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Document 61989CJ0059

Urteil des Gerichtshofes vom 30. Mai 1991.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland.
Richtlinien - Natur der Maßnahme zur Umsetzung in innerstaatliches Recht - Luftverschmutzung - Blei.
Rechtssache C-59/89.

Sammlung der Rechtsprechung 1991 I-02607

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1991:225

61989J0059

URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 30. MAI 1991. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - RICHTLINIE - NATUR DER MASSNAHME ZUR UMSETZUNG IN INNERSTAATLICHES RECHT - LUFTVERSCHMUTZUNG - BLEI. - RECHTSSACHE C-59/89.

Sammlung der Rechtsprechung 1991 Seite I-02607


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


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1. Handlungen der Organe - Richtlinien - Durchführung durch die Mitgliedstaaten - Umsetzung einer Richtlinie ohne Tätigwerden des Gesetzgebers - Voraussetzungen - Bestehen eines allgemeinen rechtlichen Kontexts, der die vollständige Anwendung der Richtlinie gewährleistet - Unzulänglichkeit einer mit den Geboten der Richtlinie übereinstimmenden Praxis

(EWG-Vertrag, Artikel 189 Absatz 3)

2. Umwelt - Luftverschmutzung - Richtlinie 82/884 - Festlegung eines Grenzwerts für die Konzentration von Blei - Erlaß einer zwingenden Rechtsvorschrift - Verpflichtung der Mitgliedstaaten

(Richtlinie 82/884 des Rates, Artikel 2)

3. Vertragsverletzungsverfahren - Streitgegenstand - Bestimmung durch die mit Gründen versehene Stellungnahme - Dem Mitgliedstaat gesetzte Frist - Spätere Abstellung der Vertragsverletzung - Rechtsschutzinteresse für die Fortsetzung des Verfahrens - Eventülle Haftung des Mitgliedstaats

(EWG-Vertrag, Artikel 169)

Leitsätze


1. Die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht erfordert nicht notwendig eine förmliche und wörtliche Übernahme ihres Inhalts in eine ausdrückliche, besondere Rechtsvorschrift. Je nach dem Inhalt der Richtlinie kann ein allgemeiner rechtlicher Kontext genügen, wenn dieser tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie mit hinreichender Klarheit und Genauigkeit gewährleistet, um die Begünstigten - soweit die Richtlinie Ansprüche des einzelnen begründen soll - in die Lage zu versetzen, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.

Die Übereinstimmung einer Praxis mit den Schutzgeboten einer Richtlinie kann kein Grund dafür sein, diese Richtlinie in der innerstaatlichen Rechtsordnung nicht durch Bestimmungen umzusetzen, die so bestimmt, klar und transparent sind, daß der einzelne wissen kann, welche Rechte und Pflichten er hat. Um die volle Anwendung der Richtlinie in rechtlicher und nicht nur in tatsächlicher Hinsicht zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten einen eindeutigen gesetzlichen Rahmen auf dem betreffenden Gebiet bereitstellen.

2. Die in Artikel 2 der Richtlinie 82/884 vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, einen Grenzwert festzulegen, der unter bestimmten Bedingungen nicht überschritten werden darf, ist nach Artikel 1 dieser Richtlinie geschaffen worden, um speziell einen Beitrag zum Schutz des Menschen vor den Auswirkungen der Bleiverschmutzung der Umwelt zu leisten. Abgesehen vom Fall der Gefährdung am Arbeitsplatz, für die sie nicht gilt, bedeutet diese Verpflichtung, daß die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Überschreitung des Grenzwerts die menschliche Gesundheit gefährden könnte, in der Lage sein müssen, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend machen zu können. Im übrigen ist die Festlegung eines Grenzwerts in einer Vorschrift, deren Verbindlichkeit unbestreitbar ist, auch deshalb geboten, damit all jene, deren Tätigkeiten Immissionen zur Folge haben können, genau wissen, welche Verpflichtungen sie haben.

3. Bei einer Klage nach Artikel 169 EWG-Vertrag wird der Streitgegenstand durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission bestimmt, und für die Klage ist auch dann, wenn der darin gerügte Mangel nach Ablauf der gemäß Artikel 169 Absatz 2 gesetzten Frist behoben wird, noch ein Rechtsschutzinteresse insoweit gegeben, als die Grundlage für eine Haftung geschaffen wird, die einen Mitgliedstaat wegen seiner Pflichtverletzung möglicherweise gegenüber anderen Mitgliedstaaten, der Gemeinschaft oder einzelnen trifft.

