vorliegenden Fall ist daran zu erinnern, dass die in Frage stehende Zuwiderhandlung ein geheimes Kartell zum Zweck der Festsetzung von Preisen und der Aufteilung von Märkten zum Gegenstand hatte. Ein derartiges Kartell wird durch Artikel 81 Absatz 1 Buchstaben a und c EG ausdrücklich untersagt und stellt eine besonders schwere Zuwiderhandlung dar. Die Beteiligten mussten sich daher der Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens bewusst sein. Dass das Kartell geheim war, bestätigt, dass die Beteiligten um die Rechtswidrigkeit ihres Handelns wussten. Nach Auffassung des Gerichts besteht daher kein Zweifel daran, dass die Zuwiderhandlung von den Beteiligten vorsätzlich verwirklicht wurde.
282 Das Gericht hat jedoch bereits entschieden, dass die Beendigung einer vorsätzlich begangenen Zuwiderhandlung nicht als mildernder Umstand gewertet werden kann, wenn sie auf das Eingreifen der Kommission zurückzuführen ist (Urteile des Gerichts vom 11. März 1999 in den Rechtssachen T‑156/94, Aristrain/Kommission, Slg. 1999, II‑645, Randnr. 138, und T‑157/94, Ensidesa/Kommission, Slg. 1999, II‑707, Randnr. 498).
283 Nach alledem ist das Gericht der Auffassung, dass die Beendigung der Zuwiderhandlung durch ADM nach dem ersten Eingreifen einer Wettbewerbsbehörde im vorliegenden Fall keinen mildernden Umstand darstellen kann.
284 Hieran ändert es nichts, dass ADM die wettbewerbswidrigen Praktiken im vorliegenden Fall infolge des Eingreifens der amerikanischen Behörden und nicht der Kommission beendete (Randnr. 234 der Entscheidung). Dass ADM den Verstoß nach dem ersten Eingreifen der amerikanischen Wettbewerbsbehörde beendete, bedeutet nämlich keinen freiwilligeren Entschluss, als ihn eine Beendigung nach dem ersten Eingreifen der Kommission dargestellt hätte.
285 ADM beruft sich für ihr Vorbringen außerdem auf das Urteil ABB Asea Brown Boveri/Kommission (zitiert oben in Randnr. 270, Randnr. 238), in dem das Gericht entschieden habe, dass Unternehmen, die zum Zweck der Beendigung des Kartells mit der Kommission zusammengearbeitet hätten, eine Herabsetzung der Geldbuße zu gewähren sei. Wie insoweit als Hinweis genügt, erlaubt dieses Urteil jedoch nicht den Schluss, dass die Beendigung der Zuwiderhandlung durch die Klägerin nach dem ersten Eingreifen einer Wettbewerbsbehörde in allen Fällen einen mildernden Umstand darstellt. In dem von ADM angeführten Urteilspassus wird außerdem der Grundsatz formuliert, dass dieser Umstand dann zu berücksichtigen ist, wenn das Verhalten des beschuldigten Unternehmens es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen und diese gegebenenfalls zu beenden. Dies setzt aber eine Initiative des fraglichen Unternehmens voraus, die über die bloße Beendigung des Verstoßes nach dem Eingreifen der Kommission hinausgeht. Das Urteil ist daher nicht geeignet, die obige Beurteilung in Frage zu stellen.
286 Was die Sache Aminosäuren (vgl. oben, Randnr. 270) anbelangt, aus der ADM eine Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit herleitet, so ist zunächst festzustellen, dass sich eine Verwaltungspraxis nicht aus einem einzigen Fall ergeben kann. Außerdem kann, wie oben in Randnummer 110 ausgeführt, allein aus der Tatsache, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis ein bestimmtes Verhalten in einer bestimmten Weise beurteilt hat, nicht gefolgert werden, dass sie verpflichtet wäre, dies in einer späteren Entscheidung ebenfalls zu tun. Schließlich kann dieser Fall nach Auffassung des Gerichts jedenfalls weder die vorstehende Beurteilung, wie sie sich aus einem der zentralen Ziele der Gemeinschaft ergibt, noch die sich aus den Urteilen Aristrain/Kommission und Ensidesa/Kommission (zitiert oben in Randnr. 282) ergebende Rechtsprechung in Frage stellen, da in dem Fall nur die Beurteilung durch die Kommission zum Ausdruck kommt.
287 Aus den vorstehenden Gründen kann es daher nicht als fehlerhaft angesehen werden, dass die Beendigung der Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der amerikanischen Wettbewerbsbehörde im vorliegenden Fall nicht als mildernder Umstand berücksichtigt wurde.
2. Zur fehlenden Notwendigkeit, einen abschreckenden Charakter der Geldbuße zu gewährleisten
a) Vorbringen der Parteien
288 ADM weist darauf hin, dass sie in den verschiedenen Verfahren vor den amerikanischen Gerichten in den Sachen Lysin und Zitronensäure bereits mehr als 250 Mio. USD wegen Verstößen gegen das amerikanische Kartellrecht gezahlt habe. Nach ihrer Auffassung hätte die Kommission dies, wie in ihrer vorherigen Entscheidungspraxis (Entscheidung 89/190/EWG der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrages [IV/31.865 – PVC], ABl. 1989, L 74, S. 1), als mildernden Umstand berücksichtigen müssen.
289 Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.
b) Würdigung durch das Gericht
290 Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es der Grundsatz ne bis in idem verbietet, dieselbe Person mehr als einmal wegen desselben rechtswidrigen Verhaltens zum Schutz desselben Rechtsguts mit einer Sanktion zu belegen. Seine Anwendung hängt von der dreifachen, kumulativ geltenden Voraussetzung der Identität des Sachverhalts, des Zuwiderhandelnden und des geschützten Rechtsguts ab (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 7. Januar 2004 in den Rechtssachen C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Aalborg Portland u. a./Kommission, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 338).
291 Wie der Gerichtshof und das Gericht wiederholt entschieden haben, gilt dieser Grundsatz nicht, wenn die mit den beiden fraglichen Sanktionen belegten Handlungen zwar auf denselben Komplex von Vereinbarungen zurückgehen, aber sich sowohl nach ihrem Zweck als auch nach ihrem geografischen Schwerpunkt unterscheiden (Urteile des Gerichtshofes vom 14. Dezember 1972 in der Rechtssache 7/72, Boehringer/Kommission, Slg. 1972, 1281, Randnrn. 3 und 4, und vom 13. Februar 1969 in der Rechtssache 14/68, Wilhelm u. a., Slg. 1969, 1, Randnr. 11; oben in Randnr. 242 zitiertes Urteil Tréfileurope/Kommission, Randnr. 191, und Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache T‑149/89, Sotralentz/Kommission, Slg. 1995, II‑1127, Randnr. 29).
292 Im vorliegenden Fall betreffen die von ADM geltend gemachten Zahlungen teilweise andere Kartelle, nämlich auf den Märkten für Lysin und Zitronensäure. Was das Kartell für Natriumglukonat angeht, so steht nach dem Territorialitätsprinzip die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Kommission nicht in Konflikt mit der der Wettbewerbsbehörden von Drittstaaten, soweit Geldbußen gegen Unternehmen verhängt werden sollen, die die Wettbewerbsregeln im EWR und in diesen Drittstaaten verletzen (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 90, und Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 44/69, Bunchler/Kommission, Slg. 1970, 733, Randnrn. 52 und 53, sowie analog – zur Gemeinschaftszuständigkeit für die Auswirkungen rechtswidriger Verhaltensweisen im Bereich von Fusionen parallel zur Zuständigkeit von Wettbewerbsbehörden in Drittstaaten – Urteil des Gerichts vom 25. März 1999 in der Rechtssache T‑102/96, Gencor/Kommission, Slg. 1999, II‑753, Randnrn. 95 und 98). Die Kommission war daher nicht verpflichtet, diese Umstände wegen des Grundsatzes ne bis in idem zu berücksichtigen.
