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Document 61963CC0084

Schlussanträge des Generalanwalts Lagrange vom 3. Juni 1964.
J.A.G. Baron de Vos van Steenwijk gegen Kommission der Europäischen Atomgemeinschaft.
Rechtssache 84-63.

Englische Sonderausgabe 1964 00695

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1964:33

Schlußanträge des Generalanwalts

HERRN MAURICE LAGRANGE

3. Juni 1964

Aus dem Französischen übersetzt

Herr Präsident, meine Herren Richter!

In diesem Rechtsstreit — des Barons de Vos van Steenwijk gegen die Kommission der Europäischen Atomgemeinschaft — beantragt der Kläger:

1.

Die Aufhebung der Verfügung, mit der die Kommission auf Grund der seine Übernahme nach Artikel 102 des Statuts ablehnenden Stellungnahme des Überleitungsausschusses seinen Vertrag gekündigt hat;

2.

Schadenersatz, dessen Betrag er ohne Zögern mit 5 Millionen lfrs bemißt.

Zwar sind die Anträge etwas ausführlicher gefaßt, sie lassen sich jedoch auf die beiden angegebenen Punkte zurückführen; dabei stellt der erste Antrag eine Nichtigkeitsklage nach Artikel 91 des Statuts dar, der zweite (und entgegen der Annahme des Klägers nur der zweite) eine Klage mit unbeschränkter Rechtsprechung (pleine juridiction).

Meine Ausführungen werden kurz sein, denn einmal sind Sie über den Sachverhalt durch das schriftliche Verfahren, den Akteninhalt und die Zeugenvernehmung so eingehend wie möglich unterrichtet, zum anderen sind die Rechtsfragen durch Ihre Rechtsprechung, insbesondere durch das Urteil Leroy, weit gehend geklärt.

I

Der Aufhebungsantrag

Ich folge in der Gliederung dem Sitzungsbericht des Berichterstatters.

Die erste Rüge ist auf die Fehlerhaftigkeit des Überleitungsverfahrens gestützt. Hierzu beruft der Kläger sich:

1.

auf die Fehler, die im Zusammenhang mit seiner Probezeit und bei der Verlängerung dieser Probezeit begangen worden seien;

2.

auf die Fehlerhaftigkeit des Überleitungsverfahrens selbst.

a)

Probezeit

Seine Probezeit, so führt der Kläger aus, sei am 15. November 1961 abgelaufen. Am 16. Februar 1962 sei jedoch über ihn ein — in seiner Gesamtheit sehr günstiger — „Probezeitbericht“ erstattet worden; im Anschluß daran habe der Direktor des Zentrums eine Verlängerung der Probezeit um 6 Monate bis zum 15. Mai 1962 verfügt. Zu diesem Zeitpunkt hätte ein zweiter Probezeitbericht erstellt werden müssen. Dies sei jedoch erst im November 1962 geschehen, und zwar in Form eines „Berichts über die Befähigung“, der sehr viel weniger günstig als der erste Bericht gewesen sei und auf den der Überleitungsausschuß sich in Wahrheit gestützt habe.

Der Kläger macht geltend, nach dem Inkrafttreten des Statuts habe eine Verlängerung der Probezeit nicht mehr verfügt werden dürfen, da Artikel 34 des Statuts nicht anwendbar gewesen sei. Gehe man aber von seiner Anwendbarkeit aus, so sei jedenfalls gegen ihn verstoßen worden, da der zweite Probezeitbericht erst vom November 1962 datiere, während die Probezeit schon am 15. Mai desselben Jahres abgelaufen sei. Diese Unregelmäßigkeiten seien für ihn sehr nachteilig gewesen, denn der Ausschuß habe sich für seine Stellungnahme auf den zweiten Bericht gestützt, während er nur vom ersten hätte Kenntnis nehmen dürfen.

