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Document 62001TJ0308

    Urteil des Gerichts erster Instanz (Zweite Kammer) vom 23. September 2003.
    Henkel KGaA gegen Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM).
    Gemeinschaftsmarke - Verordnungen (EG) Nr. 40/94 und (EG) Nr. 2868/95 - Widerspruchsverfahren - Ernsthafte Benutzung der älteren Marke - Umfang der Prüfung der Beschwerdekammer - Würdigung der im Verfahren vor der Widerspruchsabteilung vorgelegten Beweismittel.
    Rechtssache T-308/01.

    Sammlung der Rechtsprechung 2003 II-03253

    ECLI identifier: ECLI:EU:T:2003:241

    62001A0308

    Urteil des Gerichts erster Instanz (Zweite Kammer) vom 23. September 2003. - Henkel KGaA gegen Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM). - Gemeinschaftsmarke - Verordnungen (EG) Nr. 40/94 und (EG) Nr. 2868/95 - Widerspruchsverfahren - Ernsthafte Benutzung der älteren Marke - Umfang der Prüfung der Beschwerdekammer - Würdigung der im Verfahren vor der Widerspruchsabteilung vorgelegten Beweismittel. - Rechtssache T-308/01.

    Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite 00000


    Parteien
    Entscheidungsgründe
    Kostenentscheidung
    Tenor

    Parteien


    In der Rechtssache T-308/01

    Henkel KGaA mit Sitz in Düsseldorf (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt C. Osterrieth, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

    Klägerin,

    gegen

    Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch O. Waelbroeck als Bevollmächtigten,

    Beklagter,

    anderer Beteiligter des Verfahrens vor der Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle):

    LHS (UK) Ltd mit Sitz in Cheadle Hulme (Vereinigtes Königreich)

    betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) vom 12. September 2001 (Sache R-738/2000-3) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen der Henkel KGaA und der LHS (UK) Ltd

    erlässt DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

    DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

    (Zweite Kammer)

    unter Mitwirkung des Präsidenten N. J. Forwood sowie der Richter J. Pirrung und A. W. H. Meij,

    Kanzler: D. Christensen, Verwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 2003

    folgendes

    Urteil

    Entscheidungsgründe


    Rechtlicher Rahmen

    1 Die Artikel 43, 59, 61, 62, 74 und 76 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung bestimmen:

    "Artikel 43

    Prüfung des Widerspruchs

    ...

    (2) Auf Verlangen des Anmelders hat der Inhaber einer älteren Gemeinschaftsmarke, der Widerspruch erhoben hat, den Nachweis zu erbringen, dass er innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veröffentlichung der Anmeldung der Gemeinschaftsmarke die ältere Gemeinschaftsmarke in der Gemeinschaft für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist und auf die er sich zur Begründung seines Widerspruchs beruft, ernsthaft benutzt hat ... Kann er diesen Nachweis nicht erbringen, so wird der Widerspruch zurückgewiesen. ...

    (3) Absatz 2 ist auf ältere nationale Marken ... mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle der Benutzung in der Gemeinschaft die Benutzung in dem Mitgliedstaat tritt, in dem die ältere Marke geschützt ist.

    ...

    Artikel 59

    Frist und Form

    ... Innerhalb von vier Monaten nach Zustellung der Entscheidung ist die Beschwerde schriftlich zu begründen.

    Artikel 61

    Prüfung der Beschwerde

    (1) Ist die Beschwerde zulässig, so prüft die Beschwerdekammer, ob die Beschwerde begründet ist.

    ...

    Artikel 62

    Entscheidung über die Beschwerde

    (1) Nach der Prüfung, ob die Beschwerde begründet ist, entscheidet die Beschwerdekammer über die Beschwerde. Die Beschwerdekammer wird entweder im Rahmen der Zuständigkeit der Dienststelle tätig, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, oder verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an diese Dienststelle zurück.

    ...

    Artikel 74

    Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen

    (1) In dem Verfahren vor dem Amt ermittelt das Amt den Sachverhalt von Amts wegen. Soweit es sich jedoch um Verfahren bezüglich relativer Eintragungshindernisse handelt, ist das Amt bei dieser Ermittlung auf das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten beschränkt.

    (2) Das Amt braucht Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen.