293 Soweit ADM geltend macht, dass die Kommission einen derartigen Umstand in der Vergangenheit bei der Bemessung von Geldbußen bereits als mildernden Umstand berücksichtigt habe, genügt der Hinweis, dass die Kommission nur deshalb, weil sie in ihrer vorherigen Entscheidungspraxis bestimmte Gesichtspunkte als mildernde Umstände berücksichtigt hat, nicht verpflichtet ist, in einem bestimmten Fall ebenso vorzugehen (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 110 zitiertes Urteil Hercules Chemicals/Kommission, Randnr. 357, und Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑352/94, Mo och Domsjö/Kommission, Slg. 1998, II‑1989, Randnrn. 417 und 419).
294 Vorsorglich ist jedenfalls darauf hinzuweisen, dass ADM nur auf eine einzige Entscheidung verweist und dass überdies die Kommission auf eine schriftliche Frage des Gerichts dargetan hat, dass sie in ihrer inzwischen ständigen Entscheidungspraxis in Sachverhalten, die mit dem vorliegenden Fall vergleichbar sind, einen solchen mildernden Umstand nicht berücksichtigt.
295 ADM rügt daher zu Unrecht, dass ihr die Kommission wegen des angeblich fehlenden Abschreckungserfordernisses keine Herabsetzung der Geldbuße gewährt hat.
3. Zur Annahme eines Verhaltenskodex durch ADM
a) Vorbringen der Parteien
296 Nach Auffassung von ADM hätte die Kommission bei der Berechnung der Geldbuße berücksichtigen müssen, dass ADM ein strenges und dauerhaftes Programm für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln geschaffen habe, in dessen Rahmen u. a. ein für alle Mitarbeiter des Unternehmens geltender Verhaltenskodex erlassen und eine eigene Abteilung hierfür eingerichtet worden sei.
297 Die Annahme des Programms für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln, die Ernennung einer neuen Unternehmensführung und die Kündigung von leitenden Mitarbeitern, die an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien, bewiesen die aufrichtige Reue des Unternehmens. ADM sei im Bereich des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts auch nie zuvor negativ in Erscheinung getreten.
298 Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.
b) Würdigung durch das Gericht
299 Es ist nach der Rechtsprechung zwar bedeutsam, dass ein Unternehmen Maßnahmen ergriffen hat, um künftige Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zu verhindern, doch ändert dies nichts daran, dass die festgestellte Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde. Die Kommission braucht einen solchen Umstand daher nicht als mildernd zu berücksichtigen, und zwar erst recht nicht, wie hier, im Fall eines offensichtlichen Verstoßes gegen Artikel 81 Absatz 1 Buchstaben a und b EG (oben in Randnr. 38 zitierte Urteile Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 373, und Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnrn. 280 und 281).
300 Was das weitere Vorbringen von ADM angeht, dass sie im Bereich des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts nie zuvor negativ in Erscheinung getreten sei, so kann es die Kommission zwar nach den Leitlinien im gegenteiligen Fall gegen ein Unternehmen als erschwerenden Umstand berücksichtigen, dass es bereits eine oder mehrere Zuwiderhandlungen gleicher Art begangen hat, jedoch folgt hieraus nicht, dass ein Unternehmen, wenn die fragliche Zuwiderhandlung seine erste dieser Art ist, wegen eines mildernden Umstands günstiger behandelt werden muss.
301 ADM rügt daher zu Unrecht, dass die Kommission ihr keine Herabsetzung der Geldbuße wegen der Annahme eines Verhaltenskodex gewährt hat.
302 Demnach hat ADM nicht dargetan, dass der Kommission bei der Beurteilung der mildernden Umstände Beurteilungsfehler unterlaufen wären.
E – Zur Zusammenarbeit von ADM im Verwaltungsverfahren
1. Einleitung
303 Hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren macht ADM zwei Klagegründe geltend, mit denen sie zum einen Beurteilungsfehler und zum anderen eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung rügt.
304 Vor der Prüfung, ob diese Klagegründe durchgreifen, ist zusammenzufassen, wie die Kommission die Zusammenarbeit der Unternehmen in den Randnummern 411 bis 427 der Entscheidung beurteilt hat.
305 Zunächst gewährte die Kommission Fujisawa nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit eine „wesentlich niedrigere Festsetzung“ (80 %) der Geldbuße, die ohne Zusammenarbeit gegen sie verhängt worden wäre (vgl. oben, Randnr. 6). In diesem Zusammenhang erkannte die Kommission an, dass es Fujisawa gewesen sei, die sie im Sinne dieser Regelung über das Kartell informiert habe, bevor sie eine Nachprüfung vorgenommen habe. Sie erkannte auch an, dass sie, als ihr Fujisawa am 12. Mai 1998 ihre Sachverhaltsdarstellung und Unterlagen über das Kartell zur Verfügung gestellt habe, noch keine ausreichenden Informationen besessen habe, um das Vorhandensein des angezeigten Kartells zu beweisen. Die Kommission betrachtete Fujisawa insbesondere als das erste Kartellmitglied, das ihr mit einem Verzeichnis der Kartellzusammenkünfte und einer Zusammenfassung des Handelns der Hauptakteure und der Schlüsselereignisse zwischen 1981 und 1995 entscheidende Angaben gemacht habe, um das Vorhandensein des Kartells für seine gesamte Dauer zu beweisen. Die Erklärungen von Fujisawa hätten die Kommission in die Lage versetzt, sich ein Bild von den wesentlichen Merkmalen des Kartells, seiner Struktur und Funktionsweise einschließlich der wichtigsten erzielten Vereinbarungen und entwickelten Durchführungsmechanismen zu machen (Randnrn. 412 bis 418 der Entscheidung).
306 Sodann wies die Kommission das Vorbringen von ADM zurück, sie erfülle die Voraussetzungen für eine „erheblich niedrigere Festsetzung“ der Geldbuße. Zur Begründung führte sie aus, dass ihr zu dem Zeitpunkt, zu dem ADM ihre Zusammenarbeit begonnen habe, bereits genügend Informationen von Fujisawa vorgelegen hätten, um die Zuwiderhandlung für ihre gesamte Dauer nachzuweisen (Randnrn. 419 bis 423 der Entscheidung).
307 Schließlich gewährte die Kommission ADM, Roquette, Akzo, Avebe und Jungbunzlauer eine „spürbar niedrigere Festsetzung“ der Geldbuße nach Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit, und zwar im Fall der beiden erstgenannten Unternehmen um 40 %, im Fall der übrigen um 20 %. Dabei berücksichtigte sie insbesondere, dass ihr Roquette als einziger Kartellteilnehmer Unterlagen über die Vorkommnisse und die Schlussfolgerungen der Kartellzusammenkünfte zur Verfügung gestellt habe und dass Roquette und ADM die Funktionsweise des Kartells und die Rollen der Teilnehmer beschrieben und zu einigen Zusammenkünften Einzelangaben gemacht hätten. Die Erklärungen von Fujisawa, die Dokumente von Roquette und die Erklärungen von Roquette und ADM seien für die Ausarbeitung der Entscheidung die wichtigsten Beweisquellen gewesen (Randnrn. 424 bis 427 der Entscheidung).
