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Document 62001TJ0325
Judgment of the Court of First Instance (Fifth Chamber) of 15 September 2005.#DaimlerChrysler AG v Commission of the European Communities.#Competition - Fine.#Case T-325/01.
Urteil des Gerichts erster Instanz (Fünfte Kammer) vom 15. September 2005.
DaimlerChrysler AG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb - Artikel 81 EG - Kartelle - Vertretervertrag - Vertrieb von Kraftfahrzeugen - Wirtschaftliche Einheit - Maßnahmen zur Behinderung des Parallelhandels mit Kraftfahrzeugen - Preisfestsetzung - Verordnung (EG) Nr. 1475/95 - Geldbuße.
Rechtssache T-325/01.
Urteil des Gerichts erster Instanz (Fünfte Kammer) vom 15. September 2005.
DaimlerChrysler AG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb - Artikel 81 EG - Kartelle - Vertretervertrag - Vertrieb von Kraftfahrzeugen - Wirtschaftliche Einheit - Maßnahmen zur Behinderung des Parallelhandels mit Kraftfahrzeugen - Preisfestsetzung - Verordnung (EG) Nr. 1475/95 - Geldbuße.
Rechtssache T-325/01.
Sammlung der Rechtsprechung 2005 II-03319
ECLI identifier: ECLI:EU:T:2005:322
Rechtssache T-325/01
DaimlerChrysler AG
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
„Wettbewerb – Artikel 81 EG – Kartelle – Vertretervertrag – Vertrieb von Kraftfahrzeugen – Wirtschaftliche Einheit – Maßnahmen zur Behinderung des Parallelhandels mit Kraftfahrzeugen – Preisfestsetzung – Verordnung (EG) Nr. 1475/95 – Geldbuße“
Urteil des Gerichts (Fünfte Kammer) vom 15. September 2005
Leitsätze des Urteils
1. Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Begriff – Bilaterales oder multilaterales Vorgehen – Einbeziehung – Einseitiges Verhalten – Ausschluss
(Artikel 81 Absatz 1 EG)
2. Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Unternehmen – Begriff – Wirtschaftliche Einheit – Verschiedene, durch einen Vertretervertrag verbundene juristische Personen – Voraussetzungen für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit
(Artikel 81 Absatz 1 EG)
3. Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Gruppenfreistellung – Verordnung Nr. 1475/95 – Begriff „Weiterverkauf“
(Verordnung Nr. 1475/95 der Kommission, Artikel 10 Absatz 12)
4. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt – Wahrung der Verteidigungsrechte
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 19 Absatz 1; Verordnung Nr. 99/63 der Kommission, Artikel 2 und 4)
5. Wettbewerb – Kartelle – Abgestimmte Verhaltensweise – Begriff – Mit der Pflicht jedes Unternehmens, sein Marktverhalten selbständig zu bestimmen, unvereinbare Koordinierung und Zusammenarbeit
(Artikel 81 Absatz 1 EG)
6. Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung – Beweis der Teilnahme an Sitzungen mit wettbewerbswidrigem Inhalt – Dem Unternehmen obliegender Beweis einer Distanzierung von den getroffenen Entscheidungen
(Artikel 81 Absatz 1 EG)
7. Wettbewerb – Kartelle – Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen – Unverbindliche Entscheidung eines Verbandes, die von dessen Mitgliedern angewandt wird – Einbeziehung
(Artikel 81 Absatz 1 EG)
8. Wettbewerb – Kartelle – Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten – Kartell, dessen Auswirkungen sich auf das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaats erstrecken – Automatische Beeinträchtigung
(Artikel 81 Absatz 1 EG)
9. Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Von einer Tochtergesellschaft begangene Zuwiderhandlung – Zurechnung in Bezug auf die Muttergesellschaft – Voraussetzungen – Unerheblichkeit der eigenen Rechtspersönlichkeit der Tochtergesellschaft – Auswirkung des Haltens des gesamten Kapitals der Tochtergesellschaft – Der Muttergesellschaft obliegende Verpflichtung, die Vermutung der tatsächlichen Ausübung von Leitungsmacht über die Tochtergesellschaft zu widerlegen
(Artikel 81 Absatz 1 EG)
1. Das in Artikel 81 Absatz 1 EG aufgestellte Verbot betrifft ausschließlich ein bilateral oder multilateral koordiniertes Vorgehen in Form von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen. Folglich ist der Begriff der Vereinbarung im Sinne dieser Vorschrift durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet. Daraus folgt, dass eine Entscheidung eines Unternehmens nicht unter das Verbot dieses Artikels fällt, wenn sie ein einseitiges Verhalten des Unternehmens darstellt.
(vgl. Randnrn. 83-84)
2. Bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln kommt es nicht auf die sich aus der Verschiedenheit der Rechtspersönlichkeit ergebende formale Trennung zwischen zwei Gesellschaften an, sondern vielmehr darauf, ob sich die beiden Gesellschaften auf dem Markt einheitlich verhalten. Es kann also notwendig sein, zu ermitteln, ob zwei Gesellschaften mit je eigener Rechtspersönlichkeit ein und dasselbe Unternehmen oder ein und dieselbe wirtschaftliche Einheit mit einheitlichem Marktverhalten bilden oder hierzu gehören.
Eine solche Situation ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen Gesellschaften zueinander in einem Mutter-Tochter-Verhältnis stehen, sondern betrifft unter bestimmten Umständen auch die Beziehungen zwischen einer Gesellschaft und ihrem Handelsvertreter oder zwischen einem Geschäftsherrn und dem Beauftragten. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Verhalten in den Anwendungsbereich von Artikel 81 EG fällt, ist nämlich von Bedeutung, ob der Geschäftsherr und sein Mittler oder „Handelsvertreter“ eine wirtschaftliche Einheit bilden, bei der Letzterer ein in das Unternehmen des Ersteren eingegliedertes Hilfsorgan ist. So kann ein Absatzmittler, wird er für seinen Geschäftsherrn tätig, grundsätzlich als ein in dessen Unternehmen eingegliedertes Hilfsorgan angesehen werden, das den Weisungen des Geschäftsherrn zu folgen hat und sonach mit dem betroffenen Unternehmen ebenso wie ein Handlungsgehilfe eine wirtschaftliche Einheit bildet.
Anders verhält es sich, wenn aus den zwischen dem Geschäftsherrn und seinen Vertretern getroffenen Abmachungen Letzteren Aufgaben erwachsen oder verbleiben, die aus wirtschaftlicher Sicht insofern denen eines Eigenhändlers ähneln, als der Vertreter die finanziellen Risiken des Absatzes oder der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträge zu tragen hat. So können Vertreter ihre Eigenschaft als selbständiger Wirtschaftsteilnehmer nur verlieren, wenn sie keines der Risiken aus den für den Geschäftsherrn vermittelten Geschäften tragen und als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert sind. Wenn also ein Vertreter trotz eigener Rechtspersönlichkeit sein Geschäftsgebaren nicht autonom bestimmt, sondern die Weisungen durchführt, die ihm von seinen Geschäftsherrn gegeben werden, so sind die Verbote von Artikel 81 Absatz 1 EG auf die Beziehungen zwischen ihm und seinem Geschäftsherrn, mit dem er eine wirtschaftliche Einheit bildet, nicht anwendbar.
(vgl. Randnrn. 85-88)
3. Aus der in Artikel 10 Nummer 12 der Verordnung Nr. 1475/95 über die Anwendung von Artikel [81] Absatz 3 [EG] auf Gruppen von Vertriebs‑ und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge enthaltenen Definition des Begriffes „Weiterverkauf“ geht hervor, dass sich die Möglichkeit des Lieferanten, den Händlern die Lieferung an natürliche oder juristische Personen, die „Wiederverkäufern“ gleichstehen, zu verbieten, auf die Fälle beschränkt, in denen diese Händler Kraftfahrzeuge im Neuzustand veräußern. Diese Gleichstellung des Leasingvertrags, der den Übergang des Eigentums oder ein Recht auf Eigentumserwerb vor Ablauf der Vertragsdauer vorsieht, mit dem Weiterverkauf soll es dem Lieferanten erlauben, die Unversehrtheit des Vertriebsnetzes dadurch sicherzustellen, dass er es verhindert, dass auf einen Leasingvertrag zurückgegriffen wird, um außerhalb des Alleinvertriebsnetzes den Eigentumserwerb an einem noch im Neuzustand befindlichen Fahrzeug zu erleichtern.
(vgl. Randnr. 153)
4. Die Kommission hat die Beschwerdepunkte, die sie gegenüber den beteiligten Unternehmen und Verbänden vorbringt, mitzuteilen und kann in ihren Entscheidungen nur Beschwerdepunkte in Betracht ziehen, zu denen diese sich sachgerecht in Bezug auf das Vorliegen und die Einschlägigkeit der Tatsachen, die Beschwerdepunkte und die von der Kommission vorgebrachten Umstände haben äußern können.
Die Beschwerdepunkte in der Mitteilung der Beschwerdepunkte müssen, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, dass die Betroffenen tatsächlich erkennen können, welches Verhalten ihnen die Kommission zur Last legt. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Mitteilung der Beschwerdepunkte nämlich den ihr durch die Gemeinschaftsverordnungen zugewiesenen Zweck erfüllen, der darin besteht, den Unternehmen alle erforderlichen Angaben zur Verfügung zu stellen, damit sie sich sachgerecht verteidigen können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt. Diesem Erfordernis ist Genüge getan, wenn die Entscheidung den Betroffenen keine anderen Zuwiderhandlungen als die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genannten zur Last legt und nur Tatsachen berücksichtigt, zu denen die Betroffenen sich haben äußern können. Die endgültige Entscheidung der Kommission braucht jedoch nicht notwendig ein Abbild der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu sein.
Ein Unternehmen ist in der Lage, auf den gegen es erhobenen Vorwurf zu erwidern und seine Rechte wahrzunehmen, wenn die Mitteilung der Beschwerdepunkte einen klaren Hinweis auf die Art der ihm zur Last gelegten wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung und die insoweit angeführten wesentlichen Tatsachen enthält. Eine spätere Darstellung der Beschwerdepunkte in der von der Kommission erlassenen Entscheidung, die eine wirtschaftliche Vereinbarung als „vertikal“ oder als „horizontal“ bezeichnet, ist keine materielle Änderung der Beschwerdepunkte, wie sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargestellt worden sind.
(vgl. Randnrn. 188-189, 192)
5. Für eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 EG reicht es aus, dass die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in bestimmter Weise zu verhalten.
Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit verlangen nicht die Ausarbeitung eines eigentlichen „Plans“; sie sind vielmehr im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Wenn auch dieses Selbständigkeitspostulat nicht das Recht der Unternehmen beseitigt, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber mit wachem Sinn anzupassen, steht es doch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potenziellen Mitbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, zu dem man sich selbst entschlossen hat oder das man in Erwägung zieht.
(vgl. Randnrn. 199-200)
6. Bei Streitigkeiten über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln hat die Kommission die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und die Beweismittel beizubringen, die das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend belegen.
Sobald allerdings nachgewiesen ist, dass ein Unternehmen an Sitzungen von Unternehmen mit offensichtlich wettbewerbswidrigen Zwecken teilgenommen hat, obliegt es diesem Unternehmen, Umstände darzutun, aus denen sich seine fehlende wettbewerbswidrige Einstellung bei der Teilnahme an den Sitzungen ergibt, und nachzuweisen, dass es seine Wettbewerber auf seine andere Zielsetzung hingewiesen hat. Fehlt es an einem solchen Distanzierungsbeweis, so ist die Tatsache, dass sich ein Unternehmen den Ergebnissen von solchen Sitzungen nicht beugt, nicht geeignet, es von seiner vollen Verantwortlichkeit für seine Teilnahme am Kartell zu entlasten.
(vgl. Randnrn. 201-202)
7. Ein Rechtsakt kann als Beschluss einer Unternehmensvereinigung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG qualifiziert werden, ohne notwendigerweise für die betroffenen Mitglieder verbindlich zu sein; dies gilt zumindest insoweit, als sich die von dem Beschluss betroffenen Mitglieder an diesen halten.
(vgl. Randnr. 210)
8. Wenn sich ein Kartell auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, so hat es schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die vom Vertrag gewollte wirtschaftliche Verflechtung behindert.
(vgl. Randnr. 212)
9. Der Umstand, dass eine Tochtergesellschaft eine eigene, von ihrer Muttergesellschaft zu unterscheidende Rechtspersönlichkeit besitzt, genügt nicht, um auszuschließen, dass ihr Verhalten der Muttergesellschaft zugerechnet werden kann, namentlich, wenn die Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten nicht selbständig bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt.
Insoweit kann die Kommission, wenn auch der Umstand, dass die Muttergesellschaft 100 % des Kapitals der Tochtergesellschaft hält, für sich genommen nicht ausreicht, um die die Zurechnung des Verhaltens bedingende tatsächliche Ausübung von Leitungsmacht durch die Muttergesellschaft nachzuweisen, ihre Entscheidung über diese Zurechnung darauf stützen, dass die Muttergesellschaft nicht bestreitet, in der Lage gewesen zu sein, die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft entscheidend zu beeinflussen, und keine Beweise für ihr Vorbringen in Bezug auf deren Eigenständigkeit vorlegt. Wird das gesamte Kapital der Tochtergesellschaft gehalten, so darf die Kommission nämlich durchaus vermuten, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt, insbesondere dann, wenn die Muttergesellschaft sich im Verwaltungsverfahren als der einzige Ansprechpartner für die Gesellschaften des Konzerns präsentiert hat.
Unter diesen Voraussetzungen liegt es bei der Muttergesellschaft, diese Vermutung durch hinreichende Beweise zu widerlegen.
(vgl. Randnrn. 218-220)
URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)
15. September 2005(*)
„Wettbewerb – Artikel 81 EG – Kartelle – Vertretervertrag – Vertrieb von Kraftfahrzeugen – Wirtschaftliche Einheit – Maßnahmen zur Behinderung des Parallelhandels mit Kraftfahrzeugen – Preisfestsetzung – Verordnung (EG) Nr. 1475/95 – Geldbuße“
In der Rechtssache T‑325/01
DaimlerChrysler AG mit Sitz in Stuttgart (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte R. Bechtold und W. Bosch,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Mölls als Bevollmächtigten, im Beistand von Rechtsanwalt H.-J. Freund, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 2002/758/EG der Kommission vom 10. Oktober 2001 bezüglich eines Verfahrens nach Artikel 81 EG-Vertrag (Sache COMP/36.264 – Mercedes-Benz) (ABl. 2002, L 257, S. 1) und hilfsweise Verringerung der mit der genannten Entscheidung auferlegten Geldbuße
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin P. Lindh sowie der Richter R. García-Valdecasas und J. D. Cooke,
Kanzler: I. Natsinas, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2004
folgendes
Urteil
Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt
1 Die vorliegende Klage ist auf die Nichtigerklärung der Entscheidung 2002/758/EG der Kommission vom 10. Oktober 2001 bezüglich eines Verfahrens nach Artikel 81 EG-Vertrag (Sache COMP/36.264 – Mercedes-Benz) (ABl. 2002, L 257, S. 1, im Folgenden: streitige Entscheidung) gerichtet.
2 Die DaimlerChrysler AG (im Folgenden: Klägerin) ist die Muttergesellschaft eines Konzerns, der u. a. im Bereich der Herstellung und des Vertriebes von Kraftfahrzeugen tätig ist.
3 Die Daimler-Benz AG wurde am 21. Dezember 1998 aufgrund eines „Business combination agreement“ vom 7. Mai 1998 mit der Klägerin verschmolzen. Die Klägerin wurde damit Rechtsnachfolgerin der Daimler-Benz AG, und deren sämtliche Rechte, Vermögenswerte, Verbindlichkeiten und Verpflichtungen gingen auf sie über.
4 Vor dieser Verschmelzung war die Daimler-Benz AG die Konzernobergesellschaft des Daimler-Benz-Konzerns, der über seine Tochtergesellschaften weltweit tätig war. Außerdem wurde die Mercedes-Benz AG, eine Tochtergesellschaft der Daimler-Benz AG, am 26. Mai 1997 durch Verschmelzung auf diese übertragen. Seitdem ist sie der für das Fahrzeuggeschäft zuständige Geschäftsbereich innerhalb der Daimler-Benz AG. Im Einklang mit der streitigen Entscheidung bezieht sich die Bezeichnung „Mercedes-Benz“ im vorliegenden Urteil auf die Daimler-Benz AG (bis 1989), die Mercedes-Benz AG (bis 1997), die Daimler-Benz AG (1997/98) oder auf die Klägerin (ab 1998).
5 Die Kommission erhielt seit Anfang 1995 mehrere Schreiben von Verbrauchern, die sich über Behinderungen des Exports von Neufahrzeugen der Marke Mercedes-Benz durch die Konzernunternehmen der Daimler-Benz AG in verschiedenen Mitgliedstaaten beschwerten.
6 Die Kommission verfügte über Anhaltspunkte dafür, dass zu diesem Konzern gehörende Unternehmen eine gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoßende Marktabschottung betrieben. Am 4. Dezember 1996 erließ sie mehrere Nachprüfungsentscheidungen nach Artikel 14 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204). Diese Nachprüfungen wurden am 11. und 12. Dezember 1996 bei der Daimler-Benz AG in Stuttgart (Deutschland), der Mercedes-Benz Belgium SA/NV in Belgien, der Mercedes-Benz Nederland NV in Utrecht (Niederlande) und der Mercedes-Benz España, SA, in Spanien durchgeführt.
7 Am 21. Oktober 1998 richtete die Kommission ein Auskunftsersuchen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 an die Daimler-Benz AG, auf das diese am 10. November 1998 antwortete. Am 15. Juni 2001 übermittelte die Kommission der Klägerin ein weiteres Auskunftsersuchen, das am 9. Juli 2001 beantwortet wurde. Bei den am 11. und 12. Dezember 1996 durchgeführten Nachprüfungen stieß die Kommission auf zahlreiche Unterlagen, die sie beschlagnahmte. Auf diesen Unterlagen, den der Klägerin übermittelten Auskunftsersuchen und deren Stellungnahmen beruht die streitige Entscheidung.
8 Am 10. Oktober 2001 erließ die Kommission die streitige Entscheidung.
Streitige Entscheidung
9 Die Kommission vertritt in der streitigen Entscheidung die Auffassung, dass Mercedes-Benz selbst oder über ihre Tochtergesellschaften Mercedes-Benz España, SA (im Folgenden: MBE), und Mercedes-Benz Belgium SA (im Folgenden: MBBel) gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoßen habe. Die in der streitigen Entscheidung bezeichneten Maßnahmen beträfen den Einzelhandel mit Personenkraftwagen der Marke Mercedes-Benz (143. bis 149. Begründungserwägung).
10 Die Kommission beschreibt in der streitigen Entscheidung die betroffenen Unternehmen und ihr Vertriebsnetz. Der Vertrieb von Personenkraftwagen der Marke Mercedes-Benz erfolge in Deutschland im Wesentlichen über konzernzugehörige Niederlassungen, über Vertreter, die (gemäß § 84 Absatz 1 des deutschen HGB) den Status eines Handelsvertreters in der Form eines Vermittlungsvertreters hätten, und über Kommissionäre (15. Begründungserwägung). In Belgien bestehe das Vertriebsnetz aus einem Importeur, MBBel, der seit dem 21. Dezember 1998 eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Klägerin sei und über zwei Niederlassungen Neufahrzeuge verkaufe, Händlern und Agenturen/Werkstätten, die auch Neuwagen-Kaufverträge vermittelten (17. und 19. Begründungserwägung). In Spanien werde der Vertrieb über ein Netz abgewickelt, das sich aus drei Niederlassungen von MBE und den Händlern zusammensetze. Einige der Agenturen und/oder Werkstätten verkauften keine Fahrzeuge, sondern vermittelten nur Kaufverträge. MBE sei eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Landesholding Daimler-Benz España, SA, die wiederum eine 99,88 %ige Tochtergesellschaft der Daimler-Benz AG gewesen sei. Seit dem 21. Dezember 1998 sei diese Holding eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Klägerin (20. Begründungserwägung).
11 Artikel 81 Absatz 1 EG sei entgegen dem Vorbringen der Klägerin im Verwaltungsverfahren auf die Verträge zwischen Mercedes-Benz und den deutschen Vertretern in gleichem Umfang wie auf einen Vertrag mit einem Vertragshändler anwendbar. Ihm auferlegte Beschränkungen seien daher wie bei einem Eigenhändler zu beurteilen (168. Begründungserwägung).
12 Die Kommission weist insoweit erstens darauf hin, dass die deutschen Mercedes-Benz-Vertreter eine Reihe von unternehmerischen Risiken zu tragen hätten, die mit ihrer Vermittlungstätigkeit für Mercedes-Benz untrennbar verbunden seien und dazu führten, dass Artikel 81 EG auf die zwischen Mercedes-Benz und ihnen selbst geschlossenen Vereinbarungen anwendbar sei (153. bis 160. Begründungserwägung).
13 Der deutsche Mercedes-Benz-Vertreter sei u. a. in erheblichem Umfang am Preisrisiko für die von ihm vermittelten Fahrzeuge beteiligt. Soweit ein Vertreter Preiszugeständnisse beim Neuwagenverkauf mache, denen Mercedes-Benz zustimme, gingen diese voll zulasten seiner Provision (155. und 156. Begründungserwägung).
14 Der deutsche Vertreter trage gemäß § 4 Absatz 4 des deutschen Vertretervertrags auch das Transportkostenrisiko für Neufahrzeuge. Dieser übertrage wie bei einem Eigenhändler die Kosten und das Transportrisiko schuldrechtlich auf den Kunden (157. Begründungserwägung).
15 Der Vertreter habe auch in ganz erheblichem Umfang eigene Mittel zur Verkaufsförderung einzusetzen. Er müsse insbesondere Vorführwagen auf eigene Rechnung erwerben (§ 4 Absatz 7 des deutschen Vertretervertrags). Für den Kauf der Vorführ- und Geschäftsfahrzeuge räume Mercedes-Benz Sonderkonditionen ein. Für diese Fahrzeuge gälten Mindesthaltedauern von drei bis sechs Monaten und Mindestlaufstrecken von 3 000 km. Danach könne der Vertreter die Fahrzeuge als Gebrauchtfahrzeuge weiterveräußern und trage insoweit auch das Absatzrisiko für diese nicht unerhebliche Zahl von Fahrzeugen (158. Begründungserwägung).
16 Die Tätigkeit eines deutschen Mercedes-Benz-Vertreters sei darüber hinaus zwangsläufig mit einer Reihe von weiteren unternehmerischen Risiken verbunden. Deren Übernahme sei eine der Voraussetzungen dafür, dass ein Unternehmen Vertreter von Mercedes-Benz werden könne. Gemäß § 13 des Vertretervertrags sei der Vertreter verpflichtet, an den Fahrzeugen, die unter die Herstellergarantie fielen, Gewährleistungsarbeiten durchzuführen. Die deutschen Vertreter müssten auf eigene Rechnung eine Werkstatt einrichten und dort Kundendienst- und Garantieleistungen anbieten und auf Verlangen am Bereitschafts- und Notdienst teilnehmen (§ 12 des Vertretervertrags). Außerdem müssten sie für die Reparaturen der Fahrzeuge in ihren Werkstätten ein Ersatzteillager auf eigene Rechnung unterhalten (§ 14 des Vertretervertrags) (159. Begründungserwägung).
17 Zweitens weist die Kommission darauf hin, dass aus wirtschaftlicher Sicht die Umsätze des Vertreters aus eigenunternehmerischer Tätigkeit jene aus der Vermittlung von Neuwagenkaufverträgen um ein Mehrfaches überstiegen. Dies ergebe sich aus Folgendem: „Für die Vermittlertätigkeit erhält der Vertreter eine Provision, die sich bei Personenwagen aus der Grundprovision von 12,2 % und einer Leistungsprovision von bis zu 3,6 % zusammensetzt. Diese Provisionseinnahmen von maximal 15,8 % sind der Umsatz aus der Vertretertätigkeit. Aus dieser Provision hat der Vertreter die Nachlässe, die er den Fahrzeugkäufern gewährt, zu finanzieren. Der tatsächliche Umsatz aus dem Vertretergeschäft ist daher geringer als die genannten 15,8 %.“ Hinzu komme, dass „der Umsatz aus dem Vermittlungsgeschäft, wenn man die Fahrzeugpreise als Teil dieses Umsatzes ansieht, etwa 50 % des gesamten Umsatzes eines Vertreters [beträgt]. Der tatsächliche Vertreterumsatz aus der Vermittlung an sich ist jedoch die genannte Provision. Vergleicht man sie mit den Umsätzen des Vertreters aus vertraglich mit der Vermittlung verknüpften Tätigkeiten, bei denen der Vertreter das volle Risiko trägt, so ergibt sich, dass lediglich rund 1/6 des Gesamtumsatzes auf die eigentliche Vertretertätigkeit entfällt“ (159. Begründungserwägung).
18 Angesichts der Zahl und des quantitativen Umfangs der Risiken, die von den Mercedes-Benz-Vertretern zu tragen seien, könne dem Einwand der Klägerin, die von den Vertretern zu tragenden Risiken seien für einen echten Handelsvertreter typisch, nicht zugestimmt werden. „Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Vertreter die Wahl hätte, ob er insbesondere die erheblichen Risiken im Bereich der Vorführ- und Geschäftswagen, der Garantieerbringung, der Einrichtung eines Wartungs- und Reparaturbetriebs und des Ersatzteilgeschäfts übernehmen will oder lediglich die Vermittlung von Neuwagenkaufverträgen übernimmt.“ Dies sei jedoch nicht der Fall (160. Begründungserwägung).
