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Document 61983CC0293

    Schlussanträge des Generalanwalts Sir Gordon Slynn vom 16. Januar 1985.
    Françoise Gravier gegen Stadt Lüttich.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de première instance de Liège - Belgien.
    Diskriminierungsverbot: Zugang zur Berufsausbildung.
    Rechtssache 293/83.

    Sammlung der Rechtsprechung 1985 -00593

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1985:15

    SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    SIR GORDON SLYNN

    vom 16. Januar 1985 ( 1 )

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    In diesem Vorabentscheidungsersuchen des Präsidenten des Tribunal de première instance Lüttich gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag geht es um folgende Fragen:

    „1)

    Ist nach dem Gemeinschaftsrecht davon auszugehen, daß Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die sich nur zu dem Zweck in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begeben, um dort regelmäßig an Lehrveranstaltungen einer Anstalt teilzunehmen, die einen insbesondere der Berufsausbildung dienenden Unterricht durchführt, sich gegenüber dieser Anstalt auf Artikel 7 des EWG-Vertrages vom 25. März 1957 berufen können?

    2)

    Anhand welcher Kriterien läßt sich, falls dies zu bejahen ist, entscheiden, ob der Unterricht in der Fachrichtung Comic strips in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrages fällt?“

    Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens ist eine französische Staatsangehörige, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hat, wo auch ihre Eltern, die ebenfalls französische Staatsangehörige sind, leben. Im Jahre 1982 schrieb sie sich für einen vierjährigen Studiengang an der Académie Royale des Beaux-Arts ein, um die Fachrichtung Comic strips zu studieren, die Bestandteil des Kunststudiums an einer nichtuniversitären Hochschule ist.

    Derartige Hochschulen dürfen — anders als staatliche oder staatlich subventionierte Schulen des Sekundarbereichs und darunterliegender Bereiche, deren Besuch kostenlos ist, Einschreibegebühren erheben. Die Académie Royale erhebt von allen Studenten eine Einschreibegebühr, die sich im entscheidungserheblichen Zeitraum auf 10000 BFR im Jahr belief. Seit 1976 ist der Unterrichtsminister zudem ermächtigt, eine Studiengebühr für ausländische Studenten festzusetzen, deren Eltern nicht in Belgien wohnen und die staatliche oder staatlich subventionierte Unterrichtsanstalten eines bestimmten Niveaus, von der Vorschule bis zur Hochund Fachschule, besuchen. Für die Jahre 1982/83 und 1983/84 wurde die Studiengebühr für Studenten, die Kunst im Hauptfach studieren, durch Runderlaß auf 24622 BFR festgesetzt. Für andere Studiengänge des Fachbereichs Kunst galten höhere Gebühren, und für Naturwissenschaften und Medizin beliefen sich die Studiengebühren auf über 200000 BFR im Jahr.

    Die Antragstellerin beantragte die Befreiung von dieser Gebühr (die trotz der ihr im vorliegenden Fall zugeschriebenen studienfeindlichen Wirkung als „minervai“ bezeichnet wird) und wurde für das Jahr 1982/83 zum Studium zugelassen. Der Befreiungsantrag wurde im Oktober 1983 abgelehnt. Da sie sich weigerte, die Studiengebühr für dieses Jahr und das Jahr 1983/84 zu zahlen, wurde ihr die Einschreibung verweigert, so daß ihre Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert werden konnte. Darüber hinaus durften ihre Eltern ihr aufgrund der französischen Devisenkontrollvorschriften kein Geld mehr nach Belgien überweisen.

    Nachdem sie das nationale Gericht angerufen hatte, wurde ihr eine vorläufige Immatrikulationsbescheinigung ausgestellt; sie durfte ihr Studium fortsetzen, und ihre Eltern konnten ihr Geld überweisen.

    Die Kommission trägt, von der Antragsgegnerin und den Beteiligten unwidersprochen, vor, Belgien sei der einzige Mitgliedstaat, der von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten höhere Gebühren als von belgischen Staatsangehörigen erhebe; nur in Griechenland müßten belgische Studenten aus Gründen der Gegenseitigkeit höhere Gebühren als andere Studenten entrichten.

    Die belgische Regelung geht eindeutig von der Staatsangehörigkeit, und nicht vom Wohnsitz aus. Ein belgischer Staatsangehöriger braucht in keinem Fall die Studiengebühr zu zahlen, selbst wenn er zeit seines Lebens außerhalb Belgiens gewohnt hat und wenn seine Eltern außerhalb Belgiens wohnen und in Belgien keine Steuern zahlen. Nichtbelgier haben die Studiengebühr zu zahlen, sofern sie nicht befreit sind. Nach Angaben der Antragsgegner sind ungefähr 84 % der ausländischen Studenten (deren Zahl sich auf 4050 oder 4,25 % der Gesamtstudentenzahl beläuft) befreit; befreit sind vor allem

    a)

    Studenten, deren Mutter oder Vater die belgische Staatsangehörigkeit besitzen, in Belgien wohnen oder ihre Berufstätigkeit im wesentlichen dort ausüben und in Belgien steuerpflichtig sind,

    b)

    Studenten, die selbst in Belgien wohnen, ihre berufliche Tätigkeit im wesentlichen dort ausüben und in Belgien steuerpflichtig sind,

    c)

    luxemburgische Staatsangehörige und

    d)

    Studenten, die durch Ermessensentscheidung befreit werden, z. B. Staatsangehörige verschiedener Entwicklungsländer.

    Auch nach Berücksichtigung dieser Befreiungen gibt es anscheinend noch etwa 650 ausländische Studenten, die dieser Gebühr unterliegen.

