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Document 61963CC0067

    Schlussanträge des Generalanwalts Roemer vom 28. Januar 1964.
    Société rhénane d'exploitation et de manutention "Sorema" gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
    Rechtssache no 67-63.

    Englische Sonderausgabe 1964 00323

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1964:4

    Schlußanträge des Generalanwalts

    HERRN KARL ROEMER

    28. Januar 1964

    GLIEDERUNG

    Seite
     

    Einleitung (Vorgeschichte der angegriffenen Entscheidung; Klagegründe)

     

    Rechtliche Würdigung

     

    I. Zulässigkeitsfragen (Klagebefugnis)

     

    II. Begründetheit

     

    1. Umgrenzung des zulässigen Streitstoffes

     

    2. Die Untersuchung der einzelnen Angriffsmittel

     

    a) Ist die angegriffene Entscheidung eine Widerrufsentscheidung im Sinne von Artikel 65 § 2 Absatz 4?

     

    b) Nimmt die angegriffene Entscheidung auf eine nicht vorher festgelegte Bedingung Bezug?

     

    c) Zur Festlegung der Gültigkeitsdauer der Entscheidung 3/62

     

    3. Zusammenfassung

     

    III. Ergebnis

    Herr Präsident, meine Herren Richter!

    Die Klägerin des gegenwärtigen Verfahrens ist eine französische Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die sich im wesentlichen aus Kohlengroßhändlern zusammensetzt. Sie hat zur Aufgabe „toutes les Opérations se rapportant à la manutention, l'entreposage, le transport, le commerce des combustibles solides et autres matieres pondereuses dans les régions desservies par le Rhin-Amont et les régions limitrophes et notamment l'exploitation des chantiers du port de Kehl“ (Artikel 2 ihres Statuts). Seit der Gründung der OKU („Oberrheinische Kohlenunion Bettag, Puton & Co., Mannheim“) im Jahre 1947 war sie an dieser Gesellschaft beteiligt. Sie führt nunmehr Beschwerde darüber, daß die Hohe Behörde mit der Entscheidung 8/63 vom 30. April 1963 (veröffentlicht im Amtsblatt der Gemeinschaften vom 11. Mai 1963) das Erlöschen der Genehmigung zur Beteiligung an der OKU ausgesprochen hat.

    Wie der Gang der Ereignisse war, die zu dieser Entscheidung geführt haben, ist im Verfahren ausführlich erörtert worden. Dennoch muß ich darauf zum besseren Verständnis meiner rechtlichen Deduktionen noch einmal in Kürze zurückkommen.

    Bei der Eröffnung des gemeinsamen Marktes war die OKU eine Absatzorganisation für den gemeinsamen Verkauf von Kohle aus den Revieren Aachen, Ruhr, Saar und Lothringen in Süddeutschland. Die ihr zugrunde liegende Vereinbarung wurde rechtzeitig gemäß der Entscheidung 37/53 der Hohen Behörde zur Genehmigung nach Artikel 65 des Montanvertrages, § 12 des Übergangsabkommens vorgelegt mit der Folge, daß sie vorläufig in Kraft blieb. Da die Hohe Behörde der Ansicht war, die OKU sei in ihrer ursprünglichen Form mit dem Vertrage nicht zu vereinbaren, fanden Verhandlungen mit dem Ziele ihrer Umgestaltung statt. So kam es dazu, daß aus der Absatzorganisation OKU eine Organisation für den gemeinsamen Einkauf von Brennstoffen bei den Bergwerksgesellschaften der Reviere Aachen, Ruhr, Saar und Lothringen für den Weiterverkauf in Süddeutschland wurde. Dieses Kartell hat die Hohe Behörde in der Entscheidung 19/57 vom 26. Juli 1957 (Amtsblatt, Seite 352) genehmigt und seine Gültigkeit bis zum 31. März 1959 befristet. Für die Beteiligung der in der SOREMA zusammengeschlossenen französischen Kohlengroßhändler an der OKU wurde in der gleichen Entscheidung eine Übergangsfrist, ablaufend am 31. März 1958, festgelegt.