    Artikel 76

    Beweisaufnahme

    (1) In den Verfahren vor dem Amt sind insbesondere folgende Beweismittel zulässig:

    ...

    f) schriftliche Erklärungen, die unter Eid oder an Eides statt abgegeben werden oder nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem sie abgegeben werden, eine ähnliche Wirkung haben."

    2 Die Regeln 22 und 48 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 303, S. 1) bestimmen:

    "Regel 22

    Benutzungsnachweis

    (1) Hat der Widersprechende gemäß Artikel 43 Absatz 2 oder 3 der Verordnung [Nr. 40/94] den Nachweis der Benutzung ... zu erbringen, ... so fordert das Amt ihn auf, die angeforderten Beweismittel innerhalb einer vom Amt festgesetzten Frist vorzulegen. Legt der Widersprechende diese Beweismittel nicht fristgemäß vor, so weist das Amt den Widerspruch zurück.

    (2) Die Angaben und Beweismittel, die zum Nachweis der Benutzung vorgelegt werden, bestehen gemäß Absatz 3 aus Angaben über Ort, Zeit, Umfang und Art der Benutzung der Widerspruchsmarke für die Waren und Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde und auf denen der Widerspruch beruht, sowie aus Beweisen für diese Angaben.

    (3) Die Beweismittel beschränken sich nach Möglichkeit auf die Vorlage von Urkunden und Beweisstücken, wie Verpackungen, Etiketten, Preislisten, Kataloge, Rechnungen, Fotografien, Zeitungsanzeigen und auf die in Artikel 76 Absatz 1 Buchstabe f) der Verordnung [Nr. 40/94] genannten schriftlichen Erklärungen.

    ...

    Regel 48

    Inhalt der Beschwerdeschrift

    (1) Die Beschwerdeschrift muss folgende Angaben enthalten:

    ...

    c) eine Erklärung, in der die angefochtene Entscheidung und der Umfang genannt werden, in dem ihre Änderung oder Aufhebung begehrt wird.

    ..."

    Vorgeschichte des Rechtsstreits

    3 Am 1. April 1996 meldete die andere Verfahrensbeteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (im Folgenden: Amt) unter ihrer damaligen Bezeichnung Laporte ESD Ltd beim Amt eine Gemeinschaftsmarke an.

    4 Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um das Wortzeichen KLEENCARE.

    5 Die Marke wurde u. a. für folgende Waren der Klassen 1 und 3 des Abkommens von Nizza vom 15. Juni 1957 über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

    - "Chemikalien und chemische Präparate und Produkte; Detergentien, Desinfektionsmittel und Entfettungspräparate zur Verwendung in gewerblichen und Produktionsprozessen" in Klasse 1;

    - "Putz-, Fettentfernungs-, Schleif-, Polier- und Waschmittel; Detergentien; Entfettungsmittel; Rostentfernungsmittel; Seifen und Hautpflegemittel" in Klasse 3.

    6 Die Marke wurde außerdem für verschiedene weitere Waren der Klassen 1 und 5 und für Dienstleistungen der Klasse 42 des Abkommens von Nizza angemeldet.

    7 Am 26. Oktober 1998 wurde die Anmeldung im Blatt für Gemeinschaftsmarken veröffentlicht.

    8 Am 26. Januar 1999 legte die Klägerin nach Artikel 42 Absatz 1 der Verordnung Nr. 40/94 hinsichtlich der oben in Randnummer 5 genannten Waren einen Widerspruch ein. Der Widerspruch ist auf eine am 11. Januar 1965 in Deutschland eingetragene Marke gestützt. Diese Marke (im Folgenden: ältere Marke), die aus dem Wortzeichen CARCLIN besteht, ist für Waren der Klassen 1 und 2 des Abkommens von Nizza eingetragen. Zur Begründung ihres Widerspruchs machte die Klägerin geltend, dass das relative Eintragungshindernis nach Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 vorliege.

    9 Am 24. Mai 1999 verlangte die andere Verfahrensbeteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer, dass die Klägerin gemäß Artikel 43 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 nachweise, dass die ältere Marke innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veröffentlichung der Anmeldung in dem Mitgliedstaat, in dem sie geschützt ist, ernsthaft benutzt wurde. Mit einer Mitteilung vom 27. Juli 1999 forderte die Widerspruchsabteilung des Amtes die Klägerin auf, diesen Nachweis in einer Frist von zwei Monaten zu erbringen.

