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Document 61963CC0053

    Schlussanträge des Generalanwalts Roemer vom 16. Oktober 1963.
    Lemmerz-Werke GmbH und andere gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
    Verbundene Rechtssachen 53 und 54-63.

    Englische Sonderausgabe 1963 00519

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1963:29

    Schlußanträge des Generalanwalts

    HERRN KARL ROEMER

    16. Oktober 1963

    GLIEDERUNG

    Seite
     

    Einleitung

     

    Rechtliche Würdigung

     

    1. Zur Rechtsnatur der Schreiben vom 8. April 1963

     

    a) Kann die Hohe Behörde Regeln erlassen, nach denen sich die Verbindlichkeit ihrer Äußerungen beurteilen soll?

     

    b) Wurde durch spätere Akte der Hohen Behörde die Bedeutung der Regelung 22/60 aufgehoben oder geschmälert?

     

    c) Welche Beurteilung der angegriffenen Schreiben ergibt sich auf Grund der Rechtsprechung des Gerichtshofes?

     

    d) Ergebnis

     

    2. Zur Anfechtung der Entscheidung Nr. 7/63

     

    3. Kostenfrage

     

    a) Klageantrag zu 1

     

    b) Klageantrag zu 2

     

    4. Zusammenfassung

    Herr Präsident, meine Herren Richter!

    Im Rahmen der Liquidation der Schrottausgleichseinrichtung haben die Kläger dieses Verfahrens wie auch andere Unternehmen der Gemeinschaft von der Generaldirektion Stahl, Direktion Markt, der Hohen Behörde Schreiben unter dem Datum des 8. April 1963 erhalten, in denen in Anwendung der Entscheidung der Hohen Behörde Nr. 7/63 über die geänderten Beitragssätze für den Ausgleich von Einfuhrschrott und Schrott ähnlichen Charakters eine Abrechnung der Guthaben und Verpflichtungen der Unternehmen gegenüber den Ausgleichseinrichtungen aufgestellt, dabei „eine möglichst weitgehende Angleichung an den Stand der endgültigen Abrechnung angestrebt“ und die Aufforderung ausgesprochen wurde, den Betrag des so errechneten Schuldsaldos bis spätestens 31. Mai 1963 der Hohen Behörde zu überweisen.

    Die Kläger sind der Meinung, die Abrechnungen und die ihnen zugrunde liegende Entscheidung Nr. 7/63 beeinträchtigten ihre Rechtsstellung, und zwar insofern, als sie Freistellungsbeschlüsse der Brüsseler Organe vom 8. Mai 1957 unberücksichtigt ließen, also offenbar einen unzulässigen Widerruf der Freistellungen enthielten.

    Sie wandten sich daher mit Klagen vom 15. Mai 1963 an den Gerichtshof, wobei sie folgende Anträge stellen:

    die Zahlungsaufforderungen der Hohen Behörde vom 8. April 1963 insoweit für nichtig zu erklären, als sie auf der Nichtberücksichtigung der Freistellungsbeschlüsse beruhen;

    die Entscheidung Nr. 7/63 der Hohen Behörde vom 3. April 1963 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, S. 1091 ff.) insoweit für nichtig zu erklären, als die Beschlüsse des Beirats der Ausgleichskasse vom 8. Mai 1957 betreffend die Freistellung der Kläger nicht berücksichtigt seien.

    Die Hohe Behörde reagierte auf die eingereichten Klagen mit Anträgen vom 13. Juni 1963, in denen sie gemäß Artikel 91 § 1 der Verfahrensordnung den Gerichtshof bat, über die Zulässigkeit der Klagen vorab zu entscheiden und die Unzulässigkeit der Klagen festzustellen. Sie vertritt den Standpunkt, die Briefe vom 8. April 1963 stellten keine angreifbaren Entscheidungen dar und die Entscheidung Nr. 7/63 behandele nicht die konkreten Fälle der Kläger, weshalb es am individuellen Betroffensein fehle.

    Über die Anträge wurde nach Artikel 91 § 3 der Verfahrensordnung am 9. Oktober 1963 mündlich verhandelt. Meine Aufgabe im gegenwärtigen Verfahrensstadium besteht also darin, mich zur Zulässigkeit der Klagen zu äußern.