Meine Herren, ich vermag nicht zu erkennen, in welcher Weise diese die Probezeit betreffenden angeblichen Fehler für die Ordnungsmäßigkeit des Überleitungsverfahrens eine Rolle spielen könnten. Wie Sie in dem Urteil de Bruyn (Rechtssache 25/60) vom 1. März 1962 hervorgehoben haben, ist eine Probezeit an sich mit der Rechtsnatur eines auf unbestimmte Dauer abgeschlossenen und beiderseits mit einmonatiger Frist kündbaren Arbeitsvertrages nach Art der sogenannten „Brüsseler“ Verträge nicht recht vereinbar. Indes war es üblich,, eine: Probezeit zu vereinbaren. Sie haben ihr daher in dem Urteil de Bruyn bei der Beurteilung der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien Rechnung getragen. Dies haben Sie jedoch getan, weil Sie eine Kündigung zu beurteilen hatten, die zum Ende der Probezeit ausgesprochen und offensichtlich (die Verfügung war allerdings nicht mit Gründen versehen) auf angeblich unzureichende Leistungen in der Probezeit gestützt war: es bestand daher ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen der Probezeit und der Kündigung.

Im vorliegenden Fall dagegen besteht ein solcher Zusammenhang nicht: Die Bediensteten, die noch, ihre Probezeit, ableisteten, hatten wie alle anderen Bediensteten nach Artikel 102 eine Anwartschaft auf die Übernahme ins Beamtenverhältnis. Erforderlich war nur eine Dienstzeit von mindestens 6 Monaten. Für beide Gruppen von Bediensteten mußte der in Artikel 102 vorgesehene Ausschuß auf Grund eines Berichts über die Befähigung, des sogenannten Überleitungsberichts, der in jedem Falle anläßlich der Überleitungsmaßnahmen erstellt werden mußte, seine Stellungnahme abgeben. Dies ist im vorliegenden Fall auch geschehen; der Ausschuß würde dagegen einen schwerwiegenden Formfehler begangen haben, wenn er sich mit einem „Probezeitbericht“ begnügt hätte, der nahezu ein Jahr zurücklag und im Rahmen des Vertragsverhältnisses zu einem Zeitpunkt erstellt worden war, zu dem das Statut noch gar nicht verkündet war.

b)

Rechtswidrigkeit des eigentlichen Überleitungsverfahrens

Der Kläger bringt hierzu zwei Angriffsmittel vor:

1.

Vor der Ablehnung der Überleitung sei ihm nicht die vollständige Stellungnahme des Überleitungsausschusses vorgelegt worden, sie sei auch nicht zu den Personalakten gegeben worden.

Meine Herren, es erscheint selbstverständlich, daß die Stellungnahme des Ausschusses, die das Verfahren vor ihm abschließt und für die Anstellungsbehörde bindend ist, dem Betroffenen vor der Beschlußfassung der Anstellungsbehörde nicht mitzuteilen ist. Andererseits ist die Stellungnahme dem Kläger mit der Kündigungsverfügung zugestellt worden; wie die Beklagte bemerkt, erhielt er hierdurch die Möglichkeit, sie im Rechtswege anzufechten.

2.

Der Kläger macht ferner geltend, ihm sei in dem Verfahren nicht das rechtliche Gehör gewährt worden, denn er sei den Dienstvorgesetzten, die über ihn berichtet hätten, nicht gegenübergestellt worden.

Insoweit, meine Herren, brauche ich nur auf meine Bemerkungen in der Rechtssache Leroy (RsprGH IX 455) Bezug zu nehmen. Der Bedienstete hat nach meiner Auffassung keinen Anspruch darauf, seinen Dienstvorgesetzten gegenübergestellt zu werden. Es ist notwendig, aber auch ausreichend, „sicherzustellen, daß der Ausschuß vor einer ablehnenden Stellungnahme die gesamten Akten studiert und erforderlichenfalls bei den Dienstvorgesetzten, beim Betroffenen selbst oder in anderer ihm geeignet erscheinender Weise alle ergänzenden Informationen über die für die Beurteilung maßgebenden Faktoren einholt, die es ihm ermöglichen, sich seine Überzeugung in Kenntnis aller wesentlichen Umstände zu bilden.“

