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Document 62021TJ0227

    Urteil des Gerichts (Dritte erweiterte Kammer) vom 13. Juli 2022.
    Illumina, Inc. gegen Europäische Kommission.
    Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Markt der Arzneimittelindustrie – Art. 22 der Verordnung EG Nr. 139/2004 – Verweisungsantrag einer Wettbewerbsbehörde, die nach den nationalen Rechtsvorschriften für die Prüfung des Zusammenschlusses nicht zuständig ist – Beschluss der Kommission, den Zusammenschluss zu prüfen – Beschlüsse der Kommission, mit denen den Anträgen anderer Wettbewerbsbehörden stattgegeben wird, sich dem Verweisungsantrag anzuschließen – Zuständigkeit der Kommission – Frist für die Stellung des Verweisungsantrags – Begriff ‚Mitteilung‘ – Angemessene Frist – Vertrauensschutz – Öffentliche Äußerung der Vizepräsidentin der Kommission – Rechtssicherheit.
    Rechtssache T-227/21.

    ECLI identifier: ECLI:EU:T:2022:447

    Rechtssache T‑227/21

    Illumina, Inc.

    gegen

    Europäische Kommission

    Urteil des Gerichts (Dritte erweiterte Kammer) vom 13. Juli 2022

    „Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Markt der Arzneimittelindustrie – Art. 22 der Verordnung EG Nr. 139/2004 – Verweisungsantrag einer Wettbewerbsbehörde, die nach den nationalen Rechtsvorschriften für die Prüfung des Zusammenschlusses nicht zuständig ist – Beschluss der Kommission, den Zusammenschluss zu prüfen – Beschlüsse der Kommission, mit denen den Anträgen anderer Wettbewerbsbehörden stattgegeben wird, sich dem Verweisungsantrag anzuschließen – Zuständigkeit der Kommission – Frist für die Stellung des Verweisungsantrags – Begriff ‚Mitteilung‘ – Angemessene Frist – Vertrauensschutz – Öffentliche Äußerung der Vizepräsidentin der Kommission – Rechtssicherheit“

    1. Gerichtliches Verfahren – Streithilfe – Zulässigkeitsvoraussetzungen – Berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits – Begriff – Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses der Kommission, einen Zusammenschluss auf Antrag nationaler Wettbewerbsbehörden zu prüfen – Anerkennung der Eigenschaft eines der betroffenen Unternehmen als Beteiligter – Erwerb der ausschließlichen Kontrolle über die Streithelferin durch das andere betroffene Unternehmen zusammen mit einer Änderung der Gesellschaftsform – Antrag auf Entzug der Stellung als Beteiligter – Fortbestand des Interesses am Ausgang des Rechtsstreits

      (Satzung des Gerichtshofs, Art. 40 Abs. 2 und Art. 53 Abs. 1; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 89 Abs. 3 Buchst. b, Art. 145 Abs. 1 und Art. 154 Abs. 3)

      (vgl. Rn. 55-59)

    2. Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Begriff – Handlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen – Handlungen, die die Rechtsstellung des Klägers verändern – Beschluss der Kommission, einen Zusammenschluss auf Antrag nationaler Wettbewerbsbehörden zu prüfen – Einbeziehung

      (Art. 263 und 288 Abs. 4 AEUV; Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 22 Abs. 3 Unterabs. 1 und Abs. 4)

      (vgl. Rn. 63-76)

    3. Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Begriff – Handlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen – Vorbereitende Handlungen – Schreiben der Kommission, mit dem die von einem Zusammenschluss betroffenen Unternehmen über einen Verweisungsantrag einer nationalen Wettbewerbsbehörde im Hinblick auf die Prüfung des betreffenden Zusammenschlusses informiert werden – Ausschluss

      (Art. 263 AEUV; Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 1)

      (vgl. Rn. 79-81)

    4. Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Prüfung aufgrund eines Verweisungsantrags einer nationalen Wettbewerbsbehörde und von nachfolgenden Anträgen auf Anschließung, die von anderen nationalen Wettbewerbsbehörden gestellt wurden – Voraussetzungen –Zusammenschluss im Sinne der Verordnung Nr. 139/2004 – Keine europaweite Bedeutung – Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten – Gefahr erheblicher Auswirkungen auf den Wettbewerb im Hoheitsgebiet der betreffenden Mitgliedstaaten – Hinreichende Voraussetzungen

      (Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 1 und 22 Abs. 1 und 3)

      (vgl. Rn. 89, 116, 121, 123, 141-145)

