Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62020TJ0713

    Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 7. September 2022.
    OQ gegen Europäische Kommission.
    Öffentlicher Dienst – Einstellung – Bekanntmachung des allgemeinen Auswahlverfahrens EPSO/AD/378/20 (AD 7) – Rechts- und Sprachsachverständige für die kroatische Sprache beim Gerichtshof der Europäischen Union – Entscheidung des Prüfungsausschusses, den Kläger nicht zur nächsten Phase des Auswahlverfahrens zuzulassen – Zulassungsbedingungen – Kriterium im Hinblick auf ein Bildungsniveau, das einem mit Diplom abgeschlossenen Hochschulstudium der kroatischen Rechtswissenschaften entspricht – Besitz eines französischen Diploms der Rechtswissenschaften – Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Aufhebungsklage.
    Rechtssache T-713/20.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:T:2022:513

    Rechtssache T‑713/20

    OQ

    gegen

    Europäische Kommission

    Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 7. September 2022

    „Öffentlicher Dienst – Einstellung – Bekanntmachung des allgemeinen Auswahlverfahrens EPSO/AD/378/20 (AD 7) – Rechts- und Sprachsachverständige für die kroatische Sprache beim Gerichtshof der Europäischen Union – Entscheidung des Prüfungsausschusses, den Kläger nicht zur nächsten Phase des Auswahlverfahrens zuzulassen – Zulassungsbedingungen – Kriterium im Hinblick auf ein Bildungsniveau, das einem mit Diplom abgeschlossenen Hochschulstudium der kroatischen Rechtswissenschaften entspricht – Besitz eines französischen Diploms der Rechtswissenschaften – Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Aufhebungsklage“

    1. Beamtenklage – Beschwerende Maßnahme – Entscheidung, die nach Überprüfung der vorangegangenen Entscheidung ergangen ist – Nach Überprüfung der Situation des Bewerbers getroffene Entscheidung des Prüfungsausschusses

      (Beamtenstatut, Art. 90 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 1)

      (vgl. Rn. 11)

    2. Beamte – Auswahlverfahren – Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen – Zulassungsbedingungen – Festlegung in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens – Beurteilung der Bildungsabschlüsse der Bewerber durch den Prüfungsausschuss – Anwendung eines Beurteilungskriteriums, das in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens nicht als Auswahlkriterium vorgesehen war – Unzulässigkeit

      (Beamtenstatut, Anhang III, Art. 5 Abs. 1)

      (vgl. Rn. 20, 21)

    3. Einrede der Rechtswidrigkeit – Inzidentcharakter – Implizite, jedoch eindeutige Formulierung in der Klageschrift – Zulässigkeit

      (Art. 277 AEUV)

      (vgl. Rn. 23)

    4. Beamte – Einstellung – Auswahlverfahren – Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen – Erforderlichkeit von Hochschuldiplomen – Seitens der Behörden eines Mitgliedstaats erfolgte Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Diploms als einem nationalen Diplom gleichwertig – Automatische Anerkennung der Gleichwertigkeit dieses Diploms für ein Auswahlverfahren zur Einstellung bei einem Unionsorgan – Fehlen – Verstoß gegen den Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit – Fehlen

      (Art. 45 AEUV; Beamtenstatut, Anhang III, Art. 5)

      (vgl. Rn. 26, 27, 33‑36)

    5. Beamte – Einstellung – Auswahlverfahren – Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen – Erforderlichkeit von Hochschuldiplomen – Ablehnung einer Bewerbung, nur weil der Bewerber keines der in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens geforderten Diplome besitzt – Unzulässigkeit – Verpflichtung der Organe, durch in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens geforderte Diplome bescheinigte Qualifikationen mit denen eines Bewerbers zu vergleichen, die er im Rahmen der Ausübung seiner Freizügigkeit in der Union erworben hat

      (Art. 45 AEUV; Beamtenstatut, Anhang III, Art. 5)

      (vgl. Rn. 28‑31, 37, 46‑49)

    Zusammenfassung

    Im April 2020 bewarb sich der Kläger, der kroatische Staatsbürger OQ, für das allgemeine Auswahlverfahren EPSO/AD/378/20. Mit diesem Auswahlverfahren sollte eine Reserveliste zur Einstellung von Rechts- und Sprachsachverständigen für die kroatische Sprache beim Gerichtshof der Europäischen Union erstellt werden.