19 Das Vorbringen der Klägerin, dass die deutschen Vertreter in das Unternehmen der Klägerin eingegliedert seien, sei unzutreffend. Die Klägerin verweise in diesem Zusammenhang auf die „Anforderungen, die der Vertreter in persönlicher [Hinsicht] und im Hinblick auf seinen Geschäftsbetrieb (im Regelfall ausschließlicher Vertrieb von Mercedes-Benz-Fahrzeugen, einheitliches Auftreten als ‚Mercedes-Benz-Vertreter‘, der Ausstattung und Einrichtung der Vertreterbetriebe in sachlicher und persönlicher Hinsicht, der Werbung, dem Erscheinungsbild, der Pflicht zur Wahrung der Interessen [der Klägerin] und zur Beachtung der Identifikationsrichtlinien von Mercedes-Benz)“ erfüllen müsse, und darauf, dass er „Einfirmenvertreter“ sei und nur Mercedes-Benz-Fahrzeuge verkaufen dürfe (162. Begründungserwägung). Das Merkmal der „Eingliederung“ sei allerdings neben der Risikoverteilung kein eigenständiges Merkmal zur Abgrenzung eines Handelsvertreters von einem Eigenhändler (163. Begründungserwägung). Die Kommission vergleicht die von der Klägerin angeführten Regelungen der deutschen Vertreterverträge mit solchen ausländischer Händlerverträge, um die „Eingliederung“ der deutschen Vertreter nachzuweisen (164. Begründungserwägung). Dieser Vergleich ergebe, dass die den deutschen Vertretern und die den ausländischen Vertragshändlern auferlegten Pflichten identisch seien und dass beide Vertriebsformen in gleich starkem Umfang in die Vertriebsorganisation von Mercedes-Benz „eingegliedert“ seien (165. Begründungserwägung).
20 Mercedes-Benz habe den Wettbewerb durch vier verschiedene Maßnahmen beeinträchtigt.
21 Erstens seien nach der Einführung der neuen W 210-Personenwagen (neue E-Klasse) u. a. in einer Mitteilung vom 6. Februar 1996 an alle Mitglieder des deutschen Vertriebsnetzes einschließlich der Vertreter klare Aufforderungen ergangen, sich „auf das eigene Gebiet [zu] konzentrieren“. Die Aufforderungen hätten nicht nur diese Baureihe, sondern allgemein das gesamte Neuwagengeschäft betroffen. Am Ende dieser Mitteilung habe Mercedes-Benz damit gedroht, „nicht [zu] zögern, Fahrzeuge der Baureihe W 210 abzudisponieren, wenn wir erkennen, dass die Aufnahmefähigkeit der einzelnen Gebiete die zugeteilte Produktion nicht rechtfertigt“. Damit sei der Aufforderung besonderer Nachdruck verliehen worden.
22 Zweck dieser Aufforderung sei es gewesen, zu erreichen, dass die Vertriebspartner die ihnen zugeteilten Fahrzeuge der Baureihe W 210 und auch der anderen Baureihen nur innerhalb ihres Vertragsgebiets verkauften und „Komm-Kunden“, die nicht zu den Kunden im Vertragsgebiet des Vertreters gehörten, nicht belieferten. Dadurch habe, wie die Mitteilung selbst ausführe, „der interne Wettbewerb“, d. h. der so genannte Intrabrand-Wettbewerb zwischen den deutschen Vertretern und zwischen diesen und den deutschen und ausländischen Niederlassungen und ausländischen Händlern, beschränkt werden sollen. Die Mitteilung vom 6. Februar 1996 habe daher eine Beschränkung des Intrabrand-Wettbewerbs bezweckt.
23 Zweitens sei festzustellen, dass in nahezu allen Fällen eine Anzahlung von 15 % des Kaufpreises von den „Komm-Kunden“ anderer Mitgliedstaaten verlangt werden müsse. Durch diese Praxis werde der Parallelhandel noch mehr erschwert, denn sie beschränke die Möglichkeit der Vertreter, ihre eigene Handelspolitik zu betreiben und beispielsweise bei ihnen bekannten „Komm-Kunden“ auf diese Anzahlungen zu verzichten. Auch wenn derartige Anzahlungen in bestimmten Fällen aus kaufmännischer Sicht sinnvoll sein könnten, werde bei inländischen Verkäufen keine Anzahlung verlangt, obwohl es auch dort je nach Einzelfall vergleichbare Sicherungsinteressen geben könne. Die Regelung diskriminiere demnach Parallelhandelsgeschäfte gegenüber deutschen Fahrzeugverkäufen (174. Begründungserwägung).
24 Drittens bezwecke das Verbot der Belieferung von Fremdleasinggesellschaften, solange kein konkreter Leasingnehmer angegeben sei, das in den deutschen Vertreterverträgen (vgl. § 2 Absatz 1 Buchstabe d) und den spanischen Händlerverträgen (vgl. § 4 Buchstabe d) enthalten sei, den Wettbewerb zwischen den Leasinggesellschaften des Mercedes-Benz-Konzerns und den Fremdleasinggesellschaften in Deutschland und in Spanien einzuschränken. Letztere sollten nämlich Mercedes-Fahrzeuge nur von Fall zu Fall erwerben können, nämlich wenn bereits ein konkreter Leasingnehmer vorhanden sei, nicht hingegen auf Vorrat. Dadurch werde den betroffenen Leasinggesellschaften die schnelle Bereitstellung eines Fahrzeugs unmöglich gemacht. Die Vertriebsregeln im Bereich der Belieferung von Leasinggesellschaften führten auch dazu, dass Fremdleasinggesellschaften nicht dieselben Preisvorteile beim Kauf der Leasingfahrzeuge eingeräumt würden wie anderen Betreibern von Fahrzeugflotten. Insgesamt verschlechterten die einschlägigen Klauseln die Bedingungen, unter denen sich Fremdleasinggesellschaften mit Mercedes-Fahrzeugen eindecken und folglich auf dem nachgelagerten Markt des Leasings in Wettbewerb zu den Leasinggesellschaften des Mercedes-Benz-Konzerns treten könnten. Die Regelungen zum Leasinggeschäft der Vertreter und Händler bezweckten eine Beschränkung des Preis- und Lieferkonditionenwettbewerbs für Leasingfahrzeuge (176. Begründungserwägung).
25 Viertens bezwecke die am 20. April 1995 zwischen MBBel und dem belgischen Verband der Mercedes-Benz-Händler getroffene Vereinbarung, Nachlässe auf 3 % zu beschränken und das Nachlassverhalten bei der E-Klasse durch eine externe Agentur überprüfen zu lassen, wobei höhere Nachlässe zu Kürzungen bei der Fahrzeugzuteilung bei der neuen E-Klasse führen sollten, eine Beschränkung des Preiswettbewerbs in Belgien.
26 Die Kommission vertrat, nachdem sie festgestellt hatte, dass die in Rede stehenden Maßnahmen den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar beeinträchtigten und eine Freistellung nach Artikel 81 Absatz 1 EG nicht in Betracht komme, die Auffassung, dass eine Geldbuße gegen die Klägerin als die Person festzusetzen sei, die für alle von der Daimler-Benz AG, der Mercedes-Benz AG oder den Tochtergesellschaften Daimler-Benz MBBel und MBE begangenen wettbewerbsrechtlichen Verstöße verantwortlich sei.
27 Insoweit vertrat die Kommission die Ansicht, dass die auf eine Exportbehinderung gerichteten Maßnahmen einen einheitlichen Verstoß darstellten, der sich aus zwei Elementen (den Anweisungen, nicht außerhalb des Vertragsgebiets tätig zu werden, und der Regel der Anzahlung von 15 %) zusammensetze, die für eine gewisse Zeit kumulativ vorgelegen hätten. Dieser Vorstoß sei besonders schwer, so dass eine Geldbuße mit einem Ausgangsbetrag von 33 Millionen Euro angemessen sei. Hinsichtlich der Dauer dieses Verstoßes sei darauf hinzuweisen, dass der vorliegende Verstoß, wenn man seine beiden Elemente zusammennehme, am 12. September 1985 begonnen habe und noch nicht beendet sei. Es handele sich daher um einen Verstoß von langer Dauer. Allerdings seien die potenziellen Auswirkungen der Anzahlungsregelung deutlich geringer gewesen als die der unmittelbar gegen die Ausfuhren gerichteten Anweisungen. Letztere seien nur in der Zeit vom 6. Februar 1996 bis 10. Juni 1999 in Kraft gewesen, d. h. während drei Jahren und vier Monaten. Deshalb halte die Kommission eine Erhöhung des Ausgangsbetrags um lediglich 42,5 %, also um 14,025 Millionen Euro, für angemessen. Der Grundbetrag sei daher 47,025 Millionen Euro.
28 Das Verkaufsverbot für Fahrzeuge auf Vorrat an Leasingfirmen im deutschen Vertreter- und im spanischen Händlervertrag sei als schwer einzustufen. Ein Ausgangsbetrag von 10 Millionen Euro sei angemessen. Der Verstoß habe am 1. Oktober 1996 begonnen und sei bis heute nicht beendet. Seine Dauer betrage damit fünf Jahre, was einer mittleren Dauer entspreche. Daher sei im Hinblick auf die Dauer des Verstoßes eine Erhöhung des Ausgangsbetrags um 50 %, also um 5 Millionen Euro, auf einen Grundbetrag von 15 Millionen Euro geboten.
29 Die unter aktiver Beteiligung von MBBel beschlossenen Maßnahmen zur Festsetzung der Verkaufspreise in Belgien seien ein der Natur nach besonders schwerer Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln. Dieser Verstoß sei insgesamt schwer, und ein Ausgangsbetrag von 7 Millionen Euro sei angemessen. Die Maßnahmen seien vom 20. April 1995 bis 10. Juni 1999, also während eines Zeitraums mittlerer Dauer, in Kraft gewesen, und eine Erhöhung des Ausgangsbetrags um 40 %, also um 2,8 Millionen Euro, auf 9,8 Millionen Euro sei angemessen.
30 In der streitigen Entscheidung stellt die Kommission keine erschwerenden oder entlastenden Umstände fest. Die oben genannten Beträge führen somit zusammengerechnet zu einer Geldbuße von insgesamt 71,825 Millionen Euro.
31 Auf der Grundlage dieser Erwägungen erließ die Kommission die streitige Entscheidung, deren verfügender Teil wie folgt lautet:
„Artikel 1
[Mercedes-Benz hat selbst] oder über ihre Tochtergesellschaften [MBE] und [MBBel] Zuwiderhandlungen gegen Artikel 81 Absatz 1 EG-Vertrag begangen. Sie haben nämlich folgende Maßnahmen zur Beschränkung des Parallelhandels ergriffen:
– ab dem 6. Februar 1996 wurden sämtliche Vertreter in Deutschland angewiesen, die gelieferten Neufahrzeuge insbesondere der Baureihe W 210 möglichst nur an Kunden in ihrem Vertragsgebiet zu liefern und internen Wettbewerb zu vermeiden; diese Maßnahmen waren bis 10. Juni 1999 in Kraft;
– ab dem 12. September 1985 wurden ihre Vertreter in Deutschland angewiesen, bei Komm-Kunden-Bestellungen von Neufahrzeugen eine Anzahlung von 15 % des Fahrzeugpreises zu verlangen; diese Maßnahme ist bis heute nicht beendet;
– die Belieferung von Leasingfirmen mit Personenwagen auf Vorrat ab 1. Oktober 1996 bis heute beschränkt;
– sich an Vereinbarungen zur Beschränkung der Rabattgewährung in Belgien beteiligt, die am 20. April 1995 beschlossen und am 10. Juni 1999 aufgehoben wurden.
Artikel 2
[Mercedes-Benz] hat die in Artikel 1 festgestellten Zuwiderhandlungen, soweit sie andauern, unverzüglich nach der Bekanntgabe dieser Entscheidung abzustellen und darf diese nicht durch Beschränkungen gleichen Zwecks oder gleicher Wirkung ersetzen; sie hat insbesondere spätestens binnen zwei Monaten nach Zugang dieser Entscheidung:
– das Rundschreiben Nr. 52/85 vom 12. September 1985 durch Rundschreiben an die deutschen Vertreter und Großvertreter aufzuheben, soweit es diese anweist, von Komm-Kunden eine Anzahlung von 15 % zu verlangen, wenn diese einen Personenwagen bestellen;
– aus den deutschen Vertreterverträgen und aus den spanischen Händlerverträgen die Regelungen, die den Verkauf von Neufahrzeugen auf Vorrat an Leasingfirmen verbieten, zu entfernen. …
Artikel 3
Wegen der in Artikel 1 genannten Verstöße wird gegen [Mercedes-Benz] eine Geldbuße in Höhe von 71,825 Millionen EUR verhängt.
…“
32 Aus der streitigen Entscheidung ergibt sich, dass die Kommission im Wesentlichen der Auffassung ist, dass der Begriff des „Komm-Kunden“ vom Mercedes-Benz-Konzern in den bei den Nachprüfungen gefundenen Unterlagen (vgl. oben, Randnr. 7) im Rahmen grenzüberschreitender Verkäufe zur Bezeichnung der Endabnehmer aus einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums verwendet wird.
Verfahren und Anträge der Parteien
33 Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 20. Dezember 2001 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
34 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Fünfte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Es hat im Rahmen prozessleitender Maßnahmen die Parteien aufgefordert, vor der Sitzung schriftlich bestimmte Fragen zu beantworten. Die Parteien sind dieser Aufforderung nachgekommen.
35 Die Parteien haben in der Sitzung vom 25. Mai 2004 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.
36 Die Klägerin beantragt,
– die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären;
– hilfsweise, die in Artikel 3 der streitigen Entscheidung verhängte Geldbuße herabzusetzen;
– die Kommission zu verurteilen, die Kosten der Klägerin zu tragen.
37 Die Kommission beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
38 Die Klägerin macht vier Klagegründe geltend. Mit dem ersten rügt sie einen Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und einen offensichtlichen Beurteilungsfehler in Bezug auf die mit den Mercedes-Benz-Vertretern in Deutschland geschlossenen Vereinbarungen. Mit dem zweiten Klagegrund, der sich auf die von der Kommission in der streitigen Entscheidung festgestellte erste und dritte Maßnahme bezieht, wird ein Verstoß gegen Artikel 81 EG und gegen die Verordnung (EG) Nr. 1475/95 der Kommission vom 28. Juni 1995 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge (ABl. L 145, S. 25) geltend gemacht. Der dritte Klagegrund betrifft einen Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und einen offensichtlichen Beurteilungsfehler in Bezug auf die von der Kommission in der streitigen Entscheidung festgestellte zweite und vierte Maßnahme. Mit dem vierten Klagegrund wird gerügt, dass die Höhe der in Artikel 3 der streitigen Entscheidung verhängten Geldbuße falsch festgesetzt worden sei.
Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und offensichtlicher Beurteilungsfehler in Bezug auf die mit den Mercedes-Benz-Vertretern in Deutschland geschlossenen Vereinbarungen
Vorbringen der Parteien
39 Die Klägerin wendet sich gegen die Schlussfolgerungen, die die Kommission in der streitigen Entscheidung zur rechtlichen Beurteilung des Status der deutschen Vertreter gezogen hat. Ihre deutschen Handelsvertreterverträge unterlägen nicht dem Kartellverbot des Artikels 81 Absatz 1 EG, denn sie bezögen sich auf die Tätigkeit ihrer Vertreter, die darin bestehe, neue Mercedes-Benz-Fahrzeuge zu verkaufen. Die Vertreter trügen keines der mit dem Fahrzeugverkauf verbundenen Risiken. Außerdem seien sie vollkommen in das Unternehmen Mercedes-Benz integriert und stünden zu diesem rechtlich in einem Verhältnis wie Angestellte. Sie erfüllten daher die Voraussetzungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes für die Unanwendbarkeit des Kartellverbots auf Handelsvertreterverträge gälten.
40 Die Klägerin trägt einleitend vor, dass sie in Deutschland einen Eigenvertrieb unterhalte, teils über Niederlassungen, teils über Handelsvertreter, die im Namen und auf Rechnung von Mercedes-Benz handelten, und über Kommissionäre, die im eigenen Namen, jedoch auf Rechnung von Mercedes-Benz handelten. Die Vertreter des deutschen Verkaufsnetzes von Mercedes-Benz seien weder rechtlich noch wirtschaftlich Händler von Neufahrzeugen. Sie vermittelten für Mercedes-Benz Kaufverträge über Neufahrzeuge nach Vorgaben von Mercedes-Benz. Es sei wirtschaftlich von enormer Bedeutung, dass die Vertreter die Neufahrzeuge nicht bei Mercedes-Benz kauften und dementsprechend auch keine Lager unterhielten. Das gesamte Absatzrisiko für Neufahrzeuge einschließlich Lagerhaltung und dadurch verursachter Kapitalbindung liege bei Mercedes-Benz. Die Vertreter trügen nur das Risiko der Vermittlung. Dementsprechend sei sie rechtlich frei, darüber zu entscheiden, ob und zu welchen Konditionen sie Kaufverträge schließe. Auf den Abschluss und Inhalt der Kaufverträge bezogene Anweisungen und vertragliche Bindungen der Vertreter seien kartellrechtlich irrelevant.
41 Gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofes gelte Artikel 81 Absatz 1 EG nicht für Handelsvertreterverträge, wenn zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt seien, nämlich die Eingliederung des Handelsvertreters in die Vertriebsorganisation des Herstellers und die Durchführung der Vermittlungs- oder Vertretungstätigkeit ausschließlich auf Rechnung des Geschäftsherrn (Urteile des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, und vom 24. Oktober 1995 in der Rechtssache C‑266/93, Volkswagen und VAG Leasing, Slg. 1995, I‑3477).
42 Das Vorgehen der Kommission sei in der streitigen Entscheidung in Bezug auf das Kriterium der „Eingliederung“ inkohärent und unvereinbar mit der entsprechenden Rechtsprechung, insbesondere wenn sie vortrage: „Das Merkmal der Eingliederung ist neben der Risikoverteilung kein eigenständiges Merkmal zur Abgrenzung eines Handelsvertreters von einem Eigenhändler“ (163. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung).
43 Durch die Weginterpretation des Merkmals der „Eingliederung“ und die deutliche Verschärfung des Merkmals der „Risikoverteilung“ weite die Kommission das Kartellverbot auf Handelsvertreterverhältnisse in einer Weise aus, wie sie bisher noch von niemandem vertreten worden sei. Aus dem in Randnummer 41 genannten Urteil Suiker Unie u. a./Kommission folge jedoch deutlich, dass der Gerichtshof das Erfordernis der „Eingliederung“ nicht nur vom Fehlen einer Risikobeteiligung des Vertreters, sondern auch von dessen Einbindung in die Interessen des Geschäftsherrn abhängig mache.
44 Außerdem sei entgegen den Ausführungen der Kommission in der streitigen Entscheidung (vgl. deren 164. und 165. Begründungserwägung) die Tatsache unerheblich, dass die ausländischen Händler, die keine Handelsvertreter seien, äußerlich ähnlich aufträten wie die inländischen Mercedes-Benz-Vertreter. Zum einen müsse die entsprechende Risikoverteilung hinzukommen. Zum anderen sei die Parallele deswegen nicht berechtigt, weil nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes die „Eingliederung“ nicht nur von äußeren Merkmalen des Auftritts der Vertriebsmittler in der Öffentlichkeit und gegenüber den Kunden abhängig sei, sondern auch von dem „inneren“ Merkmal, das sich mit der Risikoverteilung und der vollen Einbindung in die Interessen des Geschäftsherrn verbinde.
45 Auch sei zu beanstanden, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung erklärt habe, dass es für die kartellrechtliche Beurteilung von Verträgen zwischen Hersteller und Handelsvertreter nur darauf ankomme, ob der Handelsvertreter unternehmerische Risiken zu tragen habe, die mit seiner Vermittlungstätigkeit „untrennbar“ verbunden seien (vgl. in diesem Sinne die 153. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung). Diese von der Kommission in der streitigen Entscheidung und in ihren Leitlinien für vertikale Beschränkungen (ABl. 2000, C 291, S. 1, im Folgenden: Leitlinien) vertretene Auffassung sei eine sachlich nicht gerechtfertigte Abkehr von ihrer Ansicht zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG. Außerdem sei diese Auffassung mit der entsprechenden Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht vereinbar.
46 Die Klägerin räumt ein, dass die Mercedes-Benz-Vertreter gewisse Kosten und Risiken zu tragen hätten.
47 Erstens müsse ein Vertreter in jedem Fall ein „Provisionsrisiko“ tragen. Die Provision werde üblicherweise prozentual am Volumen der vom Vertreter vermittelten Verträge bemessen. Somit habe dieser höhere Provisionschancen, wenn die Verkaufserlöse groß seien, und umgekehrt niedrigere, wenn sie geringer ausfielen. Wenn der Geschäftsherr als derjenige, der letztlich entscheide, ob ein Vertrag zu bestimmten, vom Käufer geforderten Konditionen abgeschlossen werde, Nachlässe einräume, beeinträchtige er damit nicht nur seinen eigenen Erlös, sondern auch die Provision des Handelsvertreters. Die Mercedes-Benz-Vertreter hätten das Preisrisiko jedoch nicht mitzutragen, und es sei unzutreffend, dass der Abzug der „Preiszugeständnisse“ von der Kommission des Vertreters ein „Preisrisiko“ sei.
48 Die Höhe der Provisionen, die die Vertreter erhielten, sei im Handelsvertretervertrag festgelegt. Sie differenziere zwischen Einzelgeschäften und Geschäften, die auf der Basis von Großabnehmer- oder „Verwerter“-Abkommen geschlossen würden. Mit dem Vertreter sei für den Fall von Verkäufen an Großabnehmer und an bestimmte Verwerter eine geringere Provision vereinbart, weil diese Verkäufe an Abnehmer, die mit Mercedes-Benz (nicht mit dem Vertreter) eine besondere vertragliche Verbindung in Form von Mengen- oder Verwerterrabatt-Abkommen hätten, im Allgemeinen nicht gleicher Akquisitionsaufwendungen wie sonstige Verkäufe, insbesondere an Neukunden, bedürften. Dementsprechend sei es sachlich gerechtfertigt, dem Vertreter eine geringere Provision zuzugestehen. Es gebe keinen Rechtsgrundsatz, dass Handelsvertreter für alle Arten von Geschäften jeweils die gleichen Provisionen beanspruchen könnten.
49 Der Kfz-Händler habe bei Neufahrzeugen wesentlich höhere Aufwendungen als der Mercedes-Benz-Vertreter, insbesondere im Hinblick auf die Vorfinanzierung der Fahrzeuge und das Absatzrisiko. Dieses beziehe sich beim Händler auf den gesamten Kfz-Preis, während der Mercedes-Benz-Vertreter nur das Risiko trage, dass er seine Provisionsvorstellung nicht verwirklichen könne. Im Übrigen seien die Fälle des „Provisionsrisikos“ beim Vertreter durch die Höhe der Provision begrenzt. Die Gefahr, bei den Fahrzeugverkäufen auch unter Einstandspreis verkaufen zu müssen, werde vom Händler getragen, beim Vertreter hingegen sei sie ausgeschlossen. Der Fall, dass ein Vertreter in einer besonderen Vereinbarung mit dem Fahrzeugkäufer zulasten seiner Provision einen Preisvorteil gewähre, stehe dem nicht entgegen, dass kartellrechtlich gesehen ein Handelsvertretervertrag vorliege. Dies sei vielmehr eine Freiheit, die Mercedes-Benz den Vertretern einräume.
50 Zweitens habe der Mercedes-Benz-Vertreter Geschäftskosten, die hauptsächlich aus der werbenden Tätigkeit entstünden, die von ihm mit dem Ziel der erfolgreichen Vermittlung möglichst vieler Verkaufsabschlüsse entfaltet werde. Drittens betreibe der Vertreter in seinem Namen, auf eigene Rechnung und auf eigene Gefahr eine Reparaturwerkstatt und den Verkauf von Ersatzteilen.
51 Die Behauptung der Kommission in der streitigen Entscheidung, dass die kartellrechtliche Privilegierung der Vermittlertätigkeit der Mercedes-Benz-Vertreter u. a. daran scheitere, dass sie vertraglich verpflichtet seien, Kundendienstleistungen über eigene Werkstätten zu erbringen, Gewährleistungsarbeiten durchzuführen und eigene Ersatzteillager zu unterhalten (siehe oben, Randnr. 16), sei unzutreffend.