    Entsprechend ist auch in der Folgezeit jeweils zu unterscheiden zwischen der Genehmigung der Aktivität der OKU als solcher und der — direkten oder indirekten — Beteiligung französischer Kohlengroßhändler an der OKU.

    Für letztere wurde die ursprünglich geltende Übergangsfrist mit der Entscheidung 4/58 vom 2. April 1958 (Amtsblatt, Seite 169) verlängert bis zum 31. Juli 1958, eine weitere Verlängerung aber abgelehnt mit Schreiben vom 15. Juli 1958 (Amtsblatt, Seite 286), so daß nach dem 31. Juli 1958 die französischen Kohlengroßhändler nicht mehr unmittelbar an der OKU beteiligt sein konnten.

    Die Tätigkeit der OKU hat die Hohe Behörde in der Entscheidung 23/59 vom 25. März 1959 (Amtsblatt, Seite 420) zunächst für weitere zwei Monate genehmigt. Mit der Entscheidung 31/59 vom 27. Mai 1959 (Amtsblatt, Seite 697) wurde diese Genehmigung bis zum 31. März 1962, und mit der Entscheidung 3/62 vom 28. März 1962 (Amtsblatt, Seite 873) schließlich bis zum 31. März 1967 erneuert.

    Was die französischen Kohlengroßhändler angeht, so hat die Hohe Behörde in der Entscheidung 31/59 nur die kollektive Beteiligung der SOREMA an der OKU zugelassen. Die Zulassung wurde beschränkt auf eine am 31. März 1960 abgelaufene Frist. Sie wurde verlängert in der Entscheidung 12/60 vom 18. Mai 1960 (Amtsblatt, Seite 813) bis zum 31. März 1962 und schließlich abermals in der Entscheidung 3/62, hier allerdings ohne daß ein Endzeitpunkt festgelegt worden wäre. Dies sollte geschehen in einer besonderen Entscheidung und ist geschehen in der Entscheidung 8/63 vom 30. April 1963, die das Erlöschen der Genehmigung zur Beteiligung an der OKU auf den 30. Juni 1963 festsetzte.

    Soviel zur Vorgeschichte des Verfahrens und zur Geschichte der OKU.

    Wenn die Klägerin nunmehr versucht, aus der Reihe der angeführten Entscheidungen die zuletzt genannte anzugreifen und ihre Annullierung zu erreichen, so beruft sie sich dabei auf die Klagegründe der Verletzung wesentlicher Formvorschriften, der Vertragsverletzung und des Ermessensmißbrauchs. Im einzelnen bringt sie vor:

    Die SOREMA sei kein Vertriebsunternehmen im Sinne des Vertrages; sie werde daher von Artikel 65 nicht erfaßt;

    die angegriffene Entscheidung 8/63 sei eine Widerrufsentscheidung nach Artikel 65 § 2 Absatz 4, erfülle aber nicht die dort für einen Widerruf festgelegten Voraussetzungen;

    die Hohe Behörde berufe sich in ihrer Widerrufsentscheidung auf eine nicht vorher festgesetzte Bedingung;

    die Hohe Behörde habe es unterlassen, vor Ausspruch des Widerrufs die Gültigkeitsdauer der in der Entscheidung 3/62 gewährten Genehmigung zu bestimmen;

    die Hohe Behörde habe in der Entscheidung 8/63 nicht begründet, wieso die Teilnahme der SOREMA an der OKU eine Verfälschung des Wettbewerbs bewirke; eine derartige Wettbewerbsverfälschung lasse sich in Wahrheit nicht nachweisen.

    Wir werden zu prüfen haben, ob diese Rügen stichhaltig sind und zu einer Aufhebung der Entscheidung 8/63 führen können.

