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Document 61997CC0260

Schlussanträge des Generalanwalts La Pergola vom 2. Februar 1999.
Unibank A/S gegen Flemming G. Christensen.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesgerichtshof - Deutschland.
Brüsseler Übereinkommen - Auslegung des Artikels 50 - Begriff der 'öffentlichen Urkunden, die in einem Vertragsstaat aufgenommen und vollstreckbar sind' - Ohne Mitwirkung einer öffentlich bestellten Urkundsperson aufgenommene Urkunde - Artikel 32 und 36.
Rechtssache C-260/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1999 I-03715

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1999:44

61997C0260

Schlussanträge des Generalanwalts La Pergola vom 2. Februar 1999. - Unibank A/S gegen Flemming G. Christensen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesgerichtshof - Deutschland. - Brüsseler Übereinkommen - Auslegung des Artikels 50 - Begriff der 'öffentlichen Urkunden, die in einem Vertragsstaat aufgenommen und vollstreckbar sind' - Ohne Mitwirkung einer öffentlich bestellten Urkundsperson aufgenommene Urkunde - Artikel 32 und 36. - Rechtssache C-260/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1999 Seite I-03715


Schlußanträge des Generalanwalts


1 In der vorliegenden Rechtssache sind dem Gerichtshof zwei Vorabentscheidungsfragen nach der Auslegung des Brüsseler Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im folgenden: Brüsseler Übereinkommen oder Übereinkommen)(1) vorgelegt worden. Die erste betrifft den Begriff "öffentliche Urkunde" im Sinne des Artikels 50 des Übereinkommens. Bei der zweiten geht es um Artikel 32 Absatz 2 des Übereinkommens, genauer um die Frage, ob es erforderlich ist, daß der Schuldner seinen Wohnsitz in dem Staat, in dem das Verfahren eingeleitet worden ist, beibehält.

Der rechtliche und tatsächliche Kontext des Ausgangsverfahrens und die Vorabentscheidungsfragen

2 Die Bestimmungen, um die es in dem Auslegungsersuchen geht, sind Artikel 50 und Artikel 32 des Brüsseler Übereinkommens in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland(2) sowie des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland(3).

Artikel 50 lautet:

"Öffentliche Urkunden, die in einem Vertragsstaat aufgenommen und vollstreckbar sind, werden in einem anderen Vertragsstaat auf Antrag in den Verfahren nach den Artikeln 31 ff. mit der Vollstreckungsklausel versehen. Der Antrag kann nur abgelehnt werden, wenn die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaats widersprechen würde.

Die vorgelegte Urkunde muß die Voraussetzungen für ihre Beweiskraft erfuellen, die in dem Staat, in dem sie aufgenommen wurde, erforderlich sind.

Die Vorschriften des 3. Abschnitts des Titels III sind sinngemäß anzuwenden."

Artikel 50 Absatz 1 Satz 1 wurde durch Artikel 14 des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik(4) wie folgt geändert:

"Öffentliche Urkunden, die in einem Vertragsstaat aufgenommen und vollstreckbar sind, werden in einem anderen Vertragsstaat auf Antrag in den Verfahren nach den Artikeln 31 ff. für vollstreckbar erklärt."

Infolge dieser Änderung(5) entspricht Artikel 50 des Brüsseler Übereinkommens nunmehr wörtlich dem Artikel 50 des Übereinkommens von Lugano vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im folgenden: Luganer Übereinkommen)(6).

Artikel 32 Absatz 2 des Brüsseler Übereinkommens, um den es in der zweiten Vorabentscheidungsfrage geht, lautet:

"Die örtliche Zuständigkeit wird durch den Wohnsitz des Schuldners bestimmt. Hat dieser keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats, so ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll."

3 Der Sachverhalt, der dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegt, lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Unibank A/S ist eine Bank dänischen Rechts mit Sitz in AArhus, Dänemark. Sie macht einen Anspruch gegen Herrn Christensen geltend, der zwischen 1990 und 1992 zugunsten der Bank drei Schuldscheine (Gäldsbrev) über Beträge von 270 000 DKR, 422 000 DKR und 138 000 DKR unterzeichnet hatte. Diese Schuldscheine sind maschinenschriftlich verfasst und wurden von einer weiteren Person - einem Angestellten der Bank - als Zeugen für die Unterschriftsleistung des Schuldners gegengezeichnet. Die streitigen Dokumente enthalten im übrigen den Hinweis, daß sie als Grundlage für die Zwangsvollstreckung dienen können; insoweit wird auf § 478 der dänischen Zivilprozessordnung hingewiesen. Die geschuldeten Beträge sind - wie sich aus dem Vorlagebeschluß ergibt - fällig.

