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Document 61998CC0198

Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 9. September 1999.
G. Everson und T.J. Barrass gegen Secretary of State for Trade and Industry und Bell Lines Ltd.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Industrial Tribunal, Bristol - Vereinigtes Königreich.
Sozialpolitik - Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers - Richtlinie 80/987/EWG - Arbeitnehmer, die in einem anderen Staat als dem des Hauptsitzes des Arbeitgebers wohnen und ihre Tätigkeit ausüben - Garantieeinrichtung.
Rechtssache C-198/98.

Sammlung der Rechtsprechung 1999 I-08903

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1999:401

61998C0198

Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 9/09/1999. - G. Everson und T.J. Barrass gegen Secretary of State for Trade and Industry und Bell Lines Ltd. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Industrial Tribunal, Bristol - Vereinigtes Königreich. - Sozialpolitik - Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers - Richtlinie 80/987/EWG - Arbeitnehmer, die in einem anderen Staat als dem des Hauptsitzes des Arbeitgebers wohnen und ihre Tätigkeit ausüben - Garantieeinrichtung. - Rechtssache C-198/98.

Sammlung der Rechtsprechung 1999 Seite I-08903


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Wer muß einem Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat bei der Zweigniederlassung einer Gesellschaft beschäftigt ist, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründet wurde, in dem sie ihren Sitz hat und in dem das Insolvenzverfahren über sie eröffnet wurde, das wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht gezahlte Arbeitsentgelt zahlen: die Garantieeinrichtung des Mitgliedstaates, in dem sich der Sitz befindet und in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, oder die Garantieeinrichtung des Staates, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt war? Dies ist die eigentliche dem Gerichtshof vom Industrial Tribunal Bristol (Vereinigtes Königreich) vorgelegte Frage.

Zur Beantwortung dieser Frage muß der Gerichtshof die Bestimmungen der Richtlinie 80/987/EWG(1) auslegen.

I - Der Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits

2 Der Ausgangsrechtsstreit beruht auf Anträgen, die ehemalige Arbeitnehmer der Firma Bell Lines Ltd (im folgenden: Bell) beim Secretary of State for Trade and Industry (im folgenden: Secretary of State) eingereicht haben, damit dieser die Garantieeinrichtung des Vereinigten Königreichs anweist, ihnen die von Bell wegen Zahlungsunfähigkeit nicht gezahlten Löhne, Entschädigungen wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist und Urlaubsgelder zu zahlen.

3 Bell war als Schiffsagent tätig. Sie war in Irland gegründet worden und hatte ihren Sitz in Dublin(2). Im Juli 1997 ordnete der irische High Court die Liquidation der Gesellschaft wegen Zahlungsunfähigkeit an und bestellte einen Liquidator. Gemäß Artikel 426 des Insolvency Act 1986 des Vereinigten Königreichs, der eine Zusammenarbeit der für Insolvenzverfahren zuständigen Gerichte vorsieht(3), erkannte der High Court of Justice (England and Wales), Queen$s Bench Division, die Bestellung des Liquidators durch das irische Gericht an und bestellte Sonderverwalter zur Unterstützung bei der Abwicklung der Geschäfte der Gesellschaft im Vereinigten Königreich.

Die Kommission hat in der Sitzung erklärt, die Tatsache, daß das britische Gericht die in Irland erfolgte Bestellung eines Liquidators anerkannt und zwei Sonderverwalter bestellt habe, die bei der Abwicklung der Geschäfte von Bell im Vereinigten Königreich mitwirken sollten, sei nicht gleichbedeutend mit der Eröffnung eines Verfahrens zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft in diesem Staat.

4 Bei Beendigung ihrer Geschäftstätigkeit beschäftigte Bell 209 Arbeitnehmer im Vereinigten Königreich, hatte dort sechs Handelsadressen und entrichtete ebenso wie ihre Arbeitnehmer Beiträge zur Sozialversicherung im Vereinigten Königreich.

5 Die Zweigniederlassung der Gesellschaft in Avonmouth in der Nähe von Bristol war gemäß Section 690 A und Schedule 21 A des Companies Act 1985 (Gesetz über die Gesellschaften) im Gesellschaftsregister für England und Wales eingetragen. Mit diesen Bestimmungen war das innerstaatliche Recht an die in der Richtlinie 89/666/EWG über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen(4), enthaltenen Vorschriften über die Registrierung von Zweigniederlassungen angepasst worden. Nach englischem Recht bewirkte die Registrierung der Zweigniederlassung in Avonmouth weder eine Gesellschaftsgründung noch verlieh sie der Niederlassung Rechtspersönlichkeit.

6 Aufgrund der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft wurden die Beschäftigten im Vereinigten Königreich entlassen. Ihre Anträge auf Zahlung der ausstehenden Löhne und Gehälter wurden vom Secretary of State mit der Begründung zurückgewiesen, daß die irische Garantieeinrichtung zuständig sei. Die zwei in der vorliegenden Rechtssache zusammengefassten Klagen wurden als Musterfälle ausgewählt, um feststellen zu lassen, ob das Secretary of State die Anträge zu Recht abgelehnt hatte.