Entscheidungsgründe


1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 28. Februar 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie nicht alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um die Richtlinie 82/884/EWG des Rates vom 3. Dezember 1982 betreffend einen Grenzwert für den Bleigehalt in der Luft (ABl. L 378, S. 15; im folgenden: Richtlinie) vollständig in innerstaatliches Recht umzusetzen.

2 Durch diese Richtlinie, die die Menschen gegen die Gefährdung durch Blei schützen soll, wird ein Grenzwert für den Bleigehalt in der Luft festgelegt, der unter bestimmten Bedingungen nicht überschritten werden darf.

3 Nach Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie beträgt dieser Grenzwert - ausgedrückt als Jahresmittelwert - zwei Mikrogramm Blei/m3.

4 Gemäß Artikel 3 Absatz 1 haben die Mitgliedstaaten Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß fünf Jahre nach Bekanntgabe der Richtlinie der gemäß Artikel 4 gemessene Bleigehalt in der Luft den in Artikel 2 festgelegten Grenzwert nicht überschreitet.

5 Nach Artikel 12 Absatz 1 hatten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um der Richtlinie innerhalb von 24 Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen. Die Richtlinie wurde der Bundesrepublik Deutschland am 9. Dezember 1982 bekanntgegeben und musste daher spätestens am 9. Dezember 1984 in deutsches Recht umgesetzt sein.

6 Die Kommission legt der Bundesrepublik Deutschland zur Last, sie sei der Verpflichtung aus Artikel 2 der Richtlinie nicht nachgekommen, eine zwingende Regelung zu erlassen, die die Überschreitung des Hoechstwertes von zwei Mikrogramm Blei/m3 im gesamten Hoheitsgebiet unter Androhung wirksamer Sanktionen ausdrücklich verbiete. Sie wirft der Bundesrepublik Deutschland ausserdem vor, sie habe keine angemessenen Maßnahmen erlassen, um die Einhaltung dieses Grenzwerts sicherzustellen, wie es Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie vorschreibe.

7 Die Bundesrepublik Deutschland entgegnet, der mit der Richtlinie angestrebte Schutz entspreche dem Schutz, der sich aus dem Bundesgesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge vom 15. März 1974 (BGBl. I S. 721, im folgenden: Bundes-Immissionsschutzgesetz; BImSchG) und aus seinen Durchführungsbestimmungen ergebe. Ausserdem entsprächen die konkreten Resultate, die sie im Bereich der Verschmutzung durch Blei erreicht habe, vollauf den Anforderungen der Richtlinie.

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Rechtsstreits, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zum Fehlen einer allgemeinen zwingenden Regelung

9 § 3 BImSchG definiert schädliche Umwelteinwirkungen als "Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen". In diesem Gesetz wird jedoch ein Schwellenwert, von dem an diese Immissionen als schädlich für die Umwelt anzusehen sind, nicht festgelegt. Nach § 48 BImSchG ist es Sache der Bundesregierung, nach Anhörung der beteiligten Kreise mit Zustimmung des Bundesrates "zur Durchführung dieses Gesetzes ... allgemeine Verwaltungsvorschriften" zu erlassen.

10 Auf der Grundlage des § 48 erließ die Regierung der Bundesrepublik Deutschland 1974 die Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA Luft). Diese wurde mehrfach, unter anderem am 27. Februar 1986 (GMBl. S. 95), geändert. Unstreitig wird in Nr. 2.5.1 dieser Verwaltungsvorschrift für Blei der in Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie genannte Hoechstwert von zwei Mikrogramm Blei/m3 festgesetzt.

11 Die Kommission ist jedoch der Auffassung, die TA Luft sei keine zwingende Regelung. Darüber hinaus sei ihr Anwendungsbereich beschränkter als derjenige der Richtlinie.

12 In der deutschen Rechtsordnung seien Verwaltungsvorschriften im allgemeinen nicht als Rechtsvorschriften anerkannt. Das Grundgesetz, insbesondere Artikel 80 Absatz 1, mache den Erlaß von Verordnungen durch die Verwaltung von bestimmten Voraussetzungen, insbesondere verfahrensmässiger Art, abhängig, die im vorliegenden Fall nicht erfuellt seien. Ausserdem werde sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Lehre eingeräumt, daß Verwaltungsvorschriften nicht zwingend eingehalten werden müssten, wenn ein atypischer Sachverhalt vorliege, das heisst ein Sachverhalt, den der Vorschriftengeber bei der von ihm vorzunehmenden generellen Betrachtung nicht habe regeln können oder wollen.

