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Document 61996CC0144

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 20. März 1997.
Office national des pensions (ONP) gegen Maria Cirotti.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour du travail de Bruxelles - Belgien.
Soziale Sicherheit - Artikel 46 und 51 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71.
Rechtssache C-144/96.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 I-05349

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1997:178

61996C0144

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 20. März 1997. - Office national des pensions (ONP) gegen Maria Cirotti. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour du travail de Bruxelles - Belgien. - Soziale Sicherheit - Artikel 46 und 51 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. - Rechtssache C-144/96.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 Seite I-05349


Schlußanträge des Generalanwalts


1 In der vorliegenden Rechtssache hat die Cour du travail Brüssel dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung der Artikel 46 und 51 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (im folgenden: Verordnung)(1), vorgelegt. Das nationale Gericht möchte im wesentlichen wissen, ob es mit den genannten Bestimmungen vereinbar ist, wenn der Teil, den eine getrennt lebende Ehefrau von der Altersrente ihres Ehemannes erhält, wegen der Erhöhung einer an einen Index gebundenen Leistung bei Invalidität neu berechnet wird, auf die sie nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats Anspruch hat.

2 Diese Frage stellt sich, weil Frau Cirotti, eine Italienerin, sowohl die Hälfte der belgischen Altersrente ihres Ehemannes als auch eine italienische Leistung bei Invalidität erhielt. Bei der ursprünglichen Festsetzung des Anspruchs von Frau Cirotti auf die belgische Rente kürzte das belgische Rentenamt den Betrag, auf den sie dem ersten Anschein nach einen Anspruch hatte, um den Betrag der italienischen Leistung. Seitdem hat sich der Betrag der italienischen Leistung, die an einen Index gebunden ist, erhöht. Das belgische Rentenamt möchte den Betrag der belgischen Rente von Frau Cirotti zusätzlich um den Betrag dieser Erhöhung kürzen.

3 Artikel 46 enthält Vorschriften über die Gewährung von Leistungen bei Alter und Tod (Renten) an Arbeitnehmer, für die die Rechtsvorschriften zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten galten. Diese Vorschriften verleihen - kurz gesagt - einem Arbeitnehmer, der Versicherungszeiten in mehr als einem Mitgliedstaat zurückgelegt hat, einen Anspruch auf Leistungen bei Alter, die gemäß einer in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Cabras relativ ausführlich dargestellten Berechnung(2) festgestellt werden, wenn die so berechneten Leistungen höher sind als diejenigen, die der Arbeitnehmer sonst von den betreffenden Mitgliedstaaten erhielte.

4 Der dem Wanderarbeitnehmer damit gewährte Anspruch auf Anwendung des günstigsten Systems führt grundsätzlich dazu, daß bei jeder Änderung der nach diesem System gewährten Leistungen eine Neuberechnung gemäß Artikel 46 vorzunehmen ist, um zu ermitteln, welches System nach der erfolgten Änderung das günstigste ist(3). Die Umstände, die einen erneuten Vergleich erforderlich machen, sind in Artikel 51 festgelegt.

5 Artikel 51 bestimmt folgendes:

"(1) Der Prozentsatz oder Betrag, um den bei einem Anstieg der Lebenshaltungskosten, bei Änderung des Lohnniveaus oder aus anderen Anpassungsgründen die Leistungen in den betreffenden Mitgliedstaaten geändert werden, gilt unmittelbar für die nach Artikel 46 festgestellten Leistungen, ohne daß eine Neuberechnung nach Artikel 46 vorzunehmen ist.

(2) Bei Änderungen des Feststellungsverfahrens oder der Berechnungsmethode für die Leistungen ist dagegen eine Neuberechnung nach Artikel 46 vorzunehmen."