    In der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens wurde u. a. darauf hingewiesen, dass keine Berufserfahrung erforderlich ist, und als Zulassungsbedingung für das Auswahlverfahren ein Bildungsniveau festgelegt, das einem der aufgeführten Abschlüsse eines Hochschulstudiums der kroatischen Rechtswissenschaften entspricht. Nach Prüfung der vom Kläger in seinem Bewerbungsbogen gemachten Angaben teilte ihm der Prüfungsausschuss seine Entscheidung mit, ihn nicht zur nächsten Phase des Auswahlverfahrens zuzulassen, da er diese Voraussetzung nicht erfülle. Nach den vorgelegten Informationen besaß der Kläger ein gleichwertiges Diplom der französischen Rechtswissenschaften und verfügte über eine zum Teil außerhalb von Kroatien erworbene Berufserfahrung sowohl hinsichtlich der praktischen Anwendung des kroatischen Rechts als auch hinsichtlich der Übersetzung in die kroatische Sprache.

    Mit Entscheidung vom 12. Oktober 2020 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies der Prüfungsausschuss den Antrag des Klägers auf Überprüfung, mit dem er geltend gemacht hatte, sein französisches Diplom sei in Kroatien als einem kroatischen Diplom gleichwertig anerkannt worden, mit der Begründung zurück, dass ein Prüfungsausschuss an die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens gebunden sei, in der die für die zu besetzenden Stellen erforderlichen Kompetenzen festgelegt seien. Der Prüfungsausschuss wies insoweit darauf hin, dass die betreffenden Stellen gründliche Kenntnisse des kroatischen Rechtssystems und der kroatischen Rechtsterminologie erforderten, was nur durch den Besitz eines Hochschuldiploms der kroatischen Rechtswissenschaften hätte sichergestellt werden können. Der Kläger besitze aber kein solches Diplom.

    Der Kläger erhob daraufhin beim Gericht eine Aufhebungsklage.

    Das Gericht gibt dieser Klage statt und wendet dabei die sich aus Art. 45 AEUV ergebenden Grundsätze betreffend die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Union auf ein Verfahren zur Einstellung im Wege eines Auswahlverfahrens bei einem Unionsorgan an.

    Würdigung durch das Gericht

    Vor einer Entscheidung in der Sache weist das Gericht zunächst die von der Europäischen Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurück, mit der gerügt wird, der Kläger habe, indem er sich im Stadium der Erwiderung auf Art. 45 AEUV berufen habe, einen neuen Klagegrund vorgebracht. Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Prüfungsausschuss eines Auswahlverfahrens an den Wortlaut der Bekanntmachung dieses Auswahlverfahrens gebunden ist, so dass er weder Auswahlkriterien zu den festgelegten hinzufügen noch Kriterien streichen kann. Da im vorliegenden Fall in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens hinsichtlich der Bildungsabschlüsse ausdrücklich auf kroatische rechtwissenschaftliche Diplome abgestellt wurde, konnte diese Bekanntmachung vom Prüfungsausschuss nicht dahin ausgelegt werden, dass es ihm gestattet ist, Äquivalente zum Besitz dieser Diplome zuzulassen. Nach Ansicht des Gerichts ist daher davon auszugehen, dass der Kläger mit seinen Rügen implizit eine Einrede der Rechtswidrigkeit gegen die Bestimmung der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens über die erforderlichen Bildungsabschlüsse erhebt, und zwar wegen eines Verstoßes gegen Art. 45 AEUV. Im Übrigen stellt die Berufung des Klägers auf Art. 45 AEUV in der Erwiderung nur eine Erweiterung der in der Klageschrift ausdrücklich geltend gemachten Klagegründe dar, da der Kläger in dieser die nicht erfolgte Berücksichtigung der Wertigkeit seines französischen Diploms in Kroatien – das ihm dort die Aufnahme des Rechtsanwaltsberufs ermöglicht hat – und seiner – teilweise außerhalb von Kroatien erworbenen – Berufserfahrung gerügt hat.

    In der Sache weist das Gericht sodann erstens den Klagegrund zurück, wonach die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens den Prüfungsausschuss dazu veranlasst habe, in die Kompetenzen der kroatischen Behörden einzugreifen, die das französische Diplom des Klägers im Rahmen einer beruflichen Anerkennung ausländischer Hochschuldiplome zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in Kroatien als einem kroatischen Diplom gleichwertig anerkannt hätten. Diese nationale Anerkennung bedeutete nämlich nicht, dass dieses Diplom für die Zwecke eines Auswahlverfahrens zur Einstellung bei einem Unionsorgan automatisch als den kroatischen Diplomen gleichwertig anzuerkennen wäre, die in der Bekanntmachung dieses Auswahlverfahrens gefordert wurden, da die kroatischen Behörden nicht befugt sind, die Voraussetzungen für die Einstellung bei einem solchen Organ festzulegen.