    10 Mit Schreiben vom 9. September 1999, beim Amt eingegangen am 10. September 1999, legte die Klägerin erstens eine eidesstattliche Versicherung eines ihrer Industriemanager, Herrn Blacha, vor. Darin versicherte dieser in Kenntnis der Strafbarkeit einer falschen Erklärung an Eides statt, dass die ältere Marke von der Klägerin seit Jahren "für die Reinigung von Kraftfahrzeugen" benutzt worden sei und dass sich die Verkaufsumsätze unter der Marke für die Jahre 1993 bis 1995 auf 1 200 000, 1 400 000 und 1 500 000 DM belaufen. Zweitens legte die Klägerin drei Etikette vor, auf denen die ältere Marke in grafisch gestalteter Fettschrift wiedergegeben ist. Drittens reichte sie fünf in deutscher Sprache abgefasste Benutzungsanleitungen ein, die sich auf verschiedene Kfz-Reinigungsprodukte beziehen und in denen die ältere Marke in schwarzer Schrift wiedergegeben und verschiedene Daten zwischen dem 24. Oktober 1995 und dem 25. September 1998 genannt sind.

    11 Mit Entscheidung vom 4. Juli 2000 wies die Widerspruchsabteilung den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass die von der Klägerin beigebrachten Nachweise nicht genügten, um eine ernsthafte Benutzung der älteren Marke zu belegen. Im Wesentlichen führte die Widerspruchsabteilung aus, dass Erklärungen, die ein Angestellter eines Verfahrensbeteiligten abgebe, eine geringere Beweiskraft hätten als Erklärungen Dritter. Da die Klägerin überdies keine Rechnungen vorgelegt habe, reiche die Erklärung von Herrn Blacha nicht als Beweis dafür aus, in welchem Umfang die ältere Marke benutzt worden sei.

    12 Am 7. Juli 2000 erhob die Klägerin beim Amt eine Beschwerde nach Artikel 59 der Verordnung Nr. 40/94. Am 30. Oktober 2000 reichte sie ihre Beschwerdebegründung ein. In diesem Schriftsatz hieß es: "As the opposition division has rejected our opposition ... due to an insufficient proof of the extent of use of our trade mark 'CARCLIN` we hereby submit invoices ... with one of our CARCLIN customers for the relevant period. We are confident that these documents prove the extent of use and that the proof of use is sufficient to indicate the genuine use of the earlier mark. ... We therefore request to overturn the opposition division's decision." ("Da die Widerspruchsabteilung unseren Widerspruch mit der Begründung zurückgewiesen hat ..., dass der Umfang der Benutzung unserer Marke 'CARCLIN` nicht hinreichend nachgewiesen sei, legen wir anbei Rechnungen ... für einen unserer CARCLIN-Kunden für den fraglichen Zeitraum vor. Wir gehen davon aus, dass diese Unterlagen den Umfang der Benutzung beweisen und dass dieser Benutzungsnachweis genügt, um eine wirkliche Benutzung der älteren Marke zu belegen. ... Wir beantragen daher, die Entscheidung der Widerspruchsabteilung aufzuheben. ...") Die fraglichen Rechnungen waren der Beschwerdebegründung beigefügt.

    13 Mit Entscheidung vom 12. September 2001 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), der Klägerin zugestellt am 15. Oktober 2001, wies die Dritte Beschwerdekammer des Amtes die Beschwerde zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Klägerin nicht die Ausführungen der Widerspruchsabteilung bestritten habe, wonach ihre der Widerspruchsabteilung vorgelegten Beweismittel nicht genügten, um die ernsthafte Benutzung der älteren Marke zu belegen (Randnr. 12 der angefochtenen Entscheidung). Zu den neuen Beweisen, die die Klägerin mit ihrer Beschwerdebegründung eingereicht hatte, stellte die Beschwerdekammer fest, dass die Verfahrensbeteiligten in Verfahren mit mehreren Beteiligten (Verfahren inter partes) ihr gesamtes Vorbringen und alle ihre Beweismittel in das Verfahren dann einzubringen hätten, wenn die Stelle, die als erste Instanz über die Sache entscheide, sie dazu auffordere. Im vorliegenden Fall könnten die fraglichen neuen Beweismittel dementsprechend nicht mehr berücksichtigt werden, da sie im Verfahren vor der Widerspruchsabteilung einzureichen gewesen wären (Randnrn. 13 bis 15 der angefochtenen Entscheidung).

