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Document 61961CC0016

    Schlussanträge des Generalanwalts Roemer vom 29. Mai 1962.
    Acciaierie Ferriere e Fonderie di Modena gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
    Rechtssache 16-61.

    Englische Sonderausgabe 1962 00583

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1962:18

    Schlußanträge des Generalanwalts

    HERRN KARL ROEMER

    29. Mai 1962

    GLIEDERUNG

    Seite
     

    Einleitung

     

    Rechtliche Beurteilung

     

    I — Ist die Verhängung der Geldbuße dem Grunde nach gerechtfertigt?

     

    1. Erstes Argument der Klägerin

     

    2. Zweites Argument der Klägerin

     

    3. Drittes Argument der Klägerin

     

    4. Viertes Argument der Klägerin

     

    5. Zusammenfassung

     

    a) Erster Fall

     

    b) Zweiter Fall

     

    c) Dritter Fall

     

    d) Vierter Fall

     

    II — Bemerkungen zur Höhe der verhängten Geldbuße

     

    1. Hat die Hohe Behörde im ersten Tatbestand zu Unrecht erschwerende Umstände angenommen?

     

    2. Hat die Hohe Behörde zu Unrecht die Berücksichtigung mildernder Umstände unterlassen?

     

    3. Ist eine ausreichende Begründung für die Bemessung der Straf höhe gegeben?

     

    4. Bemessung der Strafhöhe

    Herr Präsident, meine Herren Richter!

    In der vorliegenden Rechtssache geht es um die Rechtmäßigkeit, hilfsweise um die Höhe einer Geldbuße, welche die Hohe Behörde in ihrer Entscheidung vom 21. Juni 1961 gegen die Klägerin wegen verschiedener Verstöße gegen Artikel 60 des Vertrages und gegen Durchführungsentscheidungen zu Artikel 60 verhängt hat.

    Die gerügten Verstöße wurden ermittelt durch Kontrolleure der Hohen Behörde bei Prüfungen im Jahre 1959. Vor Erlaß der Entscheidung hatte die Klägerin Gelegenheit, schriftlich und mündlich der Hohen Behörde ihre Stellungnahme mitzuteilen.

    Folgende vier Fälle oder Fallgruppen stehen zur Debatte:

    a)

    Die Sidercomit hat für Lieferungen der Klägerin nur einen Teil des in Rechnung gestellten und der Preisliste entsprechenden Betrags gezahlt, so daß eine Restforderung in Höhe von 437857 Lire offenblieb. Der Differenzbetrag wurde angeblich von Aktionären der Klägerin für Rechnung der Sidercomit bar in die Kasse der Klägerin eingezahlt.

    b)

    Die Klägerin hat des öfteren Wechsel mit einer Laufzeit von 60, 90 oder 120 Tagen angenommen und entsprechende Verzögerungszuschläge in Rechnung gestellt. In ihrer Buchführung habe die Klägerin, so erklärt die Hohe Behörde, den Unterschied zwischen den Bruttobeträgen der Rechnungen und den Nettobeträgen der diskontierten Wechsel zugunsten der Kunden als „spese di sconto“ verbucht. Dieser Unterschiedsbetrag sei höher gewesen als die tatsächlich an die Banken entrichteten Wechselkosten, woraus sich ungerechtfertigte Preisnachlässe in Höhe von 302186 Lire ergaben.

    c)

    Für Lieferungen an bestimmte Kunden hat die Klägerin die Transportkosten übernommen, obwohl ihre Preisliste Preise ab Frachtbasis vorsieht. Den Kunden seien dadurch, so sagt die Hohe Behörde, Preisnachlässe in Höhe von 3164792 Lire gewährt worden.

    d)

    Die Klägerin hat nach den Feststellungen der Hohen Behörde ihrem Depositär, der Firma Orsi, mit Rücksicht auf verwandtschaftliche Beziehungen Preisnachlässe in Höhe von insgesamt 4258998 Lire eingeräumt.

    Hinsichtlich dieser vier Sachverhalte, die ich in der rechtlichen Untersuchung die Fälle 1 bis 4 nennen werde, hat die Klägerin Argumente vorgebracht, die zum Teil in gleicher Weise für alle vier Fälle gelten, teilweise nur einzelne oder einen einzigen dieser Fälle betreffen.

    Im Interesse einer systematischen Abhandlung scheint mir folgender Aufbau der Schlußanträge angezeigt: In einem ersten Abschnitt soll untersucht werden, ob sich für die von der Hohen Behörde gerügten Verstöße zugunsten der Klägerin eine Rechtfertigung finden läßt. Vom Ergebnis dieser Überlegungen hängt es ab, wie weit in einem zweiten Abschnitt die Notwendigkeit besteht, zur Höhe der verhängten Geldbuße Ausführungen zu machen.

    Innerhalb des ersten Abschnittes werde ich nicht die einzelnen Verstöße der Reihe nach untersuchen, was eine Wiederholung der vorgebrachten Argumente unvermeidbar machen würde, sondern die rechtliche Erörterung nach der logischen Ordnung der Angriffsmittel orientieren.

    Der erste Platz gebührt demnach dem Argument der Klägerin, das Diskriminierungsverbot sei deswegen nicht verletzt, weil sie ungleiche Bedingungen auf nicht vergleichbare Geschäfte angewandt habe. Danach ist zu prüfen, ob der Vorwurf der Diskriminierung mit der Begründung ausgeräumt werden kann, bestimmte Rechnungsbeträge seien zwar nicht vom Empfänger der Ware, aber für dessen Rechnung von dritter Seite bezahlt worden. An dritter Stelle ist zu erwägen, ob die tatsächlich oder angeblich gewährten Preisnachlässe mit Hilfe einer nachträglichen Preisangleichung gerechtfertigt werden können. Schließlich ist das Argument zu erörtern, ein Preisnachlaß sei nicht gegeben, weil die nicht bezahlten Rechnungsbeträge uneintreibbare Restforderungen darstellten.

    Was die Höhe der ausgesprochenen Geldstrafe angeht, so ist im zweiten Teil der Untersuchung die allgemeine Einwendung der Klägerin zu betrachten, die Hohe Behörde habe bestimmte mildernde Umstände nicht berücksichtigt. Hinsichtlich des ersten Tatbestands rügt die Klägerin außerdem, die Hohe Behörde habe in der Art der Verbuchung eingegangener Beträge zu Unrecht einen erschwerenden Umstand erblickt.

    Rechtliche Beurteilung

    I — IST DIE VERHÄNGUNG DER GELDBUSSE DEM GRUNDE NACH GERECHTFERTIGT?

    1. Erstes Argument der Klägerin

    Die Anwendung spezieller Bedingungen auf nicht vergleichbare, einmalige Geschäfte stellt keine Verletzung des Diskriminierungsverbots dar. (Dieses Argument gilt für den zweiten und für den vierten Fall).

    Aus der Begründung der Entscheidung Nr. 30/53 will die Klägerin entnehmen, daß es auch nach der Ansicht der Hohen Behörde für die Vergleichbarkeit von Geschäften auf die Eigenschaften der Käufer ankomme. Die Sidercomit (Käufer im ersten Fall) sei ein Handelsunternehmen der staatlichen Stahlindustrie, das normalerweise nicht auf dem privaten Markt kaufe, sondern sich auf den Verkauf der Erzeugnisse der staatlichen Stahlindustrie beschränke. Nach allgemeiner Ansicht sei das Preisrecht des Vertrages nicht anwendbar auf Geschäfte, bei denen Staaten (etwa für die Bedürfnisse der staatlichen Eisenbahnen oder für militärische Zwecke) als Käufer von EGKS-Produkten auftreten.