    Die Nützlichkeit einer auf die Zulässigkeit begrenzten richterlichen Prüfung, deren Ergebnis die Hohe Behörde grundsätzliche Bedeutung beimißt, ist evident, denn zum ersten Male seit Erlaß der Entscheidung der Hohen Behörde Nr. 22/60 wird die Frage aufgeworfen, ob ein angreifbarer Akt in einem Schreiben der Hohen Behörde zu erblicken sei. Wir erinnern uns, daß in vielen früheren Verfahren das Problem der Qualifizierung von brieflichen Äußerungen der Hohen Behörde eine Rolle gespielt und das Verhältnis zwischen der Hohen Behörde und den Unternehmen erheblich belastet hat.

    In dem Bemühen, solche Kontroversen zu vermeiden und zur Erhöhung der Rechtssicherheit beizutragen (vgl. die Mitteilung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 1960, S. 1250), hat die Hohe Behörde in der Entscheidung Nr. 22/60 Kriterien festgelegt, nach denen sich bestimmen soll, wann ihre Verlautbarungen als Entscheidungen, Empfehlungen oder Stellungnahmen im Sinne von Artikel 14 des Montanvertrages gelten sollen.

    Nunmehr wird der Gerichtshof darüber zu befinden haben, ob trotzdem im Einzelfall Auslegungsschwierigkeiten bestehen können oder ob eine angreifbare Entscheidung nicht vorliegen kann, wenn die Erfordernisse der Entscheidung Nr. 22/60 nicht erfüllt sind.

    Rechtliche Würdigung

    1. ZUR RECHTSNATUR DER SCHREIBEN VOM 8. APRIL 1963

    Die Kläger bekennen in ihrem schriftlichen und mündlichen Vorbringen, nach ihrer eigenen Rechtsansicht könnten die in Frage stehenden Schreiben Entscheidungen nach Artikel 14 und 33 nicht darstellen. Sie halten eine Klage aber dennoch für notwendig, weil die Entscheidung Nr. 22/60 den Gerichtshof nicht binde, also keine absolute Sicherheit gebe, und weil die Hohe Behörde sich oft an eigene frühere Stellungnahmen in der Folgezeit nicht gebunden gefühlt habe.

    Betrachtet man nicht den Inhalt, sondern die äußere Form der Schreiben vom 8. April 1963, so ist offensichtlich, daß sie als Entscheidungen im Sinne der Regelung 22/60 nicht gelten können. Sie enthalten keine Überschrift, in denen sie als Entscheidungen der Hohen Behörde bezeichnet wären. Sie geben nicht ein Datum der Beschlußfassung durch die Hohe Behörde an, sie enthalten nicht den Zusatz, daß „Für die Hohe Behörde“ unterzeichnet wurde, und der Text der Schreiben ist nicht von einem Mitglied der Hohen Behörde unterschrieben (Artikel 1 und 3 der Entscheidung Nr. 22/60). Statt dessen ist im Briefkopf erwähnt, daß die Schreiben von der Generaldirektion Stahl, Direktion Markt, ausgehen, und unterzeichnet sind sie von einem Generaldirektor und einem Direktor der Hohen Behörde.

    Wenn aber so offensichtlich das Schema der Entscheidung Nr. 22/60 nicht eingehalten wurde, kann nur unter drei Voraussetzungen erwogen werden, den angegriffenen Schreiben Entscheidungscharakter beizumessen:

    Es muß geprüft werden, ob den Kriterien der Regelung Nr. 22/60, jedenfalls soweit sie im vorliegenden Verfahren von Bedeutung sind, tatsächlich verbindliche Kraft innewohnt, d. h. wir müssen uns fragen, ob die Hohe Behörde die Möglichkeit hatte, in verbindlicher Weise und allgemein festzulegen, welche ihrer Äußerungen als angreifbare Akte angesehen werden können;

    für den Fall der Bejahung ist zu prüfen, ob die Hohe Behörde die Entscheidung Nr. 22/60 aufgehoben hat oder im Einzelfall von ihr in zulässiger Weise abgewichen ist;

    schließlich haben wir der Vollständigkeit halber zu untersuchen, in welcher Weise die Schreiben nach der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofes zu qualifizieren wären.

    a)

    Kann die Hohe Behörde Regeln erlassen, nach denen sich die Verbindlichkeit ihrer Äußerungen beurteilen soll?

