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Document 61995CC0300

Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 23. Januar 1997.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Vereinigtes Königreich Grossbritannien und Nordirland.
Vertragsverletzung - Artikel 7, Buchstabe e der Richtlinie 85/374/EWG - Nicht ordnungsgemäße Umsetzung - Befreiung von der Haftung für fehlerhafte Produkte - Stand der Wissenschaft und Technik.
Rechtssache C-300/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 I-02649

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1997:35

61995C0300

Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 23. Januar 1997. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Vereinigtes Königreich Grossbritannien und Nordirland. - Vertragsverletzung - Artikel 7, Buchstabe e der Richtlinie 85/374/EWG - Nicht ordnungsgemäße Umsetzung - Befreiung von der Haftung für fehlerhafte Produkte - Stand der Wissenschaft und Technik. - Rechtssache C-300/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 Seite I-02649


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Diese Schlussanträge betreffen ein Verfahren nach Artikel 169 des Vertrages, das die Kommission wegen nicht ordnungsgemässer Umsetzung von Artikel 7 Buchstabe e der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte(1) (im folgenden: Richtlinie) gegen das Vereinigte Königreich eingeleitet hat.

Rechtlicher Rahmen und Verfahren

2 Wie in ihrer ersten Begründungserwägung klargestellt wird, soll die Richtlinie die Unterschiede beseitigen, die zwischen den nationalen Rechtsvorschriften über die Produzentenhaftung bestehen und die "den Wettbewerb verfälschen, den freien Warenverkehr innerhalb des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigen und zu einem unterschiedlichen Schutz des Verbrauchers vor Schädigungen seiner Gesundheit und seines Eigentums durch ein fehlerhaftes Produkt führen [können]".

Gemäß Artikel 1 der Richtlinie haftet "der Hersteller eines Produkts ... für den Schaden, der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist". Artikel 4 bestimmt sodann, daß "der Geschädigte ... den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden zu beweisen [hat]"; nach Artikel 6 Absatz 1 ist "ein Produkt ... fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere a) der Darbietung des Produkts, b) des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, c) des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde, zu erwarten berechtigt ist". Weiter heisst es in Artikel 6: "Ein Produkt kann nicht allein deshalb als fehlerhaft angesehen werden, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde."

Die Ausschlußgründe für die Produzentenhaftung sind in Artikel 7 aufgeführt, wonach "der Hersteller ... aufgrund dieser Richtlinie nicht [haftet], wenn er beweist, a) daß er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat; b) daß unter Berücksichtigung der Umstände davon auszugehen ist, daß der Fehler, der den Schaden verursacht hat, nicht vorlag, als das Produkt von ihm in den Verkehr gebracht wurde, oder daß dieser Fehler später entstanden ist; c) daß er das Produkt weder für den Verkauf oder eine andere Form des Vertriebs mit wirtschaftlichem Zweck hergestellt noch im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben hat; d) daß der Fehler darauf zurückzuführen ist, daß das Produkt verbindlichen hoheitlich erlassenen Normen entspricht; e) daß der vorhandene Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem er das betreffende Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte; f) wenn es sich um den Hersteller eines Teilproduktes handelt, daß der Fehler durch die Konstruktion des Produkts, in welches das Teilprodukt eingearbeitet wurde, oder durch die Anleitungen des Herstellers des Produktes verursacht worden ist".

3 Gemäß Artikel 19 musste die Richtlinie bis zum 30. Juli 1988 umgesetzt werden. Das Vereinigte Königreich erließ zu diesem Zweck Teil I des Consumer Protection Act 1987 (Verbraucherschutzgesetz von 1987; im folgenden: Gesetz), das seit 1. März 1988 in Kraft ist; Section 1(1) des Gesetzes lautet wie folgt: "Mit diesem Teil sollen die Vorschriften erlassen werden, die erforderlich sind, um der Produkthaftungsrichtlinie nachzukommen; er ist dementsprechend auszulegen." Section 4(1)(e), mit der Artikel 7 Buchstabe e der Richtlinie umgesetzt wird, schließt die Produzentenhaftung für den Fall aus, daß der Hersteller nachweist, daß "nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zum maßgebenden Zeitpunkt nicht davon ausgegangen werden konnte, daß ein Hersteller von Produkten mit der gleichen Beschreibung wie das fragliche Produkt den Fehler erkannt hätte, wenn seine Produkte diesen Fehler aufgewiesen hätten, während sie seiner Kontrolle unterlagen".

4 Da die Kommission der Ansicht war, daß die Richtlinie unter verschiedenen Gesichtspunkten nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden sei, leitete sie mit Aufforderungsschreiben vom 26. April 1989 gemäß Artikel 169 des Vertrages ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Vereinigte Königreich ein. Dieses wies die Rügen der Kommission mit Schreiben vom 19. Juli 1989 unter Hinweis darauf zurück, daß die fragliche nationale Regelung, auch wenn sie sprachlich abweichend formuliert sei, eine ordnungsgemässe Umsetzung der Richtlinie darstelle.

Am 2. Juli 1990 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie ihre ursprünglichen Rügen bekräftigte. Das Vereinigte Königreich wiederholte seine Einwände im Antwortschreiben vom 4. Oktober 1990 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme.

