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Document 61955CC0010

Schlussanträge des Generalanwalts Lagrange vom 15. November 1956.
Miranda Mirossevich gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
Rechtssache 10/55.

Englische Sonderausgabe 1955 00381

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1956:9

Schlußanträge des Generalanwalts,

HERRN MAURICE LAGRANGE

Aus dem Französischen übersetzt

GLIEDERUNG

Seite
 

I — Die Klageanträge

 

II — Zuständigkeit

 

III — Zulässigkeit

 

Fristablauf

 

Verwirkung

 

IV — Zur Hauptsache

 

Die Hauptanträge

 

Die Hilfsanträge

 

— Regelwidriger Verlauf der Probezeit

 

— Ermessensmißbrauch

 

V — Folgen der vorgeschlagenen Lösung

 

In rechtlicher Hinsicht

 

In tatsächlicher Hinsicht

 

VI — Abschließende Bemerkungen

 

VII — Anträge

Herr Präsident, meine Herren Richter,

Ich werde in dieser Rechtssache davon absehen, mit einer Darstellung der Tatsachen zu beginnen, weil diese Ihnen nicht nur ausführlich geschildert, sondern auch in dem Bericht des Herrn Berichterstatters in ausgezeichneter Weise zusammengefaßt dargestellt worden sind, weiter auch deswegen, weil die Tatsachen selbst größtenteils umstritten sind, so daß ich bereits bei einleitenden Ausführungen gezwungen wäre, zu wesentlichen prozessualen Fragen Stellung zu nehmen.

I — DIE KLAGEANTRÄGE

Ich beschränke mich darauf, zunächst die von der Klägerin gestellten Anträge anzuführen. Ich beziehe mich in dieser Hinsicht auf die im Anschluß an die Anordnung vorbereitender Maßnahmen gemäß Artikel 45 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes am 16. August 1956 eingereichten „abschließenden schriftlichen Stellungnahmen“, welche, ohne die in der Klageschrift enthaltenen Anträge zu ändern oder zu erweitern, nur eine präzisere Fassung derselben darstellen.

In erster Linie wird beantragt, festzustellen, daß Frl. Mirossevich „am 9. Dezember 1952 als Dolmetscherin-Übersetzerin beim Sprachendienst (ehemalige Kategorie II) mit einem Jahresgehalt von 300000, — bfrs. zusätzlich Residenzzulage auf Dauer und endgültig eingestellt worden“ sei;

und infolgedessen festzustellen, daß „das auf eine angebliche Probezeit bezügliche Schreiben vom 8. Januar 1953 nichtig ist, weil es wegen Verfälschung der Tatsachen oder zum mindesten infolge Tatsachenirrtums mit einem Ermessensmißbrauch behaftet“ sei;

und festzustellen, daß „Frl. Mirossevich das Recht auf Wiedereinsetzung in ihre Laufbahn unter einer Gehaltsnachzahlung, die dem Unterschied zwischen dem Empfangenen und dem ihr kraft der entsprechenden Einstufung Geschuldeten (mit gesetzlichen Zinsen) entspricht, zuzubilligen“ sei.

Hilfsrveise wird beantragt, festzustellen, daß „Frl. Mirossevich am 9. Dezember 1952“ unter den gleichen Bedingungen „ordnungsgemäß als Dolmetscherin-Übersetzerin auf Probe eingestellt worden“ sei;

daß „die Probezeit nur teilweise und unvollkommen abgeleistet wurde, jedoch nach der später auf sprachlichem Gebiet geleisteten Arbeit günstig ausgefallen“ sei;

daß „infolgedessen das auf die unvollkommene und unzureichende Probezeit bezügliche Schreiben vom 8. Januar 1953 nichtig“ sei, weil es wegen Verfälschung der Tatsachen, usw … (es wird die gleiche Wiedereinsetzung in die Laufbahn und Gehaltsnachzahlung beantragt wie oben);

Die Klägerin beantragt schließlich „auf jeden Fall festzustellen, daß der Pseudo-Vertrag vom 12. Oktober 1953“ wegen Willensmangels, Erschleichung usw „nichtig“ sei;

sowie die Zubilligung einer „billigen“ Entschädigung für den erlittenen ideellen Schaden und die Verurteilung der Hohen Behörde zur Tragung der Kosten.

Wie Sie sehen, meine Herren, bewegen sich diese Anträge ausschließlich auf dem Gebiet des Rechts der Verträge. Es wird von Ihnen nicht verlangt, Vermaltungsakte aufzuheben, sondern festzustellen, daß diese im Hinblick auf die der Klägerin gegenüber eingegangenen Verpflichtungen nichtig seien, die genaue Tragweite dieser Verpflichtungen zu bestimmen und deren Verletzung durch Zubilligung des Anspruchs auf „Wiedereinsetzung in die Laufbahn“ und eine Entschädigung in Geld zu ahnden.

II — ZUSTÄNDIGKEIT

Die Art des vorliegenden Rechtsstreits scheint mir kraft Artikel 42 des Vertrages, wonach der Gerichtshof „für Entscheidungen auf Grund einer Schiedsklausel zuständig“ ist, „die in einem von der Gemeinschaft oder für ihre Rechnung abgeschlossenen öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen Vertrage enthalten ist“, eine ausreichende Grundlage für Ihre Zuständigkeit abzugeben. Ich glaube, daß die Klägerin zum mindesten einer Klausel des, wie sie sich ausdrückt, „Pseudo-Vertrages“, vom 12. Oktober 1953, der ihre Unterschrift trägt, Wert beimißt, nämlich der folgenden: „die aus der Anwendung der Bestimmungen des vorliegenden Einstellungsschreibens oder der das Personal betreffenden Verwaltungsanordnungen oder Entscheidungen möglicherweise entstehenden Streitfälle individueller Art werden dem Gerichtshof unterbreitet“. Dieser Vertrag hat rückwirkende Kraft bis zum 9. Dezember 1952, d. h. bis zu dem Zeitpunkt des tatsächlichen Dienstantritts der Klägerin bei der Hohen Behörde. Ob man nun mit der Klägerin der Auffassung ist, sie sei an diesem Tage sogar endgültig als Dolmetscherin-Übersetzerin eingestellt worden, oder ob man mit der Hohen Behörde die gegenteilige Ansicht vertritt, Frl. Mirossevich sei am 9. Dezember 1952 lediglich „versuchsweise“ zugelassen worden, fest steht jedenfalls, daß es sich um einen Streit über die Rechtsnatur und den Inhalt der die Klägerin mit der Hohen Behörde verbindenden vertraglichen Beziehungen handelt, deren Existenz nicht bestritten werden kann; demgemäß kann auch das Bestehen einer Schiedsklausel nicht geleugnet werden. Was im übrigen auch keine der Parteien getan hat.

III — ZULÄSSIGKEIT

Nach Bejahung der Zuständigkeit bleibt nunmehr die Frage der Zulässigkeit zu prüfen.

a)

Die Hohe Behörde macht zunächst die Unzulässigkeit der Klage infolge Fristablaufs geltend. Sie behauptet, die nicht innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustellung der Entscheidung vom 8. Januar 1953 erhobene Klage sei unzulässig. Dies sei selbst dann der Fall, so fügt sie hinzu, wenn man insbesondere im Anschluß an den französischen Conseil d'Etat annimmt, durch die Einlegung einer Beschwerde oder einer Gegenvorstellung verlängere sich die gesetzliche Frist zur Klageerhebung. Eine solche Verlängerung erfolge in der Tat nur dann, wenn die Beschwerde oder die Gegenvorstellung selbst innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt worden seien. Dies sei hier nicht geschehen, die von Frl. Mirossevich beim Verwaltungsausschuß erhobene Beschwerde sei nicht innerhalb von einem Monat nach Zustellung der Entscheidung vom 8. Januar 1953 eingelegt worden.

Diese Einrede der Unzulässigkeit kann nicht durchgreifen und zwar aus dem einfachen Grunde, weil in keiner Bestimmung des Einstellungsvertrages, des Vertrages, der Protokolle, der Anlagen oder des Abkommens über die Übergangsbestimmungen eine Ausschlußfrist für die Klagen der Beamten oder Bediensteten zur Geltendmachung von Ansprüchen aus ihrem Dienstverhältnis zu einem der Organe der Gemeinschaft vorgesehen ist. Die Hohe Behörde beruft sich auf Artikel 33 des Vertrages und Artikel 39 der Satzung. Artikel 33 bezieht sich aber nur auf Nichtigkeitsklagen der Mitgliedstaaten, des Rates, der Unternehmen und Unternehmensverbände gegen Entscheidungen der Hohen Behörde. Was Artikel 39 der Satzung angeht, so erklärt dieser die einmonatige Frist des Artikels 33 „auf die in den Artikeln 36 und 37 des Vertrages vorgesehenen Klagen“ für anwendbar: es handelt sich hierbei um die Klagen gegen die Festsetzung von Zwangsgeldern, die die Unternehmen betreffen, und um diejenigen wegen tiefgreifender und anhaltender Störungen, die die Mitgliedstaaten'betreffen. Es ist einleuchtend, daß eine Ausschlußfrist, wie diejenige des Artikels 33, nicht einfach analog angewandt werden kann. Doch selbst dann, wenn eine solche Frist bestehen sollte, so wäre immer noch fraglich, ob ein vertraglich angestellter Bediensteter, der, wie Frl. Mirossevich, nicht die Aufhebung bestimmter Verwaltungsakte verlangt, nicht doch die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidungen geltend machen könnte, obwohl er sie nicht fristgemäß angefochten hat. Es besteht nicht einmal eine Verjährungsfrist für den Anspruch, da die Schiedsklausel keine solche vorsieht.

