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Document 61996CC0081

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 5. März 1998.
Burgemeester en wethouders van Haarlemmerliede en Spaarnwoude u. a. gegen Gedeputeerde Staten van Noord-Holland.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Raad van State - Niederlande.
Richtlinie 85/337/EWG des Rates - Erneute Genehmigung eines Flächennutzungsplans.
Rechtssache C-81/96.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 I-03923

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1998:83

61996C0081

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 5. März 1998. - Burgemeester en wethouders van Haarlemmerliede en Spaarnwoude u. a. gegen Gedeputeerde Staten van Noord-Holland. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Raad van State - Niederlande. - Richtlinie 85/337/EWG des Rates - Erneute Genehmigung eines Flächennutzungsplans. - Rechtssache C-81/96.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-03923


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Der Gemeinderat von Haarlemmerliede en Spaarnwoude erließ am 21. September 1992 den Flächennutzungsplan "Ruigoord 1992". Mit Beschluß vom 18. Mai 1993 stimmte der Provinzialausschuß von Noord-Holland diesem Plan zu. Er betrifft ein etwa 6,5 km2 grosses Gebiet und gestattet darauf hauptsächlich den Bau eines Hafens und die Einrichtung eines Industriegeländes, die an das östlich des fraglichen Gebietes gelegene Westliche Hafengebiet von Amsterdam anschließen.

2 Der Flächennutzungsplan "Ruigoord 1992" soll den Flächennutzungsplan "Landelijk gebied 1968" ersetzen, der den gleichen Gegenstand hat. Der Beschluß vom 18. Mai 1993 wird von mehreren Betroffenen für rechtswidrig gehalten, die dagegen beim niederländischen Raad van State (Abteilung für verwaltungsrechtliche Streitigkeiten) Klage erhoben haben und geltend machen, daß bei der Vorbereitung des Beschlusses entgegen der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten(1) nicht geprüft worden sei, welche Umweltauswirkungen die nach diesem Plan gestatteten Flächennutzungen hätten.

3 Der Raad van State stellt fest, daß der streitige Plan aufgrund der Art der vorgesehenen Flächennutzungen in den Geltungsbereich der nationalen Regelung falle, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorschreibe; eine solche sei nach dieser Regelung im vorliegenden Fall jedoch entbehrlich, weil sie bei Plänen, die den Inhalt früherer Pläne übernähmen, nicht vorgenommen werden müsse. Im vorliegenden Fall ist unstreitig, daß die durch den Plan "Ruigoord 1992" vorgesehenen Flächennutzungen aus dem Flächennutzungsplan "Landelijk gebied 1968" und den Regionalplänen "Amsterdam-Noordzeekanaalgebied 1979" und "Amsterdam-Noordzeekanaalgebied 1987" übernommen worden sind, die, abgesehen von der Erhöhung eines Teils der Fläche mit Sand Ende der sechziger Jahre, nie verwirklicht wurden.

4 Der niederländische Raad van State hat Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit der Richtlinie und hat daher mit Beschluß vom 12. März 1996 dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Lässt es die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten zu, daß für ein in Anhang I der Richtlinie aufgeführtes Projekt eine Genehmigung erteilt wird, ohne daß bei der Vorbereitung dieser Genehmigung ein Umweltverträglichkeitsbericht im Sinne der Richtlinie erstellt wurde, wenn sich diese Genehmigung auf ein Projekt bezieht, für das schon vor dem 3. Juli 1988 eine Genehmigung erteilt worden war, von der jedoch kein Gebrauch gemacht wurde und bei deren Vorbereitung kein Umweltverträglichkeitsbericht erstellt wurde, der den Anforderungen der Richtlinie genügt?

5 Zunächst ist festzustellen, daß Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie, deren Umsetzungsfrist am 3. Juli 1988 abgelaufen ist, bestimmt: "Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vor der Erteilung der Genehmigung die Projekte, bei denen insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Grösse oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Prüfung in bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden. Diese Projekte sind in Artikel 4 definiert."