5 Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Vereinigten Königreichs und im Lichte von Section 1(1) des Gesetzes, wonach dessen Vorschriften im Einklang mit der Richtlinie auszulegen sind, gelangte die Kommission zu der Schlußfolgerung, daß sie fünf der sechs im Vorverfahren erhobenen Rügen fallenlassen müsse.

Da die Kommission jedoch der Ansicht war, daß die Rüge bezueglich Section 4(1)(e) des Gesetzes, mit der Artikel 7 Buchstabe e der Richtlinie durchgeführt wird, begründet sei, hat sie Klage erhoben auf Feststellung, daß diese Vorschrift nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden ist.

Rechtliche Beurteilung

6 Nach Ansicht der Kommission ergibt sich aus der Formulierung von Section 4(1)(e) des Gesetzes deren Unvereinbarkeit mit Artikel 7 Buchstabe e der Richtlinie. Während das in Artikel 7 aufgestellte Kriterium nämlich objektiv sei, da es sich auf den "Stand der Wissenschaft und Technik" stütze, ohne daß auf die Fähigkeit des Herstellers oder eines anderen Herstellers gleichartiger Produkte, den Fehler zu erkennen, verwiesen werde, verlange die nationale Vorschrift dadurch, daß sie auf das Verhalten eines vernünftigen Herstellers abstelle, eine subjektive Beurteilung.

Auf diese Weise wandele diese Vorschrift die durch Artikel 1 der Richtlinie eingeführte objektive oder verschuldensunabhängige Haftung letztlich in eine Fahrlässigkeitshaftung des Herstellers um.

7 Die hauptsächliche Folge der Änderung des in der Richtlinie vorgesehenen Haftungssystems trete auf der verfahrensrechtlichen Ebene ein: Um zu beweisen, daß es zum maßgebenden Zeitpunkt weder ihm noch einem anderen Hersteller gleichartiger Produkte möglich gewesen sei, den Fehler zu erkennen, brauche der Hersteller eines fehlerhaften Produktes nämlich nur nachzuweisen, daß er nicht fahrlässig gehandelt und alle in diesem Industriesektor üblichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen habe.

Es handele sich daher um eine leichtere als die in der Richtlinie vorgesehene Beweislast, nach der das Verhalten des Herstellers irrelevant und seine Haftung nur dann ausgeschlossen sei, wenn (bewiesen werde, daß) der Fehler nach dem damaligen Stand der Wissenschaft und Technik nicht habe erkannt werden können.

8 Für die Kommission könnte der offensichtliche und nicht zu beseitigende Widerspruch zwischen der Formulierung des Gesetzes und dem Wortlaut der Richtlinie auch nicht durch Section 1(1) des Gesetzes überwunden werden, obwohl danach das Gesetz richtlinienkonform auszulegen sei, und erst recht nicht aufgrund der allgemeineren, durch Section 2(4) des European Communities Act 1972 und die Rechtsprechung des House of Lords festgelegten Auslegungsgrundsätze, die nur bei Vorschriften angewendet werden könnten, deren Wortlaut mehrdeutig und unterschiedlichen Auslegungen zugänglich sei, also nicht im vorliegenden Fall.

Für die Begründetheit der Klage hat die Kommission ausserdem vorgetragen, daß bei den Debatten im House of Lords von mehreren Seiten Zweifel an der Vereinbarkeit von Section 4(1)(e) des Gesetzes mit der Richtlinie angemeldet worden seien und daß von den maßgebenden Verfassern der britischen Lehre die gleichen Bedenken geäussert worden seien.

9 Anders als die Kommission ist das Vereinigte Königreich der Ansicht, daß sich das in dem Gesetz aufgestellte Kriterium in der Sache nicht von dem in der Richtlinie festgelegten Kriterium unterscheide, und es bestreitet, daß mit diesem Gesetz die Einführung eines auf der Fahrlässigkeit des Herstellers beruhenden Haftungssystems beabsichtigt gewesen sei.

Die Auffassung der Kommission beruhe auf einer irrigen Auslegung der relevanten Vorschriften der Richtlinie und des Gesetzes.

10 In bezug auf die Richtlinie trägt der Beklagte vor, wenn hervorgehoben werde, daß die Richtlinie nicht auf die Fähigkeit des Herstellers, den Fehler zu erkennen, verweise, so bedeute dies, daß die betreffende Ausnahme nur eingreifen könne, wenn der Hersteller beweise, daß es niemanden auf der Welt gebe, der die erforderlichen Kenntnisse habe, um den Fehler zu erkennen. So ausgelegt würde sich Artikel 7 Buchstabe e der Richtlinie letztlich jedoch tatsächlich als unanwendbar erweisen.

Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs ist die einzig logische Auslegung der Gemeinschaftsvorschrift vielmehr diejenige, die in Section 4(1)(e) des Gesetzes niedergelegt sei: Die Fähigkeit des betreffenden Herstellers (oder von Herstellern gleichartiger Produkte) stelle nämlich einen objektiven, abstrakten Begriff dar, der nicht darauf abstelle, was der Hersteller konkret gewusst habe, sondern darauf, was er unter Berücksichtigung der gesamten, zum betreffenden Zeitpunkt verfügbaren technisch-wissenschaftlichen Kenntnisse habe wissen können und/oder müssen. Dies werde im übrigen durch die siebte Begründungserwägung der Richtlinie bestätigt, wonach "eine gerechte Verteilung der Risiken zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller bedingt, daß es dem Hersteller möglich sein muß, sich von der Haftung zu befreien, wenn er den Beweis für ihn entlastende Umstände erbringt"; damit werde die Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers deutlich hervorgehoben, dem Hersteller Mittel für eine tatsächliche, effektive Verteidigung anzubieten, deren Wirksamkeit zunichte gemacht würde, wenn der von der Kommission vorgeschlagenen Auslegung gefolgt würde.

