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Document 61995CC0094

Schlussanträge des Generalanwalts Cosmas vom 23. Januar 1997.
Danila Bonifaci u.a. (C-94/95) und Wanda Berto u.a. (C-95/95) gegen Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS).
Ersuchen um Vorabentscheidung: Pretura circondariale di Bassano del Grappa - Italien.
Sozialpolitik - Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers - Begrenzung der Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen - Haftung des Mitgliedstaats wegen verspäteter Umsetzung einer Richtlinie - Angemessene Wiedergutmachung.
Verbundene Rechtssachen C-94/95 und C-95/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 I-03969

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1997:29

61995C0094

Schlussanträge des Generalanwalts Cosmas vom 23. Januar 1997. - Danila Bonifaci u.a. (C-94/95) und Wanda Berto u.a. (C-95/95) gegen Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Pretura circondariale di Bassano del Grappa - Italien. - Sozialpolitik - Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers - Begrenzung der Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen - Haftung des Mitgliedstaats wegen verspäteter Umsetzung einer Richtlinie - Angemessene Wiedergutmachung. - Verbundene Rechtssachen C-94/95 und C-95/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 Seite I-03969


Schlußanträge des Generalanwalts


Inhaltsübersicht

I - Einleitung

II - Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt Die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen Der Sachverhalt Die Vorlagefragen

III - Zur Zulässigkeit Zur Zulässigkeit der ersten Vorlagefrage Zur Zulässigkeit der zweiten Vorlagefrage Zur Zulässigkeit der dritten Vorlagefrage

IV - Zu den materiell-rechtlichen Fragen Voraussetzungen einer korrekten, aber verspäteten Umsetzung Rückwirkende Umsetzung Volle Umsetzung Ausdrückliche Umsetzung Zur Kontrolle der rückwirkenden Umsetzung Zur Richtlinie 80/987 Zur Bedeutung von Artikel 4 Absatz 2 Zur Gültigkeit von Artikel 4 Absatz 2 Zur Mindestgarantie im Sinne der Richtlinie Zum Inhalt des Schadensersatzes wegen mangelnder Umsetzung der Richtlinie Zu Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie

V - Ergebnis

I - Einleitung

1 In den vorliegenden Rechtssachen ist der Gerichtshof aufgerufen, sich gemäß Artikel 177 EG-Vertrag im Wege der Vorabentscheidung zu drei Fragen zu äussern, die ihm von der Pretura circondariale Bassano del Grappa vorgelegt wurden und die die Auslegung und Gültigkeit von Bestimmungen der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980(1) betreffen.

2 Der Sachverhalt, der Anlaß zur Formulierung der Vorlagefragen gegeben hat, ist neuartig und stellt sich wie folgt dar: Ein Mitgliedstaat, der es versäumt hat, eine Richtlinie in seine heimische Rechtsordnung umzusetzen (ein Versäumnis, das durch Urteil des Gerichtshofes festgestellt wurde), und der deshalb dem Geschädigten wegen mangelnder Umsetzung der Richtlinie schadensersatzpflichtig ist (über die Voraussetzungen dieser Pflicht hat sich der Gerichtshof ebenfalls ausgesprochen), unternimmt es im Zuge des Erlasses von Maßnahmen, um der Richtlinie nachzukommen, den Schadensersatz dem Umfang und der Höhe nach festzusetzen.

3 Das vorlegende Gericht, das mit auf die nationalen Rechtsvorschriften gestützten Schadensersatzklagen befasst ist, ersucht den Gerichtshof, ihm diejenigen Anhaltspunkte für die Auslegung der Richtlinie an die Hand zu geben, die es benötigt, um entscheiden zu können, ob die nationalen Rechtsvorschriften, insbesondere die Festsetzung des vorerwähnten Schadensersatzes, in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stehen.

4 Die Antwort, die das vorlegende Gericht erwartet, wird daher die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Schadensersatzpflicht der Mitgliedstaaten wegen Verstössen gegen das Gemeinschaftsrecht, die mit dem Urteil vom 19. November 1991 im Fall Francovich u. a. (im folgenden: Francovich I)(2) eröffnet wurde, erweitern und vervollständigen.

II - Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt

Die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen

5 Die Richtlinie 80/987 (im folgenden: Richtlinie) bestimmt in ihrem Abschnitt I - Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen -, insbesondere in ihrem Artikel 1 folgendes:

"(1) Diese Richltinie gilt für Ansprüche von Arbeitnehmern aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen gegen Arbeitgeber, die zahlungsunfähig im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 sind."

6 In Artikel 2 der Richtlinie, der zum selben Abschnitt gehört, heisst es:

"(1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig,

a) wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahren über das Vermögen des Arbeitgebers zur gemeinschaftlichen Befriedigung seiner Gläubiger beantragt worden ist, das die Berücksichtigung der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Ansprüche gestattet, und

b) wenn die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde

- entweder die Eröffnung des Verfahrens beschlossen hat,

- oder festgestellt hat, daß das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen.

(2) Diese Richtlinie lässt das einzelstaatliche Recht bezueglich der Begriffsbestimmung der Worte $Arbeitnehmer`, $Arbeitgeber`, $Arbeitsentgelt`, $erworbenes Recht` und $Anwartschaftsrecht` unberührt."

7 Abschnitt II - Vorschriften über die Garantieeinrichtungen -, insbesondere Artikel 3 bestimmt folgendes:

"(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vorbehaltlich des Artikels 4 Garantieeinrichtungen die Befriedigung der nicht erfuellten Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen, die das Arbeitsentgelt für den vor einem bestimmten Zeitpunkt liegenden Zeitraum betreffen, sicherstellen.

(2) Der in Absatz 1 genannte Zeitpunkt ist nach Wahl der Mitgliedstaaten

- entweder der Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers,

- oder der Zeitpunkt der Kündigung zwecks Entlassung des betreffenden Arbeitnehmers wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers,

- oder der Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers oder der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses des betreffenden Arbeitnehmers wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers."

8 Der zum selben Abschnitt gehörende Artikel 4 lautet:

"(1) Die Mitgliedstaaten können die in Artikel 3 vorgesehene Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen begrenzen.

(2) Machen die Mitgliedstaaten von der Möglichkeit des Absatzes 1 Gebrauch, so müssen sie folgendes sicherstellen:

- in dem Fall des Artikels 3 Absatz 2 erster Gedankenstrich die Befriedigung der das Arbeitsentgelt betreffenden nichterfuellten Ansprüche für die letzten drei Monate des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses, die innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten vor dem Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers liegen;

- in dem Fall des Artikels 3 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich die Befriedigung der das Arbeitsentgelt betreffenden nichterfuellten Ansprüche für die drei letzten Monate des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses vor dem Zeitpunkt der Kündigung zwecks Entlassung des Arbeitnehmers wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers;

- in dem Fall des Artikels 3 Absatz 2 dritter Gedankenstrich die Befriedigung der das Arbeitsentgelt betreffenden nichterfuellten Ansprüche für die achtzehn letzten Monate des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses vor dem Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers oder dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers wegen Zahlungsunfähigleit des Arbeitgebers. In diesem Fall können die Mitgliedstaaten die Zahlungspflicht auf das Arbeitentgelt für einen Zeitraum von acht Wochen oder für mehrere Zeiträume, die zusammengerechnet acht Wochen ergeben, begrenzen.

(3) Die Mitgliedstaaten können jedoch, um die Zahlung von Beträgen zu vermeiden, die über die soziale Zweckbestimmung dieser Richtlinie hinausgehen, für die Garantie der Erfuellung unbefriedigter Ansprüche der Arbeitnehmer eine Hoechstgrenze festsetzen.

Machen die Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch, so teilen sie der Kommission mit, nach welchen Methoden sie die Hoechstgrenze festsetzen."

9 Nach Artikel 9 der Richtlinie steht es den Mitgliedstaaten frei, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen.

10 Artikel 10 lautet:

"Diese Richtlinie steht nicht der Möglichkeit der Mitgliedstaaten entgegen,

a) die zur Vermeidung von Mißbräuchen notwendigen Maßnahmen zu treffen;

b) die in Artikel 3 vorgesehene Zahlungspflicht oder die in Artikel 7 vorgesehene Garantiepflicht abzulehnen oder einzuschränken, wenn sich herausstellt, daß die Erfuellung der Verpflichtung wegen des Bestehens besonderer Bindungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber und gemeinsamer Interessen, die sich in einer Kollusion zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber ausdrücken, nicht gerechtfertigt ist."

11 Schließlich bestimmt Artikel 11, daß die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen haben, um der Richtlinie innerhalb von sechsunddreissig Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen.

Der Sachverhalt

12 Die Italienische Republik versäumte es, innerhalb der den Mitgliedstaaten durch Artikel 11 der Richtlinie gesetzten, am 23. Oktober 1983 abgelaufenen Frist alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Richtlinie in die innerstaatliche Rechtsordnung umzusetzen. Auf eine Klage der Kommission hin stellte der Gerichtshof mit Urteil vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 22/87 fest, daß die Italienische Republik ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen war.(3)

13 Am 20. April 1989, als die Richtlinie nach wie vor nicht in die italienische Rechtsordnung umgesetzt worden war, erhoben Danila Bonifaci und weitere dreiunddreissig Arbeitnehmer der Firma Gaia Confezioni Srl, über deren Vermögen am 5. April 1985 der Konkurs eröffnet worden war, bei der Pretura circondariale Bassano del Grappa Klage gegen die Italienische Republik. In ihrer Klageschrift führten sie aus, sie hätten im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Forderungen von insgesamt über 253 Millionen LIT gehabt, die als Konkursforderung festgestellt worden seien. Ihnen sei fünf Jahre nach dem Konkurs noch kein Betrag ausgezahlt worden, und der Konkursverwalter habe ihnen mitgeteilt, eine auch nur teilweise Verteilung zu ihren Gunsten sei absolut unwahrscheinlich. Aus diesem Grunde und in Anbetracht der Verpflichtung der Italienischen Republik, die Richtlinie umzusetzen, beantragten die Klägerinnen, die Italienische Republik dazu zu verurteilen, ihre Forderungen auf Zahlung des rückständigen Arbeitsentgelts zumindest für die letzten drei Monate ihrer beruflichen Tätigkeit zu befriedigen, hilfsweise ihnen eine Entschädigung zu zahlen.

14 Um über den Rechtsstreit entscheiden zu können, legte das nationale Gericht dem Gerichtshof mit Beschluß vom 9. Juli 1989 eine Reihe von Fragen zur Vorabentscheidung vor, die der Gerichtshof in dem bereits zitierten Urteil Francovich I(4) beantwortete. Der Tenor des Urteils lautet:

"1. Die Betroffenen können nach denjenigen Bestimmungen der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, die die Rechte der Arbeitnehmer festlegen, diese Rechte mangels fristgemäß erlassener Durchführungsmaßnahmen nicht vor den nationalen Gerichten dem Staat gegenüber geltend machen.

2. Ein Mitgliedstaat hat die Schäden zu ersetzen, die dem einzelnen dadurch entstehen, daß die Richtlinie 82/987/EWG nicht umgesetzt worden ist."

15 Nach der Veröffentlichung dieses Urteils des Gerichtshofes wurde zur Umsetzung der Richtlinie in die italienische Rechtsordnung das Decreto legislativo Nr. 80 vom 27. Januar 1992 erlassen.(5)

Für den Fall, daß gegen den Arbeitgeber ein Verfahren mit dem Ziel der Konkurseröffnung, des Abschlusses eines Vergleichs zur Abwendung des Konkurses, der Zwangsliquidation oder der im Decreto-legge Nr. 26 vom 30. Januar 1979 vorgesehenen ausserordentlichen Geschäftsführung eingeleitet wurde, bestimmt Artikel 1 Absatz 1 des genannten Decreto legislativo, daß den bei dem betroffenen Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmern oder deren Rechtsnachfolgern auf Antrag die in Artikel 2 genannten Beträge ihrer nichterfuellten Lohn- oder Gehaltsforderungen zu Lasten des Garantiefonds, der durch das Gesetz Nr. 297 vom 29. Mai 1982 geschaffen wurde, zu zahlen sind.

16 Dieser Artikel 2 legt in seinen Absätzen 1 bis 6 die Kriterien für die Berechnung des Betrages fest, den die nationale Garantieeinrichtung den Anspruchsberechtigten für die Zukunft zu zahlen hat (im Vorlagebeschluß bezeichnet als reguläres oder "a regime"-System), während Absatz 7 mittels Verweisung auf die Bestimmungen des "a regime"-Systems die Kriterien für die Entschädigung derjenigen Personen aufstellt, die infolge der mangelnden Umsetzung der Richtlinie einen Schaden erlitten haben.

17 Nach Artikel 2 Absatz 1 betrifft

die Garantie gemäß Artikel 1 die Forderungen aus Arbeitsverträgen, die nicht durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses entstanden sind, für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten vor a) dem Zeitpunkt der Maßnahme, die die Eröffnung eines der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Verfahren festlegt.(6)

18 Artikel 2 Absatz 2 bestimmt:

"Die Zahlungen des Fonds gemäß Absatz 1 dürfen nicht höher sein als der dreifache monatliche Hoechstbetrag, der von der Kasse für die ausserordentliche Lohnergänzung gezahlt wird, abzueglich der einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträge."

