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Document 61988CC0206

Verbundene Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 13. Dezember 1989.
Strafverfahren gegen G. Vessoso und G. Zanetti.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Prétura di Asti - Italien.
Abfälle - Begriff.
Verbundene Rechtssachen C-206/88 und C-207/88.
Strafverfahren gegen E. Zanetti u. a.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Prétura di San Vito al Tagliamento - Italien.
Abfälle - Begriff - Genehmigung und Überwachung der Beseitigung von Abfällen.
Rechtssache C-359/88.

Sammlung der Rechtsprechung 1990 I-01461

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1989:644

61988C0206

VERBUNDENE SCHLUSSANTRAEGE DES GENERALANWALTS JACOBS VOM 13. DEZEMBER 1989. - STRAFVERFAHREN GEGEN GIOVANNI VESSOSO ET GIORGIO ZANETTI. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: PRETURA DI ASTI - ITALIEN. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN 206/88 UND 207/88. - STRAFVERFAHREN GEGEN ENRICO ZANETTI UND ANDERE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: PRETURA DI SAN VITO AL TAGLIAMENTO - ITALIEN. - RECHTSSACHE 359/88. - ANGLEICHUNG DER RECHTSVORSCHRIFTEN - ABFAELLE - BEGRIFF - GENEHMIGUNG UND UEBERWACHUNG DER ABFALLBESEITIGUNG.

Sammlung der Rechtsprechung 1990 Seite I-01461


Schlußanträge des Generalanwalts


++++

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1 . Die verbundenen Rechtssachen C-206/88 und C-207/88 wurden dem Gerichtshof von der Pretura Asti, die Rechtssache C-359/88 von der Pretura San Vito al Tagliamento zur Vorabentscheidung vorgelegt . Sie betreffen die Auslegung der Richtlinien 75/442 über Abfälle ( ABl . L 194, S . 39 ) und 78/319 über giftige und gefährliche Abfälle ( ABl . L 84, S . 43 ) sowie die Wirkung dieser Richtlinien auf nationale Strafverfahren . Die aufgeworfenen Fragen gleichen sich so sehr, daß ich alle drei Fälle gemeinsam behandeln kann .

Sachverhalt

2 . In den Rechtssachen C-206 und C-207/88 wird den Beschuldigten vorgeworfen, gegen Artikel 25 des Präsidialdekrets Nr . 915 vom 10 . September 1982 ( Dekret ) verstossen zu haben, indem sie städtische und Sonderabfälle durch deren Sammlung, Beförderung und Lagerung ohne vorherige Genehmigung beseitigt haben . Die Beschuldigten verteidigen sich mit der Begründung, sie hätten nicht Abfälle gesammelt und gelagert, sondern Materialien, die wiedergewonnen worden seien und zur wirtschaftlichen Wiederverwendung geeignet seien .

3 . Das vorlegende Gericht hatte bereits früher über derartige Rechtssachen zu entscheiden; es hat die Angeklagten jeweils verurteilt . Andere Gerichte hatten entschieden, daß wiedergewonnene Materialien, die zur Wiederverwendung geeignet seien, keine Abfälle im Sinne des Dekrets darstellten . Im Vorlagebeschluß heisst es, die Corte di cassazione habe mit Urteil vom 14 . April 1987 ( Perino ) die Auffassung des vorlegenden Gerichts geteilt . Gleichwohl ersucht dieses um eine Entscheidung des Gerichtshofes, da das Dekret zur Durchführung dreier EWG-Richtlinien einschließlich der beiden genannten erlassen wurde . Die vorgelegte Frage ist in beiden Rechtssachen dieselbe :

"Sind Artikel 1 der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15 . Juli 1975 über Abfälle und Artikel 1 der Richtlinie 78/319 des Rates vom 20 . März 1978 über giftige und gefährliche Abfälle dahin zu verstehen, daß unter den Rechtsbegriff der Abfälle auch die Gegenstände fallen, deren sich der Besitzer entledigt hat, die jedoch einer wirtschaftlichen Wiederverwendung zugeführt werden können, und sind sie dahin zu verstehen, daß der Begriff der Abfälle die Feststellung voraussetzt, daß der 'animus dereliquendi' beim Besitzer des Stoffes oder des Gegenstands vorliegt?"