    In der Begründung der Entscheidung Nr. 22/60 (vom 7. September 1960, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, S. 1248) ist als Rechtsbasis Artikel 15 Absatz 4 des Vertrages angegeben, wonach die Hohe Behörde Ausführungsbestimmungen zu diesem Artikel erlassen kann. In Artikel 15 ist festgelegt, daß die Entscheidungen usw… der Hohen Behörde mit Gründen zu versehen sind, daß sie auf die pflichtgemäß eingeholten Stellungnahmen Bezug zu nehmen haben, daß sie den Beteiligten zuzustellen sind bzw. daß sie veröffentlicht werden müssen.

    Angesichts dieses Inhalts von Artikel 15 könnte es zweifelhaft erscheinen, ob die in Absatz 4 ausgesprochene Ermächtigung mehr umfaßt als die Regelung einiger formaler Gesichtspunkte (Ausgestaltung der Begründung, Art der Zustellung und Modus der Veröffentlichung), insbesondere, ob sie der Hohen Behörde gestattet festzulegen, unter welchen Voraussetzungen ihre Äußerungen den Charakter verbindlicher Entscheidungen haben sollen.

    Diese Zweifel verlieren jedoch an Bedeutung, wenn man, was ich für richtig halte, der Auffassung ist, daß die Hohe Behörde einer besonderen vertraglichen Ermächtigung nicht bedurfte, weil die getroffene Regelung grundsätzlich gedeckt wird von der allgemeinen Kompetenz, hoheitlich tätig zu werden.

    Eine Entscheidung ist ja nichts anderes als die Willensäußerung einer Behörde, gerichtet auf die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges. Wesentlich ist, wie der Bevollmächtigte der Hohen Behörde mit Recht hervorgehoben hat, daß ein subjektives Element, nämlich der Entscheidungswille, vorhanden und erkennbar ist. Gibt eine Behörde zu verstehen, daß eine Verlautbarung im Einzelfall noch nicht endgültigen Charakter haben, verbindlich sein soll, in der Weise, daß daraus Rechtsfolgen abgeleitet werden können — ein Vorbehalt, zu dem sie zweifellos befugt ist —, so fehlt ihrer Äußerung die Qualität eines Rechtsaktes, nach der Terminologie des Vertrages der Entscheidungscharakter. Was aber für den Einzelfall zulässig ist, kann m. E. auch in allgemeiner Weise festgelegt werden, d. h. eine Behörde muß befugt sein, Kriterien zu normieren, von deren Einhaltung nach ihrem Willen der Eintritt rechtlicher Folgen im Verhältnis zu den Betroffenen abhängig sein soll. Diese Kriterien gelten nach dem Vertrauensprinzip, an das jede Verwaltung gebunden ist, so lange, als die Behörde nicht die allgemeine Regelung abändert oder deutlich zu erkennen gibt, daß sie eine Abweichung im Ausnahmefall beabsichtigt, was insbesondere in bezug auf die äußere Form denkbar wäre.

    Die Entscheidung Nr. 22/60 enthält außer der Aufstellung von Formregeln aber noch ein besonderes Element, dessen Bedeutung gerade im vorliegenden Verfahren hervortritt. Die Entscheidungsgewalt ist nach dem Vertrage der Hohen Behörde, also einem Kollegium, bestehend aus neun Mitgliedern, vorbehalten. Nur Beschlüsse dieses Kollegiums sind verbindlich, es sei denn, daß die Hohe Behörde die Ausübung bestimmter Befugnisse auf einzelne Mitglieder oder auf untergeordnete Dienststellen überträgt. Wenn nun Artikel 1 der Entscheidung Nr. 22/60 anordnet, als Entscheidungen der Hohen Behörde seien nur anzusehen Akte, welche die Unterschrift eines Mitglieds der Hohen Behörde und den Zusatz „Für die Hohe Behörde“ tragen, so ist damit als Grundsatz festgelegt, daß untergeordnete Dienststellen der Hohen Behörde nicht befugt sind, für die Hohe Behörde in verbindlicher Weise zu handeln, d. h. selbst Entscheidungen zu erlassen oder angeblich gefaßte Beschlüsse der Hohen Behörde verbindlich zu verlautbaren. Artikel 1 der Entscheidung Nr. 22/60 stellt so gesehen eine Art Kompetenzregelung dar, zu der die Hohe Behörde in jedem Falle befugt ist.