    Verfahren und Anträge der Parteien

    14 Mit Klageschrift in englischer Sprache, die am 10. Dezember 2001 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Die andere Verfahrensbeteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer hat innerhalb der ihr dafür von der Kanzlei des Gerichts gesetzten Frist der Bestimmung des Englischen als Verfahrenssprache nicht widersprochen. Die Klagebeantwortung des Amtes ist am 3. April 2002 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen.

    15 Die Klägerin beantragt,

    - die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

    - dem Amt die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

    16 Das Amt beantragt,

    - die Klage abzuweisen;

    - der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Entscheidungsgründe

    17 Die Klägerin stützt ihre Klage auf fünf Klagegründe. Sie rügt erstens, dass die Beschwerdekammer ihre Pflicht verletzt habe, die von der Widerspruchsabteilung getroffene Entscheidung erschöpfend zu überprüfen. Zweitens habe die Widerspruchsabteilung gegen Artikel 76 Absatz 1 Buchstabe f der Verordnung Nr. 40/94 in Verbindung mit Regel 22 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2868/95 verstoßen. Hilfsweise macht die Klägerin als dritten und vierten Klagegrund geltend, dass die Widerspruchsabteilung ihren Anspruch auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und in den Mitgliedstaaten allgemein anerkannte Verfahrensgrundsätze verletzt habe. Ebenfalls hilfsweise rügt sie fünftens einen Verstoß gegen Artikel 74 Absatz 2 der Verordnung Nr. 40/94. Es erscheint dem Gericht angezeigt, zunächst den Klagegrund zu prüfen, die Beschwerdekammer habe ihre Pflicht zur umfassenden Überprüfung der Entscheidung der Widerspruchsabteilung verletzt.

    Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

    18 Die Klägerin wirft der Beschwerdekammer vor, sie habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass sie zu einer erschöpfenden Überprüfung der Entscheidung der Widerspruchsabteilung und insbesondere der darin enthaltenen Zurückweisung der Erklärung von Herrn Blacha nicht verpflichtet sei. Der gesetzliche Zweck des mit den Artikeln 57 ff. der Verordnung Nr. 40/94 geschaffenen Beschwerdeverfahrens bestehe jedoch darin, die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Amtes durch eine Kontrolle zu gewährleisten, in deren Rahmen der von den Verfahrensbeteiligten vorgetragene Sachverhalt umfassend gewürdigt werde. Die Beschwerdekammer könne nach Artikel 62 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 40/94 entweder im Rahmen der Zuständigkeit der Dienststelle tätig werden, die die angefochtene Entscheidung erlassen habe, oder die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an diese Dienststelle zurückweisen.

    19 Allgemein sei darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdekammer weder ihre Befugnis noch ihre Verpflichtung zur erschöpfenden Überprüfung der von der Widerspruchsabteilung erlassenen Entscheidung einschränken könne. In diesem Zusammenhang sei Regel 48 der Verordnung Nr. 2868/95 zu berücksichtigen, wonach in der Beschwerdeschrift lediglich angegeben werden müsse, in welchem Umfang die Aufhebung oder Änderung der bei der Beschwerdekammer angefochtenen Entscheidung begehrt werde.

    20 Im vorliegenden Fall sei ihre beim Amt erhobene Beschwerde auf die Aufhebung der von der Widerspruchsabteilung erlassenen Entscheidung gerichtet gewesen, ohne die Prüfungskompetenz der Beschwerdekammer dem Umfang nach in irgendeiner Hinsicht zu beschränken. Sie habe nur vorsorglich - nämlich für den Fall, dass sich die Beschwerdekammer der Beweiswürdigung anschließen würde, der die Widerspruchsabteilung die bei ihr eingereichten Beweismittel unterzogen habe - im Verfahrensstadium der Beschwerde weitere Beweismittel vorgelegt. Die Beschwerdekammer sei daher verpflichtet gewesen, die Entscheidung der Widerspruchsabteilung umfassend zu überprüfen.

    21 Das Amt hält dem entgegen, dass die Klägerin in ihrer schriftlichen Beschwerdebegründung beim Amt lediglich geltend gemacht habe, die ernsthafte Benutzung der älteren Marke sei wegen der neuen Beweismittel, die sie eingereicht habe, als erwiesen anzusehen. Die Beschwerdebegründung enthalte außerdem nichts, woraus die Beschwerdekammer hätte ersehen können, dass die Klägerin die Würdigung der von Herrn Blacha abgegebenen eidesstattlichen Versicherung durch die Widerspruchsabteilung habe angreifen wollen.