11 Zu Section 4(1)(e) des Gesetzes macht die Regierung des Vereinigten Königreichs vor allem geltend, daß der Kommission nicht, wie es erforderlich gewesen wäre, der Nachweis gelungen sei, daß die streitige Vorschrift nur eine einzige Bedeutung haben könne, die mit der Richtlinie absolut unvereinbar sei.

In Wirklichkeit sei die fragliche Vorschrift, die ein objektives - d. h. objektiv nachprüfbares - Ausschlußkriterium für die Haftung des Herstellers aufstelle, so formuliert, daß sie mit der Richtlinie vollständig in Einklang stehe; die sprachliche Abweichung des Wortlauts von dem der Gemeinschaftsvorschrift sei insoweit unerheblich. Es könne auch nicht behauptet werden, daß das Gesetz, anders als die Richtlinie, eine Fahrlässigkeitshaftung einführe: Wenn dies so wäre, trüge der Geschädigte die Beweislast für die Fahrlässigkeit des Herstellers, während nach Section 4(1)(e) der Hersteller, der seine Haftung abwenden wolle, zu beweisen habe, daß er unter Berücksichtigung der verfügbaren Kenntnisse nicht imstande gewesen sei, den Fehler zu erkennen.

Schließlich bestreitet das Vereinigte Königreich, daß den Debatten im House of Lords zweckdienliche Gesichtspunkte für die Auslegung des Gesetzes entnommen werden könnten; das gleiche gelte für die Einschätzungen der von der Kommission zitierten Lehre, deren Tragweite überdies in Wirklichkeit zum Teil von der abweiche, die ihnen in der Klageschrift zugeschrieben werde.

12 In der mündlichen Verhandlung hat die Regierung des Vereinigten Königreichs sodann auf das Erfordernis hingewiesen, daß der Gerichtshof zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts im Rahmen konkreter Umstände und unter Bezugnahme auf einen klar definierten tatsächlichen Kontext angerufen werde; dies sei vorliegend nicht der Fall. Da es keine Entscheidungen der nationalen Gerichte über die Auslegung des Gesetzes gebe, habe der Gerichtshof abstrakt und im wesentlichen hypothetisch über die Vereinbarkeit dieses Gesetzes mit der Richtlinie zu entscheiden, mit der Folge, daß er keine zweckdienliche Auslegung der zu prüfenden Gemeinschaftsregelung geben könne.

Diese Bemerkungen legten es praktisch nahe, daß die Klage der Kommission wegen Fehlens einer nationalen Praxis zu dieser Frage unzulässig sei.

13 In diesem Zusammenhang muß meiner Meinung nach zunächst jeder Zweifel in bezug auf die Möglichkeit ausgeräumt werden, daß dem Fehlen einer einschlägigen nationalen Rechtsprechung in irgendeiner Weise eine präkludierende oder jedenfalls der Erhebung einer Klage nach Artikel 169 entgegenstehende Wirkung zukommt.

Die Kommission kann nämlich nach Artikel 169 gegen einen Mitgliedstaat schon aus dem Grund vorgehen, weil der Wortlaut der nationalen Umsetzungsvorschrift von dem der umzusetzenden Gemeinschaftsvorschrift abweicht(2). Es versteht sich natürlich von selbst, daß aus dem unterschiedlichen Wortlaut der beiden Vorschriften nicht einfach auf die Vertragsverletzung durch den Staat geschlossen werden kann, da unstreitig ist, daß die Umsetzung einer Richtlinie nicht notwendig eine wörtliche Übernahme ihrer Bestimmungen erfordert(3).

14 Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Kommission gegenüber dem Vereinigten Königreich in der vorprozessualen Phase die absolute und nicht zu heilende Unvereinbarkeit der streitigen nationalen Vorschrift mit der entsprechenden Richtlinienbestimmung beanstandet und sogar gemeint hat, daß die britischen Gerichte die Vorschrift keinesfalls im Einklang mit der Richtlinie auslegen könnten, glaube ich jedenfalls nicht, daß der ständigen Rechtsprechung, wonach eine mehrdeutige nationale Regelung keine gewissenhafte Erfuellung der Verpflichtung zur Umsetzung einer Richtlinie darstellt, hier Bedeutung zukommt, auch wenn sie von der Kommission im Laufe des Verfahrens vor dem Gerichtshof herangezogen worden ist. Vielmehr hat die Kommission im vorliegenden Fall die behauptete Vertragsverletzung, wie sie in der vorprozessualen Phase gerügt wurde, zu beweisen, also nachzuweisen, daß der Wortlaut der nationalen Vorschrift nur einer einzigen Auslegung zugänglich ist, die offensichtlich und, ich würde sagen, unabänderlich von der Gemeinschaftsbestimmung abweicht und folglich mit ihr unvereinbar ist.