    b)

    Kommen wir demnach zu der Feststellung, daß an der Regelung der Entscheidung Nr. 22/60 (deren Einzelheiten hier nicht alle interessieren) grundsätzlich nichts auszusetzen ist — ihre administrative Nützlichkeit gerade für die Gewaltunterworfenen der Hohen Behörde steht außer jedem Zweifel —, so stellt sich an zweiter Stelle die Frage, ob durch irgendwelche späteren Akte der Hohen Behörde die Bedeutung dieser Regelung aufgehoben oder geschmälert worden ist. Das scheint mir aber nicht der Fall zu sein.

    Namentlich enthält die allgemeine Entscheidung Nr. 7/63 weder eine offene noch eine stillschweigende Änderung der grundsätzlichen Entscheidung Nr. 22/60. Neben ihrem materiellen Gehalt zur Berechnung des Ausgleichs — Festsetzung des Ausgleichspreises für bestimmte Zeiträume, des Beitragssatzes usw… — spricht sie sich aus in deklaratorischer Form über Maßnahmen der weiteren geschäftlichen Abwicklung: „Jedem beitragspflichtigen Unternehmen wird eine vollständige Abrechnung übermittelt, in der alle Guthaben und Verpflichtungen gegenüber den Ausgleichseinrichtungen berücksichtigt werden Ergibt sich bei der Abrechnung ein Saldo zugunsten der Ausgleichseinrichtungen, so ist der Betrag vom Unternehmen auf das Konto der Hohen Behörde bei einer der folgenden Banken bis zum 31. Mai 1963 einzuzahlen“. Die Entscheidung Nr. 7/63 ist also nichts anderes als eine allgemeine Entscheidung im Rahmen des Schrottausgleichs, die auf den Erlaß von Durchführungsakten angewiesen ist, in denen für jedes Unternehmen die Beitragsschulden konkretisiert werden.

    Wenn sie in Artikel 6 von Abrechnungen spricht, so besagt sie aber nicht, daß die vollständige Abrechnung durch untergeordnete Dienststellen der Hohen Behörde mehr als die Bekanntgabe einer geschäftlichen Operation ist und daß es für die verbindliche Feststellung des Schuldsaldos nicht auf die Regeln der Entscheidung Nr. 22/60, namentlich auf deren Kompetenzregeln ankommen müsse. Folglich haben wir festzustellen, daß nach den gültigen formellen Maßstäben der Entscheidung Nr. 22/60, vor allem nach ihren Kompetenzregeln, denen gegenüber in der Beurteilung der materielle Gehalt der Abrechnungen zurückzutreten hat, die angefochtenen Schreiben vom 8. April 1963 nicht als Entscheidungen gewertet werden können.

    c)

    Fragen wir uns aber gleichwohl abschließend noch, welche Beurteilung der Schreiben sich ergeben würde, wenn sie nur an den in der Rechtsprechung zutage getretenen Kriterien zu messen wären. Diese Rechtsprechung bezieht sich ausschließlich auf die Zeit vor Erlaß der Entscheidung Nr. 22/60. Es gab damals eine Reihe von Fällen, in denen streitige Verlautbarungen aus dem Haus der Hohen Behörde oder von Dienststellen der Ausgleichseinrichtung als angreifbare Entscheidungen angesehen wurden (Schreiben der Hohen Behörde an die belgische Regierung über die Umgestaltung des belgischen Ausgleichsmechanismus, Rechtssache 8/55; Bekanntgabe der Schrottausgleichskasse zur Umlagehöhe, Rechtssachen 32, 33/58; Ablehnung eines Antrags auf Freistellung vom Schrottausgleich, Rechtssache 14/59; Schreiben eines Beamten der Hohen Behörde zur Möglichkeit der Freistellung vom Schrottausgleich, Rechtssachen 15 und 29/59; Ablehnung eines Antrags auf Erlaß der allgemeinen Umlage, Rechtssachen 41 und 50/59).