6 Um den Verwaltungsaufwand zu verringern, den die erneute Prüfung der Situation des Arbeitnehmers bei jeder Änderung der Leistungen bedeuten würde, schließt Artikel 51 Absatz 1 somit eine Neuberechnung der Leistungen gemäß Artikel 46 und folglich einen erneuten Vergleich zwischen dem nationalen System und dem Gemeinschaftssystem aus, wenn die Änderung einer der Leistungen auf Ereignissen beruht, die mit der persönlichen Situation des Arbeitnehmers nichts zu tun haben, sondern Folge der allgemeinen Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Lage sind. Gemäß Artikel 51 Absatz 2 der Verordnung ist eine Neuberechnung der Altersrenten nur dann vorzunehmen, wenn die Anpassung auf Änderungen des Feststellungsverfahrens oder der Berechnungsmethode für die Leistung, insbesondere infolge einer Änderung in der persönlichen Situation des Arbeitnehmers, beruht(4).

7 In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Cassamali(5) habe ich hierzu folgendes ausgeführt:

"Nach seinem Aufbau unterscheidet Artikel 51 der Verordnung Nr. 1408/71 zwei Sachverhalte: a) auf der Indexierung beruhende Anpassungen und b) Anpassungen aufgrund einer Änderung der Berechnungsmethode. Im letzteren Fall findet eine völlige Neuberechnung statt. Im ersteren erhöhen sich die bisher zu zahlenden Leistungen um einen bestimmten Prozentsatz oder Betrag, und es findet abgesehen von dieser Anpassung keine Neuberechnung statt. Eine dritte Möglichkeit, wonach eine auf einer Indexierung beruhende Erhöhung in einem Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat bei der Anwendung einer nationalen Antikumulierungsvorschrift berücksichtigt werden kann, sieht Artikel 51 nicht vor. Gemäß Artikel 51 Absatz 1 gilt der Grundsatz der voneinander unabhängigen Entwicklung der Sozialleistungen. Sind die Leistungen einmal gemäß Artikel 46 berechnet worden, entwickeln sie sich in jedem der betroffenen Mitgliedstaaten unabhängig voneinander. Eine Anpassung in einem Mitgliedstaat beeinflusst die in einem anderen Mitgliedstaat gewährte Leistung nicht. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht gemäß Artikel 51 Absatz 2 bei Änderungen der Berechnungsmethode. Diese Ausnahme ist erforderlich, weil sich durch diese Änderungen für den Betroffenen eine Lage ergeben kann, in der eine andere Methode für ihn günstiger wäre. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 46 nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes für den einzelnen einen Anspruch darauf begründet, daß, je nachdem, welche Vorschriften günstiger sind, entweder die nationalen Rechtsvorschriften oder die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, einschließlich der jeweiligen Antikumulierungsvorschriften vollständig auf ihn angewendet werden (siehe zum Beispiel die Rechtssache 22/77, FNROM, Slg. 1977, 1699). Es ist unwahrscheinlich, daß die in Artikel 51 Absatz 1 genannten Umstände - zum Beispiel eine Anpassung der Leistungen bei einem Anstieg der Lebenshaltungskosten oder des Lohnniveaus - das Ergebnis eines Vergleichs beider Alternativen beeinflussen würden."

8 Obwohl Artikel 51 Absatz 1 nicht als ausdrückliches Verbot formuliert ist ("ohne daß eine Neuberechnung ... vorzunehmen ist"), hat der Gerichtshof ihn als Verbot ausgelegt(6).

9 Ich komme nun zum vorliegenden Fall, der im Vorlageurteil allzu knapp zusammengefasst ist. Anhand der nationalen Akte und der schriftlichen Erklärungen der Beteiligten lassen sich gleichwohl die wesentlichen Bestandteile des Sachverhalts rekonstruieren.