Der Gegenstand der Klage, wie er in der vorprozessualen Phase umschrieben wurde, betrifft im vorliegenden Fall letztlich nicht die eventuelle Mehrdeutigkeit der nationalen Umsetzungsvorschrift, sondern den nicht zu beseitigenden Widerspruch, in dem sie zu der von ihr umgesetzten Gemeinschaftsvorschrift stehen soll. Die Klage der Kommission ist daher innerhalb dieser Grenzen zu prüfen.

15 Nach alledem halte ich es, da die Richtlinie zum ersten Mal vom Gerichtshof geprüft wird, für angebracht, ihre wesentlichen Merkmale zusammenzufassen, um die zutreffende Auslegung der in Rede stehenden Vorschrift zu bestimmen. Im Lichte dieser Auslegung wird es sodann möglich sein, zu prüfen, ob die streitige nationale Vorschrift in der Sache von der Gemeinschaftsvorschrift abweicht oder ob bereits aus ihrem Wortlaut auf einen nicht zu beseitigenden Widerspruch zur Richtlinie geschlossen werden muß.

16 Die Haftung des Herstellers für das Inverkehrbringen fehlerhafter Produkte war vor allem in den letzten Jahrzehnten eines der Themen, die in der Lehre, die sich mit der zivilrechtlichen Haftung beschäftigt, am eingehendsten untersucht wurden. Dies liegt vor allem daran, daß sie in systematischer Hinsicht den Prüfstand für den Übergang von einem ausschließlich auf Verschulden beruhenden System der Zurechnung der unerlaubten Handlung zu einem System der objektiven Haftung darstellte, das eher den Erfordernissen des Schutzes des Geschädigten entspricht, und zwar im Rahmen einer Neuinterpretation der Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung, die nicht mehr nur dem Gedanken der Sanktion, sondern auch, wenn nicht vorwiegend, dem der Entschädigung verpflichtet ist(4).

Die söben beschriebene Entwicklung wurde ausserdem durch die Zunahme der industriellen Tätigkeiten angeregt(5). In dem Masse, in dem die immer weiter zunehmende Komplexität der Produktionsprozesse die Gefahren, die mit Produktfehlern verbunden sind, vervielfachte und schwer vermeidbar machte, wurde klar, daß das auf dem Verschulden des Herstellers aufbauende Haftungssystem zur Sicherung eines angemessenen Verbraucherschutzes ungeeignet ist. Dem Verbraucher wurde, auch wenn er durch ein fehlerhaftes Produkt geschädigt wurde, faktisch - und zu häufig - ein wirksamer Schutz genommen, da es sich verfahrensrechtlich als sehr schwierig erwies, die Fahrlässigkeit des Herstellers, also die Nichteinhaltung aller Vorkehrungen, die das Auftreten des Fehlers verhindern können, durch den Hersteller, zu beweisen.

Unter diesem Gesichtspunkt ist gut zu verstehen, weshalb gerade in den Vereinigten Staaten - aufgrund des Industriewachstums in diesem Land - beginnend in den sechziger Jahren erstmals die theoretischen Prämissen eines vom Verschuldenserfordernis unabhängigen Systems der Produzentenhaftung entwickelt wurden(6). Diese Prämissen lassen sich wie folgt zusammenfassen(7): a) grössere vertragliche und wirtschaftliche Macht des Herstellers im Vergleich zum Verbraucher und ausgeprägtere Abschreckungsfunktion des objektiven Haftungssystems gegenüber der Verschuldenshaftung; b) Grundsatz der Risikoverteilung innerhalb einer bestimmten Sozialordnung durch Rückgriff auf den Versicherungsmechanismus: mit anderen Worten, Internalisierung der Kosten, die sich aus schädigenden Handlungen des Herstellers ergeben; c) Verringerung der sogenannten sekundären und tertiären Verwaltungskosten und Erzielung erheblicher sozialer Vorteile infolge der Einführung eines Systems der objektiven Haftung des Herstellers.

17 Von seiten der Gemeinschaft kam es nach einigen Ende der sechziger Jahre vorgestellten Entwürfen 1985 zum Erlaß der Richtlinie, deren endgültiger Wortlaut sich erheblich von dem des ursprünglichen Vorschlags der Kommission unterscheidet(8).

Dieser Vorschlag sah nämlich, ausgehend vom nordamerikanischen Modell, ein System der objektiven Haftung des Herstellers vor, das zum einen als das geeignetste Instrument angesehen wurde, um einen ausreichenden Schutz des Verbrauchers zu gewährleisten (vgl. vierte Begründungserwägung), und zum anderen aufgrund der Tatsache gerechtfertigt war, daß der Hersteller die ideale Stelle für die Zurechnung des Schadens ist, da er "seine Aufwendungen, die er auf Grund dieser Haftung macht, als Herstellungskosten in die Preiskalkulation eingehen lassen und so auf alle Verbraucher gleicher, jedoch fehlerfreier Produkte verteilen kann" (vgl. fünfte Begründungserwägung).

18 Die im Vorschlag der Kommission entworfene Haftung ging übrigens über das oben beschriebene System der strict liability hinaus, da es absoluten Charakter hatte, d. h. keinen Entlastungsbeweis des Herstellers zuließ. Nach Artikel 1 des Vorschlags "[haftet] der Hersteller ... für den Schaden, der durch einen Fehler dieser Sache verursacht worden ist, ungeachtet dessen, ob er den Fehler kannte oder hätte kennen können. Der Hersteller haftet auch dann, wenn die Sache nach dem Stand von Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem er sie in Verkehr brachte, nicht als fehlerhaft angesehen werden konnte."