    Zu beachten ist aber folgendes:

    Das in der Rechtssache 8/55 angegriffene Schreiben war im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlicht und in der Überschrift als Schreiben der Hohen Behörde gekennzeichnet;

    die in den Rechtssachen 32 und 33/58 zu beurteilenden Akte waren erlassen von der Ausgleichskasse für eingeführten Schrott zu einer Zeit, als diese noch im Besitze von Befugnissen war, die ihr von der Hohen Behörde übertragen worden waren;

    in der Rechtssache 14/59 trug das angegriffene Schreiben den Briefkopf „Hohe Behörde“; bei der Unterschrift war vermerkt, daß diese „für die Hohe Behörde“ geleistet wurde, und unterzeichnet war das Schreiben von einem Mitglied der Hohen Behörde;

    auch das angegriffene Schreiben in den Rechtssachen 41 und 50/59 war „für die Hohe Behörde“ unterzeichnet;

    in den Rechtssachen 15 und 29/59 enthält das angefochtene Schreiben immerhin die Formulierung „la Haute Autorité a constaté“;

    vor allem aber findet sich im jüngsten Urteil dieser Reihe (Rechtssachen 42 und 49/59, Urteil vom 22. März 1961, RsprGH VII 154) folgende Feststellung: „Was die Form anbelangt, so ist dieses Schreiben lediglich vom Leiter der Marktabteilung, und zwar in seinem eigenen Namen und nicht namens und im Auftrage der Hohen Behörde unterzeichnet worden; es kann daher nicht als Entscheidung der Hohen Behörde angesehen werden“.

    Auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, vor allem nach seinem letzten Urteil, würde also kein Anlaß bestehen, die im vorliegenden Verfahren angefochtenen Schreiben als Entscheidungen, wenn auch als Entscheidungen, die mit Formfehlern behaftet sind, zu qualifizieren.

    d)

    Da nach dem Vertrag nur Entscheidungen und Empfehlungen angegriffen werden können, hat der Gerichtshof daher keine andere Möglichkeit, als die sich auf die Schreiben vom 8. April 1963 beziehenden Anträge wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen. Dies bedeutet für die Kläger keine Verkürzung des Rechtsschutzes, denn nach Erlaß von individuellen Entscheidungen können sie immer noch die Nachprüfung aller der Fragen veranlassen, die sie im gegenwärtigen Verfahren aufgeworfen haben.

    2. ZUR ANFECHTUNG DER ENTSCHEIDUNG Nr. 7/63

    Der Streitgegenstand ist damit jedoch nicht erschöpft. Die Kläger haben weiterhin den Antrag gestellt, die Entscheidung Nr. 7/63 insoweit aufzuheben, als in ihr der Beschluß des Beirats der Ausgleichskasse vom 8. Mai 1957, mit dem die Kläger für eine gewisse Periode vom Schrottausgleich freigestellt worden sein sollen, nicht berücksichtigt wird. Sie räumten zwar in den Klageschriften ein, daß sie einen ausdrücklichen Widerruf des Beschlusses vom 8. Mai 1957 weder in der allgemeinen Entscheidung Nr. 7/63 noch in der Zahlungsaufforderung vom 8. April 1963 erkennen könnten, und sie erklären deshalb, Zweifel daran zu haben, ob sie in dieser Hinsicht von der Entscheidung betroffen seien. Eine Besprechung mit einem Rechtsberater der Hohen Behörde am 3. Mai 1963 habe ihre Unsicherheit nicht behoben, sondern eher verstärkt. Zur Klage habe sie außerdem der Text der Erwägungen in der Entscheidung Nr. 7/63 bestimmt, in denen die Möglichkeit allgemeiner Berichtigungen angekündigt wird, sowie die Erkenntnis, daß die Zahlungsaufforderungen vom April 1963 von der Aufhebung der Freistellung ausgegangen sein müßten.