10 Maria Cirotti ist eine italienische Staatsangehörige, die in Chieti in Italien lebt. Von 1973 an hatte sie Anspruch auf eine italienische Invaliditätsrente. Der Ehemann von Frau Cirotti, Raffäle Mennitti, von dem sie getrennt lebte, bezog in Belgien vom 1. April 1981 bis zu seinem Tod im Jahre 1991 eine volle Altersrente für Bergarbeiter. Artikel 74 der belgischen Königlichen Verordnung von 21. Dezember 1967 über die allgemeine Regelung der Alters- und Hinterbliebenenrenten von Arbeitnehmern bestimmte zur maßgeblichen Zeit im wesentlichen, daß eine von ihrem Ehemann getrennt lebende Frau unter bestimmten Voraussetzungen einen Teil der ihrem Ehemann gewährten Altersrente erhalten konnte. Von Juli 1981 an hatte Frau Cirotti auf der Grundlage dieser Verordnung Anspruch auf einen Teil der ihrem Ehemann zustehenden Altersrente für Arbeitnehmer.

11 Als Frau Cirotti ihren Anspruch auf einen Teil dieser Rente geltend machte, wandte das Office national des pensions (im folgenden: ONP) Artikel 74 Absätze 2 Buchstabe d und 3.B der Königlichen Verordnung an. Nach diesen Vorschriften wurde Frau Cirotti die Hälfte der Rente ihres Ehemannes (nach dem für verheiratete Männer geltenden Satz, monatlich 11 243 BFR) abzueglich des Betrages zugesprochen, den sie selbst in Form einer Invaliditätsrente in Italien (in Höhe des Gegenwerts von 7 368 BFR) erhielt; nach Abzug betrugen die monatlichen Leistungen 3 875 BFR. Ausserdem erhielt Frau Cirotti eine Heizkostenzulage in Höhe von 586 BFR. Mit dieser Berechnung war sie einverstanden.

12 Mit Entscheidung vom 21. Dezember 1988 kürzte das ONP jedoch den Betrag der Leistungen von Frau Cirotti unter Berücksichtigung der Erhöhungen ihrer italienischen Invaliditätsrente seit 1981. Diese Erhöhungen beruhen offensichtlich auf der Indexierung der Invaliditätsrente. Frau Cirotti erhob beim Tribunal du travail Brüssel Klage gegen diese Entscheidung. Mit Urteil vom 7. Juni 1993 entschied das Tribunal du travail zugunsten von Frau Cirotti mit der Begründung, daß Artikel 51 Absatz 1 der Verordnung keine Neuberechnung von Leistungen gestatte.

13 Das ONP legte gegen diese Entscheidung Berufung bei der Cour du travail ein, die dem Gerichtshof folgende Frage vorgelegt hat:

Sind die Artikel 46 und 51 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 dahin auszulegen, daß sie bei Kumulierung einer aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats festgesetzten Leistung bei Invalidität mit einer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats festgesetzten Leistung bei Alter anwendbar sind, wobei dem getrennt lebenden Ehegatten ein Teil der Leistung bei Alter für Arbeitnehmer zugesprochen wird, die dem Ehegatten zusteht, von dem er getrennt lebt, auch wenn die Anwendung dieser Vorschriften geeignet ist, einem Wanderarbeitnehmer gegenüber einem Arbeitnehmer, der kein Wanderarbeitnehmer ist, einen Vorteil zu verschaffen, obwohl Artikel 3 Absatz 1 der vorgenannten Verordnung die Gleichbehandlung aller Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten vorschreibt?

14 Obwohl sich diese Frage allgemein auf die Artikel 46 und 51 der Verordnung bezieht, ergibt sich aus dem Sachverhalt und dem Vorbringen der Beteiligten, daß das vorlegende Gericht um eine Beantwortung der Frage ersucht, ob eine Neuberechnung der Leistungen, auf die Frau Cirotti einen Anspruch hat, nach Artikel 51 Absatz 1 ausgeschlossen oder nach Artikel 51 Absatz 2 erforderlich ist.