    Eigentümer der Firma Orsi (Käufer im vierten Fall) sei der Schwager des Geschäftsführers der Klägerin. Dieses Unternehmen habe außerdem zu der fraglichen Zeit vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch gestanden. Da der Betrieb der Klägerin und die Firma Orsi aus einem einzigen Unternehmen hervorgegangen seien, habe man in Wirtschaftskreisen stets angenommen, daß zwischen den beiden Betrieben engste Beziehungen bestehen. — Sowohl die Firma Orsi wie die Sidercomit müßten also vom Standpunkt der Klägerin aus verglichen mit deren übrigen Kunden als Käufer mit besonderen Merkmalen angesehen werden.

    Für die rechtliche Untersuchung stellt sich die Frage, ob die angeführten Umstände geeignet sind, die Vergleichbarkeit der gerügten Geschäfte mit den übrigen Geschäften der Klägerin zu beseitigen, d. h. ob sie Geschäftselemente darstellen, deren Bedeutung im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot die Annahme einmaliger Vorgänge rechtfertigt.

    Ausgangspunkt für die Beurteilung ist der Vertrag, der in Artikel 60 die unerlaubte Diskriminierung definiert als eine Anwendung ungleicher Bedingungen auf vergleichbare Geschäfte. Es ist offensichtlich, daß nach dieser Formulierung für den Vergleich in erster Linie wesentlich sind die objektiven Elemente eines Geschäftes, d. h. diejenigen Abmachungen und Bestandteile, welche die Art der Ware, Menge, Qualität, Abmessungen, Lieferzeit (Saisonunterschiede), Lieferbedingungen, Dauer der Geschäftsbeziehungen etc. betreffen. Auch die Entscheidung der Hohen Behörde Nr. 31/53, insbesondere deren Artikel 2, liegt auf dieser Linie.

    Es fragt sich aber, ob und inwieweit auch solche Elemente eines Geschäftes, die begründet sind in der Person der Geschäftspartner und in deren individuellen Verhältnissen, für die Vergleichbarkeit eine Rolle spielen. Wenn die Klägerin hinweist auf die Entscheidung Nr. 30/53, in der die Rede ist von Käufern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, so muß gesagt werden, daß sich aus dem vollständigen Wortlaut dieser Entscheidungsstelle die Richtigkeit ihrer Ansicht nicht ableiten läßt. Es heißt da nämlich: „In der Erwägung, daß es mit der Einheitlichkeit der Gemeinschaft nicht vereinbar ist, daß auf in vergleichbarer Lage befindliche Käufer ungleiche Bedingungen angewendet werden, sofern es sich nicht um eine unterschiedliche Behandlung nach Wert oder Menge der Geschäfte handelt, die ein Käufer mit einem bestimmten Verkäufer getätigt hat.“ Die zitierte Stelle könnte also eher den Schluß zulassen, daß die Hohe Behörde eine Sonderbehandlung verschiedener Käufer nur dann billigen möchte, wenn sie sich begründen läßt mit Wert oder Menge der abgeschlossenen Geschäfte.

    Es ist aber nicht zu bestreiten, daß für die Vergleichbarkeit auch Umstände in Betracht zu ziehen sind, die man als subjektive Elemente qualifizieren könnte, etwa die Funktionen des Käufers auf dem Markt (Händlerrabatte) oder die Art der Verwendung gekaufter Güter (Lieferung für die Zwecke des Hausbrands oder für die öffentliche Versorgung). In diesem Bereich die erheblichen von den unerheblichen Elementen abzugrenzen, ist sicher nicht leicht. Ohne eine solche Grenzziehung würde das Diskriminierungsverbot aber seines Inhalts entleert, weil sich in jedem Fall subjektive Merkmale finden lassen, die einen Vergleich mit anderen Geschäften ausschließen.

    Aus dem Text des Vertrages läßt sich der Schluß ziehen, daß sich die subjektiven Verhältnisse der Geschäftsparteien in der Regel für die Unterscheidung der Geschäfte nicht eignen. Darauf weist m. E. hin das ausdrückliche Verbot der Diskriminierung nach der Nationalität der Käufer, das der Vertragstext unmittelbar an die Bestimmung anschließt, in der die Anwendung ungleicher Bedingungen auf vergleichbare Geschäfte für verboten erklärt wird.

    Auch in den Entscheidungen der Hohen Behörde wird eine Unterscheidung nach der Nationalität und nach dem Sitz der Käufer ausdrücklich für unzulässig erklärt (Entscheidung Nr. 30/53, Artikel 6). Als zulässiges Unterscheidungskriterium subjektiver Art ist nur erwähnt die Händlereigenschaft, die einen Funktionsrabatt rechtfertigt (Entscheidung Nr. 2/54, Artikel 2). In diesem Fall handelt es sich um Funktionen des Käufers im Markte, die Rückwirkungen haben auf den Absatz des Verkäufers, auf dessen Produktivität, die also in einem sachlichen Zusammenhang stehen mit dem abgeschlossenen Geschäft und der wirtschaftlichen Tätigkeit des Lieferanten.

    Es ist offensichtlich, daß mit dem erwähnten Beispiel nicht entfernt verglichen werden können familiäre Beziehungen zwischen Verkäufer und Käufer, welche die Natur der getätigten Geschäfte in objektiver Weise nicht beeinflussen, oder Geschäftsbeziehungen, deren Eigenart allein in der Tatsache zu finden ist, daß ein Abnehmer seinen Eigentumsverhältnissen nach einer bestimmten Gruppe angehört. Für die wirtschaftliche Betrachtung und für ökonomisch rationelle Überlegungen sind derartige Verhältnisse rein zufälliger Natur und daher ohne Belang. Sie haben aber auch — und diese Feststellung ist besonders wichtig — keinerlei Bedeutung für die Verwirklichung der Vertragsziele, in deren Licht das Diskriminierungsverbot letzten Endes zu sehen ist.

    Was die mit der Sidercomit getätigten Geschäfte angeht, so erscheint es insbesondere unzulässig, sie gleichzusetzen mit Verkäufen an staatliche oder öffentliche Einrichtungen für hoheitliche Zwecke, die — was hier letztlich offenbleiben kann — eine abweichende Behandlung im allgemeinen Interesse rechtfertigen mögen.

    Es steht fest, daß die Sidercomit sich im vorliegenden Fall ausschließlich auf der privatwirtschaftlichen Ebene bewegt hat. Wenn der Staat in Gestalt von Erwerbsunternehmen sich am Wirtschaftsleben beteiligt, müssen diese sich aber gefallen lassen, daß ihre Geschäfte ebenso behandelt werden wie die Geschäfte privater Unternehmen.

    Schließlich kann in Ansehung des vierten Falles die Behauptung keine Rechtfertigung für eine Sonderbehandlung abgeben, die Firma Orsi habe sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden, was in Anbetracht enger familiärer Bindungen zu der Klägerin nachteilige Auswirkungen auf deren Geschäftsbetrieb befürchten ließ. Eine solche Zwangslage käme als Entschuldigungsgrund allenfalls dann in Betracht, wenn keine anderen Mittel zu ihrer Behebung vorhanden gewesen wären. Es ist aber nicht nachgewiesen, daß nur die Abweichung von der Preisliste als Ausweg offenblieb.

    Demnach ist festzustellen, daß der Klägerin mit ihrem ersten Argument eine Rechtfertigung ihres Verhaltens nicht gelungen ist.