6 Dieser Artikel 4 bestimmt in Absatz 1, daß - vorbehaltlich der den Mitgliedstaaten nach Artikel 2 Absatz 3 belassenen Möglichkeit, in Ausnahmefällen ein einzelnes Projekt ganz oder teilweise von den Bestimmungen der Richtlinie auszunehmen - "Projekte der in Anhang I aufgeführten Klassen ... einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen [werden]". Anhang I erfasst nach Ziffer 8 "Seehandelshäfen sowie Schiffahrtswege und Häfen für die Binnenschiffahrt, die Schiffen mit mehr als 1 350 Tonnen zugänglich sind".

7 "Genehmigung" ist nach Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie eine "Entscheidung der zuständigen Behörde oder der zuständigen Behörden, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält".

8 Sodann ergibt sich aus der Wet op de Ruimtelijke Ordening (niederländisches Raumordnungsgesetz), daß der Erlaß eines Flächennutzungsplans in die Zuständigkeit des betreffenden Gemeinderats fällt und der Zustimmung des Provinzialausschusses bedarf. Dieser kann ausserdem für einen oder mehrere Teile oder für das gesamte Gebiet der Provinz einen Regionalplan, in dem die künftige Entwicklung des im Plan ausgewiesenen Gebietes in Grundzuegen angegeben wird, aufstellen sowie einen aufgestellten Regionalplan ändern und den Gemeinderat verpflichten, einen Flächennutzungsplan aufzustellen oder zu ändern.

9 Schließlich gehört zu den Vorschriften, die zur Sicherstellung der Umsetzung der Richtlinie in das niederländische Recht erlassen wurden und auf die nicht näher eingegangen werden soll, auch der Besluit milieu-effectrapportage (Verordnung über die Erstellung eines Umweltverträglichkeitsberichts) vom 20. Mai 1987, der am 1. September 1987 in Kraft getreten ist. Danach muß bei der Vorbereitung der Entscheidung über den Bau eines Hafens im Sinne des Anhangs I der Richtlinie ein Umweltverträglichkeitsbericht erstellt werden.

10 Artikel 9 Absatz 2 dieser Verordnung sieht jedoch vor - und gerade darum geht es in dem zu entscheidenden Rechtsstreit -, daß ein Umweltverträglichkeitsbericht dann nicht erstellt werden muß, wenn eine Tätigkeit im Sinne der Verordnung bereits in einen geltenden Entwicklungs- oder Flächennutzungsplan aufgenommen wurde oder wenn im Falle einer Änderung oder Neuaufstellung solcher Pläne die der Tätigkeit zugedachte Fläche im wesentlichen beibehalten wird.

11 Nach Auffassung der niederländischen Regierung verstösst eine derartige Befreiung nicht gegen die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der Richtlinie. Erstens liege sie innerhalb des Gestaltungsspielraums, den die Richtlinie den nationalen Behörden beim Erlaß der Umsetzungsmaßnahmen belasse. Zweitens rechtfertigten es Erwägungen, die mit der Wahrung der Rechtssicherheit, dem erforderlichen Vertrauensschutz und den sich aus dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit ergebenden Anforderungen zusammenhingen, daß die Durchführung früher genehmigter Projekte mit allen damit verbundenen Kosten nicht gefährdet oder zumindest verzögert werde, bloß weil nach dem 3. Juli 1988 eine vor diesem Datum nach einem entsprechend den damals geltenden Vorschriften völlig ordnungsgemässen Verfahren erteilte Genehmigung ersetzt werde.

12 Der Sachverhalt des vorliegenden Rechtsstreits ist also ganz klar. Der Plan "Ruigoord 1992" sieht Flächennutzungen vor, für die sowohl nach der Richtlinie als auch nach den nationalen Rechtsvorschriften eine Prüfung ihrer Umweltauswirkungen erforderlich ist.