15 Meines Erachtens schließt Artikel 51 Absatz 1 eine Neuberechnung im vorliegenden Fall eindeutig aus.

16 Zunächst fallen die fraglichen Leistungen, also Frau Cirottis Teil der Rente ihres Ehemannes und ihre eigene Invaliditätsrente, unverkennbar in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes steht der Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 auf den vorliegenden Fall nicht entgegen, daß die beiden Leistungen, auf die Frau Cirotti einen Anspruch hatte, möglicherweise nicht gleicher Art waren, weil es sich bei der einen um eine Leistung bei Alter und bei der anderen um eine Leistung bei Invalidität handelt(7) oder weil ihr die eine Leistung aufgrund der Versicherungszeiten ihres Ehemannes gewährt wird und die andere (vermutlich) aufgrund ihrer eigenen Versicherungszeiten(8).

17 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes geht ausserdem hervor, daß unbeachtlich ist, ob die Leistung, die wegen der auf einer Indexierung beruhenden Erhöhungen einer anderen Leistung gekürzt werden soll, selbst ausschließlich nach nationalen Vorschriften oder gemäß Artikel 46 berechnet wurde. In keinem Fall darf die zuerst genannte Leistung von den Erhöhungen beeinflusst werden(9).

18 Da die fraglichen Leistungen demnach aus den oben genannten Gründen eindeutig unter Artikel 51 fallen, die Erhöhung der italienischen Leistung auf ihrer Indexierung beruht und Artikel 51 Absatz 1 eine Neuberechnung unter diesen Umständen verbietet, darf das ONP Frau Cirottis Teil der Rente ihres Ehemannes nicht erneut berechnen.

19 Das Argument des ONP, das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Levatino(10) sei entsprechend anzuwenden, halte ich nicht für überzeugend. In dieser Rechtssache hat der Gerichtshof entschieden, daß Artikel 51 Absatz 1 der Verordnung nicht auf die Anpassung einer Leistung wie des garantierten Einkommens für ältere Menschen anwendbar ist. Diese Entscheidung beruhte aber ersichtlich auf den besonderen Merkmalen des garantierten Einkommens; meines Erachtens weist der Rententeil eines getrennt lebenden Ehegatten, um den es im vorliegenden Fall geht, diese Merkmale nicht auf, und das Urteil lässt sich dementsprechend nicht auf den vorliegenden Fall übertragen.

20 In der Rechtssache Levatino ging es um die Ansprüche der Mutter von Herrn Levatino, Frau Milazzo, die ihren Wohnsitz in Belgien gehabt und eine italienische und eine belgische Altersrente bezogen hatte. Zusätzlich hatte sie eine Leistung nach der Regelung über das garantierte Einkommen in Höhe der Differenz zwischen den nach belgischem Recht garantierten Mindesteinkünften und ihren Altersrenten bezogen. Als die italienische Rente von Frau Milazzo wegen ihrer Indexbindung erhöht wurde, berechnete das ONP den Betrag des der Betroffenen zustehenden garantierten Einkommens neu. Frau Milazzo griff diese Entscheidung auf der Grundlage des Artikels 51 Absatz 1 der Verordnung an.

21 In seinem Urteil hat der Gerichtshof zunächst das normale Verfahren des Artikels 51 Absatz 1 dargelegt und dann den Zweck des garantierten Einkommens untersucht, nämlich die Unzulänglichkeit der dem Betroffenen zur Verfügung stehenden Einkünfte so auszugleichen, daß er das gesetzlich garantierte Mindesteinkommen erhalten kann. Der Gerichtshof hat festgestellt, daß sich wegen der Ausgleichsfunktion dieser Leistung deren Höhe nach Maßgabe der Entwicklung des garantierten Einkommens - das regelmässig neu festgesetzt wird - und nach Maßgabe der Entwicklung der Einkünfte des Betroffenen ändert. Bei Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 würde daher die Erhöhung der Einkünfte, die sich für den Betroffenen aus der Anhebung seiner ausländischen Rente ergibt, nicht berücksichtigt, und seine Einkünfte lägen systematisch über dem garantierten Mindesteinkommen. Durch die Anwendung des Artikels 51 Absatz 1, so die Folgerung des Gerichtshofes, "käme es nicht nur zu einer Begünstigung des Wanderarbeitnehmers, vielmehr würde so der mit dem garantierten Einkommen verfolgte Zweck verfälscht und das System der betreffenden innerstaatlichen Regelung erschüttert"(11).