4 . In der Rechtssache C-359/88 geht es um das Beizen von Metalloberflächen durch Verzinkereien . Dabei werden die oxydierten Teile chemisch entfernt, so daß die Oberflächen verzinkt werden können; das Entfernen erfolgt durch Eintauchen des Metalls in konzentrierte Salzsäure . Nach einiger Zeit kann die Säure für diese Zwecke nicht mehr verwendet werden und wird beseitigt . Das ist wirtschaftlich aufwendiger als der Erwerb dieser Säure . Die verbrauchte Säure kann jedoch von Betrieben verwendet werden, die Eisenchlorid herstellen . Die Säure ist hochgefährlich und wird zu diesen Betrieben in versiegelten Behältern befördert .

5 . Die Beschuldigten haben ihren Sitz sämtlich in der Region Friaul-Julisch Venezien . Sie befördern die verbrauchte Säure aus dieser Region in andere italienische Regionen . Auch sie werden nach dem Dekret beschuldigt, dies ohne die Genehmigung der Regionalverwaltung von Friaul-Julisch Venezien getan zu haben .

6 . In dem Verfahren vor dem vorlegenden Gericht stellte sich heraus, daß einer der Beschuldigten Inhaber einer Genehmigung der Provinzverwaltung von Lucca war und daß die Regionalverwaltung von Friaul-Julisch Venezien unter diesen Umständen keine Genehmigung für erforderlich hielt . Das vorlegende Gericht fragt sich ausserdem, ob die Säure als Abfall im Sinne des Dekrets zu betrachten sei .

7 . Es hat dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt :

"Hat der italienische Gesetzgeber in Artikel 2 Absatz 1 des Präsidialdekrets Nr . 915 von 1982 eine Definition des Abfallbegriffs vorgenommen, die den Richtlinien 75/442 und 78/319 entspricht?

Hat der Gesetzgeber, als er nur für die Phasen der Beseitigung giftiger und gefährlicher Abfälle verschiedene Genehmigungspflichten eingeführt hat, während er ( Artikel 16 des Präsidialdekrets Nr . 915 von 1982 ) für die gleichartigen Vorgänge bei Sonderabfällen keine einzelnen Genehmigungen vorgesehen hat, Artikel 10 der Richtlinie 75/442 eingehalten?

Hat der italienische Gesetzgeber, indem er für die Abfallbeförderung einzelne Regionalgenehmigungen vorgesehen hat, Artikel 5 der vorgenannten Richtlinie eingehalten, wonach die beauftragten Behörden auf ein 'bestimmtes Gebiet' beschränkt zu sein scheinen?"

8 . Die erste Frage ist somit in der Sache dieselbe wie die in den Rechtssachen C-206/88 und C-207/88 gestellte Frage, während die zweite und die dritte Frage andere Probleme betreffen . So, wie sie abgefasst sind, können die Fragen im Verfahren nach Artikel 177 EWG-Vertrag nicht direkt beantwortet werden, da es in ihnen um die Vereinbarkeit des einschlägigen italienischen Rechts mit den beiden fraglichen Richtlinien geht . Darüber kann ausschließlich das vorlegende Gericht entscheiden . Der Gerichtshof kann jedoch den Vorlagefragen die Punkte entnehmen, die die Auslegung von Gemeinschaftsrecht betreffen, um dem vorlegenden Gericht die Entscheidung der Fragen zu ermöglichen, die ihm vorliegen .

Das nationale Recht

9 . Nach Artikel 2 Absatz 1 des Dekrets sind Abfälle "alle Stoffe oder Gegenstände, die aus menschlicher Tätigkeit oder natürlichen Kreisläufen anfallen und die aufgegeben worden sind oder werden sollen ". Artikel 1 des Dekrets, der allgemeine Grundsätze aufstellt, bezieht sich im übrigen auf die Wiederverwendung von Abfällen im Sinne des Artikels 2 und setzt somit voraus, daß ein Stoff nicht allein deshalb kein Abfall im Sinne des Dekrets ist, weil er auf diese Weise behandelt werden kann .