19 Schließlich lautet Artikel 2 Absatz 7 wie folgt:

"Bei der Entscheidung über den Schadensersatz, der gegebenenfalls Arbeitnehmern im Rahmen der Verfahren im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 (d. h. Konkurs, Vergleich, Zwangsliquidation und Zwangsverwaltung grosser Unternehmen in Krisenzeiten) wegen mangelnder Umsetzung der Richtlinie 80/987/EWG zu leisten ist, finden die Fristen, Maßnahmen und Sonderregelungen der Absätze 1, 2 und 4 Anwendung. Die Klage auf Schadensersatz ist innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Dekrets einzureichen."

20 Nach der Veröffentlichung des Decreto legislativo erhoben Danila Bonifaci und andere (Klägerinnen im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-94/95) gemäß Artikel 2 Absatz 7 des genannten Decreto legislativo bei der Pretura circondariale Bassano del Grappa Schadensersatzklage gegen das Istituto nazionale per la Previdenza sociale (im folgenden: INPS).(7) Eine entsprechende Klage vor dem gleichen Gericht wurde ferner von Wanda Berto und anderen hundertsechsunddreissig Arbeitnehmern verschiedener Unternehmen erhoben, über die nach dem 23. Oktober 1983 und vor Inkrafttreten des Decreto legislativo Nr. 80/1992 der Konkurs eröffnet worden war (Klägerinnen in den Ausgangsverfahren in der mit der Rechtssache C-94/95 verbundenen Rechtssache C-95/95). Aus dem Vorbringen der Klägerinnen ergibt sich, daß ihre jeweils gegen das INPS gerichteten Schadensersatzklagen in vielen Fällen in ihrer Gesamtheit abgewiesen worden waren, weil keine der Beschäftigungszeiten innerhalb des Zeitraums von zwölf Monaten gelegen hatte, der der gerichtlichen Konkurseröffnung vorausgegangen war. In anderen Fällen war den Klagen insofern teilweise stattgegeben worden, als die den Klägerinnen für eine innerhalb des Zeitraums von zwölf Monaten liegende Berufstätigkeit gewährte Entschädigung gemäß Artikel 2 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 80/1992 auf drei Gehälter beschränkt oder mit Rücksicht auf den in Artikel 2 Absatz 2 vorgesehenen Hoechstbetrag herabgesetzt worden war.

Die Vorlagefragen

21 Dem mit den Schadensersatzklagen befassten italienischen Gericht kamen ernste Zweifel daran, ob die Bestimmungen des Decreto legislativo, das es anwenden sollte, mit den Vorschriften der Richtlinie und den im Urteil Francovich I des Gerichtshofes niedergelegten Grundsätzen vereinbar seien; zugleich zeigten sich Schwierigkeiten auch hinsichtlich der Auslegung dieser Texte.

22 Im einzelnen wird im Vorlagebeschluß ausgeführt, daß der italienische Gesetzgeber vor der in Artikel 4 Absatz 2 vorgesehenen Befugnis Gebrauch gemacht und die Zahlungsverpflichtungen der Garantieeinrichtung nicht nur für die Zukunft (wozu er berechtigt gewesen sei), sondern auch für die Vergangenheit begrenzt habe. Er habe auch die wegen der Nichtumsetzung der Richtlinie geschuldete Entschädigung "rückwirkend" begrenzt, und dies sogar doppelt, da sich die Entschädigung gemäß Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 7 des Decreto legislativo nach Forderungen a) aus den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses bemesse, die b) innerhalb des Zeitraums von zwölf Monaten lägen, der dem Zeitpunkt der das Verfahren der kollektiven Gläubigerbefriedigung eröffnenden Maßnahme vorausgegangen sei (vorliegend dem Zeitpunkt der gerichtlichen Konkurseröffnung). Diese Begrenzung könne jedoch die Entschädigung der Arbeitnehmer unmöglich machen, weil die gerichtliche Konkurseröffnung angesichts der Langsamkeit, mit der Entscheidungen in Konkurssachen in Italien getroffen werden, wahrscheinlich nicht innerhalb des Jahres erfolgen würde, in dem die Forderungsinhaber ihren entsprechenden Antrag gestellt hätten. So könne es wegen der Verzögerung der Rechtspflege, also aus einem vom Willen der Arbeitnehmer unabhängigen Grund, dazu kommen, daß kein Zeitraum, während dessen die Arbeitnehmer eine Erwerbstätigkeit ausgeuebt hätten, innerhalb des maßgebenden Referenzzeitraums von zwölf Monaten vor dem Datum der Konkurseröffnung liege; vorliegend sei dies so. Aus diesem Grunde wird der Gerichtshof mit der ersten Vorlagefrage ersucht, sich darüber auszusprechen, ob Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie besagt, daß es dem nationalen Gesetzgeber freisteht, die Entschädigung auch in Fällen wie dem vorstehend geschilderten zu begrenzen.

23 Das vorlegende Gericht führt weiterhin aus, eine Auslegung in diesem Sinne würde zu einer unterschiedlichen Behandlung von Arbeitnehmern führen, die sich in der gleichen Lage befänden (nämlich Arbeitnehmern, die gegenüber ihren Arbeitgebern nichterfuellte Forderungen geltend machten), da es von zufälligen Umständen, d. h. davon, ob die gerichtliche Konkurseröffnung rechtzeitig erfolge, abhänge, ob sie in den Genuß der von der Richtlinie gewährten Garantie kämen oder nicht. Hierdurch sieht sich das vorlegende Gericht veranlasst, mit seiner zweiten Vorlagefrage um Auskunft darüber zu ersuchen, ob im Fall der Bejahung der ersten Vorlagefrage Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie im Hinblick auf die Grundsätze der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung gültig ist.

24 Schließlich bemerkt das vorliegende Gericht, der italienische Gesetzgeber habe, gestützt auf Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie und nachdem er die den Arbeitnehmern gewährte Garantie für die Zukunft nach oben begrenzt habe (Artikel 2 Absatz 2 des Decreto legislativo), anschließend eine solche Hoechstgrenze auch für die Entschädigung festgesetzt, die wegen der nicht rechtzeitigen Umsetzung der Richtlinie in die innerstaatliche Rechtsordnung geschuldet werde (Artikel 2 Absatz 7, der auf den vorerwähnten Absatz 2 verweist). Ferner gehe das italienische Recht (Artikel 2043 ff. des Codice civile) bei der ausservertraglichen Haftung vom Grundsatz des vollständigen Schadensersatzes aus und setze keine Obergrenze für den Schadensbetrag. Der Gerichtshof habe jedoch bereits in Randnummer 34 seines Urteils in der Rechtssache Francovich I ausgeführt, daß "die im Schadensersatzrecht(8) der einzelen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein [dürfen] als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen". Angesichts dieser Feststellung wirft das vorlegende Gericht mit seiner dritten Frage folgende Probleme auf: Welches sind die "ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen", mit deren Voraussetzungen der Vergleich zu erfolgen hat, damit im Streitfall die Entschädigung bestimmt werden kann? Handelt es sich um die Garantie, die das Decreto legislativo den Arbeitnehmern für die Zukunft gewährt, oder etwa um die ausservertragliche Haftung nach den allgemeinen Rechtsvorschriften für den Fall der Nichtumsetzung der Richtlinie?

25 Konkret lauten die Vorlagefragen wie folgt:

1. Können die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 80/987/EWG des Rates von der Möglichkeit, die Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen auf das Arbeitsentgelt aus einem bestimmten Zeitraum - der vorliegend zwölf Monate beträgt - zu begrenzen, auch für den Fall Gebrauch machen, daß die Überschreitung dieses Zeitraums dem betroffenen Arbeitnehmer nicht vorgeworfen werden kann, und insbesondere auch für den Fall, daß dem Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch wegen unterlassener oder verspäteter Umsetzung dieser Richtlinie zusteht?

2. Falls Frage 1 bejaht wird: Ist Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes und des Diskriminierungsverbots als gültig zu betrachten?

3. Ist Randnummer 43 des Urteils des Gerichtshofes vom 19. November 1991 dahin auszulegen, daß die formellen und materiellen Voraussetzungen, die das innerstaatliche Recht des einzelnen Mitgliedstaats für die Schadensersatzklage wegen unterlassener Umsetzung einer Gemeinschaftsrichtlinie vorsieht, die gleichen sein müssen, die der nationale Gesetzgeber bei der verspäteten Umsetzung dieser Richtlinie festgelegt hat (oder jedenfalls nicht ungünstiger als diese sein dürfen)?

III - Zur Zulässigkeit

Zur Zulässigkeit der ersten Vorlagefrage

26 Das INPS macht geltend, die erste Vorlagefrage sei unzulässig. Die gewünschte Antwort sei für die Entscheidung des Rechtsstreits nutzlos, da Artikel 4 Absatz 2 die nähere Bestimmung der den Arbeitnehmern vom Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht ab gewährten Garantie betreffe, nicht aber die nähere Bestimmung der wegen der Nichtumsetzung der Richtlinie geschuldeten Entschädigung, um die es vorliegend gehe. Ausserdem mache die Richtlinie das Wirksamwerden der Garantie nicht vom Verhalten des Arbeitnehmers abhängig, wie der Pretore anzunehmen scheine.

Das INPS kommt hiernach zu dem Schluß, der Gerichtshof sei für die Beantwortung der ersten Vorlagefrage nicht zuständig.

27 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist es im Rahmen der in Artikel 177 EG-Vertrag vorgesehenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache der nationalen Gerichte, bei denen der Rechtsstreit anhängig ist und die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung trage, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der von ihnen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen.(9) Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden.(10) Die Zurückweisung des Vorabentscheidungsersuchens eines innerstaatlichen Gerichts ist deshalb nur aus offensichtlichen Unzulässigkeitsgründen möglich, so "wenn offensichtlich ist, daß die Auslegung oder die Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht".(11)

28 So liegen die Dinge hier aber nicht. Das vorlegende Gericht, das beurteilen muß, ob der nationale Gesetzgeber im Hinblick auf Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie die Schadensersatzpflicht rechtmässig begrenzen konnte, hat es für erforderlich gehalten, den Gerichtshof um die Auslegung dieser Bestimmung zu ersuchen - eine Auslegung, die im übrigen notwendig ist, um die zweite, die Gültigkeit der Bestimmung betreffende Vorlagefrage in Angriff zu nehmen. Die erbetene Antwort ist dem nationalen Gericht infolgedessen offensichtlich von Nutzen; der Gerichtshof ist für diese Beantwortung zuständig.

29 Die vorstehend wiedergegebenen Ausführungen des INPS beziehen sich auf die materielle Seite des Rechtsstreits in dem Sinne, daß sie gerade das als gegeben unterstellen, wonach gefragt wird, nämlich die vom Pretore erbetene Auslegung von Artikel 4 Absatz 2. Sie können daher bei der Prüfung der materiellen Fragen berücksicht werden, sind aber ohne Bedeutung, was die Zuständigkeit des Gerichtshofes sowie die Zulässigkeit der Vorlagefrage betrifft, und müssen infolgedessen zurückgewiesen werden.(12)

Zur Zulässigkeit der zweiten Vorlagefrage

30 Die Kommission bezweifelt, ob die zweite Vorlagefrage von Nutzen ist; ihrer Ansicht nach hat das vorlegende Gericht Sachverhalt und rechtliche Problematik nicht ausreichend dargelegt. Dieser Einwand ist zurückzuweisen, da die von dem Gericht gemachten Angaben für die Beantwortung der Frage genügen.

Zur Zulässigkeit der dritten Vorlagefrage

31 Das INPS macht geltend, der Gerichtshof sei für die Beantwortung der dritten, die Vereinbarkeit von Artikel 2 Absatz 7 des Decreto legislativo mit dem Urteil Francovich I betreffenden Fragen nicht zuständig, da ihm die Aufgabe übertragen worden sei, das Gemeinschaftsrecht auszulegen, nicht aber, die hierzu ergangenen innerstaatlichen Durchführungsvorschriften zu überprüfen, was ausschließlich Sache der nationalen Gerichte sei.

Diese Unzulässigkeitseinrede ist zurückzuweisen. Zwar kann der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Artikel 177 EG-Vertrag nicht über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht entscheiden, er ist aber befugt, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts an die Hand zu geben, die dieses Gericht in die Lage versetzen, die Frage der Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht zu beurteilen.(13)

32 Im vorliegenden Fall unterbreitet das innerstaatliche Gericht dem Gerichtshof nicht unmittelbar die Frage nach der Vereinbarkeit der nationalen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht, wie das INPS zu Unrecht behauptet, sondern fragt nach den gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsgesichtspunkten, deren Kenntnis es für notwendig hält, um diese Prüfung selbst vornehmen zu können. Der Gerichtshof ist daher für die Beantwortung der Vorlagefrage zuständig.

33 Im übrigen sind die weiteren Hinweise des INPS, wonach sich der italienische Verfassungsgerichtshof bereits über die Vereinbarkeit von Artikel 2 Absatz 7 des Decreto legislativo oder des Ermächtigungsgesetzes, sei es mit der italienischen Verfassung, sei es mit dem Gemeinschaftsrecht, ausgesprochen habe oder sich auszusprechen im Begriff sei, unter dem hier interessierenden Gesichtswinkel unerheblich.