Es klafft hier ohne Zweifel eine große Lücke, zumal der autonome Charakter der Rechtsordnung des Vertrages die Anwendung allgemeiner, aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten entlehnter Vorschriften offensichtlich ausschließt: es wird Aufgabe der vom Gerichtshof in Ausübung des Artikels 58 des Personalstatuts zu erlassenden Verfahrensordnung sein, diese Lücken zu schließen.

b)

Heikler ist der zweite aus dem Rechtsgrunde der Vermirkung hergeleitete Einwand der Unzulässigkeit.

Die Hohe Behörde behauptet, Frl. Mirossevich habe sich nach dem Empfang des Schreibens vom 8. Januar 1953 in einer Weise verhalten, die nur als „Einverständnis“ mit dieser Maßnahme gedeutet werden könne, so daß ein später gegen diese, ob im Beschwerde- oder im Klagewege eingelegtes Rechtsmittel unzulässig sei. Sie beruft sich in diesem Zusammenhang auf Theorie und Rechtsprechung in Italien und in Deutschland. Sie räumt ein, daß die französische Rechtsprechung „zögernd“ sei (in Wahrheit wird die Lehre von der Verwirkung im Bereich der Klagen wegen Ermessensmißbrauchs in Frankreich abgelehnt). Sie fügt jedoch hinzu, man müsse darin das Gegenstück zu den bestehenden Ausschlußfristen erblicken, so daß die einzige Form der „Verwirkung“ darin bestehe, die Fristen ungenutzt verstreichen zu lassen.

Diese Ausführungen erscheinen mir in rechtlicher Hinsicht zutreffend. Durch das Fehlen von Ausschlußfristen, nach dem gegenwärtigen Stande des positiven Rechts der Gemeinschaft, das wir soeben festgestellt haben, verliert gewiß die Auffassung derjenigen erheblich an Gewicht, die die Möglichkeit einer Verwirkung im Rahmen der Rechtsbeziehungen zwischen Bedienstetem und Dienstherrn leugnen: kann der Bedienstete zu jeder Zeit ihm gegenüber erlassene Verwaltungsakte anfechten, so muß man wohl der Verwaltung ihrerseits zugestehen, diejenigen Umstände geltend zu machen, aus denen der Nachweis hervorgeht, daß der Betroffene diese Verwaltungsakte hingenommen und stillschweigend auf deren Anfechtung vor Gericht verzichtet habe. Dies um so eher, als, wie im vorliegenden Falle, die Rechtsbeziehungen vertraglicher Natur sind.

Gleichwohl darf nicht vergessen werden, daß selbst dann, wenn ein Vertrag die Rechtsgrundlage bildet, die Rechtsbeziehungen zwischen dem Bediensteten und der Behörde besonderer Natur sind: man ist im allgemeinen der Auffassung, daß es sich um einen „öffentlich-rechtlichen Vertrag“ handele (dieser Ausdruck findet sich wörtlich in Artikel 42 des Vertrages). Das heißt soviel, daß die Behörde ihren selbst vertraglich angestellten Bediensteten gegenüber, sobald diese eine amtliche Tätigkeit ausüben, gewisse öffentlich-rechtliche Vorrechte besitzt. Ich will zu dieser, schon im innerstaatlichen Recht heiklen (s. z. B. für das französische Recht die sehr gute Darstellung des Problems bei: Duez et Debeyre, droit administratif, 1952, Seite 744) und auf dem Gebiet der Rechtsvergleichung erst recht noch viel heikleren Frage keine Theorien entwickeln. Ich halte mich nur an die gesunde verstandesmäßige Überlegung, daß ein Behördenbediensteter, ob vertraglich angestellt oder nicht, der Behörde gegenüber in einem besonderen Gewaltenverhältnis steht. Er hat nach der alten, im zivilen wie im militärischen Bereich gültigen Formel zunächst zu gehorchen und kann sich dann nachträglich beschweren (ich lasse wohlgemerkt die Frage des Gehorsams bei Befehlen, die den Strafgesetzen oder den fundamentalen Grundsätzen der Moral und des Rechts zuwiderlaufen, beiseite). Mit anderen Worten und noch familiärer ausgedrückt, der Staat ist kein gewöhnlicher Arbeitgeber: die Gewichte sind ungleich verteilt …

Daraus folgt m. E., daß äußerste Vorsicht am Platze ist, wenn aus dem Verhalten eines selbst vertraglich angestellten Bediensteten auf die „Hinnahme“ gewisser Maßnahmen einzig und allein daraus geschlossen werden soll, daß er sich gegen diese nicht verwahrt oder daß er keine „Vorbehalte“ gemacht hat, wie es ein auf die Verteidigung seiner Interessen bedachter Privatmann getan hätte.

Welcher Wert ist unter diesem Gesichtspunkt den verschiedenen, von der Hohen Behörde zum Nachweis der Hinnahme der Entscheidung vom 8. Januar 1953 geltend gemachten „Verhaltensweisen“ beizumessen?

Dieser Wert ist unterschiedlich. Ich glaube nicht, daß die verschiedenen Versetzungen der Klägerin im Laufe des Jahres 1953 herangezogen werden können: Stenotypistinnenpool, Bibliothek usw… Die Hohe Behörde räumt selbst ein (Gegenerwiderung Seite 12 der deutschen Übersetzung), es sei „Frl. Mirossevich eine Verbesserung ihrer Lage versprochen worden“. Es steht fest, daß diesbezügliche Bemühungen erfolgten, so daß der Hohen Behörde kein Vorwurf gemacht werden kann, es steht jedoch gleichfalls fest, daß die Klägerin sich unermüdlich selber um eine derartige Verbesserung bemüht hat, in der steten Hoffnung, wieder eine Stelle zu erhalten, wie sie sie anfangs innehatte; auf jeden Fall kann in der Tatsache der Hinnahme der nacheinander erfolgten Versetzungen nicht ein Einverständnis mit der Maßnahme vom 8. Januar unter dem stillschweigenden Verzicht auf eine Anfechtung derselben erblickt werden.

Was den Vertrag vom .12. Oktober 1953 angeht, so sind dagegen ernste Zweifel am Platze. Frl. Mirossevich hat an diesem Tage tatsächlich ein auf den Zeitraum vom 9. Dezember 1952 (dem Datum ihres Dienstantritts als Dolmetscherin-Übersetzerin bei der Hohen Behörde) bis zum 8. Dezember 1953 bezügliches „Einstellungsschreiben“ unterschrieben. Dieses Schreiben enthält „bis auf weiteres die Zuweisung zur Abteilung Personal, Haushalt und Allgemeine Dienste, Unterabteilung Dokumentation und Archiv“, wobei hinzugefügt wird: „während dieses Zeitraums erhalten Sie ein Jahresgehalt von 2200 Rechnungseinheiten der Europäischen Zahlungs-Union sowie eine Residenzzulage in Höhe von 25o/o des Gehalts“. Muß man angesichts der Rückwirkung dieses Vertrages das Einverständnis der Klägerin mit den darin enthaltenen Bedingungen, insbesondere mit dem Gehalt, nicht als Verzicht auf jegliche weitergehende Forderung für den betreffenden Zeitraum auffassen? Ich gebe zu, daß man dies mit gutem Grund vertreten könnte.