13 Diese Prüfung ist aber nicht erfolgt und brauchte nach der nationalen Regelung auch nicht zu erfolgen, weil diese Flächennutzungen bereits in einem früheren, vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie aufgestellten Plan vorgesehen waren, bei dessen Vorbereitung kein Bericht über seine Umweltauswirkungen erstellt worden war.

14 Weniger klar erschien zunächst, ob die Beschlüsse, mit denen die Pläne "Landelijk gebied 1968" und "Ruigoord 1992" aufgestellt wurden, als Genehmigung im Sinne des Artikels 1 Absatz 2 der Richtlinie anzusehen sind. Für das vorlegende Gericht scheint daran kein Zweifel zu bestehen, und gerade deshalb hat es eine Vorabentscheidungsfrage vorgelegt. Auch in den schriftlichen Erklärungen der verschiedenen niederländischen Parteien wird insoweit nicht der geringste Zweifel geäussert. Sie gehen alle implizit von dem Postulat aus, daß eine "Genehmigung" im Sinne der Richtlinie vorliege, so daß die Beilegung des vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung der nach dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten obliegenden Verpflichtungen abhänge.

15 Die österreichische Regierung und die Kommission sind dagegen anderer Auffassung. Die Regierung trägt vor, daß die Richtlinie auf Raumordnungspläne keine Anwendung finde, so daß der Gerichtshof auf die Vorabentscheidungsfrage nicht zu antworten habe. Zur Begründung führt sie aus, daß, gerade weil solche Pläne nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fielen, die Kommission derzeit bestrebt sei, eine Richtlinie für ein "Konzept Umweltverträglichkeitsprüfung" vorzubereiten, die ein Umweltprüfungsverfahren auch für die den Projekten vorausgehenden Pläne und Programme zum Gegenstand habe.

16 Die Kommission gelangt aufgrund ihrer Beurteilung der niederländischen Rechtsvorschriften zu der Auffassung, daß ein Flächennutzungsplan keinesfalls als Genehmigung angesehen werden könne, die die Verpflichtung mit sich bringe, eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen, denn diese Verpflichtung entstehe erst in einer späteren Phase, wenn der Projektbetreiber als Träger des Projekts das Recht erhalte, dieses durchzuführen.

17 Angesichts dieser unterschiedlichen Beurteilungen der Rechtslage, die der Vorabentscheidungsfrage zugrunde liegt, hat der Gerichtshof die niederländische Regierung, den Provinzialausschuß von Noord-Holland, die Gemeinde Amsterdam und die Kommission gebeten,

"schriftlich zu erläutern, welche Rechtsfolgen die Zustimmung des Provinzialausschusses zu einem Flächennutzungsplan nach den niederländischen Rechtsvorschriften hat, insbesondere ob der Zustimmungsbeschluß konkret einen Projektträger bezeichnet, ob er eine Genehmigung im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 85/337 des Rates einschließt, durch die der Projektträger das Recht zur Durchführung des betreffenden Flächennutzungsplans erhält und, wenn dies der Fall ist, ob eine solche Genehmigung während der gesamten Gültigkeitsdauer der Zustimmung zu dem betreffenden Plan gilt".

18 Nach den beim Gerichtshof eingegangenen Antworten stellt sich der Gegensatz zwischen den beiden Auffassungen weniger scharf dar, als dies zunächst den Anschein hatte.