13 Im übrigen gälten die Vorschriften der TA Luft nicht für andere Verschmutzungsquellen als die darin genannten Industrieanlagen und enthielten nur Regeln über den Schutz der Atmosphäre, die bei bestimmten auf diese Anlage bezogenen behördlichen Maßnahmen anzuwenden seien.

14 Hierzu trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, der Regelungsrahmen, durch den die Einhaltung des Grenzwerts der Richtlinie gewährleistet werden solle, schließe alle Quellen von Bleiimmissionen ein.

15 In diesen Rahmen fielen nämlich erstens die genehmigungsbedürftigen Anlagen im Sinne von § 4 BImSchG, das heisst Anlagen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs in besonderem Masse geeignet seien, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen. Die Immissionsschwellenwerte, die diese Anlagen nicht überschreiten dürften, seien in Nr. 2.5.1 der TA Luft genannt, die für Blei den in der Richtlinie festgelegten Grenzwert übernehme. Diese Schwellenwerte seien Mindestnormen, die selbst in atypischen Fällen einzuhalten seien.

16 Zweitens fielen auch andere Anlagen in diesen Rahmen. Nach § 22 BImSchG seien solche Anlagen nämlich so zu errichten und zu betreiben, daß schädliche Umwelteinwirkungen verhindert würden, die nach dem gegenwärtigen Stand der Technik vermeidbar seien. Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen sei in Nr. 2.5.1 der TA Luft konkretisiert worden. Wenn derartige schädliche Einwirkungen das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdeten, könnten die zuständigen Behörden nach § 25 Absatz 2 die Errichtung oder den Betrieb dieser Anlagen ganz oder teilweise untersagen, soweit die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht auf andere Weise geschützt werden könne.

17 Drittens seien die von der Verwendung von Kraftfahrzeugen ausgehenden Bleiimmissionen durch das Benzin-Blei-Gesetz geregelt worden.

18 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (siehe u. a. Urteil vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache C-131/88, Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I-825) verlangt die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nicht notwendigerweise, daß ihre Bestimmungen förmlich und wörtlich in einer ausdrücklichen besonderen Gesetzesvorschrift wiedergegeben werden; je nach dem Inhalt der Richtlinie kann ein allgemeiner rechtlicher Rahmen genügen, wenn er tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie in so klarer und bestimmter Weise gewährleistet, daß - soweit die Richtlinie Ansprüche des einzelnen begründen soll - die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.

19 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die in Artikel 2 der Richtlinie vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, einen Grenzwert festzulegen, der unter bestimmten Bedingungen nicht überschritten werden darf, nach Artikel 1 geschaffen worden ist, "um speziell einen Beitrag zum Schutz des Menschen vor den Auswirkungen der Bleiverschmutzung der Umwelt zu leisten". Die Verpflichtung gilt jedoch nicht für die Gefährdung am Arbeitsplatz. Abgesehen von dem letztgenannten Fall bedeutet sie daher, daß die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Überschreitung des Grenzwertes die menschliche Gesundheit gefährden könnte, in der Lage sein müssen, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend machen zu können. Im übrigen ist die Festlegung eines Grenzwerts in einer Vorschrift, deren Verbindlichkeit unbestreitbar ist, auch deshalb geboten, damit all jene, deren Tätigkeiten Immissionen zur Folge haben können, genau wissen, welche Verpflichtungen sie haben.

20 Es ist aber erstens festzustellen, daß der in der Richtlinie vorgeschriebene Grenzwert von zwei Mikrogramm Blei/m3 nur in der TA Luft enthalten ist und daß diese nur einen beschränkten Anwendungsbereich hat.

21 Entgegen dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland gilt diese Verwaltungsvorschrift nicht für alle Anlagen. Nach ihrer Nr. 1 gilt sie nämlich nur für die nach § 4 BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlagen, das heisst für Anlagen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs in besonderem Masse geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen. Nr. 1 der TA Luft begründet Verpflichtungen der Verwaltungsbehörden im wesentlichen nur bei der Prüfung der Anträge auf Erteilung einer Genehmigung zur Errichtung, zum Betrieb oder zur Änderung derartiger Anlagen oder beim Erlaß nachträglicher Anordnungen für diese Anlagen oder aber bei der Anordnung über Ermittlungen von Art und Ausmaß der von diesen Anlagen ausgehenden Emissionen oder der Immissionen im Einwirkungsbereich dieser Anlagen.