II - Das nationale Recht

7 Die Klagen wurden gemäß Teil XII des Employment Rights Act 1996 erhoben. Nach Artikel 182 dieses Gesetzes werden den Arbeitnehmern im Falle der Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers die ihnen geschuldeten Beträge vom National Insurance Fund gezahlt, der Teil des Sozialversicherungssystems ist, an das Arbeitgeber und Arbeitnehmer Beiträge leisten.

8 Dieses Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung für den Fall, daß eine Gesellschaft, die im Vereinigten Königreich eine ständige Niederlassung unterhält und dort Arbeitnehmer beschäftigt, jedoch in einem anderen Mitgliedstaat gegründet wurde, nach dem Recht dieses oder eines anderen Staates, jedoch nicht nach dem Recht des Vereinigten Königreichs zahlungsunfähig geworden ist. Gleichwohl gelangte das mit dem Ausgangsrechtsstreit befasste Gericht zu dem Schluß, daß nach den üblichen Auslegungsgrundsätzen des englischen Rechts das betreffende Gesetz den Secretary of State nicht dazu verpflichte, den Klägern die geforderten Löhne und Entschädigungen zu zahlen.

III - Die Vorlagefrage

9 Im Rahmen dieses Rechtsstreits hat das Industrial Tribunal Bristol zur Vermeidung einer unterschiedlichen Auslegung der Richtlinie 80/987 durch die Gerichte der Mitgliedstaaten auf Antrag des Secretary of State das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Welche Garantieeinrichtung ist nach Artikel 3 der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zu den danach geschuldeten Zahlungen verpflichtet,

a) die Garantieeinrichtung in dem Mitgliedstaat, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, oder

b) die Garantieeinrichtung in dem Mitgliedstaat, in dem der Arbeitnehmer tätig ist und der Arbeitgeber eine ständige kaufmännische Vertretung hat,

wenn

i) ein Arbeitnehmer in einem Mitgliedstaat für einen Arbeitgeber tätig ist, der in einem anderen Mitgliedstaat als Gesellschaft eingetragen ist,

ii) der Arbeitgeber in dem Mitgliedstaat, in dem der Arbeitnehmer tätig ist, eine Zweigniederlassung hat, die nach den nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 89/666/EWG des Rates (Elfte gesellschaftsrechtliche Richtlinie) in diesem Mitgliedstaat registriert ist, jedoch selbst keine Gesellschaft ist und keine von der Rechtspersönlichkeit des Arbeitgebers gesonderte Rechtspersönlichkeit besitzt,

iii) sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer in dem Mitgliedstaat, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten haben?

IV - Das Gemeinschaftsrecht

10 Artikel 2 der Richtlinie 80/987 lautet:

"(1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig,

a) wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers zur gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger beantragt worden ist, das die Berücksichtigung der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Ansprüche gestattet, und

b) wenn die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde

- entweder die Eröffnung des Verfahrens beschlossen hat,

- oder festgestellt hat, daß das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen.

..."

11 Artikel 3, dessen Auslegung das Industrial Tribunal Bristol begehrt, lautet:

"(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vorbehaltlich des Artikels 4 Garantieeinrichtungen die Befriedigung der nichterfuellten Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen, die das Arbeitsentgelt für den vor einem bestimmten Zeitpunkt liegenden Zeitraum betreffen, sicherstellen.

..."

12 Die Richtlinie 89/666 erlegt den Zweigniederlassungen eine Pflicht zur Offenlegung auf:

"Artikel 1

(1) Die Urkunden und Angaben über eine Zweigniederlassung, die in einem Mitgliedstaat von einer Gesellschaft errichtet worden ist, welche dem Recht eines anderen Mitgliedstaates unterliegt und auf welche die Richtlinie 68/151/EWG Anwendung findet, sind nach dem Recht des Mitgliedstaats der Zweigniederlassung im Einklang mit Artikel 3 der genannten Richtlinie offenzulegen.

..."

"Artikel 2

(1) Die Pflicht zur Offenlegung nach Artikel 1 erstreckt sich lediglich auf folgende Urkunden und Angaben:

...

c) das Register, bei dem die in Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG bezeichnete Akte für die Gesellschaft angelegt worden ist, und die Nummer der Eintragung in dieses Register;

...

f) - die Auflösung der Gesellschaft, die Bestellung, die Personalien und die Befugnisse der Liquidatoren sowie den Abschluß der Liquidation gemäß der Offenlegung, die nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben h), j) und k) der Richtlinie 68/151/EWG bei der Gesellschaft erfolgt;

- ein die Gesellschaft betreffendes Konkursverfahren, Vergleichsverfahren oder ähnliches Verfahren;

..."

13 Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG(5), auf die sich die vorstehenden Bestimmungen beziehen, bestimmt:

"(1) In jedem Mitgliedstaat wird entweder bei einem zentralen Register oder bei einem Handels- oder Gesellschaftsregister für jede der dort eingetragenen Gesellschaften eine Akte angelegt.