    Rechtliche Würdigung

    I. ZULÄSSIGKEITSFRAGEN

    In erster Linie stellt sich ein Zulässigkeitsproblem, hervorgerufen durch die Bemerkung der Klägerin, sie werde von Artikel 65 des Vertrages nicht erfaßt, weil sie nicht als Vertriebsunternehmen anzusehen sei.

    Die Hohe Behörde hat dieses Argument aufgegriffen und daran die Schlußfolgerung geknüpft, die Klage müsse dann mangels Unternehmensqualität der Klägerin als unzulässig abgewiesen werden.

    In der Tat steht grundsätzlich nach Artikel 33 des Vertrages ein Anfechtungsrecht außer den Mitgliedstaaten und dem Rat nur Unternehmen oder Unternehmensverbänden zu. Wer als Unternehmen gilt, ist in Artikel 80 des Vertrages definiert, nämlich solche Personen, die eine Produktionstätigkeit wahrnehmen, oder — für die Zwecke von Artikel 65 und 66 — auch Personen, die gewerbsmäßig eine Vertriebstätigkeit mit Ausnahme des Verkaufs an Haushaltungen oder an Kleingewerbetreibende ausüben.

    Wenn es sich aber so verhält, wie die Klägerin behauptet, daß sie trotz der in Artikel 2 ihrer Satzung zur Kennzeichnung des Gesellschaftszweckes gewählten Formulierungen eine Vertriebstätigkeit tatsächlich nicht ausübt, ist sie kein Unternehmen im Sinne des Vertrages und nicht in dieser Eigenschaft klageberechtigt.

    Es fragt sich dann nur, ob die von ihr unternommenen Versuche, dennoch die Zulässigkeit der Klage nachzuweisen, erfolgreich sein können. Sie sagt dazu zweierlei:

    Einmal: ausschlaggebend für die Klageberechtigung sei die von der Hohen Behörde vorgenommene Qualifizierung einer Person als Unternehmen, auch wenn sie mit der Wirklichkeit nicht übereinstimme;

    zum andern könne die SOREMA als Unternehmensverband angesprochen werden.

    a)

    Was die erste These angeht, so vermag ich sie nicht zu teilen. Sie findet im Vertragswortlaut, der eindeutig ausgeht von dem objektiven Kriterium der ausgeübten Tätigkeit, keine Stütze. Sie aber im Interesse der Sicherung des Rechtsschutzes montanfremder Unternehmen anzuerkennen, die unter Überschreitung der Kompetenzen der Hohen Behörde in einer ihrer Entscheidungen angesprochen werden könnten — ein mehr theoretischer als praktischer Fall —, besteht meines Erachtens keine Veranlassung. Auch ohne Annahme einer Befugnis zur Erhebung der Anfechtungsklage sind die Interessen derartiger Betroffener ausreichend geschützt, wie die Hohe Behörde nachgewiesen hat. Würden sie auf Annullierung klagen, so müßte die Hohe Behörde auch aus einem Urteil, das die Unzulässigkeit der Klage mit Rücksicht auf die fehlende Unternehmensqüalität feststellt, nach Artikel 34 des Vertrages entsprechende Konsequenzen ziehen und ihre Entscheidung nach den Grenzen ihrer Kompetenzen umgestalten. Dazu kommt die jedem Betroffenen offenstehende Möglichkeit, nach Artikel 40 des Vertrages auf Schadenersatz zu klagen sowie gegebenenfalls eine Klärung aufgrund nationaler Verfahren zu betreiben, die zu einer Vorlage an den Gerichtshof nach Artikel 41 des Montanvertrages führen können.

    b)

    Zu erwägen ist dagegen, die Zulässigkeit der Klage mit Rücksicht auf die Verbandsqualität der SOREMA zu begründen, die sich, wie wir gesehen haben, in der Tat vorwiegend aus Kohlengroßhändlern, also Unternehmen im Sinne von Artikel 80 und Artikel 65 des Vertrages zusammensetzt.