Dies ist im vorliegenden Fall aber durchaus geschehen. Dem Kläger ist Einblick in seine Akten sowie in den Überleitungsbericht gewährt worden. Er hat seine Bemerkungen zu diesem Bericht abgeben können und hat von diesem Recht ausgiebig Gebrauch gemacht. Anzumerken ist noch, daß der Kläger nicht näher angibt, welchem Dienstvorgesetzten er hätte gegenübergestellt werden müssen und zu welchen Punkten eine Gegenüberstellung hätte stattfinden müssen.

Die zweite Rüge betrifft die Rechtswidrigkeit der Beurteilung des Klägers im Überleitungsbericht und durch den Überleitungsausschuß. Hierzu macht der Kläger die Verletzung des Vertrages sowie Ermessensmißbrauch geltend.

a)

Verletzung des Vertrages: Unter dem Gesichtspunkt der „Verletzung des Vertrages“, also der objektiven Rechtswidrigkeit, untersucht der Kläger eingehend seine Beziehungen zu der Verwaltung der Euratom-Kommission, insbesondere zu den Dienststellen in Ispra; in Wahrheit erörtert er mit diesen Ausführungen die Begründetheit der ablehnenden Stellungnahme des Überleitungsausschusses.

Wie ich bereits bemerkt habe, haben wir es mit einer Nichtigkeitsklage zu tun. Nach Artikel 102 hat der Überleitungsausschuß ein Werturteil über das Verhalten des Bediensteten bei der Ausübung seiner Tätigkeit abzugeben und darauf das Urteil über seine Befähigung zur endgültigen Wahrnehmung der seiner Einstufung entsprechenden Aufgaben zu stützen. Gegenüber dieser Befugnis des Ausschusses kann die richterliche Nachprüfung sich (abgesehen von den im vorliegenden Fall nicht strittigen Formerfordernissen der Begründung) nur auf die Feststellung der Richtigkeit der der Beurteilung des Ausschusses zugrunde liegenden Tatsachen und auf die Zulänglichkeit der Gründe für die getroffene Verfügung erstrecken.

1.

Hinsichtlich der Richtigkeit der Tatsachen könnten sich Schwierigkeiten nur ergeben, wenn die Ablehnung der Überleitung ausschließlich oder hauptsächlich auf eine oder mehrere präzise Tatsachen gestützt worden wäre, deren Richtigkeit dann überprüft werden müßte. Dies ist aber keineswegs der Fall, denn die Stellungnahme des Ausschusses beruht auf einer Gesamtwürdigung des Verhaltens des Klägers.

2.

Was die von mir so bezeichnete „Zulänglichkeit der Gründe“ für die getroffene Verfügung anbelangt, könnte man zunächst an den Fall denken, daß — wie etwa in der Rechtssache 18/63 (Schmitz-Wollast, Urteil vom 19. März 1964), wo das Urteil allerdings insoweit nicht ausdrücklich Stellung nahm — die Ablehnung der Überleitung in Wirklichkeit den Charakter einer versteckten Disziplinarmaßnahme hat, die ohne Beachtung der vorgeschriebenen Formvoraussetzungen erlassen worden ist. Dies ist jedoch hier nicht der Fall: „Die Mißachtung der elementarsten Grundsätze der Disziplin und insbesondere häufiges unentschuldigtes Fehlen“, wovon in der Stellungnahme des Überleitungsausschusses die Rede ist, stellen nur einen der Faktoren dar, auf die sich die Gesamtwürdigung des Verhaltens des Klägers stützt. Es handelt sich nicht um eine versteckte Disziplinarmaßnahme. Die Richtigkeit der Tatsachen, nämlich der Behauptung „häufigen unentschuldigten Fehlens“ hat der Kläger nicht ernsthaft bestritten.