(2) Alle Urkunden und Angaben, die nach Artikel 2 der Offenlegung unterliegen, sind in dieser Akte zu hinterlegen oder in das Register einzutragen; der Gegenstand der Eintragungen in das Register muß in jedem Fall aus der Akte ersichtlich sein.

..."

V - Das Vorabentscheidungsverfahren

14 Die Kläger des Ausgangsrechtsstreits, die Regierungen des Vereinigten Königreichs, die irische, die italienische und die niederländische Regierung sowie die Kommission haben gemäß Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofs fristgemäß schriftliche Erklärungen eingereicht.

In der Sitzung vom 6. Juli 1999 haben die Vertreter der Kläger des Ausgangsrechtsstreits, der Regierung des Vereinigten Königreichs, der irischen, der italienischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission mündliche Ausführungen gemacht.

15 Die Kläger des Ausgangsrechtsstreits, die irische, die italienische und die niederländische Regierung sowie die Kommission stimmen darin überein, daß zur Zahlung der geschuldeten Beträge an die Arbeitnehmer die Lohngarantieeinrichtung desjenigen Staates verpflichtet sei, in dem der Arbeitnehmer seine Tätigkeit ausübe und in dem der Arbeitgeber in dem Sinne niedergelassen sei, daß er dort eine ständige kaufmännische Vertretung unterhalte. Zur Begründung führen sie u. a. an, Bell habe Beiträge an das Sozialversicherungssystem des Vereinigten Königreichs für diejenigen Arbeitnehmer entrichtet, die sie dort beschäftigt habe, aber nicht für die in Irland; die Richtlinie 80/987 sehe kein System zum Ausgleich oder zur Erstattung zwischen den Garantieeinrichtungen der Mitgliedstaaten für Zahlungen vor, die die eine für Rechnung der anderen geleistet habe; es widerspreche dem Prinzip der Rechtssicherheit, daß ein Arbeitnehmer, für den Beiträge an die Garantieeinrichtung eines Mitgliedstaates gezahlt worden seien, sich zur Erfuellung nichtbefriedigter Lohn- und Gehaltsansprüche an die Garantieeinrichtung eines anderen Staates wenden müsse, ohne zu wissen, ob die Zahlung entsprechend der Regelung des Beschäftigungsmitgliedstaats oder entsprechend der des Mitgliedstaats, in dem er den Anspruch geltend mache, erfolge.

16 Die Auffassung der Regierung des Vereinigten Königreichs weicht völlig von der der anderen Beteiligten, die in diesem Verfahren Erklärungen abgegeben haben, ab. Sie macht nämlich geltend, daß zur Zahlung die Garantieeinrichtung desjenigen Mitgliedstaats verpflichtet sein müsse, in dem entweder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen oder die endgültige Stillegung des Betriebes des Arbeitgebers festgestellt worden sei. Diese Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil Mosbäk(6) gelte allgemein und müsse zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits herangezogen werden, da es sich um eine einfache Regel handele, die in allen Fällen eine klare Antwort gebe.

VI - Prüfung der Vorlagefrage

17 Das Industrial Tribunal Bristol möchte mit der von ihm vorgelegten Frage wissen, welche Garantieeinrichtung gemäß den Bestimmungen des Artikels 3 der Richtlinie 80/987 die nichterfuellten Lohnansprüche der klagenden Arbeitnehmer befriedigen muß.

18 Wie ich bereits dargelegt habe, behauptet von allen Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, allein die Regierung des Vereinigten Königreichs, daß die Antwort auf die Vorlagefrage bereits im Urteil Mosbäk gegeben worden sei(7). Sowohl die Kläger des Ausgangsrechtsstreits als auch die irische, die italienische und die niederländische Regierung sowie die Kommission bekräftigen dagegen, daß das Ergebnis, zu dem der Gerichtshof in diesem Urteil gelangt sei, auf die tatsächlichen Umstände dieses Falles zurückzuführen sei und dieses Urteil nicht so verstanden werden dürfe, als enthalte es eine allgemein anwendbare Regel.

19 Angesichts dieser Meinungsverschiedenheiten werde ich den Sachverhalt untersuchen, der diesem Urteil zugrunde lag. Der Gerichtshof hatte dort darüber entschieden, welche Garantieeinrichtung im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers die nichterfuellten Ansprüche eines Arbeitnehmers aus seinem Arbeitsverhältnis befriedigen muß, wenn der Arbeitgeber nicht in dem Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers niedergelassen und dort nur durch die Tätigkeit dieses Arbeitnehmers vertreten ist, die dieser in einem vom Arbeitgeber gemieteten Büro ausübte.

20 Frau Mosbäk, die in Dänemark wohnte, wurde im Juni 1993 von der Gesellschaft englischen Rechts Colorgen Ltd als "commercial manager" für Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und später auch Deutschland eingestellt. Die Colorgen Ltd, die ihren Gesellschaftssitz in England hatte, war in Dänemark weder niedergelassen noch eingetragen, und zwar weder als Unternehmen noch in sonstiger Weise, insbesondere nicht bei der Steuer- oder Zollverwaltung. Sie wurde in Dänemark nur durch Frau Mosbäk vertreten. Zur Erfuellung der Aufgaben von Frau Mosbäk hatte die Colorgen Ltd ein Büro angemietet. Während des gesamten Arbeitsverhältnisses wurde Frau Mosbäk das Arbeitsentgelt unmittelbar von der Colorgen Ltd ausbezahlt, ohne daß vom Arbeitgeber nach dänischem Recht Steuerbeträge oder Rentenversicherungs- oder andere Sozialversicherungsbeiträge abgezogen worden wären.