34 Schließlich trägt das INPS vor, soweit die Beantwortung der dritten Frage eine Auslegung nicht unmittelbar anwendbarer Bestimmungen der Richtlinie 80/987 erfordere, sei der Gerichtshof für eine Entscheidung nicht zuständig, da sich seine Zuständigkeit nach Artikel 177 Absatz 2 EG-Vertrag auf die Auslegung der mit unmittelbarer Wirkung ausgestatteten Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts beschränke.

Dieser Einwand ist in jedem Fall zurückzuweisen, da der Gerichtshof "nach Artikel 177 EWG-Vertrag im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft [entscheidet], ohne daß es darauf ankäme, daß diese Handlungen unmittelbar gelten oder nicht"(14).

IV - Zu den materiell-rechtlichen Fragen

35 Wie die oben wiedergegebenen Teile der Begründung des Vorlagebeschlusses zeigen, wirft die erste Vorlagefrage zwei Probleme auf. Das erste geht dahin, ob die Mitgliedstaaten die in Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie vorgesehenen Begrenzungen grundsätzlich auch auf eine Entschädigung anwenden können, die wegen einer nicht fristgemässen Umsetzung der Richtlinie geschuldet wird. Das zweite Problem ist, ob eine Entschädigung derjenigen Arbeitnehmer ausgeschlossen ist, die sich aus Gründen, die nicht auf eine schuldhafte Untätigkeit ihrerseits zurückzuführen sind, nicht auf ein Beschäftigungsverhältnis berufen können, das innerhalb des in der genannten Bestimmung vorgesehenen Referenzzeitraums bestanden hat.

36 Wie ebenfalls aus der Begründung des Vorlagebeschlusses hervorgeht, wirft auch die dritte Vorlagefrage zwei Probleme auf. Das erste ist, ob der betroffene Mitgliedstaat aufgrund von Umständen, wie sie oben beschrieben wurden, in Anwendung von Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie eine Obergrenze für den Betrag der Entschädigung festlegen darf. Das zweite, allgemeinere Problem betrifft die Feststellung, in welchem Verhältnis unter dem Blickwinkel des Gemeinschaftsrechts eine bei der verspäteten Umsetzung der Richtlinie festgesetzte Entschädigung zu einer Entschädigung steht, die deswegen geschuldet wird, weil die Richtlinie nicht innerhalb der in ihr vorgesehenen Frist umgesetzt wurde.

37 Die vorgenannten Fragen gehen auf den Versuch des Mitgliedstaats zurück, der Richtlinie, wenn auch verspätet, nachzukommen und die Folgen von deren nicht fristgemässer Umsetzung in die innerstaatliche Rechtsordnung wieder gutzumachen. Daher muß zunächst geprüft werden, unter welchen Voraussetzungen im Falle der verspäteten Umsetzung einer Richtlinie von einer korrekten Umsetzung gesprochen werden kann. Im Anschluß hieran werde ich mich den gestellten Fragen zuwenden und sie aus Gründen der Systematik in folgender Reihenfolge beantworten: Zuerst den zweiten Teil der dritten Vorlagefrage, dann die erste und die zweite Vorlagefrage und schließlich den ersten Teil der dritten Frage.

Voraussetzungen einer korrekten, aber verspäteten Umsetzung

38 Aus Artikel 5, der die Verpflichtung zur Zusammenarbeit ausspricht, in Verbindung mit Artikel 189 Absatz 3 EG-Vertrag ergibt sich, daß die Mitgliedstaaten, an die die Richtlinie gerichtet ist, innerhalb der in der Richtlinie gesetzten Frist alle Maßnahmen zu treffen haben, um das von der Richtlinie angestrebte Ergebnis in vollem Umfang zu sichern.

39 Der Staat, der Adressat der Richtlinie ist, kann seine Verpflichtung verletzen, wenn er entweder innerhalb der gesetzten Frist keine Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie trifft oder rechtzeitig Maßnahmen trifft, die jedoch unangemessen sind, oder schließlich mit Verspätung - angemessene oder unangemessene - Durchführungsmaßnahmen trifft.

40 In allen diesen Fällen eines Verstosses entsteht eine Lücke oder eine Anomalie im Gemeinschaftsrecht, und zwar nach dem Ablauf der Durchführungsfrist, unabhängig davon, ob der Verstoß durch ein Urteil des Gerichtshofes, das lediglich deklaratorische Bedeutung hätte, festgestellt wurde. Hält diese "pathologische" Situation an, so führt dies zu einem scharfen Widerspruch zu dem Grunderfordernis der gleichzeitigen, einheitlichen und übereinstimmenden Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf dem gesamten Gebiet der Gemeinschaft und macht eine Abhilfe erforderlich.(15)

41 Sicherlich liegt es auf der Hand, daß der Staat, der seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, für die Zukunft alle geeigneten Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie treffen muß, sei es auch mit Verspätung und jedenfalls so schnell wie möglich. Es stellt sich jedoch das Problem, welche Verpflichtungen er gegenüber der Gemeinschaftsrechtsordnung und den aus ihr Rechte ableitenden einzelnen(16) für den Zeitraum hat, während dessen der Verstoß anhält, und im besonderen für den Zeitraum, während dessen er es versäumt hat, die Richtlinie umzusetzen, oder sie nicht korrekt umgesetzt hat.

42 Zunächst zielt, wie der Gerichtshof ausgeführt hat, "der Vertrag darauf ab, daß Verstösse und deren Folgen in Vergangenheit und Zukunft tatsächlich beseitigt werden".(17) Wie der Gerichtshof ferner bezueglich der Verpflichtungen festgestellt hat, die den Mitgliedstaaten aus Artikel 5 EG-Vertrag erwachsen, "gehört [zu diesen Verpflichtungen] ... auch diejenige, die rechtswidrigen Folgen eines Verstosses gegen das Gemeinschaftsrecht zu beheben".(18)

43 Da der EG-Vertrag keine Bestimmungen enthält, die die Folgen von Verletzungen des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten unmittelbar und im einzelnen regeln, hat der Gerichtshof erklärt, daß es ihm in Erfuellung der ihm durch Artikel 164 EG-Vertrag übertragenen Aufgabe, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages zu sichern, zukomme, über eine solche Frage nach den allgemeinen anerkannten Auslegungsmethoden, den Grundprinzipien der Gemeinschaftsrechtsordnung und den den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Grundsätzen zu entscheiden.(19)

44 So hat die Rechtsprechung den durch die Untätigkeit des Staates geschädigten einzelnen vor allem das Recht zuerkannt, sich hiergegen in der Weise zu wehren, daß sie sich auf Bestimmungen einer Richtlinie berufen, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, sei es gegenüber allen innerstaatlichen, nicht richtlinienkonformen Vorschriften, sei es insoweit, als diese Bestimmungen Rechte festlegen, die dem Staat gegenüber geltend gemacht werden können.(20) Wie der Gerichtshof festgestellt hat, "beruht [diese Rechtsprechung] ... auf der Verbindlichkeit der Richtlinie für die Mitgliedstaaten und auf der Überlegung, daß der Mitgliedstaat, der die in der Richtlinie vorgeschriebenen Durchführungsmaßnahmen nicht fristgemäß getroffen hat, den einzelnen nicht entgegen halten kann, daß er seine Verpflichtungen aus der Richtlinie nicht erfuellt hat".(21)

45 Zweitens hat der Gerichtshof aus Artikel 5 EG-Vertrag in Verbindung mit den Grundsätzen der vollen Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen und des wirksamen Schutzes der Rechte, die diese gewähren, den Grundsatz der Haftung des Staates für den Ersatz der Schäden abgeleitet, die den einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, ein Grundsatz, der aus dem Wesen des Vertragssystems folgt.(22)

46 Während jedoch die Haftung des Staates als solche vom Gemeinschaftsrecht gefordert wird, hängen die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch der einzelnen von der Art der Verletzung des Gemeinschaftsrechts ab, die dem verursachten Schaden zugrunde liegt(23), d. h. von der jeweiligen Fallgestalltung.(24)

47 Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen Fallgestaltungen nach Maßgabe dessen, ob der Staat, der auf einem vom Gemeinschaftsrecht geregelten Gebiet tätig wird, über einen weiten Handlungsspielraum verfügt, zwischen verschiedenen Regelungsmöglichkeiten wählen kann, oder ein weites Beurteilungsermessen hat, oder ob solche Befugnisse im Gegenteil entweder nicht bestehen oder erheblich eingeschränkt sind.(25)

48 Im erstgenannten Fall entsteht ein Schadensersatzanspruch der einzelnen, wenn a) die gemeinschaftsrechtliche Vorschrift darauf abzielt, den einzelnen Rechte zuzuerkennen, b) die Verletzung offenkundig und erheblich ist(26) und c) ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen der Verletzung und dem von den einzelnen erlittenen Schaden besteht(27).

49 Im zweiten Fall, der dann vorliegt, wenn, wie in der Rechtssache Francovich I, die Richtlinie ein Ergebnis vorschreibt, der Staat es jedoch unterlässt, irgendeine Maßnahme zur Umsetzung der Richtlinie in die innerstaatliche Rechtsordnung zu treffen, entsteht ein Schadensersatzanspruch der einzelnen dann, wenn a) das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel die Verleihung von Rechten an einzelne beinhaltet, b) der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden kann, und c) ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden besteht.(28)

50 Die unterschiedliche Ausdrucksweise der einzelnen Urteile bedeutet keinen wesentlichen Unterschied in der Sache. In dem oben (Fußnote 22) angeführten Urteil Dillenkofer hat der Gerichtshof nämlich ausgeführt:

- "Die Voraussetzungen, die in diesen Urteilen entwickelt wurden, sind im wesentlichen die gleichen, da die Voraussetzung eines hinreichend qualifizierten Verstosses zwar im Urteil Francovich u. a. nicht erwähnt worden ist, aber unter den gegebenen Umständen offenkundig vorlag." (Randnr. 23).

- "Trifft also ein Mitgliedstaat ... innerhalb der in einer Richtlinie festgesetzten Frist keinerlei Maßnahmen, obwohl dies zur Erreichung des durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Zieles erforderlich wäre, so überschreitet er offenkundig und erheblich die Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind." (Randnr. 26).

- Ein solches Versäumnis stellt als solches "einen qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht [dar]" (Randnr. 29) und begründet einen Entschädigungsanspruch nach Maßgabe des oben Gesagten, "ohne daß noch andere Voraussetzungen zu berücksichtigen wären" (Randnr. 27).

51 Diese Voraussetzungen sind erforderlich und ausreichend, um für den einzelnen einen Entschädigungsanspruch zu begründen, "ohne daß es deswegen ausgeschlossen wäre, daß die Haftung des Staates auf der Grundlage des nationalen Rechts unter weniger einschränkenden Voraussetzungen ausgelöst werden kann".(29) Allerdings hat der Staat im Rahmen des nationalen Haftungsrechts die Folgen des verursachten Schadens zu beheben, "vorbehaltlich" des Entschädigungsanspruchs, der seine Grundlage unmittelbar im Gemeinschaftsrecht findet, sofern die vorstehend genannten Voraussetzungen erfuellt sind.(30)

52 Was die Voraussetzungen des Schadensersatzes nach nationalem Recht betrifft, so hat der Gerichtshof wiederholt betont, daß sie "nicht ungünstiger sein dürfen als bei entsprechenden innerstaatlichen Ansprüchen" und auch "nicht so ausgestaltet sein [dürfen], daß die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich oder übermässig erschwert ist".(31)

53 Trotz der Anerkennung jener Rechte der einzelnen in Fällen staatlicher Untätigkeit bleibt das oben (Nr. 41) dargelegte Problem bestehen. Man fragt sich daher erneut: Entlastet im Fall der Nichtumsetzung oder der verspäteten Umsetzung einer Richtlinie in die innerstaatliche Rechtsordnung die Tatsache, daß das Gemeinschaftsrecht den geschädigten einzelnen die Befugnis, sich auf die mit Direktwirkung ausgestatteten Bestimmungen einer Richtlinie zu berufen, sowie einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Staat zuerkennt, den Staat von jeder weitergehenden Verpflichtung bezueglich des Zeitraums, während dessen die Verletzung andauert?

54 Das kann nur verneint werden, und dies aus verschiedenen Gründen, darunter den folgenden:

- Erstens ist die Möglichkeit, sich auf die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der Richtlinien zu berufen, ihrem Wesen nach begrenzt, da es nur wenige solche Bestimmungen gibt.(32)

- Zweitens haben die Betroffenen, wie nachstehend dargelegt werden soll, während des Zeitraums, in dem die Richtlinie nicht korrekt in die innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt wurde, keine Kenntnis von den Rechten, die ihnen durch die Richtlinie verliehen wurden und können sie infolgedessen nicht ausüben.