    Der Prozeßbevollmächtigte der Hohen Behörde erklärte zu diesem Antragspunkt, die Kläger seien in der Unterhaltung mit dem Rechtsberater der Hohen Behörde einem Irrtum unterlegen. Die Entscheidung Nr. 7/63 stelle nach dem Text und nach dem Willen der Hohen Behörde eine allgemeine Entscheidung dar, welche die konkreten Fälle der Kläger nicht behandeln wolle und daher die Kläger nicht individuell betreffe.

    Für die Beurteilung des zweiten Antragsteiles ist zunächst wichtig, die Klarstellung im Auge zu behalten, die auf eine Frage des Gerichtshofes am Schluß der mündlichen Verhandlung vorgenommen wurde. Der Vertreter der Kläger erläuterte dabei, die Entscheidung Nr. 7/63 sei nur angefochten, insoweit sie eine individuelle Entscheidung enthalte. Müsse die Entscheidung Nr. 7/63 als allgemeine Entscheidung angesehen werden und werde der erste Antragsteil als unzulässig zurückgewiesen, so entfalle auch die Notwendigkeit, den zweiten Antragsteil zu behandeln.

    Diese Klarstellung ist bedeutsam, weil an sich nichts gegen die Zulässigkeit einer Klage einzuwenden ist, die eine allgemeine Entscheidung betrifft, wenn — was hier der Fall ist — in substantiierter Weise der Vorwurf des „détournement de pouvoir à leur égard“ erhoben wird.

    Was nun die Qualifizierung der Entscheidung Nr. 7/63 angeht, so ergibt sich bei der Lektüre ihres Tenors, der Erwägungen und der Anlagen mit Deutlichkeit, daß eine Beitragspflicht und eine Beitragsfreistellung der Kläger oder anderer Unternehmen als Einzelfall nicht behandelt wird. Zweck der Entscheidung Nr. 7/63 ist es, eine Grundlage zu schaffen für die definitive Erstellung der Einzelabrechnungen. Vor allem legt sie fest, welche Schrottmengen im Schrottausgleich zu berücksichtigen sind und welcher Beitragssatz sich daraus für die verschiedenen Zeiträume ergibt.

    Auch aus den Anlagen zur Entscheidung sind nur globale Zahlen zu entnehmen, die nichts aussagen über das von der Hohen Behörde dem Schrott der Kläger zugedachte Schicksal. Somit fehlt es effektiv an Elementen, die gestatten würden, auch nur einzelne Teile der Entscheidung Nr. 7/63 als individuell zu qualifizieren. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die allgemeine Entscheidung Nr. 7/63 die Kläger nachteilig betrifft und beschwert, wird sich erkennbar und mit Verbindlichkeit erst zeigen, wenn individuelle Entscheidungen zu ihrer Durchführung ergehen. In diesem Zeitpunkt wird es den Klägern sodann möglich sein, die den individuellen Entscheidungen zugrunde liegende allgemeine Entscheidung Nr. 7/63 mit der Einrede der Rechtswidrigkeit zum Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung zu machen.

    Die Verdeutlichung der Klageanträge in der mündlichen Verhandlung erlaubt es uns demnach, auch den zweiten Antragsteil zurückzuweisen, ohne auf die Hauptsache einzugehen.

    Die Klagen sind folglich in vollem Umfang unzulässig.

    3. KOSTENFRAGE

    Es bleibt schließlich noch das Problem der Kostentragung. Der Hohen Behörde sind, soweit ersichtlich, keine besonderen Kosten entstanden; sie stellte auch keinen Kostenantrag.

    Die Kläger aber bestehen darauf, daß ihre Kosten Her Hohen Behörde auferlegt werden, was nach Artikel 69 § 3 der Verfahrensordnung möglich ist, wenn die obsiegende Partei die Kosten der Gegenpartei ohne angemessenen Grund oder böswillig verursacht hat.