21 Nach einem Jahr wurde über das Vermögen der Colorgen Ltd der Konkurs eröffnet, und deren Beschäftigte, darunter Frau Mosbäk, wurden entlassen. Gemäß Artikel 3 der Richtlinie 80/987 meldete Frau Mosbäk sowohl bei der dänischen Garantieeinrichtung als auch beim englischen Konkursverwalter der Gesellschaft einen nichterfuellten Anspruch in Höhe von 471 996 DKR an Gehalt, Provisionen und Erstattung beruflicher Aufwendungen an. Die dänische Garantieeinrichtung lehnte die Erfuellung der Forderung mit der Begründung ab, daß hierfür die Garantieeinrichtung des Staates zuständig sei, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz habe, im vorliegenden Fall die des Vereinigten Königreichs. In dem anschließenden Rechtsstreit legte das dänische Östre Landsret dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vor.

22 In seinem Urteil hat der Gerichtshof auf diese Frage geantwortet: Ist der Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niedergelassen, in dem der Arbeitnehmer wohnt und seine Arbeitnehmertätigkeit ausgeuebt hat, so ist die für die Befriedigung der Ansprüche dieses Arbeitnehmers im Fall der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers zuständige Garantieeinrichtung die Einrichtung des Staates, in dem im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 80/987 entweder die Eröffnung des Verfahrens zur gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung beschlossen oder die Stillegung des Unternehmens oder des Betriebes des Arbeitgebers festgestellt worden ist.

Dies ist wörtlich die Rechtsfeststellung, die die Regierung des Vereinigten Königreichs in den Rang einer allgemeinen Regel erheben möchte.

23 Ich möchte vorweg bemerken, daß die beiden Fälle in tatsächlicher Hinsicht erheblich voneinander abweichen. Ich glaube, daß in Wirklichkeit die einzige Übereinstimmung darin besteht, daß in beiden Fällen eine Gesellschaft jemanden in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen beschäftigt hat, in dem sie ihren Sitz hatte.

Die Unterschiede sind hingegen zahlreich: Erstens hatte die Colorgen Ltd in Dänemark ein Büro nur gemietet, damit Frau Mosbäk, die einzige Arbeitnehmerin, dort arbeiten konnte, während Bell im Vereinigten Königreich mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigte. Zweitens war die Colorgen Ltd in Dänemark als Unternehmen nicht niedergelassen und auch nicht eingetragen, insbesondere nicht bei der Steuer- oder der Zollverwaltung, während Bell im Vereinigten Königreich zumindest über eine Zweigniederlassung verfügte, die der Offenlegungspflicht gemäß der Richtlinie 89/666 genügte. Drittens behielt die Colorgen Ltd keinerlei Sozialversicherungsbeiträge nach dänischem Recht ein, während Bell im Vereinigten Königreich für ihre Beschäftigten Sozialversicherungsbeiträge entrichtete.

Es bleibt zu prüfen, ob trotz dieser Unterschiede in dem hier zu behandelnden Fall dieselbe Lösung Anwendung finden kann und ob zu entscheiden ist, daß für die Befriedigung der Lohnansprüche der Arbeitnehmer von Bell im Vereinigten Königreich, die infolge der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens entlassen worden sind, die Garantieeinrichtung desjenigen Mitgliedstaates zuständig ist, in dem die Liquidation angeordnet worden ist, d. h. die irische Garantieeinrichtung.

A - Zur Anwendbarkeit der Richtlinie 80/987 auf Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von einer in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft errichtet worden sind, und zur Niederlassungsfreiheit

24 Eine der Ziele der Richtlinie 80/987 ist in der Tat, den Arbeitnehmern bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers einen Mindestschutz zu gewährleisten, indem die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede in bezug auf den Umfang dieses Schutzes verringert werden, und zwar unbeschadet der Möglichkeit der Mitgliedstaaten, günstigere Bestimmungen zu erlassen. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, Einrichtungen zu gründen, die den Arbeitnehmern die Erfuellung mindestens eines Teils ihrer wegen Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers nicht befriedigten Lohn- und Gehaltsforderungen garantieren sollen. Allgemein gilt nach Artikel 5 Buchstabe b, daß die Arbeitgeber zur Mittelaufbringung beitragen müssen, es sei denn, daß diese in vollem Umfang durch die öffentliche Hand gewährleistet ist. Die Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen besteht unabhängig von der Erfuellung der Verpflichtungen, zur Mittelaufbringung beizutragen.