- Drittens ist die Geltendmachung der vorerwähnten Ansprüche äusserst schwierig, weil sie die Kenntnis der Rechtsprechung des Gerichtshofes, die diesen Anspruch festgestellt hat, die zwangsläufig unvollkommene Kenntnis der Richtlinie, die die Rechte verleiht, und schließlich einen Rechtsstreit über die Geltendmachung dieser Rechte voraussetzt, mit der Folge, daß nur sehr wenige Anspruchsberechtigte in den Genuß der von der Richtlinie gewährten Vorteile gelangen und das praktische Ergebnis, das sie anstrebt, vereitelt wird.

55 Aus diesem Grunde stellen die von der Rechtsprechung des Gerichtshofes anerkannten Rechte das "Surrogat"(33) einer korrekten Umsetzung der Richtlinie dar. Die korrekte Durchführung im Falle einer verspäteten Umsetzung der Richtlinie muß dagegen meines Erachtens, wie ich nachstehend näher erläutern werde, rückwirkend, vollständig und ausdrücklich sein.

Rückwirkende Durchführung

56 Meines Erachtens fordert die Gemeinschaftsrechtsordnung eine rückwirkende Umsetzung der Richtlinie. Weil der Staat nach den Artikeln 5 und 189 Absatz 3 EG-Vertrag gehalten ist, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Richtlinie von dem Zeitpunkt an, den sie benennt(34), umzusetzen, und weil die Gemeinschaftsrechtsordnung die gleichzeitige und einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts verlangt(35), muß der Staat, wann auch immer er die Richtlinie in seine interne Rechtsordnung umsetzt, diese Umsetzung mit Wirkung auf den in der Richtlinie vorgeschriebenen Zeitpunkt vornehmen. Wenn also die Richtlinie den einzelnen eine bestimmte Vergünstigung einräumt, so muß diese Vergünstigung rückwirkend gewährt werden.

57 Diese Auffassung findet eine Grundlage in der Rechtsprechung des Gerichtshofes. Bezeichnend sind bestimmte Urteile, die die Richtlinie 79/7/EWG(36) auslegen, insbesondere ihre Artikel 4, der den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen aufstellt, und 8, der den Erlaß aller zur Befolgung der Richtlinie erforderlichen Maßnahmen bis zu einem bestimmten Datum, nämlich dem 23. Dezember 1984, vorschrieb. Auf ein Ersuchen um Vorabentscheidung darüber, ob es eine korrekte Durchführung des letztgenannten Artikels bedeutet, wenn bestimmte verspätet ergangene(37) nationale Maßnahmen mit Rückwirkung ausgestattet werden, hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 8. März 1988 in der Rechtssache Dik(38) folgendes ausgeführt:

"Wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, wird - falls die innerstaatlichen Durchführungsmaßnahmen verspätet, also nach Ablauf der in Rede stehenden Frist erlassen werden - das gleichzeitige Inkrafttreten der Richtlinie 79/7 in allen Mitgliedstaaten dadurch sichergestellt, daß die genannten Maßnahmen rückwirkend zum 23. Dezember 1984 in Kraft treten."

58 Entspricht diese Rückwirkung jedoch einem Erfordernis der Gemeinschaftsrechtsordnung, so ist sie nur unter bestimmten Voraussetzungen rechtmässig. Im Urteil Dik hat der Gerichtshof in Ergänzung seiner Antwort folgendes ausgeführt:

"Es ist jedoch klarzustellen, daß solche verspätet getroffenen Maßnahmen in vollem Umfang die Rechte der einzelnen beachten müssen, die in einem Mitgliedstaat aufgrund von Artikel 4 Absatz 1 mit dem Ablauf der den Mitgliedstaaten für die Anpassung ihrer Vorschriften an die Richtlinie gesetzten Frist entstanden sind ..." (Randnr. 14).(39)

"Auf die ... Frage ist hiernach zu antworten, daß Artikel 8 der Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, daß ein Mitgliedstaat, der nach Ablauf der in der Richtlinie gesetzten Frist Durchführungsmaßnahmen erlässt, deren Inkrafttreten rückwirkend auf den Tag des Ablaufs dieser Frist festsetzen kann, sofern er alle Rechte beachtet, die für die einzelnen in den Mitgliedstaaten aufgrund von Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie mit dem Ablauf der Frist entstanden sind" (Randnr. 15).

59 Wie aus den beiden letzten Feststellungen hervorgeht, ist die innere Gültigkeit von Maßnahmen, deren Rückwirkung angeordnet wird, eine unerläßliche Voraussetzung für die Gültigkeit dieser Rückwirkung. Mit anderen Worten, die Rückwirkung der verspätet getroffenen Durchführungsmaßnahmen ist gültig, wenn und soweit die Maßnahmen für sich betrachtet in Einklang mit der Richtlinie stehen. Wie sich indirekt, aber klar aus den oben wiedergegebenen Ausführungen ergibt, folgt hieraus, daß das nationale Gericht, das über die Gültigkeit der rückwirkenden Durchführungsmaßnahmen zu befinden hat, rückwirkende Bestimmungen, die in Widerspruch zur Richtlinie stehen, nicht anwenden darf.(40)

Volle Durchführung

60 In zweiter Linie muß die rückwirkende Durchführung in dem Sinne vollständig sein, daß sie diejenigen, die nicht in den Genuß der von der Richtlinie gewährten Rechte gekommen sind, tatsächlich und rechtlich in die Lage versetzt, in der sie sich befinden würden, wenn die Richtlinie rechtzeitig in die innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt worden wäre.

61 Die Ausstattung der Durchführungsmaßnahmen mit rückwirkender Kraft ist, wie der Gerichtshof unter Randnummer 15(41) des vorstehend zitierten Urteils Dik dargelegt hat, nämlich nur unter der Voraussetzung rechtmässig, daß der Mitgliedstaat "alle Rechte beachtet, die ... aufgrund ... der Richtlinie mit dem Ablauf der [Umsetzungs-]Frist entstanden sind".

62 Die in der Rechtssache Dik wie auch in den Rechtssachen Cotter und McDermott und Roks(42) umstrittenen Rechte, die den Frauen wegen des verspäteten Erlasses der Durchführungsvorschriften vorenthalten worden waren, waren die Rechte, die den Männern während der Zeit zustanden, in der die Richtlinie 79/7 noch nicht umgesetzt worden war. Angesichts der Direktwirkung von Artikel 4 der Richtlinie 79/7(43) hatte in derartigen Fällen der Wegfall der mit der Richtlinie unvereinbaren Durchführungsmaßnahmen automatisch die Anwendbarkeit der für Männer geltenden Regelung zur Folge, die, "solange die Richtlinie nicht durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt".(44)

63 Gewährt die Richtlinie einen bestimmten Vorteil, sind ihre Bestimmungen jedoch nicht mit Direktwirkung ausgestattet, so daß sie während des Zeitraums, in dem die Durchführung unterblieb, nicht hätte in Anspruch genommen werden können(45), so ist während dieses Zeitraums das einzige "zu beachtende", den Begünstigten zustehende Recht der Anspruch auf Entschädigung, der sich auf das Gemeinschaftsrecht stützt und von dem bereits die Rede war.(46) Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes hervorgeht, hat diese Entschädigung in dem Sinne angemessen zu sein, daß sie die völlige Wiedergutmachung des den Begünstigten infolge der Zuwiderhandlung tatsächlich entstandenen Schadens ermöglichen muß.(47) Sie muß also vor allem als Kernstück diejenige Vergünstigung gewähren, die sich mit hinreichender Genauigkeit schon den Bestimmungen der Richtlinie für sich allein entnehmen lässt(48), zweitens dann auch die Folgeansprüche wie Zinsen(49), entgangenen Gewinn(50) oder sonstige, möglicherweise in der innerstaatlichen Rechtsordnung vorgesehene Formen der Entschädigung(51), die auf die Wiedergutmachung des Betroffenen während der Zeit der Untätigkeit des Staates erlittenen späteren Schadens abzielen.

64 Stellt der Staat in seiner verspäteten Durchführungsmaßnahme die in der Richtlinie vorgesehene Vergünstigung klar und gewährt er sie rückwirkend, so lässt er den Begünstigten im wesentlichen nur das "Kapital" der Entschädigung zukommen, auf die sie für die Zeit Anspruch hatten, während der die Umsetzung der Richtlinie unterblieben ist. Diese Entschädigung wird jedoch vom Gemeinschaftsrecht in vollem Umfang gewährleistet. Infolgedessen, und dies ist eine erste Folgerung aus den bisherigen Ausführungen, muß die rückwirkende Durchführung, um im Sinne des oben Gesagten "vollständig" zu sein, einerseits die rückwirkende Gewährung der von der Richtlinie vorgesehenen Vergünstigungen und andererseits die Entschädigung der Begünstigten für diejenigen Schäden umfassen, die sie dadurch erlitten haben, daß es ihnen nicht möglich war, rechtzeitig in den Genuß der genannten Vergünstigung zu gelangen.

65 Die zweite im Hinblick auf die Garantie des Entschädigungsanspruchs zu ziehende Folgerung ist, daß die nunmehr rückwirkend gewährte Vergünstigung nicht unter dem "Kapital"-Betrag der Entschädigung liegen darf, die im Fall der Nichtumsetzung der Richtlinie geschuldet wird (d. h. der Vergünstigung die festgesetzt worden wäre, wenn eine rückwirkende Durchführung nicht stattgefunden hätte).

Ausdrückliche Durchführung

66 In dritter Linie muß die oben erwähnte rückwirkende und vollständige Durchführung ausdrücklich erfolgen, also mittels ausdrücklicher, klarer und lückenloser Bestimmungen, die die gleiche rechtliche Wirksamkeit haben wie die für die Zukunft getroffenen Durchführungsmaßnahmen.

67 Hierzu erinnere ich an die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach "die Vorschriften einer Richtlinie in der Weise umgesetzt werden [müssen], daß sie unzweifelhaft verbindlich und so konkret, bestimmt und klar sind, daß sie dem Erfordernis der Rechtssicherheit genügen"(52),

"... damit die einzelnen, soweit die Richtlinien Rechte für sie begründen sollen, in die Lage versetzt werden, in vollem Umfang von diesen Rechten Kenntnis zu erlangen und sie gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.

...

Solange nämlich eine Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt wurde, sind die einzelnen nicht in die Lage versetzt worden, in vollem Umfang von ihren Rechten Kenntnis zu erlangen. Dieser Zustand der Unsicherheit für die einzelnen dauert auch nach dem Erlaß eines Urteils an, in dem der Gerichtshof die Ansicht vertreten hat, daß der betroffene Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen aus der Richtlinie nicht nachgekommen ist, selbst wenn der Gerichtshof festgestellt hat, daß die eine oder andere Bestimmung der Richtlinie hinreichend genau und unbedingt ist, um vor den nationalen Gerichten in Anspruch genommen werden zu können.

Nur die ordnungsgemässe Umsetzung der Richtlinie beendet diesen Zustand der Unsicherheit, und erst mit dieser Umsetzung wird die Rechtssicherheit geschaffen, die erforderlich ist, um von den einzelnen verlangen zu können, daß sie ihre Rechte geltend machen."(53)

68 Aus dem gleichen Grund müssen die gleichen Grundsätze auch für die rückwirkende Durchführung der Richtlinie gelten. Es liegt meines Erachtens auf der Hand, daß die Betroffenen, wenn der Mitgliedstaat die rückwirkende und vollständige Durchführung der Richtlinie nicht allen Bürgern im Wege ausdrücklicher und klarer Bestimmungen, wie oben ausgeführt, bekannt macht, nicht wissen können, daß die Richtlinie auch ihnen Rechte zuerkannt hatte, und erst recht den genannten Umfang ihrer Rechte nicht kennen können, so daß sie nicht in der Lage sind, sie erfolgreich gegenüber den innerstaatlichen Behörden geltend zu machen, sei es im Wege einer Schadensersatzklage, sei es in anderer Weise.

69 Die bisherigen Darlegungen beziehen sich auf die materiellen Voraussetzungen der korrekten rückwirkenden Durchführung. Was die prozessualen Voraussetzungen der Entschädigung der Anspruchsberechtigten betrifft, so richten sie sich nach nationalem Recht, jedoch mit der Maßgabe, daß sie nicht ungünstiger als diejenigen, die für gleichartige, auf innerstaatlichem Recht beruhende Forderungen gelten, und nicht so beschaffen sein dürfen, daß sie die Entschädigung unmöglich machen oder übermässig erschweren. Dem Vorlagebeschluß sind keine Angaben zu entnehmen, die eine eingehendere Prüfung der Frage notwendig machen würden. Ich begnüge mich daher mit dieser allgemeinen Bemerkung, behalte mir aber vor, meine Auffassung in meinen zusammen mit den vorliegenden vorgetragenen Schlussanträgen in der gleichgelagerten Rechtssache C-261/95, Palmisani, näher zu entwickeln.

Zur Kontrolle der rückwirkenden Durchführung

70 Zu prüfen bleibt das Problem der Kontrolle der rückwirkenden Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie, insbesondere das Problem der Folgen einer Missachtung der vorstehend dargelegten Grundsätze. Nimmt man an, daß diese die rückwirkende Durchführung der Richtlinie regelnden Grundsätze solche des Gemeinschaftsrechts sind, dann sind auch die Folgen der Nichtbeachtung dieser Grundsätze eine Frage des Gemeinschaftsrechts, über die sich zu äussern der Gerichtshof befugt ist. Mit diesem Vorbehalt sind die innerstaatlichen Gerichte dafür zuständig, die Rechtmässigkeit der nationalen Durchführungsmaßnahmen zu überprüfen.