Auf diese Weise wurde für den Hersteller die Möglichkeit ausgeschlossen, die auf den "state of the art" gestützte Einrede geltend zu machen, aufgrund deren er seine Haftung abwenden kann, wenn er beweist, daß es nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde, noch nicht möglich war, es als fehlerhaft anzusehen. Mit anderen Worten bürdete man den Herstellern letztlich auch den Bereich der sogenannten Entwicklungsrisiken auf, d. h. der Risiken, die in Produktionssektoren bestehen, in denen ein Produkt, das zum Zeitpunkt der Herstellung nicht als fehlerhaft angesehen wurde, aufgrund fortschreitender technisch-wissenschaftlicher Kenntnisse im nachhinein als fehlerhaft erscheinen kann(9).

19 Die Richtlinie, wie sie vom Rat erlassen wurde, entschied sich für ein nicht mehr absolutes, sondern beschränktes System der objektiven Haftung gemäß dem Grundsatz der gerechten Verteilung der Risiken zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller, der nur die kalkulierbaren Risiken, nicht auch die Entwicklungsrisiken zu tragen hat, die von Natur aus unkalkulierbar sind(10). Nach der Richtlinie muß der Geschädigte daher, will er den Hersteller für die Fehler des Produkts haftbar machen, den Schaden, das Vorhandensein des Produktfehlers und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Schaden und Fehler, nicht aber das Verschulden des Herstellers beweisen.

Der Hersteller kann seine Haftung jedoch abwenden, wenn er nachweist, daß das Produkt zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nach dem "state of the art" nicht als fehlerhaft angesehen werden konnte. Dies ist die Regelung des Artikels 7 Buchstabe e der Richtlinie(11).

20 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß diese Vorschrift, indem sie ausschließlich auf den zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts verfügbaren "Stand der Wissenschaft und Technik" verweist, nicht die Sicherheitspraktiken und -standards betrifft, die in dem Industriesektor, in dem der Hersteller tätig ist, üblich sind. Mit anderen Worten ist es für den Ausschluß der Haftung des Herstellers unerheblich, daß in dem bestimmten Produktionssektor niemand die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Fehler zu beseitigen oder sein Auftreten zu verhindern, wenn diese Maßnahmen aufgrund der verfügbaren Kenntnisse getroffen werden können.

Ebenfalls als nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 7 Buchstabe e fallend anzusehen sind die Gesichtspunkte der Praktikabilität und des wirtschaftlichen Vorteils der zur Beseitigung des Produktfehlers geeigneten Maßnahmen. Von diesem Standpunkt aus kann auch nicht angenommen werden, daß der Umstand, daß der Hersteller nicht über den Stand der Wissenschaft und Technik informiert ist und deren Entwicklungen, wie über sie in der Fachpresse berichtet wird, nicht verfolgt, für den Ausschluß seiner Haftung irgendeine Bedeutung hat. Ich bin nämlich der Ansicht, daß als Maßstab für die Beurteilung des Verhaltens des Herstellers die Kenntnisse eines Fachmanns auf dem Gebiet heranzuziehen sind(12).

21 Was dagegen die Bestimmung des Begriffes "Stand der Wissenschaft und Technik" angeht, so sind einige zusätzliche Erwägungen anzustellen.

Der wissenschaftliche Fortschritt verläuft insofern nicht linear, als neue Studien und Entdeckungen anfänglich kritisiert und vom Grossteil der wissenschaftlichen Kreise als nicht zuverlässig angesehen werden können; nach einer gewissen Zeit können sie einem umgekehrten Prozeß der "Beatifikation" unterliegen, aufgrund dessen sie nahezu einhellige Zustimmung finden. Es ist daher sehr wohl möglich, daß zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens eines bestimmten Produkts einzelne Meinungen vertreten werden, die das Produkt für fehlerhaft halten, während die meisten Wissenschaftler es nicht als fehlerhaft ansehen. Das Problem besteht insoweit darin, zu bestimmen, ob sich der Hersteller in einer solchen Situation, also angesichts eines Risikos, das nicht gewiß ist und erst nachträglich von allen anerkannt wird, dennoch auf den in Artikel 7 Buchstabe e der Richtlinie vorgesehenen Rechtfertigungsgrund berufen kann.

Dies muß meiner Meinung nach verneint werden. Mit anderen Worten, der Stand der Wissenschaft kann nicht anhand der von der Mehrheit der Wissenschaftler vertretenen Meinungen, sondern nur anhand des höchsten Standes der zu einem bestimmten Zeitpunkt durchgeführten Forschungen festgestellt werden.

22 Diese Auslegung, die mit derjenigen übereinstimmt, die die Kommission in der mündlichen Verhandlung anhand einiger sehr relevanter Beispiele vorgeschlagen hat, entspricht am ehesten dem Grundgedanken der Gemeinschaftsregelung: Dem Hersteller müssen die vorhersehbaren Risiken aufgebürdet werden, gegen die er sich entweder präventiv, indem er mehr experimentiert oder in die Forschung investiert, oder dadurch schützen kann, daß er sich gegen die zivilrechtliche Haftung versichert, so daß die durch den Produktfehler eventuell verursachten Schäden gedeckt werden.