    22 Auch aus Artikel 62 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 40/94 lasse sich nicht herleiten, dass die Beschwerdekammer die Rechtmäßigkeit der von der Widerspruchsabteilung erlassenen Entscheidung im Hinblick auf die darin enthaltene Würdigung der von Herrn Blacha abgegebenen Erklärung hätte überprüfen müssen. Diese Bestimmung lasse sich nicht im Sinne einer Verpflichtung der Beschwerdekammer auslegen, die Zuständigkeit der Stelle, die die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung erlassen habe, im Hinblick auf Gesichtspunkte auszuüben, die in der schriftlichen Beschwerdebegründung nicht vorgetragen worden seien.

    23 Eine andere Auslegung ließe sich überdies nicht mit dem in Artikel 74 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 40/94 niedergelegten Grundsatz vereinbaren, dass das Amt in Verfahren mit mehreren Beteiligten nur die von diesen vorgetragenen Tatsachen, Beweismittel und Argumente prüfe.

    Würdigung durch das Gericht

    24 Wie sich Artikel 61 Absatz 1 der Verordnung Nr. 40/94 entnehmen lässt, ist die Beschwerdekammer, wenn die Beschwerde zulässig ist, zur Prüfung ihrer Begründetheit verpflichtet. Nach Artikel 62 Absatz 1 der Verordnung Nr. 40/94 wird die Beschwerdekammer entweder im Rahmen der Zuständigkeit der Dienststelle tätig, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, oder verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an diese Dienststelle zurück. Aus dieser Bestimmung ergibt sich nicht nur ein Hinweis zum Inhalt, den die Entscheidung einer Beschwerdekammer haben kann, sondern auch zum Umfang der Prüfung, der sie die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung zu unterziehen hat.

    25 Insoweit ist der Rechtsprechung zu entnehmen, dass zwischen dem Prüfer und der Beschwerdekammer eine funktionale Kontinuität besteht (Urteile des Gerichts vom 8. Juli 1999 in der Rechtssache T-163/98, Procter & Gamble/HABM [BABY-DRY], Slg. 1999, II-2383, Randnrn. 38 bis 44, und vom 12. Dezember 2002 in der Rechtssache T-63/01, Procter & Gamble/HABM [Form einer Seife], Slg. 2002, II-5255, Randnr. 21). Diese Rechtsprechung lässt sich auch auf das Verhältnis zwischen den anderen als erste Instanz entscheidenden Stellen des Amtes, wie den Widerspruchs- oder Nichtigkeitsabteilungen, und den Beschwerdekammern übertragen.

    26 Zur Zuständigkeit der Beschwerdekammer des Amtes gehört demgemäß eine Überprüfung der Entscheidungen, die die als erste Instanz entscheidenden Stellen des Amtes erlassen. Im Rahmen dieser Überprüfung hängt der Erfolg der Beschwerde davon ab, ob in dem Zeitpunkt, in dem über die Beschwerde entschieden wird, eine neue Entscheidung mit dem gleichen Tenor wie die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung rechtmäßig erlassen werden kann oder nicht. So können die Beschwerdekammern der Beschwerde auf der Grundlage neuer Tatsachen oder Beweismittel stattgeben, die der Beschwerdeführer vorbringt; eine Einschränkung ergibt sich insoweit nur aus Artikel 74 Absatz 2 der Verordnung Nr. 40/94.

    27 Im vorliegenden Fall ist zwischen den Verfahrensbeteiligten streitig, ob die Klägerin die von der Widerspruchsabteilung vorgenommene Beweiswürdigung der ihr von der Klägerin vorgelegten Beweismittel, insbesondere der Erklärung von Herrn Blacha, im Verfahren vor der Beschwerdekammer ausdrücklich gerügt hat. Wie sich Randnummer 12 der angefochtenen Entscheidung entnehmen lässt, ging die Beschwerdekammer angesichts der schriftlichen Beschwerdebegründung der Klägerin davon aus, dass diese eine solche Rüge nicht erhoben hatte.