2. Zur fehlerhaften Beurteilung der Zusammenarbeit von ADM
a) Vorbringen der Parteien
308 ADM hält die Herabsetzung ihrer Geldbuße nach Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit um 40 % für unzureichend. Anders als die Kommission in Randnummer 422 der Entscheidung ausführe, sei ADM mit der Übersendung eines Berichts über die Zeit von 1991 bis 1995 an die Kommission die Erste gewesen, die entscheidende Nachweise für das Bestehen des Kartells in der Zeit nach 1991 geliefert habe. Die Kommission habe ihr daher zu Unrecht eine Herabsetzung nach Abschnitt C der Mitteilung über Zusammenarbeit versagt.
309 So seien erstens zu dieser Zeit von Fujisawa nur Nachweise von begrenztem Wert vorgelegt worden.
310 Fujisawa habe zwar ein Begleitschreiben mit Einzelheiten aus der Zeit vor 1990 übersandt. Für die Zeit von 1991 bis 1995 habe Fujisawa hingegen nur zwei Treffen erwähnt, ohne nähere Angaben zu den Preis- oder Mengenvereinbarungen zu machen. Eines dieser beiden Treffen sei überdies die Sitzung vom 6. Juni 1995 gewesen, die erst nach der Beendigung der Zuwiderhandlung stattgefunden habe (vgl. oben). Die andere Sitzung, das Treffen in Atlanta im Juni 1994, sei dagegen nur vage beschrieben worden.
311 Sodann habe Fujisawa eine Tabelle vorgelegt, in der die Kartelltreffen von den leitenden Mitarbeitern Fujisawas, die daran teilgenommen hätten, aufgelistet worden seien. Wegen der sehr begrenzten Mitwirkung dieser Mitarbeiter zwischen 1991 und 1995 enthalte aber ihr Zeugnis über die Treffen in dieser Zeit nur minimale und irrelevante Angaben. So seien darin nur fünf der dreizehn Zusammenkünfte erfasst, die in dieser Zeit stattgefunden hätten und Gegenstand der Mitteilung der Beschwerdepunkte seien. Der Inhalt dieser Treffen sei auch nur ungenau beschrieben worden: Die vereinbarten Preise, die Aufteilung der Verkäufe oder die Überwachungsmechanismen seien für diese Zeit nicht angegeben worden und die Namen der an den Sitzungen beteiligten Vertreter der übrigen Unternehmen vielfach nur unvollständig.
312 Zweitens hätten die Dokumente, die bei den Nachprüfungen in den Geschäftsräumen der übrigen Unternehmen vor Beginn der Zusammenarbeit von ADM sichergestellt worden seien, nur sehr wenige Beweise über die Zeit seit Sommer 1991 enthalten. So hätten sich die bei Glucona überprüften Dokumente nur auf Treffen bezogen, die im Allgemeinen mit Veranstaltungen des Institute of Food Technology (IFT) oder der Food Ingredients Europe (FIE) zusammengefallen seien. Während die Beteiligten diese Veranstaltungen vermutlich ohnehin besucht hätten, sei der Inhalt der Kartelltreffen in den Dokumenten kaum näher erläutert worden. Glucona habe auch sonst nichts zum Inhalt dieser Treffen mitgeteilt und nur erklärt, dass die Diskussion „den Markt und die Verkäufe“ betroffen habe.
313 Dagegen habe ADM erstens die nach ihrem Beweiswert erstrangige Zeugenaussage eines früheren Mitarbeiters über diese Treffen, ihren Inhalt und die Mechanismen des Kartells vorgelegt, zweitens erstmals Angaben über die Durchführung von sieben Treffen gemacht, die weder in den Zeugenaussagen von Fujisawa und Glucona noch in den Auskunftsverlangen der Kommission aufgetaucht seien, drittens genaue Angaben zum Inhalt dieser von Fujisawa und Glucona nicht genannten Sitzungen geliefert und in diesem Zusammenhang die Bezeichnung bestimmter Teilnehmer in jeder Region als „preislich bestplatzierte Unternehmen“ sowie die festgesetzten Zielpreise des Kartells und den Einfluss und Inhalt des Kartells erläutert und viertens eine Beschreibung der Rolle der Sitzungsteilnehmer gegeben.
314 ADM macht drittens geltend, dass es diese Nachweise der Kommission gestattet hätten, von anderen Teilnehmern ein Eingeständnis der in Frage stehenden Tatsachen und ihre Zusammenarbeit zu erwirken. Noch Ende 1998 habe die Kommission erst über sehr begrenzte Nachweise verfügt: Trotz der Informationen von den amerikanischen Behörden, der Auskunftsverlangen und der überraschenden Nachprüfungen bei den Beteiligten in den Jahren 1997 und 1998 habe bis dahin nur Fujisawa ihre Zusammenarbeit angeboten (Randnrn. 54 bis 56 der Entscheidung). Dabei seien die von Fujisawa vorgelegten Nachweise unvollständig gewesen und durch die Schriftstücke, die bei den anderen Beteiligten (Avebe, Glucona, Jungbunzlauer und Roquette) sichergestellt worden seien, in nur geringem Umfang gestützt worden.
315 Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.
b) Würdigung durch das Gericht
316 In ihrer Mitteilung über Zusammenarbeit hat die Kommission die Voraussetzungen festgelegt, unter denen Unternehmen, die während der Untersuchung eines Kartellfalls mit ihr zusammenarbeiten, entweder von der Geldbuße befreit werden können oder ihnen eine Herabsetzung der Buße gewährt werden kann, die sie sonst hätten entrichten müssen (vgl. Abschnitt A Nr. 3 der Mitteilung über Zusammenarbeit).
317 Da ADM im Wesentlichen geltend macht, die Kommission habe ihr zu Unrecht eine Herabsetzung nach Abschnitt C der Mitteilung über Zusammenarbeit versagt, ist zu prüfen, ob die Kommission die Anwendungsvoraussetzungen dieser Regelung verkannt hat.
318 Abschnitt C der Mitteilung über Zusammenarbeit mit der Überschrift „Erheblich niedrigere Festsetzung der Geldbuße“ bestimmt:
„Gegenüber einem Unternehmen, das die unter Abschnitt B Buchstaben b) bis e) genannten Voraussetzungen erfüllt und die geheime Absprache anzeigt, nachdem die Kommission aufgrund einer Entscheidung bei den am Kartell beteiligten Unternehmen eine Nachprüfung vorgenommen hat, die keine ausreichenden Gründe für die Eröffnung eines Verfahrens im Hinblick auf den Erlass einer Entscheidung geliefert hat, wird die Geldbuße um 50 bis 75 % niedriger festgesetzt.“
319 Die in Abschnitt B Buchstaben b bis e festgelegten Voraussetzungen, auf die Abschnitt C verweist, betreffen ein Unternehmen, das
„b) als Erstes Angaben macht, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung sind,
c) seine Teilnahme an der rechtswidrigen Handlung spätestens zu dem Zeitpunkt eingestellt hat, zu dem es das Kartell anzeigt,
d) der Kommission alle sachdienlichen Informationen sowie verfügbaren Unterlagen und Beweismittel über das Kartell bereitstellt und während der gesamten Dauer der Untersuchung zu einer ununterbrochenen und uneingeschränkten Zusammenarbeit bereit ist,
e) kein anderes Unternehmen zur Teilnahme am Kartell gezwungen noch zu der rechtswidrigen Handlung angestiftet oder bei ihrer Durchführung eine entscheidende Rolle gespielt hat“.