19 Zum einen schließt es nämlich die Kommission nicht mehr aus, daß ein Flächennutzungsplan nach der niederländischen Regelung eine Genehmigung zur Durchführung der geplanten Projekte umfassen könne, und zum anderen erläutern die niederländische Regierung und die niederländischen Parteien, daß die tatsächliche Durchführung dieser Projekte zwar eine Baugenehmigung voraussetze, daß aber die Verwaltungsbehörde insoweit nur über eine gebundene Kompetenz verfüge. Sie müsse nämlich die Baugenehmigung erteilen, sofern der eingereichte Antrag alle Anforderungen des Flächennutzungsplans erfuelle, so daß das einzige Verfahren, bei dem die Verwaltung über ein Ermessen verfüge, das es ihr ermögliche, Umweltbelange zu berücksichtigen, das der Zustimmung zum Flächennutzungsplan sei.

20 Aufgrund dieser Erläuterungen und weil die niederländischen Stellen zusammen mit dem niederländischen Gericht bestimmt am besten über die Auslegung der niederländischen Rechtsvorschriften befinden können, bin ich der Auffassung, daß der Gerichtshof auf die Vorabentscheidungsfrage antworten und dabei ebenso wie der Raad van State davon ausgehen sollte, daß in den Niederlanden Zustimmungsbeschlüsse zu Flächennutzungsplänen wie "Landelijk gebied 1968" und "Ruigoord 1992" als Genehmigungen im Sinne des Artikels 1 Absatz 2 der Richtlinie anzusehen sind.

21 Daß sich das nationale Gericht an den Gerichtshof wendet, hat natürlich den Grund, daß die Frage, mit der es sich konfrontiert sieht, durch den Wortlaut der Richtlinie nicht unmittelbar und ausdrücklich beantwortet wird. In der Richtlinie ist der Fall, daß eine frühere Genehmigung ohne Änderung ihres Gegenstands und ihrer Tragweite ersetzt wird, nicht geregelt.

22 Allerdings ist dies nicht die einzige Frage, die die Richtlinie offenzulassen scheint, und es ist nicht zum ersten Mal, daß sich der Gerichtshof mit ihrer Auslegung und den Maßnahmen befasst, die die Mitgliedstaaten zu ihrer korrekten Umsetzung zu treffen haben. Von den Rechtssachen, die dem Gerichtshof Anlaß gaben, die durch die Richtlinie begründeten Verpflichtungen zu untersuchen, scheinen mir zwei für die vorliegende Frage unbestreitbar Bedeutung zu haben, und zwar die Rechtssachen Bund Naturschutz in Bayern u. a.(2) und Kommission/Deutschland(3). Bei diesen Rechtssachen stellte sich nämlich heraus, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber den Mitgliedstaaten zwar eine Frist von drei Jahren ließ, um der Richtlinie nachzukommen, aber keine Bestimmungen zur Lösung der Probleme vorsah, die sich bei der Umsetzung der Richtlinie im Laufe der Zeit unweigerlich stellen würden.

23 Dabei war jedoch leicht vorhersehbar, daß es Fälle geben würde, in denen für ein Projekt, das seinem Gegenstand nach in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt, mit der Planung vor Ablauf der Umsetzungsfrist begonnen, das Verfahren zur Erteilung der Genehmigung aber nicht vor Ablauf dieser Frist beendet wird. Musste für solche Projekte ein Umweltverträglichkeitsbericht erstellt werden, obwohl dieser bei Beginn des Genehmigungsverfahrens nicht vorgeschrieben war, oder waren sie davon befreit?

24 Generalanwalt Gulmann hat sich in seinen Schlussanträgen in der ersten der beiden genannten Rechtssachen aus Gründen, die insbesondere mit der Rechtssicherheit und den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit zusammenhingen, für die Befreiung ausgesprochen, aber eingeräumt, daß damit nicht alle Probleme gelöst seien, da es in bestimmten Fällen schwierig sein könne, festzustellen, ob ein Verfahren vor Ablauf der Umsetzungsfrist eingeleitet worden sei oder nicht. Da der Gerichtshof auf die ihm vorgelegte Vorabentscheidungsfrage antworten konnte, ohne zu diesem Punkt Stellung zu nehmen, wurde darüber erst in der zweitgenannten Rechtssache befunden, und zwar in dem von Generalanwalt Gulmann, dessen Standpunkt sich Generalanwalt Elmer in seinen Schlussanträgen zu eigen gemacht hatte, vorgeschlagenen Sinne.