22 Der Gerichtshof hat erneut die variable Natur des garantierten Einkommens hervorgehoben(12) und hinzugefügt(13):

"In dieser Hinsicht unterscheidet sich eine Leistung wie das garantierte Einkommen von den Altersrenten, denn deren Wesen und Feststellungsmodus werden, anders als beim garantierten Einkommen, durch die Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 nicht verändert, auch wenn dieser die Wanderarbeitnehmer begünstigen kann."

23 Der Gerichtshof ist zu dem Schluß gekommen, daß durch die Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 nicht der mit der Leistung verfolgte Zweck in Frage gestellt werden dürfe(14).

24 Meines Erachtens bildet die Entscheidung des Gerichtshofes in der Rechtssache Levatino eine absolute Ausnahme. Die oben zitierten Randnummern unterscheiden ausdrücklich zwischen dem garantierten Einkommen und Altersrenten. Frau Cirotti bezieht eine Altersrente. Zwar handelt es sich bei dieser Rente um einen Teil der ihrem Ehemann gewährten Rente. Mir ist jedoch nicht ersichtlich, inwiefern dieser Umstand etwas daran ändern könnte, daß diese Leistung ihrem Wesen nach eher eine Altersrente als ein garantiertes Einkommen ist. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen ergibt sich, daß der Anspruch von Frau Cirotti auf einen Teil der Altersrente ihres Ehemannes weitgehend den auch für eine persönliche Altersrente geltenden Bedingungen unterlag: Es handelte sich um einen festgesetzten Teil der Rente ihres Ehemannes, der daher von dessen beruflicher Laufbahn abhing und für den Antikumulierungsvorschriften galten, die den auf eine persönliche Altersrente anzuwendenden Vorschriften ähneln(15). Unter diesen Umständen spricht nichts gegen eine Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 auf indexbezogene Anpassungen einer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährten Leistung.

25 In diesem Zusammenhang weist das ONP darauf hin, daß es nach den belgischen Vorschriften bei der Gewährung eines solchen Teils andere Arten des Einkommens der betroffenen Person berücksichtigen müsse. Im vorliegenden Fall müsse daher die Frau Cirotti in Italien gewährte Invaliditätsrente berücksichtigt und der entsprechende Betrag von ihrem Teil der Altersrente ihres Ehemannes abgezogen werden. Das ONP bezeichnet diese Vorschriften daher als Vorschriften über die Gewährung von Leistungen, die nicht unter Artikel 51 fallen.

26 Dieses Argument ist ersichtlich unlogisch. Artikel 51 kann nur angewendet werden, wenn ein Wanderarbeitnehmer mehr als eine Leistung von mehr als einem Mitgliedstaat erhält. Er erfuellt keinerlei Zweck, wenn keine Antikumulierungsvorschriften (nach der Verordnung oder nach nationalem Recht) vorliegen. Nur im Fall einer solchen Kumulierung kommt Artikel 51 zur Anwendung. Nach dem Urteil in der Rechtssache Levatino wird Artikel 51 Absatz 1 dann nicht angewendet, wenn seine Anwendung den Zweck der betreffenden innerstaatlichen Regelung verfälschen und ihr System erschüttern würde. Mir ist nicht ersichtlich, inwiefern sich im vorliegenden Fall von einem solchen Risiko sprechen ließe. Durch die Tatsache, daß auf der Indexierung beruhende Anpassungen der Invaliditätsrente von Frau Cirotti nicht zu einer Neuberechnung ihres Teils der Rente ihres Ehemannes führen können, wird der Zweck des belgischen Systems, das einer von ihrem Ehemann getrennt lebenden Ehefrau einen Anspruch auf einen Teil seiner Rente verleiht, weder in irgendeiner Weise verfälscht, noch wird das System dadurch erschüttert.