22 Anwendungsbereich der Verwaltungsvorschrift ist damit die unmittelbare Nachbarschaft ganz bestimmter Bauten oder Einrichtungen, während die Richtlinie einen weiteren Anwendungsbereich hat, der sich auf das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten erstreckt. Dem allgemeinen Charakter der Richtlinie wird eine Umsetzung nicht gerecht, die auf bestimmte Quellen der Überschreitung des in ihr festgelegten Grenzwerts und auf bestimmte von den Verwaltungsbehörden zu treffende Maßnahmen beschränkt ist.

23 Zweitens wird dem Bestreben, es dem einzelnen zu ermöglichen, seine Rechte geltend zu machen, aber auch im eigentlichen Anwendungsbereich der Verwaltungsvorschrift, das heisst bei den genehmigungsbedürftigen Anlagen, nicht Genüge getan. Die Bundesrepublik Deutschland und die Kommission streiten nämlich darüber, inwieweit in der deutschen Lehre und Rechtsprechung technischen Verwaltungsvorschriften zwingender Charakter zuerkannt wird. Die Kommission hat auf Rechtsprechung hingewiesen, in der ein solcher Charakter insbesondere im Bereich des Steuerrechts verneint wird; die Bundesrepublik Deutschland hat ihrerseits Rechtsprechung angeführt, in der ein solcher Charakter im Bereich der Kernenergie anerkannt wird. Es ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland im konkreten Fall der TA Luft keine nationale Gerichtsentscheidung angeführt hat, mit der dieser Verwaltungsvorschrift über ihre Verbindlichkeit für die Verwaltung hinaus unmittelbare Wirkung gegenüber Dritten zuerkannt würde. Es lässt sich also nicht sagen, daß der einzelne Gewißheit über den Umfang seiner Rechte haben kann, um sie gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend machen zu können, noch daß auch diejenigen, deren Tätigkeiten geeignet sind, Immissionen zu verursachen, über den Umfang ihrer Verpflichtungen hinreichend unterrichtet sind.

24 Somit ist nicht nachgewiesen, daß die Durchführung des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie nicht mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit erfolgt ist, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes notwendig sind, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen.

Zum Fehlen von Maßnahmen, die geeignet sind, die Einhaltung des Grenzwerts sicherzustellen

25 Die Kommission legt der Bundesrepublik Deutschland zur Last, sie habe keine geeigneten Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, daß der in der Richtlinie vorgeschriebene Grenzwert tatsächlich eingehalten werde, wie es Artikel 3 der Richtlinie verlange. Auch mit den Luftreinhalteplänen, die die Länder gemäß §§ 44 bis 47 BImSchG aufstellen und durchsetzen müssten, wenn die Gefahr bestehe, daß schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen aufträten, lasse sich nicht sicherstellen, daß der in der Richtlinie festgelegte Grenzwert tatsächlich eingehalten werde. Erstens beträfen diese Maßnahmen nur bestimmte Gebiete und gewährleisteten die Einhaltung des Grenzwerts nicht im gesamten Staatsgebiet. Zweitens stehe die Entscheidung über die Erstellung von Luftreinhalteplänen im Ermessen der Verwaltungsbehörden. Drittens nähmen die durchzuführenden Verfahren soviel Zeit in Anspruch, daß es nicht möglich sei, die tatsächliche Einhaltung des Grenzwerts unverzueglich zu gewährleisten.

26 Die Bundesrepublik Deutschland macht zunächst geltend, die in Deutschland festgestellten Immissionswerte lägen weit unter dem in der Richtlinie festgelegten Wert von zwei Mikrogramm Blei/m3.

27 Sie sei im übrigen in der Lage, die tatsächliche Einhaltung dieses Grenzwertes sicherzustellen. In diesem Zusammenhang beruft sie sich insbesondere auf die §§ 44 bis 47 BImSchG, wonach die zuständigen Behörden der Länder Belastungsgebiete auszuweisen und für diese Gebiete Luftreinhaltepläne aufzustellen hätten. Zu dem Vorwurf, solche Pläne seien nur für einen Teil des Bundesgebiets ausgearbeitet worden, führt sie aus, es wäre völlig nutzlos, solche Pläne für Gebiete aufzustellen, in denen keinerlei Gefahr bestehe, daß der Grenzwert überschritten werde. Die Verwaltungsbehörden hätten bei der Entscheidung über die Durchführung von Luftreinhalteplänen keinen Ermessensspielraum, wenn konkrete Gefahren sich deutlich abzeichneten. Seit dem 1. September 1990 seien bei diesen Plänen die Grenzwerte der Richtlinie zu beachten.