25 Die Richtlinie 80/987 ist nur anwendbar, wenn der Unternehmer, der die betroffenen Arbeitnehmer beschäftigt, zahlungsunfähig ist. Die Richtlinie definiert weder den Begriff des Arbeitnehmers noch den des Arbeitgebers; diese Begriffe sind daher nach den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen zu bestimmen.

Hingegen legt Artikel 2 der Richtlinie fest, daß ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig anzusehen ist, a) wenn die Eröffnung eines nach dem nationalen Recht vorgesehenen Verfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers zur gemeinschaftlichen Befriedigung seiner Gläubiger beantragt worden ist, b) wenn die zuständige Behörde die Eröffnung des Verfahrens beschlossen hat oder festgestellt hat, daß das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen.

26 Das vorlegende Gericht hat in seinem Beschluß festgestellt, daß das Recht des Vereinigten Königreichs keine ausdrückliche Regelung für den Fall enthalte, daß eine in einem anderen Mitgliedstaat gegründete Gesellschaft, die Arbeitnehmer im Vereinigten Königreich beschäftigte, wo sie von einer ständigen Niederlassung aus tätig sei, nach dem Recht dieses oder eines anderen Mitgliedstaates, nicht jedoch nach dem Recht des Vereinigten Königreichs zahlungsunfähig geworden sei, so daß der Secretary of State nicht verpflichtet sei, die ausstehenden Lohnansprüche der im Vereinigten Königreich beschäftigten und von der Zahlungsunfähigkeit betroffenen Arbeitnehmer zu befriedigen.

27 Meiner Ansicht nach schließt ein solcher Fall nicht die Anerkennung der Lohnansprüche von Arbeitnehmern aus, die im Vereinigten Königreich bei einer Zweigniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft beschäftigt sind, wenn die Voraussetzungen erfuellt sind, die der Gerichtshof aufgestellt hat, damit ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig anzusehen ist. Diese Voraussetzungen sind: Das nationale Recht sieht ein Verfahren zur gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger vor; im Rahmen dieses Verfahrens ist es möglich, die Forderungen von Arbeitnehmern aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen zu berücksichtigen; die Eröffnung des Verfahrens ist beantragt worden; die zuständige Behörde hat entweder die Eröffnung des Verfahrens beschlossen oder festgestellt, daß das Unternehmen oder der Betrieb endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht(8).

28 Für meine Auffassung lassen sich die folgenden Gründe anführen. Erstens verlangt die Richtlinie 80/987 nicht, daß eine Gesellschaft, die in einem Mitgliedstaat für zahlungsunfähig erklärt wurde, auch in einem anderen Mitgliedstaat nach dessen Recht für zahlungsunfähig erklärt wird. Zweitens hat, auch wenn die Eröffnung eines Verfahrens zur gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger über das Vermögen von Bell im Vereinigten Königreich weder beantragt noch beschlossen worden ist, der High Court of Justice dieses Staates gleichwohl die vom irischen High Court vorgenommene Bestellung eines Liquidators anerkannt und seinerseits Sonderverwalter zur Unterstützung bei der Abwicklung der Gesellschaft im Vereinigten Königreich bestellt. Ich glaube, daß dieses Gericht dies nicht getan hätte, wenn es nicht zu dem Ergebnis gekommen wäre, daß Bell die Geschäftstätigkeit in ihren Handelsniederlassungen im Vereinigten Königreich eingestellt hat. Drittens verlangte Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f der Richtlinie 89/666, daß der Antrag auf Eröffnung des Verfahrens zur gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger, der gegen Bell in Irland gerichtet war, ebenso wie der Liquidationsbeschluß im Vereinigten Königreich offenzulegen waren. Auch wenn die Richtlinie 80/987 die Definition des Begriffes des "Arbeitgebers" im nationalen Recht nicht berührt, ist meines Erachtens klar, daß das Insolvenzverfahren nicht gegen das Unternehmen als Ganzes eröffnet werden muß, unabhängig davon, ob es eine Gesellschaft ist, da Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie sich auf die Feststellung der zuständigen Behörde bezieht, "daß das Unternehmen oder der Betrieb(9) des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist".

Meines Erachtens spricht nichts dagegen, daß für die Anwendung der Richtlinie 80/987 in einem Mitgliedstaat die Eröffnung eines Verfahrens der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger gegen die Zweigniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft wegen Einstellung der Zahlungen beantragt wird oder daß die zuständige Behörde des erstgenannten Mitgliedstaates die endgültige Stillegung der Zweigniederlassung und das Fehlen einer ausreichenden Vermögensmasse feststellt.

29 Im Urteil Mosbäk hat der Gerichtshof festgestellt, daß in der Praxis die Eröffnung des Verfahrens zur gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger, das eine Berücksichtigung der Lohn- und Gehaltsansprüche ermöglicht, in den meisten Fällen in dem Staat beantragt wird, in dem der Arbeitgeber niedergelassen ist(10).

