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Document 61989CC0008

Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 7. März 1990.
Vincenzo Zardi gegen Consorzio agrario provinciale di Ferrara.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Pretura di Copparo - Italien.
Zusätzliche Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor.
Rechtssache C-8/89.

Sammlung der Rechtsprechung 1990 I-02515

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1990:103

61989C0008

Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 7. März 1990. - VINCENZO ZARDI GEGEN CONSORZIO AGRARIO PROVINCIALE DI FERRARA. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: PRETURA DI COPPARO - ITALIEN. - LANDWIRTSCHAFT - ZUSAETZLICHE MITVERANTWORTUNGSABGABE AUF DEM GETREIDESEKTOR. - RECHTSSACHE C-8/89.

Sammlung der Rechtsprechung 1990 Seite I-02515


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1 . Mit der vorliegenden Vorabentscheidungsfrage ersucht das nationale Gericht den Gerichtshof, über die Gültigkeit der Bestimmungen über die Erhebung der zusätzlichen Mitverantwortungsabgabe für Getreide gemäß Artikel 4 b der Verordnung ( EWG ) Nr . 2727/75 des Rates in der Fassung der Verordnung ( EWG ) Nr . 1097/88 des Rates ( 1 ) und gemäß der Durchführungsverordnung Nr . 1432/88 der Kommission ( 2 ) zu entscheiden .

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts verweise ich auf den Sitzungsbericht, erinnere jedoch daran, daß die Abgabe nach dieser Regelung zum Zeitpunkt der Vermarktung des Getreides zu zahlen ist; am Ende des Wirtschaftsjahres wird dann festgestellt, ob die gesamte Getreideproduktion den festgesetzten Schwellenwert ( die "garantierte Hoechstmenge ") überschritten hat ( und wenn ja, um wieviel ). Hat die Erzeugung diese Hoechstmenge nicht überschritten, so wird die Abgabe voll erstattet; wird diese Hoechstmenge geringfügig überschritten, so ist die Möglichkeit einer teilweisen Erstattung vorgesehen .

Im vorliegenden Fall wird jedoch gerade beanstandet, daß die Abgabe insgesamt bei der Vermarktung des Getreides zu zahlen ist ( vorbehaltlich einer eventuellen Erstattung ) und nicht später, zum Zeitpunkt der Feststellung der Überschreitung der garantierten Hoechstmenge . Eine derartige Erhebung sei aus zwei Gründen rechtswidrig : zum einen, weil eine finanzielle Belastung auferlegt werde, noch bevor die entsprechende Verpflichtung entstanden sei ( diese könne nämlich erst dann als endgültig entstanden angesehen werden, wenn die Überschreitung der garantierten Hoechstmenge festgestellt werde ); zum anderen verstosse diese vorgezogene Erhebung der Abgabe gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, da Alternativlösungen ( insbesondere ein System von Bankbürgschaften ) denkbar seien, die die tatsächliche Zahlung der Abgabe ebenfalls sicherstellten und dennoch für die Erzeuger weniger belastend seien .

2 . Zum ersten Punkt : Die Parteien haben unterschiedliche Standpunkte dazu vertreten, wie der anspruchsbegründende Tatbestand der Verpflichtung zur Zahlung der Abgabe zu bestimmen sei . Der Rat und die Kommission sind der Auffassung, dieser Tatbestand werde durch die Vermarktung des Getreides erfuellt; der Kläger des Ausgangsverfahrens und die italienische Regierung machen - wie bereits ausgeführt - geltend, die Abgabenschuld entstehe endgültig erst dann, wenn die Überschreitung der garantierten Hoechstmenge festgestellt werde . Aus diesen Prämissen werden unterschiedliche Konsequenzen hinsichtlich der Rechtmässigkeit der fraglichen Bestimmungen über die Erhebung gezogen . Die Organe, die davon ausgehen, daß die Verpflichtung mit der Vermarktung entsteht, halten es für völlig gerechtfertigt, die unmittelbare Erfuellung dieser Verpflichtung zu verlangen; die Vertreter des anderen Standpunkts dagegen wenden ein, es sei - insbesondere im Lichte der Grundsätze, die dem System der fraglichen steuerlichen Leistungen allgemein zugrunde lägen - rechtswidrig, die Zahlung in einem Zeitpunkt vorzusehen, in dem man noch nicht wisse, ob und in welcher Höhe eine Zahlungspflicht entstehe .