25 In der Sache hat der Gerichtshof entschieden, daß die Mitgliedstaaten Projekte, für die der förmliche Genehmigungsantrag vor dem 3. Juli 1988 gestellt wurde, von der obligatorischen Prüfung der Umweltverträglichkeit befreien können.

26 Vorliegend geht es zwar um eine andere Frage, da das Verfahren, das zur Genehmigung des Planes "Ruigoord 1992" führte, vollständig vor Ablauf der Umsetzungsfrist stattfand, doch sollten bei der Beantwortung dieser Frage die von Herrn Gulmann in den genannten Schlussanträgen angestellten Überlegungen nicht vergessen werden, auf die ich hinsichtlich der Folgen, die aus dem Fehlen jeder Übergangsregelung in der Richtlinie zu ziehen sind, verweise.

27 Es steht fest, daß man bei der Auslegung der Richtlinie die Notwendigkeit beachten muß, ihr praktische Wirksamkeit zu verleihen, und daß daher keine Rede davon sein kann, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einzuräumen, die systematische und tatsächliche Erstellung eines Umweltverträglichkeitsberichts in den in der Richtlinie aufgezählten Fällen nach Belieben aufzuschieben. Der Gesetzgeber wollte zweifellos, daß nach Ablauf der in der Richtlinie festgesetzten Dreijahresfrist Umweltbelange in Form eines angemessenen Berichts tatsächlich berücksichtigt werden.

28 Man muß dabei jedoch auch anerkennen, daß die Richtlinie es keineswegs ausschließt, eine vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 3. Juli 1988 ohne Erstellung eines Umweltverträglichkeitsberichts erteilte Genehmigung nach diesem Datum zu verwenden, um ein Projekt durchzuführen, für das heute ein solcher Bericht erforderlich wäre.

29 Anders ausgedrückt sind frühere Genehmigungen nicht dadurch hinfällig geworden, daß das geplante Projekt am 3. Juli 1988 nicht durchgeführt war.

30 Meines Erachtens ist daraus zu schließen, daß sich die Gültigkeitsdauer der Genehmigungen nach nationalem Recht beurteilt, sofern dieses nicht eine solche Gültigkeitsdauer festsetzt, daß die den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie auferlegten Verpflichtungen ausgehöhlt würden.

31 In diesem Zusammenhang ist interessant, daß die niederländischen Behörden selbst erkannt zu haben scheinen, daß Artikel 9 der Verordnung vom 20. Mai 1987 zu Mißbräuchen führen könnte, denn durch eine 1994 vorgenommene Änderung der Regelung wurde die Befreiung von dem Erfordernis des Umweltverträglichkeitsberichts auf den Fall beschränkt, daß der frühere Plan nach dem 1. September 1984 aufgestellt wurde.

32 Ich will mich nicht zu der Frage zu äussern, ob die niederländische Regierung dadurch die Richtlinie korrekt umgesetzt hat, sondern nur darauf hinweisen, daß in dem Bereich, mit dem wir es zu tun haben, nämlich dem des Umweltschutzes, Gewißheiten kurzlebiger sind als auf anderen Gebieten. Wem fällt denn nicht dieses oder jenes grossartige Projekt ein, das im Namen der hochheiligen wirtschaftlichen Entwicklung oder auch nur des Fortschritts vor zehn oder vielleicht noch weniger Jahren, ohne auf Widerspruch zu stossen, beschlossen, aber mangels Finanzierung nicht durchgeführt wurde und dessen Durchführung heute wegen seiner voraussichtlichen Umweltauswirkungen niemand mehr zu empfehlen wagen würde?