52 Der Gerichtshof habe in dem in Randnummer 41 genannten Urteil Volkswagen und VAG Leasing eine Beteiligung der Händler an den Risiken der von ihnen als Handelsvertreter an die VAG Leasing vermittelten Geschäfte angenommen, und zwar aufgrund der Rückkaufverpflichtung bei Ablauf der Leasingverträge zu vorher vereinbarten Rückkaufpreisen. Er habe zudem nicht die parallele Tätigkeit von Fahrzeugverkauf und Fahrzeugvermittlung akzeptiert und habe auf die Kundendiensttätigkeit verwiesen, die die Händler im eigenen Namen und für eigene Rechnung tätigten. Daraus folge jedoch nicht, dass der Gerichtshof der Kundendiensttätigkeit eine eigenständige Bedeutung beimesse, sondern nur in Verbindung mit der Verkaufstätigkeit. Das Urteil gebe keinen Anhalt dafür, dass schon das Nebeneinander von Vermittlungstätigkeit und Kundendiensttätigkeit zur kartellrechtlich privilegierungsschädlichen Doppelprägung führe.
53 Die Verpflichtung des Vertreters nach § 13 Absatz 1 des Vertretervertrags, „Gewährleistungsarbeiten an den von Daimler-Benz gelieferten Fahrzeugen … durchzuführen, unabhängig davon, wo und über wen diese verkauft worden … sind“, sei eine Voraussetzung für die Freistellung nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1475/95. Hätte Mercedes-Benz seinen Vertretern keine entsprechende Gewährleistungsverpflichtung auferlegt, so hätte die Kommission daraus wahrscheinlich das Argument abgeleitet, dass die Vertreterverträge nicht die Voraussetzungen der Verordnung Nr. 1475/95 erfüllten.
54 Die Vermutung der Kommission, dass der Vertreter bei Durchführung von Gewährleistungsarbeiten nur eine „Gewährleistungsvergütung“ erhalte, die nach den durchschnittlichen Verrechnungssätzen des Vertreters bemessen werde und deswegen „nicht notwendigerweise“ die Sätze decke, die er bei freier Vereinbarung bei Dritten erzielen könnte, sei unbegründet. Die Vertreter erhielten bei der Abwicklung von Garantieansprüchen mehr als den Ersatz ihrer Kosten, d. h. auch das, was sie bei entsprechenden Reparaturarbeiten mit Dritten vereinbarten. Die dabei erzielten Preise deckten die Kosten und enthielten Gewinnzuschläge. Der Vertreter führe die Gewährleistungsarbeiten im Rahmen seines normalen Wartungsgeschäfts durch und handele insoweit im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Der Unterschied zu „normalen“ Reparaturen sei nur, dass der „Auftraggeber nicht der Fahrzeughalter ist, sondern Mercedes-Benz, die den Vertreter in die Erfüllung der allein sie treffenden Gewährleistungsverpflichtung einschaltet“.
55 Entsprechendes gelte für die Einrichtung der Werkstatt und die Unterhaltung des Ersatzteillagers, zu denen der Vertreter verpflichtet sei. Diese Tätigkeiten erbringe der Vertreter im eigenen Namen und auf eigenes Risiko. Dem entspreche es, dass er diese Investitionen zu finanzieren habe.
56 Die Vertreter seien an den Transportkosten nicht beteiligt (vgl. in diesem Sinne 157. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung). Aus § 4 Absatz 4 des Vertretervertrags ergebe sich zwar, dass der Vertreter mit dem Kunden das für den Transport zu zahlende Entgelt vereinbaren müsse. Dies sei jedoch kein Risiko, sondern eine zusätzliche Erwerbschance für den Vertreter. Dieser nehme an einem von Mercedes-Benz organisierten Transportsystem mit Vertragsspediteuren teil, aufgrund dessen ihm der Transport der Fahrzeuge zu einem bestimmten Preis angeboten werde, den er zusammen mit seinen Leistungen für Fahrzeugaufbereitung und Zulassung zuzüglich eines Aufschlags an den Kunden weiterberechne. Selbst wenn man bei den Transportkosten der Meinung wäre, dass im Mercedes-Benz-Vertrieb die deutschen Vertreter nicht voll von ihren Risiken entlastet seien, handelte es sich jedenfalls nur um ein „unbedeutendes“ Risiko, isoliert und in der Gesamtheit.
57 Die Teilnahme der Vertreter an der Verkaufsförderung habe nichts mit der Teilnahme an den Risiken im Zusammenhang mit den verschiedenen Verkaufsgeschäften zu tun, sondern mit der Verpflichtung des Vertreters, die ihm obliegende Vermittlungstätigkeit selbst personell und sachlich zu organisieren und zu finanzieren. Der Vertreter sei an der nationalen oder regionalen Mercedes-Benz-Werbung nicht beteiligt, sondern nur an der Förderung seiner eigenen Tätigkeit. Die Kosten einer solchen Werbung und die sich daraus für ihre Provision ergebenden Risiken trügen die Vertreter. Die Auffassung der Kommission, dass die Vorführwagen Muster oder Unterlagen im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, S. 17) seien, sei unzutreffend. In der Richtlinie sei von Mustern nie die Rede, wohl aber von Unterlagen, d. h. von gesondert speziell für die Verkaufswerbung hergestellten Werbemitteln, und nicht von Fahrzeugen, die vorgeführt und in der Folge vom Vertreter zu Bedingungen wieder verkauft würden, die bei ihm zu keinem Verlust führten.
58 Die Tatsache, dass der Mercedes-Benz-Vertreter eine Vielzahl von Vorführwagen unterhalte, zeige nicht, dass er an den Risiken des Verkaufs von Neufahrzeugen beteiligt sei, sondern nur, dass seine Vermittlungstätigkeit, soweit es um die Akquisition zu vermittelnder Kunden gehe, erheblichen Aufwand verursache. In diesem Zusammenhang sei die Behauptung der Kommission in der streitigen Entscheidung unzutreffend, dass „im Durchschnitt mehr als 21,66 % des Umsatzes der Vertretungen auf Vorführ- und Geschäftsfahrzeuge“ entfallen seien. Dieser Prozentsatz beziehe sich auf den „Inlands-Pkw-Umsatz von Mercedes-Benz“. Es handele sich also nicht um eine vertreterspezifische Zahl.
59 Die Klägerin fügt allerdings hinzu: „Bezogen auf die Vertreter betrug 1998 dieser Prozentsatz, wenn man die von diesen vermittelten Fahrzeuggeschäfte mit dem Umsatz von Mercedes-Benz (nicht nur mit den auf die Vertreter entfallenden Provisionen) bewertet, für Pkw nur 8 %, für Pkw und Nutzfahrzeuge 9,8 %. Bezieht man den Anteil der Vorführ- und Geschäftsfahrzeuge auf den realen Umsatz der Vertreter … so ergibt sich für die Pkw allein ein Prozentsatz von 15,8 %, für Pkw und Nutzfahrzeuge ein solcher von 19,3 %.“
60 Die Kommission nehme zu Unrecht an, dass der Kauf von Vorführwagen, bei denen dem Vertreter Sonderkonditionen eingeräumt würden, für diesen ein besonderes Absatzrisiko darstelle (158. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung). Ein solches Risiko realisiere sich im Allgemeinen nicht. Das Geschäft mit den Vorführwagen bringe dem Vertreter vielmehr zusätzliche Erlöse. Aber selbst wenn der Vertreter nicht in der Lage wäre, die Vorführwagen zu Preisen abzusetzen, die höher als seine Einstandspreise seien, und er insoweit höhere Aufwendungen hätte, wäre das irrelevant. Der Handelsvertreter finanziere ausschließlich die mit der Verkaufsvermittlung verbundenen, ihm nach dem Vertretungsvertrag obliegenden Leistungen selbst und müsse nur die damit unmittelbar verbundenen Risiken tragen.
61 Die von der Kommission in der streitigen Entscheidung vertretene Auffassung, dass von dem gesamten Umsatz des typischen Vertreterbetriebs „lediglich rund 1/6 des Gesamtumsatzes auf die eigentliche Vertretertätigkeit entfällt“, sei rechtlich irrelevant. Die von der Kommission in der streitigen Entscheidung angewandte Berechnungsmethode sei irreführend, und es müsse „auf die von [dem Handelsvertreter] vermittelten Außenumsätze ankommen, nicht etwa nur auf seinen Provisionsumsatz“. Die Vertretungstätigkeit mache „nach den Berechnungen von Mercedes-Benz etwa 55 % des Gesamtunternehmens des Vertreters“ aus.
62 Die Kommission trägt vor, dass Artikel 81 Absatz 1 EG auf die Verträge zwischen der Klägerin und ihren deutschen Vertretern aufgrund der Art und des Umfangs der Kosten und Risiken, die die Klägerin ihren Vertretern auferlege, und aufgrund der Höhe der Umsätze, die der Vertreter aus eigenunternehmerischer Tätigkeit im Vergleich zu seinen Umsätzen aus der Vermittlung von Kaufverträgen über Neufahrzeuge erziele, in gleichem Umfang wie auf einen Vertrag mit einem Vertragshändler anwendbar sei.
63 Der Vertrag zwischen einem Vertreter und seinem Geschäftsherrn sei ein Vertrag zwischen zwei verschiedenen Unternehmen und müsse daher grundsätzlich die Wettbewerbsvorschriften einhalten. Einzelne Vertragsbestimmungen seien von der Anwendung dieser Vorschriften also nur befreit, soweit sie Wettbewerbsbeschränkungen weder bezweckten noch bewirkten.
64 Die Klägerin verkenne sowohl die Art der Risiken, die ihre Vertreter tragen müssten, als auch die Rechtsfolgen, die an die Abwälzung dieser Risiken auf ihre Vertreter anknüpften.
65 Wie die Klägerin einräume, hänge nach der Rechtsprechung die Nichtanwendbarkeit des Artikels 81 Absatz 1 EG auf Handelsvertreterverträge kumulativ von zwei Voraussetzungen ab, nämlich einerseits von einer für eine solche Beziehung typischen Verteilung der Risiken und andererseits von der „Eingliederung“ des Vertreters in den Betrieb des Geschäftsherrn. Die Klägerin plädiere somit für eine weiter gehende Anwendbarkeit des Kartellverbots auf Handelsvertreterbeziehungen als die Kommission, da diese dem Handelsvertreter die kartellrechtliche Privilegierung nur dann vorenthalte, wenn er mehr als nur unbedeutende finanzielle oder geschäftliche Risiken zu tragen habe, ohne zusätzlich noch eine wie auch immer zu definierende Eingliederung des Vertreters in die Absatzorganisation seines Geschäftsherrn zu verlangen. Dem in Randnummer 41 genannten Urteil Volkswagen und VAG Leasing sei zu entnehmen, dass der Gerichtshof dem Merkmal der „Eingliederung“ neben dem Merkmal, das auf die Risikoverteilung abstelle, keine selbständige Bedeutung mehr beimesse. Aus dem in Randnummer 41 genannten Urteil Suiker Unie u. a./Kommission und insbesondere dessen Randnummern 538 bis 542 ergebe sich, dass ein Vertreter nach Ansicht des Gerichtshofes nicht als in das Unternehmen seines Geschäftsherrn „eingegliedert“ anzusehen sei, weil er bestimmte Risiken trage.
66 Überdies zeige die Übertragung der vom Gerichtshof in dem in Randnummer 41 genannten Urteil Suiker Unie u. a./Kommission entwickelten Gedanken auf den vorliegenden Fall, dass bei Verhältnissen mit „Doppelprägung“, d. h., wenn der Absatzmittler zugleich als Handelsvertreter und als Eigenhändler tätig sei, das Kartellverbot nicht etwa nur für die Tätigkeit im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, sondern auch für die Tätigkeit im Namen und auf Rechnung des Geschäftsherrn gelte. Die deutschen Vertreter der Klägerin würden im vorliegenden Fall in erheblichem Umfang eigenunternehmerisch tätig; zwar vertrieben die Klägerin und ihre Vertreter im Gegensatz zum Sachverhalt in dem in Randnummer 41 genannten Urteil Suiker Unie u. a./Kommission in ihrer jeweiligen Funktion nicht die gleichen Waren, doch bestehe zwischen dem Neuwagengeschäft, dem Werkstattgeschäft und dem Kundendienst ein enger sachlicher Zusammenhang. Die Tätigkeiten betreffend die Garantie und den Kundendienst sowie das Ersatzteilgeschäft würden dem Vertreter gerade im Interesse des Absatzes der Neufahrzeuge auferlegt, nicht anders als die übrigen vom Vertreter zu tragenden Risiken. Dieser Zusammenhang spreche für eine einheitliche Behandlung der Vertragsbeziehung auch in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht.
67 Das Urteil des Gerichtshofes vom 1. Oktober 1987 in der Rechtssache 311/85 (VVR, Slg. 1987, 3801) sei aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte für den vorliegenden Rechtsstreit nicht einschlägig.
68 Außerdem sei auf das in Randnummer 41 genannte Urteil Volkswagen und VAG Leasing zu verweisen, in dem der Gerichtshof bestätigt habe, dass ein Handelsvertreter seinen privilegierten wettbewerbsrechtlichen Status verliere, wenn er auch nur ein einziges der Risiken aus den für seinen Geschäftsherrn vermittelten Geschäften trage. Demzufolge ändere die Tatsache, dass die deutschen Vertreter der Klägerin nicht sämtliche, sondern nur einige nicht völlig unbedeutende Risiken aus den von ihnen vermittelten Geschäften trügen, nichts an der Anwendbarkeit des Kartellverbots auf die zusammen mit ihnen festgelegten Maßnahmen zur Behinderung des Parallelhandels.
69 Die Klägerin habe das in Randnummer 41 genannte Urteil Volkswagen und VAG Leasing falsch ausgelegt (siehe oben, Randnr. 52). Sie versuche, den Eindruck zu erwecken, dass die streitige Entscheidung weiter gehe als das genannte Urteil, obwohl die Kommission es einschränkend ausgelegt habe. Sie habe nur die Übernahme von separaten Tätigkeiten, die unternehmerische Risiken mit sich brächten – d. h. die Dienstleistungen zur Erfüllung der Herstellergarantie sowie den Kundendienst und den Ersatzteiltrieb –, berücksichtigt, weil sie eine vom Hersteller als erforderlich eingeschätzte Ergänzung desjenigen Teilgeschäfts bildeten, für das der Vertreter als bloßer Vermittler eingeschaltet werde. Die Ansicht der Klägerin, dass die Kundendiensttätigkeit im vorliegenden Fall für die Beurteilung der im Agenturverhältnis vereinbarten wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen keine Bedeutung haben sollte, sei unverständlich.
70 Bestimmte Bindungen, die der Geschäftsherr seinen Vertreter zu übernehmen zwinge, könnten über die Pflicht zur gegenseitigen Interessenwahrung hinausgehen und daher unverhältnismäßig sein. Deshalb müsse in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die in Frage stehende Bindung, wenn sie den Wettbewerb beschränke, wirklich aus der Natur der Sache heraus geboten und zum Schutz der „Institution“ (des Vertreters) erforderlich sei.
71 Die Verpflichtungen, mit denen der „Intrabrand-Wettbewerb“ auf dem Gütermarkt und der Preis- und Lieferkonditionenwettbewerb für Leasingfahrzeuge habe beschränkt werden sollen, seien weder vom Wesen der Vertragsbeziehung her erforderlich noch für den Absatz über Handelsvertreter systemimmanent gewesen. Das gelte für die Bedingungen, unter denen die Klägerin die Handlungsfreiheit der Vertreter beschränkt habe, indem sie ihnen auferlegt habe, von EG-Kunden eine Anzahlung von 15 % zu verlangen, und für die Weisung, Neufahrzeuge möglichst nur an Kunden im eigenen Vertragsgebiet zu liefern und internen Wettbewerb zu vermeiden. Das Vorbringen der Klägerin, wonach das Kartellverbot für Vertreterverträge nur dann gelte, wenn der Vertreter die Risiken und die Kosten aus dem Abschluss oder aus der Abwicklung der Kaufverträge trage, die er für das Unternehmen abschließe oder aushandele, nicht aber, wenn er eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit in Bezug auf die Aufgaben ausübe, deren Wahrnehmung ihm vom Auftraggeber übertragen worden sei, sei nicht stichhaltig. Es berücksichtige das von der Kommission gerügte Verhalten nicht inhaltlich. Die wirtschaftlichen Gegebenheiten würden außerdem nicht hinreichend berücksichtigt, wenn man ausschließlich auf die Risiken abstellen würde, die der Vertreter im Voraus dadurch übernommen habe, dass er die Ware zum Zweck des Weiterverkaufs erwerbe. Zum einen hänge der Umfang der der Klägerin abgenommenen und dem Vertreter durch diesen Erwerb auferlegten Risiken von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Zum anderen resultierten die Risiken eines Absatzes auf der nachgelagerten Marktstufe oftmals daraus, dass für diesen Absatz, unabhängig vom Erwerb der Ware durch den Vertreter, eine marktspezifische Infrastruktur erforderlich sei. In diesem Zusammenhang verweist die Kommission auf die Tätigkeiten zur Verwirklichung der Herstellergarantie, die zu einem ganz wesentlichen Teil die Gewährleistung seitens des Wiederverkäufers selbst überlagere, auf den Kundendienst sowie die Anschaffung, die Präsentationen und die anschließende Weiterveräußerung von Vorführwagen. Was das Absatzrisiko als solches anbelange, so entlasteten die Mercedes-Händler die Klägerin nur begrenzt, weil diese ihre Fahrzeuge „auf Maß“ und nicht auf Lager fertige. Ein Unternehmen, das seinen Absatz über Handelsvertreter organisiere und diesen die vertrags- oder marktspezifischen Risiken auferlege, müsse hinnehmen, dass das Kartellverbot auf seine Beziehungen mit seinen Vertretern angewandt werde. Die obligatorische Übernahme der wirtschaftlichen Risiken durch den Vertreter müsse mit einer Handlungsfreiheit einhergehen, die es dem Vertreter ermögliche, diesen Risiken zu begegnen, und die Einschränkung dieser Handlungsfreiheit sei kartellrechtswidrig, wenn sie den Wettbewerb spürbar beschränke.
72 Das Vorbringen der Klägerin zu der in der streitigen Entscheidung vorgenommenen Prüfung der Verteilung der verschiedenen Risiken sei mit Ausnahme der Bemerkungen über den Erfüllungsort des Vertrages zurückzuweisen.
73 Was das Preisrisiko angehe, so wälze die Klägerin das Vermarktungsrisiko ihrer Fahrzeuge teilweise auf ihre Vertreter ab. Preiszugeständnisse, die der Vertreter einem Kunden mache, gingen nämlich voll zulasten seiner Provision. Die Handelsvertreter trügen also das Absatzrisiko der Klägerin, was zur Anwendbarkeit des Kartellverbots führe (vgl. in diesem Sinne das in Randnummer 41 genannte Urteil Suiker Unie u. a./Kommission), unabhängig davon, ob der Vertreter im Rahmen einer einzelnen Preisvereinbarung oder im Rahmen von standardisierten Konditionsvereinbarungen der Klägerin mit Großabnehmern auf seine Provision verzichte. In beiden Fällen setze die Klägerin die Provision des Vertreters als Vermarktungshilfe ein und zwinge diesen dadurch, sich an den Kosten und Risiken des Fahrzeugabsatzes zu beteiligen. Die Provision des Vertreters reduziere sich um bis zu 6 %, wenn er ein Fahrzeug an einen Kunden verkaufe, mit dem die Klägerin eine Konditionenvereinbarung abgeschlossen habe. Außerdem trage die Klägerin diese den Großabnehmern gewährten Preisnachlässe nur insoweit, als sie 6 % überschritten. Die Situation der Händler und die der Vertreter sei wirtschaftlich vergleichbar. Die Vergütung eines Vertreters werde gemäß der Richtlinie 86/653 im Allgemeinen als ein Prozentsatz des von ihm ausgehandelten Vertragsvolumens berechnet.
74 Weiche dieses Volumen von dem ursprünglich erwarteten Volumen ab, so trage der Handelsvertreter typischerweise nur das Risiko, dass der vereinbarte Provisionssatz auf dieses geringere Volumen angewandt werde. Es sei aber normalerweise nicht Sache des Vertreters, den Geschäftsherrn von derartigen Abweichungen durch Mechanismen wie den Verzicht auf seine Provision im Umfang der Preissenkung systematisch zu entlasten. Aus denselben Gründen könne die Tatsache, dass die Vertreter bei allen Arten von Geschäften das Vermarktungsrisiko der Klägerin in mehr oder minder großem Umfang mittrügen, auch nicht einfach als das Fehlen einer Vereinbarung ausgelegt werden, die den Handelsvertretern die Provisionsteilung verbiete.
75 Außerdem trügen die Vertreter das Transportkostenrisiko. Nach dem Vertretervertrag müsse der Vertreter das verkaufte Neufahrzeug dem Kunden abliefern und mit diesem das hierfür zu zahlende Entgelt vereinbaren. Die Chance, aus der Differenz zwischen der Zahlung an den Spediteur und dem mit dem Kunden vereinbarten Entgelt zusätzlichen Gewinn zu erzielen, ändere nichts daran, dass der Vertreter das Risiko trage, vom Kunden das Entgelt nicht zu erhalten. Wenn der Kunde das Fahrzeug nicht erhalte, gingen die bereits gezahlten Speditionskosten jedoch zulasten des Vertreters. Soweit die Klägerin auf die typischen und systemimmanenten Bindungen des Handelsvertreters abstelle, sei ihr entgegenzuhalten, dass die Warenauslieferung nach deutschem Handelsvertreterrecht Sache des Geschäftsherren und nicht des Handelsvertreters sei. Schließlich komme es nicht darauf an, ob diese Risiken vielleicht „unbedeutend“ seien, da die Vertreter zahlreiche weitere unternehmerische Risiken tragen müssten.
76 Der Vertretervertrag verpflichte den Vertreter, in großem Umfang Eigenmittel zur Verkaufsförderung einzusetzen, und dieser trage das Absatzrisiko für eine erhebliche Anzahl von Fahrzeugen (siehe oben, Randnr. 58). In diesem Zusammenhang sei im Hinblick auf die von der Klägerin genannte Zahl von 15,8 % (siehe oben, Randnr. 59) festzustellen, dass die mit dem Verkauf von Vorführ- oder Geschäftswagen erzielten Umsätze im Vergleich zu den Provisionen, die die Vertreter für ihre Vermittlertätigkeit beim Verkauf von Neufahrzeugen erhielten, beträchtlich seien. Das finanzielle Engagement und das Risiko, die die Klägerin ihren Vertretern auferlege, könnten entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht isoliert von der Vermittlertätigkeit der Vertreter betrachtet werden, denn bei den Vorführwagen handele es sich um geschäftsspezifische Investitionen, die die Klägerin ihren Vertretern vorschreibe und die unmittelbar der Vermarktung an die Endkunden dienten. Der Unternehmer müsse gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 86/653 dem Handelsvertreter Vorführwagen kostenlos zur Verfügung stellen; diese entsprächen „Mustern“ oder den zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen „Unterlagen“. Die Klägerin wälze also ihre eigene Aufgabe auf ihre Vertreter ab. Die Klägerin zwinge ihre Vertreter damit, die mit dem Vertrieb ihrer Produkte verbundenen und ihr vom Gesetzgeber auferlegten Aufgaben, Risiken und finanziellen Lasten zu übernehmen. Die Klägerin mache ihre Vertreter dadurch, dass sie von ihnen verlange, sich weitgehend wie selbständige Händler von (Vorführ-)Fahrzeugen zu verhalten, zu „unechten“ Handelsvertretern und eröffne dadurch den Weg zur Anwendung des Wettbewerbsrechts.
77 Die Vertreter müssten auf eigene Kosten und eigenes Risiko (159. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung) die von der Klägerin für Neufahrzeuge gebotene Herstellergarantie erfüllen, eine Werkstatt und ein Ersatzteillager unterhalten, Kundendienst leisten und Garantiearbeiten ausführen. Diese von den Handelsvertretern verlangten geschäftsspezifischen Investitionen bedeuteten, dass die Vertreter an den Kosten und Risiken des Absatzes der Neufahrzeuge der Klägerin beteiligt würden.
78 Die Kommission tritt der von der Klägerin vorgenommenen Unterscheidung zwischen der Vermittlungstätigkeit und dem Kundendienstgeschäft entgegen; sie sei künstlich und gehe an der wirtschaftlichen Realität vorbei. Mit dem Kundendienstgeschäft solle nämlich der Absatz der Klägerin in Anbetracht der Erwartung der Endkunden, dass für die verkauften Fahrzeuge ein Wartungsnetz zur Verfügung stehe, gefördert werden. Außerdem sehe die Klägerin selbst die Handelsvertretertätigkeit und den Kundendienst als eine wirtschaftliche Einheit an. Gemäß § 6 des Vertretervertrags werde ein Teil der Provision des Vertreters auf den Vertreter eines anderen Vertragsgebiets umgeleitet, wenn das Fahrzeug innerhalb einer gewissen Zeit in dieses Vertragsgebiet gelange. Daraus folge, dass die Vermittlertätigkeit nicht isoliert von den Kosten und Risiken betrachtet werden könne, die der Vertreter im Garantie- und Kundendienstgeschäft und bei der Vorhaltung von Ersatzteilen tragen müsse. Ferner sei auf die Parallele des vorliegenden Falles zu den in Randnummer 41 genannten Urteilen Volkswagen und VAG Leasing sowie Suiker Unie u. a./Kommission hinzuweisen. Die Vergütungsansprüche, die ein Vertreter aus seinen Garantie- und Kundendienstleistungen erwerbe, seien ohne jede Bedeutung, weil er dennoch die Kosten und Risiken seiner Tätigkeit tragen müsse. Die von der Klägerin genannte Verordnung Nr. 1475/95 sei nicht anwendbar, wenn es sich um die bloße „Vermittlung“ von Kaufverträgen über Neufahrzeuge handele, weil der in Artikel 10 Nummer 12 definierte „Weiterverkauf“ fehle. Die Klägerin könnte echten Vermittlern also durchaus die Wahl lassen, ob sie Garantie- und Kundendienstleistungen erbringen wollten oder nicht. Die Risiken des Vertreters im Fall eines Mangels der Ware beruhten schließlich im Wesentlichen auf seiner Zugehörigkeit zum Garantienetz der Klägerin; das Gleiche gelte auch für den Kundendienst.