    5. Unternehmenszusammenschlüsse – Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden – Prüfung durch die Kommission – Verweisungsantrag einer nationalen Wettbewerbsbehörde – Zusammenschluss, der nicht in den Anwendungsbereich der Regelung über die Kontrolle von Zusammenschlüssen des betreffenden Mitgliedstaats fällt – Unerhebliche Tatsache

      (Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 22 Abs. 1 und 3)

      (vgl. Rn. 90-92, 94, 107, 110, 113, 114, 116, 134, 139, 148)

    6. Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Verweisungsantrag einer Wettbewerbsbehörde, die nach den nationalen Rechtsvorschriften für die Prüfung des in Rede stehenden Zusammenschlusses nicht zuständig ist – Zuständigkeit der Kommission – Verstoß gegen die Grundsätze der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit – Fehlen – Beachtung des Grundsatzes der Rechtssicherheit

      (Art. 4 und 5 EUV; Protokoll Nr. 2 zum EU-Vertrag und zum AEU-Vertrag; Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 22)

      (vgl. Rn. 154, 155, 157-160, 162-165, 167, 168, 170-178)

    7. Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Verweisungsantrag einer nationalen Wettbewerbsbehörde in Bezug auf einen nicht anmeldepflichtigen Zusammenschluss – Frist für die Antragstellung – Beginn – Mitteilung des Zusammenschlusses an den betreffenden Mitgliedstaat – Begriff – Notwendigkeit einer aktiven Übermittlung von Informationen, die eine Beurteilung der Voraussetzungen für die Anwendung des Verweisungsmechanismus ermöglichen

      (Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2)

      (vgl. Rn. 192, 198-211)

    8. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Verpflichtungen der Kommission – Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer – Anwendung auf den Versand eines Informationsschreibens über einen Zusammenschluss, der keine europaweite Bedeutung hat und nicht in den Anwendungsbereich der Regelung über die Kontrolle von Zusammenschlüssen der Mitgliedstaaten fällt – Vorläufige Prüfung der Voraussetzungen für die Anwendung des Verweisungsmechanismus – Beurteilungskriterien – Berücksichtigung der grundlegenden Ziele der Wirksamkeit und der Zügigkeit sowie der Eindeutigkeit der Aufteilung der jeweiligen Tätigkeitsbereiche der nationalen Wettbewerbsbehörden und der Union

      (Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 22 Abs. 5)

      (vgl. Rn. 221-226)

    9. Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Schutz des berechtigten Vertrauens – Voraussetzungen – Konkrete Zusicherungen der Verwaltung – Begriff – Öffentliche Äußerungen eines Mitglieds der Kommission, mit denen eine Neuorientierung der Entscheidungspraxis der Kommission im Bereich von Zusammenschlüssen angekündigt wird – Ausschluss

      (Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 22)

      (vgl. Rn. 254, 262, 263, 265)

    Zusammenfassung

    Das Gericht bestätigt die Beschlüsse der Kommission, mit denen einem Verweisungsantrag Frankreichs stattgegeben wurde, dem sich weitere Mitgliedstaaten angeschlossen haben und mit dem die Kommission aufgefordert wurde, das Vorhaben zum Erwerb von Grail durch Illumina zu prüfen.

    Die Kommission ist nämlich für die Prüfung dieses Zusammenschlusses, der keine europaweite Bedeutung hatte und nicht in den Anwendungsbereich der nationalen Regelung über Zusammenschlüsse der Mitgliedstaaten der Union und der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum fiel, zuständig.

    Illumina ist ein amerikanisches Unternehmen, das auf Genomsequenzierung spezialisiert ist. Es entwickelt und stellt integrierte Genomanalysesysteme her und vertreibt diese, insbesondere Genomsequenzierer neuer Generation, die u. a. bei der Entwicklung von Krebsfrüherkennungstests verwendet werden. Grail ist ein amerikanisches Biotechnologieunternehmen, das sich für die Entwicklung solcher Früherkennungstests auf die Genomsequenzierung stützt.

    Am 21. September 2020 machten diese beiden Unternehmen ( 1 ) ein Vorhaben über den Erwerb der exklusiven Kontrolle über Grail durch Illumina öffentlich. Da die Umsätze nicht die maßgeblichen Schwellen überschritten, hatte der in Rede stehende Zusammenschluss keine europaweite Bedeutung im Sinne von Art. 1 der Fusionskontrollverordnung ( 2 ) und wurde bei der Europäischen Kommission daher nicht angemeldet. Er wurde auch nicht in den Mitgliedstaaten der Union oder den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum angemeldet, da er die maßgeblichen nationalen Schwellenwerte ebenfalls nicht erreichte.