Sobald in wissenschaftlichen Kreisen zu einem bestimmten Zeitpunkt auch nur eine einzige Stimme laut wird (die, wie die Wissenschaftsgeschichte lehrt, im Laufe der Zeit zur allgemeinen Meinung werden kann), mit der auf die potentielle Fehlerhaftigkeit und/oder Gefährlichkeit des Produkts hingewiesen wird, hat es dessen Hersteller nicht mehr mit einem unvorhersehbaren Risiko zu tun, das als solches nicht in den Anwendungsbereich des in der Richtlinie vorgesehenen Systems fällt.

23 Als eng verknüpft mit dem söben erörterten Gesichtspunkt erweist sich das Problem der Verfügbarkeit der wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse, verstanden als Möglichkeit für die Interessierten, Zugang zur Summe aller gegenwärtigen Informationen zu erhalten. Unbestreitbar ist der Umlauf von Informationen durch objektive Faktoren bedingt, z. B. durch ihren Herkunftsort, die Sprache, in der sie mitgeteilt werden, und die Verbreitung der Zeitschriften, in denen sie veröffentlicht werden.

Es gibt, um mich klar auszudrücken, hinsichtlich der Geschwindigkeit, mit der die Information in Umlauf kommt, und des Umfangs, in dem sie Verbreitung findet, nicht unbedeutende Unterschiede zwischen der Studie eines Forschers an einer US-amerikanischen Universität, die in einer internationalen englischsprachigen Zeitschrift veröffentlicht wird, und, um ein Beispiel der Kommission aufzugreifen, einer entsprechenden Forschungsarbeit eines Wissenschaftlers in der Mandschurei, die in chinesischer Sprache in der lokalen Wissenschaftszeitschrift veröffentlicht wird, die nicht über die Grenzen der Region hinausgelangt.

24 In der söben beschriebenen Situation wäre es unrealistisch und, ich würde sagen, vernunftwidrig, wenn man sich auf den Standpunkt stellte, daß für die Studie in chinesischer Sprache die gleiche Möglichkeit wie für die andere besteht, daß ein europäischer Produzent sie kennt. Ich glaube also nicht, daß in einem derartigen Fall die Haftung des Herstellers deshalb bejaht werden könnte, weil zu dem Zeitpunkt, zu dem er das Produkt in den Verkehr gebracht hat, der brillante asiatische Forscher dessen Fehler entdeckt hatte(13).

Allgemeiner gesagt ist der "Stand der verfügbaren Kenntnisse" so zu verstehen, daß er alle Informationen umfasst, die in den wissenschaftlichen Kreisen insgesamt zirkulieren, wobei jedoch nach Maßgabe eines Vernunftkriteriums die konkreten Möglichkeiten für ein Zirkulieren der Informationen zu berücksichtigen sind.

25 Nachdem so die Bedeutung der Gemeinschaftsvorschrift bestimmt worden ist, glaube ich nicht, daß ich die Auffassung der Kommission teilen kann, wonach zwischen dieser und der streitigen nationalen Vorschrift ein unüberbrückbarer Gegensatz besteht. Es kann nämlich nicht bestritten werden, daß der Wortlaut von Section 4(1)(e) des Gesetzes ein potentiell mehrdeutiges Element enthält: Soweit auf das Bezug genommen wird, was man vom Hersteller erwarten könnte, ist eine weitere Auslegung in dem Sinne denkbar, daß man dies erwarten müsste.

Ungeachtet dessen glaube ich nicht, daß die Bezugnahme auf die "Fähigkeit des Herstellers" auch in ihrer Allgemeinheit eine Auslegung rechtfertigen kann oder sogar (zwangsläufig) muß, die dem Grundgedanken und der Zielsetzung der Richtlinie zuwiderläuft.

26 Erstens ist nämlich die Berücksichtigung der Person des Herstellers nicht nur in den Vorschriften der Richtlinie insgesamt von zentraler Bedeutung, sondern auch in Artikel 7 Buchstabe e, dessen Adressat, auch wenn er nicht genannt wird, eben dieser Hersteller als derjenige ist, der die Beweislast dafür trägt, seine Haftung abwenden zu können. Die Vorschrift des Gesetzes bringt in dieser Hinsicht nur einen Gedanken klar zum Ausdruck, der in der Gemeinschaftsvorschrift mitenthalten ist.

Zweitens reicht die im Gesetz enthaltene Bezugnahme auf die Fähigkeit des Herstellers, den Fehler zu erkennen, nicht aus, um das vorgesehene Kriterium zu einem subjektiven zu machen. Diese Bezugnahme kann nämlich, wie das Vereinigte Königreich vorgetragen hat, sehr wohl als ein objektiv überprüfbarer und abschätzbarer Parameter angesehen werden, der in keiner Weise durch Berücksichtigung der subjektiven Kenntnisse, über die der Hersteller konkret verfügt, oder durch dessen organisatorische und wirtschaftliche Erfordernisse beeinflusst wird. Nach diesem Parameter muß daher für einen Ausschluß der Haftung des Herstellers bewiesen werden, daß es unter Berücksichtigung des höchsten Standes der objektiv und vernünftigerweise zugänglichen und verfügbaren wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse unmöglich war, das Produkt als fehlerhaft anzusehen.