Man könnte ferner daran denken, daß dem Kläger — wie in der Rechtssache Mirossevich — nicht die Möglichkeit gegeben worden sei, seine Befähigung unter Beweis zu stellen. Hierauf scheint der Kläger sich in besonderem Maße berufen zu wollen.

Natürlich muß bei der richterlichen Nachprüfung die Art der ausgeübten Tätigkeit berücksichtigt werden. In diesem Punkt hat aber die Rechtssache Mirossevich mit dem vorliegenden Fall, der sich vom Fall Mirossevich noch stärker unterscheidet als die Rechtssache Leroy, nichts gemein. Die Tätigkeit des Klägers bestand darin, unter der unmittelbaren Leitung des Direktors des Zentrums und ohne klar abgegrenzte Befugnisse an der sehr allgemeinen Aufgabe einer Neuorganisation der Dienststellen mitzuwirken. Dies war eine schwierige Aufgabe, die der Kläger übernommen, wenn nicht gar gewünscht hatte. Das Ergebnis war offensichtlich ein Mißerfolg. Ist der Kläger nun für diesen Mißerfolg allein verantwortlich? Das ist wenig wahrscheinlich, jedoch haben Sie darüber nicht zu entscheiden. Es genügt die Feststellung, daß der Kläger zumindest mehrere Monate lang mit verschiedenen Aufgaben betraut war, die es ihm gestatteten, seine Befähigung unter Beweis zu stellen, und daß ihm nach der Ankunft von Herrn Mercereau in dieser Hinsicht sogar noch einmal eine neue Chance gegeben wurde. Es läßt sich also keineswegs sagen, daß er nicht in der Lage gewesen wäre, seine Befähigung unter Beweis zu stellen.

Obwohl der Gerichtshof, wie ich noch einmal wiederholen möchte, die Beurteilung des Überleitungsausschusses nicht durch seine eigene zu ersetzen hat, überrascht es auf tatsächlichem Gebiet doch sehr, daß bei den ungleichen Anlagen, die der Kläger nach dem Überleitungsbericht aufweist, die Initiative am wenigsten günstig beurteilt wird, obwohl sie augenscheinlich für die Erfüllung der dem Kläger zugewiesenen Aufgaben die wichtigste Eigenschaft war.

b)

Ermessensmißbrauch: Meine soeben gemachten Bemerkungen ersparen es mir, mich zu dem Rechtsgrund des Ermessensmißbrauchs zu äußern. Nichts rechtfertigt die Annahme, daß die Stellungnahme des Ausschusses nicht auf objektiven Erwägungen beruht habe, sondern etwa von der Animosität beeinflußt gewesen sei, die der Direktor des Zentrums von einem gewissen Zeitpunkt an dem Kläger gegenüber angeblich hegte.

II

Der Schadenersatzantrag

Soweit der Antrag auf einen Amtsfehler gestützt ist, ist er unbegründet, da die angefochtene Verfügung nicht aufgehoben wird und auch keine „überflüssigen kritischen Bemerkungen“ über die Person des Betroffenen enthält. Hierzu kann ich auf Ihr Urteil Leroy, RsprGH IX 446, verweisen.

Soweit der Antrag auf eine unzureichende Kündigungsfrist gestützt wird, ist er gleichfalls unbegründet. Dem Kläger wurde die ihm vertraglich zustehende Entschädigung in Höhe eines Monatsgrundgehalts gezahlt; hinzu kam die Entschädigung in Höhe von zwei Monatsgrundgehältern nach Artikel 34 des Statuts, auf den Artikel 102 verweist. Die zwingenden Vorschriften des Statuts schließen nach meiner Auffassung eine andere richterliche Beurteilung im Einzelfall aus.

Ich beantrage daher,

die Klage abzuweisen und dem Kläger die Kosten aufzuerlegen, mit Ausnahme der der Kommission der Europäischen Atomgemeinschaft entstandenen Auslagen, die diese nach Artikel 70 der Verfahrensordnung selbst zu tragen hat.

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