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Document 62020TJ0657

Urteil des Gerichts (Zehnte erweiterte Kammer) vom 22. Juni 2022.
Ryanair DAC gegen Europäische Kommission.
Staatliche Beihilfen – Finnischer Luftverkehrsmarkt – Von Finnland gewährte Beihilfe zugunsten von Finnair im Zusammenhang mit der Covid‑19-Pandemie – Rekapitalisierung einer Fluggesellschaft, die von ihren öffentlichen und privaten Eigentümern im Verhältnis zur bereits bestehenden Eigentumsstruktur vorgenommen wird – Entscheidung, keine Einwände zu erheben – Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen – Maßnahme zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats – Abweichung von bestimmten Anforderungen des Befristeten Rahmens – Fehlende Abwägung der positiven Auswirkungen der Beihilfe gegen ihre negativen Auswirkungen auf die Handelsbedingungen und auf die Aufrechterhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs – Gleichbehandlung – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Begründungspflicht.
Rechtssache T-657/20.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2022:390

Rechtssache T‑657/20

Ryanair DAC

gegen

Europäische Kommission

Urteil des Gerichts (Zehnte erweiterte Kammer) vom 22. Juni 2022

„Staatliche Beihilfen – Finnischer Luftverkehrsmarkt – Von Finnland gewährte Beihilfe zugunsten von Finnair im Zusammenhang mit der Covid‑19-Pandemie – Rekapitalisierung einer Fluggesellschaft, die von ihren öffentlichen und privaten Eigentümern im Verhältnis zur bereits bestehenden Eigentumsstruktur vorgenommen wird – Entscheidung, keine Einwände zu erheben – Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen – Maßnahme zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats – Abweichung von bestimmten Anforderungen des Befristeten Rahmens – Fehlende Abwägung der positiven Auswirkungen der Beihilfe gegen ihre negativen Auswirkungen auf die Handelsbedingungen und auf die Aufrechterhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs – Gleichbehandlung – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Begründungspflicht“

  1. Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Beschluss der Kommission, mit dem ohne Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Binnenmarkt festgestellt wird – Klage von Beteiligten im Sinne von Art. 108 Abs. 2 AEUV – Klage zur Wahrung der Verfahrensrechte der Beteiligten – Zulässigkeit

    (Art. 108 Abs. 2 und Art. 263 Abs. 4 AEUV; Verordnung 2015/1589 des Rates, Art. 1 Buchst. h, Art. 4 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 1)

    (vgl. Rn. 11-18)

  2. Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Vorprüfungsphase und kontradiktorische Prüfungsphase – Pflicht der Kommission, bei ernsthaften Schwierigkeiten das kontradiktorische Verfahren einzuleiten – Umstände, die das Vorliegen solcher Schwierigkeiten belegen können – Gerichtliche Überprüfung – Beweislast

    (Art. 107 und 108 AEUV; Verordnung 2015/1589 des Rates, Art. 4 Abs. 3 und 4)

    (vgl. Rn. 20-23)

  3. Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Beihilfen, die als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können – Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats – Beurteilung – Beihilfemaßnahme zugunsten eines für das Wirtschaftsleben Finnlands bedeutenden Luftfahrtunternehmens im Rahmen der Covid-19-Pandemie – Rekapitalisierung der Fluggesellschaft durch ihre öffentlichen und privaten Eigentümer im Verhältnis zur bereits bestehenden Eigentumsstruktur – Maßnahme, die zur Behebung einer beträchtlichen Störung im finnischen Wirtschaftsleben erforderlich ist

    (Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV)

    (vgl. Rn. 27-58)

  4. Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Von der Kommission erlassene Mitteilungen – Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft im Kontext der Covid-19-Pandemie – Rechtsnatur – Verhaltensnormen mit Hinweischarakter, mit denen die Kommission ihr Ermessen selbst beschränkt – Möglichkeit der Kommission, von diesen abzuweichen

    (Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV; Mitteilung 2020/C 91 I/01 der Kommission)

    (vgl. Rn. 61, 62)