27 Soweit die streitige Gesetzesvorschrift vom nationalen Gericht so ausgelegt und angewandt wird, erweist sich daher die Besorgnis der Kommission bezueglich einer ungerechtfertigten "Subjektivierung" der betreffenden Haftungsbefreiung, die geeignet wäre, zu einer grundlegenden Umwandlung des in der Richtlinie vorgesehenen Haftungssystems in eine Verschuldenshaftung zu führen, als unbegründet.

Unter diesem Gesichtspunkt kann ich mich im übrigen der Bemerkung des Vereinigten Königreichs anschließen, daß im Gesetz ein wesentliches Erfordernis für ein solches Haftungssystem fehlt, das bekanntlich vom Verbraucher den Nachweis des "Verschuldens" des Herstellers verlangt. Section 4(1)(e) des Gesetzes erlegt nämlich dem Hersteller, der sich auf den Einwand des "state of the art" beruft, die Beweislast auf.

28 Hinzu kommt, daß meiner Meinung nach weder die Auslegungsregel in Section 1 des Gesetzes, die das nationale Gericht zwingt, die Vorschriften des Gesetzes im Einklang mit der Richtlinie auszulegen, noch die ähnlich lautenden allgemeinen Auslegungsgrundsätze, die den britischen Gerichten durch den European Communities Act 1972 vorgeschrieben wurden und die in ständiger Rechtsprechung des House of Lords bekräftigt werden, als irrelevant angesehen werden können, wie die Kommission dies vorträgt(14).

Dagegen können aus den von der Kommission angeführten Parlamentsdebatten meiner Meinung nach nicht genügend Gesichtspunkte hergeleitet werden, um das Ergebnis, zu dem ich gelangt bin, zu entkräften; diese Debatten lassen allenfalls die Besorgnis bezueglich einer übermässigen Ausdehnung der Tragweite der State-of-the-art-Einrede infolge der genannten Bezugnahme auf die Fähigkeit des Herstellers erkennen. Das Bestehen einer solchen Gefahr kann aber jedenfalls nicht als ein ausreichender Beweis für die Feststellung der von der Kommission geltend gemachten Vertragsverletzung angesehen werden.

29 Für dieses Ergebnis spricht ausserdem die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach die Bedeutung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften unter Berücksichtigung ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte zu beurteilen ist(15). Daraus folgt ganz offensichtlich, daß es sehr viel klüger und angebrachter gewesen wäre, wenn die Kommission, bevor sie gegen das Vereinigte Königreich wegen der nicht ordnungsgemässen Umsetzung der Richtlinie vorging, die Anwendung des Gesetzes durch die nationalen Gerichte abgewartet hätte. Hingegen erscheint das Vertragsverletzungsverfahren der Kommission so, wie es eingeleitet wurde, letztlich doch zumindest als übereilt.

Alles in allem bin ich der Meinung, daß ich mich dem Standpunkt des Vereinigten Königreichs anschließen und daher zu dem Ergebnis kommen muß, daß die Kommission in keiner Weise nachgewiesen hat, daß Artikel 7 Buchstabe e der Richtlinie durch Section 4(1)(e) des Gesetzes nicht ordnungsgemäß umgesetzt wird.

30 Da die Kommission nach dieser Lösung unterliegt, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

31 Im Lichte der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof daher vor,

1. die Klage abzuweisen;

2. der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

(1) - ABl. L 210, S. 29.

(2) - Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat auf meine präzise Frage zu diesem Punkt ausdrücklich eingeräumt, daß das Fehlen einer mit der Richtlinie unvereinbaren nationalen Rechtsprechung für die Zulässigkeit der Klage der Kommission nicht relevant sei.

(3) - Vgl. z. B. Urteil vom 17. November 1993 in der Rechtssache C-71/92 (Kommission/Spanien, Slg. 1993, I-5923, Randnr. 23).

(4) - Vgl. die zutreffenden Bemerkungen von Ponzanelli, La responsabilità civile. Profili di diritto comparato, Bologna, 1992, S. 107.

(5) - Vgl. Priest, "La scoperta della responsabilità d'impresa: una storia critica delle origini intellettuali del moderno sistema di responsabilità civile", in Responsabilità civile, 1985, S. 275 ff.