Ich für meinen Teil neige gleichwohl dazu, die Frage zu verneinen. Im vorbereitenden Verfahren hat sich nämlich herausgestellt, daß Frl. Mirossevich zu jener Zeit, wie im übrigen auch davor und danach, mit ihrer Stellung unzufrieden gewesen ist. Dies geht aus verschiedenen Zeugenaussagen hervor, insbesondere aus derjenigen des Herrn Balladore-Pallieri, Direktor der Verwaltungsdienststellen der Hohen Behörde, der im Verlaufe der Beweisaufnahme gehört wurde. „Sie (Frl. Mirossevich) hat den Vertrag unterschrieben, als ich bereits Direktor war“, sagte er im Termin von 15. Mai 1956 (Seite 31 des Protokolls). „Ich habe selbst darauf bestanden. Sie hat mir daraufhin miederum gesagt, ihr sei ein höherer Posten versprochen morden.“ Es scheint daher erwiesen, daß die Klägerin, selbst zu diesem Zeitpunkt, die Hoffnung, wieder eine höhere Stellung zu erhalten, noch nicht aufgegeben hatte. Natürlich ist damit in keiner Weise der Nachweis dessen erbracht, daß ihr ein diesbezügliches Versprechen gegeben worden sei: Welchen Wert hätte im übrigen ein solches Versprechen gehabt, und wer wäre berechtigt gewesen, es abzugeben? Es ist damit auch nicht der Nachweis eines dolosen Verhaltens oder einer Druckausübung irgendwelcher Art erbracht, wie behauptet wird, mit dem Ergebnis, daß der Vertrag nichtig wäre. Ich glaube aber, daß diese Umstände ausreichen, um zu verhindern, daß in der Unterzeichnung des Vertrages (es war der erste schriftliche Vertrag, der im wesentlichen aus verwaltungsinternen Gründen zur Klarstellung der Rechtsstellung der Klägerin dienen sollte) eine Hinnahme der Maßnahme vom 8. Januar 1953 mit dem Verzicht auf das Recht erblickt werde, diese Maßnahme in irgendeiner Form anzufechten.

IV — ZUR HAUPTSACHE

Ich komme zur Hauptsache, d. h. im wesentlichen zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung vom 8. Januar 1953.

Die Haupianträge

Im Zusammenhang mit den Hauptanirägen stellt sich als erste Frage die nach den Bedingungen, unter denen Frl. Mirossevich am 9. Dezember 1952 in den Dienst der Hohen Behörde getreten ist. Wurde sie, wie sie behauptet, an diesem Tage endgültig als Dolmetscherin-Übersetzerin eingestellt, so daß die Entscheidung vom 8. Januar offensichtlich rechtswidrig wäre? Oder ist sie nur versuchsweise zugelassen worden, wie die Hohe Behörde behauptet, oder noch zur Ausbildung, mit einer Ausbildungszeit von einem Monat (hilfsweise vorgetragene Behauptung der Hohen Behörde)?

Eine endgültige Ernennung erschiene, zum mindesten bei einem solchen Posten, als völlig ungewöhnlich. Herr Decombis, Sekretär der Personalabteilung der Hohen Behörde, bestätigt in einer zu den Akten genommenen Erklärung vom 9. August 1955, daß „bei der Hohen Behörde während der Anlaufzeit die Einberufung der Mitarbeiter und die Vereinbarung der Arbeitsbedingungen im allgemeinen mündlich erfolgten. Bei den Mitarbeitern im Sprachendienst“, so fügte er hinzu, „pflegte eine der mündlichen Vereinbarungen die einer Probezeit von einem Monat zu sein“. In den Akten befindet sich eine gleichlautende Erklärung von Herrn Kohnstamm, Sekretär der Hohen Behörde, der seinerzeit die Personalangelegenheiten bearbeitete. Es müßten also in dieser Hinsicht Gegenbeweise erbracht werden. Dies ist aber nicht geschehen: Keinerlei Verpflichtung in dieser Hinsicht hat die italienische Regierung übernommen, wiewohl die Hohe Behörde dadurch nicht verpflichtet worden wäre, es hätte lediglich die italienische Regierung der Klägerin gegenüber gehaftet. Die vor Gericht erfolgte Berufung auf die Lehre von der Geschäftsführung ohne Auftrag erscheint mir recht gewagt. Von seiten der Hohen Behörde ist ebenfalls keinerlei Beweis erbracht worden. Die Klägerin selbst schildert ihren Fall übrigens aus Anlaß der Beschwerde an den Verwaltungsausschuß wie folgt: „Am 9. Dezember hat mich ein Beamter der italienischen Gesandtschaft dem Revisor der italienischen Abteilung im Sprachendienst der Hohen Behörde vorgestellt; ich wurde für die vorgesehene Probezeit eingestellt und mit den Arbeiten einer Übersetzerin betraut.“ Weiter unten darüber Beschwerde führend, daß sie, bevor die beschwerende Entscheidung erging, von dieser nicht in Kenntnis gesetzt worden sei, fügt sie hinzu: „Ich glaube, daß insoweit zwischen den Bediensteten, die ihren Vertrag bereits unterschrieben haben, und denjenigen, die ihre Probezeit ableisten, kein Unterschied gemacht werden dürfte.“ Am 10. Februar 1955 also, an dem Tag der Einlegung der Beschwerde an den Verwaltungsausschuß, dachte die Klägerin noch nicht daran, zu bestreiten, daß sie zur Ableistung einer Probezeit oder versuchsweise eingestellt worden sei: sie gibt dies sogar ausdrücklich zu.

Was die Feststellung angeht, ob es sich um eine Probezeit (stage) oder um eine Versuchszeit (période d'essai) handelt, so sehe ich nicht ein, daß diese Unterscheidung von rechtlichem oder praktischem Interesse sein könnte, weil ein Anstellungsverhältnis vorliegt. Ich bin der Ansicht, daß der Begriff der Probezeit rechtlich genauer ist und der Wirklichkeit mehr entspricht: Übrigens wird in dem auf die Beschwerde der Klägerin hin ergangenen Beschluß des Verwaltungsausschusses der Ausdruck Probezeit dreimal verwandt. Es heißt dort insbesondere: „Die Hohe Behörde ist an das erste, Frl. Mirossevich gemachte Einstellungsangebot nicht mehr gebunden, weil das Ergebnis ihrer Probezeit sich als unzureichend erwiesen hat.“ Nach den Vorstellungen der Hohen Behörde selbst erfolgte also der Dienstantritt der Klägerin auf Grund eines „Einstellungsangebotes“, das seinerseits an die Bedingung des zufriedenstellenden Ausgangs einer abzuleistenden Probezeit geknüpft war. Infolge des tatsächlichen und sofortigen Dienstantritts (was insbesondere durch den Umstand bezeugt wird, daß am gleichen Tage eine Erklärung über die Verpflichtung zur Wahrung des Dienstgeheimnisses unterschrieben wurde) muß angenommen werden, daß Frl. Mirossevich das Einstellungsangebot angenommen hat und daß der Vertrag, wiewohl mündlich, auf diese Weise zustandegekommen ist. Was die in dem Schreiben vom 8. Januar 1953 gebrauchte Wendung angeht („da Ihre Fähigkeiten den Erfordernissen des Dienstes nicht entsprechen, ist es nicht möglich, Ihnen den Abschluß eines Einstellungsvertrages als Übersetzerin anzutragen“), so bedeutet diese nicht etwa, daß ein Monat zuvor keinerlei mündliches, die Ableistung einer Probezeit voraussetzendes Einstellungsangebot gemacht worden sei.

Die Hilfsanträge

Ich muß mich jetzt der Prüfung der Hilfsanträge zuwenden, die sich darauf stützen, die Begründung der Entscheidung vom 8. Januar 1953, nämlich: „Ihre Fähigkeiten entsprechen nicht den Anforderungen des Dienstes“, sei fehlerhaft.

In der Klageschrift wird dies zweifach begründet: Es wird zunächst behauptet, die Probezeit sei unter regelwidrigen Umständen abgeleistet worden, die Entscheidung sei ferner mit einem Ermessensmißbrauch behaftet.

Regelwidriger Verlauf der Probezeit. Der Klägerin sei keine Gelegenheit gegeben worden, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Ihr seien innerhalb eines Monats nur drei Ubersetzungsarbeiten übertragen worden, die nur gewöhnliche Texte zum Inhalt gehabt und die Entfaltung besonderer Sprachkenntnisse auf juristischem, volkswirtschaftlichem oder technichem Gebiet nicht erforderlich gemacht hätten: Eine Beurteilung durch die betreffende Stelle sei auf Grund so oberflächlicher Proben unmöglich gewesen.

Es ist Ihnen geläufig, was die Hohe Behörde auf diese Behauptung erwidert: Sie besteht zunächst mit Nachdruck darauf, daß die durch sie erfolgte Beurteilung in ihr freies Ermessen gestellt sei. In zweiter Linie räumt sie ein, daß der Klägerin tatsächlich während des gesamten Probemonats nur drei oder höchstens vier Übersetzungsarbeiten zur Erledigung aufgetragen worden seien, die alle gewöhnliche Texte zum Inhalt gehabt hätten: Allein, so fügt sie hinzu, diese, obwohl leichten Texte, seien von der Klägerin nicht in zufriedenstellender Weise übersetzt worden: Es sei daher zwecklos gewesen, ihr wichtigere und schwierigere Arbeiten zu übertragen. Zur Stützung dieser Behauptung hat die Hohe Behörde (obwohl sie die Beweislast insoweit leugnet) in dem Wunsche, den Nachweis der offensichtlichen Unfähigkeit der Klägerin zu erbringen, eine dieser Übersetzungsarbeiten vorgelegt, nachdem die anderen unauffindbar gewesen seien.