    Auf den ersten Blick mag es überraschen, daß ein Mitgliedstaat diese Gebühr beibehält, wenn man die Präambel und die Ziele des EWG-Vertrages sowie die Vorteile für die Gemeinschaft und den einzelnen berücksichtigt, die sich aus der Möglichkeit ergeben, daß Studenten in anderen Mitgliedstaaten als dem eigenen studieren können, insbesondere wenn mit zunehmender Spezialisierung in bestimmten Bildungsstätten bestimmte Fächer besonders hervorgehoben und gefördert werden. Die Beibehaltung der Studiengebühr ist auch überraschend angesichts

    a)

    der dem Rat von der Kommission 1978 in Durchführung des vom Rat und den im Rat vereinigten Ministern für Bildungswesen 1976 verabschiedeten Aktionsprogramms betreffend u. a. Maßnahmen zur Förderung der Freizügigkeit und der Mobilität der Arbeitskräfte vorgelegten Vorschläge, die vom Rat und den Ministern für Bildungswesen 1980 grundsätzlich gebilligt worden sind und wonach Studiengebühren an Hochschulen für Studenten aus anderen Mitgliedstaaten „nicht höher sein [sollen] als für einheimische Studenten“ (vgl. ABl. C 38 vom 19. Februar 1976, S. 1, und Dok. KOM(78) 468 endg.), und

    b)

    der Entschließung des Europäischen Parlaments von 1982, in der Belgien aufgefordert wird, „alle diskriminierenden Maßnahmen bezüglich der Einschreibegebühr im Unterrichtswesen aufzuheben“ (ABl. C 334 vom 20. Dezember 1982, S. 93).

    Als sachliche Begründung für die Studiengebühr wurde in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, daß vor 1976 ein starker Zustrom von Studenten aus anderen Ländern der Gemeinschaft eingesetzt habe und daß Belgien gegenwärtig einen höheren Anteil von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten an der Gesamtzahl seiner Studenten aufzuweisen habe als jeder andere Mitgliedstaat. Die Gebühr, die weniger als 50% der tatsächlichen Unterrichtskosten ausmache, sei nicht mit dem Ziel einer Verringerung der Studentenzahlen, sondern „der Gewährleistung einer gewissen finanziellen Stabilität“ eingeführt worden. Sie stelle den Kostenbeitrag des ausländischen Studenten dar, der im Falle des belgischen Studenten aus den Steuern bestritten werde, die jeder in Belgien ansässige belgische Bürger zahle. Es ist streitig, ob die Zahl der Studenten, die nach Belgien kommen, seit 1976 durch die Erhebung der Studiengebühr tatsächlich — wie von der Kommission behauptet — gesunken ist.

    Der belgische Staat und die Communauté Française, die in Lüttich für den Unterricht im Fachbereich Kunst zuständig ist, machen geltend, die Bildungspolitik einschließlich der Erhebung von Studiengebühren falle weiterhin in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Sie vertreten, ebenso wie die dänische und die britische Regierung, die schriftliche Erklärungen abgegeben haben, die Auffassung, die Erhebung dieser Studiengebühr verstoße in keiner Weise gegen Gemeinschaftsrecht. Ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats habe nach dem EWG-Vertrag keinen Anspruch darauf, in einem anderen Mitgliedstaat zu Studienzwecken einzureisen oder zu einer Lehrveranstaltung unter denselben Bedingungen hinsichtlich Gebühren oder Stipendien wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats zugelassen zu werden. Etwas anderes gelte, wenn der Studienwillige bereits Wanderarbeitnehmer oder Familienangehöriger eines solchen sei. Artikel 7 EWG-Vertrag sei zu allgemein gefaßt, um derartige Ansprüche zu begründen; es gebe keine spezielle, aufgrund irgendeiner anderen Bestimmung des Vertrages erlassene Vorschrift des abgeleiteten Rechts, die diese allgemeine Bestimmung in irgendeiner Hinsicht weiter ausführe. Auch eine Berufung auf die Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag sei nicht möglich, da diese sich nicht auf das Bildungswesen oder andere staatliche Leistungen bezögen, die kostenfrei oder zu Gebühren erbracht würden, die keinen Zusammenhang mit ihren tatsächlichen Kosten aufwiesen und die im wesentlichen aus sozialpolitischen Gründen erbracht würden. Selbst wenn diese Bestimmungen des Vertrages dort anwendbar seien, wo private Träger Unterricht in Gewinnerzielungsabsicht erteilten, seien staatliche Träger aufgrund der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag ausgeschlossen. Andernfalls hätten Studenten aus anderen Mitgliedstaaten nicht nur einen Anspruch auf die für die eigenen Staatsangehörigen erbrachten Leistungen, die im wesentlichen aus den von den eigenen Staatsangehörigen gezahlten Steuern finanziert würden, sondern sie könnten den Staatsangehörigen des Mitgliedstaats den Zugang zu Bildungseinrichtungen versperren, wenn die Studentenzahlen in diesen Einrichtungen begrenzt seien. Von diesem Standpunkt aus ließe sich ferner argumentieren, daß sie auch Anspruch auf die den Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats gewährten Stipendien hätten, und zwar unter denselben Bedingungen wie diese. Dies sei in Anbetracht der unterschiedlichen Art und Höhe der Stipendien und der unterschiedlichen Zahlen von Studenten, die in die verschiedenen Mitgliedstaaten kämen, unvorstellbar. In jedem Falle sei das Recht zum Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat beschränkt auf die Dauer der empfangenen Dienstleistungen; es sei beabsichtigt gewesen, das Aufenthaltsrecht auf kurze Zeiträume zu beschränken.