    Was schließlich zweitens den Klagegrund betrifft, wonach die im vorliegenden Fall veröffentlichte Bekanntmachung des Auswahlverfahrens im Hinblick auf die Situation des Klägers, wie er sie in seiner Bewerbung dargelegt hat, gegen Art. 45 AEUV verstößt, ist klarzustellen, dass sich ein Arbeitnehmer, der seine Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten ausgeübt hat, bei einem Unionsorgan und den Behörden der Mitgliedstaaten in gleicher Weise auf diesen Artikel berufen kann. Im vorliegenden Fall kann sich der Kläger dadurch, dass er sein Hochschulstudium in anderen Mitgliedstaaten als dem Staat absolviert hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, im Rahmen eines Verfahrens zur Einstellung bei einem Unionsorgan mit Erfolg auf diese Bestimmung berufen, da dieses Organ das von ihm in Frankreich erworbene Diplom sowie die in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens geforderten kroatischen Diplome desselben Niveaus nicht als gleichwertig ansieht.

    Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass Art. 45 AEUV zwar verlangt, dass andere Diplome berücksichtigt werden, die in anderen Mitgliedstaaten ausgestellt wurden, um einen Vergleich zwischen den Kenntnissen, die durch diese Diplome bescheinigt werden, und denen vorzunehmen, die durch die von einer Einrichtung geforderten Diplome bescheinigt werden, diese Bestimmung aber nicht dazu verpflichtet, diese unterschiedlichen Diplome automatisch als gleichwertig anzuerkennen, selbst wenn mit ihnen dasselbe Bildungsniveau in demselben Bereich bescheinigt wird. Ein Unionsorgan verfügt nämlich bei der Bestimmung der für die zu besetzenden Stellen erforderlichen Fähigkeiten über einen großen Beurteilungsspielraum. Daraus folgt, dass die streitige Bekanntmachung des Auswahlverfahrens nicht allein deshalb gegen Art. 45 AEUV verstößt, weil in ihr nicht vorgesehen war, dass die in anderen Mitgliedstaaten als Kroatien ausgestellten Diplome, mit denen dasselbe Bildungsniveau bescheinigt wird wie mit den verlangten kroatischen Diplomen, im Rahmen dieses Auswahlverfahrens automatisch als gleichwertig anerkannt werden.

    Würden jedoch Diplome und Berufserfahrung, die ein Arbeitnehmer dadurch erworben hat, dass er von der durch Art. 45 AEUV verankerten Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, nicht berücksichtigt, um zu beurteilen, ob er die geforderten Qualifikationen für eine Einstellung besitzt, würde dies zu einer Einschränkung des Umfangs dieser Freiheit führen. Somit durfte die Bewerbung des Klägers nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil er nicht eines der in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens verlangten kroatischen rechtswissenschaftlichen Diplome besaß, da er in seinem Bewerbungsbogen nicht nur sein in Kroatien anerkanntes französisches Diplom, sondern auch Berufserfahrung angeführt hatte, die u. a. juristische Berufserfahrung in Kroatien umfasste. Diese Gesichtspunkte waren nämlich geeignet, nachzuweisen, dass der Kläger über dieselben Qualifikationen verfügte, wie sie durch die verlangten kroatischen Diplome bescheinigt werden, die insbesondere im Rahmen der Ausübung seiner Freizügigkeit in der Union erworben wurden. In Anbetracht des Wortlauts der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens konnte der Prüfungsausschuss aber nicht gemäß den sich aus Art. 45 AEUV ergebenden Grundsätzen überprüfen, ob die vom Kläger zur Stützung seiner Bewerbung vorgelegten Nachweise Kenntnisse des kroatischen Rechtssystems und der kroatischen Rechtsterminologie belegen konnten, die den durch den Besitz der verlangten kroatischen Diplome bescheinigten gleichwertig sind. Insoweit kann die Tatsache, dass in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens keine Berufserfahrung vorausgesetzt wird, deren Berücksichtigung nicht entgegenstehen, um zu prüfen, ob die durch die verlangten nationalen Diplome bescheinigten Qualifikationen von einem Bewerber, der keines dieser Diplome besitzt und sich auf die Bestimmungen von Art. 45 AEUV stützen kann, auf andere Weise erworben wurden.

    Folglich ist die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens rechtsfehlerhaft, da ihre Bestimmungen über die Bildungsabschlüsse dazu führten, dass die Bewerbung des Klägers allein deshalb zurückgewiesen wurde, weil er über keines der in dieser Bekanntmachung verlangten kroatischen Diplome verfügte. Daher wird diese Bestimmung gemäß Art. 277 AEUV für nicht auf den Kläger anwendbar erklärt.

    Top