(6) - Die Lehre von der objektiven Haftung oder, um den englischen Ausdruck zu verwenden, der strict liability, geht in den Vereinigten Staaten auf eine "concurring opinion" des Richters Roger Traynor im Fall Coca Cola bottling Co., 24 Cal. 2d 453, 461 P 2d 436 (1944), zurück, wonach ein Hersteller haften müsse, wenn er beim Inverkehrbringen eines Produkts gewusst habe, daß es ohne Kontrolle verwendet würde, und sich herausstelle, daß ein Fehler des Produkts einen Schaden verursacht habe. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß sich der Hersteller im Unterschied zur Öffentlichkeit gegen den Eintritt der Gefahren schützen kann und in der Lage ist, eine Versicherung abzuschließen und deren Kosten auf die Verbraucher umzulegen. Der California Supreme Court schloß sich bei der Festlegung der Regeln für die zivilrechtliche Haftung im Fall Greenman/Yuba Power Products Inc., 59 Cal. 2d 57, 377 P 2d 897 (1963), der Ansicht von Richter Traynor an und entschied, daß der beklagte Hersteller für die durch den Produktfehler verursachten Schäden objektiv hafte. Dieser Grundsatz fand dann Eingang in § 402 A des Restatement (Second) of Torts, worin die Haftung des Verkäufers gegenüber dem Verbraucher für das Inverkehrbringen "unangemessen gefährlicher" fehlerhafter Produkte vorgesehen war. Das Erfordernis der Unangemessenheit wurde jedoch vom California Supreme Court im Fall Cronin/J. B. E. Olson Corp., 8 Cal. 3d 121, 501 P 2d 1153 (1972), verworfen, weil es der Fahrlässigkeit nicht unähnlich sei; um eine Haftung des Herstellers zu rechtfertigen, reiche vielmehr der Beweis des den Schaden verursachenden Fehlers aus. Zu bemerken ist, daß seit der Veröffentlichung von § 402 A in den meisten Bundesstaaten objektive Haftungssysteme geschaffen wurden. Für eine Übersicht über dieses Thema vgl. aus der uferlosen nordamerikanischen Literatur Shapo, The law of products liability, Boston - New York 1987.

(7) - Vgl. Ponzanelli (zitiert in Fußnote 4), S. 115-116.

(8) - ABl. 1976, C 241, S. 9.

(9) - In diesem Zusammenhang ist der Hinweis nicht unangebracht, daß die Rechtsprechung in den Vereinigten Staaten insbesondere im Arzneimittelsektor zur Annahme einer absoluten Haftung des Herstellers tendiert hatte. Die aus dieser Rechtsprechung folgende "indiscriminate expansion of substantive tort liability", infolge deren die Haftung in allen Fällen und ohne Rücksicht auf die Kosten bejaht und die Einrede des "state of the art" zurückgewiesen wurde, führte auf dem Versicherungsmarkt jedoch zu einer so ernsten Krise, daß für manche wirtschaftlichen Betätigungen kein Versicherungsschutz mehr zu erhalten war. Aufgrund dessen gab es unlängst Anzeichen sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Gesetzgebung für eine Kursumkehr und eine Rückkehr zu den nicht mehr absoluten Regeln für die objektive Haftung; siehe hierzu Priest, "The current insurance crisis and modern tort law", in 96 Yale Law Journal 1589 (1987); ders., "La controrivoluzione nel diritto della responsabilità da prodotti negli Stati Uniti d'America" in Foro italiano, 1989, IV, S. 119 ff. In dem letztgenannten Artikel hat der Autor eine Mahnung an die juristischen Kreise in Europa gerichtet, die im Gedächtnis bleiben sollte: "Der California Supreme Court im Fall Brown und die neuen Rechtsvorschriften von New Jersey haben begonnen, die Prämissen der auf dem Gebiet der Produkthaftung bestehenden Regel der strict liability erneut zu untersuchen. Es wird von Bedeutung sein, zu prüfen, ob die europäischen Staaten bei der konkreten Umsetzung der Gemeinschaftsrichtlinie vom 25. Juli 1985, mit der der Standard der strict liability 25 Jahre nach seiner Einführung in den USA erlassen wurde, die ursprünglichen theoretischen Prämissen dieses Systems akzeptieren werden, die in den USA eine Krise herbeiführten, oder ob sie vielmehr die gerade begonnene Gegenrevolution akzeptieren werden."

(10) - Vgl. Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie, der den Mitgliedstaaten die Möglichkeit lässt, von der Vorschrift über die Entwicklungsrisiken abzuweichen und strengere Rechtsvorschriften einzuführen.

(11) - Zur schwierigen Entstehung dieser Vorschrift siehe Ghestin, "La directive communautaire du 25 juillet 1985 sur la reponsabilité du fait des produits défectüux", in Dalloz, 1986, Chron., S. 135 ff.

(12) - Muß z. B. ein Chemiker oder ein Pharmakologe über die Eigenschaften eines bestimmten Stoffes auf dem laufenden sein, sind für die hier interessierenden Zwecke gleichartige Kenntnisse von dem Industriellen zu verlangen, der Arzneimittel herstellt, die diesen Stoff enthalten.

(13) - Entgegen dem Vorbringen der Kommission in der mündlichen Verhandlung, mit dem sie übrigens ihren früheren Erklärungen widersprochen hat, reicht es daher für den Ausschluß der Ausnahme des Artikels 7 Buchstabe e der Richtlinie meiner Meinung nach nicht aus, wenn nachgewiesen wird, daß es eine Person - gleichgültig, in welchem Land und welcher Sprache - gibt, die imstande ist, den Fehler des Produkts zu erkennen.

(14) - In diesem Zusammenhang braucht kaum darauf hingewiesen zu werden, daß die nationalen Gerichte jedenfalls nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes verpflichtet sind, das nationale Recht im Einklang mit der Richtlinie auszulegen (vgl. Urteil vom 13. November 1990 in der Rechtssache C-106/89, Marleasing, Slg. 1990, I-4135, Randnr. 8).

(15) - Vgl. insbesondere Urteile vom 8. Juni 1994 in der Rechtssache C-382/92 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1994, I-2435, Randnr. 36) und vom 16. Dezember 1992 in den Rechtssachen C-132/91, C-138/91 und C-139/91 (Katsikas u. a., Slg. 1992, I-6577, Randnr. 39).

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