    Ähnliche Vorschriften kennt das nationale Prozeßrecht (§ 93 ZPO; § § 155, 156 VGO; Lenoan: La procédure devant le Conseil d'Etat, 1954 S. 198). Sie werden im allgemeinen dahin interpretiert, daß die Kosten der Gegenpartei auferlegt werden, wenn auf Grund aller erkennbaren Umstände vernünftigerweise der Schluß auf die Notwendigkeit einer Prozeßeinleitung gerechtfertigt war.

    In den Rechtssachen 16 bis 18/59 (RsprGH VI 65 f.) hat der Gerichtshof trotz Unzulässigkeit der Klagen die Kosten zum Teil der Hohen Behörde auferlegt, weil diese durch eine ausgesprochen zwingende Fassung einer Entscheidungserwägung den Eindruck einer endgültigen Stellungnahme erweckt habe. Wenn ich versuche, diese Prinzipien auf den vorliegenden Fall anzuwenden, so komme ich zu folgendem Ergebnis:

    a)

    Es ist einzuräumen, daß die angegriffenen Schreiben nach ihrem Inhalt durchaus den Eindruck verbindlicher Entscheidungen erwecken konnten. Es wird zur Zahlung einer bestimmten Summe aufgefordert, und für die Begleichung der Schuld ist eine Frist gesetzt, woraus die Empfänger schließen durften, daß bei erfolglosem Ablauf der Frist Rechtsnachteile, also bestimmte negative Rechtsfolgen, definitiv eintreten sollten.

    Dieser Eindruck wird verstärkt durch die in den Schreiben enthaltene Bezugnahme auf die allgemeine Entscheidung Nr. 7/63, die ihrerseits eine, wenn auch allgemeine Zahlungsaufforderung und die gleiche Fristsetzung zum Inhalt hat.

    Demgegenüber ist der mit der Abrechnung übersandte erläuternde Vermerk kaum geeignet, den ersten von den Schreiben ausgehenden Eindruck zu korrigieren, denn er enthält den Vorbehalt, daß nur Fragen im Wege der Gegenvorstellung vorgebracht werden sollen, die noch nicht Gegenstand einer Stellungnahme der Hohen Behörde waren. Was schon Gegenstand einer Stellungnahme der Hohen Behörde war — wobei unklar ist, in welchem Sinne „Stellungnahme“ zu verstehen ist (im Sinne einer entscheidenden Äußerung des Kollegiums der Hohen Behörde oder auch im Sinne eines Urteils, das von einer Dienststelle abgegeben wird) —, soll offenbar der rechtlichen und tatsächlichen Diskussion im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vor der Hohen Behörde entzogen sein.

    Das aber deutet auf die beabsichtigte Endgültigkeit von Äußerungen hin, die von dem Vorbehalt erfaßt werden, auch wenn objektiv Zweifel an der Zulässigkeit eines solchen Vorbehalts aufkommen konnten.

    Konnte also der Inhalt der Schreiben die Empfänger durchaus zu der Annahme bestimmen, es handele sich um angreifbare Entscheidungen, so fragt es sich, ob ihre Form die Unternehmen zu einer wesentlichen Korrektur dieser Beurteilung veranlassen mußte.

    Einen Maßstab liefert hier einmal die Entscheidung Nr. 22/60. Ihr Inhalt ist aber noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung gewesen, und auch hohe Beamte und Mitglieder der Hohen Behörde konnten natürlicherweise keine sichere Meinung äußern über den Einfluß, den diese Entscheidung auf die gerichtliche Beurteilung von Verlautbarungen der Hohen Behörde haben müsse.

    Einen Maßstab konnte weiterhin die Rechtsprechung des Gerichtshofes abgeben, namentlich sein letztes Urteil zur Frage der Qualifizierung hoheitlicher Akte (Rechtssachen 42 und 49/59). Wir müssen aber bekennen, daß die Gesamtheit der verschiedenen einschlägigen gerichtlichen Äußerungen bei Berücksichtigung aller Nuancen im Sachverhalt doch vielleicht für die Rechtsunterworfenen nicht ein vollkommen klares und übersichtliches Bild und damit eine zuverlässige Richtschnur für deren prozessuales Verhalten darstellen mag.