71 Diese Folgen, die zum grössten Teil bereits im Urteil Dik untersucht wurden, hängen vom Wesen des verletzten Grundsatzes ab. Wenn z. B. der Staat Durchführungsmaßnahmen zur Richtlinie erlassen hat, ohne ausdrücklich zu erwähnen, daß sich ihre Wirkung in die Vergangenheit erstreckt, so muß das innerstaatliche Gericht sie grundsätzlich auch im Lichte der vorstehend dargelegten Grundsätze des Gemeinschaftsrechts auslegen.(54) Kommt es dann unter Ausnutzung des Auslegungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, zu dem Schluß, daß eine Rückwirkung ausgeschlossen ist, so muß den Anspruchsberechtigten, die in den maßgeblichen Zeitraum (d. h. dem Zeitraum zwischen dem Ablauf der Umsetzungsfrist und dem Erlaß der Umsetzungsmaßnahmen) fallen, ein Recht auf Schadensersatz wegen des Unterbleibens jeglicher staatlicher Durchführungsmaßnahme zuerkannt werden, sofern die im Urteil Francovich I aufgestellten Voraussetzungen vorliegen.(55)

72 Legt der Staat die in der Richtlinie vorgesehene Vergünstigung fest (gegebenenfalls unter Ausübung eines Ermessens, durch Wahl einer von mehreren Lösungen, usw.) und gewährt er diese ausdrücklich rückwirkend, so muß geprüft werden, ob die beiden anderen Voraussetzungen vorliegen.

73 Nach den bisherigen Ausführungen muß in erster Linie untersucht werden, ob die Rückwirkung gültig ist. Zu diesem Zweck ist zu prüfen, ob die getroffene Maßnahme in sich gültig ist, d. h. ob sie mit den Bestimmungen der Richtlinie in Einklang steht.

In diesem Fall ist die Anordnung der Rückwirkung grundsätzlich gültig, stets vorausgesetzt, daß die ausdrücklich gewährte Vergünstigung nicht hinter derjenigen zurückbleibt, die sich allein aufgrund der Normen der Richtlinie bestimmen lässt.(56)

Anderenfalls, wenn die getroffene Maßnahme nicht der Richtlinie entspricht, kann sie weder für die Zukunft noch für die Vergangenheit angewendet werden. Daher funktioniert dann auch die Rückwirkung nicht.

74 Schließlich ist es möglich, daß der Staat die verspätete Durchführung in der Form vornimmt, daß er eine Entschädigung für den Zeitraum vorsieht, während dessen die Richtlinie nicht umgesetzt wurde. In diesem Falle ist die Festsetzung des "Kapitals" der Entschädigung in Verbindung mit der Vergünstigung, die die Richtlinie anstrebt, von Bedeutung, da die sich hieran anlehnenden Ansprüche Nebenforderungen im Vergleich zu diesem Hauptanspruch darstellen.(57) Wenn insbesondere das "Kapital" der Entschädigung in Verbindung mit der rückwirkenden Gewährung der ausdrücklich festgesetzten Vergünstigung bestimmt wird, so gelten die oben (Nr. 73) angestellten Überlegungen entsprechend.

Hieraus folgt, daß die in den Durchführungsmaßnahmen festgesetzte Entschädigung nicht niedriger sein darf als die im Fall der Nichtumsetzung der Richtlinie geschuldete Entschädigung.

75 Wir kommen jetzt zu den umstrittenen Maßnahmen, mit denen die Richtlinie 80/987 in die italienische Rechtsordnung umgesetzt und die Entschädigung für den Zeitraum festgelegt wurde, während dessen die Umsetzung unterblieben war.

76 Wie bereits ausgeführt(58), hat der italienische Gesetzgeber mit diesen Maßnahmen in erster Linie die Garantie festgesetzt, die den Arbeitnehmern aufgrund der Richtlinie für die Zukunft gewährt wird (Artikel 2 Absätze 1 bis 6 des Decreto legislativo), und damit für die Zukunft die Richtlinie durchgeführt. Alsdann hat er mittels Verweisung auf diese Bestimmungen auch die Entschädigung festgesetzt, die für den Zeitraum der Nichtumsetzung der Richtlinie geschuldet wird (Artikel 2 Absatz 7), und damit rückwirkend die Richtlinie durchgeführt. Die letztgenannte Vorschrift gewährt insoweit, als sie für die Bestimmung der Entschädigung auf die Normen verweist, die die Garantie für die Zukunft festlegen, im wesentlichen die gleiche Garantie auch denjenigen, denen die Vergünstigung für die Dauer der Verletzung, also rückwirkend, zuerkannt worden war.

77 Wie sich aus den vorstehenden Erörterungen ergibt, hängt die Rechtmässigkeit dieser Form der Bestimmung der Entschädigung davon ab, daß die ausdrücklich festgesetzte Garantie und die sich hieraus ergebende Entschädigung jeweils nicht niedriger sind als das "Kapital" der Entschädigung und die Gesamtentschädigung, die sich auf der alleinigen Grundlage der Richtlinie errechnen lassen. Infolgedessen ist vor allen Dingen zu prüfen, welche Garantie die Richtlinie zugunsten der Arbeitnehmer vorsieht und auf welche Entschädigung diese Anspruch haben, wenn die Richtlinie nicht rechtzeitig umgesetzt wird.

Zur Richtlinie 80/987

78 Ziel der Richtlinie, deren Hauptmerkmale ich noch einmal in Erinnerung rufe(59), ist die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Schutzes der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers; zu diesem Zweck sieht sie u. a. besondere Garantien für die Befriedigung der nichterfuellten Ansprüche der Arbeitnehmer vor.(60)

Zu diesem Zweck gewährleistet sie die Befriedigung der nichterfuellten Ansprüche der Arbeitnehmer, die das Arbeitsentgelt vor dem vor einem bestimmten Zeitpunkt liegenden Zeitraum betreffen (Artikel 3 Absatz 1).

Dieser Zeitpunkt ist nach Wahl der Mitgliedstaaten einer der drei in Artikel 3 Absatz 2 abschließend festgelegten Zeitpunkte.

Je nach dem gewählten Zeitpunkt können die Mitgliedstaaten die Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen begrenzen, indem sie anordnen, daß die Befriedigung der Ansprüche nur für einen Zeitraum innerhalb einer vor dem gewählten Zeitpunkt liegenden Referenzperiode gewährleistet wird. Die Mindestdauer dieses Zeitraums und der Referenzperiode ist für jeden der in Artikel 3 Absatz 2 genannten Zeitpunkte in Artikel 4 Absatz 2 geregelt.

Ferner können die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 4 Absatz 3 ausserdem für die Erfuellung der Ansprüche eine Hoechstgrenze festsetzen, um die Zahlung von Beträgen zu vermeiden, die über die soziale Zweckbestimmung der Richtlinie hinausgehen.

79 Infolgedessen können die Mitgliedstaaten im Normalfall(61) die Garantie unter gleichzeitiger Anwendung von Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 4 Absatz 2 festsetzen. Um feststellen zu können, ob dieser Artikel auch rückwirkend angewendet werden könne, müssen wir uns zuerst bestimmten von diesen Vorschriften aufgeworfenen Auslegungsproblemen zuwenden.

Zur Bedeutung von Artikel 4 Absatz 2

80 Diese Bestimmung steht nicht allein; sie hängt unmittelbar von Artikel 3 Absatz 2 ab, so daß beide Bestimmungen zusammen in Betracht gezogen werden müssen.

Das Gelenk zwischen diesen beiden Bestimmungen bildet das Datum der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Dies deswegen, weil dieses Datum entweder den Ausgangspunkt für die Berechnung eines Referenzzeitraums (z. B. Artikel 3 Absatz 2 erster Gedankenstrich, Artikel 4 Absatz 2 erster Gedankenstrich)(62) oder das Datum darstellt, an dem ein Referenzzeitraum beginnen kann (z. B. Artikel 3 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich, Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich).(63)

81 Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß gemäß den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften, wie sie von den italienischen Gerichten ausgelegt werden, als Zeitpunkt des Beginns der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers und überdies als Ausgangspunkt für die Berechnung der nach Artikel 4 Absatz 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie zu gewährenden Garantie das Datum der gerichtlichen Konkurseröffnung gilt.

82 Die Parteien des Ausgangsverfahrens vertreten in ihren schriftlichen Bemerkungen die Auffassung, der italienische Gesetzgeber habe damit die Artikel 2, 3 und 4 der Richtlinie verletzt, die als Beginn der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers den tatsächlichen Zeitpunkt der Zahlungseinstellung ansähen, der weit vor dem Datum der gerichtlichen Konkurseröffnung liege, oder jedenfalls den Zeitpunkt des Beginns des gerichtlichen Verfahrens, das mit der gerichtlichen Entscheidung über den Konkurs abgeschlossen werde. Sie fügen hinzu, daß die Arbeitnehmer gerade wegen dieser vom italienischen Gesetzgeber getroffenen Wahl in Verbindung mit der zögerlichen Abwicklung der einschlägigen Rechtssachen in Italien möglicherweise nicht in den Referenzzeitraum fielen, den das italienische Gesetz festlege.

83 Die Kommission stimmt mit dieser Auffassung überein. Sie macht ferner unter Berufung auf Randnummer 25 des Urteils des Gerichtshofes vom 8. November 1990 in der Rechtssache Kommission/Griechenland(64) geltend, diese tatsächliche Situation gehe zwangsläufig der richterlichen Entscheidung über die Konkurseröffnung voraus.

84 Zwar wird dieser Punkt in den Vorlagefragen nicht ausdrücklich angesprochen. Das Problem des Zeitpunkts des Beginns der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers hängt jedoch unmittelbar mit den vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Punkten zusammen und muß gelöst werden, damit die Vorlagefragen beantwortet werden können. Ich werde daher hierzu Stellung nehmen.

85 Der Auffassung der Klägerinnen und der Kommission kann nicht gefolgt werden.

86 Wie der zweiten Begründungserwägung der Richtlinie zu entnehmen ist und wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 9. November 1995 in der Rechtssache C-479/93, Francovich(65) (im folgenden: Francovich II) ausgeführt hat, musste der Gemeinschaftsgesetzgeber beim Erlaß der Richtlinie die objektiven Schwierigkeiten überwinden, die der Erlaß gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierungsvorschriften im allgemeinen, aber auch die Auffindung gemeinsamer Regeln über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers aufwirft. Das beruht auf der Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sowie darauf, daß es nicht möglich ist, eine allseits akzeptable Auffassung bezueglich der Zahlungsunfähigkeit ausfindig zu machen. Offensichtlich in Anbetracht dessen hat der Gemeinschaftsgesetzgeber selbst in Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie den Zeitpunkt geregelt, zu dem der Arbeitgeber "als zahlungsunfähig" anzusehen ist. Infolgedessen hat er den Mitgliedstaaten und ganz allgemein denjenigen Stellen, die die Richtlinie durchführen, die Möglichkeit genommen, den Begriff der Zahlungsunfähigkeit aufgrund anderer Gesichtspunkte einen anderen Inhalt als denjenigen zu verleihen, der in dem genannten Artikel festgelegt ist.(66) Dieser Begriff hat nämlich in der Richtlinie einen "speziellen Sinn"(67): Wie Artikel 2 Absatz 1 ausdrücklich feststellt, gilt dieser Begriff der Zahlungsunfähigkeit "im Sinne dieser Richtlinie". Die Richtlinie geht also von einem einheitlichen Begriff der Zahlungsunfähigkeit aus, den Artikel 2 Absatz 1 näher bestimmt. In diesem Sinne ist unter "Zahlungsunfähigkeit" oder "Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit" der Zeitpunkt zu verstehen, von dem ab der Arbeitgeber im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 "zahlungsunfähig" ist.

87 Diese Auffassung wird durch die Rechtsprechung bekräftigt. Nach den bereits erwähnten Urteilen Francovich I (Randnr. 14) und Francovich II (Randnr. 17) muß nämlich das innerstaatliche Gericht, um feststellen zu können, ob eine Person zu den von der Richtlinie Begünstigten gehört, in erster Linie prüfen, ob der Betroffene die Eigenschaft als Arbeitnehmer besitzt und nicht vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen ist, und sodann, in zweiter Linie, "ob einer der in Artikel 2 der Richtlinie vorgesehenen Fälle der Zahlungsunfähigkeit gegeben ist".

Anschließend heisst es im Urteil Francovich II:

"Wie sich aus dem Wortlaut der letztgenannten Bestimmung ergibt, gilt ein Arbeitgeber aber nur dann als zahlungsunfähig, wenn erstens die Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats ein Verfahren über das Vermögen des Arbeitgebers zur gemeinschaftlichen Befriedigung seiner Gläubiger vorsehen, zweitens im Rahmen dieses Verfahrens die Berücksichtigung der Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen gestattet ist, drittens die Eröffnung des Verfahrens beantragt worden ist und viertens die aufgrund der genannten nationalen Vorschriften zuständige Behörde entweder die Eröffnung des Verfahrens beschlossen hat oder festgestellt hat, daß das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen"(Randnr. 18).