79 Auf den Vorwurf der Klägerin, sie habe den Provisionsumsatz des Vertreters mit dem Umsatz verglichen, den dieser im eigenen Namen und auf eigene Rechnung mache, sei zu erwidern, dass auch bei der von der Klägerin gewählten Bezugsgröße ein ganz erheblicher Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit der Vertreter auf die ihnen von der Klägerin vorgeschriebenen eigenunternehmerischen Aktivitäten entfalle, der bei der kartellrechtlichen Würdigung der Vertragsbeziehung zwischen der Klägerin und ihren Vertretern nicht vernachlässigt werden dürfe.
80 Das Argument der Klägerin, Vertreter müssten wie Niederlassungen behandelt werden, sei zurückzuweisen. Die Stellung des Handelsvertreters als selbständiger Unternehmer hänge nämlich nicht davon ab, ob er dieselben Interessen wie sein Geschäftsherr oder auch andere Interessen verfolge. Die Frage nach der Anwendbarkeit des Kartellverbots entscheide sich danach, ob der Vertreter vertrags- oder geschäftsspezifische Risiken zu tragen habe; dies sei hier der Fall.
Würdigung durch das Gericht
81 Nach ständiger Rechtsprechung hat das Gericht bei einer Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung nach Artikel 81 Absatz 1 EG generell eine umfassende Prüfung der Frage vorzunehmen, ob die Tatbestandsmerkmale von Artikel 81 Absatz 1 EG erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 42/84, Remia u. a./Kommission, Slg. 1985, 2545, Randnr. 34, und vom 17. November 1987 in den Rechtssachen 142/84 und 156/84, BAT und Reynolds/Kommission, Slg. 1987, 4487, Randnr. 62).
82 Artikel 81 Absatz 1 EG bestimmt:
„Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken …“
83 Nach dem Wortlaut dieses Artikels betrifft das dort aufgestellte Verbot ausschließlich ein bilateral oder multilateral koordiniertes Vorgehen in Form von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen. Folglich ist der Begriff der Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG, wie er in der Rechtsprechung ausgelegt worden ist, durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet (Urteil des Gerichts vom 26. Oktober 2000 in der Rechtssache T‑41/96, Bayer/Kommission, Slg. 2000, II‑3383, Randnrn. 64 und 69, bestätigt durch das Urteil des Gerichtshofes vom 6. Januar 2004 in den Rechtssachen C‑2/01 P und C‑3/01 P, BAI und Kommission/Bayer, Slg. 2004, I-23).
84 Daraus folgt, dass eine Entscheidung eines Herstellers nicht unter das Verbot von Artikel 81 Absatz 1 EG fällt, wenn sie ein einseitiges Verhalten des Unternehmens darstellt (vgl. in diesem Sinne die Urteile des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82, AEG/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 38, und vom 17. September 1985 in den Rechtssachen 25/84 und 26/84, Ford/Kommission, Slg. 1985, 2725, Randnr. 21, sowie das Urteil des Gerichts vom 7. Juli 1994 in der Rechtssache T‑43/92, Dunlop Slazenger/Kommission, Slg. 1994, II‑ 441, Randnr. 56).
85 Außerdem ist nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des Wettbewerbsrechts unter dem Begriff des Unternehmens eine im Hinblick auf den jeweiligen Vertragsgegenstand bestehende wirtschaftliche Einheit zu verstehen, selbst wenn diese wirtschaftliche Einheit rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet wird (Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 170/83, Hydrotherm, Slg. 1984, 2999, Randnr. 11, und Urteil des Gerichts vom 29. Juni 2000 in der Rechtssache T‑234/95, DSG/Kommission, Slg. 2000, II‑2603, Randnr. 124). Der Gerichtshof hat betont, dass es bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht auf die sich aus der Verschiedenheit der Rechtspersönlichkeit ergebende formale Trennung zwischen zwei Gesellschaften ankommt, sondern vielmehr darauf, ob sich die beiden Gesellschaften auf dem Markt einheitlich verhalten. Es kann also notwendig sein, zu ermitteln, ob zwei Gesellschaften mit je eigener Rechtspersönlichkeit ein und dasselbe Unternehmen oder ein und dieselbe wirtschaftliche Einheit mit einheitlichem Marktverhalten bilden oder hierzu gehören (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, ICI/Kommission, Slg. 1972, 619, Randnr. 140).
86 Die Rechtsprechung zeigt, dass eine solche Situation nicht auf Fälle beschränkt ist, in denen Gesellschaften zueinander in einem Mutter-Tochter-Verhältnis stehen, sondern unter bestimmten Umständen auch die Beziehungen zwischen einer Gesellschaft und ihrem Handelsvertreter oder zwischen einem Geschäftsherrn und dem Beauftragten betrifft. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Verhalten in den Anwendungsbereich von Artikel 81 EG fällt, ist nämlich von Bedeutung, ob der Geschäftsherr und sein Mittler oder „Handelsvertreter“ eine wirtschaftliche Einheit bilden, bei der Letzterer ein in das Unternehmen des Ersteren eingegliedertes Hilfsorgan ist. So ist entschieden worden, dass ein Absatzmittler, „[w]ird [er] für seinen Geschäftsherrn tätig, … grundsätzlich als ein in dessen Unternehmen eingegliedertes Hilfsorgan angesehen werden [kann], das den Weisungen des Geschäftsherrn zu folgen hat und sonach mit dem betroffenen Unternehmen ebenso wie ein Handlungsgehilfe eine wirtschaftliche Einheit bildet“ (Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, zitiert in Randnr. 41, Randnr. 480).
87 Anders verhält es sich, wenn aus den zwischen dem Geschäftsherrn und seinen Vertretern getroffenen Abmachungen Letzteren Aufgaben erwachsen oder verbleiben, die aus wirtschaftlicher Sicht insofern denen eines Eigenhändlers ähneln, als der Vertreter die finanziellen Risiken des Absatzes oder der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträge zu tragen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, zitiert in Randnr. 41, Randnr. 541). So ist entschieden worden, dass Vertreter ihre Eigenschaft als selbständiger Wirtschaftsteilnehmer nur verlieren können, wenn sie keines der Risiken aus den für den Geschäftsherrn vermittelten Geschäften tragen und als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Volkswagen und VAG Leasing, zitiert in Randnr. 41, Randnr. 19).
88 Wenn also ein Vertreter trotz eigener Rechtspersönlichkeit sein Geschäftsgebaren nicht autonom bestimmt, sondern die Weisungen durchführt, die ihm von seinen Geschäftsherrn gegeben werden, so sind die Verbote von Artikel 81 Absatz 1 EG auf die Beziehungen zwischen ihm und seinem Geschäftsherrn, mit dem er eine wirtschaftliche Einheit bildet, nicht anwendbar.
89 Es ist festzustellen, dass sich die Parteien hier im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes uneins sind über die von der Kommission in der streitigen Entscheidung vorgenommene Analyse des rechtlichen Status der deutschen Mercedes-Benz-Vertreter hinsichtlich der Anwendung von Artikel 81 Absatz 1 EG und insbesondere über die Analyse des Umfangs des Risikos, das diese Vertreter nach dem Vertretervertrag tragen, und der Frage ihrer Eingliederung in Mercedes-Benz.
90 Es ist somit in Anbetracht des oben Ausgeführten Sache des Gerichts, die Stichhaltigkeit der von der Kommission in der streitigen Entscheidung angestellten Beurteilung der Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und ihren deutschen Handelsvertretern zu prüfen.
91 Es ist festzustellen, dass diese Rechtsbeziehung insbesondere durch einen zwischen Mercedes-Benz und ihren Vertretern geschlossenen Standard-Vertretervertrag und das deutsche Handelsgesetzbuch geregelt wird. Die Klägerin hat in ihren Antworten auf die schriftlichen Fragen des Gerichts (siehe oben, Randnr. 34) ausgeführt, dass die Fassung des in der streitigen Entscheidung zugrunde gelegten Standard-Vertretervertrags die von Juni 1997 sei. Sie hat ferner bestätigt, dass diese Fassung im Wesentlichen den Fassungen entsprach, die in dem gesamten Zeitraum galten, auf den sich die streitige Entscheidung bezieht. Es ergibt sich aus der Akte, dass die Bestimmungen und Bedingungen des Standard-Vertretervertrags einseitig von Mercedes-Benz bestimmt werden. Außerdem steht fest, dass der zwischen Mercedes-Benz und seinen deutschen Vertretern geschlossene Vertrag ein Handelsvertretervertrag nach deutschem Handelsrecht ist. Im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits hat die Kommission nicht geltend gemacht, dass es materielle Unterschiede zwischen den von Mercedes-Benz mit den einzelnen Vertretern geschlossenen Vertreterverträgen gebe.
92 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Parteien nicht bestreiten, dass die dem Vertreter nach dem Vertretervertrag formell zugewiesenen Aufgaben dem entsprechen, wie der Vertrag in der Praxis durchgeführt wird. So ist es unbestritten, dass Mercedes-Benz und nicht seine deutschen Vertreter nach dem Vertretervertrag und in der Praxis Neuwagen der Marke Mercedes-Benz in der Bundesrepublik Deutschland direkt an die Kunden verkauft und dass es den Vertretern verboten ist, sie in eigenem Namen und für eigene Rechnung zu verkaufen.
93 Das Gericht stellt fest, dass der Vertretervertrag so abgefasst ist, dass der deutsche Vertreter keine Befugnis oder Abschlussvollmacht für den Verkauf von Wagen der Marke Mercedes-Benz hat. Denn die Aufgabe des deutschen Vertreters beschränkt sich auf das Einholen von Bestellungen möglicher Kunden, die er an Mercedes-Benz zwecks Annahme und Ausführung weiterleitet. Hierzu sieht § 4 Absätze 1 und 3 des Vertretervertrags vor, dass der Vertreter die Fahrzeugkaufverträge zu den von Mercedes-Benz festgesetzten Preisen nach deren Richtlinien aushandelt, wobei der Kaufvertrag erst in dem Moment wirksam wird, in dem Mercedes-Benz die vom Vertreter übermittelte Bestellung annimmt.
94 Außerdem ergibt sich aus der Akte, dass der Vertreter bei der Aushandlung des Kaufvertrags mit einem Kunden hinsichtlich des Mercedes-Benz für das Fahrzeug zu zahlenden Preises keine Befugnisse hat. Denn die Klägerin hat in ihren Antworten auf die vom Gericht gestellten Fragen bestätigt, dass der Vertreter nicht befugt ist, Preisnachlässe für Rechnung von Mercedes-Benz ohne deren Zustimmung zu gewähren. Die Klägerin hat jedoch hinzugefügt, dass der Vertreter ohne eine solche Zustimmung befugt sei, Preisnachlässe zulasten seiner eigenen Provision zu gewähren, und bestätigt, dass der Vertretervertrag keine Bestimmungen enthalte, die einen derartigen Teilverzicht auf die Provision untersagen würden. Wenn der Vertreter den Kunden Preisnachlässe im Rahmen des Verkaufs eines Neuwagens gewähre, müsse er sie von seiner Provision abziehen.
95 Nunmehr ist zu prüfen, ob die in der streitigen Entscheidung enthaltene Behauptung, dass der deutsche Vertreter in erheblichem Umfang am Preisrisiko für die von ihm vermittelten Fahrzeuge beteiligt sei (vgl. 155. Begründungserwägung), zutrifft, wenn er Preiszugeständnisse macht, die vollständig zulasten seiner Provision gehen.
96 Es ergibt sich aus der Akte, dass der deutsche Vertreter im Gegensatz zu den Mercedes-Benz-Händlern in anderen Ländern keine Neuwagen bei Mercedes-Benz kauft, um sie den Kunden weiterzuverkaufen, und es steht fest, dass der Vertreter keine Neuwagen auf Lager zu halten braucht (vgl. 156. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung). Denn nach den Bestimmungen des Vertretervertrags kann der Vertreter Mercedes-Benz-Neufahrzeuge nur für seinen eigenen Bedarf oder zu Vorführzwecken kaufen (§ 9 Absatz 2).
97 Da der deutsche Mercedes-Benz-Vertreter nicht verpflichtet ist, über ein Fahrzeuglager zu verfügen, ist es somit nicht zutreffend, ihn in wirtschaftlicher Hinsicht einem Kfz-Händler anzunähern, der vom Hersteller als Vergütung eine Marge erhält, die er nicht nur zur Finanzierung seines Neuwagenverkaufsbetriebs im Allgemeinen einsetzt, sondern vor allem zu Preiszugeständnissen an die Fahrzeugkäufer verwendet (vgl. 156. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung). Insoweit weist das Gericht darauf hin, dass der Mercedes-Benz-Vertreter nicht durch den Vertretervertrag oder in der Praxis gezwungen ist, für den Verkauf eines auf Lager gehaltenen Fahrzeugs einen Teil seiner Provision aufzugeben, was ein echtes Preisrisiko darstellen würde, denn er hätte schon die mit dem Kauf und der Lagerung des Fahrzeugs verbundenen Kosten getragen. Im Gegensatz zu einem Händler trägt der Vertreter nämlich nicht das Risiko, dass die von ihm auf Lager gehaltenen Fahrzeuge unverkauft bleiben. Wenn der Vertreter einen Teil seiner Provision nicht aufgeben will, nimmt er somit keine Fahrzeugbestellung entgegen.
98 Insoweit ergibt sich aus den Bestimmungen der in Belgien und Spanien geschlossenen Händlerverträge von Mercedes-Benz, dass die Händler dauernd ein Fahrzeuglager unterhalten müssen. Der Umfang dieses Lagers wird insbesondere einvernehmlich von den Parteien (vgl. § 8 des belgischen Händlervertrags und § 15 des spanischen Händlervertrags) festgelegt. Daraus folgt, dass sich die Lage des deutschen Mercedes-Benz-Vertreters von der der Mercedes-Benz-Händler in Belgien und in Spanien hinsichtlich des Fahrzeugverkaufs beträchtlich unterscheidet. Denn diese tragen einen erheblichen Teil des Risikos hinsichtlich des Fahrzeugverkaufs, während dieses Risiko in Deutschland im Wesentlichen bei Mercedes-Benz liegt. Folglich ist das Gericht der Auffassung, dass die Kommission zu Unrecht den Vertreter in wirtschaftlicher Hinsicht in Bezug auf das Preisrisiko dem Kfz-Eigenhändler annähert (156. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung).
99 Das Gericht ist der Auffassung, dass es unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht als „Preisrisiko“ bezeichnet werden kann, dass der deutsche Mercedes-Benz-Vertreter berechtigt – nicht jedoch dazu verpflichtet – ist, Preisnachlässe zulasten seiner Provision zu gewähren, und dass er seine Geschäftsfreiheit dadurch ausübt, dass er einen Teil seiner Provision bei einzelnen Verkäufen aufgibt, um eventuell seine Gesamtprovision zu optimieren, indem er mehr Fahrzeuge verkauft.
100 Aus alledem ergibt sich, dass Mercedes-Benz der Verkäufer der Fahrzeuge ist und von Fall zu Fall darüber entscheidet, ob die von dem Vertreter vermittelten Bestellungen angenommen oder zurückgewiesen werden. Die Geschäftsfreiheit der deutschen Mercedes-Benz-Vertreter stellt sich in der Tat in Bezug auf den Verkauf von Mercedes-Benz-Fahrzeugen als sehr begrenzt dar, so dass sie nicht den Wettbewerb auf dem fraglichen Markt beeinflussen kann, bei dem es sich um den Einzelhandel mit Mercedes-Personenkraftwagen handelt (vgl. 143. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung).
101 Demzufolge verbleiben, wenn ein Kunde ein Fahrzeug bestellt, aber es zu keinem Verkauf kommt, die finanziellen Begleiterscheinungen und somit die mit diesem Geschäft verbundenen Risiken auf Seiten der Klägerin. Diese hat in der Tat in der Sitzung bestätigt, dass ausschließlich sie alle Risiken betreffend insbesondere die Nichtlieferung, die Schlechterfüllung bei der Lieferung und die Insolvenz des Kunden trägt.
102 Zusammenfassend ist das Gericht der Auffassung, dass sich aus den oben dargelegten Angaben ergibt, dass Mercedes-Benz und nicht seine deutschen Vertreter in Bezug auf den hier in Rede stehenden Markt die Bedingungen jedes Fahrzeugkaufvertrags, insbesondere den Kaufpreis, bestimmt und die Hauptrisiken hinsichtlich dieser Tätigkeit trägt, da der deutsche Vertreter durch die Bestimmungen des Vertretervertrags daran gehindert ist, zum Zwecke des Verkaufs Fahrzeuge zu erwerben und auf Lager halten. Unter diesen Umständen ist abschließend festzustellen, dass sich die Vertreter gegenüber der Klägerin in einem Verhältnis befinden, das dadurch gekennzeichnet ist, dass sie den Verkauf von Mercedes-Benz-Fahrzeugen im Wesentlichen nach den Weisungen der Klägerin durchführen, so dass sie Angestellten gleichzustellen sind und als in dieses Unternehmen eingegliedert und mit diesem eine wirtschaftliche Einheit bildend angesehen werden müssen. Daraus folgt, dass der deutsche Mercedes-Benz-Vertreter nicht selbst ein „Unternehmen“ im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG ist, wenn er auf dem fraglichen Markt auftritt.
103 Es ist zu prüfen, ob die in der streitigen Entscheidung enthaltene Behauptung der Kommission, dass die Klägerin ihre Vertreter dazu verpflichte, nach dem Vertretervertrag andere Kosten und Risiken zu übernehmen, ohne ihnen die geringste Wahl zu lassen, etwas an diesem Ergebnis ändert.
104 Hierzu hat die Kommission in der streitigen Entscheidung festgestellt, dass nach dem Vertretervertrag Mercedes-Benz nicht das Transportkostenrisiko übernehme, sondern es dem Vertreter auferlege (vgl. 157. Begründungserwägung). Letzterer müsse wie ein Eigenhändler das Transportkostenrisiko für Neufahrzeuge tragen und diese Kosten wie ein Eigenhändler schuldrechtlich auf den Kunden übertragen.
105 Hierzu weist das Gericht darauf hin, dass § 4 Absatz 4 des Vertretervertrags bestimmt: „Holt der Kunde das Fahrzeug nicht selbst im Lieferwerk ab, liefert es der Vertreter ab und vereinbart das hierfür zu zahlende Entgelt mit dem Kunden.“ Die Klägerin hat in ihren Antworten auf die vom Gericht gestellten Fragen bestätigt, dass im Jahr 2003 in Deutschland 35 % der Fahrzeuge vom Kunden im Werk abgeholt wurden. Es ist festzustellen, dass diese Angaben, wenn sie sich auch nicht auf den Zeitraum beziehen, den die streitige Entscheidung betrifft, immerhin zeigen, dass die nach dem Vertretervertrag vorgesehene Möglichkeit, dass der Kunde einen Wagen im Werk abholt, alles andere als rein theoretisch ist, wenn der Vertreter und der Kunde sich nicht über die Lieferkosten oder -bedingungen einigen. Außerdem hat die Kommission in der Sitzung bestätigt, dass es wenig wahrscheinlich ist, dass das Transportkostenrisiko konkret wird. In der Praxis wird der Kunde über das Datum der Fahrzeuglieferung informiert, bevor der Transport stattfindet, und das Fahrzeug verlässt nicht das Werk, wenn der Kunde nicht kontaktiert werden kann.
106 Das Gericht ist der Auffassung, dass sich aus diesen Angaben ergibt, dass die Kommission den Umfang des Risikos, das der Vertreter hinsichtlich der Transportkosten trägt, deutlich überbetont hat.
107 Außerdem legt die Kommission in der streitigen Entscheidung dar, dass der Vertreter nach dem Vertretervertrag auf eigene Rechnung Vorführwagen erwerben (158. Begründungserwägung), unter die Herstellergarantie fallende Reparaturen durchführen (159. Begründungserwägung, Buchstabe a), auf eigene Rechnung eine Werkstatt einrichten und dort Kundendienst- und Garantieleistungen anbieten und auf Verlangen am Bereitschafts- und Notdienst teilnehmen muss sowie auf eigene Kosten ein Ersatzteillager unterhalten muss (159. Begründungserwägung, Buchstaben b und c). Die Kommission zog daraus in der streitigen Entscheidung den Schluss, es könne dem Einwand von Mercedes-Benz, die von ihren deutschen Vertretern zu tragenden Risiken seien für einen echten Handelsvertreter typisch, schon angesichts der Zahl und des quantitativen Umfangs der Risiken, die Vertreter tragen müssten, nicht zugestimmt werden (160. Begründungserwägung).
108 Insoweit weist das Gericht darauf hin, dass nach § 4 Absatz 7 des Vertretervertrags der Vertreter verpflichtet ist, auf eigene Rechnung Vorführwagen zu halten, und Mercedes-Benz gegebenenfalls die Anzahl an Vorführwagen festlegen kann, die sie für notwendig erachtet. Somit trägt der Vertreter, wenn er Vorführwagen kauft, ein gewisses Risiko. Beispielsweise ist es möglich, dass diese Fahrzeuge nur schwer mit Gewinn weiterverkauft werden können. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese Fahrzeuge, selbst wenn man das Vorliegen eines solchen Risikos einräumt, immerhin, wie die Kommission selbst in der 158. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung aufzeigt, zu einem Vorzugspreis erworben werden und nach drei bis sechs Monaten weiterverkauft werden können, wenn mit ihnen mindestens 3 000 Kilometer zurückgelegt worden sind. Diese Erwägung relativiert die Bedeutung, die die Kommission in der streitigen Entscheidung der Verpflichtung hinsichtlich der Vorführwagen beimisst, und damit das Ausmaß des fraglichen Risikos beträchtlich.
109 Daraus folgt, dass die Analyse, die die Kommission in der 158. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung anstellt, spürbar die Bedeutung der Risiken übertreibt, die mit der die Vertreter treffenden Verpflichtung verbunden sind, Vorführwagen zu erwerben.
110 Was die Ausführungen der Kommission zu der Verpflichtung der Vertreter betrifft, Gewährleistungsarbeiten durchzuführen, so ergibt sich aus der Akte, dass der Vertreter von Mercedes-Benz eine Gewährleistungsvergütung für genehmigte Gewährleistungsarbeiten erhält und dass diese Vergütung auf der Lohnseite dem durchschnittlichen, nach Umsatzanteilen gewichteten Kundenverrechnungssatz des Vertreters, den er Mercedes-Benz kalenderhalbjährlich im Voraus mitteilt, und auf der Materialseite dem Einstandspreis des Vertreters zuzüglich eines von Mercedes-Benz jeweils festgelegten Materialkostenzuschlags entspricht (vgl. § 13 Absatz 3 des Vertretervertrags).
111 Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission nicht dargetan, dass die Gewährleistungsvergütung kaufmännisch unangemessen wäre und demzufolge für den Vertreter ein echtes finanzielles Risiko im Zusammenhang mit der Verpflichtung bestehe, Gewährleistungsarbeiten durchzuführen. Es ist festzustellen, dass aus der streitigen Entscheidung nicht hervorgeht, dass diese mit dem Verkauf von Mercedes-Benz-Wagen verbundene Tätigkeit tatsächlich außergewöhnliche Risiken mit sich bringt, selbst wenn es zutrifft, dass sie, wenn sie nicht korrekt und effizient ausgeführt wird, defizitär sein und die Gewinne des Vertreters aus dem Fahrzeugverkauf herabsetzen oder gar aufheben kann. Außerdem ist festzustellen, dass die Kommission nicht bewiesen hat, dass die dem Vertreter auferlegten Verpflichtungen zur Einrichtung einer Werkstatt, zum Anbieten eines Kundendienstes und zum Erwerb und Auf-Lager-Halten von Ersatzteilen spürbare wirtschaftliche Risiken mit sich brächten.
112 In der Tat beschränkt sich die Kommission darauf, die nach dem Vertretervertrag auferlegten mit dem Verkauf der Fahrzeuge verbundenen Verpflichtungen aufzuzählen und auf die angebliche Bedeutung des durch diese Tätigkeiten, die vertraglich mit dem Verkauf der Fahrzeuge verbunden sind, erzielten Vertreterumsatzes im Vergleich zu dem Umsatz, den der Vertreter mit dem Verkauf der Fahrzeuge selbst erzielt, hinzuweisen, ohne aufzuzeigen, inwieweit diese Verpflichtungen spürbare Risiken zulasten des Vertreters darstellen. In tatsächlicher Hinsicht hat die Kommission das Ausmaß dieser Verpflichtungen nicht zutreffend beurteilt. Nach Auffassung des Gerichts stellen sie kein kaufmännisches Risiko dar, das es erlauben würde, den Mercedes-Benz-Vertreter als selbständigen Wirtschaftsteilnehmer zu bezeichnen.