10 . Nach Artikel 2 Absatz 2 des Dekrets gibt es drei Kategorien von Abfällen :

a ) städtische Abfälle, im wesentlichen Sperrgut und Abfall auf öffentlichen Gebieten;

b ) Sonderabfälle, insbesondere industrielle, landwirtschaftliche und gewerbliche Abfälle; und

c ) giftige und gefährliche Abfälle, also Abfälle, die Stoffe enthalten, die in einem Anhang zu dem Dekret aufgeführt sind .

In der Rechtssache C-359/88 ist unstreitig, daß die verbrauchte Salzsäure, falls sie als Abfall zu betrachten ist, Sonderabfall im Sinne des Dekrets ist .

11 . Nach Artikel 16 des Dekrets muß bei giftigen und gefährlichen Abfällen jede Beseitigungsstufe genehmigt werden; ausdrücklich erwähnt werden das Sammeln und das Befördern solchen Abfalls . Die Beschuldigten in der Rechtssache C-359/88 tragen vor, da es für Sonderabfälle keine entsprechende Bestimmung gebe, bedürfe die Beförderung solchen Abfalls keiner Genehmigung .

12 . Nach der Gegenansicht ist die Beseitigung ( und damit die Beförderung ) von Sonderabfällen nach Artikel 6 Buchstabe d und Artikel 25 des Dekrets immer dann genehmigungspflichtig, wenn sie für andere erfolgt . Nach Artikel 25 des Dekrets wird bestraft, wer für die Beseitigung von städtischen oder Sonderabfällen für andere verantwortlich ist, ohne gemäß Artikel 6 Buchstabe d eine Genehmigung erhalten zu haben . Die Genehmigung für die Beseitigung von städtischen und Sonderabfällen für andere wird von den Regionen erteilt .

Die Richtlinien

13 . Nach ihren Begründungserwägungen haben die Richtlinien 75/442 und 78/319 ein doppeltes Ziel . Zunächst dienen sie der Angleichung des nationalen Abfallrechts, damit Unterschiede in diesem Recht nicht zu Wettbewerbsverzerrungen und Handelshemmnissen zwischen den Mitgliedstaaten führen . Dann sollen sie dem Schutz der menschlichen Gesundheit sowie der Umwelt gegen nachteilige Auswirkungen der Sammlung, Beförderung, Behandlung, Lagerung und Ablagerung von Abfällen dienen . Diese Ziele sollen unter anderem durch die Einführung einer Genehmigungsregelung für Abfallbeseitigungsunternehmen und der Überprüfung der Erzeugung und der Beseitigung von Abfall durch die Behörden erreicht werden .

14 . Nach Artikel 1 Buchstabe a beider Richtlinien sind Abfälle "alle Stoffe oder Gegenstände, deren sich der Besitzer entledigt oder gemäß den geltenden einzelstaatlichen Vorschriften zu entledigen hat ". Nach Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 78/319 sind giftige und gefährliche Abfälle Abfälle, die die im Anhang zu dieser Richtlinie aufgeführten Stoffe oder Materialien enthalten oder durch sie verseucht sind, und zwar in solchem Umfang, daß sich daraus eine Gefahr für die Gesundheit oder die Umwelt ergibt .

15 . Artikel 5 der Richtlinie 75/442 lautet wie folgt : "Die Mitgliedstaaten setzen die zuständige(n ) Behörde(n ) ein, die damit beauftragt ist ( sind ), in einem bestimmten Gebiet die Maßnahmen zur Abfallbeseitigung zu planen, zu organisieren, zu genehmigen und zu überwachen oder bestimmen diese Behörde(n )."

16 . Nach Artikel 8 der Richtlinie 75/442 "bedürfen alle Anlagen oder Unternehmen, in denen Abfälle für andere aufbereitet, gelagert oder abgelagert werden, einer Genehmigung durch die in Artikel 5 genannte zuständige Behörde, die insbesondere betrifft :

- Art und Menge der zu behandelnden Abfälle;

- allgemeine technische Vorschriften;

- die zu treffenden Vorsichtsmaßregeln;

- einen auf Verlangen der zuständigen Behörde vorzulegenden Nachweis über Ursprung, Bestimmung und Behandlung der Abfälle sowie ihre Arten und Mengen ".

17 . Artikel 10 der Richtlinie 75/442 lautet wie folgt : "Die Unternehmen, die ihre Abfälle selbst befördern, sammeln, lagern, ablagern oder aufbereiten sowie die Unternehmen, die fremde Abfälle sammeln oder befördern, unterliegen der Überwachung durch die in Artikel 5 genannte zuständige Behörde ."