27 Das ONP bringt ferner vor, daß die Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 in Fällen wie dem vorliegenden gegen Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung, der die Gleichbehandlung regelt, verstosse. Artikel 3 Absatz 1 bestimmt folgendes:

"Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen."

Das ONP vertritt die Auffassung, die Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 führe zu einer systematischen Begünstigung des getrennt lebenden Ehegatten zum Nachteil des Ehegatten, von dessen Rentenleistungen ein Teil gewährt wird. Dies laufe auf eine nach Artikel 3 Absatz 1 verbotene Diskriminierung hinaus.

28 Das ONP argumentiert insoweit sehr knapp, und ich vermag nicht zu erkennen, a) wie die Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 zu einer systematischen Ungleichbehandlung der Ehegatten führen könnte und b) inwiefern eine solche Ungleichbehandlung gegen Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung verstösst, der sich doch nur auf Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit bezieht.

29 Das nationale Gericht stellt ausserdem die Frage, ob es gegen Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung verstieße, wenn infolge der Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 auf Fälle wie den von Frau Cirotti Wanderarbeitnehmern gegenüber Arbeitnehmern, die keine Wanderarbeitnehmer sind, ein Vorteil verschafft würde. Diese Frage ist meines Erachtens eindeutig zu verneinen. Aus der Rechtssache FNROM(16) geht hervor, daß die Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherheit einige Vorteile für Wanderarbeitnehmer mit sich bringen kann. Artikel 3 Absatz 1 bestimmt selbst, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz nur anwendbar ist, wenn besondere Bestimmungen der Verordnung nichts anderes vorsehen(17).

30 Der Vollständigkeit halber sollte ich noch einen letzten Punkt erwähnen. Frau Cirotti hat auf das Urteil der Gerichtshofes in der Rechtssache Schmidt(18) Bezug genommen. Darin ging es um den Anspruch von Frau Schmidt auf eine persönliche Altersrente in Deutschland und ihren infolge der Scheidung von ihrem Ehemann entstandenen Anspruch auf eine belgische Geschiedenenrente. Es handelte sich konkret darum, ob die persönliche Altersrente und die Geschiedenenrente Leistungen gleicher Art waren, da Frau Schmidt in diesem Fall einen Anspruch auf den Betrag gehabt hätte, der sich aus der Berechnung nach Artikel 46 der Verordnung ergab. Nach dem Urteil des Gerichtshofes waren die beiden Renten keine Leistungen gleicher Art; Artikel 46 war daher nicht anwendbar, und der Rijksdienst durfte nationale Antikumulierungsvorschriften anwenden, um den Betrag der belgischen Geschiedenenrente zu kürzen.

31 Frau Cirotti ist bemüht, einen Unterschied zwischen der Rechtssache Schmidt und ihrem eigenen Fall mit der Begründung auszumachen, daß sich eine Geschiedenenrente von ihrem Anspruch als getrennt lebende Ehefrau auf einen Teil der Rente ihres Ehemannes unterscheide. Dieser Punkt bedarf jedoch keiner Entscheidung. Wie ich weiter oben ausgeführt habe(19), wird aus der Rechtssache Ravida(20) deutlich, daß Artikel 51 - um den es in der Rechtssache Schmidt nicht ging - auch für Fälle gilt, in denen die Leistungen nicht gleicher Art sind. Das Urteil in der Rechtssache Schmidt ist daher ohne Bedeutung für die Frage nach der Anwendbarkeit des Artikels 51 Absatz 1.