Die Frage bedarf daher einer Prüfung in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht.

In rechtlicher Hinsicht scheint sie, wenn man den zweifachen Aspekt derselben anerkennt, einfach zu liegen. Da ist zunächst:

1.

die Frage nach der Fähigkeit der Klägerin, die Obliegenheiten des Dienstes zu erfüllen. Diese Frage gehört ohne Zweifel zu denjenigen, deren Entscheidung zuvorderst in das freie Ermessen der zuständigen Dienststelle gestellt ist: Ich halte es für zwecklos, auf diesen Punkt, der so klar zutage liegt, weiter einzugehen. Und dann:

2.

die Frage, ob der Klägerin während des zu diesem Zwecke vorgesehenen Zeitraums Gelegenheit gegeben morden ist, ihre Befähigung unter Bemeis zu stellen. Hier kann und muß dagegen eine richterliche Nachprüfung stattfinden, weil es sich darum handelt, festzustellen, ob die Probezeit ordnungsgemäß abgeleistet worden ist, ja ob sie überhaupt stattgefunden hat. Der italienische Staatsrat bejaht in einem gleichen Falle die Nachprüfung der Gesetzmäßigkeit (z. B. Entscheidung vom 5. Februar 1951, angeführt in der Erwiderung). Die Ableistung der Probezeit ist im Anstellungsvertrag vorgesehen und bildet einen Bestandteil desselben. Ohne Zweifel ist ihre Vereinbarung zunächst im Interesse der Behörde erfolgt, die sich, bevor sie sich endgültig bindet, vorher zu Recht in Hinsicht auf die Befähigung des Betreffenden vergewissern will; sie erfolgt jedoch auch zugunsten des letzteren, der eine „Anwartschaft“ (vocation) darauf hat, endgültig angestellt zu werden, und der sich dieses Anspruchs nicht willkürlich beraubt sehen will, wenn er die ihm übertragenen Obliegenheiten zur Zufriedenheit erfüllt hat. Wenn man also annimmt, dem Betreffenden sei während des vereinbarten Zeitraums und auf Veranlassung der Behörde keine Gelegenheit gegeben worden, seine Befähigung unter Beweis zu stellen, ohne daß ihm in dieser Hinsicht irgendein Vorwurf gemacht werden könnte (der extreme Fall z. B., daß ihm keinerlei Arbeiten irgendwelcher Art übertragen worden seien), dann muß festgestellt werden, daß die Behörde ihre vertraglich übernommenen Verpflichtungen verkannt hat und daß sie sich dann zum Zwecke der Verweigerung der endgültigen Einstellung nicht darauf berufen kann, die Befähigung des Betreffenden entspreche nicht oder nur unzureichend den dienstlichen Anforderungen.

In tatsächlicher Hinsicht geht die erste Frage dahin, ob infolge der Tatsache allein, daß Frl. Mirossevich während des gesamten Monats ihrer Probezeit nur drei oder vier Übersetzungsarbeiten übertragen worden sind, die Probezeit als nicht ordnungsgemäß abgeleistet angesehen werden muß.

Es scheint zunächst zu stimmen, daß es nur drei Ubersetzungsarbeiten gewesen sind; dies wird von der Klägerin behauptet, es geht auch aus den vorgelegten Urkunden hervor. Es ist ferner unstreitig, daß es sich nach Länge und Schwierigkeit um Übersetzungsarbeiten von geringer Bedeutung gehandelt hat.

Ich bin der Auffassung, meine Herren, daß hierdurch zwar kein Beweis erbracht worden ist, daß aber eine ernsthafte Vermutung dahingehend besteht, der Klägerin sei tatsächlich keine Gelegenheit gegeben worden, ihre Befähigung unter Beweis zu stellen, die Probezeit sei infolgedessen nicht ordnungsgemäß abgeleistet worden: Einige Stunden tatsächlicher Arbeit im Verlaufe eines Monats sind — von vornherein — noch nicht die Ableistung einer einmonatigen Probezeit. Es ist zwar gesagt worden, daß die Anzahl der während des Monats Dezember 1952 vom Sprachendienst verlangten Übersetzungsarbeiten nicht beträchtlich gewesen sei. Ich war so wißbegierig, mir das bei den Akten befindliche Register dieser Dienststelle anzusehen, und habe festgestellt, daß während des Zeitraums vom 9. Dezember 1952 bis zum 8. Januar 1953 pro Übersetzer durchschnittlich etwas mehr als 100 Seiten (95 für die italienische Abteilung) übersetzt worden sind.

Ich glaube daher, daß der von der Hohen Behörde angebotene Gegenbeweis keineswegs überflüssig ist: Er ist m. E. sogar erforderlich.

Dieser Gegenbeweis besteht — wie Sie wissen — in dem durch die Vorlegung einer der drei Übersetzungsarbeiten zu erbringenden Nachweise der offenbaren Unfähigkeit der Klägerin, ihren Obliegenheiten im Hinblick auf die dienstlichen Anforderungen nachzukommen.

Unter diesen Umständen war es notwendig: erstens zu der Frage der Echtheit der Urkunde Stellung zu nehmen, die von der Klägerin zum mindesten insoweit bestritten worden ist, als sie behauptet, die Urkunde sei nicht von ihr angefertigt worden: Die Klägerin habe sich darauf beschränkt, aus Übungszwecken auf einem, von einer anderen Person (die sie übrigens nicht benennt) angefertigten maschinengeschriebenen Entwurf einige handgeschriebene Verbesserungen anzubringen; zweitens für den Fall, daß die Behauptungen der Klägerin zu dieser Frage sich als nicht zutreffend herausstellen sollten, einen Sachverständigen um die Beurteilung der Qualität der Übersetzungsarbeit anzugehen, der einzig ordnungsgemäße Weg, um den Richter in den Stand zu versetzen, den Wert des von der Hohen Behörde angebotenen Gegenbeweises zu prüfen. Dies schien um so unerläßlicher, als sich unter den fünf aus dieser Arbeit stammenden, von der Hohen Behörde als ganz besonders unverzeihlich dargestellten Fehlern die Übersetzung des französischen Wortes „neerlandais“ durch das Wort „neerlandese“ befindet, das, so behauptet die Beklagte (Gegenerwiderung Seite 34) „im Italienischen nicht existiert“ und mit „olandese“ hätte übersetzt werden müssen. Wie groß war allerdings meine Überraschung, als ich beim Aufschlagen eines Wörterbuches das Wort „neerlandese“ fand! Die Einholung des Gutachtens drängte sich daher auf, und ich bin der mit der Vorbereitung der Sache beauftragten Zweiten Kammer dafür dankbar, daß sie dem entsprechenden Antrage stattgegeben hat.

a)

Was die zu Unrecht so genannte „Bestreitung der Echtheit“ angeht, so ist Ihnen bekannt, daß die Klägerin nach dem letzten Stande ihrer Anträge erklärt hat, die Echtheit nicht länger bestreiten und die drei Übersetzungsarbeiten, die sie angefertigt haben soll (darunter diejenige, die zur Rede steht), als „in rechtlicher Hinsicht echt“ anerkennen zu wollen. Sie hat daraufhin erklärt, sie sei mit der Einholung des Gutachtens insoweit einverstanden, als „daraus entnommen werden soll, daß dem Revisor Verderame die sprachliche und technische Befähigung fehlte, um ein Urteil über die Übersetzerin Frl. Mirossevich abzugeben“. Nun handelt es sich, meine Herren, nicht um die Befähigung des Revisors, sondern um diejenige der Übersetzerin selbst, die beurteilt werden muß. Bevor sie andererseits zu diesem Ergebnis gelangte, hat die Klägerin lange Ausführungen gemacht und verschiedene Behauptungen aufgestellt, aus denen hervorgeht, daß sie die von der Hohen Behörde vertretene Auffassung bestreitet, es habe sich tatsächlich um eine im dienstlichen Interesse von der Klägerin verlangte Übersetzungsarbeit, die sie selbst angefertigt und abgeliefert habe, gehandelt. Es muß also hierzu Stellung genommen werden.

Das ist im übrigen nicht schwer: Die von der Hohen Behörde vorgelegten Schriftstücke beweisen in unwiderleglicher und fast handgreiflicher Weise, daß die Urkunde, um die es sich hier handelt, die von Frl. Mirossevich angefertigte Übersetzung eines französischen Textes darstellt, dessen Übersetzung in die drei anderen Sprachen der Gemeinschaft vom Sprachendienst verlangt worden und, was die Übersetzung ins Italienische angeht, vom Sprachendienst der Klägerin übertragen worden war. Die in dieser Hinsicht aus den vorgelegten Urkunden getroffenen Feststellungen konnten offenbar durch die Zeugeneinvernahme nicht widerlegt werden und sind durch diese auch nicht widerlegt worden.

b)

Ich komme nun auf die Qualität der Übersetzungsarbeit zu sprechen, zu der sich Herr Bedarida, Professor an der Sorbonne, gutachtlich geäußert hat.