    Nach Auffassung der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens muß die Europäische Gemeinschaft, wenn ihr eine wirkliche Bedeutung zukommen solle, Studenten die Möglichkeit geben, Bildungseinrichtungen in anderen Mitgliedstaaten zu besuchen. Sie verweist ebenso wie die Kommission im wesentlichen auf Artikel 59 EWG-Vertrag. Bei der Ausbildung handele es sich um eine Dienstleistung. Dies habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 31. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 286/82 und 26/83 (Luisi und Carbone/Ministero del Tesoro) anerkannt. Er habe ferner anerkannt, daß als notwendige Ergänzung zu dem Recht des Leistenden, sich zur Erbringung von Dienstleistungen in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, der Leistungsempfänger berechtigt sei, sich in den Mitgliedstaat des Leistenden zu begeben, um diese Leistungen dort zu empfangen. Leistungen im Bereich des Bildungswesens würden in der Regel gegen Entgelt erbracht. Darauf, daß der Student möglicherweise nicht die tatsächlichen Kosten zahle, komme es nicht an. Solange nämlich der Leistungserbringer bezahlt werde, sei es unerheblich, wer zahle. Während des Studiums habe der Student als Dienstleistungsempfänger ein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 (ABl. L 172 vom 28. Juni 1973, S. 14). Die Erhebung einer Sondergebühr von einem Ausländer könne schwerwiegende Probleme für ihn schaffen oder ihn sogar an der Aufnahme eines Studiums hindern. Dies sei eine Beschränkung des Rechts zur Teilnahme an einer Lehrveranstaltung, die negative Folgen für den Studenten und für die Gemeinschaft habe. Sie verstoße gegen das vom Rat und den Ministern für Bildungswesen 1976 verabschiedete Aktionsprogramm, das den Erlaß einer Reihe von Maßnahmen zur Förderung der Freizügigkeit und der Mobilität der Arbeitskräfte vorsehe. Es verstoße auch gegen die (oben erwähnten) dem Rat 1978 von der Kommission vorgelegten Vorschläge, die vom Ausschuß für Bildungsfragen gebilligt worden seien und denen der Rat und die Minister für Bildungswesen 1980 grundsätzlich zugestimmt hätten. Es liege ferner ein Verstoß gegen Artikel 7 EWG-Vertrag vor, da eine an die Staatsangehörigkeit anknüpfende zusätzliche Gebühr die Freiheit des Studenten beeinträchtige, eine fachspezifische berufsbildende Lehrveranstaltung zu besuchen, die ihn auf eine Tätigkeit in einem bestimmten Gebiet vorbereiten solle, und da diese Gebühr der Verwirklichung des freien Personenverkehrs im Sinne von Artikel 3 Buchstabe c EWG-Vertrag entgegenstehe.

    Die aufgeworfenen Probleme sind ebenso schwierig wie delikat, nicht zuletzt deswegen, weil ihre Lösung möglicherweise Auswirkungen auf Bereiche hat, die über die in der vorliegenden Rechtssache allein zur Debatte stehenden Studiengebühren hinausgehen.

    Auch wenn die Antragstellerin und die Kommission sich hauptsächlich auf Artikel 59 EWG-Vertrag berufen, der zum Kapitel 3 („Dienstleistungen“) des Titels III — „Die Freizügigkeit, der freie Dienstleistungs und Kapitalverkehr“ — gehört, halte ich es für angebracht, mit der einzigen Bestimmung des Vertrages, die im Vorlagebeschluß genannt ist, nämlich mit Artikel 7, zu beginnen, der zum Ersten Teil — „Grundsätze“ — gehört. Dieser Artikel lautet:

    „Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Der Rat kann mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der Versammlung Regelungen für das Verbot solcher Diskriminierungen treffen.“

    Es ist offensichtlich, daß die streitige Gebühr eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellt. Fällt diese Diskriminierung in den „Anwendungsbereich“ des Vertrages? Alle Beteiligten sind sich einig, daß das Bildungswesen als solches nicht unter den Aufgaben oder Tätigkeiten der Gemeinschaft aufgeführt ist. Jedoch ist das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache 9/74 (Casagrande/Landeshauptstadt München, Slg. 1974, 773) zitiert worden, in dem es in Randnr. 6 der Entscheidungsgründe heißt:

    „Die Bildungspolitik gehört zwar als solche nicht zu den Materien, die der Vertrag der Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane unterworfen hat. Daraus folgt aber nicht, daß die Ausübung der der Gemeinschaft übertragenen Befugnisse irgendwie eingeschränkt wäre, wenn sie sich auf Maßnahmen auswirken kann, die zur Durchführung etwa der Bildungspolitik ergriffen worden sind. Unter anderem enthalten die Kapitel 1 und 2 des Titels III im Zweiten Teil des Vertrages mehrere Vorschriften, deren Anwendung gegebenenfalls Auswirkungen auf jene Politik haben kann.“

    In der Rechtssache 152/82 (Forcheri/Belgien, Slg. 1983, 2323) mußte sich der Gerichtshof auch mit der Frage befassen, „ob der Zugang zu Bildungsveranstaltungen, insbesondere solchen der Berufsausbildung, zum Anwendungsbereich des Vertrages gehört“ (Randnr. 13 der Entscheidungsgründe).