4 Im Zeitpunkt der Ausstellung der Schuldscheine hatte der Schuldner seinen Wohnsitz in Dänemark. Später verlegte er ihn nach Weiterstadt in Deutschland, wo die Unibank ihm die drei Schuldscheine zustellen ließ. Auf ihren Antrag erklärte das Landgericht Darmstadt die Zwangsvollstreckung aus den Schuldscheinen für zulässig. Hiergegen legte Herr Christensen Beschwerde ein und trug vor, er habe seine Schuld teilweise beglichen, und für den Restbetrag hätten die Parteien Ratenzahlung vereinbart. Ausserdem teilte er mit, daß er Deutschland verlassen habe, ohne allerdings seine neue Anschrift bekanntzugeben. Das Oberlandesgericht änderte den Beschluß des Landgerichts und gab der Beschwerde von Herrn Christensen statt. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, daß eine Vollstreckung in Deutschland nicht mehr in Betracht komme, da der Schuldner nicht mehr in diesem Staat wohne.

5 Hiergegen erhob die Unibank beim Bundesgerichtshof eine Rechtsbeschwerde. Dieser hielt es für erforderlich, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist der von einem Schuldner ohne Beteiligung einer öffentlich bestellten Urkundsperson unterzeichnete Schuldschein - wie der Gäldsbrev dänischen Rechts (§ 478 Absatz 1 Nr. 5 des dänischen Rechtspflegegesetzes) - eine öffentliche Urkunde im Sinne von Artikel 50 EuGVÜ, wenn in dem Schuldschein ausdrücklich festgelegt ist, daß er als Grundlage der Zwangsvollstreckung dienen kann, und wenn er nach dem Recht des Errichtungsstaats die Grundlage für eine Zwangsvollstreckung sein kann, allerdings unter dem Vorbehalt, daß das Vollstreckungsgericht den Vollstreckungsantrag des Gläubigers zurückweisen kann, falls es infolge vorgebrachter Einwendungen gegen die Grundlage der Zwangsvollstreckung bedenklich ist, die Vollstreckungshandlung zu fördern?

Falls die Frage zu 1 bejaht wird:

2. Wird ein beim örtlich zuständigen Gericht im Sinne von Artikel 32 Absatz 2 EuGVÜ gestellter Antrag auf Anerkennung einer Entscheidung oder öffentlichen Urkunde dadurch unzulässig oder unbegründet, daß der Schuldner während der Anhängigkeit des Beschwerdeverfahrens (Artikel 36 EuGVÜ) aus dem Staat verzieht, in dem das Verfahren eingeleitet wurde, und sein neuer Aufenthaltsort unbekannt ist?

Die erste Vorabentscheidungsfrage

6 Mit der ersten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Auslegung des Begriffes "öffentliche Urkunde" im Sinne des Artikels 50 des Brüsseler Übereinkommens. Der Gerichtshof wird insbesondere gebeten, zu präzisieren, ob es erforderlich ist, daß eine öffentlich bestellte Urkundsperson oder jedenfalls eine Behörde an der Errichtung einer Urkunde beteiligt gewesen sein muß, damit diese als öffentliche Urkunde angesehen und folglich in den anderen Vertragsstaaten vollstreckt werden kann.

Die Unibank hat in ihren Erklärungen vorgeschlagen, diese Frage zu verneinen. Ihrer Meinung nach fällt unter Artikel 50 des Übereinkommens jede Urkunde, die nach dem Recht des Errichtungsstaats als Vollstreckungstitel anzusehen sei. Es sei dagegen nicht erforderlich, daß die Urkunde durch eine öffentlich bestellte Urkundsperson oder unter Beteiligung einer solchen Person errichtet worden sei. Dieses Vorbringen stellt inhaltlich weniger auf die Regeln ab, die für die Errichtung der Urkunde gelten, als vielmehr auf deren Wirkung, nämlich die Vollstreckbarkeit, die ihr durch das Recht des Errichtungsstaats verliehen werden muß.

Die Gegenmeinung wird von Herrn Christensen, der Kommission, der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs vertreten. Diese sind einhellig der Auffassung, daß unter die Kategorie der öffentlichen Urkunden im Sinne des Artikels 50 des Übereinkommens nur solche Urkunden fallen, die von einer öffentlichen Stelle oder einem anderen Rechtssubjekt, dem zu diesem Zweck die entsprechende Befugnis verliehen worden ist, beurkundet worden seien. Notwendig sei somit eine besondere Beurkundungshandlung, deren Modalitäten das Recht des Staates, in dem die Urkunde aufgenommen worden sei, festzulegen habe.