3 . Dieser letzte Standpunkt beruht jedoch - zumindest nach den eingereichten schriftlichen Erklärungen - auf der Annahme, die Abgabe stelle eine steuerliche Verpflichtung dar; dies ist nicht richtig . Der Gerichtshof hat in der Tat eine solche Betrachtungsweise wiederholt zurückgewiesen . Er hat entschieden, daß die Mitverantwortungsabgaben, auch wenn sie einen finanziellen Aspekt haben, da sie dazu beitragen, die finanzielle Belastung des EAGFL zu verringern, gleichwohl Maßnahmen der Agrarpolitik darstellen und hauptsächlich zu einer Stabilisierung der durch strukturelle Überschüsse gekennzeichneten Märkte führen sollen . Genau aus diesem Grund halte ich es nicht für richtig, die Rechtmässigkeit der Abgabe oder - im vorliegenden Fall - ihrer Durchführungsbestimmungen im Hinblick auf, obendrein rein abstrakte, Kriterien zu beurteilen, die dem Steuerrecht entliehen sind; die Maßnahme muß im Gegenteil im Lichte der Regeln und Grundsätze beurteilt werden, die für die Ausübung der Rechtsetzungszuständigkeiten der Gemeinschaftsorgane bei der Durchführung der Agrarpolitik gelten .

4 . In Anbetracht dessen finde ich den Standpunkt der Organe, wonach der anspruchsbegründende Tatbestand der Abgabeverpflichtung in der Vermarktung der Erzeugnisse zu sehen ist, im Hinblick auf Wortlaut und Gesamtstruktur der anwendbaren Vorschriften richtiger . Zunächst bestimmt Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr . 1432/88 ausdrücklich die Vermarktung als den "anspruchsbegründenden Tatbestand" der Abgabe . Ausserdem unterscheidet die fragliche Verordnung deutlich zwischen der Verpflichtung zur Zahlung der Abgabe, die unmittelbar durch die Vermarktung entsteht, und dem späteren eventuellen Anspruch auf Erstattung, setzen doch sowohl dessen Bestehen als auch dessen Höhe die Feststellung voraus, daß die garantierte Hoechstmenge nicht überschritten worden ist . Diese Feststellung ist daher die Bedingung, von der eher die ( volle oder teilweise ) Erstattung der gezahlten Beträge als die Entstehung der Abgabepflicht abhängt .

5 . In jedem Fall ist dieser rein formalrechtliche Meinungsunterschied jedoch für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits letztlich ohne Bedeutung . Selbst wenn nämlich der Kläger des Ausgangsverfahrens recht hätte und somit davon auszugehen wäre, daß die Verpflichtung erst dann entsteht, wenn die Überschreitung des Schwellenwertes festgestellt wird, würde daraus nicht automatisch die Rechtswidrigkeit der Durchführungsbestimmungen für die Abgabe folgen . Es ist nämlich auch im Rahmen nationaler Abgabensysteme nicht selten, daß in bestimmten Fällen die vorgezogene Erhebung von Beträgen vorgesehen ist, für die die entsprechende Verpflichtung noch nicht entstanden ist . Dies ist zum Beispiel immer dann der Fall, wenn im Hinblick auf noch nicht erwirtschaftete oder festgestellte Einnahmen ein Abzug vorgenommen oder ein Betrag als Vorauszahlung eingezogen wird .

Daß eine vorgezogene Erhebung eines Betrages, das heisst eine Erhebung vor Eintritt der Bedingung für die Besteuerung vorgesehen ist, ist folglich für sich allein nicht rechtswidrig . Es ist jedoch zu prüfen, ob dies objektiv gerechtfertigt ist, insbesondere, ob es für den Betroffenen zu hohe, weil im Verhältnis zu dem angestrebten Ziel unangemessene Belastungen mit sich bringt .

Alles in allem bin ich daher der Meinung, daß der erste im vorliegenden Verfahren geltend gemachte Ungültigkeitsgrund im wesentlichen von dem zweiten, der angeblichen Unverhältnismässigkeit des Systems der Abgabenerhebung, mitumfasst wird .

6 . Dazu weise ich darauf hin, daß der Gerichtshof mehrfach entschieden hat, der Gemeinschaftsgesetzgeber verfüge bei der Wahl der Maßnahmen zur Erreichung der Ziele der Agrarpolitik über ein weites Ermessen . Der Gerichtshof hat auch entschieden, dieses Ermessen bewirke, daß die gerichtliche Nachprüfung nur in den Grenzen einer strengen Rechtsmässigkeitskontrolle ausgeuebt werden könne . Folglich kann die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme nur festgestellt werden, wenn diese zur Erreichung des Ziels offensichtlich ungeeignet ist ( 3 ).