88 Aus Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie, wie er in dem vorstehend wiedergegebenen Passus des Urteils Francovich II ausgelegt wird, ergibt sich zunächst, daß der Begriff der Zahlungsunfähigkeit ein in der Richtlinie näher bestimmter Rechtsbegriff ist und sich nicht mit einer tatsächlichen Situation wie der Zahlungseinstellung(68) oder der Unfähigkeit des Arbeitgebers deckt, seine Verpflichtungen zu erfuellen(69).

Im übrigen geht das Bestehen faktischer Situationen wie der oben genannten logisch dem Antrag auf Eröffnung des der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger dienenden Verfahrens voraus, der seinerseits einer der Bedingungen für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach Artikel 2 Absatz 1 ist.

89 Die gegenteilige Auffassung findet keine Stütze in Randnummer 25 des Urteils vom 8. November 1990, auf die sich die Kommission beruft.(70) In Erwiderung des griechischen Vorbringens, Artikel 205 des Gesetzbuchs des Seeprivatrechts(71) biete einen Schutz, der dem der Richtlinie gleichwertig sei, hat der Gerichtshof an der angeführten Stelle ausgeführt, daß

"... der in Artikel 205 ... vorgesehene Schutz ... nur für den Fall der Versteigerung gilt und damit nicht schon - wie es die Richtlinie vorschreibt - vom Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers an, die sich lange vorher zeigen kann".

Da die Versteigerung als der gemeinsamen Befriedigung der Gläubiger dienende Maßnahme notwendigerweise die Folge der Zahlungsunfähigkeit oder auch der Maßnahme ist, mit der ein solches Verfahren eröffnet wird (nach griechischem Recht der richterliche Beschluß über die Eröffnung des Konkurses), findet der Standpunkt der Kommission in der zitierten Urteilsstelle keine Stütze.

90 Zweitens ist demselben Artikel zu entnehmen, daß die von dieser Vorschrift aufgestellten Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen. Es genügt infolgedessen nicht, daß die Eröffnung des Verfahrens zur gemeinsamen Befriedigung der Gläubiger beantragt wurde; vielmehr bedarf es auch der Entscheidung der nach nationalem Recht zuständigen Stelle, das Verfahren zu eröffnen. Ist dann nach nationalem Recht diese zuständige Stelle, wie vorliegend, das Gericht, so lässt sich nicht vertreten, daß der betroffene Mitgliedstaat die Richtlinie verletzt, wenn er feststellt, daß die "Zahlungsunfähigkeit", der "Zustand der Zahlungsunfähigkeit" oder "der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit" seit dem Zeitpunkt des Erlasses des entsprechenden gerichtlichen Beschlusses besteht.

91 Daß vom Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder dem Antrag auf - Verfahrenseröffnung bis zum Ergehen der Entscheidung der zuständigen Behörde (z. B. der gerichtlichen Konkurseröffnung) eine gewisse Zeit verstrichen ist, kann zwar zur Folge haben, daß einige Arbeitnehmer nicht von dem vom Mitgliedstaat festgelegten Referenzzeitraum erfasst werden, wie die Klägerinnen vorgetragen haben.(72)

92 Dieses Argument ist jedoch im vorliegenden Fall unerheblich. Derartige Vorgänge wären relevant, wenn die Richtlinie selbständige rechtliche Folgen an sie knüpfte, insbesondere wenn der Referenzzeitraum mit ihnen begänne oder endete, was jedoch nicht der Fall ist. Sie bezeichnen weder den Beginn (siehe oben, Nrn. 88 und 90) noch das Ende dieses Zeitraums, da in dem uns beschäftigenden Fall (Artikel 4 Absatz 2 erster Gedankenstrich) der Referenzzeitraum in einem bestimmten Zeitpunkt abläuft, der nicht in Zusammenhang mit den vorerwähnten Vorgängen steht.

93 Was die Klägerinnen in Wirklichkeit geltend machen, ist, daß zwischen ihnen und dem Arbeitgeber während des Referenzzeitraums kein Arbeitsverhältnis bestanden habe, das zu nichterfuellten Forderungen geführt und damit die Garantie ausgelöst hätte. In der Tat macht die Richtlinie die Gewährung der Garantie davon abhängig, daß zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis bestand, aufgrund dessen dem Arbeitnehmer Ansprüche erwachsen sind, die nicht erfuellt wurden. Das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses ist jedoch nicht notwendig an die Zahlungsunfähigkeit oder den Antrag auf Konkurseröffnung gebunden - Vorgänge, die die Klägerinnen und das vorlegende Gericht für erheblich halten. Die Akten enthalten in der Tat keinen Anhaltspunkt dafür, daß jene Vorgänge automatisch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Folge hätten.(73) Dagegen liegen den Ausgangsverfahren, wie die Klägerinnen selbst ausführen, nichterfuellte Forderungen der Klägerinnen zugrunde, die in den von den italienischen Rechtsvorschriften bestimmten Referenzzeitraum fallen und sogar über drei Monate hinausgehen.(74)

94 Es hängt nach alledem vom Zufall ab, ob Arbeitnehmer in den Referenzzeitraum fallen oder nicht. Das ist unausbleiblich, wenn man sich für ein Datum oder einen Zeitraum entscheidet, der rechtliche Konsequenzen auslöst. Eine solche Entscheidung ist ihrerseits das Ergebnis einer Abwägung entgegengesetzer Interessen und stellt eine mittlere Lösung dar, die unvermeidlich dazu führt, daß einige begünstigt und andere benachteiligt werden.

95 Nach alledem ist es im vorliegenden Fall unerheblich, ob die Arbeitnehmer Kenntnis davon hatten, daß Dritte ein Verfahren mit dem Ziel der Konkurseröffnung über das Vermögen des Arbeitgebers in Gang gesetzt hatten, ob dieses Verfahren zufällig in einem möglicherweise ausserhalb des Referenzzeitraums liegenden Zeitpunkt eingeleitet worden war, und ob die Arbeitnehmer hinsichtlich der Dauer dieses Verfahrens eine Verantwortung trifft oder nicht.

Zur Gültigkeit von Artikel 4 Absatz 2

96 Insbesondere beeinträchtigen diese Aspekte nicht die Gültigkeit von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie unter dem Gesichtspunkt der Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes und des Diskriminierungsverbots.

97 Wie im Urteil Francovich II ausgeführt wird, bedeutet die Richtlinie angesichts der Schwierigkeit, auf dem Gebiet des Schutzes der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers gemeinsame Regeln zu erstellen(75), einen ersten Schritt der Harmonisierung, so daß ihre Ziele begrenzt sind. Daß sie lediglich eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern schützt (nämlich diejenigen, deren Arbeitgeber von einem Verfahren mit dem Ziel einer kollektiven Befriedigung der Gläubiger betroffen sind), und infolgedessen zwischen den Arbeitnehmern differenziert, stellt keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes dar, da diese Differenzierung durch objektive Umstände gerechtfertigt ist.(76)

98 Dem ist im vorliegenden Fall zu folgen. Daß Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie einen Referenzzeitraum vorsieht, in den bestimmte Arbeitnehmer fallen können, andere aber aus von ihrem Willen unabhängigen Gründen nicht, begründet zwar eine Differenzierung zwischen zwei Gruppen von Arbeitnehmern; diese Differenzierung wird jedoch durch die Erfordernisse einer schrittweisen Harmonisierung und insbesondere durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die schrittweise Einführung bislang unbekannter Rechtsinstitute in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu ermöglichen.

Zur Mindestgarantie im Sinne der Richtlinie

99 Da Artikel 4 Absatz 2 für die Bestimmung der in der Richtlinie vorgesehenen Garantie rechtmässig herangezogen werden kann, muß nunmehr geprüft werden, worin diese Garantie besteht.

Wie bereits ausgeführt wurde und wie die italienische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und das INPS zu Recht hervorheben, gewährt die Richtlinie den Arbeitnehmern einen Mindestschutz(77) in Form einer Mindestgarantie, die nach Maßgabe der Richtlinie bestimmt werden kann.(78)

100 So heisst es im Urteil Francovich I, daß

"sich die in der Richtlinie vorgesehene Mindestgarantie ... in der Weise bestimmen [lässt], daß der Zeitpunkt zugrunde gelegt wird, bei dessen Wahl die Garantieeinrichtung am wenigsten belastet wird. Dies ist der Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, denn die beiden anderen Zeitpunkte - derjenige der Kündigung zwecks Entlassung des Arbeitnehmers oder derjenige der Beendigung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses - liegen nach den Voraussetzungen des Artikels 3 zwangsläufig später als der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, so daß der durch sie begrenzte Zeitraum, für den die Befriedigung von Ansprüchen sichergestellt werden muß, länger ist" (Randnr. 19).

"Die in Artikel 4 Absatz 2 vorgesehene Möglichkeit einer Begrenzung dieser Garantie schließt nicht aus, daß die Mindestgarantie bestimmt werden kann. Nach diesem Artikel können die Mitgliedstaaten die den Arbeitnehmern gewährten Garantien auf bestimmte Zeiträume vor dem in Artikel 3 genannten Zeitpunkt begrenzen. Diese Zeiträume werden jeweils durch einen der drei in Artikel 3 vorgesehenen Zeitpunkte fesgelegt, so daß jedenfalls bestimmt werden kann, inwieweit der Mitgliedstaat die in der Richtlinie vorgesehene Garantie nach Maßgabe des Zeitpunkts, den er bei einer Umsetzung der Richtlinie gewählt hätte, hätte beschränken dürfen" (Randnr. 20).

101 Wie jedoch im selben Urteil festgestellt wird, sind die umstrittenen Vorschriften der Richtlinie in bezug auf die Bestimmung des Personenkreises, dem die Garantie zugutekommen soll, und den Inhalt dieser Garantie unbedingt und hinreichend genau, kann sich indessen der einzelne deshalb noch nicht vor den nationalen Gerichten auf diese Vorschriften berufen, da sie "zum einen ... nicht [regeln], wer Schuldner der Garantieansprüche ist", und "zum anderen ... der Staat nicht allein deshalb als Schuldner angesehen werden [kann], weil er die Richtlinie nicht fristgemäß umgesetzt hat" (Randnr. 26). In Anbetracht dessen hat der Gerichtshof die Vorlagefrage, mit der das vorlegende Gericht zu erfahren wünscht, ob sich die einzelnen gegenüber dem Staat auf die genauen und unbedingten Bestimmungen der Richtlinie berufen können, um die Garantie zu erhalten, die der Staat zu gewährleisten hat, dahin beantwortet, daß "die Betroffenen nach den Bestimmungen der Richtlinie 80/987, die die Rechte der Arbeitnehmer festlegen, diese Rechte mangels fristgemäß erlassener Durchführungsmaßnahmen nicht vor den nationalen Gerichten dem Staat gegenüber geltend machen können" (Randnr. 27).

Zum Inhalt des Schadensersatzes wegen mangelnder Umsetzung der Richtlinie

102 Wenn jedoch zum einen die Entschädigung das Bestehen von Rechten voraussetzt, die sich aufgrund der Richtlinie bestimmen lassen, und zum anderen die in der Richtlinie vorgesehenen Rechte zwar aufgrund der Vorschriften der Richtlinie bestimmt, jedoch nicht vor den nationalen Gerichten in Anspruch genommen werden können, so fragt man sich, nach welchen Kriterien diese Gerichte die geschuldete Entschädigung festzulegen haben. Das trifft auch in Anbetracht dessen zu, daß der Gerichtshof nach wie vor im selben Urteil bekräftigt, daß "das durch [die] Richtlinie vorgeschriebene Ziel ... die Begründung eines Rechts der Arbeitnehmer auf eine Garantie für die Befriedigung ihrer nichterfuellten Ansprüche auf das Arbeitsentgelt [beinhaltet]", und "daß ... sich der Inhalt dieses Rechts auf der Grundlage der Richtlinie bestimmen [lässt]" (Randnr. 44), aber im Anschluß hieran ausführt, daß das vorlegende Gericht "unter diesen Umständen ... im Rahmen des nationalen Haftungsrechts das Recht der Arbeitnehmer auf Ersatz der Schäden sicherzustellen [hat], die ihnen dadurch entstehen, daß die Richtlinie nicht umgesetzt worden ist" (Randnr. 45).

103 Generalanwalt Mischo hat in Nummer 80 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Francovich I hierzu ausgeführt, wenn es sich um Richtlinien handele, die wie die Richtlinie 80/987 nicht mit Direktwirkung ausgestattet seien, verfügten "die innerstaatlichen Gerichte bei Schadensersatzklagen über einen Beurteilungsspielraum ..., der ihnen nicht zur Verfügung steht, wenn eine Richtlinie unmittelbare Wirkungen erzeugt. Steht einmal fest, daß der Kläger zu dem Personenkreis gehört, dessen Interessen die Richtlinie zu schützen bestimmt ist, so kann der nationale Richter den Schadensersatz $ex æquo et bono` bemessen und sich hierbei so weit wie möglich an die Bestimmungen der Richtlinie anlehnen. Er wird die Wahlmöglichkeiten, die Artikel 3 bietet, und die in Artikel 4 aufgezählten Befugnisse, abweichende Regelungen zu treffen, prüfen und bestrebt sein, hieraus einen Entschädigungsbetrag abzuleiten, der ihm billig und gerecht erscheint."