113 Daraus folgt, dass die Einstufung des Status des deutschen Mercedes-Benz-Vertreters nach Artikel 81 Absatz 1 EG, die oben in Randnummer 102 dargelegt wurde, nicht durch die Tatsache entkräftet wird, dass die deutschen Mercedes-Benz-Vertreter nach dem Vertretervertrag eine Reihe von Tätigkeiten und finanziellen Verpflichtungen zu übernehmen haben. Es ist auch zu betonen, dass es sich dabei um Tätigkeiten handelt, die auf anderen Märkten als dem im vorliegenden Fall in Rede stehenden Markt ausgeführt werden. Denn selbst wenn eingeräumt werden müsste, dass diese Verpflichtungen bestimmte begrenzte Risiken für die Vertreter bedeuten, ist festzustellen, dass sie allein nicht dazu geeignet wären, die wettbewerbsrechtliche Einstufung des Verhältnisses zwischen der Klägerin und ihren Vertretern in Bezug auf den hier in Rede stehenden Markt zu verändern.
114 Außerdem legt die Kommission in der streitigen Entscheidung dar, dass einige Bestimmungen des deutschen Vertretervertrags mit denen der Mercedes-Benz-Händlerverträge in Belgien und in Spanien übereinstimmen, und leitet daraus ab, dass „die den Vertretern auferlegten Pflichten mit denjenigen, die den [ausländischen] Vertragshändlern auferlegt sind, identisch sind und beide Vertriebsformen in gleich starkem Umfang in die Vertriebsorganisation von Mercedes-Benz ‚eingegliedert‘ sind“ und dass diese „Merkmale … somit kein geeignetes Kriterium zur Abgrenzung eines Handelsvertreters von einem Eigenhändler [sind]“ (165. Begründungserwägung).
115 Die fraglichen Bestimmungen betreffen u. a. die Verpflichtungen, in jeder Weise für den Vertrieb der Waren einzutreten, die Interessen der Klägerin in Bezug auf die Verwendung des Namens und der Marke Mercedes-Benz wahrzunehmen, und die Regeln über das Errichten von Zweigbetrieben und Ausstellungsräumen außerhalb des Geschäftsanwesens. Nach Auffassung des Gerichts betreffen diese Bestimmungen im Wesentlichen Nebenaspekte, die sich üblicherweise in Vertriebsverträgen jeder Art finden, und erlauben es, wie die Kommission selbst ausführt, nicht, einen Handelsvertreter von einem Eigenhändler abzugrenzen.
116 Entgegen den Ausführungen der Kommission in der 165. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung ist festzustellen, dass diese Bestimmungen nicht zum Nachweis geeignet sind, dass die belgischen und die spanischen Vertriebspartner von Mercedes-Benz ebenso stark in die Vertriebsorganisation von Mercedes-Benz eingegliedert wären wie ihre deutschen Vertreter. Insoweit ist das Gericht der Auffassung, dass diese Schlussfolgerung der Kommission offensichtlich unzutreffend ist und nicht die grundlegenden Unterschiede zwischen den deutschen Handelsvertretern und den belgischen und spanischen Vertriebspartnern in Bezug auf den Verkauf der Fahrzeuge der Marke Mercedes-Benz berücksichtigt.
117 Denn die Bestimmungen der Standard-Vertriebsverträge von Mercedes-Benz in Belgien und Spanien sehen im Gegensatz zum deutschen Vertretervertrag u. a. vor, dass der Händler für den Vertrieb der Fahrzeuge und das Aushandeln der Kaufverträge verantwortlich ist. Der Händler kauft seine Waren ein und verkauft sie an seine Kunden für eigene Rechnung, im eigenen Namen und auf eigenes Risiko weiter (vgl. § 2 des belgischen Vertrages und § 6 des spanischen Vertrages). Außerdem sehen die Standard-Vertriebsverträge von Mercedes-Benz in Belgien und Spanien vor, dass Mercedes-Benz und ihre Händler ihre Unabhängigkeit wahren. Der Händler ist nicht Vertreter oder Bevollmächtigter von Mercedes-Benz, und die Parteien können nicht füreinander verbindliche rechtliche Erklärungen abgeben (vgl. § 2 des belgischen Vertrages und § 6 des spanischen Vertrages). Außerdem müssen die belgischen und die spanischen Händler dauernd – über die so genannten Vorführwagen hinaus – Neuwagen auf Lager haben, die in ihren Geschäftsräumen ausgestellt und an ihre Kunden geliefert werden sollen (§ 8 des belgischen Vertrages und § 15 Buchstabe a des spanischen Vertrages). Es ist festzustellen, dass wie im deutschen Vertretervertrag die Verkaufsbedingungen dem belgischen und dem spanischen Vertrag beigefügt sind, aber dass es sich bei diesen um die Vertragsbedingungen für den Verkauf von Wagen seitens des Mercedes-Benz-Konzerns an den Händler handelt (§ 12 des belgischen Vertrages und § 8 des spanischen Vertrages).
118 Das Gericht ist daher der Auffassung, dass entgegen den Schlussfolgerungen der Kommission diese Elemente den wichtigen Unterschied zwischen der Funktion des deutschen Vertreters, der in das Unternehmen seines Geschäftsherrn Mercedes-Benz eingegliedert ist, und derjenigen des Eigenhändlers in Belgien und Spanien unterstreichen. Es ist daran zu erinnern, dass der fragliche Markt im vorliegenden Fall der Einzelhandel mit Mercedes-Personenkraftwagen ist. Der Eigenhändler kann die Bedingungen, zu denen verkauft wird, bestimmen oder zumindest beeinflussen, weil er der Verkäufer ist, der das Hauptrisiko des Fahrzeugpreises trägt und der das Fahrzeuglager unterhält. Dieser Verhandlungsspielraum des zwischen dem Hersteller und dem Kunden stehenden Vertriebspartners setzt ihn dem Risiko aus, dass Artikel 81 EG auf seine Beziehung zum Hersteller Anwendung findet. Die Funktion und der Status des deutschen Mercedes-Benz-Vertreters sind im vorliegenden Fall hiervon sehr verschieden.
119 Daraus folgt, dass das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen Unternehmen im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG nicht rechtlich hinreichend dargetan worden ist.
120 Somit ist der erste Klagegrund begründet.
Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 81 EG und die Verordnung Nr. 1475/95 in Bezug auf die erste und die dritte der von der Kommission in der streitigen Entscheidung festgestellten Maßnahmen
121 Der zweite Klagegrund gliedert sich in zwei Teile. Erstens macht die Klägerin geltend, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung nicht nachgewiesen habe, dass Mercedes-Benz mit ihren Handelsvertretern in Deutschland Vereinbarungen geschlossen habe, die diese unter Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG daran hinderten, an ausländische Endverbraucher zu verkaufen. Die den Vertretern gegebenen Anweisungen beträfen nur Verkäufe an nicht zugelassene Wiederverkäufer, so dass sie gemäß Artikel 3 Absatz 10 der Verordnung Nr. 1475/95 freigestellt seien. Zweitens handele es sich bei den Beschränkungen für die Belieferung von Leasingfirmen in Spanien und in Deutschland nicht um Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG, und sie seien auf jeden Fall gemäß der Verordnung Nr. 1475/95 freigestellt.
122 Aus den Ausführungen des Gerichts zum ersten Klagegrund ergibt sich, dass die von Mercedes-Benz mit ihren Vertretern in Deutschland geschlossenen Handelsvertreterverträge nicht dem Kartellverbot von Artikel 81 Absatz 1 EG unterliegen. Folglich fallen eventuelle von Mercedes-Benz ihren Vertretern in Deutschland gegebene Anweisungen, nicht an Kunden außerhalb ihres Vertragsgebiets zu verkaufen, und die vermeintlichen Beschränkungen bei der Belieferung von Leasinggesellschaften in Deutschland nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 81 Absatz 1 EG. Daher ist es nicht erforderlich, den ersten Teil des vorliegenden Klagegrundes und dessen zweiten Teil zu prüfen, soweit dieser Verpflichtungen betrifft, die die deutschen Vertreter in Bezug auf das Aushandeln von Kaufverträgen über Neuwagen mit Leasinggesellschaften treffen.
Vorbringen der Parteien
123 Die Klägerin hält die in der streitigen Entscheidung wiedergegebene Auffassung der Kommission, dass die Beschränkungen der „Vorrats“-Belieferung der Leasingfirmen in Spanien bezweckten, den Wettbewerb zu beschränken, für falsch. Aus verschiedenen Gründen widersprächen die spanischen Händlerverträge nicht Artikel 81 Absatz 1 EG. Erstens würden die eigenen Leasinggesellschaften des Mercedes-Benz-Konzerns und die Fremdleasinggesellschaften in Bezug auf Preisvorteile und Rabatte völlig gleichbehandelt. Die Leasinggesellschaften des Mercedes-Benz-Konzerns erhielten nämlich keine anderen Einkaufskonditionen als die Endkunden. Außerdem sei es unzutreffend, dass Großkunden automatisch Anspruch auf Preisnachlässe hätten. Es stehe Mercedes-Benz frei, über die Gewährung von Großabnehmer-Nachlässen zu entscheiden. Eventuelle Ungleichbehandlungen von Leasingunternehmen und Großabnehmern resultierten nicht aus wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen. Überdies sei die Entscheidung über die Einräumung von Preisnachlässen für eine bestimmte Kundengruppe oder deren Nichtgewährung eine einseitige Maßnahme, nicht aber eine Vereinbarung nach Artikel 81 Absatz 1 EG. Zweitens sei das Verbot, Fremdleasinggesellschaften „auf Vorrat“ zu beliefern, entgegen dem Vorbringen der Kommission in der streitigen Entscheidung nicht auf eine Beschränkung des Wettbewerbs gerichtet. Die Lieferung eines Wagens an einen Leasingnehmer erfolge in Wirklichkeit auch nicht schneller, denn die Mercedes-Benz-Kunden wollten im Allgemeinen ein Modell und eine Ausstattung nach ihren Wünschen. Die in der 14. und der 22. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung wiedergegebenen Tabellen zeigten, dass Fremdleasinggesellschaften im Verhältnis zu ihren eigenen Firmen wettbewerbsfähig seien. Der Marktanteil der Fremdleasinggesellschaften am Leasing von Mercedes-Benz-Fahrzeugen sei von 28 % im Jahr 1996 auf 36 % im Jahr 2000 gestiegen.
124 Selbst wenn ein Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG vorläge, greife auf jeden Fall eine Freistellung ein. Hinsichtlich des fraglichen Verbotes habe in der Zeit bis zum 30. September 1996 durch die Verordnung (EWG) Nr. 123/85 der Kommission vom 12. Dezember 1984 über die Anwendung von Artikel [81] Absatz 3 [EG] auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge (ABl. L 15, S. 16) eine Freistellung bestanden.
125 Die Klägerin trägt außerdem vor, dass das Verbot der Vorratsbelieferung von Leasinggesellschaften ab 1. Oktober 1996, dem Datum des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 1475/95, nach dieser Verordnung befreit gewesen sei. Leasinggesellschaften, die Fahrzeuge unabhängig von bereits geschlossenen oder konkret angebahnten Verträgen auf Vorrat orderten, handelten praktisch wie Wiederverkäufer, wenn sie die genannten Fahrzeuge verleasten.
126 Nach ihrem Artikel 1 sei die Verordnung Nr. 1475/95 auf Kfz-Händlerverträge anwendbar, in denen die Funktion des Händlers durch den „Weiterverkauf“ beschrieben werde. Der Begriff „Weiterverkauf“ werde in Artikel 10 Nummer 12 dieser Verordnung als Veräußerung eines Fahrzeugs definiert, das der Wiederverkäufer im eigenen Namen und für eigene Rechnung erworben habe. Die Verordnung Nr. 1475/95 unterscheide zwischen Wiederverkäufern und Endkunden. Nach ihrem Artikel 3 Nummer 10 könne dem Händler die Belieferung von Wiederverkäufern untersagt werden. Durch ein solches Verbot werde das selektive Vertriebssystem geschützt.
127 Zwar bestimmte Artikel 10 Nummer 12 der Verordnung Nr. 1475/95 als einen Fall des Weiterverkaufs einen „Leasingvertrag des Abnehmers des Händlers mit einem Leasingnehmer, der die Eigentumsverschaffung vorsieht oder eine Kaufoption enthält“; jedoch enthalte die Verordnung keine Aussage darüber, ob Leasinggesellschaften, die noch kein konkretes Geschäft über das betreffende Fahrzeug mit einem Dritten geschlossen hätten, als „Wiederverkäufer“ oder als „Endkunde“ zu beurteilen seien. Es wäre jedoch entgegen dem Vorbringen der Kommission absurd, Artikel 10 Nummer 12 der Verordnung Nr. 1475/95 dahin auszulegen, dass als ein Weiterverkauf nur Leasingverträge mit Kaufoption anzusehen seien, wonach der Leasingnehmer noch vor Ablauf des Vertrages zum Eigentümer werde. Gemeint sei vielmehr, dass ein Leasingverhältnis dann einem Weiterverkauf gleichstehe, wenn der Leasingnehmer schon mit dem Abschluss des Vertrages oder aber während der Vertragslaufzeit eine Erwerbsoption erhalte. Artikel 10 Nummer 12 der Verordnung betreffe alle Leasingverträge, die einen Übergang des Eigentums oder eine Kaufoption vorsähen.
128 Außerdem habe diese Bestimmung äußerst unterschiedliche Auswirkungen in den Mitgliedstaaten, je nachdem, welche Ausgestaltung des Kraftfahrzeugleasings im jeweiligen Land üblich sei. Leasingverträge würden nach spanischem Recht nicht ohne die Option auf Eigentumserwerb bei Ende des Leasingzeitraums abgeschlossen. Damit sei jedes spanische Leasingunternehmen stets „Wiederverkäufer“.
129 Die Klägerin führt aus, dass der Leasingvertrag nach dem spanischen Gesetz Nr. 26/1988 vom 29. Juli 1988 über die Aufsicht über Kreditinstitute (im Folgenden: Gesetz Nr. 26/1988) begrifflich voraussetze, dass ein Eigentumserwerbsrecht des Leasingnehmers vorgesehen werden müsse. Bestehe kein solches Erwerbsrecht, so gelte der Leasingvertrag als Mietvertrag. Derartige Mietverträge abzuschließen, sei einer Leasinggesellschaft aber aus aufsichtsrechtlichen Gründen untersagt. Die Leasinggesellschaften in Spanien beschränkten sich deshalb auf echte Leasinggeschäfte, die ein Eigentumserwerbsrecht des Leasingnehmers vorsähen. Damit erfüllten alle Leasingverträge, die in diesem Land geschlossen würden, die Voraussetzungen von Artikel 10 Nummer 12 Satz 2 der Verordnung Nr. 1475/95 und seien als Weiterverkauf zu qualifizieren.
130 Wenn die konkrete Verwendung des Fahrzeugs noch nicht feststehe, müsse die Klägerin „zumindest eine Möglichkeit haben, das selektive Vertriebssystem vor unzulässigen, dann nicht mehr kontrollierbaren und feststellbaren Weiterverkäufen zu schützen“.
131 Wenn die Leasinggesellschaften über die Finanzierungsfunktion hinaus als Eigenhändler am Markt auftreten könnten, könnten sie aufgrund größerer Abnahmemengen rasch über Fahrzeugmodelle und erhebliche Preisnachlässe verfügen, ohne zur Erfüllung der Anforderungen an den Kundendienst erhebliche Investitionen und Aufwendungen tätigen und für die verkauften Fahrzeuge Wartungs- und Garantiearbeiten durchführen zu müssen. Bei einem Aufbau von Lagerbeständen durch die Leasinggesellschaften sei die Einhaltung des Qualitätsstandards des selektiven Vertriebssystems nicht gewährleistet, mit dessen Hilfe Neuwagen in technisch einwandfreiem Zustand gelagert und nur nach fachkundiger Übergabedurchsicht an den Kunden ausgeliefert würden. Die Einhaltung dieses Niveaus sei unabdingbare Voraussetzung dafür, den Ruf der Marke Mercedes-Benz zu sichern.
132 Die Beschränkungen von Lieferungen zur Auffüllung der Vorräte von Leasinggesellschaften dienten dazu, eine Umgehung des Lieferungsverbots an Wiederverkäufer zu verhindern; dies sei auch der von der Kommission festgelegte Zweck der Verordnung Nr. 1475/95. Mit ihrer Auffassung, dass diese Lieferungen nicht nach der Verordnung Nr. 1475/95 freigestellt seien, verkenne die Kommission die Grundsätze, die der Gerichtshof in dem in Randnummer 41 genannten Urteil Volkswagen und VAG Leasing sowie im Urteil vom 24. Oktober 1995 in der Rechtssache C‑70/93 (Bayerische Motorenwerke, Slg. 1995, I‑3439) in Bezug auf die Verordnung Nr. 123/85 aufgestellt habe. Nach dieser Rechtsprechung seien Leasingfirmen als Wiederverkäufer anzusehen, wenn sie sich nicht darauf beschränkten, Fahrzeuge zu kaufen, um die Aufträge ihrer Kunden zu erfüllen, sondern Lagerbestände bildeten, „die sie einer hierdurch angezogenen Kundschaft anbieten“.
133 Die Kommission bestreitet das Vorbringen der Klägerin, dass die fraglichen Maßnahmen den Wettbewerb nicht beschränkten.
134 Die Klägerin habe die Absatzmittler daran hindern wollen, Geschäfte größeren Umfangs zu tätigen, die dem Nachfragevolumen von Leasinggesellschaften entsprächen, und daher Skalenvorteile, die mit entsprechenden Volumina normalerweise einhergingen, planvoll an die fraglichen Gesellschaften weiterzugeben.
135 Die Kommission stellt die von der Klägerin vorgenommene Analyse der Verordnung Nr. 1475/95 in Frage und vertritt die Auffassung, diese Verordnung gewähre keine Freistellung für das Verbot der Belieferung der Leasinggesellschaften auf Vorrat oder auf Lager. Die Verordnung erlaube dem Hersteller, seinen Händlern den Weiterverkauf von Neufahrzeugen an Wiederverkäufer zu verbieten, die nicht seinem Vertriebsnetz angehörten, ohne den Vorteil der Freistellung zu verlieren. Artikel 10 Nummer 12 der Verordnung bestimme, wann der Abschluss eines Leasingvertrags als Weiterverkauf anzusehen sei. Dies sei dann der Fall, wenn der Vertrag „den Übergang des Eigentums oder ein Recht auf Eigentumserwerb vor Ablauf der Vertragsdauer vorsieht“. In allen anderen Fällen sei die Leasinggesellschaft als Endabnehmer anzusehen; der Verkauf von Fahrzeugen an sie dürfe nicht verboten oder beschränkt werden. Deshalb sei die von der Klägerin vorgenommene Auslegung von Artikel 10 Nummer 12 der Verordnung Nr. 1475/95 zu weit. Die fraglichen Regelungen in den spanischen Händlerverträgen differenzierten nicht danach, ob nach den Leasingverträgen, die das Leasingunternehmen verwende, ein Leasingfahrzeug vor oder erst nach Ablauf der Vertragsdauer vom Leasingnehmer erworben werden könne (110. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung). Sie verböten vielmehr die Belieferung von Leasinggesellschaften unabhängig davon immer schon dann, wenn auf Vorrat bestellt werde. Dies mache die Leasinggesellschaft aber nicht zum Wiederverkäufer.
136 Der Gefahr, dass Leasinggesellschaften Fahrzeuge aus Lagerbeständen direkt oder vor Ablauf des Vertrages an interessierte Kunden verkauften, könne durch entsprechende vertragliche Gestaltungen begegnet werden, und sie könne nicht dazu führen, dass die Klägerin deren Belieferung bei Bestellungen auf Vorrat verbieten dürfe.
137 Mit Artikel 10 Nummer 12 der Verordnung Nr. 1475/95 solle eine Umgehung des Verbotes der Belieferung von Wiederverkäufern verhindert werden, die Fahrzeuge im Neuzustand veräußerten. Nach dieser Vorschrift liege eine Umgehung immer dann vor, wenn der Leasingnehmer das Recht erhalte, das Eigentum an dem Leasingfahrzeug vor Ablauf des Leasingvertrags zu erhalten. Das Vorliegen einer solchen Umgehung bestimme sich aber nach dem Zeitpunkt, in dem das Eigentum an dem Leasingfahrzeug auf den Leasingnehmer übergehen solle oder doch übergehen könne, nicht aber nach dem Zeitpunkt, in dem der Leasingnehmer bei Vertragsende das Recht auf Eigentumserwerb erhalte. Hinzu komme, dass das in Randnummer 41 genannte Urteil Volkswagen und VAG Leasing sowie das in Randnummer 132 genannte Urteil Bayerische Motorenwerke die Rechtslage nach der Verordnung Nr. 123/85 beträfen, die keine ausdrückliche Regelung für Leasingverträge enthalten habe. Diese Lücke sei durch die Verordnung Nr. 1475/95 geschlossen worden, mit der festgelegt worden sei, dass ein Weiterverkauf dann vorliege, wenn der Leasingnehmer aufgrund der Option das Eigentum an dem Leasingfahrzeug vor Ablauf des Leasingvertrags erwerben könne.
Würdigung durch das Gericht
138 Das Gericht stellt fest, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung u. a. ausgeführt hat, dass die Klägerin selbst oder über MBE vom 1. Oktober 1996 bis zum Erlass der streitigen Entscheidung die Lieferung von Fahrzeugen an Leasinggesellschaften in Spanien zum Zwecke des Aufbaus von Lagerbeständen beschränkt habe und dass diese Beschränkung nicht nach der Verordnung Nr. 1475/95 freigestellt gewesen sei.
139 Im Rahmen des zweiten Teils des vorliegenden Klagegrundes trägt die Klägerin vor, dass § 4 Buchstabe d des spanischen Händlervertrags nicht gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoße und dass jedenfalls das Verbot der Lieferung von Fahrzeugen an Leasinggesellschaften in Spanien zum Zwecke des Aufbaus von Lagerbeständen nach der Verordnung Nr. 1475/95 freigestellt sei.
140 Hierzu stellt die Kommission in der 196. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung fest: „Die Beschränkung der Belieferung von Fremdleasinggesellschaften richtet sich gezielt gegen Leasingunternehmen, die eine größere Anzahl von Fahrzeugen oder ganze Leasing-‚Flotten‘ erwerben wollen, für die sie noch keine individualisierbaren Kunden gefunden haben.“ In der 176. Begründungserwägung stellt sie u. a. fest, dass die Regelungen zum Leasinggeschäft der Händler und Vertreter eine Beschränkung des Preis- und Lieferkonditionenwettbewerbs für Leasingsfahrzeuge bezweckten. Unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung stellt die Kommission fest, dass es nicht erforderlich sei, darzulegen, dass die streitige Maßnahme eine Wettbewerbsbeschränkung bewirke, denn es reiche für die Anwendung von Artikel 81 Absatz 1 EG aus, dass diese Maßnahme eine solche Beschränkung bezwecke (178. Begründungserwägung).
141 Das Gericht weist zunächst darauf hin, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung im Hinblick auf die angeblichen Beschränkungen bei der Belieferung der Leasinggesellschaften nicht zwischen dem deutschen Markt und dem spanischen Markt unterscheidet. Die Kommission nimmt nämlich an, dass § 4 Buchstabe d des spanischen Händlervertrags dieselben Wettbewerbsbeschränkungen wie § 2 Absatz 1 Buchstabe d des Vertrages mit den deutschen Vertretern nach sich gezogen hat (vgl. u. a. 105. bis 111. Begründungserwägung und 176. Begründungserwägung).
142 Aus den von der Klägerin im Rahmen des zweiten Teils des vorliegenden Klagegrundes vorgebrachten Argumenten geht aber hervor, dass im Unterschied zu der Lage in Deutschland die vertraglichen Beziehungen auf dem Gebiet des Leasings in Spanien durch ein besonderes Gesetz, nämlich das Gesetz Nr. 26/1988, geregelt werden.
143 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Zusatzbestimmung Nr. 7 des Gesetzes Nr. 26/1988 insbesondere vorsieht:
„(1) Als Leasinggeschäfte werden Verträge angesehen, deren ausschließlicher Gegenstand in der Übertragung der Nutzung von zu diesem Zweck gemäß den Angaben des späteren Nutzers erworbenen beweglichen oder unbeweglichen Sachen gegen ein Entgelt besteht, das in der periodischen Zahlung eines Mietzinses besteht, auf den sich Absatz 2 dieser Vorschrift bezieht. Der Nutzer kann die übertragenen Gegenstände nur für eigene betriebliche Zwecke landwirtschaftlich, in der Fischerei, industriell, kaufmännisch, handwerklich, als Dienstleister oder beruflich einsetzen. Der Leasingvertrag umfasst notwendig ein Recht auf Eigentumserwerb des Nutzers am Ende des Leasingzeitraums.
Kommt es aus irgendeinem Grund nicht dazu, dass der Nutzer den Gegenstand erwirbt, auf den sich der Vertrag bezieht, so kann der Leasinggeber diesen Gegenstand einem neuen Nutzer übertragen, ohne dass es als Verletzung des im vorstehenden Absatz aufgestellten Grundsatzes anzusehen ist, dass der Gegenstand nicht gemäß den Angaben des neuen Nutzers gekauft worden ist.