7 Meines Erachtens ist die letztere These richtig. Ein erstes, aus dem Wortlaut hergeleitetes Argument für diese Lösung findet sich in der Formulierung des Artikels 50 selbst: Dieser bezieht sich nämlich auf "öffentliche Urkunden, die in einem Vertragsstaat aufgenommen und vollstreckbar sind"(7). Das Wort "aufgenommen" verweist auf ein Verfahren der Errichtung der Urkunde, das nicht nur die Beteiligung der betroffenen Parteien, sondern auch die eines anderen Rechtssubjekts voraussetzt, das die Urkunde aufzunehmen und ihr den Charakter einer "öffentlichen Urkunde" zu verleihen hat. Der Wortlaut der zu prüfenden Vorschrift, nämlich die Verwendung des Begriffes "aufgenommen", begründet somit die Vermutung, daß diese Vorschrift eine Kategorie von Urkunden bezeichnet, die aus der Ausübung der Funktion der öffentlichen Beurkundung resultieren, die von der Rechtsordnung bisweilen öffentlich bestellten Urkundspersonen und bisweilen anderen Rechtssubjekten übertragen wird, deren Zuständigkeit gesetzlich festgelegt ist(8).

Allein dieses Ergebnis erscheint mir als mit Sinn und Zweck des Übereinkommens vereinbar und kohärent. Dieses Vertragswerk bezweckt nämlich, "durch ein einfaches und zuegiges Verfahren der Vollstreckbarerklärung die Freizuegigkeit der Urteile soweit wie möglich herzustellen"(9). Nun stellt Artikel 50 des Übereinkommens "öffentliche Urkunden, die in einem Vertragsstaat aufgenommen und ... in einem anderen Vertragsstaat ... vollstreckbar [sind]", gerichtlichen Entscheidungen gleich. Diese Urkunden genießen damit gewissermassen die gleiche Freizuegigkeit wie Urteile, in dem Sinne, daß ihnen nach Artikel 50 eine Vorzugsbehandlung hinsichtlich ihrer Vollstreckung in anderen Vertragsstaaten gewährt wird. Man kann sogar sagen, daß das Übereinkommen für öffentliche Urkunden eine günstigere Regelung vorsieht als für gerichtliche Entscheidungen. Denn der Antrag auf Vollstreckbarerklärung einer öffentlichen Urkunde kann nach Artikel 50 nur abgelehnt werden, wenn die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaats widersprechen würde, während bei Urteilen andere Gründe für die Ablehnung des Antrags angeführt werden können(10).

Nun ist es unter Berücksichtigung der Konsequenzen der Qualifizierung einer Urkunde als "öffentliche Urkunde" zweckmässig, bei der Definition dieser Kategorie Vorsicht walten zu lassen. Die öffentliche Urkunde wird nämlich Urteilen gleichgestellt. Und diese Anlehnung rechtfertigt sich gerade dadurch, daß die öffentliche Urkunde das Ergebnis der geistigen und bewertenden Tätigkeit einer öffentlich bestellten Urkundsperson und damit - und sei es auch nur mittelbar und zu dokumentarischen Zwecken - eine Emanation der öffentlichen Gewalt ist. So hat das Übereinkommen die Entfaltung der besonderen Wirkungen, der "öffentlichen Urkunde" ausschließlich im Zusammenhang mit den Merkmalen dieser Tätigkeit und ihrer Verrichtung durch besonders qualifizierte Personen, nämlich Bedienstete, die entweder Verwaltungsorgane oder mit einem öffentlichen Amt betraute Privatpersonen sind, vorgesehen. Es handelt sich also um Wirkungen, die nur insoweit zu rechtfertigen sind, als eine Vermutung für jene permanente Genauigkeit und Gewißheit besteht, die die repräsentativen Handlungen kennzeichnen, die von den für Beglaubigungen zuständigen spezialisierten öffentlichen Amtsträgern vorgenommen werden. Deshalb kann nicht jede beliebige privatschriftliche Urkunde als "öffentliche Urkunde" angesehen werden, sondern diese Qualifizierung muß den Urkunden vorbehalten bleiben, für die besondere Beglaubigungsverfahren gelten, die es rechtfertigen, diese Kategorie gerichtlichen Entscheidungen gleichzustellen. Es würde dagegen Sinn und Zweck des Übereinkommens widersprechen, wenn die Vertragsstaaten privatschriftliche, nicht öffentlich ausgestellte beglaubigte Urkunden ebenso behandeln müssten wie Entscheidungen der Rechtsprechungsorgane.