104 Ich stimme dieser Auffassung im wesentlichen zu, bemerke hierzu jedoch folgendes. Ich meine, daß die innerstaatlichen Gerichte zwar über einen Spielraum verfügen, daß dieser jedoch nicht unbegrenzt ist. Die Richtlinie enthält ein normatives Minimum(79) und bindet insofern sowohl den Staat - dem es auch dann nicht gestattet ist, dieses Minimum zu unterschreiten, wenn die Durchführung fristgemäß erfolgt - als auch die innerstaatlichen Gerichte. Dieses normative Minimum muß notwendig einem Mindestanspruch der Arbeitnehmer entsprechen, den die Entschädigung zu sichern hat. Würde man es zulassen, daß die Entschädigung unter diesem Minimum liegt, so würde der Staat einen Vorteil daraus ziehen, daß er es versäumt hat, die Richtlinie umzusetzen, und würde ermutigt werden, hierbei zu verharren, was unannehmbar wäre. Ausserdem würde auch die Entschädigung selbst, wenn sie dieses Minimum nicht sicherstellte, rein symbolisch bleiben. Die Entschädigung muß infolgedessen mindestens dieses Minimum gewährleisten.

105 Dieses gesetzliche Minimum ist in Artikel 4 Absatz 2 geregelt. In dieser Bestimmung hat der Gemeinschaftsgesetzgeber den Umfang der Mindestgarantie festgelegt, die die Mitgliedstaaten in Verbindung mit dem Zeitpunkt zu gewährleisten haben, den sie als Beginn des Referenzzeitraums wählen. Im Gegensatz zu Artikel 3 Absatz 2 erlaubt Artikel 4 Absatz 2 jedoch nicht lediglich die Festlegung einer Mindestgarantie (d. h. einer Garantie, die von vornherein im Verhältnis zu den anderen die geringste Belastung mit sich bringt), sondern von drei möglichen Mindestgarantien.(80)

106 Diese drei Garantien sind gleichwertig, da die Richtlinie sie alle zulässt. Da sie andererseits das Ergebnis je unterschiedlicher Berechnungsweisen sind, sind sie untereinander nicht in der Weise vergleichbar, daß sich feststellen ließe, welche von ihnen den geringsten Umfang hat. Das nationale Gericht muß sich daher die niedrigere Garantie vor Auge halten, die sich in jedem der drei Fälle ergibt, und nach billigem Ermessen die Entschädigung gewähren, die im Rahmen des innerstaatlichen Haftungsrechts zu jedem Fall passt. Es liegt natürlich auf der Hand, daß, wenn das innerstaatliche Recht eine höhere Entschädigung vorsieht (wenn es z. B. vorschreibt, unter den möglicherweise zur Verfügung stehenden Lösungen die dem Arbeitnehmer günstigste zu wählen), die Entschädigung auf dieser Grundlage zu berechnen ist.(81)

107 Die Aufgabe des nationalen Gerichts wird jedoch erleichtert, wenn, wie vorliegend, der innerstaatliche Gesetzgeber seinen Willen hinsichtlich der Wahl der Berechnungsweise der Garantie nach Maßgabe der beiden vorstehend zitierten Artikel rückwirkend kundgetan hat.(82) Wie bereits ausgeführt(83), können die ausdrücklich festgelegte Garantie (und die auf ihrer Grundlage berechnete Entschädigung) keinen geringeren Umfang haben(84) als die Garantie (und die entsprechende Entschädigung), die sich ergeben würden, wenn die entsprechende Wahl einzig und allein aufgrund der Bestimmungen der Richtlinie getroffen worden wäre.

108 Aus alledem folgt bereits, daß der nationale Gesetzgeber sich grundsätzlich an die Richtlinie zu halten hat, gleichviel für welche der drei in Artikel 4 Absatz 2 gebotenen Möglichkeiten für die Bestimmung der Garantie er sich bei der Durchführung der Richtlinie entscheidet. Soweit alsdann die Vorschriften dieses Artikels bei der Bestimmung der Entschädigung wegen nicht fristgemässer Umsetzung der Richtlinie berücksichtigt werden können, ist der nationale Gesetzgeber grundsätzlich nicht daran gehindert, der bereits ausdrücklich aufgrund der vorgenannten Bestimmung festgesetzten Garantie rückwirkende Kraft beizulegen und zu verfügen, daß diese Garantie die Berechnungsgrundlage für die Entschädigung bildet, die der Schuldner für den der nicht fristgemässen Umsetzung der Richtlinie entsprechenden Zeitraum zu zahlen hat.(85)

Zu Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie

109 Wenn Artikel 4 Absatz 2 grundsätzlich rückwirkend angewendet werden kann, so gilt dies nicht für Absatz 3 dieses Artikels. Diese Bestimmung enthält keinen konkreten Anhaltspunkt dafür, daß es zulässig wäre, allein auf ihrer Grundlage die Rechte der Arbeitnehmer zu beschränken. Weiterhin setzt die Ausübung der Befugnis, eine Hoechstgrenze der Garantie festzusetzen, voraus, daß der Mitgliedstaat die Befugnis nach Artikel 4 Absatz 2 bereits ausgeuebt hat. Infolgedessen liefert Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie keine Grundlage für eine rückwirkende Beschränkung der zu gewährenden Garantie und ebenso wenig für die Begrenzung der Entschädigung, die aufgrund der Bestimmungen der Richtlinie festgesetzt werden kann.(86)

V - Ergebnis

Nach alledem schlage ich vor, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

1. Setzt ein Mitgliedstaat in einer Maßnahme, die er nach Ablauf der in Artikel 11 der Richtlinie 90/987/EWG vorgesehenen Frist zur Durchführung dieser Richtlinie trifft, die für den Zeitraum, während dessen die Umsetzung der Richtlinie in die innerstaatliche Rechtsordnung unterblieben ist, geschuldete Entschädigung fest, so darf diese Entschädigung nicht niedriger sein als diejenige Entschädigung, die allein auf der Grundlage der Richtlinie festgesetzt werden kann.

2. Setzt ein Mitgiedstaat in einer verspätet getroffenen Maßnahme zur Durchführung der Richtlinie in Ausübung seiner Befugnis nach Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie die den Arbeitnehmern zu gewährende Garantie fest, so ist der Mitgliedstaat nicht daran gehindert, zu verfügen, daß die in dieser Weise festgelegte Garantie die Berechnungsgrundlage der für den Zeitraum der Nichtumsetzung der Richtlinie geschuldeten Entschädigung bildet, vorausgesetzt, daß diese Garantie in Einklang mit den Bestimmungen der Richtlinie steht, und unbeschadet der oben (Punkt 1) getroffenen Feststellung. Die Ausübung der genannten Befugnis durch den Mitgliedstaat ist unabhängig von dem - schuldhaften oder nicht schuldhaften - Verhalten der Arbeitnehmer.

3. Die Prüfung von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie in der oben gegebenen Auslegung hat nichts ergeben, was dessen Gültigkeit im Lichte des Grundsatzes der Gleichbehandlung beeinträchtigen könnte.

4. Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie bietet keine Grundlage dafür, daß im Falle des verspäteten Erlasses von Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie die Entschädigung, die für den Zeitraum der Nichtumsetzug zu zahlen ist, durch einen Hoechstbetrag begrenzt wird.

(1) - ABl. L 283, S. 23.

(2) - Verbundene Rechtssachen C-6/90 und C-9/90 (Slg. 1991, I-5357).

(3) - Kommission/Italien (Slg. 1989, 143).

(4) - Siehe Fußnote 2.

(5) - GURI Nr. 36 vom 13. Februar 1992.

(6) - Wie aus dem Vorlagebeschluß in Verbindung mit den Ausführungen der Parteien in den Ausgangsverfahren hervorgeht, fällt das Datum, von dem ab der oben genannte Zeitraum von zwölf Monaten zu berechnen ist, nach der italienischen Rechtsprechung mit dem Datum der Veröffentlichung der Maßnahme zusammen, durch die oder vielmehr mit der der Konkurs eröffnet wurde.

(7) - Gemäß dem Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofs in der Rechtssache 285/1993, das im Vorlagebeschluß erwähnt wird und auf das sich die Parteien im Ausgangsverfahren berufen, verwaltet das INPS den vorerwähnten Garantiefonds und ist für Schadensersatzklagen nach Artikel 2 Absatz 7 des Decreto legislativo Nr. 80/92 passiv legitimiert.

(8) - Es handelt sich bekanntermassen um den Schaden, der Arbeitnehmern daraus erwuchs, daß die Italienische Republik die Richtlinie nicht umgesetzt hat.

(9) - Siehe das Urteil vom 21. März 1996 in der Rechtssache C-297/94 (Bruyère u. a., Slg. 1996, I-1551, Randnr. 19).

(10) - Siehe insb. die Urteile vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93 (Bosmann, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 59), vom 5. Oktober 1995 in der Rechtssache C-125/94 (Aprile, Slg. 1995, I-2919, Randnrn. 16 und 17) und vom 18. Oktober 1990 in den verbundenen Rechtssachen C-297/88 und C-197/89 (Dzodzi, Slg. 1990, I-3763, Randnr. 35).

(11) - Urteil Bosman a. a. O. (Fußnote 10).

(12) - Siehe das Urteil vom 19. Januar 1994 in der Rechtssache C-364/92 (SAT Fluggesellschaft, Slg. 1994, I-43, Randnrn. 11 und 14).

(13) - Siehe Urteile vom 1. Februar 1996 in der Rechtssache C-177/94 (Perfili, Slg. 1996, I-161, Randnr. 9), vom 27. Okotober 1993 in der Rechtssache C-338/91 (Steenhorst-Neerings, Slg. 1993, I-5475, Randnr. 25).

(14) - Siehe das Urteil vom 20. Mai 1976 in der Rechtssache 111/85 (Mazzalai, Slg. 1976, 657, Randnr. 7).

(15) - Siehe die Urteile vom 5. März 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, Randnr. 33), vom 21. Februar 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Söst, Slg. 1991, I-415, Randnr. 26), vom 27. März 1980 in der Rechtssache 61/79 (Denkavit italiana, Slg. 1980, 1205, Randnr. 18) und vom 13. Juli 1972 in der Rechtssache 48/71 (Kommission/Italien, Slg. 1972, 529, Randnr. 8).

(16) - Bekanntlich sind Rechtssubjekte der Gemeinschaftsrechtsordnung ausser den Mitgliedstaaten auch die einzelnen, zu deren Gunsten aufgrund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den Mitgliedstaaten auferlegt, Rechte entstehen (siehe insb. Randnr. 31 des Urteils Francovich I, a. a. O., Fußnote 2, sowie das Urteil vom 3. April 1968 in der Rechtssache 28/67, Molkerei Zentrale Westfalen-Lippe, Slg. 1968, 216, Punkt 1 A).

(17) - Urteil vom 12. Juli 1973 in der Rechtssache 70/72 (Kommission/Deutschland, Slg. 1973, 813, Randnr. 13) (Hervorhebungen von mir).

(18) - Urteil Francovich I (a. a. O., Fußnote 2, Randnummer 36); siehe auch, was die entsprechende Vorschrift von Artikel 86 EGKS-Vertrag betrifft, das Urteil vom 16. Dezember 1960 in der Rechtssache 6/60 (Humblet, Slg. 1960, 1093).

(19) - Siehe das Urteil Brasserie du Pêcheur (a. a. O., Fußnote 15, Randnr. 27).

(20) - Urteil vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache 8/81 (Becker, Slg. 1982, 53, Randnr. 25).

(21) - Urteil vom 24. März 1987 in der Rechtssache 286/85 (McDermott und Cotter, Slg. 1987, 1453, Randnr. 12). Siehe auch das Urteil vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 71/85 (FNV, Slg. 1986, 3855, Randnr. 14) sowie das Urteil Becker, a. a. O., Randnrn. 22 bis 24.

(22) - Siehe die Urteile in den Rechtssachen Francovich I (a. a. O., Fußnote 2, Randnrn. 31 bis 36), Brasserie du Pêcheur (a. a. O., Fußnote 15, Randnr. 31 bis 36), vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-392/93 (British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631, Randnr. 38), vom 23. Mai 1996 in der Rechtsache C-5/94 (Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 24), vom 8. Oktober 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/94 (Dillenkofer u. a, Slg. 1996, I-0000, Randnr. 20) und vom 17. Oktober 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-283/94, C-291/94 und C-292/94 (Denkavit u. a., Slg. 1996, I-0000, Randnr. 47).

(23) - Urteile Francovich I (a. a. O., Fußnote 2, Randnr. 38), Brasserie du Pêcheur (a. a. O., Fußnote 15, Randnr. 38), Hedley Lomas (a. a. O., Randnr. 24) und Dillenkofer u. a. (a. a. O., Randnr. 20).

(24) - Urteil Dillenkofer u. a. (a. a. O., Randnr. 24).