    2. Zweites Argument der Klägerin

    Die teilweise Begleichung einer Kaufpreisschuld durch die Aktionäre der Klägerin stellt keine unzulässige Rabattgewährung dar. (Dieses Argument gilt nur für den ersten Fall).

    a)

    Dazu wendet die Hohe Behörde in erster Linie ein, die Klägerin habe für den behaupteten Zahlungsvorgang keinen Beweis erbracht oder angeboten. Auf die Fragen des Gerichtshofes wurde erklärt, der Nachweis könne geführt werden mit Hilfe des Kassenbuchs der Klägerin oder durch das Zeugnis des Hauptkassierers und des Geschäftsführers. Wie mir scheint, erübrigt sich aber die Durchführung einer Beweisaufnahme, weil eine Entscheidung aus rechtlichen Gründen möglich ist.

    b)

    Zur Begründung ihrer These, die Leistung des Kaufpreises durch Aktionäre der Klägerin stelle keine unzulässige Rabattgewährung seitens der Gesellschaft dar, weist die Klägerin hin auf die Verschiedenheit der Rechtsbeziehungen, die einerseits bestehen zwischen der AG als Verkäuferin und der Sidercomit als Käuferin und andererseits zwischen den Gesellschaftern der Klägerin und den Kunden der Klägerin. Die Unterscheidung rechtfertige sich aus der Rechtsnatur der Aktiengesellschaft als einer selbständigen juristischen Person. Nur bei Vereinigung aller Aktien in einer Hand könne daran gedacht werden, die Handlungen des Inhabers einer Gesellschaft der Gesellschaft selbst zuzurechnen.

    Die Hohe Behörde dagegen ist der Auffassung, für das Diskriminierungsverbot sei allein maßgeblich, welche Summe der Käufer tatsächlich bezahlt hat.

    Aus den Schriftsätzen und ihren Anlagen ergibt sich die gesellschaftsrechtliche Struktur der Klägerin. Nach den Erklärungen des Geschäftsführers in der Besprechung mit der Hohen Behörde vom 15. Mai 1961 sind alle Aktien der Gesellschaft im Besitze einer Familie, nämlich in den Händen des Geschäftsführers der Gesellschaft, seiner Ehefrau und seiner Schwägerin. Wenn auch in der Replik erklärt wurde, die Gesellschaft setze sich aus fünf Gesellschaftern zusammen, so steht doch in jedem Falle fest, daß die Geschicke der Gesellschaft von der sie beherrschenden Familie bestimmt werden.

    Das Diskriminierungsverbot will sicherstellen, daß alle Käufer eines Produzenten für vergleichbare Geschäfte gleiche Aufwendungen machen müssen. Für die Einhaltung des Verbots kann der rechtstechnische Vorgang der Bezahlung des Kaufpreises nicht entscheidend sein. Es ist nicht erforderlich, daß der Käufer selbst die Zahlung vornimmt. Insbesondere erscheint die Einschaltung Dritter nicht unzulässig, die für Rechnung des Käufers zahlen, etwa wenn gleichzeitig mit der Entrichtung des Kaufpreises eine Forderung des Käufers gegenüber dem Dritten untergeht.

    Meines Erachtens erheben sich aber auch keine Bedenken dagegen, daß der leistende Dritte dem Käufer mit der Entrichtung des Kaufpreises eine unentgeltliche Zuwendung machen will. Schenkungen sind nach dem Vertrage nicht unzulässig, solange das Subventionsverbot des Artikels 4 c nicht eingreift. Rechtlich ist in diesem Fall die Bezahlung einer fremden Schuld so zu sehen, daß gleichzeitig das Vermögen des Käufers durch die Zuwendung des Dritten unentgeltlich vermehrt und durch die Bezahlung seiner Schuld aus seinem Vermögen eine Aufwendung erbracht wird. Im Verhältnis zum Verkäufer wird demnach nicht nur fiktiv, sondern in Wirklichkeit der Kaufpreis in vollem Umfang aus dem Vermögen des Käufers entrichtet.

    Es fragt sich aber, ob diese rein privatrechtliche Betrachtung ausschlaggebend sein kann, wenn der Dritte, wie im vorliegenden Fall, mit dem Verkäufer aufs engste verbunden ist. In der Besprechung mit der Hohen Behörde hat der Geschäftsführer der Klägerin erklärt, er selbst habe die restliche Schuld der Sidercomit aus eigenen Mitteln bezahlt. In der schriftlichen Stellungnahme der Klägerin vom 15. Oktober 1960 wurde ausgeführt, ihre beiden Hauptgesellschafter seien für die restliche Schuld der Sidercomit aufgekommen. Es wurde außerdem eingeräumt, daß kein Rechtsverhältnis zwischen der Käuferin und den Aktionären der Klägerin bestand, kraft dessen die Käuferin die Begleichung der Kaufpreisschuld hätte verlangen können. Die Bezahlung erfolgte vielmehr — wie ausdrücklich betont wurde (vgl. die Erklärung vom 16. Mai 1961) — in dem Bestreben, die Käuferin zufriedenzustellen und sie der Klägerin als Kundin zu erhalten.

    Diese tatsächliche und rechtliche Situation legt den Gedanken nahe, daß in der Person der Hauptbeteiligten an der Gesellschaft etwas ausgeführt werden sollte, was der Gesellschaft selbst nicht gestattet war, nämlich die Gewährung unentgeltlicher Zuwendungen an einen Käufer im Rahmen eines konkreten Geschäftes, was gleichbedeutend ist mit der Einräumung unzulässiger Rabatte.

    Es ist bekannt, daß die Rechtswissenschaft sich um eine befriedigende Erfassung solcher Sachverhalte bemüht und insbesondere die Frage stellt, inwieweit von der Rechtsform juristischer Personen abstrahiert und durchgegriffen werden kann auf die natürlichen Personen als deren Träger, d. h. unter welchen Voraussetzungen das Verhalten der eine juristische Person beherrschenden natürlichen Personen mit dem Verhalten der juristischen Person identifiziert werden darf. In der amerikanischen Rechtsprechung greift hier die Lehre vom „dis-regard of legal entity“ ein, etwa wenn jemand, der einem gesetzlichen Verbot unterworfen ist, die verbotene Tätigkeit durch eine juristische Person ausführen läßt, die er beherrscht. Serick ist dieser Frage mit rechtsvergleichenden Untersuchungen für das deutsche Recht nachgegangen ( 1 ) und dabei trotz strenger, zurückhaltender Beurteilung zu Ergebnissen gelangt, die auch für das Wirtschaftsrecht der Gemeinschaft richtungweisend sein können. Auf Seite 207 seines Werkes ist etwa zu lesen: „So führt zum Beispiel die Umgehung eines gesetzlichen oder vertraglichen Wettbewerbsverbots mit Hilfe einer juristischen Person zu ihrer Identifizierung mit dem sie beherrschenden und mißbrauchenden Gesellschafter und damit zu einer Erstrekkung des Verbots auf die juristische Person. Will jemand, um ein anderes Beispiel zu nennen, sich unzulässigerweise Schmiergelder dadurch verschaffen, daß er diese an eine von ihm beherrschte juristische Person zahlen läßt, so muß er sich, so behandeln lassen, als habe er selbst die Gelder empfangen.“

    Ich bin der Auffassung, daß im vorliegenden Fall entsprechend zu verfahren ist. Es erscheint mir insbesondere nicht angebracht, die Identifizierung juristischer Personen mit ihren Trägern auf die Fälle der Einmann-Gesellschaften zu beschränken, sie muß auch dort eintreten, wo eine juristische Person von einer Personenmehrheit beherrscht wird, die nicht über alle Anteile verfügt, mit der Folge, daß die Handlungen dieser Personen unter bestimmten Umständen der juristischen Person zugerechnet werden. Dies gilt vor allem dann, wenn die juristische Person, wie im vorliegenden Falle, eine Familiengesellschaft ist, deren wenige Mitglieder ihre Entscheidungen sicherlich koordinieren. Hier wäre es ungerechtfertigt, für die Beachtung eines gesetzlichen Verbots,, dem die juristische Person unterliegt, der Unterscheidung zwischen der juristischen Person und ihren tatsächlichen Willensträgern eine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen. Demnach ist festzustellen, daß die Folgen der Geschäftshandlung der Gesellschaft, nämlich der Erlaß eines Teiles der Kaufpreisforderung, der eine unzulässige Rabattgewährung darstellt, im Sinne des Diskriminierungsrechts nicht ausgeglichen und behoben werden können durch die rein privatrechtlich wirksam vorgenommene Ausgleichsoperation der Gesellschafter. Dieses Verfahren stellt in seiner Finalität nichts anderes dar als die Verdeckung eines nach dem Wettbewerbsrecht unzulässigen Verhaltens.