    Nach Art. 22 der Fusionskontrollverordnung kann eine nationale Wettbewerbsbehörde eine Verweisung der Prüfung jedes Zusammenschlusses, der keine europaweite Bedeutung hat, aber den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt und den Wettbewerb im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats erheblich zu beeinträchtigen droht, an die Kommission beantragen.

    Nachdem bei ihr am 7. Dezember 2020 eine Beschwerde über den in Rede stehenden Zusammenschluss erhoben worden war, kam die Kommission im vorliegenden Fall zu dem vorläufigen Ergebnis, dass dieser Zusammenschluss die notwendigen Voraussetzungen für einen Verweis durch eine nationale Wettbewerbsbehörde erfülle ( 3 ). Daher richtete sie am 19. Februar 2021 ein Schreiben an die Mitgliedstaaten (im Folgenden: Aufforderungsschreiben), um sie zum einen darüber zu informieren und sie zum anderen aufzufordern, nach Art. 22 der Fusionskontrollverordnung einen Antrag auf Verweisung an sie zu richten. Am 9. März 2021 stellte die französische Wettbewerbsbehörde einen solchen Antrag auf Verweisung. Die griechische, die belgische, die norwegische, die isländische und die niederländische Wettbewerbsbehörde beantragten später jeweils für ihren Bereich, sich diesem anzuschließen. Am 11. März 2021 informierte die Kommission die betroffenen Unternehmen über den Verweisungsantrag (im Folgenden: Informationsschreiben). Mit Beschlüssen vom 19. April 2021 (im Folgenden: angefochtene Beschlüsse) gab die Kommission dem Verweisungsantrag sowie den entsprechenden Anträgen auf Anschließung statt.

    Illumina, unterstützt durch Grail, erhob Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse sowie des Informationsschreibens. Mit seinem Urteil weist das Gericht als erweiterte Kammer in einem beschleunigten Verfahren diese Klage in vollem Umfang ab. Bei dieser Gelegenheit entscheidet das Gericht zum ersten Mal über die Anwendung des von Art. 22 der Fusionskontrollverordnung vorgesehenen Verweisungsmechanismus auf einen Zusammenschluss, dessen Anmeldung in dem Mitgliedstaat, der seine Verweisung beantragt hat, zwar nicht angemeldet zu werden brauchte, aber den Erwerb eines Unternehmens beinhaltet, dessen Bedeutung für den Wettbewerb sich nicht in seinem Umsatz widerspiegelt. Im vorliegenden Fall erlaubt das Gericht grundsätzlich, dass sich die Kommission in einer solchen Situation für zuständig erklären kann. Des Weiteren stellt das Gericht die Berechnung der Frist von 15 Werktagen klar, über die die Mitgliedstaaten für die Stellung eines Antrags auf Verweisung in einer solchen Situation verfügen.

    Die vom Gericht akzeptierte Prüfung deutete auf einen neuen Ansatz der Kommission bei der Anwendung des in Art. 22 der Fusionskontrollverordnung festgelegten Verweisungsmechanismus gemäß dem am 31. März 2021 veröffentlichten Leitfaden ( 4 ) hin, dessen Anwendung den Weg dafür ebnet, dass Zusammenschlüsse, die innovative Unternehmen mit einem starken Wettbewerbspotenzial betreffen, von den Vorschriften der Union auf dem Gebiet der Kontrolle von Zusammenschlüssen besser erfasst werden können.

    Würdigung durch das Gericht

    In einem ersten Schritt entscheidet das Gericht über die Zulässigkeit der Klage, die die Kommission in Anbetracht der Natur der angefochtenen Handlungen bestreitet.

    Hierzu stellt das Gericht zum einen fest, dass die angefochtenen Beschlüsse als solche zwingenden Charakter haben, und zum anderen, dass jeder von ihnen zu einer Änderung der auf die Prüfung des in Rede stehenden Zusammenschlusses anwendbaren rechtlichen Regelung führt. Des Weiteren haben diese Beschlüsse, mit denen das spezielle Verweisungsverfahren beendet wurde, den Standpunkt der Kommission zu diesem Thema endgültig festgelegt. Dadurch, dass die Kommission den von den betreffenden nationalen Wettbewerbsbehörden gemäß Art. 22 der Fusionskontrollverordnung gestellten Anträgen stattgab, erklärte sich die Kommission dafür zuständig, den in Rede stehenden Zusammenschluss anhand der hierfür von der Fusionskontrollverordnung vorgesehenen verfahrens- und materiellrechtlichen Regelung zu prüfen, zu der insbesondere die in ihrem Art. 7 genannte Aufschubpflicht gehört. Unter diesen Umständen sind die angefochtenen Beschlüsse daher als anfechtbare Handlungen im Sinne von Art. 263 AEUV anzusehen.