    Artikel 128 EWG-Vertrag sieht vor, daß der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Wirtschafte- und Sozialausschusses in bezug auf die Berufsausbildung allgemeine Grundsätze zur Durchführung einer gemeinsamen Politik aufstellt, die zu einer harmonischen Entwicklung sowohl der einzelnen Volkswirtschaften als auch des Gemeinsamen Marktes beitragen kann. Mit dem Beschluß 63/266/EWG vom 2. April 1963 (ABl. 1963, S. 1338) hat der Rat allgemeine Grundsätze für die Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung aufgestellt. In dem Beschluß heißt es erneut, daß die Durchführung einer gemeinsamen Politik wirksamer Berufsausbildung die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer fördern werde und daß jeder während der verschiedenen Abschnitte seines Erwerbslebens die Möglichkeit einer angemessenen Ausbildung, der Fortbildung und einer etwa erforderlichen Umschulung haben müsse. Es wird der Grundsatz aufgestellt, daß die gemeinsame Politik der Berufsausbildung als grundlegendes Ziel unter anderem anzustreben habe den Zugang jedes einzelnen zu einer höheren Stellung im Beruf oder seine Vorbereitung auf eine neue, gehobenere Tätigkeit entsprechend seinen Neigungen, Fähigkeiten, Kenntnissen und Berufserfahrungen durch ständige Maßnahmen zur Förderung des beruflichen Aufstiegs.

    Gestützt auf Artikel 128 und den Beschluß 63/266 stellte der Gerichtshof in der Rechtssache Forcheri (a. a. O., Randnrn. 17 f. der Entscheidungsgründe) fest:

    „Daraus folgt, daß zwar die Bildungs- und Ausbildungspolitik als solche nicht zu den Gebieten gehört, die nach dem Vertrag in die Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane fallen, daß aber der Zugang zu derartigen Formen der Ausbildung in den Anwendungsbereich des Vertrages fällt.

    Führt daher ein Mitgliedstaat Bildungsveranstaltungen durch, die insbesondere der Berufsausbildung dienen, so stellt es eine nach Artikel 7 EWG-Vertrag verbotene Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar, wenn er bei einem in diesem Staat rechtmäßig wohnhaften Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats die Teilnahme an solchen Bildungsveranstaltungen von der Entrichtung einer Studiengebühr abhängig macht, die von seinen eigenen Staatsangehörigen nicht verlangt wird.“

    Zwischen jenem Fall und dem vorliegenden bestehen Unterschiede. Frau Forcheri war die Ehefrau eines Beamten der Gemeinschaften, der gezwungen war, in Belgien zu leben. Der Gerichtshof bestätigte, daß ein solcher Beamter in den Genuß aller Vorteile kommen können müsse, die sich für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Freizügigkeit, der Niederlassungsfreiheit und der sozialen Sicherheit aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben. Die Freizügigkeit nach Artikel 48 EWG-Vertrag ist nach den Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates (ABl. 1968, L 257, S. 2) ein Grundrecht der Arbeitnehmer und ihrer Familien. Gemäß Artikel 7 dieser Verordnung kann der Arbeitnehmer selbst unter den gleichen Bedingungen wie die inländischen Arbeitnehmer „Berufsschulen und Umschulungszentren in Anspruch nehmen“. Darüber hinaus müssen die Kinder eines solchen Arbeitnehmers nach Artikel 12 unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats zum allgemeinen Unterricht sowie zur Lehrlings- und Berufsausbildung zugelassen werden, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen. Für Ehefrauen war eine derartige Bestimmung nicht vorgesehen, doch entschied der Gerichtshof, daß ihre Rechtslage aufgrund der oben dargelegten allgemeinen Grundsätze dieselbe sei.

    Da die Antragstellerin weder Arbeitnehmerin noch das Kind oder die Ehefrau eines Arbeitnehmers ist, besaß sie nach den Vorschriften dieser Verordnung kein Recht zum Aufenthalt in Belgien. Dies nimmt ihrem Begehren — wie vorgetragen worden ist — jede Erfolgsaussicht, da sie nicht den Nachweis erbringen könne, daß sie bereits vor ihrem Antrag auf Zulassung zum Studium „rechtmäßig wohnhaft“ war.

    Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens gehört eindeutig nicht zu dem Personenkreis, um den es konkret in der Rechtssache Forcheri ging, und sie kann sich nicht darauf berufen, daß auch ihr Fall bereits durch jenen entschieden sei. Ich verstehe jenes Urteil allerdings nicht so, als sei die notwendige Vorbedingung für das Recht zur Teilnahme an einer bestimmten Berufsbildungsveranstaltung ein bereits bestehendes Aufenthaltsrecht. Natürlich war Frau Forcheri nach dem Sachverhalt „rechtmäßig wohnhaft“, und es bestünde kein Anlaß, jemandem, der sich rechtswidrig in einem Land aufhielte, das Recht zur Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung zu gewähren. Zu klären bleibt meines Erachtens die Frage, ob von einer Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats für die Aufnahme eines Studiums allein deswegen eine höhere Gebühr erhoben werden darf, weil sie nicht die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats besitzt, in dem die Bildungsveranstaltung durchgeführt wird.

    Für die Berufsausbildung sind als Ausgangspunkte Artikel 128 EWG-Vertrag und der Beschluß 63/266 heranzuziehen. Über die vom Gerichtshof in der Rechtssache Forcheri zitierten Passagen hinaus heißt es in dem Beschluß, daß jedem einzelnen eine angemessene Ausbildung bei freier Wahl des Berufs, der Ausbildungsstätte sowie des Ausbildungs- und Beschäftigungsorts ermöglicht werden muß. Die anzuwendenden allgemeinen Grundsätze gelten für die Ausbildung Jugendlicher und Erwachsener, die für eine Berufstätigkeit in Betracht kommen oder eine solche Tätigkeit bereits ausüben. „Die Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze obliegt im Rahmen des Vertrages den Mitgliedstaaten und den zuständigen Organen der Gemeinschaft.“ So soll die Kommission gemäß dem vierten Grundsatz in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten „auf dem Gebiet der Berufsausbildung Studien und Forschungsarbeiten durchfführen], um die Verwirklichung der gemeinsamen Politik zu gewährleisten und insbesondere die berufliche Verwendbarkeit und örtliche und berufliche Freizügigkeit der Arbeitskräfte innerhalb der Gemeinschaft zu fördern“. Es ist ein Informations-, Erfahrungs- und Ausbilderaustausch vorgesehen, und es soll eine Angleichung der Prüfungsbedingungen angestrebt werden.