8 Diese Erwägungen finden eine Bestätigung im Bericht von Jenard und Möller über das Luganer Übereinkommen(11). Dort heisst es nämlich zu Artikel 50 dieses Übereinkommens, der der Vorschrift entspricht, um die es im vorliegenden Rechtsstreit geht, und der im wesentlichen denselben Wortlaut hat(12), daß eine "öffentliche Urkunde" im Sinne dieser Vorschrift eine Urkunde ist, die folgende Voraussetzungen erfuellt:

"- Die Beurkundung muß von einer Behörde vorgenommen worden sein;

- die Beurkundung muß sich auf den Inhalt, nicht nur z. B. auf die Unterschrift beziehen;

- die Urkunde muß in dem Staat, in dem sie ausgestellt worden ist, als solche vollstreckbar sein."(13)

Deshalb ist nach dem genannten Bericht - der auch nach Auffassung der Lehre(14) eine nützliche Auslegungshilfe für das Verständnis des Artikels 50 des Brüsseler Übereinkommens darstellt - "eine öffentliche Urkunde" nur eine Urkunde, die unter Beteiligung einer Behörde errichtet worden ist, deren Aufgabe es ist, diese zu beglaubigen, d. h., ihr Gewißheit und Beweiskraft zu verleihen, und zwar nicht nur im Hinblick auf ihre äusseren Voraussetzungen wie z. B. das Datum und die Unterschrift, sondern auch bezueglich ihrer inhaltlichen Voraussetzungen.

9 Aufgrund meiner bisherigen Ausführungen schließe ich deshalb aus, daß ein ohne Beteiligung einer öffentlich bestellten Urkundsperson aufgesetzter Schuldschein wie der, um den es im Ausgangsverfahren geht, eine "öffentliche Urkunde" im Sinne des Artikels 50 des Übereinkommens sein kann. Die Beweiskraft ist nämlich ein wesentliches Erfordernis der in der fraglichen Vorschrift vorgesehenen Kategorie und aus den Gründen, die ich oben genannt habe, untrennbar mit der Beteiligung einer Behörde an der Errichtung der Urkunde verbunden.

10 Abschließend ist ein letzter Aspekt der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage zu klären. Aus dem Wortlaut des Vorabentscheidungsersuchens ergibt sich nämlich, daß das vorlegende Gericht den Gerichtshof fragt, ob die Vollstreckbarkeit der Urkunde im Errichtungsstaat als solche für deren Subsumtion unter Artikel 50 ausreicht. Die Frage ist meines Erachtens zu verneinen. Nach dieser Vorschrift genügt es nämlich nicht, daß die Urkunde vollstreckbar ist; es muß sich darüber hinaus um eine ffentliche Urkunde im oben verdeutlichten Sinne handeln. Damit sind vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift Urkunden ausgeschlossen, die eventuell die Grundlage für eine Vollstreckung im Errichtungsstaat bilden können, aber auch nach dessen Recht keine öffentlichen Urkunden sind(15).

Die zweite Vorabentscheidungsfrage

11 Das vorlegende Gericht ersucht um Beantwortung der zweiten Vorabentscheidungsfrage nur für den Fall, daß die erste Frage bejaht wird, d. h., wenn der Gerichtshof entscheidet, daß ein ohne Beteiligung einer öffentlich bestellten Urkundsperson aufgesetzter Schuldschein eine öffentliche Urkunde im Sinne des Artikels 50 des Übereinkommens ist. Unter Berücksichtigung der Antwort, die meines Erachtens auf die erste Frage zu geben ist, erübrigt sich deshalb die Prüfung der zweiten Frage. Der Vollständigkeit halber möchte ich aber auch zu dieser Vorabentscheidungsfrage Stellung nehmen.