    Anders verhält es sich nach Ansicht des Gerichts jedoch mit dem Informationsschreiben, das zwar auch die Aufschubpflicht auslöst, gleichwohl aber einen bloßen Zwischenschritt des Verweisungsverfahrens darstellt, so dass die Klage für unzulässig erklärt wird, soweit sie gegen dieses Informationsschreiben gerichtet ist.

    In einem zweiten Schritt prüft das Gericht in der Sache als Erstes den Klagegrund, mit dem die Unzuständigkeit der Kommission gerügt wird. Hierzu weist das Gericht zunächst darauf hin, dass es in diesem Rahmen dazu aufgerufen ist, zu entscheiden, ob die Kommission nach Art. 22 der Fusionskontrollverordnung für die Prüfung eines Zusammenschlusses zuständig ist, wenn dieser Gegenstand eines Verweisungsantrags ist, der aus einem Mitgliedstaat kommt, der über eine nationale Fusionskontrollregelung verfügt, er aber nicht in den Anwendungsbereich dieser nationalen Regelung fällt.

    Im vorliegenden Fall stellt das Gericht zum einen fest, dass sich die Kommission dadurch, dass sie ihre Zuständigkeit in einem solchen Fall bejaht hat, nicht auf eine fehlerhafte Auslegung von Art. 22 der Fusionskontrollverordnung gestützt hat.

    Der Wortlaut dieser Bestimmung, insbesondere der Gebrauch der Wendung „jeden Zusammenschluss“, deutet darauf hin, dass ein Mitgliedstaat berechtigt ist, jeden Zusammenschluss, der die dort genannten kumulativen Voraussetzungen erfüllt, an die Kommission zu verweisen, und zwar unabhängig vom Vorliegen oder der Tragweite einer nationalen Regelung über Zusammenschlüsse. Außerdem geht aus der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung hervor, dass der von ihr eingeführte Verweisungsmechanismus ursprünglich hauptsächlich den Mitgliedstaaten, die noch nicht über eine Fusionskontrollregelung verfügten, dienen sollte, ohne jedoch seine Anwendbarkeit auf nur diese Situation zu begrenzen. Aus Sicht der allgemeinen Systematik der Fusionskontrollverordnung und der von ihr verfolgten Ziele hebt das Gericht außerdem hervor, dass ihr Anwendungsbereich und damit der Umfang der Zuständigkeit der Kommission für die Prüfung von Zusammenschlüssen in erster Linie von der Überschreitung der Umsatzschwellen, die die europaweite Bedeutung bestimmen, abhängt, aber auch, hilfsweise, von den u. a. in Art. 22 dieser Verordnung vorgesehenen Verweisungsmechanismen.

    Unter diesen Umständen ist das Gericht nach dem Hinweis darauf, dass das Ziel der Fusionskontrollverordnung darin besteht, eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse mit erheblichen Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in der Union zu ermöglichen, der Auffassung, dass sich der in Rede stehende Verweisungsmechanismus als Korrektiv darstellt, der zu diesem Ziel beiträgt. Er schafft nämlich die Flexibilität, die für eine auf Unionsebene erfolgende Prüfung von Zusammenschlüssen erforderlich ist, die einen wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt erheblich beeinträchtigen können und die andernfalls mangels Überschreitens der Umsatzschwellen einer Kontrolle anhand der Fusionskontrollregelungen sowohl der Union als auch der Mitgliedstaaten entgehen würden. Infolgedessen hat sich die Kommission durch eine zutreffende Auslegung von Art. 22 der Fusionskontrollverordnung die Zuständigkeit für die Prüfung des in Rede stehenden Zusammenschlusses zuerkannt.

    Zum anderen ist das Gericht der Auffassung, dass diese Auslegung weder den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung ( 5 ) noch den Subsidiaritätsgrundsatz ( 6 ) noch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ( 7 ) verkennt. Was schließlich den Grundsatz der Rechtssicherheit anbelangt, hebt das Gericht hervor, dass nur die in den angefochtenen Beschlüssen zugrunde gelegte Auslegung die notwendige Rechtssicherheit und die einheitliche Anwendung von Art. 22 der Fusionskontrollverordnung in der Union sicherstellt. Das Gericht hält den Klagegrund der Unzuständigkeit der Kommission somit für insgesamt unbegründet.