    Welche Gebilde nach dem Vertrag als Unternehmensverbände gelten können, ist nirgends definiert. Man wird aber in Anbetracht der den Unternehmensverbänden im Vertrage zugedachten Funktionen (Artikel 48 — Konsultation der Hohen Behörde, Unterbreitung von Anregungen für die Gemeinschaftsorgane, allgemeine Wahrnehmung von Interessen der Montanunternehmen) annehmen können, daß der Vertrag von einem Verbandsbegriff ausgeht, wie er im Wirtschaftsrecht der Mitgliedstaaten seit langem geläufig ist. Ich zitiere dazu Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1953, der in Band I auf Seite 243 den Begriff des Unternehmensverbandes wie folgt umreißt:

    „Ein Wirtschaftsverband ist eine Vereinigung von Unternehmern (und Unternehmen) des gleichen fachlichen Wirtschaftszweiges, die die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder fördert und insbesondere gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber den staatlichen Regierungs-, Verwaltungs- und Gesetzgebungsorganen und gegenüber anderen Wirtschaftszweigen vertritt.“

    Auf eine ähnliche Definition würden die Ausführungen bei Reuter, „La Communauté Européenne du Charbon et de l'Acier“, Seite 111, hinauslaufen sowie diejenigen in „La Communauté Européenne du Charbon et de l'Acier par un groupe d'étude de l'Institut des Relations internationales“, Seite 34.

    Daß die SOREMA auch in dieser Weise tätig werden kann, scheint mir durch Artikel 2 Absatz 2 ihrer Satzung belegt zu sein, wo es heißt: „Elle peut assurer directement ou indirectement le contrôle ou la gérance de tout organisme, association ou part d'intérêts concourant à la réalisation de l'objet précité.“

    Im vorliegenden Falle ist sie zweifellos tätig geworden im Sinne einer Vertretung der Interessen der ihr angeschlossenen Kohlengroßhändler, denen sie bestimmte Vorteile erhalten will, die sich aus der Beteiligung an einer mächtigen Einkaufs- und Transportorganisation ergeben.

    Wenn demgegenüber die Hohe Behörde zu bedenken gibt, daß die SOREMA nach ihrer Satzung eine Gesellschaft mit Gewinnzweck ist, so dürfte dieser Umstand nicht zum Ausschluß der Verbandsqualität führen, denn nirgends ist vorgeschrieben, daß ein Verband sich neben der Wahrnehmung der allgemeinen wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder einer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht widmen könne.

    Folglich neige ich dazu, die tatsächliche Ausübung einer typischen Verbandsfunktion durch die SOREMA, die nach ihrer Satzung gerechtfertigt erscheint, als für die Klageerhebung ausreichend anzusehen und die Klagezulässigkeit zu bejahen.

    II. BEGRÜNDETHEIT

    1.

    Ehe ich nunmehr daran gehe, die vorgebrachten Rügen auf ihre Begründetheit zu untersuchen, halte ich es für notwendig, mit Klarheit herauszustellen, was allein Gegenstand der angegriffenen Entscheidung und damit Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist. Dies namentlich im Hinblick auf die auch in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörterte Frage, ob die Mitgliedschaft der SOREMA in der OKU von Artikel 65 erfaßt werde und als an sich wettbewerbsbeschränkend genehmigungsbedürftig ist, eine Frage, die sowohl unter dem Gesichtspunkt des Begründungsmangels wie der Vertragsverletzung nach Ansicht der Klägerin zu untersuchen wäre.

    Dafür ist es unerläßlich, abermals einen Blick auf die Reihe der im Sachverhalt erwähnten Entscheidungen zu werfen, um zu sehen, wie sie in ihrer Gesamtheit sich zu der aufgeworfenen Frage äußern.