(25) - Urteil Brasserie du Pêcheur (a. a. O., Randnr. 24).

(26) - In dem Sinne, daß der Staat die Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat. Siehe Urteile Brasserie du Pêcheur (a. a. O., Randnrn. 45 und 55), British Telecommunications (a. a. O., Randnr. 42) und Diffelkofer u. a. (a. a. O., Randnr. 25).

(27) - Siehe die Urteile Brasserie du Pêcheur (a. a. O., Randnrn. 50 und 51, British Telecommunications (a. a. O., Randnrn. 39 bis 40, Hedley Lomas (a. a. O., Randnrn. 25 und 26), Dillenkofer u. a. (a. a. O., Randnr. 21) und Denkavit u. a. (a. a. O., Randnr. 48).

(28) - Urteile Francovich I (a. a. O., Randnr. 39 und 40) und Dillenkofer u. a. (a. a. O., Randnr. 22) sowie die Urteile vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-91/92 (Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, Randnr. 27) und vom 7. März 1996 in der Rechtssache C-192/94 (El Corte Inglés, Slg. 1996, I-1281, Randnr. 22).

(29) - Urteil Brasserie du Pêcheur (a. a. O., Randnr. 66).

(30) - Urteil Brasserie du Pêcheur (a. a. O., Randnr. 67). Siehe auch die Urteile Francovich I (a. a. O., Randnrn. 41 und 42) und Faccini Dori (a. a. O., Randnr. 29).

(31) - Siehe insb. die Urteile Brasserie du Pêcheur (a. a. O., Randnr. 67) und Francovich I (a. a. O., Randnr. 43).

(32) - Was das Recht betrifft, sich auf die mit Direktwirkung ausgestatteten Bestimmungen des Vertrages zu berufen, so hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung erklärt, daß diese Möglichkeit "nur eine Mindestgarantie [darstellt] und ... für sich allein nicht [ausreicht], um die uneingeschränkte Anwendung des EWG-Vertrags zu gewährleisten" (siehe hierzu das Urteil vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-120/88, Kommission/Italien, Slg. 1991, I-621, Randnr. 10).

(33) - Wie in diesem Sinne Nr. 77 der Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache C-5/94, in der das Urteil Hedley Lomas (a. a. O., Fußnote 22) ergangen ist.

(34) - Siehe oben, Fußnote 38.

(35) - Siehe oben, Fußnote 40.

(36) - Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24).

(37) - Im einzelnen ging es um eine Übergangsregelung, die eine Diskriminierung zum Nachteil der Frauen begründete.

(38) - Rechtssache C-80/87 (Slg. 1988, 1601, Randnr. 13). Siehe ausserdem das Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-208/90 (Emmott, Slg. 1991, I-4269, Randnr. 4 in Verbindung mit Randnr. 24).

(39) - Diese zweite Feststellung wurde in den Urteilen vom 13. März 1991 in der Rechtssache C-377/89 (Cotter und McDermott, Slg. 1991, I-1155, Randnr. 25) und vom 24. Februar 1994 in der Rechtssache C-343/92 (Roks, Slg. 1994, I-571, Randnr. 20) erneut bekräftigt.

(40) - Dies ergibt sich noch klarer aus dem in der vorigen Fußnote zitierten Urteil in der Rechtssache Roks (Randnrn. 18, 20 und 25).

(41) - Siehe oben, Punkt 57.

(42) - Siehe Fußnote 39.

(43) - Siehe die Urteile Dik (a. a. O., Fußnote 38, Randnr. 8) und Roks (a. a. O., Fußnote 39, Randnr. 18).

(44) - Urteile Cotter und McDermott (a. a. O., Fußnote 39, Randnr. 18) und Roks (a. a. O., Fußnote 39, Randnr. 8).

(45) - Wie in den hier herangezogenen Rechtssachen die Bestimmungen der Richtlinie 80/987 (vgl. das Urteil Francovich I, a. a. O., Randnr. 26).

(46) - Siehe oben, Nrn. 46 ff..

(47) - Siehe das Urteil vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-271/91 (Marshall, Slg. 1993, I-4367, Randnrn. 31 und 32) sowie das vorerwähnte Urteil in der Rechtssache Brasserie du Pêcheur (Randnr. 82).

(48) - Siehe das Urteil Francovich I (a. a. O., Randnr. 17). Siehe jedoch auch oben, Nr. 51.

(49) - Siehe das Urteil Marshall (a. a. O., Fußnote 47, Randnrn. 31 und 32).

(50) - Siehe das Urteil Brasserie du Pêcheur (a. a. O., Randnr. 87).

(51) - Wie der "exemplarische Schadensersatz" des englischen Rechts - vgl. das Urteil Brasserie du Pêcheur (a. a. O., Randnr. 89).

(52) - Siehe das Urteil Dillenkofer u. a. (a. a. O., Randnr. 48) sowie das Urteil vom 30. Mai 1991 in der Rechtssache C-59/89 (Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I-2607, Randnr. 24).

(53) - Urteil Emmott, a. a. O., Fußnote 38, Randnrn. 19 bis 22). Vgl. ausserdem das Urteil Steenhorst-Neerings (a. a. O., Fußnote 13, Randnr. 19) sowie das Urteil vom 6. Dezember 1994 in der Rechtssache C-410/92 (Johnson, Slg. 1994, I-5483, Randnr. 25).

(54) - Siehe die Urteile Francovich I (a. a. O., Fußnote 2, Randnr. 39) und Faccini Dori (a. a. O., Fußnote 28, Randnr. 27).

(55) - Siehe oben, Punkt 49.

(56) - Im zweiten Fall kann die getroffene Maßnahme, soweit sie nicht in Einklang mit der Richtlinie steht, weder für die Zukunft noch für die Vergangenheit Anwendung finden. Infolgedessen kann auch die Rückwirkung nicht funktionieren.

(57) - Siehe oben, Nr. 63.

(58) - Siehe oben, Nrn. 16 ff..

(59) - Wegen der einschlägigen Bestimmungen siehe oben, Nrn. 5 bis 10.

(60) - Urteil vom 8. November 1990 in der Rechtssache C-53/88 (Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-3917, Randnr. 2).

(61) - Das heisst, wenn die Durchführungsvorschriften zu der Richtlinie fristgemäß erlassen werden.

(62) - Auch Artikel 3 Absatz 2 erster Gedankenstrich setzt einen Referenzzeitraum fest, der zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnt, während der Zeitpunkt des Ablaufs nicht genau geregelt ist. Dagegen darf der Referenzzeitraum nach Artikel 4 Absatz 2 erster Gedankenstrich, der im gleichen Zeitpunkt beginnt wie der vorgenannte Referenzzeitraum, höchstens auf sechs Monate begrenzt werden.

(63) - In diesen Fällen läuft der Referenzzeitraum vom Beginn der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ab.

(64) - Siehe oben, Nr. 60.

(65) - Slg. 1995, I-3843, Randnrn. 25 bis 27.

(66) - Siehe auch Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie, wo die Begriffe aufgeführt sind, denen die Mitgliedstaaten eine eigene Bedeutung geben können.

(67) - Siehe das Urteil Francovich II (a. a. O., Fußnote 65, Randnr. 19).

(68) - Es sei darauf hingewiesen, daß in der französischen Fassung des von der Kommission dem Rat unterbreiteten Richtlinienvorschlags (Vorschlag vom 13. April 1978, ABl. C 135, S. 2) statt "état d'insolvabilité" der Begriff "état de cessation des paiements" erscheint. Daß dieser Begriff im endgültigen Text der Richtlinie fallengelassen wurde, spricht für die in den vorliegenden Schlussanträgen vertretene Auffassung. Siehe überdies Nr. 15 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Francovich II.

(69) - Derartige Situationen können im übrigen je nach Lage des Falles und je nach dem jeweils betroffenen Mitgliedstaat höchst unterschiedlich sein, mit der Folge, daß es nicht möglich wäre, das Gemeinschaftsrecht einheitlich und übereinstimmend anzuwenden - was der Gemeinschaftsgesetzgeber gerade vermeiden wollte. Ganz abgesehen von den Fällen eines betrügerischen Konkurses lässt sich ausserdem eine "tatsächliche Situation" nicht an einem bestimmten Zeitpunkt festmachen, der als Ausgangspunkt für die Begrenzung der Ansprüche der Arbeitnehmer gewählt werden könnte, was zu Rechtsunsicherheit führen würde. Ob die Voraussetzungen des nationalen Rechts für die Eröffnung des Verfahrens zur gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger (z. B. die Zahlungseinstellung usw.) vorliegen, hat gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie die zuständige Behörde zu entscheiden.

(70) - Siehe oben, Fußnote 60. Das Urteil erging auf eine Klage der Kommission gegen Griechenland, die auf das Versäumnis gestützt war, rechtzeitig Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 80/987 zu erlassen.

(71) - Dieser Artikel qualifiziert für den Fall der Versteigerung des Schiffes die Forderungen der Seeleute als Forderungen zweiten Ranges; sie stehen insbesondere den Gerichtskosten und den Forderungen der Staatskasse nach (Randnr. 24 des Urteils).

(72) - Siehe oben, Nr. 82.

(73) - Nur dann hätte es nämlich einen Sinn, festzustellen, ob die genannten Vorgänge in den Referenzzeitraum fallen oder nicht.

(74) - Siehe oben Nr. 20. Zu bemerken ist, daß in der mit der vorliegenden Rechtssache zusammenhängenden Rechtssache C-261/95 (Palmisani; siehe oben, Nr. 69) die Klägerin bei ihrem Arbeitgeber bis zur dem Zeitpunkt beschäftigt war, in dem über dessen Vermögen der Konkurs eröffnet wurde.

(75) - Siehe oben, Nr. 86.

(76) - Siehe Randnrn. 22 bis 24 des Urteils.

(77) - Vgl. Urteil in der Rechtssache Kommission/Italien (a. a. O., Nr. 12, Randnr. 23).

(78) - Siehe das Urteil Francovich I (a. a. O., Fußnote 2, Randnr. 19).

(79) - Was die Art und Weise betrifft, in der die Garantie zu berechnen ist.

(80) - Das liegt daran, daß nach Artikel 3 Absatz 2 die Garantie Funktion einer veränderlichen Grösse ist, nämlich des Zeitpunkts, der als Beginn des Referenzzeitraums angesetzt wird. Ein kürzerer Referenzzeitraum bedeutet weniger Rechte für die Arbeitnehmer und infolgedessen eine geringere Belastung für die Garantieeinrichtung. Ist dann der kürzere Referenzzeitraum derjenige, der mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers beginnt, so hat die sich auf diese Wahl stützende Garantie von vornherein einen geringeren Umfang. Demgegenüber ist der Umfang der Garantie, die sich jeweils aus jeder der drei Berechnungsweisen ergibt, eine Funktion von drei Variablen (nämlich des Datums des Beginns des Referenzzeitraums, der Dauer dieses Zeitraums und der Dauer des Arbeitsverhältnisses, in bezug auf welches nichterfuellte Ansprüche bestehen), die nicht in jedem Fall den gleichen Wert haben. Aus diesem Grund ist es unter den Bedingungen von Artikel 4 Absatz 2 nicht von vornherein sicher, daß die Wahl des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit als Zeitpunkt des Beginns des Referenzzeitraums (erster Fall) für die Garantieeinrichtung weniger belastend wäre als z. B. die Wahl der dritten Möglichkeit. Im ersten Fall ist nämlich der Referenzzeitraum kürzer (sechs Monate), aber die Garantie dauert länger (drei Monate). Im dritten Fall ist zwar der Referenzzeitraum länger (achtzehn Monate), die Garantie dauert jedoch kürzer (acht Wochen, also zwei Monate).

(81) - Siehe oben, Nr. 51 und Fußnote 29.

(82) - Siehe in diesem Sinne Nr. 80 der Schlussanträge des Generalanwalts Mischo (a. a. O., Nr. 103).

(83) - Siehe Nrn. 73 und 74.

(84) - Und haben ihn logischerweise auch nicht. Siehe oben, Fußnote 56.

(85) - Wie erneut hervorzuheben ist: Ausser wenn das innerstaatliche Haftungsrecht für entsprechende Fälle eine höhere Entschädigung vorsieht (siehe oben, Nr. 106). Sieht nämlich das innerstaatliche Recht eine auf eine erhöhte Grundlage (Kapital) gestützte Entschädigung vor, so können die zur Umsetzung der Richtlinie rückwirkend erlassenen Vorschriften zwar grundsätzlich mit dem Wortlaut der Bestimmungen der Richtlinie vereinbar sein, verstossen jedoch gegen die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, die die Anwendung der günstigsten innerstaatlichen Haftungsregeln vorschreiben. In einem solchen Fall stehen jene Vorschriften, soweit sie eine vom Gemeinschaftsrecht bereits gewährleistete Entschädigung verringern, zu diesem Recht in Widerspruch, und dürfen nicht angewendet werden, so daß lediglich das im gegebenen Fall "gültige Referenzsystem" zur Anwendung gelangt, d. h. die Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts der ausservertraglichen Haftung des Staates.

(86) - Vgl. Urteil Marshall (a. a. O., Fußnote 47, Randnr. 30).

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