33 Gleichwohl schweigt die Richtlinie auch zur Frage der Gültigkeitsdauer der Genehmigungen, die nach der von ihr eingeführten Regelung erteilt werden. Auch hier wird darauf vertraut, daß die Mitgliedstaaten sich entsprechend dem Geist der Richtlinie und den allgemeinen Verpflichtungen verhalten, die sie nach Artikel 5 des Vertrages übernommen haben.

34 Es steht mir zwar nicht zu, zu beurteilen, ob dieses Vertrauen angebracht ist oder nicht, aber ich fürchte, daß dieses Fehlen jeder Bestimmung über die Gültigkeitsdauer der Genehmigungen zu vielen Schwierigkeiten führt.

35 In der vorliegenden Rechtssache geht es aber nicht um ein Problem der Gültigkeitsdauer von Genehmigungen. Keiner der Beteiligten bestreitet nämlich, daß der Flächennutzungsplan "Ruigoord 1992" einer neuen Genehmigung bedarf.

36 Die Frage des Raad van State betrifft "eine Genehmigung", die sich "auf ein Projekt bezieht, für das schon vor dem 3. Juli 1988 eine Genehmigung erteilt worden war".

37 Daß es sich um eine neue Genehmigung handelt, geht auch aus dem Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits eindeutig hervor.

38 Erinnern wir uns, daß der Gemeinderat von Haarlemmerliede en Spaarnwoude zunächst, 1968, einen Flächennutzungsplan erlassen hatte, der den Bau eines Hafens und die Einrichtung eines Industriegeländes vorsah (Plan "Landelijk gebied 1968").

39 Später änderte er dann seinen Standpunkt und stellte den Plan "Ruigoord 1984" auf, nach dem der überwiegende Teil des fraglichen Gebietes Erholungszwecken dienen sollte. Dieser Plan wurde vom Provinzialausschuß von Noord-Holland weitgehend abgelehnt.

40 Der Raad van State weist darauf hin, daß nach Artikel 30 des Raumordnungsgesetzes "der Gemeinderat, wenn einem Flächennutzungsplan ganz oder teilweise die Zustimmung versagt wird, einen neuen Plan auf[stellt], bei dem die Entscheidung über die Versagung der Zustimmung berücksichtigt wird"(4).

41 Weiter führt der Raad van State aus, daß der Flächennutzungsplan "Ruigoord 1992" den Flächennutzungsplan "Landelijk gebied 1968" ersetzen soll.

42 Die Frage des Raad van State betrifft also tatsächlich eine Genehmigung, die sich auf einen neuen Plan bezieht. Geht es also um einen neuen Plan, der eine neue Genehmigung erfordert, so muß es sich auch um ein durch einen neuen Antrag eingeleitetes neues Verfahren handeln. Daß der Plan "Ruigoord 1992" nach nationalem Recht angefochten werden konnte, belegt dies.

43 Welche Rechtsfolgen ergeben sich, von der Warte der Richtlinie aus betrachtet, aus einer solche Lage? Im Urteil Bund Naturschutz in Bayern u. a. hat der Gerichtshof ausgeführt, daß sich "[i]n der Richtlinie ... kein Anhaltspunkt dafür [findet], daß die Mitgliedstaaten ermächtigt wären, Projekte, für die das Genehmigungsverfahren nach dem Stichtag des 3. Juli 1988 eingeleitet wurde, von der Umweltverträglichkeitsprüfung auszunehmen"(5). Im Urteil Kommission/Deutschland hat der Gerichtshof erläutert: "Der Zeitpunkt der förmlichen Antragstellung ist daher das einzige zulässige Kriterium [für die Bestimmung des Zeitpunktes der Einleitung des Verfahrens]. Dieses Kriterium entspricht dem Grundsatz der Rechtssicherheit und ist geeignet, die praktische Wirksamkeit der Richtlinie zu erhalten."(6)

44 Lässt sich im vorliegenden Fall einwenden, daß es sich in Wirklichkeit um ein- und dasselbe Verfahren handele, das 1968 eingeleitet worden sei, verschiedene Abschnitte durchlaufen habe und durch einen Beschluß über die Zustimmung zum Plan "Ruigoord 1992" abgeschlossen werde?