320 Um darzutun, dass die Kommission ihr eine „erheblich niedrigere Festsetzung der Geldbuße“ nach Abschnitt C der Mitteilung über Zusammenarbeit hätte gewähren müssen, macht ADM im Wesentlichen geltend, dass die von Fujisawa vorgelegten Nachweise für den Zeitraum 1991 bis 1995 nur von begrenztem Wert gewesen seien. Aus dieser Argumentation ergibt sich aber nicht, dass die Kommission dadurch gegen die Mitteilung über Zusammenarbeit verstoßen hätte, dass sie ADM auch für die Zeit von 1991 bis 1995, in der diese dem Kartell angehörte, nicht als das Unternehmen betrachtete, das im Sinne von Abschnitt C in Verbindung mit Abschnitt B Buchstabe b der Mitteilung über Zusammenarbeit „als Erstes Angaben macht[e], die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung“ waren.
321 Nach der Mitteilung über Zusammenarbeit erfüllt das Unternehmen, das das geheime Kartell bei der Kommission anzeigt, diese Voraussetzung nämlich nicht nur dann, wenn es sämtliche entscheidenden Nachweise für die Ausarbeitung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte oder gar für den Erlass einer Entscheidung über die Feststellung der Zuwiderhandlung liefert. Vielmehr ist diese Voraussetzung nach der Mitteilung über Zusammenarbeit bereits dann erfüllt, wenn das Unternehmen, das das geheime Kartell meldet, das „erste“ ist, das für das Bestehen des Kartells Beweise „von entscheidender Bedeutung“ zur Verfügung stellt.
322 ADM stellt aber nicht ernstlich in Abrede, dass die von Fujisawa für den Zeitraum 1991 bis 1995 unterbreiteten Informationen entscheidend waren, um die Existenz des Kartells zu beweisen, sondern macht nur geltend, dass diese Informationen unvollständig gewesen seien.
323 Jedenfalls ist festzustellen, dass Fujisawa, wie die Kommission in Randnummer 415 der Entscheidung zutreffend hervorgehoben hat, in ihrem Schreiben vom 12. Mai 1998, mit dem sie das Kartell anzeigte, zunächst die Identität der Kartellmitglieder offenlegte. Sie lieferte der Kommission weiterhin eine Beschreibung der wichtigsten Absprachen der Kartellmitglieder in der Zeit von 1991 bis 1995 und der Mechanismen zur Durchführung dieser Absprachen über die Funktionsweise des Kartells. Sodann legte sie der Kommission eine – wenn auch nicht vollständige – Liste der Kartelltreffen mit einer kurzen Inhaltsangabe für manche dieser Treffen vor, und zwar auch für die Zeit von 1991 bis 1995. Dass Fujisawa, wie ADM geltend macht, für diesen Zeitraum keine genaueren Informationen über den Inhalt der Absprachen mitteilte, erlaubt nicht den Schluss, dass die von dem Unternehmen unterbreiteten Informationen für den Nachweis der Existenz des Kartells nicht von entscheidender Bedeutung gewesen wären, zumal diese eine einzige fortdauernde Zuwiderhandlung darstellte (Randnr. 254 der Entscheidung), deren Inhalt und Mechanismen sich nach dem Kartellbeitritt von ADM nicht nennenswert änderten (Randnrn. 80 und 257 bis 260).
324 Die Kommission konnte deshalb zu Recht Fujisawa als das Unternehmen ansehen, das als Erstes Beweise vorlegte, die für das Bestehen des Kartells von entscheidender Bedeutung waren.
325 Daher kann auch nicht das Vorbringen von ADM durchgreifen, wonach die Unterlagen, die bei den Nachprüfungen bei den übrigen Kartellteilnehmern sichergestellt wurden, für die Zeit ab Sommer 1991 von nur geringem Beweiswert gewesen seien und es die von ADM vorgelegten Nachweise gewesen seien, die der Kommission zu dem Eingeständnis des Sachverhalts durch die übrigen Beteiligten und zu ihrer Zusammenarbeit verholfen hätten.
326 Da die in Abschnitt B Buchstaben b bis e in Verbindung mit Abschnitt C der Mitteilung über Zusammenarbeit festgelegten Voraussetzungen kumulativ gelten (vgl. oben, Randnrn. 283 und 286) und eine von ihnen, nämlich die nach Abschnitt B Buchstabe b, nicht erfüllt war, braucht nicht geprüft zu werden, ob ADM die übrigen Voraussetzungen erfüllte.
327 Der Klagegrund, wonach die Entscheidung wegen einer fehlerhaften Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit rechtswidrig sei, ist daher zurückzuweisen.
3. Zur Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
328 Dieser Klagegrund besteht aus drei Teilen. ADM macht erstens geltend, dass ihre Zusammenarbeit im Rahmen der Untersuchung der eines Beteiligten im Fall einer früheren Entscheidung der Kommission mindestens gleichwertig gewesen sei. Zweitens sei die Kommission nicht berechtigt gewesen, Fujisawa eine größere Herabsetzung einzuräumen als ihr selbst. Drittens hätte die Kommission Roquette nicht die gleiche Herabsetzung wie ihr selbst einräumen dürfen.
329 Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung nur verletzt ist, wenn vergleichbare Sachverhalte verschieden oder verschiedene Sachverhalte gleich behandelt werden, es sei denn, eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt (vgl. oben, Randnr. 107).
a) Zu dem Vorbringen, dass die Zusammenarbeit von ADM bei der Untersuchung der eines Beteiligten im Fall einer früheren Entscheidung der Kommission mindestens gleichwertig gewesen sei
Vorbringen der Parteien
330 ADM trägt vor, dass ihre Zusammenarbeit im Rahmen der Untersuchung als materieller Beitrag zu dieser der eines Beteiligten im Fall der Entscheidung 94/601 mindestens gleichwertig gewesen sei. In jenem Fall habe die Kommission die Geldbuße aber um zwei Drittel herabgesetzt, so dass sie ADM zumindest die höchstmögliche Herabsetzung der Geldbuße nach Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit um 50 % hätte einräumen müssen.
331 Die Kommission weist diesen Teil des Klagegrundes zurück.
Würdigung durch das Gericht
332 Wie insoweit in Erinnerung zu bringen ist, kann allein aus der Tatsache, dass die Kommission in ihrer vorherigen Entscheidungspraxis eine Geldbuße wegen eines bestimmten Verhaltens in bestimmtem Umfang herabsetzte, nicht hergeleitet werden, dass sie verpflichtet wäre, bei der Beurteilung eines ähnlichen Verhaltens in einem späteren Verwaltungsverfahren die gleiche Herabsetzung zu gewähren (vgl. oben in Randnr. 293 zitiertes Urteil Mo och Domsjö/Kommission, Randnr. 147, und oben in Randnr. 33 zitiertes Urteil Lögstör Rör/Kommission, Randnrn. 326 und 352 und die dort zitierte Rechtsprechung).
333 Im Übrigen hat ADM keine genauen Angaben gemacht, aus denen sich ergäbe, dass der in dem früheren Fall gegebene Sachverhalt mit dem vorliegenden vergleichbar wäre.