    28 Selbst wenn jedoch die Klägerin, wie das Amt geltend macht, die von der Widerspruchsabteilung vorgenommene Würdigung der ihr von der Klägerin vorgelegten Beweismittel, insbesondere der Erklärung von Herrn Blacha, nicht ausdrücklich gerügt haben sollte, könnte dies die Beschwerdekammer nicht von ihrer Verpflichtung entbinden, diese Beweismittel selbst zu würdigen.

    29 Denn nach den obigen Ausführungen in den Randnummern 25 und 26 ist entgegen der Auffassung des Amtes anzunehmen, dass der Umfang der Prüfung, der die Beschwerdekammer die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung zu unterziehen hat, grundsätzlich nicht durch die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Beschwerdegründe bestimmt wird. Daher hat die Beschwerdekammer, auch wenn der Beschwerdeführer einen bestimmten Beschwerdegrund nicht vorgetragen hat, gleichwohl im Licht aller relevanten rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte zu prüfen, ob in dem Zeitpunkt, in dem über die Beschwerde entschieden wird, eine neue Entscheidung mit dem gleichen Tenor wie die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung rechtmäßig erlassen werden kann oder nicht.

    30 Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass nach Regel 48 Buchstabe c der Verordnung Nr. 2868/95, die sich, wie Regel 49 Absatz 1 dieser Verordnung zu entnehmen ist, auf die Zulässigkeit der Beschwerdeschrift bezieht, in der Beschwerdeschrift nur angegeben werden muss, welche Entscheidung angefochten wird und in welchem Umfang ihre Änderung oder Aufhebung begehrt wird. Hingegen wird in dieser Vorschrift nicht verlangt, dass in der Beschwerdeschrift bestimmte Beschwerdegründe bezeichnet werden. Damit hat der Beschwerdeführer lediglich den Gegenstand der von der Beschwerdekammer vorzunehmenden Prüfung festzulegen, nicht aber deren Umfang.

    31 Zweitens berührt die oben in Randnummer 29 wiedergegebene Auslegung nicht die praktische Wirksamkeit von Artikel 59 Satz 3 der Verordnung Nr. 40/94, wonach die Beschwerde innerhalb von vier Monaten nach Zustellung der Entscheidung schriftlich zu begründen ist. Denn es steht dem Beschwerdeführer frei, in dieser schriftlichen Begründung Gesichtspunkte darzulegen, aus denen sich ergibt, dass die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung deshalb aufzuheben oder zu ändern ist, weil in dem Zeitpunkt, in dem über die Beschwerde entschieden wird, eine neue Entscheidung mit dem gleichen Tenor wie die angefochtene Entscheidung nicht mehr rechtmäßig erlassen werden könnte. Dabei kann sich der Beschwerdeführer im Anwendungsbereich von Artikel 74 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 40/94 auch veranlasst sehen, neue Tatsachen oder Beweismittel beizubringen; eine Einschränkung ergibt sich insoweit nur aus Artikel 74 Absatz 2 der Verordnung Nr. 40/94. Die in Artikel 59 Satz 3 der Verordnung Nr. 40/94 vorgesehene schriftliche Beschwerdebegründung erleichtert daher den ordnungsgemäßen Ablauf des Beschwerdeverfahrens, ohne dass deshalb angenommen werden müsste, dass die von der Beschwerdekammer vorzunehmende Prüfung der mit der Beschwerde angefochtenen Entscheidung ihrem Umfang nach durch die vom Beschwerdeführer angeführten Beschwerdegründe bestimmt oder begrenzt würde.