Ich bin jedoch nicht der Ansicht, daß dieses Ermessen nur die Art der zu erlassenen Maßnahme betrifft; es umfasst im Gegenteil auch, ja sogar erst recht, die Festsetzung der Durchführungsbestimmungen zu der nämlichen Maßnahme .

Im vorliegenden Fall lässt sich daher nicht sagen, daß die Organe nur entscheiden konnten, ob es für eine Begrenzung des Angebots angebracht war, dem Instrument der Mitverantwortungsabgabe den Vorzug vor anderen Möglichkeiten, wie einer Herabsetzung der Interventionspreise oder der Einführung von Produktionsquoten, zu geben . Wird nämlich eines dieser Instrumente gewählt, so können die Organe auch frei darüber entscheiden, wie es anzuwenden ist, und im Falle einer Abgabe regeln, ob es zweckmässig ist, die Zahlung für den Zeitpunkt der Vermarktung oder für einen späteren Zeitpunkt oder etwas anderes vorzusehen .

Im Rahmen der gerichtlichen Nachprüfung kann daher nur geprüft werden, ob die im vorliegenden Fall erlassenen Durchführungsbestimmungen nicht im Hinblick auf das angestrebte Ziel völlig ungeeignet sind .

7 . Dazu ist geltend gemacht worden, die sofortige Zahlung der Abgabe sei nicht erforderlich, um ihre tatsächliche Erhebung sicherzustellen; andere Mittel, wie ein Kautions - oder Bürgschaftssystem, seien für die Erreichung dieses Ziels geeignet und brächten zugleich deutlich geringere Belastungen für die Landwirte mit sich .

Ich bin jedoch der Auffassung, daß dieser Einwand nicht greift, da er gerade unberücksichtigt lässt, daß das fragliche Instrument kein steuerliches Ziel ( Erzielung von Einnahmen ), sondern ein bestimmtes wirtschaftspolitisches Ziel verfolgt .

Die Abgabe ist nämlich, wie bereits ausgeführt, ein Instrument zur Drosselung des Angebots auf einem Markt mit strukturellen Überschüssen : Indem sie eine Herabsetzung des Interventionspreises verursacht, schreckt sie von der Erzeugung ab .

Es ist klar, daß diese Funktion wirksamer erfuellt werden kann, wenn das an den Erzeuger gerichtete Signal direkt und überzeugend ist . Genau aus diesem Grund ist entschieden worden, die Zahlung der Abgabe bereits für den Zeitpunkt der Vermarktung des Getreides vorzusehen, das heisst den Zeitpunkt, zu dem der Preis vom Landwirt erzielt wird . Ein Garantie - oder Kautionssystem dagegen, das nicht dieselben unmittelbaren Auswirkungen auf die Preise hat, wäre, gerade weil es geringere Belastungen mit sich bringt, weniger erfolgreich und somit für die angestrebte Drosselung des Getreideangebots weniger geeignet .

Mit anderen Worten : Zwar würde das in Erwägung gezogene Garantiesystem ausreichen, um das Ziel, die tatsächliche Zahlung der Abgabe sicherzustellen, zu verwirklichen; es stuende jedoch nicht mit dem Ziel - und zwar genau dem Ziel der Maßnahme - in Einklang, einen direkten Druck auf die Preise auszuüben, um von der Erzeugung abzuschrecken .

8 . Es ist somit festzustellen, daß die sofortige Erhebung der Abgabe den Zielen dieses Instruments sehr zweckdienlich ist und folglich nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstösst .

9 . In Anbetracht dessen bin ich der Auffassung, daß dem vorlegenden Gericht wie folgt zu antworten ist :

"Die Prüfung der Vorabentscheidungsfrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit des Artikels 4 b der Verordnung ( EWG ) Nr . 2727/75 des Rates ( in der durch die Verordnung ( EWG ) Nr . 1097/88 des Rates geänderten Fassung ) und der Verordnung ( EWG ) Nr . 1432/88 der Kommission in Frage stellen könnte ."

(*) Originalsprache : Italienisch .

( 1 ) Verordnung ( EWG ) Nr . 1097/88 des Rates vom 25 . April 1988 ( ABl . L 110, S . 7 ).

( 2 ) Verordnung ( EWG ) Nr . 1432/88 der Kommission vom 26 . Mai 1988 ( ABl . L 131, S . 37 ).

( 3 ) Siehe das Urteil vom 11 . Juli 1989 in der Rechtssache 265/87, Schräder, Slg . 1989, 2237, Randnrn . 21 ff ., und wegen weiterer Hinweise meine Schlussanträge in derselben Rechtssache .

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