(2) Die Verträge, auf die sich diese Vorschrift bezieht, haben eine Mindestlaufzeit von zwei Jahren, wenn sie sich auf bewegliche Sachen, und von zehn Jahren, wenn sie sich auf unbewegliche Sachen oder Industrieanlagen beziehen. Jedoch kann die Regierung, um Missbrauch zu vermeiden, nach den Merkmalen der verschiedenen Gegenstände, auf die sich die Verträge beziehen können, auch andere Mindestlaufzeiten der Verträge festlegen.“
144 Mit Wirkung vom 1. Januar 1996 ist Absatz 2 der Zusatzbestimmung Nr. 7 des Gesetzes Nr. 26/1988 durch Artikel 128 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 43/1995 vom 27. Dezember 1995 über die Körperschaftsteuer (BOE Nr. 310 vom 28. Dezember 1995, S. 37072) ersetzt worden, der Folgendes vorsieht:
„Die Verträge, auf die sich Absatz 1 bezieht, haben eine Mindestlaufzeit von zwei Jahren, wenn sie sich auf bewegliche Sachen, und von zehn Jahren, wenn sie sich auf unbewegliche Sachen oder Industrieanlagen beziehen. Jedoch können im Verordnungswege, um Missbrauch zu vermeiden, nach den Merkmalen der verschiedenen Gegenstände, auf die sich die Verträge beziehen können, auch andere Mindestlaufzeiten der Verträge festgelegt werden.“
145 Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass die Leasingverträge, die in Spanien abgeschlossen werden, u. a. folgenden spezifischen Voraussetzungen unterliegen:
– Sie müssen, was bewegliche Sachen einschließlich Kraftfahrzeuge anbelangt, eine Mindestlaufzeit von zwei Jahren haben.
– Sie müssen notwendig ein Recht auf Eigentumserwerb des Nutzers am Ende des Leasingzeitraums umfassen.
– Die beweglichen Sachen einschließlich Kraftfahrzeuge, die Gegenstand der Leasingverträge sind, müssen zu diesem Zweck von der Leasinggesellschaft gemäß den Angaben des Leasingnehmers gekauft worden sein.
146 Daraus folgt, dass das spanische Gesetz, das die Leasingverträge regelt, verlangt, dass spanische Leasinggesellschaften bereits im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs für den Leasingvertrag einen bestimmten Leasingnehmer haben müssen.
147 Folglich ist die implizit von der Kommission aufgestellte Vermutung in Bezug auf die identischen Auswirkungen der Klauseln in den deutschen und den spanischen Händlerverträgen nicht begründet, was zweierlei Folgen im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes nach sich zieht.
148 Erstens muss jeder in Spanien geschlossene Leasingvertrag eine Mindestlaufzeit von zwei Jahren haben, und das Recht auf Eigentumserwerb kann erst bei Vertragsende ausgeübt werden. Das Recht auf Eigentumserwerb kann somit erst nach Ablauf eines Mindestzeitraums von zwei Jahren ausgeübt werden. Daraus folgt, dass der Leasingnehmer in Spanien dadurch, dass er die Erwerbsoption ausübt, kein Fahrzeug im Neuzustand erwerben kann.
149 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der Verordnung Nr. 1475/95 Vereinbarungen von der Anwendung von Artikel 81 Absatz 1 EG freigestellt sind, in denen sich ein Vertragspartner (der Lieferant) dem anderen (dem Händler) gegenüber verpflichtet, zum Zwecke des Weiterverkaufs bestimmte neue Kraftfahrzeuge sowie in Verbindung damit deren Ersatzteile innerhalb eines abgegrenzten Gebietes des Gemeinsamen Marktes nur an ihn oder nur an ihn und eine bestimmte Anzahl von Unternehmen des Vertriebsnetzes zu liefern (Artikel 1).
150 Nach Artikel 3 Nummer 10 der Verordnung Nr. 1475/95 galt die Freistellung auch, wenn die genannte Verpflichtung mit der Verpflichtung des Händlers verbunden war, an einen Wiederverkäufer Vertragswaren und ihnen entsprechende Waren nur zu liefern, wenn dieser ein Unternehmen des Vertriebsnetzes war. Der Begriff „Weiterverkauf“ war in Artikel 10 Nummer 12 der genannten Verordnung „ungeachtet seiner zivilrechtlichen Zuordnung und der Einzelheiten seiner Durchführung“ definiert als „jedes Geschäft, aufgrund dessen eine natürliche oder juristische Person – der ‚Wiederverkäufer‘ – ein im eigenen Namen und für eigene Rechnung erworbenes Kraftfahrzeug im Neuzustand veräußert“. Ferner hieß es in derselben Nummer: „Dem Weiterverkauf steht jeder Leasingvertrag gleich, der den Übergang des Eigentums oder ein Recht auf Eigentumserwerb vor Ablauf der Vertragsdauer vorsieht.“
151 Diese Verordnung erlaubte es einem Lieferanten im Rahmen der Vereinbarungen, die sein Netz des Alleinvertriebs regeln, den Händlern zu verbieten, einen Käufer zu beliefern, der ein Wiederverkäufer im Sinne von Artikel 10 Nummer 12 oder ein – aufgrund der Tatsache, dass er neue Fahrzeuge im Rahmen von in derselben Vorschrift definierten Leasingverträgen veräußert – einem Wiederverkäufer gleichgestellter Käufer ist.
152 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass sich aus § 4 Buchstabe d des spanischen Händlervertrags klar ergibt, dass das den Händlern auferlegte Verbot nicht für alle Lieferungen an Leasinggesellschaften außerhalb des Mercedes-Benz-Konzerns galt, sondern nur für diejenigen Lieferungen, hinsichtlich deren diese Gesellschaften keinen bestimmten Kunden hatten.
153 Aus der in Artikel 10 Nummer 12 der Verordnung Nr. 1475/95 enthaltenen Definition des Begriffes „Weiterverkauf“ geht aber hervor, dass sich die Möglichkeit des Lieferanten, den Händlern die Lieferung an natürliche oder juristische Personen, die „Wiederverkäufern“ gleichstehen, zu verbieten, auf die Fälle beschränkt, in denen diese Händler Kraftfahrzeuge im Neuzustand veräußern. Diese Gleichstellung des Leasingvertrags mit dem Weiterverkauf soll es dem Lieferanten erlauben, die Unversehrtheit des Vertriebsnetzes dadurch sicherzustellen, dass er es verhindert, dass auf einen Leasingvertrag, der den Übergang des Eigentums oder ein Recht auf Eigentumserwerb vor Ablauf der Vertragsdauer vorsieht, zurückgegriffen wird, um außerhalb des Alleinvertriebsnetzes den Eigentumserwerb an einem noch im Neuzustand befindlichen Fahrzeug zu erleichtern.
154 Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich demnach aus dem Gesetz Nr. 26/1988 nicht, dass jeder spanische Leasingvertrag automatisch die Freistellungsvoraussetzungen erfüllt, die in Artikel 2 Nummer 10 der Verordnung Nr. 1475/95 vorgesehen waren.
155 Nach alledem ist das Vorbringen der Klägerin zur Anwendung der Freistellungsbestimmungen der Verordnung Nr. 1475/95 nicht begründet.
156 Zweitens ergeben sich in Anbetracht der Tatsache, dass das spanische Gesetz verlangt, dass Leasinggesellschaften bereits im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs einen bestimmten Leasingnehmer haben müssen, die von der Kommission in der 176. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung genannten Beschränkungen somit bereits unabhängig von § 4 Buchstabe d des spanischen Händlervertrags aus den anwendbaren Rechtsvorschriften. Mit anderen Worten befinden sich die außerhalb des Mercedes-Benz-Konzerns stehenden Gesellschaften schon allein aufgrund dieser Rechtsvorschriften in derselben Lage wie diejenigen, die diesem Konzern angehören. Daraus folgt, dass das Vorbringen der Klägerin, dass die Beschränkungen für die Belieferung von Leasinggesellschaften in Spanien keine Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG darstellten, durchaus begründet ist.
157 Folglich ist Artikel 1 dritter Gedankenstrich der streitigen Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären, als er sich auf den vermeintlichen in Spanien begangenen Verstoß bezieht.
Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und offensichtlicher Beurteilungsfehler in Bezug auf die von der Kommission in der streitigen Entscheidung festgestellte zweite und vierte Maßnahme
158 Der dritte Klagegrund gliedert sich in zwei Teile. Erstens erklärt die Klägerin, dass die Kommission nicht nachgewiesen habe, dass zwischen der Klägerin und deren deutschen Vertretern eine Vereinbarung bestehe, bei Komm-Kunden eine Anzahlung in Höhe von 15 % des Verkaufspreises des Fahrzeugs zu verlangen. Auf jeden Fall sei die Anzahlung von 15 % objektiv gerechtfertigt, und sie sei berechtigt, ihren Vertretern aufzugeben, sie zu verlangen. Zweitens habe die Kommission in der streitigen Entscheidung zu Unrecht angenommen, dass die neun Mitglieder des belgischen Mercedes-Benz-Händlerverbands in der Sitzung am 20. April 1995 mit der Geschäftsleitung von MBBel eine Vereinbarung über eine Beschränkung des Preiswettbewerbs in Belgien getroffen hätten.
159 Aus den Erwägungen, die das Gericht zum ersten Klagegrund angestellt hat, ergibt sich, dass Artikel 81 Absatz 1 EG nicht auf die Weisung anwendbar ist, die Mercedes-Benz ihren deutschen Vertretern mit dem Rundschreiben Nr. 52/85 vom 12. September 1985 erteilt hat und die dahin ging, von ihren ausländischen Komm-Kunden eine Anzahlung in Höhe von 15 % des Verkaufspreises des Fahrzeugs zu verlangen. Daher ist es nicht erforderlich, den ersten Teil des vorliegenden Klagegrundes zu prüfen.
Vorbringen der Parteien
160 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe zu Unrecht in der streitigen Entscheidung festgestellt, dass die neun Mitglieder des Verbandes der belgischen Mercedes-Benz-Händler in der Sitzung am 20. April 1995 mit der Geschäftsleitung von MBBel eine Vereinbarung über eine Beschränkung des Preiswettbewerbs in Belgien getroffen hätten. Der Verband der belgischen Händler könne für seine Mitglieder keine verbindlichen Beschlüsse fassen, sondern nur Empfehlungen formulieren. Die Wortmeldung des Händlers Kalscheuer bei diesem Treffen, „die Beziehungen der Händler untereinander hätten sich durch die ‚Aktion gegen Schleuderei‘ verbessert“, zeige außerdem, dass diese Maßnahme bereits vorher von den Händlern beschlossen worden sei.
161 Die Klägerin bestreitet nicht, dass MBBel an der Sitzung vom 20. April 1995 teilgenommen hat und dass der Verband der belgischen Händler auf eigene Initiative vorgeschlagen hat, die Höhe der Rabatte für die neue Baureihe W 210 auf maximal 3 % zu beschränken. MBBel habe jedoch weder horizontal noch vertikal an einer Verkaufspreisfestsetzung mitgewirkt und nichts zur Durchführung dieses Vorschlags unternommen, dem sie auch nicht zugestimmt habe. MBBel habe derartige Vorschläge vielmehr stets abgelehnt. Sie sei nur als Beobachter und Importeur zugegen gewesen. In der Tat sei kein Vertreter von MBBel mit einer Wortmeldung erwähnt. Die Tatsache, dass allein MBBel fähig gewesen sei, die Kürzungen der Fahrzeuglieferungen durchzuführen, beweise nicht, dass sich MBBel tatsächlich so verhalten habe.
162 Es treffe nicht zu, dass MBBel in der Sitzung die Interessen der Niederlassungen vertreten habe. Diese seien damals noch keine aktiven Mitglieder des Verbands gewesen. Es liege auch nicht auf der Hand, dass die Niederlassungen ein Interesse an einer Rabattbegrenzung hätten haben können. Dies belege gerade der in dem Sitzungsprotokoll des Verbands festgehaltene Vorwurf des Händlers Goossens, die Niederlassungen hätten Preisschleuderei betrieben. Außerdem hätte der in der streitigen Entscheidung (141. Begründungserwägung) enthaltene Vorwurf einer horizontalen Wettbewerbsbeschränkung, der nicht in die Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgenommen worden sei, nicht in Betracht gezogen werden dürfen. Was das im Folgenden in Randnummer 177 dargelegte Argument der Kommission angehe, zitiere diese ihre Mitteilung der Beschwerdepunkte (vgl. Nummer 186 dieser Mitteilung) selektiv. Überdies sei die vor dem 20. April 1995 durchgeführte „Aktion gegen Schleuderei“ nur insofern als eine „horizontale“ Vereinbarung einzustufen gewesen, als sie zwischen Händlern vereinbart worden sei. Die Kommission habe zwar in Nummer 168 der Mitteilung der Beschwerdepunkte festgestellt, dass MBBel an dieser Aktion gegen Schleuderei teilgenommen habe, aber es liege kein Beweis für eine Beteiligung von MBBel als Wettbewerberin der Händler vor.
163 Unzutreffend sei auch, dass das Schreiben von MBBel an die Mercedes-Benz AG vom 17. Oktober 1995 (119. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung) das Interesse von MBBel an einer moderaten Rabattgewährung durch die belgischen Händler beweise. MBBel habe nämlich die durchschnittlichen Listenpreise angesprochen und nicht die tatsächlich fakturierten Verkaufspreise der Händler. Ebenso bestreite sie, dass das Schreiben von MBBel vom 14. März 1996, in dem ein belgischer Händler aus Charleroi, der sich gegenüber einem Kunden fälschlicherweise als Vertreter eines Händlers in Namur ausgegeben habe, gerügt worden sei, eine Missbilligung MBBels des für ein Fahrzeug der Baureihe W 210 gewährten Nachlasses von 6 % sei.
164 Die Kommission mache widersprüchliche Aussagen zur Teilnahme von MBBel. Einerseits behaupte sie, MBBel sei „bereit“ gewesen, eine Beschränkung der Rabatte „aktiv zu unterstützen“ (115. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung), und dass MBBel diese Vorgangsweise „mitgetragen“ habe (120. Begründungserwägung). Andererseits räume sie ein, dass dem Treffen vom 20. April 1995 eine gewisse Initiative von Seiten der Händler vorausgegangen sei, behaupte aber trotzdem, MBBel habe bei der Sitzung eindeutig die Führung übernommen (233. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung).
165 Die Tatsache, dass Mercedes-Benz den vollständigen Vertriebsauftritt der Vertragshändler gelegentlich durch Testkäufer habe untersuchen lassen, habe nichts mit der angeblichen Verkaufspreisfestsetzung zu tun. Derartige Testkäufe, deren sich auch die anderen Pkw-Marken bedienten, seien völlig legitim, denn die Händler verpflichteten sich im Händlervertrag zu einem qualitativ hochwertigen Marktauftritt. Außerdem sei das Preisverhalten der Händler bei dieser Überprüfung nur einer von vielen Aspekten.
166 Zwischen der Sitzung vom 20. April 1995 und der in Antwerpen am 27. März 1996 (vgl. 117. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung) bestehe kein Zusammenhang. Im Protokoll der Sitzung vom 20. April 1995 sei die Rede davon gewesen, die Verkäufe bis „Ende 1995“ zu überprüfen, während die in dem Sitzungsprotokoll vom 27. März 1996 erwähnten Testkäufe offenbar 1996 stattgefunden hätten.
167 Die Klägerin bestreitet, dass das Fax der MBBel vom 26. November 1996, in dem diese die Firma Tokata SA beauftragt habe, Testkäufer zu den Vertragshändlern und bestimmten Großhändlern zu schicken, es MBBel erlaube, das Nachlassverhalten bei den Modellen der C‑Klasse Break 220 D und Break 250 TD zu untersuchen. Die erhaltenen Informationen seien anonym gewesen, und es sei nicht möglich gewesen, Maßnahmen gegen spezielle Händler zu treffen. Es habe sich um eine umfassende Untersuchung des gesamten Kundendienstes gehandelt und nicht nur um eine Untersuchung der Preisnachlässe. Auch seien nicht nur Händler, sondern auch dreizehn Parallelimporteure aufgesucht worden. Daraus folge, dass aus der Durchführung dieser Aktion nicht geschlossen werden könne, dass es darum gegangen sei, bei den Händlern die Listenpreise durchzusetzen. Im Übrigen enthalte das Fax keinen Hinweis darauf, dass die Betroffenen einen Rabatt von maximal 3 % vorgezogen hätten. Die Klägerin fügt hinzu, dass das Protokoll der Sitzung vom 20. April 1995 andere Fahrzeugbaureihen betroffen habe als die, um die es im Fax der MBBel vom 26. November 1996 an die Firma Tokata gegangen sei.
168 Es sei unzutreffend, dass die angebliche Verkaufspreisfestsetzung in Belgien den zwischenstaatlichen Handel spürbar beeinträchtigt habe. Wenn festgestellt werden sollte, dass tatsächlich eine Vereinbarung über Rabatte getroffen worden sei, so habe diese nur Verkäufe in Belgien betroffen. Der Umfang der grenzüberschreitenden Verkäufe sei dadurch nicht beeinflusst worden. Es treffe auch nicht zu, dass die angebliche Zuwiderhandlung vom 20. April 1995 bis zu dem Rundschreiben vom 10. Juni 1999 fortgedauert habe. Die Kommission habe keine Ausführungen darüber gemacht, ob die Zuwiderhandlung immer mit der gleichen Intensität begangen worden sei. Die im Sitzungsprotokoll vom 20. April 1995 erwähnte „Aktion gegen Schleuderei“ sei von vorübergehender Art gewesen, habe sich nur auf das Modell W 210 bezogen und habe nur während der Phase der Einführung des neuen Modells gelten sollen, d. h. bis Ende 1995. Hierzu ergebe sich aus dem Sitzungsprotokoll vom 27. März 1996, dass die Händler von Antwerpen festgestellt hätten, dass über eine Abstimmung der Rabatte kein Konsens bestehe. Die übrigen von der Kommission zitierten Dokumente belegten darüber hinaus nicht, dass die vorgeschlagene Aktion über 1995 hinaus durchgeführt worden sei. Sie bezögen sich nur auf Testkäufe, die routinemäßig stattfänden und deren Ergebnisse anonymisiert worden seien, so dass es nicht möglich gewesen wäre, irgendwelche Sanktionen gegen einzelne Händler zu treffen.
169 Es sei nicht gerechtfertigt, ihr die Verkaufspreisfestsetzung in Belgien zuzurechnen.
170 Zunächst sei festzustellen, dass die Kommission im vorliegenden Fall von ihrer Praxis der Geldbußenfestsetzung gegen ein Unternehmen oder dessen Konzern abgewichen sei. Die Kommission hätte verschiedene Gesichtspunkte berücksichtigen müssen: das Ausmaß der autonomen Handlungsbefugnis der Tochtergesellschaft, den Umfang der Kenntnis der Muttergesellschaft von den kartellrechtswidrigen Aktivitäten der Tochtergesellschaft, die Beteiligung der Muttergesellschaft an dem Wettbewerbsverstoß, die konkrete Einflussnahme der Muttergesellschaft auf die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft und die Frage, ob eine Personenidentität der Organe von Mutter- und Tochtergesellschaft bestehe (vgl. Entscheidung 87/1/EWG der Kommission vom 2. Dezember 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] [IV/31.128 – Fettsäuren], ABl. 1987, L 3, S. 17, Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] [IV/31.149 – Polypropylen], ABl. L 230, S. 1, Entscheidung 85/617/EWG der Kommission vom 16. Dezember 1985 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] [IV/30.839 – Sperry New Holland], ABl. L 376, S. 21, Entscheidung 84/388/EWG der Kommission vom 23. Juli 1984 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] [IV/30.988 – Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Flachglassektor in den Benelux-Ländern], ABl. L 212, S. 13, und Entscheidung 78/155/EWG der Kommission vom 23. Dezember 1977 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81] des Vertrages [IV/29.146 – BMW Belgium N.V. und belgische BMW-Vertragshändler], ABl. L 46, S. 33). Gerade im Automobilsektor seien die jeweiligen nationalen Vertriebstöchter als verantwortlich angesehen worden, wenn sich die Zuwiderhandlung im jeweiligen Mitgliedstaat habe lokalisieren lassen (Entscheidung 2001/146/EG der Kommission vom 20. September 2000 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG [Sache COMP/36.653 – Opel], ABl. 2001, L 59, S. 1).
171 Das Vorbringen der Kommission, die Klägerin sei für das Verhalten von MBBel verantwortlich, da ihre Beteiligung annähernd 100 % betrage, sei unbegründet. Nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 2000 in der Rechtssache C‑286/98 P (Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, Slg. 2000, I‑9925, Randnrn. 28 ff.) reiche eine 100 %ige Beteiligung für sich genommen nicht aus, um eine kartellrechtliche Haftung der Muttergesellschaft zu begründen. Die Kommission müsse vielmehr mit Hilfe von zusätzlichen Tatsachenbelegen nachweisen, dass die Klägerin auch tatsächlich Einfluss auf das Verhalten von MBBel ausgeübt habe. Die Klägerin bestreitet, Kenntnis von den Aktivitäten von MBBel gehabt und diese aktiv unterstützt zu haben. Die Kommission habe keinen Beleg dafür vorgelegt, dass Mercedes-Benz über das Treffen des Händlerverbands vom 20. April 1995 informiert worden wäre. Selbst wenn sich MBBel an der „Aktion gegen Preisschleuderei“ beteiligt hätte, wäre dies ohne ihre Zustimmung geschehen. In ihrer Erwiderung fügt die Klägerin hinzu, dass die Kommission mit der Begründung, dass sich Mercedes-Benz im Verwaltungsverfahren als alleiniger Gesprächspartner der Kommission für die Zuwiderhandlung in Belgien präsentiert habe, zu Unrecht sie als beweispflichtig dafür ansehe, dass ihr diese Zuwiderhandlung nicht zuzurechnen sei. Die Kommission müsse nachweisen, dass Mercedes-Benz von angeblichen Maßnahmen zur Verkaufspreisfestsetzung unterrichtet gewesen sei und diese „aktiv gefördert“ habe.
172 Die Kommission vertritt die Auffassung, dass MBBel am 20. April 1995 zusammen mit dem Verband der belgischen Händler eine Vereinbarung zur Begrenzung der genehmigten Rabatte auf 3 % getroffen habe, deren Nichteinhaltung zu einer Kürzung der Fahrzeugzuteilung habe führen sollen. Die Klägerin sei für diesen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln verantwortlich, weil sie zusammen mit MBBel eine wirtschaftliche Einheit bilde.
173 Es bestehe nicht der geringste Zweifel, dass die Teilnehmer an der Sitzung vom 20. April 1995 „Maßnahmen gegen Preisschleuderei“ ergriffen hätten, denn in dem Protokoll dieser Sitzung habe der Verfasser des Protokolls, Herr Rauw, klar zwischen den Erklärungen, den mehr oder weniger nachdrücklichen Forderungen, den Ratschlägen und Empfehlungen sowie den Einschätzungen, Vorwürfen und Absichtserklärungen der Teilnehmer unterschieden. Außerdem zeigten der Absatz über die Durchführung von Testkäufen, das Preisverhalten der Brüsseler MBBel-Niederlassungen und die Verringerung der Quoten im Fall höherer Preisnachlässe als 3 %, dass sich die Diskussion gerade auf das Ergreifen von Maßnahmen bezogen habe, und das mit Beteiligung von MBBel.
174 Darüber hinaus erklärt die Kommission das Vorbringen der Klägerin für unerheblich, dass das Sitzungsprotokoll nicht die geringste Wortmeldung von MBBel festhalte, dass MBBel an der Sitzung als Importeur und nicht als Vertreter seiner Niederlassungen teilgenommen habe und dass der Verband der Händler keine verbindlichen Beschlüsse habe fassen können. Wer an einer Sitzung teilnehme, auf der wettbewerbswidrige Absprachen getroffen würden, müsse widersprechen, um deutlich zu machen, dass er sich an der Absprache nicht beteilige. Das Protokoll der Sitzung vom 20. April 1995 halte einen solchen Widerspruch von MBBel aber nicht fest. Das Unternehmen habe der Rabattbeschränkung auf 3 % sogar zugestimmt. Andernfalls hätte Herr Rauw nicht festhalten können, dass bei einem Überschreiten dieser Grenze die Fahrzeugzuteilung gekürzt würde, denn er habe gewusst, dass dazu allein MBBel in der Lage gewesen sei.
175 MBBel habe entgegen dem Vorbringen der Klägerin (vgl. oben, Randnr. 162) ein Interesse an der Beendigung der Preisschleuderei gehabt. Es habe für MBBel wenig Sinn ergeben, durchschnittliche Preise auf einem hohen Niveau zu halten, wenn die Händler immer größere Rabatte gewährten und so die Glaubwürdigkeit der Listenpreise erschütterten. Außerdem beliefere MBBel als Importeur nicht nur die belgischen Händler, was ein Vertikalverhältnis begründe, sondern über ihre Brüsseler Niederlassungen auch direkt Endabnehmer, was das von der Klägerin in Abrede gestellte Horizontalverhältnis zwischen MBBel und ihren Händlern begründe.