334 Der erste Teil des vorliegenden Klagegrundes greift daher nicht durch.
b) Zu dem Vorbringen, dass die Kommission Fujisawa eine höhere Herabsetzung als ADM gewährte
Vorbringen der Parteien
335 ADM rügt, dass die Kommission Fujisawa eine höhere Herabsetzung als ihr selbst gewährte. In beiden Fällen hätten die Unternehmen ihre Zusammenarbeit angeboten, sobald die Kommission sie wegen ihrer Untersuchung kontaktiert habe. Nur habe Fujisawa hierzu als Erste Gelegenheit gehabt, weil sie das erste Unternehmen gewesen sei, an das sich die Kommission gewandt habe. Auch ADM habe aber alles Nötige getan, um mit der Kommission zusammenzuarbeiten, sobald sich ihr dazu Gelegenheit geboten habe.
336 Das Gericht habe im Urteil vom 13. Dezember 2001 in den Rechtssachen T‑45/98 und T‑47/98 (Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission, Slg. 2001, II‑3757, Randnrn. 246 bis 248, im Folgenden: Urteil Krupp) entschieden, dass die Beurteilung der Frage, in welchem Umfang die Unternehmen mit der Kommission zusammenarbeiteten, nicht nach zufälligen Kriterien wie der Reihenfolge, in der sie von der Kommission befragt worden seien, beurteilt werden dürfe.
337 Die Kommission weist diesen Klagegrund zurück.
Würdigung durch das Gericht
338 Mit ihrem Vorbringen stützt sich ADM im Wesentlichen auf die Grundsätze, die das Gericht in den Randnummern 138 bis 248 des Urteils Krupp entwickelt hat. In diesem Urteil hat das Gericht, wie im Übrigen auch in seinem Urteil vom 13. Dezember 2001 in der Rechtssache T‑48/98 (Acerinox/Kommission, Slg. 2001, II‑3859, Randnrn. 132 bis 141), die Anwendung von Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit durch die Kommission überprüft. Es hat im Wesentlichen entschieden, dass die Mitteilung über Zusammenarbeit, um einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu vermeiden, dahin anzuwenden ist, dass die Kommission bei der Herabsetzung von Geldbußen Unternehmen, die ihr im gleichen Verfahrensstadium und unter analogen Umständen ähnliche Informationen über die ihnen zur Last gelegten Tatsachen unterbreiten, gleich behandeln muss. Wie das Gericht hinzugefügt hat, liegt allein darin, dass eines der Unternehmen die ihnen von der Kommission im gleichen Verfahrensstadium gestellten Fragen als Erstes beantwortete und dabei die inkriminierten Tatsachen eingeräumt hat, kein objektiver Grund für eine unterschiedliche Behandlung der Unternehmen.
339 In den genannten Rechtssachen war es indessen im Unterschied zur vorliegenden unstreitig, dass die Zusammenarbeit der betroffenen Unternehmen nicht in den Anwendungsbereich der Abschnitte B und C der Mitteilung über Zusammenarbeit fiel. Wie aus Randnummer 219 des Urteils Krupp hervorgeht, wandte die Kommission auf alle von der angefochtenen Entscheidung betroffenen Unternehmen die Regelung des Abschnitts D der Mitteilung an. In diesen Rechtssachen stellte sich somit nur die Frage, ob die Kommission den Grundsatz der Gleichbehandlung dadurch verletzt hatte, dass sie im Rahmen des Ermessens, das ihr bei der Anwendung von Abschnitt D der Mitteilung zusteht, die Klägerinnen anders behandelt hatte als ein weiteres betroffenes Unternehmen.
340 Im vorliegenden Fall geht es ADM hingegen im Wesentlichen um den Nachweis, dass Fujisawa aus ganz zufälligen Gründen als Erste zur Zusammenarbeit mit der Kommission veranlasst worden sei und ihr die Kommission deshalb eine Herabsetzung nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit gewährt habe, während ADM, wenn sich die Kommission zuerst an sie gewandt hätte, eine deutlichere Herabsetzung zumindest nach Abschnitt C der Mitteilung zugute gekommen wäre, weil dann sie als Erste die von Fujisawa übermittelten Informationen mitgeteilt hätte. Hingegen will ADM mit ihrer Berufung auf die beiden oben in Randnummer 338 genannten Urteile nicht dartun, dass die Kommission Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit auf sie im Vergleich zu den anderen Kartellmitgliedern in diskriminierender Weise angewandt habe (vgl. dazu oben, Randnrn. 347 bis 351).
341 Im Gegensatz zu den Abschnitten B und C der Mitteilung über Zusammenarbeit sieht jedoch Abschnitt D keine unterschiedliche Behandlung der betroffenen Unternehmen nach der Reihenfolge ihrer Zusammenarbeit mit der Kommission vor. Folglich berücksichtigte die Kommission diesen Gesichtspunkt in den Entscheidungssachverhalten der Urteile Krupp und Acerinox/Kommission (vgl. oben, Randnr. 338), ohne dass Abschnitt D der Mitteilung ihn ausdrücklich vorsah.
342 Gleichwohl darf die Kommission, auch wenn sie im Interesse der erfolgreichen Anwendung der Regelung über die Zusammenarbeit mit den betroffenen Unternehmen im Fall geheimer Kartelle bei der Verfahrensorganisation über ein weites Ermessen verfügen muss, doch nicht willkürlich handeln.
343 Insoweit ist im vorliegenden Fall den Akten und insbesondere den Randnummern 53 bis 64 der Entscheidung zu entnehmen, dass die Kommission, nachdem die amerikanischen Behörden sie 1997 darüber unterrichtet hatten, dass Akzo und Avebe (Glucona) ihre Beteiligung an einem internationalen Kartell auf dem Natriumglukonatmarkt eingestanden hätten, am 27. November 1997 an diese Unternehmen Auskunftsverlangen richtete, die das Bestehen von Zutrittshindernissen beim Import von Natriumglukonat nach Europa betrafen. Die Kommission ersuchte sie insbesondere, die Namen der weltweit und in Europa wichtigsten Hersteller von Natriumglukonat, die Marktanteile der auf diesem Markt präsenten Unternehmen weltweit und in Europa und die weltweite Produktionskapazität des Produkts anzugeben. In ihrem Antwortschreiben vom 28. Januar 1998 teilten Akzo und Glucona an mehreren Stellen mit, dass die weltweit und in Europa wichtigsten Hersteller von Natriumglukonat außer ihnen selbst Roquette, Jungbunzlauer und Fujisawa seien. Obgleich an einer Stelle dieser Antwort auch die Marktpräsenz von ADM erwähnt wird, war das Unternehmen doch nicht unter den wichtigsten Herstellern von Natriumglukonat aufgeführt.
344 In diesem Zusammenhang versandte die Kommission am 18. Februar 1998 Auskunftsverlangen, die den gleichen Gegenstand hatten wie die, die sie am 27. November 1997 an Akzo und Avebe (Glucona) gerichtet hatte. Wie Randnummer 55 der Entscheidung zu entnehmen ist, zeigte Fujisawa daraufhin das Kartell bei der Kommission an und übermittelte ihr dazu Informationen.
345 Es lässt sich nicht ausschließen, dass außer dem Verfahren vor den amerikanischen Behörden, das alle Kartellmitglieder betraf, die am 18. Februar 1998 u. a. an Fujisawa gerichteten Auskunftsverlangen für diese ein zusätzlicher Hinweis darauf waren, dass die Kommission auf dem Natriumglukonatmarkt eine Untersuchung durchführte. Der oben in den Randnummern 343 und 344 wiedergegebene Ablauf des Verwaltungsverfahrens lässt aber kein willkürliches Vorgehen der Kommission erkennen, und ADM hat dafür auch keine Beweise vorgelegt.