    In der Begründung der Entscheidung 19/57, also der ersten OKU-Entscheidung, finden sich folgende Sätze, die ich wegen ihrer Bedeutung wörtlich wiedergeben möchte:

    „Allerdings sind auch diese neuen Vereinbarungen“ (gemeint sind die Vereinbarungen über die Gründung und die Aufgaben der OKU), „da sie einen gemeinsamen Einkauf durch Großhändler zum Gegenstand haben, gemäß Artikel 80 des Vertrages nach den Vorschriften des Artikels 65 des Vertrages zu beurteilen.“ … „Der gemeinsame Einkauf gewährt den beteiligten Großhändlern einen erheblichen Markteinfluß, der seinerseits wieder die Möglichkeit eröffnet, Praktiken anzuwenden, die den Vorschriften des Artikels 4 Buchstabe b oder d des Vertrages, insbesondere dem Verbot der Diskriminierung und der Aufteilung oder Ausbeutung des Marktes, widersprechen.“

    Die zitierten Ausführungen gelten unterschiedslos für die deutschen wie die französischen an der OKU beteiligten Kohlehgroßhähdler; sie machen deutlich, daß die Hohe Behörde den Zusammenschluß nach Artikel 65 zu würdigen hatte und nach Artikel 65 für genehmigungsbedürftig hielt.

    Daß sich diese grundsätzliche Bewertung geändert hätte, als die SOREMA an Stelle der französischen Kohlengroßhändler in die OKU eintrat (Entscheidung 31/59), daß also — wie die Klägerin annimmt — in diesem Zeitpunkt eine Zäsur in der Beurteilung der Beteiligungsverhältnisse festzustellen sei, ist nicht ersichtlich. Die Mitgliedschaft der SOREMA in der OKU — gleichfalls nach Artikel 65 genehmigt — bedeutete nichts anderes, als daß die französischen Kohlengroßhändler, die zuvor einzeln an den Beschlüssen der OKU hätten mitwirken können (in Wirklichkeit aber, wie wir erfahren haben, stets von der SOREMA vertreten wurden), nunmehr in jedem Fall geschlossen auftraten. Deshalb ist die Entscheidung 31/59 ausdrücklich als Verlängerung der Entscheidung 19/57 gekennzeichnet, und deshalb findet sich in ihr die Feststellung, die SOREMA nehme die Interessen der französischen Händler in der OKU wahr.

    Auch die späteren Entscheidungen der Hohen Behörde verraten keine Änderung in der rechtlichen Behandlung der SOREMA. Wenn in der Entscheidung 12/60 die Teilnahme der SOREMA an der OKU genehmigt wurde, so kann dies nur bedeuten, daß eine Genehmigung nach Artikel 65 des Vertrages erteilt wurde. Im übrigen ergibt sich gerade aus der Begründung der Entscheidung 12/60 mit Klarheit, daß die Hohe Behörde keinen prinzipiellen Unterschied machte zwischen einer Beteiligung einzelner französischer Händler an der OKU und ihrer kollektiven Vertretung durch die SOREMA, denn sie spricht ausdrücklich von einer Verbindung der Oberrheinischen Kohlenunion und den in der SOREMA zusammengeschlossenen französischen Händlern.

    Schließlich geht auch die letzte der Genehmigungsentscheidungen (3/62) nicht von dem dargelegten Standpunkt ab, was sich etwa aus der Wiedergabe des Antrags der SOREMA ergibt, in dessen Begründung hingewiesen wird auf die Nützlichkeit der Zusammenarbeit mit der OKU im Hinblick auf den zunehmenden Wettbewerb und die Erfordernisse einer genauen Marktübersicht. Die Tatsache, daß die Hohe Behörde gerade diesen Antragsteil in die Begründung ihrer Entscheidung aufnahm, zeigt, unter welchen Aspekten sie vor allem die SOREMA-Beteiligung zu würdigen gewillt war.

    Es kann somit keinem Zweifel unterliegen, daß die Hohe Behörde unverändert in allen Genehmigungsentscheidungen die Verbindung zwischen der SOREMA und der OKU nach Artikel 65 des Vertrages behandelt und als nach Artikel 65 genehmigungsbedürftig angesehen hat.