Lassen Sie mich daran erinnern, daß der Beweisbeschluß der Zweiten Kammer betr. die Einholung des Gutachtens wie folgt lautete: „Über die Qualität der Übersetzungsarbeit, wie sie aus der in der obenbezeichneten Rechtssache eingereichten Anlage Nr. 10 zur Gegenerwiderung hervorgeht, soll ein Gutachten eingeholt werden; hierbei ist dem Umstande Rechnung zu tragen, daß dem Sprachendienst für die Ablieferung der Übersetzungsarbeit eine Frist von zwei Stunden gesetzt worden war, es ist ferner die Natur der einem Übersetzer gewöhnlich obliegenden Aufgabe, die darin besteht, den Originaltext so getreu wie möglich wiederzugeben, zu berücksichtigen.“ Ich erinnere gleichfalls daran, daß der Sachverständige, kraft einer in dem gleichen Beschluß enthaltenen besonderen Bestimmung eine Abschrift der Urkunde mit den von der Klägerin angebrachten, handgeschriebenen Verbesserungen „unter Weglassung irgendwelcher anderer“, d. h. unter Weglassung derjenigen, die vom Revisor stammten, und die also nicht zu seiner Kenntnis gelangt sind, erhalten hat.

Meine Herren, der Sachverständige hat sein Gutachten genau in dieser ihm aufgegebenen Weise erstattet.

Er hat eine bestimmte Anzahl von Fehlern oder Irrtümern von unterschiedlichem Gewicht festgestellt. Der schwerste Fehler befindet sich nach seiner Ansicht in dem folgenden Satz: „Dès que l'expérience des faits aura démontré ce qu'elle doit être, nous informerons nos abonnés de la cadence à laquelle paraîtra le Journal officiel de la Communauté.“ Die Übersetzerin hat hierbei übersehen, daß das Fürwort „elle“ sich auf das Wort „cadence“ bezieht, obwohl das letztere auf das erstere folgt.

Der Sachverständige hat insbesondere noch folgende Fehler festgestellt:

1.

„Dès que l'expérience des faits aura démontré …“ (der Satz wurde bereits angeführt) ist durch Wendungen übersetzt worden, die den Sinn von „après que l'expérience des faits, etc…“ ergeben.

2.

(Immer noch im gleichen Satz): Das Wort „cadence“ ist mit einem Wort übersetzt worden, das „terme“ („termine“) bedeutet.

3.

„Souscrit“ (beim Abonnement) ist mit „firmato“ übersetzt worden, was „signé“ bedeutet; das richtige Wort ist „sottoscritto“. Hierzu muß ich die Bemerkungen des Sachverständigen anführen: „Die Wahl von, firmato'“ sagt er, „erscheint um so eigenartiger, als die gleiche Übersetzerin an anderen Stellen um eine reine italienische Ausdrucksweise lebhaft bemüht ist. So kann ihr z. B. zugute gehalten werden, sich bei der Übersetzung von ‚experts‛ an den Ausdruck ‚periti'‛ gehalten zu haben, der älter ist als das kürzlich unter französischem oder englischem Einfluß eingeführte Hauptwort ‚esperti'‛“

4.

„Règlements“ ist mit „norme“ anstatt mit „regolamenti“ übersetzt worden: Der letztere Ausdruck, sagt der Sachverständige, sei eher auf die Verwaltung zugeschnitten und sei konkreter als „norme“.

Ich gestehe, daß die hierzu von der Klägerin in einem ihrer Schriftsätze gegebenen Erklärungen, die hinsichtlich der Kritik an dem Original wohl in gewisser Weise zutreffen mögen, mich im Hinblick auf die Übersetzung nicht überzeugt haben.

5.

„Autrement dit“ im Sinne von „c'est-à-dire“ ist mit „nominati altrimenti“ anstatt mit „cioè a dire“ oder einfacher „cioè“ übersetzt worden. Es handelte sich um eine Angabe des Inhalts einer der drei Teile des Amtsblattes der Gemeinschaft, und der zu übersetzende Satz lautete: „Textes purement juridiques, autrement dit, décisions, règlements, etc…“

6.

„Première manifestation d'unité européenne“ ist mit „première manifestation d'une unité européenne“ übersetzt worden.

7.

Der Satz „de prendre chaque jour plus de réalité“ ist mit „di essere ogni giorno più aggiornata“ übersetzt worden: Dieses Wort bedeutet aber „mettre à jour“ oder „ajourner“.

8.

Schließlich ist eine ganze Zeile ausgelassen worden.

Nach Aufdeckung dieser Fehler fügt der Sachverständige folgendes hinzu: „Diese, Einzelheiten betreffenden Bemerkungen müssen durch eine Gesamtwürdigung ergänzt werden.

Einerseits finden sich die schwersten Fehler gegen das Ende der Übersetzung zu. Sie könnten dem Umstand zuzuschreiben sein, daß die Übersetzerin sich in Zeitnot befunden hat. In dieser Hinsicht muß auf folgendes hingewiesen werden: Hatte die Übersetzerin innerhalb der ihr für die Erledigung der Arbeit zugestandenen zwei Stunden ihren italienischen Text auch in die Maschine zu schreiben? Wenn ja, dann müßte gerechterweise die für das Schreiben erforderliche Zeit von der Gesamtdauer der für die Anfertigung der Probe zugestandenen Zeit in Abrechnung gebracht werden. Die Auslassung einer Zeile aus dem Originaltext, auf die oben hingewiesen wurde, ließe sich aus der Tatsache der Herstellung der Reinschrift auf der Maschine erklären.

Wenn sich in der Übersetzungsabteilung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einer oder mehrere Revisoren befinden, so müßte andererseits berücksichtigt werden, daß der Verfasser der umstrittenen Übersetzungsarbeit sich nur zur tatsächlichen, fast mechanischen Ausführung einer Arbeit für verpflichtet halten konnte, zu deren Ergänzung, Verbesserung und Vervollkommnung anschließend andere, denen mehr Zeit zur Verfügung steht, berufen waren.

Im einen wie im anderen Falle müßte ich darin Umstände erblicken, die geeignet sind, die Verantwortlichkeit der Übersetzerin und die Tragweite der in der Arbeit enthaltenen Mängel, deren Prüfung und Bewertung mir oblag, geringer anzusetzen.“

In dem zweiten Punkt scheint mir der Sachverständige etwas zu weit zu gehen: Die Existenz eines Revisors enthebt den Übersetzer nicht der eigenen Verantwortung für die Genauigkeit der Übersetzung. Mit anderen Worten, in dem gesamten Ausmaß, in dem sich die von dem Sachverständigen festgestellten Fehler auf den Sinn des Textes beziehen und nicht auf die Eleganz oder den Stil, kann aus der Tatsache der Gegenwart eines Revisors keine „verminderte Verantwortung“ hergeleitet werden.

Was die erste Bemerkung angeht, so berührt diese einen wichtigen Punkt, ob der Klägerin nämlich tatsächlich ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung stand. Wie groß war dieser Zeitraum? Eine genaue Feststellung ist selbstverständlich schwierig. Aus den aus dem Register stammenden, genauen Angaben wissen wir, daß der zu übersetzende Text beim Sprachen dienst um 11 Uhr eingegangen ist und' daß die Übersetzung um 13 Uhr abgeliefert sein mußte. Wir wissen auch, daß dies erst um 13.30 Uhr erfolgte, also mit einer Verspätung von einer halben Stunde. Wir wissen aber auch, daß die holländische und die deutsche Übersetzung des gleichen Textes, die gleichfalls zur selben Zeit abgeliefert sein sollten, erst um 14 Uhr bzw. 14.30 Uhr abgeliefert wurden. Wenn man in Rechnung stellt, daß innerhalb der gesetzten Frist fünf Arbeitsgänge zu erledigen waren (Anfertigung eines Entwurfs durch die Übersetzerin, Abschrift dieses Entwurfs auf der Maschine, Verbesserung des maschinengeschriebenen Entwurfs durch die Übersetzerin, Revidierung desselben durch den Revisor und Reinschrift des revidierten Textes auf der Maschine, so war die für einen Text von zwei Seiten, selbst mittleren Schwierigkeitsgrades, gesetzte Frist wahrscheinlich ein wenig kurz. Es ist möglich, daß der italienische Revisor, um die Einhaltung der Frist gewissenhafter bemüht als sein deutscher und holländischer Kollege, sich des Textes bemächtigt hat, bevor die Übersetzerin mit dessen Durchsicht zu Ende war — was den Umstand erklären würde, worauf der Sachverständige hingewiesen hat, daß die schwersten Fehler auf der zweiten Seite unterlaufen sind, wo sich nur eine einzige aus der Hand der Klägerin stammende Verbesserung befindet.