    Dieser Beschluß, zusammen mit den Empfehlungen der Kommission vom 18. Juli 1966 über die Berufsberatung (66/484/EWG), den Allgemeinen Leitlinien zur Ausarbeitung eines gemeinschaftlichen Tätigkeitsprogramms auf dem Gebiet der Berufsausbildung des Rates (ABl. C 81 vom 12. August 1971, S. 5), der Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Minister für Bildungswesen vom 13. Dezember 1976 betreffend Maßnahmen zur besseren Vorbereitung der Jugendlichen auf den Beruf und zur Erleichterung ihres Übergangs von der Schule zum Berufsleben (ABl. C 308 vom 30. Dezember 1976, S. 1) und der Entschließung des Rates vom 11. Juli 1983 über die Berufsbildungspolitik in der Europäischen Gemeinschaft während der achtziger Jahre (ABl. C 193 vom 20. Juli 1983, S. 1), zeigt, daß die Gemeinschaftsorgane dem Angebot und der Verbesserung der Berufsausbildung in der ganzen Gemeinschaft besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben. Ohne Zweifel beruhen sie zu einem Teil auf dem Bestreben, die Lebensqualität und den Lebensstandard der Arbeitnehmer der Gemeinschaft zu verbessern und hierdurch die wirtschaftliche Entwicklung und Expansion zu fördern. Sie sollen meines Erachtens ferner die Mobilität der Arbeitskräfte innerhalb der Gemeinschaft gewährleisten. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß jemand, der möglicherweise in einem anderen Mitgliedstaat (unter Wahrnehmung seiner Rechte aus Artikel 48) arbeiten, sich in einem anderen Mitgliedstaat (unter Wahrnehmung seiner Rechte aus Artikel 52) niederlassen oder (unter Wahrnehmung seiner Rechte als Erbringer von Dienstleistungen aus Artikel 59) in einem speziellen Beschäftigungsverhältnis Dienstleistungen erbringen will, in diesem Mitgliedstaat eine Ausbildungsveranstaltung besuchen oder eine Qualifikation erwerben muß. Dies gilt wohl für Ausbildungs- und Nichtausbildungsberufe, in denen es in den einzelnen Ländern besondere berufliche Techniken und Praktiken gibt, ebenso wie für eine beruflich qualifizierte Person, die den vom Staat oder einem Berufsverband festgelegten Ausbildungsanforderungen genügen muß. Die Inanspruchnahme der Freizügigkeit zum Erwerb einer Qualifikation, sei es durch ein formelles Abschlußzeugnis oder durch die im Rahmen einer Ausbildungsveranstaltung erworbene Erfahrung, ist notwendiger Bestandteil des Rechts, sich in ein bestimmtes Land zu begeben, um dort zu arbeiten. Das eine ist die Vorbedingung für das andere, und meiner Auffassung nach fällt eine solche Form der Berufsausbildung in den „Anwendungsbereich“ des Vertrages im Sinne von Artikel 7. Hinsichtlich der Bedingungen, unter denen Studenten aus den Mitgliedstaaten an einer solchen Berufsausbildung teilnehmen können, darf es keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit geben.

    Der Wunsch, in einem bestimmten Mitgliedstaat eine Qualifikation zu erwerben, um dort eine Beschäftigung aufzunehmen oder einem Geschäft, Gewerbe oder freien Beruf nachzugehen, ist meines Erachtens zwar der eindeutigste, jedoch nicht der einzige Fall einer Berufsausbildung, die in den Anwendungsbereich des Vertrages fällt.

    Es mag Fächer geben, die in einigen Mitgliedstaaten nicht oder nur zum Teil unterrichtet werden; es ist denkbar, daß der Unterricht in einem Fach in einem Mitgliedstaat besser ist als in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Studienbewerber ist; in einigen technischen Fächern mag es für den Studenten nützlich sein, am Unterricht in Einrichtungen verschiedener Mitgliedstaaten teilzunehmen, die unterschiedliche Methoden anwenden. Dies sind lediglich Beispiele, aber wenn der Student später als ausgebildeter Arbeitnehmer oder als Niederlassungswilliger in vollem Umfang mobil sein will, mag es für ihn nützlich oder sogar notwendig sein, seinen Heimatstaat zu verlassen, um eine Ausbildung oder Qualifikation zu erwerben. Er hätte dieses Recht unstreitig, wenn er eine Ausbildung als Arbeitnehmer erworben hätte und sich in einen anderen Mitgliedstaat zur Aufnahme einer Beschäftigung begäbe oder in einem anderen Mitgliedstaat ein Geschäft eröffnete. Meines Erachtens hat er als notwendigen Bestandteil seines Rechts auf Freizügigkeit als Arbeitnehmer auch einen Anspruch darauf, nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden, wenn er sich im Rahmen seiner Ausbildung, sei es vor oder nach Aufnahme seiner Berufstätigkeit, in ein anderes Land begeben will.