346 ADM kann der Kommission daher nicht vorwerfen, sie habe sie gegenüber Fujisawa diskriminiert.
c) Zu der Rüge, dass die Kommission Roquette die gleiche Herabsetzung wie ADM gewährte
Vorbringen der Parteien
347 ADM wendet sich weiter dagegen, dass ihr die Kommission die gleiche Herabsetzung der Geldbuße gewährte wie Roquette. Entgegen den Ausführungen der Kommission seien nämlich die von Roquette vorgelegten Beweise den von ihr selbst gelieferten nicht gleichwertig, denn sie selbst habe die Zusammenarbeit schon früher aufgenommen, Zeugenaussagen von erstrangiger Bedeutung übermittelt und so der Kooperation der übrigen Beschuldigten, darunter Roquette, erst den Weg bereitet.
348 Die Kommission weist diesen Teil des Klagegrundes zurück.
Würdigung durch das Gericht
349 Insoweit ist festzustellen, dass der Satz der Herabsetzung, der Roquette und ADM gewährt wurde, zwar der gleiche ist, aber nicht völlig auf den gleichen Erwägungen beruht. Auch wenn ADM schon vor Roquette Beweise vorlegte, wird von ihr doch nicht bestritten, dass sie im Gegensatz zu Roquette, wie Randnummer 426 der Entscheidung entnommen werden kann, über die Vorkommnisse und die Schlussfolgerungen der Kartelltreffen keine aus dieser Zeit selbst stammenden Dokumente einreichte.
350 Soweit ADM dartun will, dass die Kommission Roquette eine zu große Herabsetzung gewährte, ist jedenfalls daran zu erinnern, dass die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung mit der Beachtung des Gebots rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht werden muss, wonach sich niemand zu seinem Vorteil gegen eine mit den einschlägigen Vorschriften in Einklang stehende Handlung auf eine zugunsten anderer begangene Rechtsverletzung berufen kann (vgl. oben in Randnr. 190 zitiertes Urteil Cascades/Kommission, Randnr. 259, und oben in Randnr. 63 zitiertes Urteil SCA Holding/Kommission, Randnr. 160).
351 Folglich ist dieser Teil des Klagegrundes und damit der Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.
F – Zu Mängeln des Verwaltungsverfahrens
a) Vorbringen der Parteien
352 Im Rahmen dieses Klagegrundes erhebt ADM vier Rügen.
353 Sie macht erstens geltend, dass es ihr im Verwaltungsverfahren nicht ermöglicht worden sei, sich zu der Anwendung eines Multiplikators von 2,5 auf den Ausgangsbetrag zu äußern, den die Leitlinien nicht vorsähen.
354 Zweitens habe es die Kommission versäumt, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte klarzustellen, dass der einschlägige Produktmarkt der für Natriumglukonat sei. In den Randnummern 3 bis 9 der Mitteilung der Beschwerdepunkte habe die Kommission nur ausgeführt, dass Natriumglukonat einer von vielen Chelatbildnern sei, dass es zu einer besonderen Familie von Chelatbildnern gehöre und dass es eine bestimmte Zahl von partiellen Substituten gebe. Sie habe zwar Natriumglukonat als das „Referenzprodukt“ bezeichnet, aber sogleich erläutert, dass die nächstverwandten Ersatzprodukte Natriumglukoheptonat und EDTA seien. Da die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt habe, dass es Substitute gebe, hätte sie ihre Feststellungen zum Produktmarkt und die Gründe, aus denen sie diese Substitute nicht als Teil des in Frage stehenden Marktes angesehen habe, so klar erläutern müssen, dass die Beteiligten hierzu hätten Stellung nehmen können. Damit habe die Kommission im Rahmen der Mitteilung der Beschwerdepunkte die wesentliche Frage der Definition des einschlägigen Produktmarktes nicht geprüft.
355 Drittens habe sich die Kommission in der Entscheidung (in Fußnote 17) auf das „Chemical Economics Handbook“ (SRI International 1991) gestützt, ohne dass dieses den Parteien zugänglich gewesen sei.
356 Viertens habe die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht dargelegt, dass die Durchführung des Kartells notwendig wirtschaftliche Auswirkungen auf diesen Markt gehabt habe.
357 Die Kommission weist diese vier Rügen zurück.
b) Würdigung durch das Gericht
358 Es ist daran zu erinnern, dass die Wahrung der Verteidigungsrechte, die ein grundlegendes Prinzip des Gemeinschaftsrechts darstellt und unter allen Umständen, insbesondere in jedem Verfahren, das zu Sanktionen führen kann, selbst wenn es sich um ein Verwaltungsverfahren handelt, zu gewährleisten ist, es erfordert, den betroffenen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen Gelegenheit zu geben, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission angeführten Tatsachen, Beanstandungen und Umstände sachdienlich Stellung zu nehmen (oben in Randnr. 216 zitiertes Urteil Hoffmann-La Roche/Kommission, Randnr. 11, und Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-11/89, Shell/Kommission, Slg. 1992, II-757, Randnr. 39).
359 Ferner muss nach der Rechtsprechung die Mitteilung der Beschwerdepunkte, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, dass die Beteiligten tatsächlich erkennen können, welches Verhalten ihnen die Kommission zur Last legt. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Mitteilung der Beschwerdepunkte nämlich den ihr durch die Gemeinschaftsverordnungen zugewiesenen Zweck erfüllen, den Unternehmen und Unternehmensvereinigungen alle Angaben zur Verfügung zu stellen, deren sie bedürfen, um sich wirksam verteidigen zu können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt (Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C‑89/85, C‑104/85, C‑114/85, C‑116/85, C‑117/85 und C‑125/85 bis C‑129/85, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Slg. 1993, I‑1307, Randnr. 42, und oben in Randnr. 293 zitiertes Urteil Mo och Domsjö/Kommission, Randnr. 63).
360 Im Rahmen ihrer ersten und vierten Rüge wirft ADM der Kommission im Wesentlichen vor, dass sie sie nicht über bestimmte Elemente unterrichtet habe, die für die Festsetzung der Geldbuße maßgebend gewesen seien, nämlich weder über den Multiplikator von 2,5 (Randnrn. 386 bis 388) noch darüber, dass die Zuwiderhandlung nach Auffassung der Kommission tatsächliche Auswirkungen auf den Markt gehabt habe (Randnr. 340 der Entscheidung).
361 Nach ständiger Rechtsprechung erfüllt die Kommission ihre Verpflichtung zur Wahrung des Anhörungsrechts der Unternehmen, wenn sie in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen festzusetzen seien, und die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte wie Schwere und Dauer der vermuteten Zuwiderhandlung sowie den Umstand anführt, ob diese „vorsätzlich oder fahrlässig“ begangen worden sei. Damit macht sie gegenüber den Unternehmen die Angaben, die diese für ihre Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Festsetzung einer Geldbuße benötigen (oben in Randnr. 44 zitiertes Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 21, und oben in Randnr. 38 zitiertes Urteil LR AF 1998/Kommission, Randnr. 199).
362 Was die Bemessung von Geldbußen angeht, so werden die Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen gegenüber der Kommission dadurch gewahrt, dass sie sich zur Dauer, Schwere und Vorhersehbarkeit des wettbewerbswidrigen Charakters der Zuwiderhandlung äußern können (Urteile des Gerichts vom 6. Oktober 1994 in der Rechtssache T‑83/91, Tetra Pak/Kommission, Slg. 1994, II‑755, Randnr. 235, und oben in Randnr. 65 zitiertes Urteil HFB u. a./Kommission, Randnr. 312).