Nach diesen Ausführungen muß nun die Frage beantwortet werden: Ist die von der Beklagten vorgelegte und ordnungsgemäß begutachtete Urkunde von solcher Beschaffenheit, daß aus dieser selbst heraus auf eine derartige Unfähigkeit der Klägerin geschlossen werden konnte, bei der Hohen Behörde als Übersetzerin zu arbeiten, daß letztere ohne Verkennung ihrer auf die Probezeit bezüglichen Verpflichtungen davon absehen konnte, der Klägerin andere, schwierigere Arbeiten anzuvertrauen? Meine Herren, wenn man die Art der dienstlichen Anforderungen in Betracht zieht, denen es seinerzeit zu begegnen galt, gleicherweise im Hinblick auf Genauigkeit und Schnelligkeit, und zwar in jener fieberhaften Aufbauperiode, in der sich die Hohe Behörde infolge der strengen Fristen des Vertrages befand, innerhalb derer ihr der eigene Aufbau sowie die Errichtung des Gemeinsamen Marktes oblag, so gestehe ich, daß ich versucht bin, die Frage zu bejahen. Gleichwohl glaube ich jedoch, und zwar unter Berücksichtigung des soeben Gesagten, daß ein negatives Urteil nicht auf diese alleinige und einzige Probearbeit gestützt werden konnte; ich bin daher der Auffassung, daß die Probezeit nicht unter ordnungsgemäßen Bedingungen abgeleistet worden ist.

Es bleibt für alle Fälle noch der Vorwurf des Ermessensmißbrauchs zu prüfen: Mit der die Entfernung von Frl. Mirossevich aus dem Sprachendienst aussprechenden Entscheidung vom 8. Januar 1953 sei in Wahrheit die Absicht des Revisors verfolgt worden, jene durch einen Freund zu ersetzen; die Hohe Behörde hat sogar geglaubt, uns dessen Namen benennen zu müssen: Es handelt sich um Herrn Delli Paoli, der tatsächlich unmittelbar nach dem Fortgang der Klägerin im Sprachendienst der Hohen Behörde eingestellt worden ist.

Ich komme hiermit zu einer besonders unerfreulichen Seite dieses Rechtsstreits: Ich werde mich leidenschaftslos, aber unzweideutig ausdrücken.

Ich möchte zunächst eine zwischen den Parteien darüber entbrannte Auseinandersetzung, ob Herr Delli Paoli sich im Laufe des Monats Dezember 1952 in Luxemburg aufgehalten habe oder nicht, aus der weiteren Untersuchung ausscheiden: Nach den Behauptungen der Klägerin habe sich jener zu diesem Zeitpunkt eingefunden, in dem Versuch, bei der Gemeinschaft eine Anstellung zu finden. Nachdem es ihm nicht gelungen sei,. beim Gerichtshof eingestellt zu werden, habe er es bei der Hohen Behörde versucht, und sein Freund Herr Verderame habe die Ablehnung der endgültigen Einstellung der Klägerin veranlaßt, um ihm eine Stellung zu verschaffen. Die Hohe Behörde leugnet selbst die Tatsache, daß Herr Delli Paoli im Dezember nach Luxemburg gereist sei, sie hat sogar angeboten, dessen Reisepaß vorzulegen, der, wie sie sagt, „die Zollstempel mit den Daten des Grenzübergangs bei Thionville enthält (im Januar 1953 und nicht im Dezember 1952)“.

Meine Herren, mit einer solchen Vorlegung wäre nichts bewiesen (denn es ist sehr wohl bekannt, daß die Anbringung des Polizeistempels zu jener Zeit bei nach Luxemburg einreisenden Italienern sehr oft zu unterbleiben pflegte), außerdem ist die Tatsache nicht beweiserheblich, es läßt sich nämlich nicht ersehen, inwiefern dadurch der Nachweis des behaupteten geheimen Zusammenwirkens erbracht werden könnte: Dieses hätte im Monat Dezember genausogut in Rom wie in Luxemburg zustande kommen können. Aus diesem Grunde hat die Zweite Kammer im übrigen auch die Anordnung einer entsprechenden Beweisaufnahme abgelehnt.

Nach den obigen Ausführungen steht folgendes fest:

1.

Die Tatsache (die ich bereits angeführt habe), daß die Klägerin den Sprachendienst zur gleichen Zeit verlassen mußte, wie Herr Delli Paoli dort eingetreten ist;

2.

Die Tatsache, daß die beiden Entscheidungen auf Vorschlag des Revisors der italienischen Abteilung, Herrn Verderame, erlassen wurden;

3.

Die Tatsache, daß der Leiter des Sprachendienstes, Herr Dr. Thomik, infolge nicht ausreichender Kenntnis der italienischen Sprache in beiden Fällen im Vertrauen auf den Vorschlag des Revisors gehandelt hat, d. h. sowohl was die Unfähigkeit der einen als auch was die Befähigung des anderen angeht;

4.

Die Tatsache, daß Herr Delli Paoli eingestellt worden ist, um Frl. Mirossevich zu ersetzen. Die Hohe Behörde leugnet dies in ihrer Erwiderung (deutsche Übersetzung Seite 27); sie behauptet zum mindesten, es wäre, um Herrn Delli Paoli einzustellen, nicht erforderlich gewesen, Frl. Mirossevich ihres Postens zu entheben. Dies ist in rechtlicher Hinsicht völlig zutreffend, denn es gab keinen Stellenplan, so daß es nicht erforderlich war, zunächst das Freiwerden einer Planstelle abzuwarten, bevor ein neuer Bediensteter eingestellt werden konnte. In tatsächlicher Hinsicht hat aber nichtsdestoweniger eine Ersetzung stattgefunden. Dies geht aus der Zeugenaussage des Leiters der Übersetzungsabteilung, Herrn Dr. Thomik selbst hervor (Protokoll der Sitzung vom 15. Mai 1956, Seite 26 der französischen Übersetzung), die ich hier wiedergebe:

Frage des Präsidenten:

„Sind Ihnen Tatsachen oder Umstände bekannt, die darauf hinweisen — oder darauf hinweisen könnten —, daß die Klägerin von ihrem Posten entfernt worden sei, weil der Revisor der italienischen Abteilung einem Freund deren Stelle verschaffen wollte?“

Antwort des Zeugen:

„Als sich herausstellte, daß die Klägerin den gestellten Anforderungen nicht gewachsen war, habe ich mir die Frage vorgelegt, durch wen sie ersetzt werden könnte. Mir war jedoch kein Übersetzer italienischer Muttersprache bekannt, so daß ich mich an Herrn Verderame mit der Frage gewandt habe, ob er jemanden kennen würde. Soweit ich mich erinnere, hatte Herr Verderame den Namen von Herrn Delli Paoli bis dahin noch nie genannt.“

Auf Frage des Berichterstatters:

„Ich hatte keinen italienischen Übersetzer in Reserve.“

5.

Die Klägerin behauptet schließlich, der letzte Punkt, ihr Nachfolger habe nicht die Befähigung zum Übersetzer besessen. Sie drückt sich in ihren Schriftsätzen an drei Stellen hierzu wie folgt aus:

a)

Klageschrift, Seite 3: „… an Stelle von Frl. Mirossevich (die vier Sprachen beherrscht) wird andererseits der Freund des Übersetzers eingestellt, obwohl er die Eignung eines Übersetzers nicht besitzt (amtlich jedoch als Übersetzer aus dem Französischen und dem Englischen bezeichnet wird). Der Neuankömmling, der ohne jede Prüfung seinen Anstellungsvertrag als Bediensteter erhielt, wurde später als Dienststellenleiter einer neu gebildeten Abteilung zugewiesen (‚Konferenzabteilung‛).“

b)

Erwiderung (deutsche Übersetzung Seite 40): „Was hätte er getan (es handelt sich um Herrn Thomik), wenn er beim Unterschreiben des Anstellungsvertrages von Herrn Dr. Delli Paoli als Übersetzer aus dem Französischen und aus dem Englischen in das Italienische gewußt hätte, was übrigens bekannt war: daß Herr Dr. Delli Paoli nämlich die französische Sprache seinerzeit nur recht mittelmäßig und die englische Sprache schlechthin fast überhaupt nicht beherrschte?“

c)

Abschließende Stellungnahme (französische Übersetzung Seite 12): „Es war bekannt, daß die Sprachkenntnisse von Herrn Delli Paoli so gering waren, daß er gezwungen war, sich von einem Kollegen helfen zu lassen, und er wurde — sofort nachdem Herr Balladore die Personalabteilung übernahm — in eine andere Abteilung versetzt.“

Dies sind die Behauptungen der Klägerin zu diesem Punkt. Sie sind von der Hohen Behörde nicht bestritten worden.