    Im Hinblick auf Artikel 7 fällt die Berufsausbildung meines Erachtens ganz allgemein in den Anwendungsbereich des Vertrages, unabhängig davon, ob der Student sich bereits darüber klar ist, ob er in einem anderen Mitgliedstaat als seinem eigenen arbeiten oder sich niederlassen will und ohne daß er einen sachlichen Grund dafür angeben müßte, warum er eine bestimmte Schule oder ein bestimmtes Land für seine Ausbildung gewählt hat.

    Ein Student, dessen Teilnahme an einer Lehrveranstaltung von der Zahlung der für Ausländer auf dem Gebiet der Berufsausbildung vorgesehenen zusätzlichen Studiengebühren abhängig gemacht wird, ist meines Erachtens berechtigt, das Studium aufzunehmen, ohne die diskriminierende Studiengebühr zahlen und ohne anderweitig den Nachweis erbringen zu müssen, daß er in dem betreffenden Mitgliedstaat „rechtmäßig wohnhaft“ ist.

    In Beantwortung der zweiten Frage (die relevant wird, wenn diese Lösung der ersten Frage akzeptiert wird) vertrete ich die Auffassung, daß eine Ausbildung, die auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet und unmittelbar zu einer solchen Qualifikation führt oder die — soweit keine formelle Qualifikation verlangt wird — die Ausbildung und die Fertigkeiten vermittelt, die für einen solchen Beruf oder eine solche Beschäftigung erforderlich sind, und die über den allgemeinbildenden Unterricht hinausgeht, Berufsausbildung ist. Dieser Begriff ist nicht auf manuelle oder praktische Tätigkeiten beschränkt, sondern umfaßt alle Berufe und Beschäftigungen. Er ist ferner nicht beschränkt auf die zusätzliche Ausbildung oder Fortbildung von Personen, die die fragliche Beschäftigung bereits ausüben.

    Obwohl die allgemeine Schulbildung in den Gemeinschaftsdokumenten, auf die die Beteiligten Bezug genommen haben, genannt wird, besteht meines Erachtens kein so klarer Zusammenhang zwischen dieser und den Artikeln 48 oder 52 oder irgendeiner anderen Bestimmung als dem Artikel 59 (zu dem ich im folgenden Stellung nehmen werde), daß sich die allgemeine Schulbildung auf der Grundlage der hier vorgetragenen Argumente in den Anwendungsbereich des Vertrages einbeziehen ließe mit der Folge, daß das Verbot des Artikels 7 Geltungskraft erlangte.

    Es ist im vorliegenden Fall Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob das fragliche Studium zur Berufsausbildung gehört. Ausgehend vom unstreitigen Sachverhalt ist dies wohl der Fall. Wenn der Gerichtshof zu der Auffassung gelangt, daß die Antragstellerin den Nachweis erbracht hat, daß eine Berufsausbildung vorliegt und daß eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bei Studiengebühren im Rahmen einer derartigen Berufsausbildung durch Artikel 7 EWG-Vertrag in Verbindung mit den Artikeln 48, 52 und 59 verboten ist, braucht er nicht auf das Hauptargument einzugehen, wonach eine derartige Ungleichbehandlung in jedem Falle gegen Artikel 59 verstößt. Für den Fall, daß der Gerichtshof Artikel 7 nicht für anwendbar hält, muß ich allerdings dieses Argument prüfen.

    Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs „für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind“, waren während der Übergangszeit aufzuheben. In dem Urteil Luisi und Carbone entschied der Gerichtshof, zur Erbringung der Dienstleistungen könne sich der Leistungsempfänger in den Mitgliedstaat begeben, in dem der Leistende ansässig sei. Dies sei die notwendige Ergänzung zu dem in Artikel 60 EWG-Vertrag ausdrücklich erwähnten Recht des Leistenden, und sie entspreche dem Ziel, jede „gegen Entgelt geleistete Tätigkeit“, die nicht unter den freien Waren- und Kapitalverkehr und unter die Freizügigkeit der Personen falle, zu liberalisieren. Die Richtlinie 73/148 des Rates vom 21. Mai 1973 (ABl. 1973, L 172, S. 14) räume sowohl dem Leistungserbringer als auch dem Leistungsempfänger ein Aufenthaltsrecht entsprechend der Dauer der Dienstleistung ein. Schließlich wurde in diesem Urteil festgestellt, daß der freie Dienstleistungsverkehr die Freiheit der Leistungsempfänger einschließe, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkungen — und zwar auch im Hinblick auf Zahlungen — daran gehindert zu werden, und daß Touristen sowie Personen, die eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen, und solche, die Studien- oder Geschäftsreisen unternehmen, als Empfänger von Dienstleistungen anzusehen seien. Seit dem Ende der Übergangszeit hätten demnach die Beschränkungen der Zahlungen, die sich auf den Dienstleistungsverkehr beziehen, beseitigt sein müssen.

    Es ist vorgetragen worden, die Antragstellerin sei, da Ausbildung eine Dienstleistung sei, folglich berechtigt gewesen, sich zur Aufnahme ihres Studiums nach Lüttich zu begeben, ohne daß ihr Recht auf Teilnahme hieran Beschränkungen unterliege. Insbesondere habe sie nicht dadurch diskriminiert werden dürfen, daß von ihr eine höhere Studiengebühr als von belgischen Studenten erhoben worden sei. Daß es sich bei der Ausbildung um eine Dienstleistung handele, ergebe sich ferner aus der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie, die den Unterricht von den normalerweise steuerpflichtigen Dienstleistungen ausnehme.