    32 Drittens läuft die der Beschwerdekammer obliegende Verpflichtung, die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung auch dann zu prüfen, wenn der Beschwerdeführer keinen bestimmten Beschwerdegrund geltend gemacht hat, entgegen der Ansicht des Amtes nicht der in Artikel 74 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 40/94 niedergelegten Regel zuwider, dass die Stellen des Amtes, darunter die Beschwerdekammern, in Verfahren mit mehreren Beteiligten bei der Ermittlung des Sachverhalts auf das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten beschränkt sind. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Sprachfassungen dieser Bestimmung ist festzustellen, dass sie die vom Amt vorgenommene Prüfung in zweifacher Hinsicht beschränkt. So betrifft sie zum einen die tatsächliche Grundlage der Entscheidungen des Amtes, also die Tatsachen und Beweismittel, auf die diese Entscheidungen wirksam gestützt werden können (in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 13. Juni 2002 in der Rechtssache T-232/00, Chef Revival USA/HABM, Slg. 2002, II-2749, Randnr. 45), und zum anderen die Rechtsgrundlage dieser Entscheidungen, also die Vorschriften, die die mit der Sache befasste Stelle anzuwenden hat. So darf die Beschwerdekammer ihre Entscheidung über eine Beschwerde, mit der eine ein Widerspruchsverfahren abschließende Entscheidung angefochten wurde, nur auf die von dem betreffenden Verfahrensbeteiligten geltend gemachten relativen Eintragungshindernisse und von ihm vorgebrachten Tatsachen und entsprechenden Beweismittel stützen. Dass die rechtliche und tatsächliche Grundlage der von der Beschwerdekammer vorzunehmenden Prüfung in dieser Weise beschränkt wird, ist jedoch vereinbar mit dem Grundsatz, wonach der Umfang der der Beschwerdekammer obliegenden Prüfung der mit der Beschwerde angefochtenen Entscheidung nicht davon abhängt, ob der Beschwerdeführer einen bestimmten Beschwerdegrund vorgetragen hat, mit dem er die Auslegung oder Anwendung einer Vorschrift durch die Stelle, die in erster Instanz entschieden hat, oder die von dieser vorgenommene Würdigung eines Beweismittels gerügt hat. Denn wie sich aus dem Grundsatz der funktionalen Kontinuität ergibt, hat die Beschwerdekammer im Anwendungsbereich von Artikel 74 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 40/94 ihre Entscheidung auf sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu stützen, die der Beschwerdeführer entweder im Verfahren vor der Stelle, die in erster Instanz entschieden hat, oder, wobei sich eine Einschränkung nur aus Artikel 74 Absatz 2 der Verordnung Nr. 40/94 ergibt, im Beschwerdeverfahren vorgebracht hat.

    33 Viertens wird die oben in Randnummer 29 wiedergegebene Auslegung durch den Umstand bestätigt, dass vorbehaltlich von Artikel 88 Absatz 2 der Verordnung Nr. 40/94, der natürliche oder juristische Personen ohne Wohnsitz oder Sitz oder eine tatsächliche gewerbliche oder Handelsniederlassung in der Gemeinschaft betrifft, nach Absatz 1 dieses Artikels Beteiligte an Verfahren vor dem Amt ohne einen zugelassenen Vertreter, erst recht also ohne Rechtsanwalt, handeln dürfen.

    34 Schließlich steht der oben in Randnummer 29 vorgenommenen Auslegung nicht entgegen, dass der Umfang der von den Gemeinschaftsgerichten vorgenommenen Prüfung im Rahmen einer unmittelbaren Klage - mit der alleinigen Ausnahme von Gründen zwingenden Rechts - durch die in der Klageschrift bezeichneten Klagegründe bestimmt wird. Denn zum einen ist das Verfahren vor den Beschwerdekammern seinem Wesen nach kein gerichtliches Verfahren, sondern ein Verwaltungsverfahren (Urteil Form einer Seife, Randnrn. 21 bis 23). Zum anderen und im Unterschied zu der Situation, die bei den Gemeinschaftsgerichten gegeben ist, brauchen bei der Beschwerdekammer im verfahrenseinleitenden Schriftsatz, wie oben in Randnummer 30 ausgeführt, keine bestimmten Beschwerdegründe vorgetragen zu werden.

    35 Demnach hat die Beschwerdekammer, indem sie von einer Prüfung der von der Klägerin im Verfahren bei der Widerspruchsabteilung vorgebrachten Beweismittel, insbesondere der Erklärung von Herrn Blacha, absah, gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 61 Absatz 1 und 62 Absatz 1 der Verordnung Nr. 40/94 verstoßen. Der erste Klagegrund greift somit durch.

    36 Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass die übrigen von der Klägerin angeführten Klagegründe geprüft zu werden brauchen.

    Kostenentscheidung


    Kosten

    37 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Beklagte mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

    Tenor


    Aus diesen Gründen

    hat

    DAS GERICHT

    (Zweite Kammer)

    für Recht erkannt und entschieden:

    1. Die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) vom 12. September 2001 (Sache R-738/2000-3) wird aufgehoben.

    2. Das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) trägt die Kosten des Verfahrens.

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