    3. Drittes Argument der Klägerin

    Die der Klägerin gezahlten Beträge liegen in jedem Fall innerhalb der Grenzen, die der Vertrag für zulässige Preisangleichungen zieht. Die Tatsache, daß die Angleichung an eine bestimmte Liste nicht ausdrücklich und bewußt beim Abschluß der Geschäfte vorgenommen wurde, tritt gegenüber dem objektiven Ergebnis der Geschäfte zurück. (Dieses Argument bezieht sich auf alle vier Fälle.)

    a)

    Die Hohe Behörde wendet dagegen ein, die Klägerin habe sich in ihrer mündlichen und schriftlichen Stellungnahme vor Erlaß der Entscheidung zur Rechtfertigung nicht auf die Preisangleichung berufen. Eine Angleichung a posteriori, nach Abschluß und teilweiser Erfüllung eines Vertrages, sei nach dem Preisrecht der Gemeinschaft nicht zulässig.

    Was den ersten Teil des Einwands angeht, so ist m. E. der Ansicht der Klägerin zu folgen, nach der ein Argument nicht deshalb im Verfahren vor dem Gerichtshof ausgeschlossen ist, weil es im Verwaltungsverfahren vor der Hohen Behörde nicht vorgebracht wurde, und zwar insbesondere dann, wenn es sich um ein Argument rechtlicher Natur handelt. Die gegenteilige Ansicht der Hohen Behörde würde eine unbillige Einschränkung der Verteidigung des betroffenen Klägers und eine unzulässige Einschränkung der Nachprüfungsbefugnis des Gerichtshofes bewirken.

    Bedeutsamer und schwieriger ist die Frage, ob der Vertrag eine nachträgliche Angleichung an die Preise von Konkurrenzunternehmen gestattet, denn es steht fest, daß die Klägerin in keinem der hier streitigen Fälle die Ausrichtung beim Abschluß der Geschäfte erstrebt hat.

    Die Klägerin verweist für ihre Ansicht vor allem auf das Wort „effet“ in Artikel 60 § 2 b und zieht daraus den Schluß, daß für die Preisangleichung nicht die Absicht, sondern das objektive Ergebnis entscheidend sei. Faßt man den gesamten Wortlaut von Artikel 60 ins Auge, so kann es aber keinem Zweifel unterliegen, daß allein die von der Hohen Behörde gegebene Interpretation zutrifft.

    In Artikel 60 § 2 b ist vorgeschrieben, daß die Art der Preisstellung in bestimmter Weise gestaltet sein müsse. Unter Preisstellung versteht man gemeinhin die Preisbestimmung beim Abschluß des Geschäfts, nicht dagegen die einseitige Änderung, insbesondere Herabsetzung des Preises im Stadium der Erfüllung und Abwicklung eines Kaufvertrages.

    Noch deutlicher ist innerhalb des § 2 b die von der Hohen Behörde angezogene Bestimmung, derzufolge „das erfolgte Angebot nach der für einen anderen Ort aufgestellten Preistafel auszurichten“ ist. Von einem Angebot ist nur zu sprechen vor Abschluß des Vertrages, genauer: bis zu dem Zeitpunkt, in dem durch die Annahme des Käufers das Angebot im Vertrag aufgeht. Folglich ergibt sich aus Artikel 60 eine zeitliche Limitierung der Angleichungsbefugnis. Dazu kommt, daß der Terminus „ausrichten“ (aligner), wie nicht bestritten werden kann, ein finales Handeln, einen bewußten Willensakt, impliziert, der sich orientiert an dem Gegenstand, dem ein anderer angeglichen werden soll. Rein begrifflich kann eine Angleichung also nicht gegeben sein, wenn der Verkäufer im Zeitpunkt der Erfüllung der Kaufpreisschuld gezwungen wird, auf einen Teil des Preises zu verzichten, was — nach den Ausführungen der Klägerin — in den Fällen 2 und 4 wegen Zahlungsunfähigkeit der Schuldner geschehen sein soll. Hier ist das Endresultat der Geschäfte möglicherweise identisch mit einem kraft Preisangleichung zulässigen Geschäftsinhalt. Wesentlich ist jedoch, daß dieses Ergebnis nicht auf dem Entschluß des Verkäufers beruht. — Diese, nach dem Wortlaut des Artikels 60 zwingende Auslegung findet eine Bekräftigung im amerikanischen Wirtschaftsrecht, das bekanntlich in mancher Beziehung die Verfasser des Montanvertrages inspiriert hat. Der Robinson-Patman-Act von 1936 bestimmt in Section 2 b:

    „… nothing herein contained shall prevent a seller rebutting theprima-facie case thus made by showing that his lower price or thefurnishing of services or facilities to any purchaser or purchasers was made in good faith to meet an equally low price of a competitor or the services of facilities furnished by a competitor.“

    Die Auffassung der Hohen Behörde erscheint aber auch von der Wirtschaftsordnung des Vertrages her gesehen sinnvoll. Sie entspricht am ehesten dem Zweck der Vorschrift, und zwar aus zwei Gründen:

    1.

    Wenn für die Gemeinschaft als Regel die Einhaltung von Listenpreisen gilt, ist es nicht ungewöhnlich, daß für ausnahmsweise zugelassene Abweichungen strenge, auch formal strenge Vorschriften etabliert werden. Nur wenn bei Vertragsabschluß erkennbar ist, an welche fremde Preisliste die Preise angeglichen werden sollen, ist eine korrekte Anwendung des Preisrechts der Gemeinschaft und deren Kontrolle in maximaler Weise gewährleistet, wie gerade auch der vorliegende Fall mit Deutlichkeit zeigt.

    2.

    Es ist zu bedenken, daß die Preisangleichung nach dem Vertrage gestattet ist als eine Maßnahme des Wettbewerbs. Mehrere Anbieter sind für ein bestimmtes Geschäft nur so lange im Wettbewerb, als der Käufer, den sie zum Geschäftsabschluß bewegen wollen, sich nicht für einen von ihnen entschieden hat. Werden in dieser Phase der Geschäftsanbahnung von den eigenen Preisen Abstriche gemacht, dann verzichtet der Verkäufer, wenn von einem Verzicht überhaupt gesprochen werden kann, nicht auf eine Forderung, sondern nur auf eine unbestimmte Geschäftsaussicht.

    Nach dem Abschluß des Geschäfts tritt eine rechtliche Bindung ein. Ein Abgehen von den Preisen der Preisliste, die zum Inhalt des Geschäftes gemacht worden sind, würde nunmehr bedeuten den Verzicht auf eine existierende Forderung. Das Opfer des Verkäufers wäre also größer als vor dem Abschluß des Geschäfts. Wenn die Klägerin im mündlichen Verfahren betont hat, auch dieses Entgegenkommen stelle eine Wettbewerbsmaßnahme im Hinblick auf die künftige Geschäftsentwicklung dar, so ist dies aus wirtschaftlicher Sicht zweifellos zutreffend. Es kann aber nicht übersehen werden, daß die Zulassung derartiger Wettbewerbsmaßnahmen das preisrechtliche System des Vertrages der Gefahr der völligen Auflösung aussetzen würde, weil abgeschlossene Geschäfte rückwirkend abgeändert werden könnten, ohne daß eine genaue Grenze zu •erkennen wäre. Dem Ausnahmecharakter der Preisangleichung entsprechend kann es also nicht statthaft sein, die Funktion eines solchen Wettbewerbs, den man als unlauteren Wettbewerb bezeichnen könnte, in der Preisausrichtung zu berücksichtigen.