30 Die Regierung des Vereinigten Königreichs ist offensichtlich der Auffassung, daß ein Unternehmen nur in dem Mitgliedstaat niedergelassen ist, in dem es gegründet worden sei und in dem sich sein Sitz befinde. Aus diesem Grund macht sie wohl geltend, daß die allein zuständige Garantieeinrichtung für alle Arbeitnehmer von Bell die irische Garantieeinrichtung sei, unabhängig von dem Mitgliedstaat, in dem die Arbeitnehmer ihre Tätigkeit ausgeuebt und Beiträge zur Sozialversicherung geleistet hätten. Die anderen Verfahrensbeteiligten sind hingegen der Ansicht, daß eine Gesellschaft, die in einem Mitgliedstaat gegründet worden sei, in dem sich ihr Sitz befinde, auch in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sein könne und daß es hierfür ausreiche, daß sie dort eine Zweigniederlassung oder, wie die Kläger des Ausgangsrechtsstreits angegeben haben, "eine ständige kaufmännische Vertretung" habe.

31 Ich teile diese zweite Ansicht. Nach Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) ist die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften in einem Mitgliedstaat durch Angehörige eines Mitgliedstaates, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates ansässig sind, ein wesentlicher Bestandteil der Niederlassungsfreiheit. Folglich ist eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat im Sinne des Gemeinschaftsrechts sowohl dann niedergelassen, wenn sie in diesem Staat gegründet worden ist, als auch dann, wenn sie nach ihrer Gründung in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit in dem ersten Staat Gebrauch macht und dort eine Zweigniederlassung errichtet.

Nach der dritten Begründungserwägung der Richtlinie 89/666 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, ist zudem die Errichtung einer Zweigniederlassung neben der Gründung einer Tochtergesellschaft eine der Möglichkeiten, die derzeit einer Gesellschaft zur Ausübung ihrer Niederlassungsfreiheit in einem anderen Mitgliedstaat zur Verfügung stehen.

32 Aus diesen Gründen bin ich der Auffassung, daß im Unterschied zu dem Sachverhalt der Rechtssache Mosbäk, dem zufolge die britische Gesellschaft nur durch ein gemietetes Büro und eine einzige Arbeitnehmerin in Dänemark vertreten war, eine Zweigniederlassung, die in einem Mitgliedstaat durch eine in einem anderen Mitgliedstaat gegründete und dort ansässige Gesellschaft eröffnet worden ist, als zahlungsunfähiger Arbeitgeber im Sinne der Richtlinie angesehen werden kann, vorausgesetzt, daß die Eröffnung eines Verfahrens zur Feststellung dieser Zahlungsunfähigkeit im ersten Mitgliedstaat beantragt worden ist, und die zuständige Behörde die endgültige Stillegung sowie das Fehlen einer ausreichenden Vermögensmasse festgestellt hat.

B - Zur Bedeutung des Beitrags des Arbeitgebers zur Mittelaufbringung, wenn es um die Bestimmung der zuständigen Garantieeinrichtung geht

33 Im Urteil Mosbäk hat der Gerichtshof ebenfalls festgestellt, daß nach Artikel 5 Buchstabe b der Richtlinie die Mittel für die Garantieregelung von den Arbeitgebern aufgebracht werden, es sei denn, daß die Mittel in vollem Umfang durch die öffentliche Hand aufgebracht werden, und daß es mangels anderslautender Bestimmungen in der Richtlinie deren Systematik entspricht, daß die für die Befriedigung nichterfuellter Ansprüche der Arbeitnehmer zuständige Garantieeinrichtung diejenige ist, die die Beiträge vom zahlungsunfähigen Arbeitgeber erhoben hat oder jedenfalls hätte erheben müssen(11).

34 Dies war bei der dänischen Garantieeinrichtung nicht der Fall, da der Arbeitnehmer zwar seinen Wohnsitz in Dänemark hatte und dort tätig war, der Arbeitgeber aber in diesem Staat weder niedergelassen noch eingetragen war, und zwar weder als Unternehmen noch in sonstiger Weise, insbesondere nicht bei der Steuer-(12) oder bei der Zollverwaltung. Darüber hinaus hatte der Arbeitgeber von dem ausgezahlten Arbeitsentgelt weder Steuerbeträge noch Rentenversicherungs- oder andere Sozialversicherungsbeiträge nach dänischem Recht abgezogen.

Im vorliegenden Fall dagegen unterhielt das zahlungsunfähige Unternehmen nicht nur eine Zweigniederlassung im Vereinigten Königreich, sondern trug ebenso wie seine Arbeitnehmer durch Beiträge auch zur Finanzierung des Sozialversicherungssystems dieses Mitgliedstaates bei.

35 Ich kann der Regierung des Vereinigten Königreichs nicht beipflichten, wenn sie meint, daß man die Garantieeinrichtung desjenigen Staates, in dem die Beiträge geleistet worden seien, nicht als zuständig ansehen könne, da die Richtlinie 80/987 den Mitgliedstaaten erlaube, die Garantieeinrichtung in vollem Umfang aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren.