    Diese rechtliche Beurteilung ist in keinem Fall angegriffen worden. Sie hätte — da ein Durchgriff auf frühere individuelle Entscheidungen mit Hilfe der Einrede der Rechtswidrigkeit nicht möglich ist — im Rahmen des gegenwärtigen Verfahrens nur dann zum Gegenstand der Debatte gemacht werden können, wenn die nunmehr angefochtene Entscheidung 8/63 die geschilderte Würdigung des Zusammenschlusses erneut vorgenommen oder doch bestätigt hätte.

    Das aber ist offensichtlich nicht der Fall. Wie der kurze Tenor der Entscheidung 8/63 mit Deutlichkeit zeigt, bezweckt sie lediglich, einen Endzeitpunkt festzusetzen für die Genehmigung der Teilnahme der SOREMA an der OKU, also den Abschluß der aufgezeigten Entwicklung herbeizuführen. Mit keinem Wort ist aus dem Tenor oder aus der Begründung der Entscheidung zu entnehmen, daß die Hohe Behörde Fragen der Genehmigungsbedürftigkeit erneut zum Gegenstand von Überlegungen, Prüfungen und Feststellungen gemacht hätte. Sie geht vielmehr von der Genehmigungsbedürftigkeit als von einem endgültig geprüften Tatbestand aus und baut die angegriffene Entscheidung darauf auf.

    Folglich ist Gegenstand unseres Verfahrens nur die Frage, ob in der Festsetzung der Gültigkeitsdauer der früher ausgesprochenen Genehmigung Fehler zu entdecken sind, und alle Argumente, die sich nicht auf diese Frage beziehen, können als nicht den Streitgegenstand betreffend außer acht gelassen werden.

    2.

    Nach dieser notwendigen Vorabgrenzung des zulässigen Streitstoffes wende ich mich den wenigen noch verbliebenen Angriffsmitteln zu.

    a)

    Die Klägerin macht geltend, die Entscheidung 8/63 stelle eine Widerrufsentscheidung dar, welche die Voraussetzungen von Artikel 65 § 2 Absatz 4 nicht beachte. Sie verweist damit auf jene Vorschrift, nach der die Hohe Behörde eine Kartellgenehmigung widerrufen kann, wenn sie feststellt, daß infolge einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse die Vereinbarung nicht mehr den in § 2 Absatz 1 vorgesehenen Voraussetzungen entspricht oder daß die tatsächlichen Folgen der Vereinbarung oder ihrer Anwendung zu den für ihre Genehmigung geforderten Bedingungen im Widerspruch stehen. Nach Auffassung der Klägerin hätte ein Widerruf nur ausgesprochen werden dürfen, wenn eine .Änderung der Umstände seit Erlaß der Entscheidung 3/62 hätte nachgewiesen werden können.

    Die Hohe Behörde dagegen vertritt den Standpunkt, sie habe nicht von der in Artikel 65 vorgesehenen Widerrufsmöglichkeit Gebrauch gemacht, sondern in der Entscheidung 8/63 nur den von vornherein für notwendig gehaltenen Endzeitpunkt für eine Übergangsregelung festgesetzt.

    Diese Erklärung entspricht meines Erachtens sowohl dem Wortlaut der Entscheidung 8/63, die nirgends von einem Widerruf spricht, wie auch der Gesamtentwicklung der Genehmigungsentscheidungen.

    Alle Entscheidungen über die Zulassung der — direkten oder indirekten — Teilnahme französischer Großhändler an der OKU waren stets ausdrücklich als befristete Übergangsentscheidungen gekennzeichnet (so die Entscheidungen 19/57, 4/58 für die Einzelbeteiligung der französischen Kohlengroßhändler, wie die Entscheidungen 31/59, 12/60 für die Beteiligung der SOREMA). Wenn die letzte Genehmigungsentscheidung 3/62 auf eine Befristung im Sinne der Festsetzung eines Endzeitpunktes verzichtet hat, so nicht um diese Übung zu durchbrechen und auszudrücken, daß der von Anfang an für notwendig gehaltene Grundzweck der Übergangsregelung nicht mehr gelte. Auch hier ist mit Deutlichkeit nur eine übergangsweise Zulassung der SOREMA vorgesehen, eine Befristung aber unterblieben, weil die Bemessung der Frist von Ereignissen abhängig war, deren Eintritt zeitlich nicht fixiert werden konnte, nämlich, wie sich aus der Begründung ergibt, von der Aufstellung einer neuen Handelsregelung der Ruhr. Als diese Regelung feststand (sie wurde am 11. Februar 1963 von den beiden Verkaufsgesellschaften „Präsident“ und „Geitling“ beschlossen und von der Hohen Behörde am 20. März 1963 genehmigt), erging kurz danach am 30. April 1963 die angegriffene Entscheidung 8/63.