Die Rechtsprechung des Gerichtshofes

18 . Der Gerichtshof braucht sich in diesen Rechtssachen nicht zum ersten Mal mit dem Abfallrecht der Gemeinschaft zu befassen . In den verbundenen Rechtssachen 372/85 bis 374/85 ( Trän, Slg . 1987, 2141 ) führte der Gerichtshof aus, daß die Richtlinie als Ergebnis der Abfalldefinition in Artikel 1 einen weiten Anwendungsbereich habe . Jedoch unterscheide die Richtlinie zwischen Genehmigung und Überwachung; die Genehmigungspflicht nach Artikel 8 gelte nur für Unternehmen, die Abfälle für Dritte beseitigten . Unternehmen, die ihren eigenen Abfall beseitigten, unterlägen nur der Überwachung der in Artikel 5 genannten zuständigen Behörde .

19 . Zu Artikel 5 führte der Gerichtshof aus, er stelle kein restriktives Kriterium in bezug auf die von den Mitgliedstaaten einzusetzenden oder zu bestimmenden zuständigen Behörden auf . Die Mitgliedstaaten seien somit in der Wahl dieser Behörden frei . Ähnlich seien die Mitgliedstaaten bei der Organisation der Überwachung nach Artikel 10 unter Beachtung der Zielsetzung der Richtlinie, nämlich des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt, frei .

20 . Um die Richtlinie 75/442 ging es neben drei anderen Richtlinien auch in den verbundenen Rechtssachen 227/85 bis 239/85 ( Kommission/Belgien, Slg . 1988, 1 ). Die Kommission hatte hier Verfahren nach Artikel 171 EWG-Vertrag gegen Belgien eingeleitet, weil dieses früheren Urteilen des Gerichtshofes nicht nachgekommen war, in denen der Gerichtshof festgestellt hatte, daß das Königreich Belgien gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hatte, indem es eine Reihe von Richtlinien nicht innerhalb der gesetzten Frist umgesetzt hatte . Belgien hatte sich unter anderem damit verteidigt, die Verzögerung in der Durchführung der früheren Urteile des Gerichtshofes beruhe auf Schwierigkeiten bei der Übertragung einer grossen Anzahl von Befugnissen auf die neuen Regionalorgane . Hierzu bemerkte der Gerichtshof :

"Wie der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 25 . Mai 1982 in den Rechtssachen 96/81 und 97/81 ( Kommission/Niederlande, Slg . 1982, 1791 und 1819 ) ausgeführt hat, steht es jedem Mitgliedstaat frei, die Kompetenzen innerstaatlich so zu verteilen, wie er es für zweckmässig hält, und eine Richtlinie mittels Maßnahmen durchzuführen, die von regionalen oder örtlichen Behörden getroffen werden . Diese Kompetenzverteilung entbindet ihn jedoch nicht von der Verpflichtung, sicherzustellen, daß die Richtlinienbestimmungen uneingeschränkt und genau in innerstaatliches Recht umgesetzt werden" ( Randnr . 9 ).

Die Fragen

21 . In allen drei Rechtssachen haben die Italienische Republik und die Kommission Erklärungen eingereicht; sie stimmen weitgehend überein . Was die Auslegung des Begriffs Abfall im Sinne der Richtlinien betrifft, so bin auch ich derselben Meinung : Die Fragen in den Rechtssachen C-206/85 und C-207/88 und die erste Frage in der Rechtssache C-359/88 sind dahin gehend zu beantworten, daß unter den Begriff Abfall auch Sachen fallen, die wiederverwendet werden können, und daß die Absicht des Besitzers unerheblich ist .