    Was zweitens den Klagegrund anbelangt, mit dem geltend gemacht wird, der Verweisungsantrag sei verspätet gestellt worden, weist das Gericht darauf hin, dass nach Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2 der Fusionskontrollverordnung der Verweisungsantrag innerhalb einer Frist von 15 Arbeitstagen ab Mitteilung des Zusammenschlusses an den betreffenden Mitgliedstaat gestellt werden muss, wenn keine Anmeldung dieses Zusammenschlusses erforderlich ist.

    In diesem Zusammenhang ist das Gericht der Auffassung, dass eine solche Mitteilung als aktive Informationsübermittlung an den betreffenden Mitgliedstaat zu verstehen ist, die es ihm erlaubt, vorläufig zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Verweisung erfüllt sind. Daraus folgt, dass das Informationsschreiben im vorliegenden Fall die genannte Mitteilung darstellt. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Verweisungsantrag rechtzeitig gestellt wurde, so dass er nicht als verspätet angesehen werden kann.

    Allerdings hebt das Gericht im Rahmen der Prüfung der hilfsweise geltend gemachten Rügen eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der „guten Verwaltung“ ferner hervor, dass die Kommission gleichwohl verpflichtet ist, bei der Durchführung der Verwaltungsverfahren, insbesondere im Rahmen der Fusionskontrolle, in Anbetracht der grundlegenden Ziele der Wirksamkeit und der Zügigkeit, die der Fusionskontrollverordnung zugrundeliegen, eine angemessene Frist einzuhalten. Im vorliegenden Fall ist das Gericht der Auffassung, dass der Ablauf einer Frist von 47 Tagen zwischen dem Erhalt der Beschwerde und dem Versenden des Aufforderungsschreibens unangemessen war. Da allerdings nicht dargetan wurde, dass diese Nichteinhaltung einer angemessenen Frist durch die Kommission die Fähigkeit der betroffenen Unternehmen beeinträchtigt hat, sich wirksam zu verteidigen, kann sie nicht die Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse rechtfertigen. Infolgedessen weist das Gericht auch den zweiten Klagegrund in vollem Umfang zurück.

    Als Drittes weist das Gericht auch den Klagegrund eines Verstoßes gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit zurück. Da es das Vorbringen zu diesem zweiten Grundsatz für unzureichend untermauert hält, beschränkt das Gericht seine Prüfung auf die Rügen bezüglich des Grundsatzes der Rechtssicherheit. Es weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es für eine sachgerechte Berufung darauf Sache des betreffenden Rechtsuchenden ist, darzutun, dass die zuständigen Unionsbehörden dem Betroffenen klare, unbedingte und übereinstimmende, aus befugten und zuverlässigen Quellen stammende Zusicherungen erteilt haben, die geeignet waren, bei ihm begründete Erwartungen zu wecken. Im vorliegenden Fall hat Illumina solche Umstände nicht dargetan und kann sich nicht erfolgreich auf die Neuorientierung der Entscheidungspraxis der Kommission berufen.


    ( 1 ) Im Folgenden zusammen: betroffene Unternehmen.

    ( 2 ) Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. 2004, L 24, S. 1) (im Folgenden: Fusionskontrollverordnung).

    ( 3 ) Was insbesondere die möglichen Auswirkungen des in Rede stehenden Zusammenschlusses auf den Wettbewerb im Binnenmarkt betrifft, hatte die Kommission aufgrund ihrer vorläufigen Analyse Bedenken hinsichtlich der Tatsache, dass der Zusammenschluss Illumina, die in Europa gut vertreten war, ermöglichen könnte, den Zugang von Wettbewerbern von Grail zu den Sequenzierungssystemen neuer Generation, die für die Entwicklung von Krebsfrüherkennungstests erforderlich waren, zu blockieren und damit zukünftig ihre Entwicklung zu begrenzen.

    ( 4 ) Leitfaden zur Anwendung des Verweisungssystems nach Artikel 22 der Fusionskontrollverordnung auf bestimmte Kategorien von Vorhaben (ABl. 2021, C 113, S. 1).

    ( 5 ) Im Sinne von Art. 4 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 5 EUV.

    ( 6 ) Niedergelegt in Art. 5 Abs. 1 und 3 EUV und durchgeführt mit dem Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (ABl. 2016, C 202, S. 206).

    ( 7 ) Niedergelegt in Art. 5 Abs. 1 und 4 EUV.

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