45 Es mag sein, daß diese Auffassung den niederländischen Übergangsmaßnahmen implizit zugrunde liegt, nach denen ein Umweltverträglichkeitsbericht insbesondere dann nicht erstellt werden muß, wenn eine Tätigkeit in einen geltenden Entwicklungs- oder Flächennutzungsplan aufgenommen wurde oder wenn im Falle einer Änderung oder Neuaufstellung solcher Pläne die der Tätigkeit zugedachte Fläche im wesentlichen beibehalten wird, sofern diese Fläche nicht zu einem geltenden Regionalplan in Widerspruch steht(7).

46 Es ist jedoch festzustellen, daß die Richtlinie dem Projektträger eine Hauptrolle zuweist. Nach Artikel 1 Absatz 2 ist darunter die Person zu verstehen, die die Genehmigung für ein privates Projekt beantragt, oder die Behörde, die ein Projekt betreiben will.

47 Im vorliegenden Fall ist dies ein öffentliches Organ, nämlich der Gemeinderat von Haarlemmerliede en Spaarnwoude, der 1968 die Genehmigung für ein Projekt beantragte. 1984 beschloß dasselbe Organ ein Projekt, das völlig anderer Natur war. Es nahm damit implizit seinen ursprünglichen Antrag zurück und verzichtete de facto darauf, von der für das ursprüngliche Projekt erhaltenen Genehmigung Gebrauch zu machen.

48 Schließlich musste der Projektträger dann unter Berücksichtigung der Entscheidung über die Versagung der Zustimmung für den Plan von 1984 einen neuen Plan aufstellen.

49 Unter solchen Umständen kann meines Erachtens nicht die Ansicht vertreten werden, daß es sich um ein und dasselbe Verfahren handele, das durch einen förmlichen Antrag aus dem Jahr 1968 eingeleitet worden sei.

50 Nach meiner Auffassung ist daher, um die praktische Wirksamkeit der Richtlinie zu wahren, von folgendem auszugehen: Da nach dem 3. Juli 1988 durch die förmliche Einreichung eines neuen Antrags ein Verfahren zur Erlangung einer Genehmigung im Sinne der Richtlinie zur Durchführung eines in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Projekts eingeleitet wurde, muß bei der Vorbereitung dieser Genehmigung unter den in den Artikeln 5 bis 10 der Richtlinie genannten Voraussetzungen ein Umweltverträglichkeitsbericht erstellt werden, und zwar unabhängig davon, ob die neue Genehmigung von einer früheren, gültigen oder ungültigen Genehmigung abweicht.

51 Abgesehen davon, daß sich diese Lösung angesichts der vorstehenden Überlegungen aufdrängt, scheint sie mir verschiedene Vorteile zu haben.

52 Erstens ist sie einfach, denn sie trägt einer unbestrittenen Tatsache Rechnung, nämlich daß die nationalen Behörden eine Genehmigung im Rahmen eines Verfahrens erteilen wollen, das nicht vor dem 3. Juli 1988 eingeleitet worden ist.

53 Zweitens beeinträchtigt diese Lösung in keiner Weise die Befugnisse, die der Gemeinschaftsgesetzgeber aller Wahrscheinlichkeit nach den Mitgliedstaaten belassen wollte. Sie bedeutet keine Festlegung in bezug auf die Gültigkeit einer etwaigen früheren Genehmigung und ist völlig unabhängig von den Gründen, aus denen die nationalen Behörden meinen, eine neue Genehmigung erteilen zu müssen.