    In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin schließlich noch Argumente vorgebracht, mit denen sie die Schwierigkeit oder gar Unmöglichkeit einer vorhergehenden Angleichung nachweisen wollte.

    Nach ihrer Auffassung ist es für die Verkäufer unzumutbar, auf die Liste eines Konkurrenzunternehmens ausdrücklich Bezug zu nehmen, bestehe doch die Gefahr, daß der Käufer sich in späteren Geschäften nur an den anderen Anbieter wende. — Dieses Argument bezieht sich im Grunde nur auf die Frage, in welcher Weise die rechtzeitig vorgenommene Angleichung demonstriert werden muß, und liegt insofern neben der Problematik unseres Falles, in dem die Angleichung erst nach. Abschluß des Geschäftes erfolgte. Die Klägerin geht aber außerdem von der Annahme aus, daß im allgemeinen den Käufern die Preise der für sie in Betracht kommenden Unternehmen nicht bekannt sind, eine Annahme, die im Gegensatz steht zum Publizitätssystem des Vertrages.

    In einem zweiten Argument weist die Klägerin darauf hin, daß es den Unternehmen in vielen Fällen auf Grund der mangelhaften Publizität der Preislisten unmöglich sei, eine Angleichung bei Geschäftsabschluß vorzunehmen. Auch dieser Hinweis trifft zumindest teilweise die Frage des vorliegenden Rechtsstreits nicht, insofern nämlich, als die Klägerin in den Fällen 2 und 4 eine Angleichung zu keinem Zeitpunkt vorgenommen hat (es handelt sich hier nach ihren eigenen primären Einlassungen um nichtbeitreibbare Forderungen). Im übrigen scheint mir die Unmöglichkeit einer rechtzeitigen und präzisen Unterrichtung über die Preislisten der Konkurrenzunternehmen nicht erwiesen. Auch für mittlere Unternehmen gilt als Regel des Wirtschaftslebens, sich ständig auf dem laufenden zu halten über die Geschäftspraktiken ernsthafter Konkurrenten. Die Vollständigkeit der Unterrichtung wird überdies gewährleistet durch die Sorgfalt und den Eifer der Kunden, gleichfalls über ein zuverlässiges Bild des Marktes zu verfügen, wenn an einen Geschäftsabschluß gedacht wird.

    Schließlich unterstreicht die Klägerin die Schwierigkeiten der Angleichung im Hinblick auf die Berücksichtigung von zulässigen besonderen Rabatten und Transportkosten. Eine genaue Berechnung des Einstandspreises anderer Unternehmen sei dadurch vielfach unmöglich. — Diese Schwierigkeiten bestehen in der Tat und sollen keineswegs verkannt werden. Ich bin aber der Meinung, daß sie in gleicher Weise bei einer vorhergehenden wie bei einer nachträglichen Angleichung auftreten, denn in dem einen wie in dem anderen Fall muß, da der Geschäftsabschluß mit der Konkurrenz unterblieben ist, eine Kalkulation aufgestellt werden, bei der zu fragen ist, wie das Konkurrenzunternehmen bei Anwendung seiner Liste und seiner Verkaufsbedingungen die Preise errechnet hätte.

    Die Einwendungen der Klägerin geben also keinen Anlaß, von der zwingenden Auslegung des Vertrages abzugehen. Im Grunde müssen sie als eine unbeachtliche Kritik am Vertrage selbst angesehen werden.

    Folglich ist festzuhalten: Eine nachträgliche Angleichung der Preise, d. h. die einseitige Reduzierung bestehender Forderungen bis auf das Niveau der Preise anderer Anbieter, wie sie von der Klägerin im Prozeß, also lange nach Abschluß und völliger Abwicklung der Austauschgeschäfte geltend gemacht wurde, ist unzulässig. Die Klägerin kann sich demnach zur Rechtfertigung ihres Verhaltens nicht auf Artikel 60 § 2 fr berufen.

    b)

    Nach diesen Ausführungen könnten sich Bemerkungen zur Einhaltung des für eine korrekte Angleichung gezogenen Preisrahmens erübrigen. Es ist aber zu bedenken, daß ein Verstoß gegen Artikel 60 verschieden zu beurteilen ist, je nachdem, ob er sich erschöpft in einer Nichtbeachtung der formalen Voraussetzungen (vorherige Angleichung) oder ob zusätzlich die quantitativen Grenzen der Preisangleichung nicht respektiert sind. Ich möchte daher noch einige Worte sagen zu dem rechnerischen Streit über das Maß der Angleichung. Wie die Hohe Behörde zu Recht unterstreicht, geht es dabei nicht nur um einen Vergleich der Preise, vielmehr sind stets sämtliche Verkaufsbedingungen der Angleichungsliste zu berücksichtigen.

    Im einzelnen ergibt sich für die vier Fälle das folgende Bild:

     

    Erster Fall:

    Die Klägerin räumt zu den Bemerkungen der Hohen Behörde ein, sie habe in ihrem eigenen Preisvergleich zu Unrecht einen Skonto von 1,5 % angewandt, der nach der Liste der Konkurrenz nur gewährt wird bei Bezahlung auf Versandanzeige. Sie räumt des weiteren ein, daß sie in einem Fall falsche Zuschläge für Abmessungen in den Preisvergleich aufgenommen hat.

    Die daraus resultierende Berichtigung der fiktiven Rechnungen ergibt — entgegen der Ansicht der Klägerin —, daß die tatsächlich von der Sidercomit entrichteten Beträge unter der für eine Preisangleichung zulässigen Grenze liegen.

     

    Zweiter Fall:

    Die Klägerin hat den Nachweis für die korrekte Anglei chung nur anhand eines Beispiels zu führen versucht und angegeben, die übrigen Geschäfte dieser Fallgruppe seien in analoger Weise abgewickelt worden.

    Die Hohe Behörde bemerkt dazu, eine Angleichung sei deshalb nicht möglich gewesen, weil die zu der fraglichen Zeit geltende Liste der Konkurrenz einen höheren Grundpreis enthalten habe als die Liste der Klägerin. Außerdem seien in dieser Liste nur Preise aufgeführt für Rundeisen für Eisenbeton, nicht dagegen für Platten, Winkel-, T- und U-Eisen, die das Konkurrenzunternehmen nicht herstellte.

    In der Tat ist nach dem Wortlaut des Vertrages eine Preisangleichung nur in der Weise möglich, daß die Listenpreise des angleichenden Unternehmens unterschritten, werden (Artikel 60 § 2 b). Wenn die Klägerin im übrigen erklärt, sie habe nur aus Rechnungen der Konkurrenzunternehmen Kenntnis der angewandten Preise gehabt, nicht dagegen aus der niedergelegten Preisliste, was ihren Irrtum entschuldige, so liegt diese Einlassung neben der Sache. Es steht nämlich fest, daß die Klägerin eine bewußte Ausrichtung nach den Preisen der Konkurrenz nicht vorgenommen hat, sondern erst nach Abschluß der Geschäfte bemüht war, den Nachweis für die Einhaltung der Angleichungsgrenzen zu führen. Demnach kann auch nicht ein — möglicherweise entschuldbarer — Irrtum bei der Angleichung gegeben sein, sondern nur ein Irrtum beim nachträglichen Nachweis, der naturgemäß nicht entlastend wirkt.