    Nach Artikel 60 EWG-Vertrag gelten als Dienstleistungen gewerbliche und kaufmännische sowie handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten. Da dies keine abschließende Definition ist, kann die Erteilung von Unterricht meines Erachtens ohne weiteres eine Dienstleistung darstellen, die unter eine andere Bestimmung dieses Artikels fällt.

    Artikel 60 Absatz 1 bestimmt allerdings: „Dienstleistungen im Sinne dieses Vertrages sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren-und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen.“

    Der Gerichtshof hat bereits entschieden, daß bestimmte Tätigkeiten insoweit Dienstleistungen im Rahmen der Artikel 59 bis 66 EWG-Vertrag darstellen, als sie einen Teil des Wirtschaftslebens im Sinne von Artikel 2 des Vertrages ausmachen (Rechtssachen 36/74, Walrave/Union Cycliste Internationale, Slg. 1974, 1409, und 13/76, Donà/Mantero, Slg. 1976, 1333).

    Es ist vorgetragen worden, die Unterrichtstätigkeit werde in der Regel bezahlt; die damit erbrachte Dienstleistung werde somit „in der Regel gegen Entgelt erbracht“, und es komme nicht darauf an, wer zahle. Dies mag für den privaten Unterricht in einer gewinnorientierten Einrichtung zutreffen; die wirkliche Frage ist jedoch, ob der Unterricht, der in einer ganz oder teilweise vom Staat finanzierten Schule erteilt wird, für deren Besuch der Student keine Gebühr oder eine Gebühr zahlt, die nur einen, womöglich sehr geringen, Teil der Unterrichtskosten ausmacht, als Dienstleistung im Sinne der Definition anzusehen ist.

    Die Antragstellerin stützt sich auf die Schlußanträge des Generalanwalts Warner in der Rechtssache 52/79 (Debauve, Slg. 1980, 833, 876), nach dessen Ansicht es sich dort um eine Dienstleistung handelte, auf die der Vertrag Anwendung findet, „und zwar unabhängig davon, durch wen die Zahlung im Einzelfall erfolgt“. In jenem Fall ging es allerdings um Fernsehsendungen, die entweder aus den von den Besitzern von Fernsehgeräten bezahlten Gebühren oder aus den von Werbungtreibenden bezahlten Gebühren finanziert wurden. Er hat gewiß nicht an den vorliegenden Fall gedacht, in dem der Staat eine angebliche Dienstleistung aus Steuermitteln finanziert.

    Der öffentliche oder private Charakter des Unterrichts ändert natürlich nicht zwangsläufig die Natur der erbrachten Leistung, so daß es gerechtfertigt ist, danach zu fragen, was „die Regel“ ist — entgeltlicher oder unentgeltlicher Unterricht —, und anhand des Ergebnisses zu entscheiden, ob Unterricht generell eine Dienstleistung im Sinne des Vertrages ist. Wenn „in der Regel“ gleichbedeutend mit „in den meisten Fällen“ ist, so wird die Antwort für die ganze Gemeinschaft so aussehen, daß Unterricht in den meisten Fällen in staatlichen Einrichtungen erteilt wird, auch wenn es nicht selten und in bestimmten Fällen sogar die Regel — im allgemeinen Wortsinne — ist, daß die Unterrichtsteilnehmer oder ihre Eltern die wirtschaftlichen Kosten des Unterrichts zu tragen haben. Zu demselben Ergebnis gelangt man meines Erachtens, wenn „in der Regel“ eher „gewöhnlich“ als „in den meisten Fällen“ bedeutet.

    Letztlich bin ich nicht überzeugt, daß diese generelle Betrachtungsweise zur richtigen Lösung führt. In einigen Fällen wird Unterricht im Rahmen einer geschäftlichen Tätigkeit mit dem Ziel der Kostendeckung und der Gewinnerzielung erteilt. Damit diese Art des Unterrichts als Dienstleistung qualifiziert werden kann, ist es nicht erforderlich, daß der Student selbst zahlt. Es genügt, wenn jemand anders Gebühren zahlt, die in etwa den wirtschaftlichen Kosten entsprechen.

    Beim staatlichen Unterricht dagegen handelt es sich nicht um eine Geschäftstätigkeit mit dem Ziel der Kostendeckung und der Gewinnerzielung, sondern um eine sozialpolitische Aufgabe; der Staat trägt die Unterrichtskosten ganz oder zum überwiegenden Teil selbst. Ein solcher Unterricht wird meines Erachtens nicht „gegen Entgelt“ im Sinne des Artikels 60 erteilt. Selbst wenn also der Charakter der Dienstleistungen ähnlich ist, so ist ihre wirtschaftliche Einstufung doch verschieden. Ich halte daher Unterricht, der vom Staat oder im wesentlichen vom Staat erteilt wird, nicht für eine Dienstleistung im Sinne des EWG-Vertrages. Der Umstand, daß ein Student hierfür etwas zahlt, reicht nicht aus, um ihn zu einer Dienstleistung zu machen. Dagegen halte ich Unterricht, der von einem privaten Veranstalter mit Gewinnerzielungsabsicht erteilt wird, für eine Dienstleistung.

    Wenn es falsch ist, so zwischen den beiden Arten der Unterrichtserteilung zu unterscheiden, wird man — obwohl dies eine Tatfrage ist — davon ausgehen müssen, daß Unterricht in der Regel, d. h. in den meisten Fällen oder gewöhnlich, nicht gegen Entgelt im Sinne des Vertrages erteilt wird. Dies halte ich jedoch für ein realitätsfremdes Ergebnis, das mit dem Urteil in den Rechtssachen Luisi und Carbone nicht übereinstimmt, in dem zwar die Kernfrage des vorliegenden Falls nicht entschieden, jedoch deutlich davon ausgegangen wurde, daß manche Arten von Unterricht Dienstleistungen im Sinne des Vertrages sind, ohne daß allerdings festgestellt worden wäre, daß dies auf den Unterricht insgesamt zutreffe.