Muß unter diesen Umständen das Vorliegen eines Ermessensmißbrauchs als erwiesen angesehen werden?

Ich glaube, meine Herren, daß das Ineinandergreifen der soeben hervorgehobenen fünf Tatsachen einen sehr ernst zu nehmenden Ansatz für den Nachweis des Vorliegens eines Ermessensmißbrauchs darstellt. Ich glaube jedoch, daß der Beweis selbst nicht erbracht ist.

Es geht hier in Wahrheit nicht um die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ernennung von Herrn Delli Paoli: es geht um die Beurteilung dessen, ob Frl. Mirossevich ihren Posten zu Recht verloren hat oder nicht.

Es ist zweifellos möglich, daß der wirkliche Grund, das bestimmende Motiv, für die Entlassung der Wunsch gewesen sein mag, die Klägerin durch einen Freund des Revisors zu ersetzen; es ist dies aber nicht sicher. Mit anderen Worten, die Tatsache, daß der Revisor den Fortgang von Frl. Mirossevich dazu benutzt hätte, um die Ernennung eines seiner Freunde vorzuschlagen, wäre noch kein Beweis dafür, daß der wirkliche Beweggrund für die Entlassung in dem Bestreben zu suchen sei, diese Ernennung zu begünstigen: Ein solches Verhalten wird bei einem Bediensteten nicht vermutet, und es besteht im vorliegenden Falle auch keine Veranlassung, dies zu tun.

Gleichwohl, meine Herren, drängt sich eine Bemerkung auf. Ich habe soeben die besonderen dienstlichen Anforderungen, die seinerzeit gestellt wurden, gestreift, und auch bei der Beweisaufnahme ist auf diese eingegangen worden. Man kann nun nicht umhin, festzustellen, daß die Haltung, die die Behörde an den Tag gelegt hat, zeigt, daß sie seinerzeit tatsächlich eine etwas „elastische“ Auffassung über diese dienstlichen Anforderungen hatte. Aus diesem Grunde halte ich die soeben hervorgehobenen Tatsachen für einen Grund mehr, eine strenge objektive Nachprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Probezeit vorzunehmen.

Ich schlage daher im Ergebnis vor, auszusprechen, daß die Probezeit von Frl. Mirossevich nicht ordnungsgemäß abgeleistet worden ist.

V — FOLGEN DER VORGESCHLAGENEN LÖSUNG

Meine Herren, falls Sie mit Ihrem Generalanwalt übereinstimmen sollten, müßten Sie daraus die entsprechenden Schlußfolgerungen ziehen.

Dabei stellen sich einige heikle Fragen rechtlicher und tatsächlicher Natur.

In rechtlidier Hinsicht

In rechtlicher Hinsicht befinden wir uns, es sei daran erinnert, auf dem Boden des Rechts der Verträge, es handelt sich allerdings um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Nach der allgemeinen Lehre vom Vertrage wird im Zivilrecht ein Vertrag nicht schon dadurch aufgelöst, daß eine der Vertragsparteien ihren Verpflichtungen nicht nachkommt, der andere Vertragspartner kann vielmehr die Erfüllung des Vertrages verlangen, soweit diese Erfüllung möglich ist (für Frankreich Artikel 1189, Code Civil). Ich glaube, dieser Rechtssatz gilt in allen unseren Ländern.

Gleiches ist aber in bezug auf Arbeitsverträge nicht überall der Fall (immer noch auf dem Gebiet des Zivilrechts).

Soweit es sich um Streitigkeiten aus Einzelarbeitsverträgen handelt, weigert sich die Rechtslehre in Frankreich seit jeher, die Wiedereinstellung des zu Unrecht entlassenen Arbeitnehmers zuzulassen: Der verschuldete Vertragsbruch hat ausschließlich einen Schadensersatzanspruch zur Folge. Diese Lehre begegnet im übrigen der Kritik (z. B. Durand, Traité de droit du Travail 1950, Band II, Seite 903). Bei tarifrechtlichen Arbeitsstreitigkeiten haben dagegen die zu deren Entscheidung berufenen Schlichtungsinstanzen Wiedereinstellungen angeordnet. „Anderes gilt nur für leitende Angestellte“, sagt M.Durand, „die fast Arbeitgeberfunktionen ausüben und deren Wiederbeschäftigung nach Zerstörung des erforderlichen Vertrauensverhältnisses nicht mehr zumutbar erscheint.“

In Deutschland ist der Grundsatz des Rechts der Verträge, der es jeder Partei gestattet, die andere zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen zu zwingen, auch auf Arbeitsverträge anwendbar: Der entlassene Arbeitnehmer kann auf Grund eines Urteils, das die Kündigung für ungerechtfertigt erklärt und in dem infolgedessen festgestellt wird, daß das Arbeitsverhältnis nicht erloschen sei, die Wiedereinstellung verlangen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können jedoch geltend machen, daß ihnen nicht zugemutet werden könne, beim ersteren, seine Arbeit wieder aufzunehmen, beim letzteren, mit dem Arbeitnehmer gedeihlich zusammenzuarbeiten. Erst wenn die Unzumutbarkeit geltend gemacht und vom Gerichtshof bejaht worden ist, hebt dieser den Arbeitsvertrag trotz der ungerechtfertigten Kündigung auf und verurteilt den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung,

Das Obligationenrecht in Italien entspricht dem französischen Recht vollauf: Artikel 1453 des italienischen Zivilgesetzbuches enthält, bis auf einige Schattierungen, den gleichen Rechtssatz wie Artikel 1184 des französischen Code Civil. Was den Arbeitsvertrag angeht, so untersteht dieser ganz besonderen Vorschriften, deren eine es einem Schlichtungsausschuß (der für Fälle der Entlassung aus disziplinarischen Gründen zuständig ist) gestattet, den Vertrag trotz des entgegenstehenden Willens des Arbeitgebers für den Fall aufrechtzuerhalten, daß die Entlassung nicht gerechtfertigt erscheint (Mazzoni und Grechi, Arbeitsrecht, Bologna, 1951, Seite 207).

In den Niederlanden ist die Rechtslage die gleiche wie in Frankreich.

Und nun zum öffentlichen Recht. Ich sehe keinen Hinderungsgrund, hier nicht gleichfalls die allgemeinen Lehren über das Recht der Verträge anzuwenden, d. h. jeder Vertragspartei, zum mindesten grundsätzlich, das Recht einzuräumen, von der anderen Vertragspartei die Erfüllung der von dieser übernommenen Verpflichtungen zu verlangen, soweit diese Erfüllung nicht rechtlich oder tatsächlich unmöglich sein sollte. Ganz im Gegenteil; dieser Anspruch stellt tatsächlich nur das Gegenstück des Anspruchs auf Wiederverwendung, der bei planmäßigen, festangestellten Bediensteten die gewöhnliche Folge der Aufhebung der Entlassungsentscheidung bildet, auf dem Gebiet der öffentlich-rechtlichen Arbeitsverträge dar; was das Gesetz, Rechtsgrundlage des Personalstatuts, erlaubt, muß auch der Anstellungsvertrag, der das Gesetz der Parteien darstellt, erlauben. „Grundsätzlich“ habe ich jedoch gesagt; ich bin tatsächlich hinreichend versucht, bei gewissen Angestellten eine Ausnahme zu machen, bei solchen, die in der Rangordnung sehr hohe Posten einnehmen oder mit der höchsten Spitze sehr eng zusammenarbeiten: Es findet sich hier das Merkmal des „erforderlichen Vertrauensverhältnisses“, das die französischen Schlichtungsinstanzen, wie oben dargestellt, beeinflußt hat. Ich weise noch darauf hin, daß die Behörden oft gerade deswegen bei der Besetzung verschiedener Stellen zum Mittel des Anstellungsvertrages greifen, um zur Vermeidung der Fortdauer einer sich als unmöglich erweisenden Zusammenarbeit den eventuellen Bruch leichter zu gestalten.

In tatsächlicher Hinsicht

Wenn ich mich jetzt der Anwendung auf den gegebenen Sachverhalt zuwende, so versteht es sich von selbst, daß ich es im vorliegenden Rechtsstreit nicht mit einem solchen Fall zu tun habe, wie ich ihn eben schilderte. Die Lösung besteht daher darin, nachdem die Probezeit als nicht ordnungsgemäß abgeleistet und infolgedessen die sie beendende Entscheidung als rechtswidrig befunden worden ist, anzuordnen, daß der am 9. Dezember 1952 zwischen der Hohen Behörde und Frl. Mirossevich geschlossene mündliche Anstellungsvertrag nunmehr durch die Ableistung einer Probezeit von einem Monat beim Sprachendienst erfüllt werde. Wohlgemerkt, nach Abschluß der Probezeit, und welches Ergebnis diese auch zeitigen sollte, muß die Lage der Klägerin im Hinblick auf das kürzlich erlassene Statut und in Übereinstimmung mit dessen Bestimmungen beurteilt und geregelt werden.