    In Wahrheit stellt also die Entscheidung 8/63 nicht den Widerruf einer Kartellgenehmigung dar, sondern eine schon in der Entscheidung 3/62 vorgesehene notwendige Ergänzung dieser Entscheidung in zeitlicher Hinsicht, für welche die Voraussetzungen des Artikels 65 § 2 Absatz 4 nicht zu beachten sind.

    b)

    Wenn dem aber so ist, wenn ein Widerruf gar nicht vorlag, kann auch das andere Argument der Klägerin, der Erlaß der Entscheidung 8/63 sei mit einer nicht vorher festgelegten Bedingung begründet worden, nicht durchgreifen. Man hat sich höchstens zu fragen, ob die Ergänzungsentscheidung 8/63 wirklich den in der Entscheidung 3/62 vorgezeichneten Rahmen respektiert. Das ist m. E. aber der Fall.

    Wie die Hohe Behörde zu Recht ausführt, standen alle Entscheidungen über die Genehmigung der Beteiligung französischer Händler an der OKU im Dienste ein und derselben Überlegung, wenn auch ihr Sinn insoweit vielleicht nicht immer in glücklicher Weise und vollkommen geradlinig zum Ausdruck kam. Nach der grundsätzlichen Genehmigungsentscheidung 19/57 konnte zur Vermeidung einer zu weitgehenden Einschränkung des Wettbewerbs und im Interesse der Beachtung des Diskriminierungsverbotes an der OKU nur beteiligt werden, wer zum unmittelbaren Bezug bei den Bergwerksgesellschaften berechtigt war und eine Verkaufstätigkeit in Süddeutschland ausübte. Das ergibt sich mit Klarheit aus der Entscheidungsbegründung und aus Artikel 1 des Tenors. Da die französischen Kohlengroßhändler aus Gründen der bis dahin bestehenden Verkaufsorganisation im Jahre 1957 diese Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllen konnten, hätten sie streng genommen an den Vorteilen der Einkaufs- und Transportorganisation OKU nicht teilhaben dürfen. Dennoch wurde, um diese Härte zu vermeiden, entgegen den Entscheidungsbedingungen ihre Zulassung zur OKU ausnahmsweise ausgesprochen, aber nur für eine Übergangszeit, während der sie Gelegenheit zur Erfüllung der ordentlichen Zulassungsvoraussetzungen haben sollten. Keine der nachfolgenden Entscheidungen, auch nicht diejenigen über die SOREMA-Beteiligung, ist von dieser Grundbedingung abgegangen, wie die stets wiederkehrende Verweisung auf die Artikel 1 bis 9 der Entscheidung 19/57 in den Entscheidungen 31/59 und 3/62 zeigt. Es wurde nur der Übergangszustand im Laufe der Zeit aus verschiedenen Gründen (Inkrafttreten des Saarvertrages, Gestaltung der Marktverhältnisse etc…) immer wieder verlängert, bis schließlich in der Entscheidung 3/62 die Feststellung getroffen wurde, daß die früher bestehenden Hinderungsgründe für den unmittelbaren Zugang der französischen Händler zu den Ruhrkohlen verkaufsgesellschaften im Laufe des Jahres 1961 weggefallen seien, was auch von der Klägerin im Verfahren bestätigt wurde. Damit sollte offenbar zum Ausdruck gebracht werden, andere Gründe für die Beibehaltung der Übergangsregelung als die Zugangsbedingungen zur Ruhr kämen in diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht. Wenn die Hohe Behörde aber gleichwohl — vielleicht unter übermäßiger Anspannung ihrer Nachsicht — glaubte, noch eine weitere Übergangsfrist zubilligen zu können, so deshalb, weil die erwähnten Zugangsbedingungen zur Ruhr nur eine Übergangsregelung darstellten, die in Geltung sein sollte bis zum Erlaß einer definitiven Handelsregelung. Als diese beschlossen und genehmigt wurde und als zu erkennen war, daß sie mit der seit April 1961 bestehenden Übergangsregelung vollkommen übereinstimmte, nämlich von den französischen Händlern hur den Bezug von 2500 t Kohle bei einer Verkaufsgesellschaft zum Absatz im gemeinsamen Markt verlangte, hat die Hohe Behörde sogleich die Konsequenzen gezogen, die sich nach der Entscheidungsbegründung 3/62 aufdrängten, und die Beendigung der übergangsweise gewährten kollektiven Beteiligung der SOREMA an der OKU angeordnet.