  5. Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Beihilfen, die als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können – Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats – Beurteilung – Beihilfemaßnahme zugunsten eines für das Wirtschaftsleben Finnlands bedeutenden Luftfahrtunternehmens im Rahmen der Covid-19-Pandemie – Beschluss der Kommission, mit dem die Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Binnenmarkt festgestellt wird – Beschluss, mit dem von bestimmten Anforderungen, die von der Kommission in ihrer Mitteilung über den befristeten Rahmen für staatliche Beihilfemaßnahmen zur Stützung der Wirtschaft im Kontext der Covid-19-Pandemie genannt werden, abgewichen wird – Zulässigkeit

    (Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV; Mitteilung 2020/C 91 I/01 der Kommission)

    (vgl. Rn. 63-102)

  6. Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Beihilfen, die als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können – Beurteilung im Hinblick auf Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV – Kriterien – Abwägung der positiven Auswirkungen der Beihilfe gegen ihre negativen Auswirkungen auf die Handelsbedingungen und auf die Aufrechterhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs – Kein notwendiges Kriterium

    (Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV)

    (vgl. Rn. 106-110)

  7. Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Beihilfen, die als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können – Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats – Beurteilung – Beihilfemaßnahme zugunsten eines für das Wirtschaftsleben Finnlands bedeutenden Luftfahrtunternehmens im Rahmen der Covid-19-Pandemie – Beurteilung in Anbetracht der Mitteilung der Kommission über den befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft im Kontext der Covid-19-Pandemie – Schlussfolgerung der Kommission, dass keine beträchtliche Marktmacht der Fluggesellschaft vorliegt – Kein Beurteilungsfehler

    (Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV; Mitteilung 2020/C 91 I/01 der Kommission, Rn. 72)

    (vgl. Rn. 114-131)

  8. Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Beihilfen, die als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können – Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats – Beurteilung – Beihilfemaßnahme zugunsten eines für das Wirtschaftsleben Finnlands bedeutenden Luftfahrtunternehmens im Rahmen der Covid-19-Pandemie – Nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe – Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot – Fehlen

    (Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV)

    (vgl. Rn. 134-148)

  9. Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Beihilfen, die als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können – Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats – Beurteilung – Beihilfemaßnahme zugunsten eines für das Wirtschaftsleben Finnlands bedeutenden Luftfahrtunternehmens im Rahmen der Covid-19-Pandemie – Nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe – Verstoß gegen den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit – Fehlen

    (Art. 49, 58 Abs. 1, Art. 100 Abs. 2 und Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV)

    (vgl. Rn. 152-156)

  10. Staatliche Beihilfen – Beschluss der Kommission, keine Einwände gegen eine nationale Maßnahme zu erheben – Begründungspflicht – Verstoß – Fehlen

    (Art. 107 Abs. 3 Buchst. b und Art. 296 AEUV)

    (vgl. Rn. 160-167)

Zusammenfassung

Die Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission, mit dem die Beihilfe Finnlands zugunsten des Luftfahrtunternehmens Finnair genehmigt wurde, wird in vollem Umfang abgewiesen

Die Kommission durfte die Rekapitalisierung von Finnair, die von ihren öffentlichen und privaten Eigentümern im Verhältnis zur bereits bestehenden Eigentumsstruktur vorgenommen wurde, genehmigen, ohne das förmliche Prüfverfahren einzuleiten

Am 3. Juni 2020 meldete die Republik Finnland bei der Europäischen Kommission eine Beihilfemaßnahme zugunsten des Luftfahrtunternehmens Finnair, Plc, an, deren Mehrheitsaktionär sie ist. Gemäß der angemeldeten Maßnahme beabsichtigte Finnland, im Verhältnis zu seinen bestehenden Anteilen neue Aktien zu zeichnen, die allen Aktionären von Finnair im Hinblick auf deren Rekapitalisierung angeboten werden sollten (im Folgenden: in Rede stehende Maßnahme) ( 1 ).

Ohne das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten, genehmigte die Kommission mit dem Beschluss vom 9. Juni 2020 ( 2 ) die in Rede stehende Maßnahme in Anwendung von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV, nach dem Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden können.