176 Herr Goossens vom Verband der belgischen Händler habe es für eine Beschuldigung der Niederlassungen wegen Preisschleuderei offensichtlich nicht für nötig gehalten, dass neben den zahlreichen leitenden Mitarbeitern von MBBel auch noch Vertreter der Niederlassungen an der Sitzung am 20. April 1995 teilnähmen. Es sei offensichtlich, dass MBBel nicht nur als Lieferant, sondern auch als Wettbewerber der Händler angesprochen worden sei und sich an der Vereinbarung über die Maßnahme zur Begrenzung des Nachlassverhaltens in beiden Funktionen beteiligt habe.
177 Entgegen den Behauptungen der Klägerin (siehe oben, Randnr. 162) habe sich die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht auf den vertikalen Wettbewerb beschränkt. Die Kommission habe (in Nummer 222 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) dargelegt, dass die zwischen MBBel und den Händlern vereinbarte Aktion gegen Preisschleuderei und die Überprüfung des Nachlassverhaltens mit Kürzung der Fahrzeugzuteilung bei Gewährung von mehr als 3 % Nachlass eine Beschränkung des Preiswettbewerbs in Belgien bezweckt hätten. MBBel werde nicht nur als Partei einer Vereinbarung angesprochen, die die Durchsetzung einer Absprache zur Beschränkung der Rabattgewährung durch Lieferkürzung zum Gegenstand habe, sondern generell als Teilnehmer an einer Vereinbarung, die auf Beschränkung der Nachlässe, auf Überprüfung des Nachlassverhaltens der Händler und auf Kürzung der Fahrzeugzuteilung bei Nachlassgewährung über 3 % abziele. Die Klägerin könne die Teilnahme von MBBel an der Vereinbarung nicht als neue rechtliche Wertung einstufen, denn in der Mitteilung der Beschwerdepunkte habe die Kommission darauf hingewiesen, dass MBBel bereits vor dem 20. April 1995 an einer – im Wesentlichen horizontalen – Preisabsprache teilgenommen habe, und zwar an der „Aktion gegen Preisschleuderei“. Die zivilrechtliche Verbindlichkeit sei keine Voraussetzung für das Vorliegen einer Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG (Urteil des Gerichtshofes vom 11. Januar 1990 in der Rechtssache C‑277/87, Sandoz/Kommission, Slg. 1990, I‑45, Randnr. 13) (vgl. oben, Randnr. 160).
178 Die streitige Entscheidung beweise, dass die belgischen Händler mit den angekündigten Testkäufen hätten rechnen müssen und dass MBBel sehr daran gelegen gewesen sei, dass die Händler ihre effektiven Wiederverkaufspreise so hoch wie möglich hielten (117. und 119. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung). Das Vorbringen der Klägerin, dass die einzelnen Einschätzungen über die verschiedenen Händler anonym seien, treffe nicht zu. Die Anonymität dieser Einschätzungen sei schon in dem Protokoll der Sitzung vom 27. März 1996 nicht durchgehalten worden, denn der Händler van Steen NV sei darin namentlich genannt worden. Im Übrigen sei es gar nicht erforderlich gewesen, die individuellen Nachlässe, die die fünf getesteten Händler einzuräumen bereit gewesen seien, im Protokoll aufgeschlüsselt anzugeben, denn es sei offenkundig gewesen, dass jeder Händler mehr als die vom Verband zugelassenen 3 % vorgeschlagen habe. Auf angebliche spätere Meinungsunterschiede unter den Händlern über die Höhe der Nachlässe könne es nicht ankommen, zumal die streitige Vereinbarung sie u. a. gegenüber MBBel gebunden habe.
179 Der Auftrag an die Firma Tokata vom 26. November 1996 zeige, dass das Rabattverhalten der Händler im Rahmen der Testkäufe eine wichtige Rolle gespielt habe, entgegen dem Vorbringen der Klägerin, die darin nur einen unter mehreren Aspekten sehe (siehe oben, Randnr. 165). Der wirkliche Zweck des Auftrags sei es gewesen, die Reaktion der 47 belgischen Händler auf das Verlangen eines Nachlasses von 7 % zu testen.
180 Die Klägerin bestreite jeglichen Zusammenhang zwischen der Vereinbarung vom 20. April 1995 einerseits sowie den Testkäufen bei den fünf Händlern der Region Antwerpen im Frühjahr 1996 und dem Auftrag vom November 1996 zur Durchführung von Testkäufen bei sämtlichen belgischen Händlern (siehe oben, Randnr. 166) andererseits. Die mit der Vereinbarung vom 20. April 1995 auf Ende 1995 festgelegte zeitliche Beschränkung beziehe sich nur auf die vereinbarte spezifische Sanktion, nämlich die Kürzung der Fahrzeugzuteilung, und nicht auf die Festlegung der Rabattobergrenze auf 3 %. Sie behaupte nicht, dass die Testkäufe in Durchführung des Beschlusses vom 20. April 1995 erfolgt seien, wohl aber, dass sie belegten, dass die Händler mit derartigen Aktionen hätten rechnen müssen. Außerdem habe MBBel am 14. März 1996 ihre Missbilligung darüber zum Ausdruck gebracht, dass der Verkäufer eines Händlers aus Charleroi ein Fahrzeug der Baureihe W 210 mit einem Rabatt von 6 % verkauft habe.
181 Was die von der Klägerin in Abrede gestellte spürbare Beeinträchtigung des innergemeinschaftichen Handels betreffe (siehe oben, Randnr. 168), sei die Schaffung und Aufrechterhaltung einer künstlichen Hochpreiszone geeignet, zu Handelsströmen zu führen, die von den normalen Handelsströmen abwichen. Die Rechtsprechung zeige, dass wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen, die sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckten, schon ihrem Wesen nach die Wirkung hätten, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen (Urteil Bayerische Motorenwerke, zitiert in Randnr. 131, Randnr. 20, Urteil des Gerichtshofes vom 19. Februar 2002 in der Rechtssache C‑309/99, Wouters, Slg. 2002, I‑1577, Randnr. 95, und Urteil des Gerichts vom 6. Juli 2000 in der Rechtssache T‑62/98, Volkswagen/Kommission, Slg. 2000, II‑2707, Randnr. 179).
182 Die Kommission wirft der Klägerin vor, die Festlegung der Verkaufspreise in Belgien erst mit dem Rundschreiben vom 10. Juni 1999 beendet zu haben (223. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung). Sie bekräftigt erneut, dass das in dem Protokoll der Sitzung vom 20. April 1995 angegebene Datum, d. h. Ende 1995, ausschließlich die Sanktion in Form der Kürzung der Fahrzeugzuteilung betroffen habe und nicht die Vereinbarung über die Begrenzung der Rabatte auf 3 %. Das Rabattverhalten der Händler sei auch 1996 überprüft worden (117. und 118. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung). Außerdem habe sich diese Kontrolle keineswegs auf Fahrzeuge der Baureihe W 210 beschränkt, sondern auch andere Fahrzeugklassen, hier die C‑Klasse, einbezogen. Die Fortsetzung der Testkäufe mit Schwerpunkt auf der am 20. April 1995 beschlossenen Kontrolle des Nachlassverhaltens der Händler, die Einbeziehung auch anderer Baureihen in die Aktion und die Kritik an der Gewährung zu hoher Rabatte (119. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung) belegten, dass es sich bei der Vereinbarung vom 20. April 1995, die ausweislich des Protokolls auch bereits eine Vorgeschichte gehabt habe, keineswegs nur um eine isolierte und vorübergehende Einzelmaßnahme gehandelt habe. Im gleichen Sinne bezieht sich die Kommission auch auf das Vorbringen der Klägerin, dass die Preisvereinbarung dazu gedient habe, die Profitabilität der Händler zu verbessern. Nach Auffassung der Kommission konnte ein derartiges Ziel nicht durch eine auf einige Monate beschränkte Maßnahme erreicht werden.
183 Nach Ansicht der Kommission sind die vorstehend in den Randnummern 169 bis 171 dargelegten Argumente der Klägerin zu deren Haftung in diesem Fall nicht begründet. Die Verantwortlichkeit der Klägerin für das Verhalten von MBBel folge bereits daraus, dass diese Gesellschaft zu nahezu 100 % im Besitz der Klägerin gestanden habe und aufgrund dieser gesellschaftsrechtlichen Abhängigkeit keine eigenständige Vertriebspolitik habe verfolgen können, sondern mit der Klägerin eine wirtschaftliche Einheit gebildet habe.
184 Erstens müsse die Kommission, wenn, wie hier, die Muttergesellschaft zu 100 % an der Tochtergesellschaft beteiligt sei, nicht beweisen, dass die Muttergesellschaft der Tochter tatsächlich Weisungen erteile, die die Tochtergesellschaft befolge. Das oben in Randnummer 171 genannte Urteil Stora Kopparbergs Bergslags, auf das die Klägerin verweise, zeige, dass in einem solchen Fall die Annahme berechtigt sei, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausgeübt habe, insbesondere wenn sie sich gegenüber der Kommission in Bezug auf die betreffende Zuwiderhandlung als alleiniger Gesprächspartner präsentiert habe. Unter diesen Umständen habe es der Rechtsmittelführer Stora oblegen, diese Annahme durch hinreichende Beweise zu entkräften. Ebenso habe sich die Klägerin im vorliegenden Fall als ihre alleinige Gesprächspartnerin für die Zuwiderhandlung in Belgien präsentiert. Sie habe auch nicht bestritten, zu einer entscheidenden Beeinflussung des Marktverhaltens der fraglichen Tochtergesellschaft in der Lage gewesen zu sein. Auch habe sie nicht den geringsten Beweis dafür vorgelegt, dass MBBel sich habe eigenständig verhalten können.
185 Der Klägerin seien die Bemühungen von MBBel um Beibehaltung hoher Durchschnittspreise bekannt gewesen (119. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung).
Würdigung durch das Gericht
186 Zunächst weist das Gericht darauf hin, dass die Klägerin kritisiert, dass die Kommission hinsichtlich der sich auf die Kaufpreisfestsetzung in Belgien beziehenden Zuwiderhandlung erstmals in der streitigen Entscheidung behauptet habe, dass MBBel an einer horizontalen Wettbewerbsbeschränkung beteiligt gewesen sei. Die streitige Entscheidung enthält in der Tat den Hinweis, dass „MBBel sowohl als Wettbewerber der Händler auf[trat], nämlich als Betreiber zweier Niederlassungen, als auch als Lieferant der Händler“. Außerdem vertritt die Kommission in der streitigen Entscheidung die Ansicht, auf dem letztgenannten, vertikalen Aspekt habe eindeutig der „Schwerpunkt der Vereinbarung“ gelegen (141. Begründungserwägung).
187 Das Gericht ist der Auffassung, dass dieses Vorbringen, wenngleich die Klägerin dies nicht ausdrücklich geltend macht, als eine Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auszulegen ist.
188 Aus Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 und den Artikeln 2 und 4 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268) ergibt sich, dass die Kommission die Beschwerdepunkte, die sie gegenüber den beteiligten Unternehmen und Verbänden vorbringt, mitzuteilen hat und in ihren Entscheidungen nur Beschwerdepunkte in Betracht ziehen kann, zu denen diese sich sachgerecht in Bezug auf das Vorliegen und die Einschlägigkeit der Tatsachen, die Beschwerdepunkte und die von der Kommission vorgebrachten Umstände haben äußern können (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnr. 9, und des Gerichts vom 18. Dezember 1992 in den Rechtssachen T‑10/92 bis T‑12/92 und T‑15/92, Cimenteries CBR u. a./Kommission, Slg. 1992, II‑2667, Randnr. 33).
189 Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Beschwerdepunkte in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, dass die Betroffenen tatsächlich erkennen können, welches Verhalten ihnen die Kommission zur Last legt. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Mitteilung der Beschwerdepunkte nämlich den ihr durch die Gemeinschaftsverordnungen zugewiesenen Zweck erfüllen, der darin besteht, den Unternehmen alle erforderlichen Angaben zur Verfügung zu stellen, damit sie sich sachgerecht verteidigen können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt (vgl. u. a. Urteile des Gerichts vom 14. Mai 1998 in den Rechtssachen T‑352/94, Mo och Domsjö/Kommission, Slg. 1998, II‑1989, Randnr. 63, T‑348/94, Enso Española/Kommission, Slg. 1998, II‑1875, Randnr. 83, und T‑308/94, Cascades/Kommission, Slg. 1998, II‑925, Randnr. 42). Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung ist diesem Erfordernis Genüge getan, wenn die Entscheidung den Betroffenen keine anderen Zuwiderhandlungen als die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genannten zur Last legt und nur Tatsachen berücksichtigt, zu denen die Betroffenen sich haben äußern können (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnr. 94, und Urteil des Gerichts vom 30. September 2003 in den Rechtssachen T‑191/98 und T‑212/98 bis T‑214/98, Atlantic Container u. a./Kommission, Slg. 2003, II‑3275, Randnr. 113). Die endgültige Entscheidung der Kommission braucht jedoch nicht notwendig ein Abbild der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu sein (Urteil des Gerichtshofes vom 7. Januar 2004 in den Rechtssachen C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Aalborg Portland u. a./Kommission, Slg. 2004, 403, Randnr. 67, und Urteil ACF Chemiefarma/Kommission, Randnr. 91).
190 Im Licht dieser Grundsätze ist die Rüge der Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör zu beurteilen.
191 Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob der Vorwurf, dass MBBel an einer horizontalen Wettbewerbsbeschränkung beteiligt gewesen sei, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte so klar zum Ausdruck gekommen ist, dass die Klägerin ihn tatsächlich erkennen konnte.
192 Das Gericht ist der Auffassung, dass ein Unternehmen in der Lage ist, auf den gegen es erhobenen Vorwurf zu erwidern und seine Rechte wahrzunehmen, wenn die Mitteilung der Beschwerdepunkte einen klaren Hinweis auf die Art der ihm zur Last gelegten wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung und die insoweit angeführten wesentlichen Tatsachen enthält. Eine spätere Darstellung der Beschwerdepunkte in der von der Kommission erlassenen Entscheidung, die eine wirtschaftliche Vereinbarung als „vertikal“ oder als „horizontal“ bezeichnet, ist keine materielle Änderung der Beschwerdepunkte, wie sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargestellt worden sind.
193 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte weder auf den horizontalen noch auf den vertikalen Aspekt der fraglichen Zuwiderhandlung explizit eingegangen ist und folglich die angebliche Zuwiderhandlung nicht als „horizontal“ oder als „vertikal“ bezeichnet hat. Die Klägerin bestreitet indessen nicht, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte kurz die Gründe dargelegt hat, derentwegen MBBel vorgeworfen wird, mit den belgischen Händlern eine Vereinbarung über die Bestimmung der Verkaufspreise der Mercedes-Fahrzeuge in Belgien geschlossen zu haben. Daraus folgt, dass die Tatsachen und die wesentlichen Kritikpunkte am Verhalten von MBBel, die die Kommission in der streitigen Entscheidung berücksichtigt hat, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte zum Ausdruck gekommen sind. Es ist auch daran zu erinnern, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung den vertikalen Aspekt der angeblichen Zuwiderhandlung als zentral angesehen hat und dass der horizontale Aspekt dieser Zuwiderhandlungen nur ganz beiläufig erwähnt worden ist.
194 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass es zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht erforderlich war, dass die Kommission die fragliche Zuwiderhandlung in ihrer Mitteilung der Beschwerdegründe ausdrücklich als vertikal oder als horizontal qualifizierte.
195 Vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass die Klägerin sich damit begnügt, diese Rüge vorzubringen, ohne anzugeben, inwieweit ihr dadurch, dass die Kommission den „horizontalen“ Aspekt der fraglichen Zuwiderhandlung vor Erlass der streitigen Entscheidung nicht erwähnt hat, ein Schaden verursacht worden ist. Zum einen ergibt sich aus den Akten, dass die Klägerin auf die Kritik erwidert hat, die die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte im Hinblick auf die Festsetzung der Verkaufspreise in Belgien vorgebracht hat. Die Klägerin hat jedoch in ihrer Klage nicht geltend gemacht, dass ihre Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte materiell anders ausgefallen wäre, wenn diese das Wort „horizontal“ enthalten hätte. Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass aus dem Teil der streitigen Entscheidung, der sich auf die Festsetzung der Geldbuße wegen der fraglichen Zuwiderhandlung bezieht, ersichtlich ist, dass sich die Kommission bei dieser Festsetzung nicht explizit auf den horizontalen Aspekt der Zuwiderhandlung gestützt hat (245. bis 248. Begründungserwägung).
196 Aus der streitigen Entscheidung ergibt sich, dass die Kommission der Ansicht war, dass am 20. April 1995 zwischen MBBel und dem Verband der belgischen Mercedes-Benz-Händler eine Vereinbarung zur Beschränkung des Preiswettbewerbs in Belgien getroffen worden sei, die darin bestanden habe, Nachlässe auf 3 % zu beschränken und das Nachlassverhalten bei der E-Klasse durch eine externe Agentur überprüfen zu lassen, wobei höhere Nachlässe zu Kürzungen bei der Zuteilung von Fahrzeugen dieser Klasse führen sollten (113. und 177. Begründungserwägung).
197 Das Gericht weist darauf hin, dass in dem Protokoll der fraglichen Sitzung im Abschnitt mit der Überschrift „Aktion gegen Preisschleuderei“ Folgendes ausgeführt worden ist: „[D]ie Beziehungen zwischen den Händlern haben sich durch diese Aktion verbessert. [Ein Händler – Herr Goossens] wirft den Brüsseler Niederlassungen Schleuderei vor. Es wird eine externe Agentur eingeschaltet werden, um durch ‚ghost shopping‘ das Niveau der Nachlässe für den W 210 zu prüfen. Bei mehr als 3 % Nachlass wird die Fahrzeugzuteilung bis Ende 1995 gekürzt werden.“
198 Die Klägerin räumt ein, dass bei der Sitzung vom 20. April 1995, an der MBBel teilgenommen habe, der Verband der belgischen Mercedes-Benz-Händler die Einschaltung einer Agentur erwähnt habe, die damit beauftragt worden sei, Besuche durch Testkäufer durchzuführen. Die Klägerin ist allerdings der Auffassung, dass der Verband keine für seine Mitglieder verbindlichen Beschlüsse fassen und nur „Empfehlungen“ aussprechen könne. Sie weist ferner darauf hin, dass MBBel keine Maßnahme zur Durchführung dieser Empfehlungen getroffen habe und diesen auch nicht zugestimmt habe. MBBel sei nur als Beobachter und Importeur zugegen gewesen und habe sich bei der Sitzung nie zu Wort gemeldet. Selbst wenn es eine Beschränkung der Nachlässe gegeben hätte, hätte diese außerdem keine spürbare Auswirkung auf den zwischenstaatlichen Handel gehabt.
199 Nach ständiger Rechtsprechung reicht es für eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 EG aus, dass die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in bestimmter Weise zu verhalten (Urteil ACF Chemiefarma/Kommission, zitiert in Randnr. 189, Randnr. 112, Urteil des Gerichtshofes vom 29. Oktober 1980 in den Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Van Landewyck u. a./Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnr. 86, und Urteil des Gerichts vom 20. April 1999 in den Rechtssachen T‑305/94 bis T‑307/94, T‑313/94 bis T‑316/94, T‑318/94, T‑325/94, T‑328/94, T‑329/94 und T‑335/94, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, „PVC II“ , Slg. 1999, II‑931, Randnr. 715).
200 Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, auf die in der Rechtsprechung abgestellt wird, verlangen nicht die Ausarbeitung eines eigentlichen „Plans“; sie sind vielmehr im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Es ist zwar richtig, dass dieses Selbständigkeitspostulat nicht das Recht der Unternehmen beseitigt, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potenziellen Mitbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, zu dem man sich selbst entschlossen hat oder das man in Erwägung zieht (Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, zitiert in Randnr. 41, Randnrn. 173 und 174, und Urteil PVC II, zitiert in Randnr. 199, Randnr. 720).
201 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission bei Streitigkeiten über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und die Beweismittel beizubringen hat, die das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend belegen (Urteil des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1998 in der Rechtssache C‑185/95 P, Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1998, I‑8417, Randnr. 58).
202 Sobald allerdings nachgewiesen ist, dass ein Unternehmen an Sitzungen von Unternehmen mit offensichtlich wettbewerbswidrigen Zwecken teilgenommen hat, obliegt es diesem Unternehmen, Umstände darzutun, aus denen sich seine fehlende wettbewerbswidrige Einstellung bei der Teilnahme an den Sitzungen ergibt, und nachzuweisen, dass es seine Wettbewerber auf seine andere Zielsetzung hingewiesen hat (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes vom 8. Juli 1999 in der Rechtssache C 199/92 P, Hüls/Kommission, Slg. 1999, I‑4287, Randnr. 155, und in der Rechtssache C 235/92 P, Montecatini/Kommission, Slg. 1999, I‑4539, Randnr. 181). Fehlt es an einem solchen Distanzierungsbeweis, so ist die Tatsache, dass sich ein Unternehmen den Ergebnissen von solchen Sitzungen nicht beugt, nicht geeignet, es von seiner vollen Verantwortlichkeit für seine Teilnahme am Kartell zu entlasten (Urteile des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑347/94, Mayr-Melnhof/Kommission, Slg. 1998, II‑1751, Randnr. 135, und vom 15. März 2000 in den Rechtssachen T‑25/95, T‑26/95, T‑30/95 bis T‑32/95, T‑34/95 bis T‑39/95, T‑42/95 bis T‑46/95, T‑48/95, T‑50/95 bis T‑65/95, T‑68/95 bis T‑71/95, T‑87/95, T‑88/95, T‑103/95 und T‑104/95, Cimenteries CBR u. a./Kommission, Slg. 2000, II‑491, Randnr. 1389).
203 Das Gericht weist darauf hin, dass MBBel bei der Sitzung des Händlerverbands vom 20. April 1995 unbestreitbar zugegen war, in deren Verlauf der Fortbestand der „Preisschleuderei“ und die Absicht zur Sprache kamen, Maßnahmen zu ergreifen, um über 3% hinausgehende Nachlässe aufzuspüren und von ihnen abzuschrecken. Es ist nämlich festzustellen, dass mehrere hohe Verantwortliche von MBBel bei dieser Sitzung anwesend waren und dass deren Protokoll von Herrn Rauw, dem für die Händlerentwicklung bei MBBel Zuständigen, erstellt wurde (vgl. insbesondere 115. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung). Demnach werden die Argumente der Klägerin dafür, dass MBBel bei der fraglichen Sitzung eine geringere Rolle gespielt habe (vgl. oben, Randnr. 161), durch den Akteninhalt nicht bestätigt. Das Gericht ist der Auffassung, dass die Teilnahme dieser Verantwortlichen von MBBel an der fraglichen Sitzung entgegen dem Vorbringen der Klägerin zeigt, dass MBBel bei diesen Diskussionen eine zentrale Rolle gespielt hat.
204 Daher durfte die Kommission, weil MBBel nicht bewiesen hat, dass sie sich von den Diskussionen über die Preisnachlässe distanziert hat, sehr wohl der Auffassung sein, dass MBBel durch ihre vorbehaltlose Anwesenheit bei der Sitzung vom 20. April 1995, in deren Verlauf das Ziel der „Bekämpfung der Preisschleuderei“ klar thematisiert wurde, an der Willensübereinkunft beteiligt war, die zu den Maßnahmen führte, die darauf abzielten, die fraglichen Nachlässe aufzuspüren und von ihnen abzuschrecken.
205 Außerdem kommt es nicht darauf an, dass die Niederlassungen von MBBel, wie die Klägerin behauptet, seinerzeit keine aktiven Mitglieder des Händlerverbands waren, weil die Teilnahme von MBBel an der wettbewerbswidrigen Absprache bewiesen worden ist.
206 Auch ist in Übereinstimmung mit der Kommission festzustellen, dass allein MBBel in der Lage war, die in der Sitzung vom 20. April 1995 ausgesprochene Drohung, die Zuteilungsquote der Fahrzeuge zu verringern, in die Tat umzusetzen. Dass sie bei dieser Gelegenheit geschwiegen hat, kann nicht anders interpretiert werden denn als eine Billigung von und ein Beitritt zu der bereits von den belgischen Händlern beschlossenen „Aktion gegen Schleuderei“, insbesondere weil die Drohung mit der Verringerung der Quote für die Zuteilung von Fahrzeugen bis zum Ende des Jahres 1995 bei über 3 % hinausgehenden Nachlässen, die in der fraglichen Sitzung ausgesprochen wurde, eine aktive Teilnahme von MBBel als Lieferant der Händler erforderlich machte und der fraglichen Absprache Nachdruck verlieh.
207 Dass das genannte Unternehmen in der Sitzung vertreten war, ohne dass es sich öffentlich von deren Inhalt distanziert hätte, vermittelte den anderen Teilnehmern folglich den Eindruck, dass es sich dem Ergebnis der Sitzung anschloss und durch eigenes Verhalten zu den gemeinsamen Zielen aller Teilnehmer beizutragen gedachte. Das Gericht ist auch der Auffassung, dass die Einleitung der „Aktion gegen Schleuderei“ schon vor der Sitzung nicht der Ansicht der Kommission entgegensteht, dass MBBel sich an einem am 20. April 1995 für die zukünftigen Preise gefassten Beschluss beteiligt hat und bereit war, von diesem Tag an die Preisfestsetzung, die Kontrolle der von den Händlern verlangten Preise und gegebenenfalls die Anwendung von Sanktionen im Fall der Nichtbeachtung der Weisungen aktiv zu unterstützen.