363 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, die sie an ADM übersandte, klar angab, dass sie beabsichtigte, gegen ADM eine Geldbuße zu verhängen, die sie nach Maßgabe insbesondere der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung festsetzen werde. Die Kommission bezog sich außerdem ausdrücklich auf die Leitlinien und gab damit eindeutig zu erkennen, dass ADM eine Würdigung ihrer Lage anhand der Leitlinien erwarten musste und sich unter diesem Aspekt zu verteidigen hätte, soweit ihr dies zweckmäßig erschien.
364 Die Kommission wies im Übrigen in Randnummer 345 der Mitteilung der Beschwerdepunkte darauf hin, dass sie vorhabe, die Bußgeldbeträge in hinreichend abschreckender Höhe festzusetzen. Ebenso führte sie in den Randnummern 264 und 346 der Mitteilung der Beschwerdepunkte im Wesentlichen aus, dass sie im Rahmen ihrer Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigen werde, dass es sich um einen besonders schweren Verstoß mit dem Ziel einer Beschränkung des Wettbewerbs handele, der bereits nach der Art der geschlossenen Vereinbarungen notwendig ernsthafte Auswirkungen auf den Wettbewerb habe.
365 Die Wahrung der Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen verpflichtet die Kommission nicht dazu, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genauer darzulegen, in welcher Art und Weise sie jedes dieser Elemente für die Bußgeldbemessung heranziehen werde.
366 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Aufteilung der Kartellmitglieder in Gruppen eine Praxis darstellt, die die Kommission auf der Grundlage der Leitlinien entwickelte. Die Entscheidung wurde daher in einem ADM wohlbekannten Kontext erlassen und fügt sich in eine ständige Entscheidungspraxis ein (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 30. September 2003 in den Rechtssachen C‑57/00 P und C‑61/00 P, Freistaat Sachsen u. a./Kommission, Slg. 2003, I‑9975, Randnr. 77).
367 Die erste und die vierte Rüge sind daher unbegründet.
368 Mit ihrer zweiten Rüge wirft ADM der Kommission vor, sie habe es versäumt, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte klarzustellen, dass Natriumglukonat den in Frage stehenden Produktmarkt bilde.
369 Dazu ist festzustellen, dass die Kommission in den Randnummern 3 bis 9 der Mitteilung der Beschwerdepunkte unter der Überschrift „Das Produkt“ die Merkmale von Natriumglukonat beschrieb. Auch wenn sie dort, wie ADM geltend macht, ausführte, dass es bestimmte Ersatzprodukte gebe, lassen doch die von der Kommission verwendeten Formulierungen entgegen dem Vorbringen von ADM keinen Zweifel daran, dass sie im Stadium der Mitteilung der Beschwerdepunkte diese Ersatzprodukte nicht als Teil des in Frage stehenden Marktes ansah.
370 Denn zum einen legte sie in Randnummer 9 der Mitteilung der Beschwerdepunkte u. a. dar, dass es sich bei diesen Produkten nur um partielle Substitute handele und dass Natriumglukonat im Gegensatz zu diesen Produkten ein „Referenzprodukt“ sei, für das es eine weit größere Nachfrage gebe als für diese Produkte. Zum anderen bezog sich die Kommission bei ihrer Analyse des relevanten Marktes (Randnrn. 39 bis 50 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) fortwährend auf Natriumglukonat, ohne die Substitute zu erwähnen.
371 Die zweite Rüge ist daher nicht begründet.
372 Mit ihrer dritten Rüge macht ADM geltend, dass sich die Kommission in der Entscheidung (in Fußnote 17) auf das „Chemical Economics Handbook“ (SRI International 1991) gestützt habe, das den Beteiligten nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Insoweit genügt der Hinweis, dass die Kommission in Fußnote 4 der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt hatte, dass sie sich für die Beschreibung des in Frage stehenden Produkts auf diese Publikation stütze. Es handelt sich damit aber, wie die Kommission – insoweit seitens ADM unwidersprochen – geltend macht, um ein Werk, das öffentlich zugänglich ist, zumal für Wirtschaftsteilnehmer, die auf einem von dem Werk betroffenen Markt präsent sind.
373 Folglich ist auch die dritte Rüge und damit der Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.
G – Zu dem Antrag auf Prüfung eines neuen Klagegrundes
374 Nachdem die Kommission die Leitlinien von 2006 angenommen und im Internet veröffentlicht hatte, hat ADM die Prüfung eines neuen Klagegrundes beantragt, der auf diese Leitlinien gestützt ist. Aus den Leitlinien von 2006 ergebe sich nämlich, dass die Kommission den sehr geringen Betrag der Verkäufe von ADM auf dem relevanten Markt in der Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt und ferner den Abschreckungseffekt der Geldbuße nicht fehlerfrei beurteilt habe. Die Klägerin verweist insbesondere darauf, dass der Bußgeldhöchstbetrag, der nach den Leitlinien von 2006 und vor Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit gegen sie festgesetzt worden wäre, 3,8 Mio. Euro anstelle von 16,88 Mio. Euro betragen hätte.
375 Die Kommission tritt diesem Antrag von ADM entgegen.
376 Da ADM den Antrag auf Berücksichtigung der Leitlinien von 2006 nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt hat, ist zunächst zu prüfen, ob die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen ist, um den neuen Klagegrund von ADM, der auf die Leitlinien von 2006 gestützt ist, prüfen zu können. Insoweit ist daran zu erinnern, dass das Gericht einem Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zur Berücksichtigung angeblich neuer Tatsachen nur stattzugeben braucht, wenn sich die betroffene Partei auf Tatsachen von entscheidender Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits beruft, die sie nicht schon vor dem Ende der mündlichen Verhandlung geltend machen konnte (Urteil des Gerichtshofes vom 8. Juli 1999 in der Rechtssache C‑200/92 P, ICI/Kommission, Slg. 1999, I‑4399, Randnrn. 60 und 61, und Urteil des Gerichts vom 25. Juni 2002 in der Rechtssache T‑311/00, British American Tobacco [Investments]/Kommission, Slg. 2002, II‑2781, Randnr. 53).
377 Soweit sich die Klägerin auf die Leitlinien von 2006 stützt, um die Rechtswidrigkeit der Entscheidung darzutun, genügt der Hinweis, dass die Rechtmäßigkeit eines gemeinschaftlichen Rechtsakts nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses zu würdigen ist (Urteil des Gerichtshofes vom 7. Februar 1979 in den Rechtssachen 15/76 und 16/76, Frankreich/Kommission, Slg. 1979, 321, Randnrn. 7 und 8, und Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in den Rechtssachen T‑177/94 und T‑377/94, Altmann u. a./Kommission, Slg. 1996, II‑2041, Randnr. 119). Folglich können bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines solchen Rechtsakts Umstände, die erst nach seinem Erlass eingetreten sind, nicht berücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 63 zitiertes Urteil Deutsche Bahn/Kommission, Randnr. 102 und die dort zitierte Rechtsprechung).
378 Da der neue Umstand, den ADM geltend macht, offenkundig erst nach dem Erlass der Entscheidung eingetreten ist, kann er deren Gültigkeit nicht berühren (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 16. September 1998 in den Rechtssachen T‑133/95 und T‑204/95, IECC/Kommission, Slg. 1998, II‑3645, Randnr. 37). Der Erlass der Leitlinien von 2006 stellt keinen neuen Umstand dar, der für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung von entscheidendem Einfluss sein kann. Die mündliche Verhandlung ist daher auf dieser Grundlage nicht wiederzueröffnen.