22 . Wie der Gerichtshof in der Rechtssache Trän betonte, ist die Abfalldefinition der Richtlinie 75/442 weit; dasselbe gilt unabweislich für die entsprechende Definition in der Richtlinie 78/319 . Beide enthalten keinerlei Hinweis darauf, daß die Absicht des Besitzers erheblich sei . Das würde auch dem Zweck der Richtlinien zuwiderlaufen : Die Frage, ob ein Stoff oder ein Gegenstand die menschliche Gesundheit oder die Umwelt bedroht, ist eine objektive, keine subjektive Frage . Mit der Absicht dessen, der sich des Stoffes entledigt, hat es nichts zu tun . Die Gefährdung wird auch nicht dadurch beeinflusst, daß die Sache gegebenenfalls wiederverwendet werden kann . Niemand bestreitet, daß die verbrauchte Säure, um die es in der Rechtssache C-359/88 geht, höchst gefährlich ist, auch wenn es Betriebe gibt, die sie wiederverwenden können . Im Hinblick auf die Ziele der Richtlinien hatte der Rat alle Veranlassung, einen solchen Stoff den in den Richtlinien vorgesehenen Überwachungsverfahren zu unterwerfen . Zumindest ergibt sich aus den Artikeln 1 Buchstabe b und 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 75/442 sowie aus den Artikeln 1 Buchstabe c und 4 der Richtlinie 78/319, die sich mit unterschiedlichen Worten sämtlich auf die Wiederverwendung von Abfällen beziehen, daß die Möglichkeit einer Wiederverwendung eines Stoffes oder Gegenstandes die Frage nicht berührt, ob dieser Abfall im Sinne der Richtlinien ist .

23 . Somit können Stoffe oder Gegenstände Abfälle im Sinne der Richtlinien darstellen, selbst wenn sie wiederverwendet werden können, und das unabhängig von der Absicht oder dem Zweck, den der Besitzer mit der Beseitigung verfolgt . Freilich bedarf diese Antwort einer Erläuterung .

24 . Im Vorlagebeschluß sowie in den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird offenbar davon ausgegangen, daß das italienische Dekret richtlinienkonform auszulegen ist, zumal es ausdrücklich auf die Richtlinien verweist . Diese Annahme wäre unter anderen Umständen sicherlich zutreffend . Der Gerichtshof hat ausgeführt, daß nationale Gerichte bei der Anwendung nationalen Rechts, insbesondere solcher Bestimmungen, die zur Durchführung einer Richtlinie erlassen wurden, ihr nationales Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen haben ( vgl . Rechtssache 14/83, Von Colson und Kamann, Slg . 1984, 1891 ). Dieser Auslegungsgrundsatz kann zur Folge haben, daß zwischen Bürgern Verpflichtungen entstehen und im Zivilprozeß durchsetzbar sind, die sich aus einer Auslegung allein des nationalen Rechts nicht ergeben würden .

25 . Dieser Auslegungsgrundsatz muß jedoch in Strafverfahren eingeschränkt werden, wenn er zu einer Strafbarkeit in Fällen führen würde, in denen sich diese aus dem nationalen Recht allein nicht ergäbe . Eine weite Auslegung strafrechtlicher Bestimmungen läuft nämlich einem fundamentalen Rechtsstaatsprinzip (" nullum crimen, nulla pöna sine lege ") zuwider .

26 . Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Richtlinie in Ermangelung von Durchführungsgesetzen nicht selbst die strafrechtliche Verantwortung von Bürgern begründen oder verschärfen, die der Richtlinie zuwiderhandeln ( vgl . Rechtssache 14/86, Pretore di Salo/Unbekannt, Slg . 1987, 2545; Rechtssache 80/86, Kolpinghuis Nijmegen, Slg . 1987, 3969 ). Entsprechende Grundsätze müssen aber gelten, wenn ein Mitgliedstaat eine Richtlinie durchgeführt hat und das Durchführungsgesetz zwar eine Strafbarkeit begründet, aber nicht den gesamten Straftatbestand klar und unzweideutig umschreibt . Von Gemeinschaftsrechts wegen sind nationale Gerichte nicht gehalten, nationales Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks von Richtlinien auszulegen, wenn dies zu einer Strafbarkeit führen würde, die ansonsten nicht gegeben wäre . Die vorlegenden Gerichte müssen entscheiden, ob das einschlägige nationale Recht auch ohne weite Auslegung, die dem Grundsatz des "nulla pöna sine lege" widerspräche, den Richtlinien konform ausgelegt werden kann .

27 . Was die zweite Frage in der Rechtssache C-359/88 anbetrifft, so hat der Gerichtshof in der Rechtssache Trän entschieden, daß in der Richtlinie 75/442 zwischen solchen Tätigkeiten, die der vorherigen Genehmigung bedürfen, und solchen unterschieden wird, die nur der Überwachung unterliegen . Jedoch seien die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Richtlinie frei, Genehmigungen auch in Fällen vorzuschreiben, in denen die Richtlinie nur eine Überwachung vorsehe .