28 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Übereinstimmung einer Praxis mit den Schutzgeboten einer Richtlinie kein Grund dafür sein kann, diese Richtlinie nicht in der innerstaatlichen Rechtsordnung durch Bestimmungen umzusetzen, die so bestimmt, klar und transparent sind, daß der einzelne wissen kann, welche Rechte und Pflichten er hat. Wie der Gerichtshof im Urteil vom 15. März 1990 in der Rechtssache C-339/87 (Kommission/Niederlande, Slg. 1990, 851, Randnr. 25) entschieden hat, müssen die Mitgliedstaaten, um die volle Anwendung der Richtlinien in rechtlicher und nicht nur in tatsächlicher Hinsicht zu gewährleisten, einen eindeutigen gesetzlichen Rahmen auf dem betreffenden Gebiet bereitstellen.

29 Das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, daß in der Praxis kein Fall eines Verstosses gegen die Richtlinie verzeichnet worden sei, ist daher unerheblich.

30 Es ist somit zu prüfen, ob die von der Bundesrepublik Deutschland angeführten Bestimmungen eine ordnungsgemässe Durchführung der Richtlinie gewährleisten.

31 Nach § 44 BImSchG haben die nach Landesrecht zuständigen Behörden in bestimmten Belastungsgebieten Art und Umfang bestimmter Luftverunreinigungen in der Atmosphäre, die schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen können, fortlaufend festzustellen. Zeigen diese Feststellungen, daß im gesamten Belastungsgebiet oder Teilen des Gebietes schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen auftreten oder zu erwarten sind, so sollen diese zuständigen Behörden für dieses Gebiet einen Luftreinhalteplan aufstellen (§ 47 in seiner bei Klageerhebung geltenden Fassung).

32 Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie schreibt vor, daß die Mitgliedstaaten Maßnahmen zu treffen haben, um sicherzustellen, daß der Bleigehalt in der Luft den Grenzwert von zwei Mikrogramm/m3 nicht überschreitet.

33 Hierzu ist festzustellen, daß die zuständigen Behörden der Länder Luftreinhaltepläne nur dann aufstellen sollen, wenn sie schädliche Umwelteinwirkungen feststellen. Wie oben ausgeführt, ist aber im BImSchG die Schwelle, von der an Umwelteinwirkungen als schädlich anzusehen sind, nicht festgelegt. Die TA Luft ihrerseits begründet Verpflichtungen der Verwaltungsbehörden nur bei ganz bestimmten Maßnahmen und in bezug auf bestimmte Anlagen. Es gibt daher keine allgemeinen und zwingenden Vorschriften, aufgrund deren die Verwaltungsbehörden verpflichtet wären, in sämtlichen Fällen Maßnahmen zu ergreifen, in denen die Gefahr besteht, daß die Grenzwerte der Richtlinie überschritten werden.

34 Artikel 3 der Richtlinie ist folglich in der innerstaatlichen Rechtsordnung nicht so umgesetzt worden, daß er alle denkbaren Fälle erfasst, und die nationale Regelung hat nicht den zwingenden Charakter, der notwendig ist, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen.

35 Der Umstand, daß die deutschen Rechtsvorschriften nach Klageerhebung geändert worden sind, kann an dieser Beurteilung nichts ändern. Es ist nämlich ständige Rechtsprechung, daß der Streitgegenstand bei einer Klage nach Artikel 169 EWG-Vertrag durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission bestimmt wird und daß für die Klage auch dann, wenn der darin gerügte Mangel nach Ablauf der gemäß Artikel 169 Absatz 2 gesetzten Frist behoben wird, noch ein Rechtsschutzinteresse insoweit gegeben ist, als die Grundlage für eine Haftung geschaffen wird, die einen Mitgliedstaat wegen seiner Pflichtverletzung möglicherweise gegenüber anderen Mitgliedstaaten, der Gemeinschaft oder einzelnen trifft.

36 Nach alledem ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist alle erforderlichen Maßnahmen erlassen hat, um der Richtlinie 82/884/EWG des Rates vom 3. Dezember 1982 betreffend einen Grenzwert für den Bleigehalt in der Luft nachzukommen.

Kostenentscheidung


Kosten

37 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist alle erforderlichen Maßnahmen erlassen hat, um der Richtlinie 82/884/EWG des Rates vom 3. Dezember 1982 betreffend einen Grenzwert für den Bleigehalt in der Luft nachzukommen.

2) Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

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