     

    Dritter Fall:

    Auch hier versucht die Klägerin keinen erschöpfenden Nachweis, sondern begnügt sich wie im Fall 2 und aus den gleichen Gründen mit Beispielen (insgesamt wurden 31 Rechnungen vorgelegt). Für einen Teil dieser Beispiele (Rechnungen Nrn. 1148, 1196, 1197, 1242, 1247, 1344, 1359, 1360) gelten die zu Fall 2 getroffenen Feststellungen der Hohen Behörde entsprechend.

    Zu der Rechnung Nr. 2269 hat die Hohe Behörde ausgeführt, eine Angleichung komme nicht in Betracht, weil das angeführte Konkurrenzunternehmen nur einen Teil der in der Rechnung enthaltenen Erzeugnisse herstelle. Nach ihren Darlegungen ist eine Angleichung auch nicht möglich für die Rechnungen Nrn. 2359, 2391 und 2422, weil der Grundpreis der Klägerin zu der fraglichen Zeit unter dem der Konkurrenzliste lag.

    Zu allen erwähnten Beispielen beruft sich die Klägerin darauf, sie habe den Vergleich anhand der tatsächlich praktizierten Preise und Verkaufsbedingungen vorgenommen. Der dadurch bedingte Irrtum liefert aber m. E. keinen Entschuldigungsgrund, und zwar nicht nur, weil die Angleichung nachträglich praktiziert wurde, sondern vor allem auch, weil eine korrekte Angleichung sich stets nach der Preisliste zu richten hat, aus der allein ein zuverlässiges Bild über die zulässigen Preise und sämtliche Verkaufsbedingungen zu gewinnen ist.

    Hinsichtlich der übrigen 19 Rechnungen dieses Falles kann über die Einhaltung der Angleichungsgrenzen nichts Abschließendes gesagt werden. In acht Rechnungen rügt die Hohe Behörde die unkorrekte Anwendung eines Skontos von 1,5 %, der aufgrund der Liste der Konkurrenz nicht zu gewähren ist bei Zahlung nach Erhalt der Rechnung, sondern nur bei Zahlung auf Versandanzeige. Nach den von der Klägerin gelieferten Zahlen muß aber angenommen werden, daß auch bei Nichtberücksichtigung dieses Postens die Angleichungsgrenzen nicht unterschritten worden sind. Ebenfalls zu acht Rechnungen dieser Restgruppe hat die Hohe Behörde in der Gegenerwiderung ausgeführt, die Klägerin habe einen Mengenrabatt von 3 % angewandt, der nach der Liste der Konkurrenz nicht einzuräumen ist. In ihrer Antwort auf die Fragen des Gerichtshofes hat die Hohe Behörde dagegen erklärt, es sei ihr nicht möglich, ohne Kenntnis der Bestellungen und der Annahmeerklärungen der Klägerin die in Frage kommenden Mengen- und Sonderrabatte festzusetzen.

    Wenn der Gerichtshof meiner Auffassung folgt, nach der für die Festsetzung der Straf höhe von Bedeutung sein kann, ob die Grenzen der Angleichung eingehalten worden sind, auch wenn ihre formellen Voraussetzungen nicht vorliegen, dann bleibt für die erwähnten 19 Beispiele, die innerhalb des dritten Falles einen beachtlichen Anteil ausmachen, nur die Alternative, entweder eine vollständige Aufklärung herbeizuführen oder die Tatsache zugunsten der Klägerin zu werten, daß eine Aufklärung durch die Hohe Behörde unterblieben ist.

     

    Vierter Fall:

    Zum vierten Fall erklärt die Hohe Behörde ebenfalls, es sei ihr nicht möglich, die Angleichung zu berechnen, weil die Bestellungen, die Annahmeerklärungen, die Rechnungen etc. fehlen, auf die es ankomme. Diese Unklarheit ist aber m. E. unschädlich, weil für die Tatbestände des vierten Falles aus anderen Gründen, die ich später ausführen werde, eine definitive Beurteilung möglich ist.

    Folglich ist zur Beachtung der rechnerischen Grenzen bei der Preisangleichung festzustellen, daß allenfalls im dritten Fall einige Tatbestände Anlaß geben könnten, die gerügten Verstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen.

    4. Viertes Argument der Klägerin

    Der Verzicht auf die Eintreibung von Restforderungen bei zahlungsunfähigen Schuldnern stellt keine unzulässige Rabattgewährung dar. (Dieses Argument bezieht sich auf den zweiten und vierten Fall.)

    Die Klägerin führt aus, trotz Mahnung hätten in vielen Fällen die Käufer kleinere Reste des Kaufpreises nicht bezahlt. Es sei ihr nicht zuzumuten, wegen geringfügiger Summen kostspielige und aussichtslose Gerichtsverfahren einzuleiten. Außerdem müsse sie das Recht haben, vor der gerichtlichen Verfolgung säumiger Schuldner die Auswirkungen auf die künftige Entwicklung ihrer Geschäftsbeziehungen zu bedenken.

    Die Hohe Behörde bemängelt im wesentlichen den fehlenden Nachweis für die Nichtbeitreibbarkeit. Aus der Art der Buchführung der Klägerin zieht sie den Schluß, daß es sich in Wirklichkeit nicht um dubiose Forderungsreste, sondern um Rabatte handelt. Forderungen gegen insolvente Schuldner würden in Italien üblicherweise unter Konto „perdite su crediti“ und nicht, wie von der Klägerin praktiziert, unter Konto „sconto su fattura“ zusammengefaßt. Letzteres diene gemeinhin zur Verbuchung der den Kunden eingeräumten Rabatte. Diese Darstellung wird von der Klägerin als unrichtig bezeichnet.

    Es ist offenkundig, daß Unternehmen nicht der Gewährung unerlaubter Zahlungsnachlässe beschuldigt werden können, wenn sie davon absehen, insolvente Schuldner zu verfolgen. Hier liegt kein freiwilliger Verzicht auf einen Teil des Kaufpreises vor, sondern die Unmöglichkeit, eine Forderung zu realisieren. Es stellt sich nur die Frage, auf welche Weise der entsprechende Nachweis geführt werden muß.

    Sicherlich ist nicht in jedem Falle die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu verlangen, wie es die Hohe Behörde für richtig hält, einmal weil uneintreibbare Ausgaben für die Rechtsverfolgung entstehen können in Fällen, in denen von vornherein die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung ersichtlich oder nach kaufmännischer Erwägung wahrscheinlich ist, und zum andern, weil die gerichtliche Verfolgung wegen verhältnismäßig geringer Beträge zur Verärgerung und zum Verlust von Kunden führen kann, die zwar zeitweilig in Zahlungsschwierigkeiten sind, bei denen aber vernünftigerweise die Hoffnung auf eine Fortsetzung ordnungsmäßiger Geschäftsbeziehungen in der Zukunft bestehen kann. — Ebensowenig kann sich aber die Hohe Behörde oder der Gerichtshof mit der bloßen Behauptung der Zahlungsunfähigkeit begnügen; es wäre sonst allzu leicht, das Diskriminierungsverbot des Vertrages zu umgehen. Welches Maß an Beweis oder an Glaubhaftmachung zu verlangen ist, muß nach den Umständen des Einzelfalles erwogen werden.

    Für den vierten Fall, in dem Restforderungen aus sechs Rechnungen in Höhe von insgesamt 4258998 Lire nicht bezahlt wurden, hat die Klägerin neun Wechselproteste vorgelegt, die zusammen auf eine Summe von 6931680 Lire lauten. Diese Proteste stammen aus der Zeit vom 13. März 1958 bis 5. April 1958. Soweit ersichtlich, waren in der Zeit von Januar bis Mai 1958 auch die Forderungen der Klägerin gegen die Firma Orsi fällig.