Diese geht im wesentlichen dahin, ob die erfolgreiche Anrufung der Gerichte in einem anderen Vertragsstaat von der Beibehaltung des Wohnsitzes des Beklagten in dem Staat, in dem das Verfahren eingeleitet worden ist, abhängt. Diese Frage ist meines Erachtens zu verneinen. Aus den Artikeln 31 ff. des Übereinkommens ergibt sich, daß der Gläubiger sich entscheiden muß, in welchem Vertragsstaat er den Antrag auf Vollstreckbarkeit stellen will. Insbesondere wird nach Artikel 32 Absatz 2 "die örtliche Zuständigkeit ... durch den Wohnsitz des Schuldners bestimmt". Diese Vorschrift bestimmt nicht, auf welchen Zeitpunkt bei der Anwendung der Regel des Forum debitoris abzustellen ist. Meines Erachtens besteht jedoch kein Zweifel daran, daß dieser Zeitpunkt nur der der Antragstellung sein kann, so daß eventuelle später eintretende Veränderungen der Tatsachen, die die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründen, keinen Einfluß auf die so begründete Zuständigkeit haben können. Der Gläubiger muß nämlich auf die zur Zeit der Antragstellung bestehende Situation vertrauen können. Andernfalls würde das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit beeinträchtigt. Zudem könnte sich der Schuldner, wenn die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts aufgrund eines Wohnsitzwechsels des Schuldners nach Antragstellung entfallen würde, den Vollstreckungsmaßnahmen leicht dadurch entziehen, daß er einfach seinen Aufenthaltsort oder seinen Wohnsitz wechselt. Aus diesen Gründen bin ich der Meinung, daß der Wohnsitzwechsel des Schuldners nach Stellung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung keinen Einfluß auf die Zulässigkeit dieses Antrags hat.

Ergebnis

12 Aufgrund dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1. Artikel 50 Absatz 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland ist dahin auszulegen, daß ein Schuldschein, der nicht von der zuständigen Behörde beurkundet worden ist, keine "öffentliche Urkunde, die in einem Vertragsstaat aufgenommen und vollstreckbar [ist]", darstellt.

2. Artikel 32 Absatz 2 desselben Übereinkommens ist dahin auszulegen, daß ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung nicht dadurch unzulässig oder unbegründet wird, daß der Schuldner den Vollstreckungsstaat verlässt, nachdem er gegen diesen Antrag einen Rechtsbehelf eingelegt hat.

(1) - ABl. 1972, L 299, S. 32.

(2) - ABl. L 304, S. 1.

(3) - ABl. L 388, S. 1.

(4) - ABl. L 285, S. 1.

(5) - Die geänderte Fassung ist allerdings auf den Sachverhalt des vorliegenden Verfahrens nicht anwendbar, da sie in Deutschland im Jahre 1994 in Kraft getreten ist, während die streitigen Schuldscheine aus den Jahren 1990 und 1992 stammen.

(6) - ABl. L 319, S. 9.

(7) - Hervorhebung von mir.

(8) - Die Lehre subsumiert unter den Begriff "öffentliche Urkunden" solche, die "von öffentlichen und ministeriellen, Kanzlei-, Notariats- und gerichtlichen Amtspersonen" errichtet werden; vgl. G. A. L. Droz, Compétence judiciaire et effets des jugements dans le Marché Commun, Paris 1972, S. 391. Der Autor fügt hinzu, daß "in der Praxis die öffentlichen Urkunden im Sinne des Artikels 50 vor allem notarielle Urkunden sein werden" (freie Übersetzung).

(9) - Vgl. Urteile vom 2. Juni 1994 in der Rechtssache C-414/92 (Solo Kleinmotoren, Slg. 1994, I-2237, Randnr. 20) und vom 2. Juli 1985 in der Rechtssache 148/84 (Deutsche Genossenschaftsbank, Slg. 1985, 1981, Randnr. 16).

(10) - Vgl. Artikel 34 Absatz 2 in Verbindung mit den Artikeln 27 und 28 des Übereinkommens.

(11) - ABl. 1990, C 189, S. 57.

(12) - Wie oben in Nr. 2 dargelegt wurde, hat Artikel 50 des Brüsseler Übereinkommens nach den Änderungen dieses Übereinkommens aufgrund des Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik denselben Wortlaut wie die entsprechende Vorschrift des Luganer Übereinkommens. Aber auch vor dieser Änderung waren die Unterschiede ganz unbedeutend und berührten nicht den Inhalt der Vorschrift. Tatsächlich ist die Wendung "mit der Vollstreckungsklausel versehen" einfach durch die Wendung "für vollstreckbar erklärt" ersetzt worden.

(13) - Randnr. 72 (Hervorhebungen von mir). In derselben Randnummer des Berichts heisst es, daß "Wechsel und Schecks" nicht von Artikel 50 erfasst werden.

(14) - V. H. Gaudemet-Tallon, Les Conventions de Bruxelles et de Lugano, Paris 1993, S. 417.

(15) - Vgl. in diesem Sinne den Bericht von Jenard und Möller, Randnr. 72, in dem ausgeführt wird, daß z. B. "aussergerichtliche Vergleiche, die das dänische Recht kennt und die nach dänischem Recht vollstreckbar sind", nicht unter Artikel 50 fallen (Hervorhebung von mir).

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