54 Drittens entspricht sie sowohl dem gesunden Menschenverstand als auch den allgemein anerkannten Grundsätzen für die Lösung von Problemen in bezug auf die zeitliche Wirkung von Rechtsvorschriften, denn sie besagt, daß heute zu treffende Entscheidungen nach den heute geltenden Verfahrensregeln zu treffen sind.

55 Viertens werden mit ihr die Anforderungen an die Rechtssicherheit beachtet, denn es ist anzunehmen, daß diese Anforderungen, die den nationalen Rechtsordnungen nicht fremd sind, bei der Entscheidung der nationalen Behörden, eine Genehmigung durch eine andere Genehmigung zu ersetzen und also die frühere ungültig werden zu lassen, beachtet wurden. Schließlich scheint diese Lösung auch die einzige zu sein, die die Umweltpolitik der Gemeinschaft glaubwürdiger macht.

56 Zwar mag es Grenzfälle geben, d. h. Fälle, in denen die frühere Genehmigung entweder erst sehr kurz vorher erteilt wurde und nur aus rein formalen Gründen ersetzt werden muß oder zwar etwas länger zurückliegt, aber bei ihrer Vorbereitung ein Umweltverträglichkeitsbericht erstellt wurde, der den Anforderungen der Richtlinie tatsächlich entspricht, wobei eine "rule of reason" gelten könnte. Vielleicht wird der Gerichtshof eines Tages eine Frage mit einem solchen Hintergrund zu beantworten haben und dementsprechend differenzieren. Die Genehmigung des Planes "Ruigoord 1992" hat mit solchen Fällen jedoch überhaupt nichts zu tun.

57 In der Sitzung hat der Bevollmächtigte der Niederlande beantragt, für den Fall, daß die Vorabentscheidungsfrage anders als von der niederländischen Regierung vorgeschlagen beantwortet werde, die zeitliche Wirkung des Urteils zu beschränken. In Anbetracht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes wird diesem Antrag schwerlich stattgegeben werden können, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Selbst wenn man annehmen würde, es bestehe die Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Folgen, insbesondere wegen der grossen Zahl von Rechtsverhältnissen, die gutgläubig auf der Grundlage einer für gültig gehaltenen nationalen Regelung begründet worden seien, so könnte meines Erachtens doch kaum die Ansicht vertreten werden, daß die Einzelpersonen und die nationalen Behörden aufgrund einer erheblichen objektiven Rechtsunsicherheit in bezug auf die Tragweite gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften zu einem gemeinschaftsrechtswidrigen Verhalten veranlasst worden seien und daß zu dieser Rechtsunsicherheit möglicherweise das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission beigetragen habe.

Ergebnis

58 Ich schlage daher vor, auf die Vorabentscheidungsfrage wie folgt zu antworten:

Die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten lässt es nicht zu, daß für ein in Anhang I der Richtlinie aufgeführtes Projekt eine Genehmigung erteilt wird, ohne daß bei der Vorbereitung dieser Genehmigung ein Umweltverträglichkeitsbericht im Sinne der Richtlinie erstellt wurde, wenn sich diese Genehmigung auf ein Projekt bezieht, für das schon vor dem 3. Juli 1988 eine Genehmigung erteilt worden war, von der jedoch kein Gebrauch gemacht wurde und bei deren Vorbereitung kein Umweltverträglichkeitsbericht erstellt wurde, der den Anforderungen der Richtlinie genügt, und wenn davon auszugehen ist, daß die neue Genehmigung nach der förmlichen Einreichung eines neuen Antrags erteilt werden wird.

(1) - ABl. L 175, S. 40; nachstehend: Richtlinie.

(2) - Urteil vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-396/92 (Slg. 1994, I-3717).

(3) - Urteil vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-431/92 (Slg. 1995, I-2189).

(4) - Seite 6 zweiter Absatz des Vorabentscheidungsersuchens.

(5) - Randnr. 18.

(6) - Randnr. 32.

(7) - Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung vom 20. Mai 1987.

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