    In diesem Falle kann man annehmen, daß der Nachweis für die behaupteten Zahlungsschwierigkeiten erbracht ist, auch wenn fraglich ist, ob die Insolvenz anhielt und zu einem endgültigen Verzicht auf die Forderungsreste zwang. Zugunsten der Klägerin soll also davon ausgegangen werden, daß die Forderungen gegen die Firma Orsi nicht beitreibbar waren, womit eine Rechtfertigung für die Nichteinhaltung der Preisvorschriften gegeben ist.

    Für den zweiten Fall hat sich die Klägerin damit begnügt, die Erklärung eines Rechtsanwalts aus Modena vorzulegen, in der von der Einleitung gerichtlicher Verfahren mit Rücksicht auf den geringen Umfang der Restforderung und mit der allgemeinen Begründung abgeraten wird, daß der Erfolg gerichtlicher Verfahren nicht immer sicher sei. Mahnschreiben oder ähnliche Beweisstücke wurden nicht eingereicht.

    Ich glaube, daß man davon absehen muß, in der Art der Verbuchung der Restforderungen ein Indiz für unerlaubte Rabattgewährung zu sehen; jedenfalls haben die diesbezüglichen Darlegungen der Hohen Behörde keinen genügenden Überzeugungswert, sodaß der Streit der Parteien in diesem Punkt offengeblieben ist. Ich glaube aber andererseits auch, daß die von der Klägerin zum Zwecke des Beweises vorgelegte Urkunde (Erklärung des Anwalts Luigi Pozzi vom 10. Dezember 1958) in bezug auf die Uneinbringbarkeit der in Frage stehenden Forderungen nicht ausreicht.

    Im zweiten Fall fehlt es also am nötigen Nachweis für die Nichtbeitreibbarkeit und damit an der Rechtfertigung für das Verhalten der Klägerin.

    5. Zusammenfassung

    Versucht man, nachdem alle Argumente der Klägerin gewürdigt sind, das bisherige Ergebnis — diesmal getrennt nach den vier Fallgruppen — zu resumieren, so ist folgendes festzuhalten:

    a) Erster Fall

    Alle drei von der Klägerin zu ihrer Entlastung vorgebrachten Rechtsgründe greifen nicht durch, so daß auf die tatsächlich unklaren Fragen (teilweise Bezahlung der Kaufpreisschuld durch die Aktionäre der Klägerin) nicht eingegangen werden muß. Die Verletzung des Preisrechts ist erwiesen.

    b) Zweiter Fall

    Von den vorgetragenen Gründen könnte allein derjenige zur Nichtbeitreibbarkeit der Forderungen eine stichhaltige Entschuldigung ergeben. Es fehlt dafür aber an ausreichenden Nachweisen, so daß auch hier die Rüge der Hohen Behörde nicht erschüttert wurde.

    c) Dritter Fall

    Die hier allein vorgebrachten Bemerkungen zur Preisangleichung bewirken keine Rechtfertigung der gerügten Verstöße. Es bleibt bei der Feststellung der Vertragsverletzung.

    d) Vierter Fall

    Die Argumente zur Nichtvergleichbarkeit der getätigten Geschäfte und zur Preisangleichung räumen den Vorwurf der Hohen Behörde nicht aus. Wohl aber kann als Rechtfertigung gelten die Zahlungsunfähigkeit des Käufers, die in diesem Fall durch Wechselproteste ausreichend nachgewiesen ist, so daß hinsichtlich dieses Tatbestandes entgegen der Annahme der Hohen Behörde eine Vertragsverletzung nicht anzuerkennen ist.

    II — BEMERKUNGEN ZUR HÖHE DER VERHÄNGTEN GELDBUSSE

    Es ist sicher, daß die Strafhöhe wesentlich beeinflußt wird durch den Wegfall eines der gerügten Verstöße. Abgesehen davon wurden für die Fälle 1 bis 3 besondere Argumente vorgetragen, die sich auf die Bemessung der Höhe der Buße beziehen.

    1. Hat die Hohe Behörde im ersten Tatbestand zu Unrecht erschwerende Umstände angenommen?

    Die Hohe Behörde sah einen strafverschärfenden Umstand in der Art der Buchführung der Klägerin, aus der nicht zu erkennen sei, wer den Kaufpreis tatsächlich bezahlt hat. Sie schloß daraus auf eine absichtliche Verschleierung der gewährten Rabatte.

    Die Klägerin bestreitet, auf Grund der Vorschriften über die Buchführung zu einer Unterscheidung nach der Person des Zahlenden verpflichtet zu sein. Maßgeblich allein sei der tatsächliche Eingang des Forderungsbetrages in ihrer Kasse. — Auf Anfrage habe die Klägerin sofort dargelegt, wer die Zahlungen geleistet habe. Nach Artikel 47 des Vertrages liege eine strafbare falsche Information nur dann vor, wenn eine Aufforderung der Hohen Behörde vorausgegangen sei. Es sei der Hohen Behörde überdies verwehrt, sich im gerichtlichen Verfahren auf Artikel 47 des Vertrages zu berufen, da sie in ihrer Entscheidung diese Vorschrift nicht erwähnt habe.

    Nach Ansicht der Hohen Behörde ist es nicht ausreichend, daß die Buchhaltung etwaigen nationalen fiskalischen Erfordernissen oder Regeln entspricht. Sie vertritt den Grundsatz, die Unternehmen der Gemeinschaft seien verpflichtet, ihre Buchhaltung und die einzelnen Buchungen so einzurichten, daß die Einhaltung der Vertragsvorschriften erkennbar werde. Wesentlich sei, daß die Buchhaltung die Beachtung der Preislisten aufzeige und infolgedessen die Zahlungen auf Lieferungen ausweise.

    Vorweg möchte ich zu dieser Kontroverse unterstreichen, daß die Anwendung von Artikel 47 im vorliegenden Fall ausgeschlossen ist. Dabei kann offenbleiben, ob die Hohe Behörde das Recht hat, eine Vorschrift, die in der Entscheidungsbegründung nicht auftaucht, im Rechtsstreit noch heranzuziehen. Artikel 47 handelt von Auskünften, also von Äußerungen, die auf eine allgemeine oder spezielle Anfrage abgegeben werden. Tatsache ist, daß keine allgemeine Anordnung der Hohen Behörde zur Führung der Geschäftsunterlagen ergangen ist, und Tatsache ist weiterhin, daß auf Anfrage der Geschäftsführer der Klägerin sofort Aufschluß über den tatsächlichen Zahlungshergang gegeben hat.

    Im übrigen darf davon ausgegangen werden, daß die absichtliche Entstellung wesentlicher Geschäftsvorgänge, die gegen Vertragsvorschriften verstoßen, als erschwerender Umstand die Würdigung der Verstöße beeinflussen kann, weil sie die Kontrolltätigkeit der Hohen Behörde, der die Unternehmen der Gemeinschaft allgemein unterworfen sind, erschwert und damit das reibungslose Funktionieren des Gemeinsamen Marktes in Frage stellt. Auch wenn für die Unternehmen nicht ausdrücklich als Vertragspflicht vorgeschrieben ist, der Gemeinschaft die Erfüllung ihrer Aufgaben zu erleichtern (was für die Staaten nach Artikel 86 Absatz 1 des Vertrages gilt), so ist doch anzunehmen, daß sie eine gleiche Pflicht trifft. Daraus folgt, daß die Betriebsunterlagen im Hinblick auf die Regeln des Vertrages übersichtlich geführt sein müssen.

    Ob diese Pflicht verletzt ist, kann aber nicht bestimmt werden anhand etwaiger nationaler Buchhaltungsvorschriften.