    Somit hält sich die Entscheidung 8/63 exakt an die Überlegungen, die in der Entscheidung 3/62 als für die Einräumung der Übergangsfrist maßgeblich erkennbar sind. Von einer Berufung auf eine nicht im vorhinein festgelegte Bedingung zur Beendigung der Genehmigungsentscheidung kann daher nicht die Rede sein.

    c)

    Schließlich bleibt noch das Argument zu behandeln, die Hohe Behörde habe es zu Unrecht versäumt, vor Erlaß der angegriffenen Beendigungsentscheidung die Gültigkeitsdauer der Übergangsregelung festzusetzen, wie es in der Entscheidung 3/62 vorgesehen war.

    Daß es nach allem, was bisher zu der Entscheidung 3/62 gesagt wurde, offensichtlich neben der Sache liegt, dürfte kaum zweifelhaft sein. Wenn nämlich in Artikel 2 der Entscheidung 3/62 bestimmt war, die Hohe Behörde setze das Ende der vorgesehenen Übergangszeit in einer späteren Entscheidung fest, so bedeutete dies nach dem Inhalt dieser Entscheidung allein, daß die Hohe Behörde den Erlaß einer neuen Handelsregelung der Ruhr abwarten wollte. Als sich zeigte, daß deren Ausgestaltung, eben weil sie mit der vorher bestehenden Übergangsregelung übereinstimmte, ebensowenig wie diese eine Übergangsfrist zugunsten der SOREMA-Beteiligung rechtfertigen konnte (so die Begründung der Entscheidung 3/62), ordnete die Hohe Behörde unter Setzung einer verhältnismäßig kurzen Frist das Ausscheiden der SOREMA aus der OKU an. Sie hat sich damit, was die Bemessung der Gültigkeitsdauer der Entscheidung 3/62 angeht, genauso verhalten, wie es in dieser Entscheidung programmiert war. Daß aber die verbliebene Frist zu kurz bemessen war (etwa im Hinblick auf die Erfordernisse der Vorbereitung des Ausscheidens), hat die Klägerin nicht behauptet.

    3.

    Alle vorgebrachten Argumente können demnach die Entscheidung 8/63 nicht zu Fall bringen, während Argumente, wie sie nach dem Sinn der zugunsten der SOREMA getroffenen Übergangsregelung zu erwarten gewesen wären — etwa das Argument, die Übergangszeit habe nicht ausgereicht zur Erfüllung der ordentlichen Zulassungsbedingungen —, gar nicht aufgetaucht sind.

    III.

    Folglich lautet mein Schlußantrag dahin, die Klage der SOREMA zwar zuzulassen, sie aber als unbegründet mit der Kostenfolge des Artikels 69 der Verfahrensordnung zurückzuweisen.

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