Es bleibt noch die Frage nach der Wiedergutmachung der in der Vergangenheit erlittenen Nachteile zu prüfen. In dieser Hinsicht halte ich die Anordnung der beantragten „Wiedereinsetzung in die Laufbahn“ nicht für angebracht. Eine solche Wiedereinsetzung, mit Rückwirkung, kann nur bei Bediensteten, die unter das Statut fallen und die Nichtigerklärung einer Amtsenthebungs- oder Entlassungsentscheidung erreicht haben, eine rechtliche Stütze finden: diese liegt in der rückwirkenden Kraft der die Nichtigkeit aussprechenden Entscheidung selbst, sowie in der juristischen Fiktion, der Anfechtungskläger habe seinen Posten stets beibehalten. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zwischen dem Bedienstetenverhältnis, das auf das Personalstatut und demjenigen, das auf einen Anstellungsvertrag zurückgeht: der Vertrag besteht, zweifelsohne, immer noch, die Erfüllung der Verpflichtungen aber, die aus ihm hervorgegangen sind, muß, soweit bis jetzt nicht geschehen, gegenwärtig erfolgen: die Erfüllung einer Verpflichtung kann nämlich nicht rückwirkend erfolgen. Im übrigen gewährt der Anstellungsvertrag weder einen Anspruch auf eine Laufbahn noch auf eine feste Anstellung, sondern lediglich eine Anwartschaft (Urteil Kergall). Der Anspruch auf Wiedereinsetzung in eine Laufbahn kann jedenfalls selbst bei einem unter das Statut fallenden Bediensteten erst mit der Berufung in das Beamtenverhältnis (titularisation) entstehen, d. h. nach Ableistung der vorgesehenen Probezeit, die also erst ordnungsgemäß abgeleistet werden und zufriedenstellend verlaufen muß. Was den Anspruch auf Gehaltsnachzahlung angeht, den die Klägerin ferner geltend macht, so steht ihr ein solcher Anspruch genausowenig zu, und zwar aus den gleichen Gründen sowie aus einem zusätzlichen Grund (der für alle Bediensteten, selbst für die unter das Statut fallenden, gilt): es fehlt an der „erbrachten Dienstleistung“.

Es könnte sich also nur um eine den erlittenen Nachteilen entsprechende Entschädigung handeln.

Wie hoch wäre eine solche Entschädigung zu bemessen?

Das ist natürlich schwer abzuschätzen. Ich glaube jedoch, daß die Schätzung unabhängig von dem Ausgang der zukünftigen Probezeit, die wir nicht abwarten können, erfolgen muß: es handelt sich außerdem um die Wiedergutmachung in der Vergangenheit erlittener Nachteile.

Ich glaube, in dieser Hinsicht nichts Besseres tun zu können, als die Entscheidung in Ihr billiges Ermessen zu stellen, wie es unser Kollege Roemer in der Rechtssache Kergall getan hat, in der gleichfalls zahlreiche Momente der Ungewißheit vorlagen. Ich werde mich daher auf die beiden nachfolgenden Bemerkungen über das Verhalten der Klägerin und über dasjenige der Verwaltung beschränken.

Die Verwaltung, die sich von der Klägerin hätte trennen können, hat sich bemüht, für diese eine deren Fähigkeiten angemessene anderweitige Beschäftigung zu finden, sie hat diese Bemühungen auch beharrlich fortgesetzt. Man kann sich zweifellos vorstellen, daß sie das nicht allein aus Menschenfreundlichkeit getan hat, sondern weil sie sich über das Unerfreuliche der Umstände, unter denen der die Klägerin betreffende Wechsel im Sprachendienst erfolgte, im klaren war. Ich glaube, daß hierin jedoch trotz allem ein Umstand erblickt werden muß, der die Fehlerhaftigkeit des Verhaltens und infolgedessen die Haftung der Verwaltung einschränkt.

Was die Klägerin angeht, so scheint sie sich, soweit ihr die entsprechende Möglichkeit zu Gebote stand, nicht sonderlich um die Erlangung eines besseren Postens bei der Hohen Behörde bemüht zu haben. Sie hat insbesondere ihre Versetzung in die Abteilung Arbeit abgelehnt, mit allen Aufstiegsmöglichkeiten, welche dieser neue Posten höchstwahrscheinlich bot, und obwohl die Einlegung der Beschwerde an den Verwaltungsausschuß kein Hindernis darstellte. „Hilf dir selbst“, heißt es im Sprichwort, „dann hilft dir Gott“. Es wird bei Ihnen liegen, meine Herren, zu entscheiden, inwieweit dieses Verhalten der Klägerin gleichfalls geeignet ist, die Haftung der Verwaltung einzuschränken.

VI — ABSCHLIESSENDE BEMERKUNGEN

Bevor ich zum Abschluß komme, bitte ich um die Erlaubnis, einige Bemerkungen machen zu dürfen, die außerhalb von Recht und Rechtsprechung liegen.

Gegen Ende der letzten mündlichen Verhandlung hat der Anwalt der Klägerin auf die materielle und vor allem auf die seelische Lage seiner Mandantin hingewiesen und dabei Dinge gesagt, die uns gerührt haben. Der Vertreter der Hohen Behörde hat seinerseits, im Ergebnis, vorgetragen, daß er für seine Person, falls man den Boden des Rechts verlassen sollte, nichts mehr zu sagen habe, wenn er nicht von vornherein seinen Prozeß als verloren betrachten wolle.

Er hatte tatsächlich, prozessual gesehen, völlig recht. Nun wird es sich aber darum handeln, Ihr Urteil zu vollstrecken. Wenn Sie, wie ich inständig hoffe, darin zu einer Lösung kommen, die im wesentlichen dahin geht, die Parteien wieder so zu stellen, wie sie ursprünglich standen, so würde ich es sehr gerne sehen, wenn beim zweiten Anlauf alles im besten gegenseitigen Einvernehmen zugehen würde und wenn beide Seiten alles vergessen würden, was zur Vergiftung der Atmosphäre geführt hat. Ich weiß, daß ich mich insoweit nicht vergebens an die ausführenden Stellen der Hohen Behörde wende. Diese sind sich — sie haben es bereits bewiesen — der wirklichen Aufgaben einer Behörde völlig bewußt, die, weit davon entfernt, eine blinde Maschinerie sein zu dürfen, mehr als jeder private Arbeitgeber danach trachten muß, gerecht und nicht nur rechtlich einwandfrei, aufrichtig und nicht nur gesetzestreu, menschlich schließlich und nicht nur sozial zu handeln. Es ist das Freikaufgeld für die ihr rechtmäßig übertragene obrigkeitliche Machtfülle, die — in Wahrheit — tatsächlich nur um diesen Preis besteht.

Ich würde es gleichfalls begrüßen, wenn die Klägerin ihrerseits versuchen würde, sich von einem gewissen Verfolgungsdenken zu befreien, dessen Opfer sie bis zu einem gewissen Grade zu sein scheint — wobei ich weiß, daß sie hierzu sehr wohl Grund hatte —, und wenn sie im Vertrauen auf die Erfahrung und Unparteilichkeit ihrer Vorgesetzten sich ohne Hintergedanken mit dem Ergebnis der neuen Probezeit abfinden würde, für den Fall, daß diese, unglücklicherweise, ungünstig ausfallen sollte.

VII — ANTRÄGE

Ich beantrage:

daß die Entscheidung vom 8. Januar 1953 sowie die diese bestätigende Entscheidung des Verwaltungsausschusses für nichtig erklärt werde;

auszusprechen, daß der am 9. Dezember 1952 geschlossene mündliche Vertrag derart zu erfüllen sei, daß Frl. Mirossevich beim Sprachendienst der Hohen Behörde eine Probezeit von einem Monat als Übersetzerin ableistet, nach deren Ablauf, und wie deren Ergebnis auch ausfallen sollte, die Rechtsstellung der Klägerin in Übereinstimmung mit den geltenden Bestimmungen des Personalstatuts der Gemeinschaft zu regeln ist;

daß Frl. Mirossevich zur Wiedergutmachung der ihr infolge der verspäteten Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen durch die Hohe Behörde entstandenen Nachteile eine Entschädigung zugebilligt werde, deren Höhe zu bestimmen ich der gerechten Entscheidung des Gerichtshofes überlasse;

die Abweisung aller übrigen Klageanträge;

daß die Hohe Behörde zur Tragung der Kosten, mit Ausnahme derjenigen, die sich auf den Zwischenstreit über die Anfechtung der Echtheit einer Urkunde beziehen und die Frl. Mirossevich zu tragen haben wird, verurteilt werde.

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