    Im vorliegenden Fall ist zudem unklar und streitig, welche Anforderungen an die Buchführung in Italien gestellt werden. Das Verfahren hat darüber keinen Aufschluß gegeben. Dieser Umstand in Verbindung mit der Tatsache, daß die Klägerin auf Befragen bereitwillig Auskunft und Aufklärung gegeben hat, läßt es außerordentlich zweifelhaft erscheinen, ob die angenommene Täuschungsabsicht ausreichend belegt ist. Sie muß somit als erschwerender Umstand beiseitegelassen werden.

    2. Hat die Hohe Behörde zu Unrecht die Berücksichtigung mildernder Umstände unterlassen?

    Die Klägerin führt Beschwerde vor allem darüber, daß in der Entscheidung keine Ausführungen enthalten sind über die Gründe, welche sie in ihrem Schreiben vom 15. Oktober 1960 zur Rechtfertigung einer milderen Beurteilung ihres Verhaltens vorgebracht hat (ungünstige Konjunktur am italienischen Stahlmarkt, mangelnde Disziplin der Mehrheit der italienischen Unternehmen im Hinblick auf die Preisveröffentlichung, auf die Gestaltung der Preislisten und auf die Preisangleichung, schwierige Situation der Klägerin, die sich im Stadium der Neuorganisation und der Neueinrichtung befunden hat). — Sie hat sich außerdem in der mündlichen Verhandlung zu ihrer Entschuldigung auf die Unklarheit der geltenden Texte berufen.

    Diese Argumente sind im einzelnen zu betrachten.

    a)

    Was die erste Gruppe angeht, so kann unterstellt werden, daß die erwähnten Umstände die Klägerin in eine gewisse Bedrängnis gebracht haben.

    Es ist aber dennoch nicht von einer wirtschaftlichen Zwangslage, von einem Notstand im strafrechtlichen Sinne zu sprechen, der einen Rechtfertigungsgrund darstellen könnte, denn es scheint mir nicht erwiesen zu sein, daß als einziger Ausweg nur die Verletzung des Preisrechts der Gemeinschaft übrigblieb. Die Hohe Behörde hat ausgeführt, daß gerade die mit der Klägerin konkurrierenden italienischen Unternehmen (Produzenten von Kleinprofilen) einer aktiven Kontrolle unterworfen waren. Es ist auch nicht einzusehen, warum legale Maßnahmen (Änderung der Preislisten, korrekte Preisangleichung) als ein Zeichen von Schwäche gewertet worden wären und daher als unzumutbar und wirkungslos außer Betracht bleiben mußten.

    Dagegen mag ebenso wie im Strafrecht angenommen werden, daß die gegebene Bedrängnis zu einer milderen Beurteilung der Verstöße Anlaß gibt. — Allerdings folgt aus der Annahme mildernder Umstände nicht zwingend eine Herabsetzung der Geldstrafe. Da die Hohe Behörde selbst wesentlich unter der zulässigen Höchstgrenze geblieben ist, möchte ich dem Gerichtshof vielmehr vorschlagen, im Rahmen seines Ermessens insoweit keine Änderung der Strafe ins Auge zu fassen.

    b)

    Wenn die Klägerin versucht, aus der Unklarheit der Texte einen Entschuldigungsgrund abzuleiten, so muß geprüft werden, welche Rechtsfragen für sie überhaupt aufgetaucht sind. Nur zwei ihrer Argumente stützen sich auf den Text des Vertrages, diejenigen nämlich, die zur Preisangleichung und zur Vergleichbarkeit vorgebracht wurden. Hinsichtlich des ersten Arguments ist m. E. der Vertrag zwingend und eindeutig. Aber auch was die Vergleichbarkeit von Geschäften angeht, möchte ich im Hinblick auf den Vertragswortlaut und die Entscheidungen der Hohen Behörde übermäßige Schwierigkeiten in der Beurteilung der vorliegenden Sachverhalte nicht anerkennen. Allgemeine wirtschaftliche Maßstäbe schließen hier ohne weiteres die Annahme einer erlaubten Differenzierung aus, weil sich andernfalls das Diskriminierungsverbot jeder Definition entzöge. Überdies konnten die von der Hohen Behörde zur Interpretation von Artikel 60 ausgegebenen Zirkulare der Klägerin als Orientierung dienen.

    3.

    Ist eine ausreichende Begründung für die Bemessung der Strafhöhe gegeben?

    Die Klägerin rügt schließlich in bezug auf die Bemessung -der Geldbuße das Fehlen einer ausreichenden Begründung. — In der Tat hat die Hohe Behörde — sieht man von den erschwerenden Umständen ab — nicht angegeben, welche Elemente sie im einzelnen bei der Wahl ihrer Entscheidung geleitet haben. Ich halte das für unzulässig. Gerade ein Strafbescheid bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, wenn bei den Betroffenen nicht der Eindruck entstehen soll, daß die Buße willkürlich festgesetzt wurde. Dieser Fehler zwingt allerdings nicht zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückverweisung an die Hohe Behörde. Der Gerichtshof selbst kann nach Artikel 36 auf Grund des im Verfahren gewonnenen Bildes die Strafe abändern und in anderer Höhe festsetzen, denn er judiziert hier nach dem Grundsatz der unbeschränkten Rechtsprechung („pleine juridiction“). — Der Begründungsmangel kann sich aber in der Kostenentscheidung auswirken, weil er mindestens teilweise ursächlich war für die Klageerhebung.

    4 Demnach gilt für die Bemessung der Strafhöhe

    Die besondere wirtschaftliche Lage der Klägerin, die allgemeine konjunkturelle Situation sowie das Verhalten anderer Unternehmen im Wettbewerb geben keine Veranlas sung zur Herabsetzung der Strafe.

    Dagegen muß sich in der Strafhöhe die Tatsache auswirwirken, daß einer der gerügten Verstöße (nämlich der sog. vierte Fall) eine Rechtfertigung gefunden hat, also in Wahrheit keine Verletzung des Artikels 60 darstellt. Die Summe der insgesamt gewährten unzulässigen Preisnachlässe beträgt demnach nicht 8163829 Lire, sondern nur 3904831 Lire.

    Der Gerichtshof ist auch frei, dem Umstand Rechnung zu tragen, daß entgegen der Ansicht der Hohen Behörde eine Verschleierungsabsicht nicht erwiesen ist. Er kann überdies berücksichtigen, daß die Nichtbeachtung der Angleichungsgrenzen in einigen Fällen des dritten Tatbestandes nicht eindeutig geklärt ist.

    Schließlich ist für die Bemessung der Strafe maßgeblich das Eigenkapital der Aktiengesellschaft, die das klagende Unternehmen bildet, und die Summe der Umsätze oder des umlagepflichtigen Produktionswerts im Jahre 1958. Die Hohe Behörde gibt das Gesellschaftskapital an mit 630000000 Lire. Sie teilt ferner mit, die Prüfung der Bücher der Klägerin für das Jahr 1958 habe einen Gesamtverkauf siderurgischer Produkte in Höhe von ca. 1775000000 ergeben. Schätzt man die auf diese Summe zu erhebende Umlage, so gelangt man zu einem Betrag, der unter 6 Millionen Lire liegt.

    Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände erscheint es mir angebracht, den Betrag der Geldbuße nicht höher als auf etwa 4 Millionen Lire festzusetzen.

    Dementsprechend lautet mein Urteilsvorschlag; im übrigen wäre die Klage abzuweisen. Für die Kosten empfiehlt sich angesichts der Tatsache, daß drei von den vier gerügten Verstößen keine Rechtfertigung gefunden haben und daß die Entscheidung an einem Begründungsmangel leidet, nicht eine Aufteilung im Verhältnis 1:1 (entsprechend der geänderten Strafhöhe), sondern etwa derart, daß drei Fünftel der Kosten der Klägerin, zwei Fünftel der Hohen Behörde auferlegt werden.


    ( 1 ) Rechtsform und Realität juristischer Personen.

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