    Von Einfluß auf die Dispositionen der Kläger konnte schließlich die Äußerung eines Mitglieds der Hohen Behörde sein, das in einem Schreiben vom 6. Mai 1963 auf Anfrage der luxemburgischen Geschäftsstelle der Deutschen Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, die offenbar von den Klägern veranlaßt wurde, die Versicherung abgegeben hat, die Zahlungsaufforderungen vom 8. April 1963 stellten keine formellen Entscheidungen dar. Begründete individuelle und vollstreckbare Entscheidungen würden nur erlassen, wenn die Unternehmen ihre Zustimmung zu den mitgeteilten Salden verweigerten. Gegen diese vollstreckbaren Entscheidungen könne im Rechtswege Einspruch erhoben werden. Erst in diesem Zeitpunkt beginne die Klagefrist nach Artikel 33 des Montanvertrages zu laufen.

    Der Bevollmächtigte der Hohen Behörde hat aber in der Verhandlung darauf hingewiesen, daß die Äußerung eines einzelnen Mitglieds der Hohen Behörde nicht das Kollegium und schon gar nicht den Gerichtshof in seiner Beurteilung binden könne. Seine Ratschläge zu befolgen, mochte also den Unternehmen verständlicherweise nicht genügend sicher zur Wahrnehmung ihrer Interessen erscheinen, von Interessen zumal, deren subjektive Bedeutung bei einem Vergleich des Streitwertes mit der Unternehmensgröße ins rechte Licht kommt.

    Alle diese Momente zusammengenommen sollten, so glaube ich, den Gerichtshof veranlassen, den Entschluß der Kläger zur Klageerhebung nicht als unvernünftig im Sinne des Kostenrechts anzusprechen, vielmehr anzuerkennen, daß gewisse Formulierungen von Dienststellen der Hohen Behörde in den angegriffenen Schreiben die Voraussetzungen erfüllen, die nach Artikel 69 § 3 der Verfahrensordnung eine Kostenentscheidung zugunsten der Kläger rechtfertigen.

    b)

    Was den zweiten Klageantrag angeht, so fußt er im wesentlichen auf der Annahme, die Entscheidung Nr. 7/63 enthalte den individuellen Widerruf der den Klägern gewährten Freistellungen.

    Wäre man nur auf den Text dieser Entscheidung angewiesen, so bliebe angesichts seiner eindeutigen Fassung, die nirgendwo ein individuelles Element unmittelbar erkennen läßt, nur die Möglichkeit, die Anfechtung dieser Entscheidung als individuelle Entscheidung unverständlich zu finden und einen entsprechenden Kostenantrag zu stellen.

    Dem ist aber nicht so. Wesentlich mitbestimmend für die Erhebung ihrer Klage war für die Kläger die Zahlungsaufforderung vom 8. April 1963, die sich ausdrücklich auf die Entscheidung Nr. 7/63 stützt. Wenn aber in dieser Zahlungsaufforderung die streitigen Freistellungsbeschlüsse tatsächlich nicht berücksichtigt sind, durften die Kläger annehmen, daß der Widerruf ihrer Freistellungen — ein solcher ist rechtlich sicher unerläßlich — in der Entscheidung Nr. 7/63 beabsichtigt sei, daß diese also individuelle Elemente in bezug auf die Kläger aufweise. Für die kostenrechtliche Entscheidung sollte daher m. E. der von den Zahlungsaufforderungen ausgehende Eindruck und sein Einfluß auf die Dispositionen der Kläger in gleicher Weise beachtlich sein hinsichtlich des zweiten Klageantrags, und dies unabhängig von der strittigen Frage, ob ein höherer Beamter der Hohen Behörde durch gewisse Äußerungen über den Inhalt der Entscheidung Nr. 7/63 ein zusätzliches Motiv zur Klageerhebung geschaffen haben mag. Auch für den zweiten Klageantrag empfiehlt sich also eine Kostenentscheidung zugunsten der Kläger.

    4. Zusammenfassend komme ich zu dem Resultat, daß die eingereichten Klagen zwar unzulässig und aus diesem Grunde abzuweisen sind, daß aber die Hohe Behörde gemäß Artikel 69 § 3 der Verfahrensordnung die Kosten der Verfahren zu tragen hat.

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