Es handelt sich in der Tat um eine Option, die den Mitgliedstaaten bei der Entscheidung über die Form der Finanzierung ihrer Garantieeinrichtungen offensteht. Gleichwohl lässt sich der Einwand des Vereinigten Königreichs leicht entkräften, da, wie ich oben ausgeführt habe, nach Artikel 5 Buchstabe c der Richtlinie die Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen selbst dann besteht, wenn der Arbeitgeber seine Verpflichtung, zur Mittelaufbringung beizutragen, nicht erfuellt hat. Die Arbeitgeberbeiträge fehlen sowohl der Einrichtung, die in vollem Umfang von der öffentlichen Hand finanziert wird, als auch der Einrichtung, die zwar teilweise von den Unternehmen finanziert wird, die Beiträge aber nicht erhalten hat, die der für zahlungsunfähig erklärte Unternehmer an sie hätte leisten müssen. Und dennoch sind beide verpflichtet, die nichtbefriedigten Lohnforderungen der Arbeitnehmer zu erfuellen.

36 Somit ergibt sich zwangsläufig der Schluß, daß die nichterfuellten Lohn- und Gehaltsansprüche der von der Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers betroffenen Arbeitnehmer von der Garantieeinrichtung befriedigt werden müssen, die die Beiträge des zahlungsunfähigen Arbeitgebers erhoben hat oder zumindest hätte erheben müssen.

C - Zum Nichtbestehen eines Systems des Ausgleichs zwischen den Garantieeinrichtungen der Mitgliedstaaten

37 Im Urteil Mosbäk ist der Gerichtshof ebenfalls auf den Umstand eingegangen, daß die Richtlinie kein System zum Ausgleich oder zur Erstattung von Zahlungen zwischen den Garantieeinrichtungen der verschiedenen Mitgliedstaaten vorgesehen hat. Dies bestätigt nach Auffassung des Gerichtshofs, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber für den Fall der Zahlungsunfähigkeit eines Arbeitgebers den Eintritt der Garantieeinrichtung nur eines einzigen Mitgliedstaates gewollt hat, um einer unnötigen Überschneidung der nationalen Regelungen und insbesondere der Entstehung von Sachverhalten vorzubeugen, bei denen ein Arbeitnehmer in mehreren Mitgliedstaaten die Anwendung der Richtlinie in Anspruch nehmen könnte.

38 Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht unter Berufung auf diese Feststellung geltend, daß allein die Garantieeinrichtung desjenigen Staates, in dem die Eröffnung des Verfahrens zur gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger beschlossen worden sei, eintreten und die Lohnansprüche der Arbeitnehmer erfuellen müsse, die in den Zweigniederlassungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten beschäftigt seien.

39 Ich bin mit dieser Auslegung nicht einverstanden. Meiner Ansicht nach wollte der Gerichtshof damit zum Ausdruck bringen, daß der Arbeitnehmer sich wegen seiner nichtbefriedigten Lohn- und Gehaltsforderungen an eine einzige Garantieeinrichtung wenden können muß - und zwar unabhängig davon, ob er in seinem Berufsleben in verschiedenen Mitgliedstaaten gearbeitet hat -, um zu vermeiden, daß für die Anerkennung seiner Forderungen in einem bestimmten Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegte Arbeitszeiten zusammengerechnet werden müssen. Aus diesem Grund hat der Gerichtshof angeführt, daß die Richtlinie kein System zum Ausgleich zwischen den Garantieeinrichtungen der Mitgliedstaaten vorsieht(13).

40 Überdies verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit, daß ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat von einem dort in dem von mir genannten Sinne niedergelassenen Arbeitgeber beschäftigt wird, und zusammen mit diesem Beiträge an das Sozialversicherungssystem dieses Staates entrichtet, sich an die Garantieeinrichtung dieses Staates wenden kann, damit diese die aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ausstehenden Lohnansprüche nach den Gesetzen dieses Staates erfuellt, weil diese dem Arbeitnehmer vertraut sind. Es wäre mit diesem Grundsatz unvereinbar, wenn der Arbeitnehmer sich an die Garantieeinrichtung eines anderen Mitgliedstaates wenden müsste, um nach den Regeln und Tarifen entschädigt zu werden, die in diesem anderen Staaten gelten und die ihm fremd sind.

Dies beeinträchtigt in keiner Weise die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Verfahren vorzusehen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind, wie z. B. die informelle Zusammenarbeit zwischen den Garantieeinrichtungen der nordischen Staaten(14).

41 Noch weitere Argumente sprechen für die von mir befürwortete Lösung. Zum einen wird der rechtliche Schutz des Arbeitnehmers gestärkt, wenn dieser die Zahlung des ihm geschuldeten Arbeitsentgelts von den Behörden des Staates verlangen kann, in dem er als Arbeitnehmer tätig gewesen ist. Zum anderen wird er gleich wie alle anderen Arbeitnehmer in diesem Staat behandelt, die von Arbeitgebern beschäftigt werden, die dort ansässig sind. Dies wäre nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer sich an die Garantieeinrichtung eines anderen Staates wenden müsste.

42 Die Kommission hat noch weitere Gründe angeführt. Die Anwendung der Richtlinie 80/987 setzt nämlich sowohl einen Arbeitnehmer als auch einen zahlungsunfähigen Arbeitgeber voraus; beide Begriffe werden durch das Recht der Mitgliedstaaten definiert und müssen in jedem einzelnen Fall von nationalen Gerichten beurteilt werden. Aus diesem Grund müssen sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber demselben Recht unterworfen sein.