208 Das Gericht ist der Auffassung, dass das Argument der Klägerin nicht überzeugt und zurückzuweisen ist, wonach es völlig legitim gewesen sei, dass MBBel gelegentlich, weil sich die Händler im Händlervertrag zu einem qualitativ hochwertigen Marktauftritt verpflichtet hätten, den vollständigen Vertriebsauftritt der Vertragshändler hat untersuchen lassen (vgl. oben, Randnr. 165). Denn die Klägerin räumt in ihrer Klage ein, dass das Preisverhalten der Händler einer der Aspekte – unter vielen anderen – dieser Untersuchung gewesen sei (vgl. oben, Randnr. 165). Das Gericht ist der Auffassung, dass die von den Händlern in Rechnung gestellten Preise in keinem Zusammenhang mit der Qualität ihrer Leistungen stehen. MBBel versucht außerdem nicht, diese Kontrollen des Preisverhaltens anhand von § 11 des belgischen Händlervertrags zu rechtfertigen, wonach MBBel einen Höchstpreis, aber keinen Mindestpreis festsetzen kann.
209 Ebenfalls zurückzuweisen ist das Vorbringen der Klägerin, dass die gesammelten Informationen anonym gewesen seien (vgl. oben, Randnr. 168) und dass es nicht möglich gewesen sei, Maßnahmen gegen bestimmte Händler zu ergreifen. Es ergibt sich klar aus dem Protokoll der Sitzung der Mercedes-Händler der Region Antwerpen vom 27. März 1996, dass von einem bestimmten Händler, nämlich der Van Steen NV, gewährte Nachlässe von Testkäufern namhaft gemacht und bei der fraglichen Sitzung genannt wurden.
210 Was das Argument der Klägerin betrifft, dass der Händlerverband keine für seine Mitglieder verbindlichen Beschlüsse habe fassen können, sondern nur Empfehlungen habe aussprechen können, so ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung ein Rechtsakt als Beschluss einer Unternehmensvereinigung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG qualifiziert werden kann, ohne notwendigerweise für die betroffenen Mitglieder verbindlich zu sein; dies gilt zumindest insoweit, als sich die von dem Beschluss betroffenen Mitglieder an diesen halten (vgl. analog Urteile des Gerichtshofes vom 8. November 1983 in den verbundenen Rechtssachen 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, IAZ u. a./Kommission, Slg. 1983, 3369, Randnr. 20, und Van Landewyck u. a./Kommission, zitiert in Randnr. 199, Randnrn. 88 und 89, sowie Urteil des Gerichts vom 11. März 1999 in der Rechtssache T‑136/94, Eurofer/Kommission, Slg. 1999, II‑263, Randnr. 15). Diese Hypothese ist im vorliegenden Fall hinlänglich durch die Tatsache belegt, dass die Mitglieder des Händlerverbands in Belgien und MBBel in der Sitzung vom 20. April 1995 beschlossen haben, über von einer externen Agentur durchgeführte Testkäufe die Höhe der für das Fahrzeugmodell W 210 gewährten Nachlässe überprüfen zu lassen, und dass tatsächlich Testkäufer Händler aufgesucht haben. Dies zeigt, dass die in der Sitzung vom 20. April 1995 beschlossene Vorgehensweise in die Tat umgesetzt worden ist.
211 Was das oben in Randnummer 162 wiedergegebene Vorbringen der Klägerin anbelangt, dass es nicht offensichtlich sei, dass die Niederlassungen von MBBel ein Interesse an der Begrenzung der Nachlässe gehabt hätten, so ist das Gericht der Auffassung, dass, weil die Teilnahme von MBBel an der Absprache nachgewiesen ist, nicht geprüft zu werden braucht, ob MBBel und ihre Niederlassungen ein Interesse daran hatten, an dem Kartell teilzunehmen. Jedenfalls ist das Gericht der Auffassung, dass MBBel und folglich ihre Niederlassungen, wie die Kommission vorträgt, insbesondere deshalb ein Interesse an der Beendigung der Preisschleuderei hatten, weil MBBel nicht nur die Händler, sondern über bestimmte Niederlassungen auch Endkunden beliefert. Es ist festzustellen, dass das Schreiben vom 17. Oktober 1995, das MBBel an die Mercedes-Benz AG sandte und in dem MBBel erklärt: „wir tun alles Mögliche, um unsere Arbeit korrekt auszuführen (wir verzichten auf Export), [und] wir versuchen unsere Durchschnittspreise auf [einer hohen] Preisebene beizubehalten“, ebenfalls, wie die Kommission in der 119. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung ausführt, das Interesse daran zeigt, dass die Händler in Belgien nur maßvolle Nachlässe gewähren. Insoweit ist das Gericht der Auffassung, dass das Vorbringen der Klägerin, dass MBBel im Schreiben vom 17. Oktober 1995 durchschnittliche Listenpreise und nicht die tatsächlich fakturierten Verkaufspreise der Händler angesprochen habe, nicht überzeugt und zurückzuweisen ist.
212 Das Vorbringen der Klägerin, dass die Festsetzung der Verkaufspreise in Belgien den zwischenstaatlichen Handel nicht spürbar beeinträchtigt habe, denn sie habe nur die inländischen Verkäufe betroffen, während grenzüberschreitende Verkäufe nicht berührt worden seien, ist nach Auffassung des Gerichts zurückzuweisen. Denn wenn sich ein Kartell auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, so hat es nach gefestigter Rechtsprechung schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die vom Vertrag gewollte wirtschaftliche Verflechtung behindert (Urteil Wouters u. a., zitiert in Randnr. 181, Randnr. 95, Urteile des Gerichtshofes vom 17. Oktober 1972 in der Rechtssache 8/72, Vereeniging van Cementhandelaren/Kommission, Slg. 1972, 977, Randnr. 29, Remia u. a./Kommission, zitiert in Randnr. 81, Randnr. 22, und vom 18. Juni 1998 in der Rechtssache C‑35/96, Kommission/Italien, Slg. 1998, I‑3851, Randnr. 48). Die Klägerin hat aber nicht bestritten, dass die Sitzung vom 20. April 1995 und somit die fragliche Zuwiderhandlung ganz Belgien betraf, wie die Kommission in der 197. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung ausführt.
213 Die Klägerin ist außerdem der Auffassung, die Kommission habe nicht nachgewiesen, dass der behauptete Verstoß vom 20. April 1995 bis zum Rundschreiben vom 10. Juni 1999 angedauert habe, in dem die Klägerin u. a. darauf hingewiesen habe, dass die Händler gegenüber ihren Kunden bei der Festsetzung des Preises und der Verkaufsbedingungen frei sein müssten. Sie macht geltend, die Kommission hätte das Jahresende 1995 als Enddatum festhalten müssen, weil die „Aktion gegen Preisschleuderei“, die im Protokoll der Sitzung vom 20. April 1995 angesprochen worden sei, vorübergehend gewesen sei und nur die Einführung des neuen Modells W 210 betroffen habe.
214 Wie aus der Rechtsprechung hervorgeht, hat die Kommission nicht nur das Vorliegen des Kartells, sondern auch seine Dauer zu beweisen (vgl. Urteil Dunlop Slazenger/Kommission, zitiert in Randnr. 84, Randnr. 79, und Urteil Cimenteries CBR u. a./Kommission vom 15. März 2000, zitiert in Randnr. 202, Randnr. 2802).
215 Das Gericht weist darauf hin, dass im vorliegenden Fall übereinstimmende Anzeichen dafür vorliegen, dass die Zuwiderhandlung über das Ende des Jahres 1995 hinaus fortgedauert hat. Wie die Kommission zu Recht vorträgt, geht aus dem Protokoll der Sitzung vom 20. April 1995 hervor, dass sich die auf Ende 1995 festgelegte zeitliche Begrenzung lediglich auf die vereinbarte Sanktion und nicht auf die Festlegung der Obergrenze für Nachlässe auf 3 % bezieht. Außerdem ergibt sich aus dem Protokoll der Sitzung vom 27. März 1996, dass u. a. 1996 Testkäufe in Bezug auf das Modell E 290 TD bei fünf Händlern in Belgien vorgenommen worden sind. Insoweit ist das Gericht der Auffassung, dass entgegen dem Vorbringen der Klägerin (vgl. oben, Randnr. 166) ein Zusammenhang zwischen dem Händlertreffen vom 20. April 1995 und dem vom 27. März 1996 besteht. Darüber hinaus hat MBBel in einem Schreiben vom 14. März 1996 klar ihre Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck gebracht, dass ein Fahrzeug der Baureihe W 210 mit einem Nachlass von 6 % verkauft worden war. Insoweit ist das Gericht der Auffassung, dass die Verwendung eines Ausrufungszeichens nach dieser Prozentangabe – „6 % !“ – keinen Zweifel darüber lässt, dass der fragliche Nachlass als tadelswert erachtet wurde. Daraus folgt, dass die Händler angesichts der von MBBel vorgebrachten Einwendungen gegen die über 3 % hinausgehenden Nachlässe, die Händler in Belgien gewährten, und der fortdauernden Praxis der Testkäufe mit Rückwirkungen für den Fall rechnen mussten, dass Nachlässe noch nach Ende 1995 entdeckt werden sollten. Das Gericht ist der Ansicht, dass die Kommission unter diesen Umständen sehr wohl annehmen durfte, dass die Vereinbarung vom 20. April 1995, die die Preise der Fahrzeuge in Belgien festlegte, nicht eine vorübergehende Maßnahme war, sondern bis zu ihrer ausdrücklichen Aufhebung durch das Rundschreiben vom 10. Juni 1999 fortdauerte.
216 Nach Auffassung des Gerichts macht die Klägerin mit ihrem Vorbringen, dass die Kommission nicht angegeben habe, ob die Zuwiderhandlung in Bezug auf die Festsetzung der Preise in Belgien immer mit der gleichen Intensität begangen worden sei (vgl. oben, Randnr. 168), geltend, dass der Kommission im Hinblick auf die Schwere der Zuwiderhandlung während bestimmter Zeiträume ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen sei. Das Gericht ist jedoch der Ansicht, dass die Kommission die Dauer (vgl. oben, Randnr. 215) und die Schwere der fraglichen Zuwiderhandlung richtig beurteilt hat. Die Schwere der Zuwiderhandlung wird im Übrigen von der Klägerin nicht bestritten. Denn da die Zuwiderhandlung während des in der streitigen Entscheidung zugrunde gelegten Zeitraums fortgedauert hat, obliegt es der Kommission in dem Fall, dass kein Beweis für ein Ende des Rechtsverstoßes vorliegt, nicht, zu belegen, dass sie mit gleicher Intensität begangen worden ist.
217 Die Klägerin wirft der Kommission vor, ihr das Verhalten von MBBel, ihrer Tochtergesellschaft in Belgien, allein deshalb zugerechnet zu haben, weil ihre Beteiligung an der genannten Tochtergesellschaft nahezu 100 % betrage.
218 Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Umstand, dass die Tochtergesellschaft eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, nicht genügt, um auszuschließen, dass ihr Verhalten der Muttergesellschaft zugerechnet werden kann, namentlich, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht selbständig bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt (vgl. u. a. Urteile des Gerichtshofes, ICI/Kommission, zitiert in Randnr. 85, Randnrn. 132 und 133, vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 52/69, Geigy/Kommission, Slg. 1972, 787, Randnr. 44, und vom 21. Februar 1973 in der Rechtssache 6/72, Europemballage und Continental Can/Kommission, Slg. 1973, 215, Randnr. 15). Das Halten von 100 % des Kapitals einer Tochtergesellschaft kann für sich genommen aber als Beleg für eine solche Kontrolle durch die Muttergesellschaft nicht ausreichen. Immer hängt die Zurechnung des Verhaltens der Tochtergesellschaft davon ab, dass die tatsächliche Ausübung von Leitungsmacht festgestellt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile ICI/Kommission, zitiert in Randnr. 85, Randnrn. 132 bis 141, vom 12. Juli 1979 in den Rechtssachen 32/78 und 36/78 bis 82/78, BMW Belgium u. a./Kommission, Slg. 1979, 2435, Randnr. 24, und Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, zitiert in Randnr. 171, Randnr. 23).
219 Wie der Gerichtshof in seinem in Randnummer 171 genannten Urteil Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission (Randnr. 28) entschieden hat, kann die Kommission, wenn das Halten von 100 % des Kapitals für sich genommen auch nicht ausreicht, um eine Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft festzustellen, ihre Entscheidung über die Zurechnung des Verhaltens der Tochtergesellschaft auch darauf stützen, dass die Muttergesellschaft nicht bestreitet, in der Lage gewesen zu sein, die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft entscheidend zu beeinflussen, und keine Beweise für ihr Vorbringen in Bezug auf deren Eigenständigkeit vorlegt. Wird das gesamte Kapital der Tochtergesellschaft gehalten, so darf die Kommission nämlich durchaus vermuten, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt, insbesondere dann, wenn die Muttergesellschaft sich im Verwaltungsverfahren als der einzige Ansprechpartner für die Gesellschaften des Konzerns präsentiert hat.
220 Unter diesen Voraussetzungen liegt es bei der Muttergesellschaft, diese Vermutung durch hinreichende Beweise zu widerlegen.
221 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Akte, dass die Klägerin nicht bestreitet, dass Mercedes-Benz zur Zeit der fraglichen Zuwiderhandlung das gesamte Kapital von MBBel hielt, und dass sie einräumt, sich im Verwaltungsverfahren als der einzige Ansprechpartner der Kommission für die Zuwiderhandlung in Belgien präsentiert zu haben. Außerdem beschränkt sich die Klägerin auf die Behauptung, keine Kenntnis von den Tätigkeiten von MBBel gehabt zu haben, und bestreitet es, diese aktiv unterstützt zu haben, tut aber nicht im Geringsten dar, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, die Geschäftspolitik von MBBel entscheidend zu beeinflussen, und bringt keine Beweise für deren Eigenständigkeit vor. Demnach hat die Klägerin nicht durch ausreichende Beweise die Vermutung widerlegt, dass sie tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft MBBel ausgeübt hat.
222 Somit ist der vorliegende Teil und damit der dritte Klagegrund zurückzuweisen.
Zum vierten Klagegrund: falsche Bemessung der in Artikel 3 der streitigen Entscheidung verhängten Geldbuße
Vorbringen der Parteien
223 Die Klägerin erklärt, dass die durch Artikel 3 der streitigen Entscheidung verhängte Geldbuße keine Grundlage habe, weil keine Verstöße gegen Artikel 81 Absatz 1 EG vorlägen. Selbst wenn derartige Verstöße unterstellt würden, wäre die Buße überhöht.
224 Was das sich auf den deutschen Markt beziehende Verhalten betrifft, macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Geldbuße sei rechtswidrig, weil die Mercedes-Benz vorgeworfenen Maßnahmen auf der Grundlage von Handelsvertreterverträgen vorgenommen worden seien, die nicht unter Artikel 81 Absatz 1 EG fielen, weil sie Handlungsbeschränkungen nur für die Vertreter enthielten.
225 Das Verkaufsverbot gegenüber den Leasinggesellschaften in Spanien sei auf jeden Fall, soweit es gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoßen könnte, durch die Verordnung Nr. 1475/95 freigestellt, was der Verhängung einer Geldbuße entgegenstehe. Auch wenn das Gemeinschaftsgericht ihrer Argumentation nicht folgen sollte, müsse berücksichtigt werden, dass sie beachtliche Rechtsgründe dafür geltend machen könne, dass diese Praktiken die Freistellungsvoraussetzungen erfüllten.
226 Zur Festsetzung der Verkaufspreise in Belgien macht die Klägerin geltend, dass die Kommission (245. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung) zwar behaupte, dass die Preisfestsetzung nur das Modell W 210 betroffen habe, später aber die Ansicht vertrete, dass das Nachlassverhalten bei anderen Modellen geprüft worden sei. Diese letzte Bemerkung beziehe sich offenbar auf die Testkäufe, die von der Firma Tokata bei Modellen der C‑Klasse durchgeführt worden seien. Diese Testkäufe stünden in keinem Zusammenhang mit der angeblichen Preisfestsetzung (siehe oben, Randnr. 167). Es sei nicht zulässig, dass die Kommission erschwerend berücksichtige, dass mehrere Modelle betroffen gewesen seien. Auch die Behauptung in der 223. und der 225. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung, dass die Verkaufspreisfestsetzung vom 20. April 1995 bis zum 10. Juni 1999 in Kraft gewesen sei, sei im Licht der Analyse nicht haltbar, dass das Protokoll der Sitzung vom 20. April 1995 nur bis zum Ende des Jahres 1995 gegolten habe (siehe oben, Randnr. 174). Schließlich bestreitet die Klägerin, dass MBBel bei der angeblichen Rabattbeschränkung eine führende Rolle gespielt habe. Vielmehr sei diese Maßnahme schon vor dem Treffen vom 20. April 1995 von den Händlern initiiert worden. Selbst wenn MBBel diese Maßnahme in der Folge mitgetragen haben sollte, habe sie dabei nicht die Führung übernommen. Hätte sich MBBel an der Maßnahme beteiligt, wäre dies nicht aus Eigeninteresse geschehen, sondern vielmehr, um die Profitabilitätssituation der Händler zu verbessern.
227 Das Vorbringen der Klägerin zu der Zuwiderhandlung durch die Festsetzung der Verkaufspreise in Belgien ist nach Ansicht der Kommission zurückzuweisen. Erstens sei daran zu erinnern, dass die Kommission diesen Verstoß in der 245. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung nur noch als „insgesamt schwer“ beurteilt und den Ausgangsbetrag für die Geldbuße auf 7 Millionen Euro festgesetzt habe; der Betrag liege damit bei etwa einem Drittel des Maximalbetrags von 20 Millionen Euro, den die Leitlinien gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und Artikel 65 Absatz 5 des EGKS-Vertrags (ABl. 1998, C 9, S. 3) für schwere Verstöße vorsähen. Der Klägerin werde vorgeworfen, nicht nur die Rabatte kontrolliert zu haben, die von den Händlern für das Modell W 210 gewährt worden seien, sondern auch die Rabatte für andere Fahrzeugmodelle. Selbst wenn sich der fragliche Verstoß auf das Modell W 210 beschränkte, könnte die Kommission dies im Rahmen der abschreckenden Wirkung der Geldbuße berücksichtigen.
228 Sie habe die Einwände der Klägerin gegen die ihr vorgeworfene Dauer der Zuwiderhandlung bereits vorstehend (vgl. oben, Randnr. 182) zurückgewiesen.
229 Sie habe sich bei der Berechnung des Betrages der Geldbuße nicht darauf gestützt, dass MBBel bei der Rabattbegrenzung möglicherweise eine führende Rolle gespielt habe, sondern nur festgestellt, dass MBBel sich aktiv an den Maßnahmen zur Festsetzung der Verkaufspreise beteiligt habe. Ohne eine solche aktive Beteiligung hätte die Sanktion, die bei einem Überschreiten der Rabattobergrenze habe eingreifen sollen, gar nicht verwirklicht werden können. Ausweislich des Protokolls über das Treffen vom 20. April 1995 habe es die „Aktion gegen Preisschleuderei“ schon vorher gegeben. Die Rabattbegrenzung auf maximal 3 % sei aber bei diesem Treffen unter aktiver Mitwirkung der Klägerin beschlossen worden. Es könne daher keine Rede davon sein, dass MBBel mit dieser Maßnahme erst im Nachhinein konfrontiert worden sei. Hinsichtlich des Eigeninteresses von MBBel macht die Kommission geltend, die Begrenzung der Rabatte habe der Aufrechterhaltung der Hochpreispolitik des Importeurs gedient. Schließlich würde es an der Einschätzung des Verstoßes nichts ändern, wenn es MBBel tatsächlich auf die Profitabilität der Händler angekommen wäre (Urteil AEG/Kommission, zitiert in Randnr. 84, Randnrn. 40 bis 42 und 71 bis 73).
Würdigung durch das Gericht
230 Zunächst ist daran zu erinnern, dass sich aus der Prüfung der vorstehenden Klagegründe ergibt, dass die in Artikel 3 der streitigen Entscheidung vorgesehene Geldbuße insoweit für nichtig zu erklären ist, als sie der Klägerin wegen der Aufforderung an die deutschen Handelsvertreter auferlegt wurde, die gelieferten Neufahrzeuge möglichst nur an Kunden ihres Vertragsgebiets zu verkaufen, internen Wettbewerb zu vermeiden und bei Bestellungen von Neufahrzeugen durch Komm-Kunden die Zahlung einer Anzahlung von 15 % des Fahrzeugpreises zu verlangen. Daraus folgt, dass die Geldbuße mit einem ursprünglichen Betrag von 71,825 Millionen Euro erstens um 47,025 Millionen Euro (242. Begründungserwägung) zu kürzen ist.
231 Aus der Prüfung der vorstehenden Klagegründe ergibt sich auch, dass die in Artikel 3 der streitigen Entscheidung vorgesehene Geldbuße für nichtig zu erklären ist, soweit sie gegen die Klägerin wegen der Beschränkung der Vorratsbelieferung von Leasinggesellschaften in Deutschland und in Spanien mit Personenwagen verhängt worden ist. Daraus folgt, dass die Geldbuße mit einem ursprünglichen Betrag von 71,825 Millionen Euro zweitens um einen Betrag von 15 Millionen Euro zu kürzen ist (244. Begründungserwägung).
232 Was die in der Festsetzung der Preise in Belgien bestehende Zuwiderhandlung anbelangt, so ist das Gericht der Auffassung, dass die Klägerin zu Unrecht vorträgt, die Kommission habe erschwerend berücksichtigt, dass mehrere Modelle betroffen gewesen seien. Aus der 248. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung ergibt sich klar, dass die Kommission bei der Verhängung der Geldbuße keinen Umstand als erschwerend berücksichtigt hat. Wenn es auch zutrifft, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung ausgeführt hat, dass MBBel am 26. November 1996 die Firma Tokata damit beauftragt habe, Testkäufe bei 47 belgischen Händlern durchzuführen und die für die Modelle der C‑Klasse bewilligten Nachlässe zu überprüfen, so zeigt dieser Umstand jedenfalls, dass Testkäufe, wie die Kommission vorträgt, eine bei MBBel geläufige Praxis waren und dass sich diese nicht auf ein spezifisches Modell beschränkte.
233 Was das Argument der Klägerin hinsichtlich der Dauer der Zuwiderhandlung in Bezug auf die Festsetzung der Preise in Belgien betrifft, so ist daran zu erinnern, dass das Gericht der Auffassung ist, dass die Kommission diese Dauer zutreffend bestimmt hat (vgl. oben, Randnr. 215). Außerdem stellt das Gericht fest, dass MBBel eine zentrale Rolle bei der Festsetzung der Verkaufspreise der Fahrzeuge in Belgien gespielt hat (vgl. oben, Randnr. 209). Demnach ist die Geldbuße für die fragliche Zuwiderhandlung nicht zu kürzen.
234 Nach alledem ist die Geldbuße zum Teil für nichtig zu erklären, soweit sie sich auf Zuwiderhandlungen in Deutschland und in Spanien bezieht. Die übrigen Argumente, die die Klägerin zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung der Geldbuße oder Herabsetzung ihres Betrages vorträgt, sind zurückzuweisen. In Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung bestätigt das Gericht den Betrag der Geldbuße wegen der Zuwiderhandlung in Bezug auf die Festsetzung der Preise in Belgien in Höhe von 9,8 Millionen Euro.
Kosten
235 Gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Im vorliegenden Fall ist zu entscheiden, dass die Kommission ihre eigenen Kosten sowie 60 % der Kosten der Klägerin trägt.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Fünfte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Artikel 1 der Entscheidung 2002/758/EG der Kommission vom 10. Oktober 2001 bezüglich eines Verfahrens nach Artikel 81 EG-Vertrag (Sache COMP/36.264 – Mercedes-Benz) wird für nichtig erklärt, außer soweit er feststellt, dass die DaimlerChrysler AG sowie deren Rechtsvorgängerinnen, die Daimler-Benz AG und die Mercedes-Benz AG, selbst oder über ihre Tochtergesellschaft Mercedes-Benz Belgium SA durch ihre Beteiligung an Vereinbarungen zur Beschränkung der Rabattgewährung in Belgien, die am 20. April 1995 beschlossen und am 10. Juni 1999 aufgehoben wurden, eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 Absatz 1 EG begangen haben.
2. Artikel 2 wird mit Ausnahme seines ersten Halbsatzes für nichtig erklärt.
3. Artikel 3 der Entscheidung 2002/758 wird für nichtig erklärt, soweit er den Betrag der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße auf 71,825 Millionen Euro festsetzt.
4. Der Betrag der durch Artikel 3 der Entscheidung 2002/758 wegen der Zuwiderhandlung in Bezug auf die Festsetzung der Preise in Belgien verhängten Geldbuße wird auf 9,8 Millionen Euro festgesetzt.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten sowie 60 % der Kosten der Klägerin. Die Klägerin trägt 40 % ihrer eigenen Kosten.
Lindh |
García-Valdecasas |
Cooke |
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. September 2005.
Der Kanzler |
Die Präsidentin |
H. Jung |
P. Lindh |
* Verfahrenssprache: Deutsch.