28 . Die Beförderung von Abfällen im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie ist in Artikel 8 nicht unter den Tätigkeiten aufgeführt, für die die Unternehmen eine vorherige Genehmigung einzuholen haben . Nach Artikel 10 der Richtlinie unterliegt die Beförderung von Abfällen für Dritte der Überwachung, ohne daß eine vorherige Genehmigung vorgeschrieben wäre . Diese Bestimmungen können ohne weiteres ihrem Wortlaut gemäß angewandt werden . Andererseits hindert die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran, Genehmigungen für die Beförderung bestimmter Abfallkategorien vorzuschreiben, falls sie dies für zweckmässig erachten .

29 . Die dritte Vorlagefrage in der Rechtssache C-359/88 betrifft die Verpflichtungen, die den Mitgliedstaaten in Artikel 5 der Richtlinie 75/442 auferlegt sind . Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, nach dieser Bestimmung sei die Gültigkeit einer von der zuständigen Behörde erteilten Genehmigung auf den räumlichen Zuständigkeitsbereich dieser Behörde beschränkt . Werde Abfall von einem Gebiet in ein anderes transportiert, so wäre somit für jedes berührte Gebiet eine eigene Genehmigung erforderlich . Da dies zu praktischen Schwierigkeiten führen würde, sei eine Auslegung der Richtlinie zu erwägen, wonach die Zuständigkeit für die Erteilung solcher Genehmigungen Behörden mit einem den ganzen Staat umfassenden Zuständigkeitsbereich zukommen müsse .

30 . Diese dritte Frage in der Rechtssache C-359/88 bedarf aufgrund meiner bisherigen Ausführungen möglicherweise keiner Antwort . Ist aber eine Antwort erforderlich, so sollte der Gerichtshof insoweit den Entscheidungen in den Rechtssachen Kommission/Belgien und Trän folgen . Entsprechend dem Vorbringen der Kommission sollte jedoch hinzugefügt werden, daß eine übermässige Aufteilung der Zuständigkeiten zur Durchführung der Aufgaben nach Artikel 5 der Richtlinie die Erreichung von deren Zielen gefährden könnte und deshalb nicht zulässig ist .

31 . Die Fragen in den verbundenen Rechtssachen C-206/88 und C-207/88 und die erste Frage in der Rechtssache C-359/88 sollten deshalb wie folgt beantwortet werden :

"Nach Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie 75/442 des Rates vom 15 . Juli 1975 und nach Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie 78/319 des Rates vom 20 . März 1978 können Gegenstände oder Stoffe Abfälle im Sinne dieser Richtlinie auch dann sein, wenn sie wiederverwendet werden können, und das unabhängig von der Absicht des Besitzers bei ihrer Beseitigung .

Ein nationales Gericht braucht sein nationales Recht nicht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks einer Richtlinie auszulegen, wenn dies zur Strafbarkeit von Taten führen würde, die sonst nicht strafbar wären ."

32 . Die zweite Frage in der Rechtssache C-359/88 sollte wie folgt beantwortet werden :

"Nach Artikel 10 der Richtlinie 75/442 brauchen die Mitgliedstaten die Beförderung von Abfällen im Sinne des Artikels 1 Buchstabe a für Dritte nicht von der vorherigen Genehmigung der in Artikel 5 genannten zuständigen Behörde abhängig zu machen . Andererseits hindert die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran, in solchen Fällen die vorherige Genehmigung vorzuschreiben ."

33 . Die dritte Frage in der Rechtssache C-359/88 sollte erforderlichenfalls wie folgt beantwortet werden :

"Bei der Einsetzung oder Bestimmung der zuständigen Behörde oder Behörden im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 75/442 sind die Mitgliedstaaten nur insoweit beschränkt, als die Beachtung der Ziele der Richtlinie, nämlich des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt dies erfordert . Die Mitgliedstaaten dürfen daher die Zuständigkeit für die Aufgaben nach Artikel 5 nicht soweit aufteilen, daß die Erreichung dieser Ziele gefährdet ist ."

(*) Originalsprache : Englisch .

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