Schlußfolgerung

32 Meiner Ansicht nach sollte daher die von der Cour du travail vorgelegte Frage wie folgt beantwortet werden:

Artikel 51 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, schließt eine Neuberechnung von Leistungen aus, wenn bei Kumulierung einer nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats berechneten Leistung bei Invalidität mit einer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats berechneten Leistung bei Alter, durch die einem getrennt lebenden Ehegatten ein Teil der dem anderen Ehegatten zustehenden Leistung bei Alter für Arbeitnehmer zugesprochen wird, die Leistung bei Invalidität wegen der allgemeinen Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Lage geändert wird.

(1) - Die im maßgeblichen Zeitraum anwendbare konsolidierte Fassung der Verordnung findet sich in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6). Die Verordnung, insbesondere Artikel 46, wurde u. a. durch die Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 des Rates vom 30. April 1992 ( ABl. L 136, S. 7) geändert. Die aktuellste konsolidierte Fassung ist als Anhang A Teil I der Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) veröffentlicht.

(2) - Nrn. 10 bis 15 der Schlussanträge in der Rechtssache C-199/88 (Cabras, Slg. 1990, I-1023). Siehe auch die Schlussanträge des Generalanwalts Darmon in der Rechtssache C-5/91 (Di Prinzio, Slg. 1992, I-897, Nrn. 16 bis 21) und, gleichsam als Musterlösung, die Schlussanträge des Generalanwalts da Cruz Vilaça in der Rechtssache 323/86 (Collini, Slg. 1987, 5489, Nrn. 20 bis 31).

(3) - Urteil des Gerichtshofes vom 2. Februar 1982 in der Rechtssache 7/81 (Sinatra, Slg. 1982, 137, Randnr. 8).

(4) - Urteil des Gerichtshofes vom 20. März 1991 in der Rechtssache C-93/90 (Cassamali, Slg. 1991, I-1401, Randnrn. 15 und 16). Siehe auch Rechtssache Sinatra, zitiert in Fußnote 3, und Rechtssachen 104/83 (Cinciuolo, Slg. 1984, 1285), 141/88 (Jordan, Slg. 1989, 2387), C-85/89 (Ravida, Slg. 1990, I-1063) und C-193/92 (Bogana, Slg. 1993, I-755).

(5) - Zitiert in Fußnote 4, Nr. 12.

(6) - Siehe z. B. Rechtssache Cassamali, zitiert in Fußnote 4, Randnr. 17 des Urteils und meine Ausführungen in den Nrn. 9 und 10 meiner Schlussanträge.

(7) - Siehe z. B. Rechtssache Cinciuolo, zitiert in Fußnote 4.

(8) - Rechtssache Ravida, zitiert in Fußnote 4, Randnrn. 15 bis 17 des Urteils des Gerichtshofes vom 21. März 1990 und Nrn. 11 bis 17 meiner Schlussanträge.

(9) - Rechtssache Cassamali, zitiert in Fußnote 4, Randnr. 20 des Urteils.

(10) - Urteil des Gerichtshofes vom 22. April 1993 in der Rechtssache C-65/92 (Slg. 1993, I-2005).

(11) - Randnrn. 33 bis 36 des Urteils.

(12) - Randnr. 37.

(13) - Randnr. 38.

(14) - Randnr. 39.

(15) - Siehe z. B. die Vorschriften, um die es in der in Fußnote 2 zitierten Rechtssache Di Prinzio ging.

(16) - Urteil FNROM, zitiert weiter oben in Nr. 7, Randnrn. 8 bis 10.

(17) - Siehe ferner die Rechtssache Levatino, zitiert in Fußnote 10, Nrn. 19 und 20 meiner Schlussanträge.

(18) - Urteil des Gerichtshofes vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-98/94 (Slg. 1995, I-2559).

(19) - Siehe Nr. 16.

(20) - Zitiert in Fußnote 4, Randnr. 23 des Urteils.

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