    Ich halte es für legitim, sowohl den wirtschaftlichen Charakter als auch die Eigenart der im Bildungswesen erbrachten Dienstleistungen zu berücksichtigen. Dieses Vorgehen findet eine Stütze in Artikel 58 EWG-Vertrag, der durch Artikel 66 auch in das Kapitel 3 aufgenommen worden ist. Dieser Artikel nimmt von den natürlichen Personen, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind, gleichgestellten Gesellschaften diejenigen aus, die keinen Erwerbszweck verfolgen. Solche Gesellschaften, die keinen Erwerbszweck verfolgen, haben nicht das Recht, sich in anderen Mitgliedstaaten ohne Beschränkungen niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen. Als notwendige Ergänzung hierzu hat der etwaige Leistungsempfänger kein Recht aus dem Vertrag, sich ohne Beschränkung zu ihnen zu begeben, um die Leistungen zu empfangen. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die betreffende Einrichtung einen Gewinn erzielt, sondern darauf, ob sie dies bezweckt, wie aus der französischen Fassung („à l'exception des sociétés qui ne poursuivent pas de but lucratif“) deutlich wird.

    Da das staatliche Bildungswesen im wesentlichen aus den Steuern finanziert wird, die die im Lande ansässigen Staatsangehörigen zahlen, ist das Argument, es sei nicht diskriminierend, wenn von denen, die keinen unmittelbaren oder mittelbaren Beitrag zum Gemeinwohl leisteten, ein gewisser Beitrag verlangt werde, sehr überzeugend. Dies trifft allerdings im vorliegenden Fall nicht zu, da nicht steuerpflichtige Staatsangehörige und bestimmte andere Personengruppen, die sich in keiner Weise an den Unterrichtskosten beteiligen oder die davon befreit werden können, die Gebühr nicht zu zahlen brauchen.

    Es ist vorgetragen worden, Unterricht der hier in Rede stehenden Art stelle deswegen keine Dienstleistung dar, weil Dienstleistungen grundsätzlich von kurzer Dauer seien und kein längeres Aufenthaltsrecht begründeten. Dies halte ich für einen falschen Ansatz. Das Aufenthaltsrecht muß auf die Dauer der Ausbildungsveranstaltung — bei der es sich auch wirklich um eine solche handeln muß — beschränkt sein, um irgendwelche Rechte begründen zu können, soweit Unterricht eine Dienstleistung darstellt, wie die Richtlinie 73/148 zeigt.

    Der Gerichtshof ist auf die möglichen Auswirkungen des Urteils in dieser Sache auf andere Bereiche, insbesondere auf die Frage der Stipendien, hingewiesen worden. In diesen Schlußanträgen geht es nicht darum, Stipendien in Gegenüberstellung zu der Erhebung von Studiengebühren zu behandeln. Der Gerichtshof hat keine ausreichende Kenntnis davon, auf welcher Grundlage sie innerhalb der Gemeinschaft gewährt werden, um hierzu Stellung nehmen zu können. In jedem Fall gibt es wohl prima facie eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen a) Studiengebühren, die von der Einrichtung erhoben werden, die den Unterricht erteilt, und b) staatlichen oder kommunalen Stipendien für Studenten, soweit der Staat nicht selbst für Unterkunft und Verpflegung sorgt. Selbst wenn es demjenigen, der diese Leistungen erbringt, untersagt wäre, Studenten aus anderen Mitgliedstaaten aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu diskriminieren, stellt die Gewährung von Stipendien meines Erachtens keine Dienstleistung im Sinne der Artikel 59 und 60 dar.

    So wünschenswert es scheinen mag, den allgemeinbildenden Unterricht für Studenten in der ganzen Gemeinschaft allgemein und unter gleichen Bedingungen zugänglich zu machen, halte ich dies daher entgegen dem Vorbringen der Kommission für noch nicht erreicht.

    Ich komme also zu folgendem Ergebnis :

    1)

    Es verstößt gegen Artikel 7 in Verbindung mit den Artikeln 48, 52 und 59 EWG-Vertrag, wenn Einrichtungen für die Berufsausbildung (nicht aber für andere Unterrichtsformen) in einem Mitgliedstaat Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, die sich ausschließlich zur Teilnahme an einer solchen Berufsausbildung im Ausbildungsstaat aufhalten, bei den Erhebung von Studiengebühren aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminieren.

    2)

    Berufsausbildung ist die Form von Unterricht, die auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet und unmittelbar zu einer solchen Qualifikation führt oder die — soweit keine formelle Qualifikation verlangt wird — die Ausbildung und die Fertigkeiten vermittelt, die für einen solchen Beruf oder eine solche Beschäftigung erforderlich sind, und die über den allgemeinbildenden Unterricht hinausgeht. Dieser Begriff ist nicht auf manuelle oder praktische Tätigkeiten beschränkt, sondern umfaßt alle Berufe und Beschäftigungen; er schließt die Ausbildung von Personen ein, die noch nicht ins Berufsleben eingetreten sind, und von solchen, die bereits eine Beschäftigung ausüben.

    Über die Kosten der Beteiligten des Ausgangsverfahrens hat das vorlegende Gericht zu entscheiden. Hinsichtlich der Kosten der anderen Verfahrensbeteiligten bedarf es keiner Entscheidung.


    ( 1 ) Aus dem Englischen übersetzt.

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