Und solange kein europäisches Übereinkommen in Kraft ist, wonach ein einheitliches Verfahren zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit in der ganzen Gemeinschaft angewandt werden kann, in dessen Rahmen die ganze verfügbare Vermögensmasse und alle potentiellen Gläubiger berücksichtigt werden, werden sich die nationalen Gesetze weiterhin auf das Territorialitätsprinzip stützen, so daß die Vermögenswerte, die nicht der Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaates unterliegen, nicht in einem Verfahren berücksichtigt werden können, das in diesem Mitgliedstaat eingeleitet wurde.

Last but not least, dürfen die sprachlichen Probleme für den Arbeitnehmer nicht unterschätzt werden, wenn er seinen Antrag in einem anderen Mitgliedstaat stellen müsste, da sie die Wirksamkeit des von der Richtlinie gewährten Schutzes verringern könnten.

VII - Ergebnis

43 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die ihm vom Industrial Tribunal Bristol vorgelegte Frage wie folgt zu antworten:

Im Fall von Arbeitnehmern, die in einem Mitgliedstaat von einer Zweigniederlassung beschäftigt worden sind, die einer Gesellschaft gehört, die in einem anderen Mitgliedstaat gegründet wurde, in dem sie ihren Sitz hat und in dem das Verfahren zur gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger beantragt worden ist, ist die Garantieeinrichtung, die nach Artikel 3 der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers für die Befriedigung der Ansprüche dieser Arbeitnehmer zuständig ist, die Einrichtung des Staates, in dem die Arbeitnehmer ihre Tätigkeit ausgeuebt haben und in dem der Arbeitgeber zur Finanzierung der Einrichtung Beiträge entrichtet hat oder hätte entrichten müssen.

(1) - Richtlinie des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283, S. 23).

(2) - Die Gesellschaft war nicht nur in Irland, sondern auch im Vereinigten Königreich tätig, wo sie Arbeitnehmer beschäftigte und eine ständige kaufmännische Vertretung hatte; sie unterhielt Zweigniederlassungen in Frankreich, Deutschland, Italien und den Niederlanden; sie war an einem Unternehmen in Spanien beteiligt und auch in Österreich und Luxemburg tätig, jedoch ohne dort niedergelassen zu sein.

(3) - Irland ist der einzige Mitgliedstaat, in dem Artikel 426 Anwendung findet.

(4) - Elfte Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1989 (ABl. L 395, S. 36).

(5) - Erste Richtlinie des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 165, S. 8).

(6) - Urteil vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-117/96 (Slg. 1997, I-5017).

(7) - Zitiert in Fußnote 6.

(8) - Urteil vom 9. November 1995 in der Rechtssache C-479/93 (Francovich, Slg. 1995, I-3843, Randnr. 18).

(9) - Hervorhebung vom Verfasser.

(10) - Der Gerichtshof hat hinzugefügt: "Das Inkrafttreten des am 23. November 1995 in Brüssel unterzeichneten Übereinkommens über Insolvenzverfahren (noch nicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht), dessen Artikel 3 Absatz 1 als Hauptkriterium für die Zuständigkeit auf das Gebiet abstellt, in dem $der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat`, dürfte diese allgemeine Tendenz verstärken." Der Text dieses Übereinkommens, das von allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert worden ist, ist von der American Society of International Law in International Legal Materials, Washington, 1996, Band XXXV, S. 1223 veröffentlicht worden.

(11) - Urteil Mosbäk (zitiert in Fußnote 6, Randnr. 24).

(12) - Die Mittel für die dänische Garantieeinrichtung wurden unmittelbar vom Staat aufgebracht. Gleichwohl kann man, da sich die Mittel auf ein Tausendstel der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage beliefen, sagen, daß die mehrwertsteuerpflichtigen Unternehmer Beiträge leisteten, wenn auch nur mittelbar.

(13) - Auf dem Gebiet der Sozialversicherung der Wanderarbeitnehmer rechnet man für die Anerkennung des Leistungsanspruchs wegen der Koordinierung der nationalen Sozialversicherungssysteme die in den verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten zusammen. Auf diesem Gebiet ist denn auch ein System zur Erstattung von Leistungen geschaffen worden, die vom Sozialversicherungsträger eines Mitgliedstaates für Rechnung desjenigen eines anderen Mitgliedstaates erbracht worden sind.

(14) - Diese Zusammenarbeit, die auf eine Entscheidung des Nordisk Raad (Nordischer Rat) von 1984 zurückgeht, erlaubt dem Arbeitnehmer, wenn die Gesetzgebung des Niederlassungsstaates des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer vorteilhafter ist das diejenige des Staates, in dem er seine Tätigkeit ausübt, die Zahlung seiner Forderung von der Garantieeinrichtung des erstgenannten Staates zu verlangen. Schaumburg-Müller, Lönmodtagernes Garantifond, en lovkommentar, Munksgaard, Kopenhagen, 1987, S. 167.

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