379 Dieses Ergebnis wird durch die in Randnummer 38 der Leitlinien von 2006 enthaltene Klarstellung bestätigt, wonach diese Leitlinien in denjenigen Verfahren Anwendung finden, in denen nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt eine Mitteilung der Beschwerdepunkte ergeht. Damit schließen die Leitlinien von 2006 ihre Anwendung auf Fälle wie den vorliegenden selbst ausdrücklich aus. Da die Leitlinien erst nach Erlass der Entscheidung und erst recht nach der ihr vorangegangenen Mitteilung der Beschwerdepunkte erlassen wurden, gehören sie nicht zu dem für diese maßgeblichen rechtlichen oder tatsächlichen Rahmen.
380 Soweit sich die Klägerin auf die Leitlinien von 2006 beruft, um ihren Klagegrund der Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße zu stützen, in dessen Rahmen das Gericht über die Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung verfügt, ist festzustellen, dass allein der Umstand, dass die Anwendung der in den – im vorliegenden Fall nicht geltenden – Leitlinien von 2006 vorgesehenen Methode der Berechnung von Geldbußen zu einem niedrigeren Bußgeldbetrag als dem in der Entscheidung festgesetzten führen kann, nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit der in der Entscheidung verhängten Geldbuße zu belegen. Denn diese Feststellung ist nur Ausdruck des Ermessens, über das die Kommission unter Einhaltung der sich aus der Verordnung Nr. 17 ergebenden Anforderungen für die Wahl der Methode, die sie bei der Bußgeldzumessung anwendet, und damit bei der Verfolgung der ihr obliegenden Wettbewerbspolitik verfügt. So können zu den Beurteilungskriterien, die das Gericht bei der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der zu einer bestimmten Zeit verhängten Geldbußen heranziehen kann, insbesondere die in dieser Zeit bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Umstände und die seinerzeit von der Kommission im Einklang mit den Anforderungen des EG-Vertrags festgelegten Ziele auf dem Gebiet des Wettbewerbs gehören. Im Übrigen hat der Gerichtshof in den Randnummern 234 bis 295 des Urteils Dansk Rørindustri u. a./Kommission (zitiert oben in Randnr. 38) die Klagegründe und Argumente zurückgewiesen, mit denen sich die Kläger in diesen Rechtssachen gegen die in den Leitlinien von 1998 festgelegte Berechnungsmethode wandten, nach der als Ausgangspunkt die in diesen Leitlinien festgelegten Grundbeträge verwendet werden, die sich nicht nach dem betroffenen Umsatz richten. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht oben in den Randnummern 76 bis 81, 99 bis 106 und 139 bis 149 festgestellt hat, dass die Bußgeldzumessung unter Anwendung der Leitlinien von 1998 den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzte.
381 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Erlass der Leitlinien von 2006 nicht von entscheidendem Einfluss für den Ausgang des Rechtsstreits sein kann. Die mündliche Verhandlung ist daher nicht wiederzueröffnen.
H – Ergebnis
382 Da keiner der gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung angeführten Klagegründe durchgreift, ist die Geldbuße im Rahmen der Befugnis des Gerichts zur unbeschränkten Nachprüfung nicht herabzusetzen. Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen.
Kosten
383 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Beklagten die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Archer Daniels Midland Co. trägt die Kosten des Verfahrens.
Azizi |
Jaeger |
Dehousse |
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. September 2006.
Der Kanzler |
Der Präsident |
E. Coulon |
J. Azizi |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Verfahren und Anträge der Parteien
Entscheidungsgründe
A – Zur Anwendbarkeit der Leitlinien
1. Zur Verletzung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des für Strafen geltenden Rückwirkungsverbots
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
2. Zur Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
B – Zur Schwere der Zuwiderhandlung
1. Einleitung
2. Zur fehlenden oder unzureichenden Berücksichtigung des Umsatzes aus dem Verkauf des in Frage stehenden Produkts
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
Zur Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
Zur Verletzung der Leitlinien
Zur Verletzung der Begründungspflicht
3. Zur fehlenden oder unzureichenden Berücksichtigung der begrenzten Größe des in Frage stehenden Produktmarktes
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
Zur Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
Zur Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
Zur Verletzung der Begründungspflicht
4. Zur doppelten Berücksichtigung der abschreckenden Wirkung der Geldbuße
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
Zum Verstoß gegen die Leitlinien
Zur Verletzung der Begründungspflicht
5. Zur Anwendung eines Multiplikators zur Erhöhung des Ausgangsbetrags
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
Zur Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
Zur Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
Zur Verletzung der Begründungspflicht
6. Zu dem Vorliegen von Beurteilungsfehlern im Zusammenhang mit den konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt
a) Einleitung
b) Zu der Rüge, dass die Kommission für den Nachweis von konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt eine verfehlte Vorgehensweise gewählt habe
Vorbringen der Parteien
Würdigung durch das Gericht
– Zusammenfassung der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung
– Würdigung
c) Zur Beurteilung der Entwicklung der Preise für Natriumglukonat
Zu dem Vorbringen, dass die Kommission keine hinreichenden Informationen besessen und die anderen im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Faktoren verkannt habe
– Vorbringen der Parteien
– Würdigung durch das Gericht
Zu dem Vorbringen, dass ADM in der Zeit des Anstiegs der Natriumglukonatpreise zwischen 1987 und 1989 nicht Mitglied des Kartells gewesen sei
– Vorbringen der Parteien
– Würdigung durch das Gericht
d) Zur Definition des relevanten Marktes
Vorbringen der Parteien
Würdigung durch das Gericht
C – Zu dem Vorliegen von Beurteilungsfehlern hinsichtlich der Dauer der Zuwiderhandlung
1. Zu dem Vorbringen, dass ADM ihre Kartellbeteiligung anlässlich der Sitzung am 4. Oktober 1994 in London beendet habe
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
2. Zum Charakter der Sitzung vom 3. bis 5. Juni 1995 in Anaheim
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
D – Zu den mildernden Umständen
1. Zur Beendigung der Kartellbeteiligung
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
2. Zur fehlenden Notwendigkeit, einen abschreckenden Charakter der Geldbuße zu gewährleisten
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
3. Zur Annahme eines Verhaltenskodex durch ADM
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
E – Zur Zusammenarbeit von ADM im Verwaltungsverfahren
1. Einleitung
2. Zur fehlerhaften Beurteilung der Zusammenarbeit von ADM
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
3. Zur Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
a) Zu dem Vorbringen, dass die Zusammenarbeit von ADM bei der Untersuchung der eines Beteiligten im Fall einer früheren Entscheidung der Kommission mindestens gleichwertig gewesen sei
Vorbringen der Parteien
Würdigung durch das Gericht
b) Zu dem Vorbringen, dass die Kommission Fujisawa eine höhere Herabsetzung als ADM gewährte
Vorbringen der Parteien
Würdigung durch das Gericht
c) Zu der Rüge, dass die Kommission Roquette die gleiche Herabsetzung wie ADM gewährte
Vorbringen der Parteien
Würdigung durch das Gericht
F – Zu Mängeln des Verwaltungsverfahrens
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
G – Zu dem Antrag auf Prüfung eines neuen Klagegrundes
H – Ergebnis
Kosten
* Verfahrenssprache: Englisch.