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Document 62023CJ0040

    Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 13. Juni 2024.
    Europäische Kommission gegen Königreich der Niederlande.
    Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Gesetz über das Verbot der Verwendung von Kohle für die Stromerzeugung – Vorzeitige Stilllegung eines Kohlekraftwerks – Gewährung einer Entschädigung – Beschluss, mit dem die Maßnahme für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird, ohne darüber zu entscheiden, ob eine staatliche Beihilfe vorliegt – Ausübung der Zuständigkeit der Europäischen Kommission.
    Rechtssache C-40/23 P.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:492

    Rechtssache C‑40/23 P

    Europäische Kommission

    gegen

    Königreich der Niederlande

    Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 13. Juni 2024

    „Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Gesetz über das Verbot der Verwendung von Kohle für die Stromerzeugung – Vorzeitige Stilllegung eines Kohlekraftwerks – Gewährung einer Entschädigung – Beschluss, mit dem die Maßnahme für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird, ohne darüber zu entscheiden, ob eine staatliche Beihilfe vorliegt – Ausübung der Zuständigkeit der Europäischen Kommission“

    Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Zuständigkeit – Erlass eines Beschlusses, mit dem eine staatliche Maßnahme für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird, ohne dass diese Maßnahme zuvor als staatliche Beihilfe eingestuft wurde – Beschluss, mit dem die Kommission ihre Befugnisse überschreitet

    (Art. 107 und 108 AEUV)

    (vgl. Rn. 37-49)

    Zusammenfassung

    Der Gerichtshof weist das Rechtsmittel der Europäischen Kommission gegen das Urteil des Gerichts vom 16. November 2022 ( 1 ) in einer Rechtssache zwischen diesem Organ und dem Königreich der Niederlande zurück und präzisiert die Voraussetzungen, unter denen die Kommission ihre Zuständigkeit zur Prüfung der Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Binnenmarkt anhand der Art. 107 und 108 AEUV ausüben kann. In seinem Urteil hatte das Gericht festgestellt, dass die Kommission nicht über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Binnenmarkt entscheiden könne, ohne zuvor festgestellt zu haben, dass diese Maßnahme eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle.

    Im Jahr 2019 übermittelten die niederländischen Behörden der Kommission gemäß der Richtlinie 2015/1535 ( 2 ) einen Entwurf des Gesetzes über das Verbot der Verwendung von Kohle für die Stromerzeugung. Er zielte auf die Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen (CO2) in den Niederlanden ab und sah einen Ausgleich für den Schaden vor, der einem Kohlekraftwerk entsteht, das im Vergleich zu anderen Kraftwerken gleichen Typs durch das Verbot der Verwendung von Kohle für die Stromerzeugung in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt wird. Dieser Gesetzesentwurf wurde jedoch nicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV bei der Kommission angemeldet.

    Nachdem der Gesetzesentwurf der Kommission gemäß der Richtlinie 2015/1535 übermittelt worden war, begann sie von sich aus mit der Prüfung der Informationen im Hinblick auf eine mutmaßliche Beihilfe. Mit Beschluss vom 12. Mai 2020 ( 3 ) stellte sie fest, dass die in Rede stehende Maßnahme gemäß Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV ( 4 ) mit dem Binnenmarkt vereinbar sei, ohne jedoch festgestellt zu haben, dass die Maßnahme dem Begünstigten einen Vorteil verschaffe und daher eine staatliche Beihilfe darstelle.

    Daraufhin erhob das Königreich der Niederlande beim Gericht eine Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses und warf der Kommission vor, ihre Zuständigkeit überschritten und Rechtsunsicherheit geschaffen zu haben. Nachdem das Gericht den Beschluss für nichtig erklärt hatte, legte die Kommission beim Gerichtshof ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts ein.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    Zur Stützung ihres Rechtsmittels hat die Kommission u. a. geltend gemacht, das Gericht habe Art. 107 Abs. 3 AEUV zu eng ausgelegt, indem es befunden habe, dass sie nicht befugt sei, zu entscheiden, dass eine Maßnahme mit dem Binnenmarkt vereinbar sei, ohne zuvor festgestellt zu haben, dass es sich bei dieser Maßnahme um eine staatliche Beihilfe handele. Der Begriff „Beihilfen“ in diesem Artikel erfasse auch Maßnahmen, bei denen es unklar bleibe, ob sie als staatliche Beihilfe einzustufen seien.

    Insoweit stellt der Gerichtshof fest, dass zwar der Begriff „Beihilfen“ in Art. 107 Abs. 1 AEUV nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch verwendet wird, er dagegen in Art. 107 Abs. 3 AEUV nur staatliche Beihilfen bezeichnet. Aus Art. 107 Abs. 1 AEUV ergibt sich nämlich, dass nur Maßnahmen, die die dort festgelegten Voraussetzungen erfüllen und folglich staatliche Beihilfen darstellen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind, soweit im Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist. Daher kann Art. 107 Abs. 3 AEUV, der als Ausnahme von dieser Bestimmung die Maßnahmen aufzählt, die als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können, nur staatliche Beihilfen betreffen.

    Auch wenn Art. 107 AEUV weder Verfahrensvorschriften enthält noch unmittelbar die Befugnisse der Kommission betrifft, ergibt sich aus dieser Bestimmung doch, dass die Einstufung einer Maßnahme als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eine Voraussetzung für die eventuelle Anwendung der in Art. 107 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Ausnahme darstellt. Somit ist die Europäische Union befugt, über die Vereinbarkeit von Maßnahmen, die staatliche Beihilfen darstellen, mit dem Binnenmarkt zu entscheiden, nicht aber über die Vereinbarkeit von Maßnahmen, die nicht als staatliche Beihilfen eingestuft sind. Art. 108 AEUV überträgt die Ausübung dieser Befugnis der Kommission, die dabei der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt. Die Unionsorgane dürfen aber nur innerhalb der Grenzen ihrer Einzelermächtigungen tätig werden.

    Nach alledem befindet der Gerichtshof, dass das Gericht den streitigen Beschluss zu Recht für nichtig erklärt hat.


    ( 1 ) Urteil vom 16. November 2022, Niederlande/Kommission (T‑469/20, EU:T:2022:713).

    ( 2 ) Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 2015, L 241, S. 1).

    ( 3 ) Beschluss C(2020) 2998 final der Kommission vom 12. Mai 2020 über die staatliche Beihilfe SA.54537 (2020/NN) – Niederlande, Verbot der Verwendung von Kohle für die Stromerzeugung in den Niederlanden (im Folgenden: streitiger Beschluss).

    ( 4 ) Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV bestimmt: „Als mit dem Binnenmarkt vereinbar können angesehen werden: … c) Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft.“

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