Die Nichtigkeitsklage, die von der Fluggesellschaft Ryanair DAC (im Folgenden: Klägerin) gegen diesen Beschluss erhoben wurde, wird von der Zehnten erweiterten Kammer des Gerichts abgewiesen. Dabei bestätigt das Gericht das Vorgehen der Kommission, für die Prüfung der Vereinbarkeit der in Rede stehenden Maßnahme mit dem Binnenmarkt von bestimmten in ihrer Mitteilung mit dem Titel „Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19“) ( 3 ) genannten Anforderungen abzuweichen.

Würdigung des Gerichts

Zur Stützung ihrer Nichtigkeitsklage wirft die Klägerin der Kommission im Wesentlichen vor, trotz der Bedenken, die sie bei der vorläufigen Prüfung der Vereinbarkeit der angemeldeten Beihilfe mit dem Binnenmarkt hätte haben müssen, nicht das förmliche Prüfverfahren eingeleitet zu haben.

Die Kommission habe u. a. dadurch gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verstoßen, dass sie für die Prüfung der in Rede stehenden Maßnahme darauf verzichtet habe, bestimmte in Abschnitt 3.11 des Befristeten Rahmens vorgesehene Anforderungen an Beihilfemaßnahmen in Form der Rekapitalisierung anzuwenden, und zwar:

die Anforderung, nach der einzeln gewährte Rekapitalisierungsmaßnahmen einen Staffelungsmechanismus für die Erhöhung der Vergütung des Staates vorsehen müssten,

das Verbot für die Begünstigten, eine Beteiligung von mehr als 10 % an Wettbewerbern zu erwerben, solange nicht mindestens 75 % dieser Maßnahmen zurückgezahlt worden seien, und

das Verbot für die Begünstigten, Dividenden auszuschütten, solange diese Maßnahmen nicht vollständig zurückgezahlt worden seien.

Die Nichtbeachtung dieser vom Befristeten Rahmen vorgesehenen Anforderungen lasse die Bedenken zutage treten, die die Kommission dazu hätten veranlassen müssen, das förmliche Prüfverfahren einzuleiten.

Das Gericht bestätigt zwar die Pflicht der Kommission, bei Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit einer angemeldeten Beihilfe mit dem Binnenmarkt das förmliche Prüfverfahren einzuleiten, weist aber die verschiedenen von der Klägerin hierzu vorgebrachten Argumente zurück.

Was den rechtlichen Status des Befristeten Rahmens betrifft, stellt das Gericht zunächst fest, dass sein Erlass zwar zu einer Selbstbeschränkung des Ermessens führt, das der Kommission bei der Prüfung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen mit dem Binnenmarkt zusteht, dieser Erlass sie aber nicht von ihrer Pflicht entbindet, die speziellen außergewöhnlichen Umstände zu prüfen, auf die sich ein Mitgliedstaat in einem bestimmten Fall bei dem Ersuchen um unmittelbare Anwendung von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV beruft.

Das Gericht hebt außerdem hervor, dass der Befristete Rahmen wenige Tage, nachdem die ersten Eindämmungsmaßnahmen von den Mitgliedstaaten ergriffen worden waren, erlassen wurde, um diesen zu ermöglichen, mit der gebotenen Schnelligkeit zu handeln. Da dieser Rahmen nicht alle Maßnahmen in Betracht ziehen konnte, die die Mitgliedstaaten ergreifen könnten, wurde er mehrmals geändert. So wurde der Befristete Rahmen gemäß der im angefochtenen Beschluss dahin gehend gemachten Ankündigung etwa 20 Tage nach dem Erlass dieses Beschlusses erneut geändert, um befristeten Beihilfemaßnahmen wie der im vorliegenden Fall in Rede stehenden Rechnung zu tragen.

Des Weiteren führt das Gericht aus, dass die in Rede stehende Maßnahme mehrere ganz besondere Merkmale aufweist, die die Kommission im Zeitpunkt des Erlasses der in Abschnitt 3.11 des Befristeten Rahmens genannten Anforderungen, von denen sie in dem angefochtenen Beschluss abgewichen ist, nicht in Betracht gezogen hatte.

Was erstens das Erfordernis betrifft, einen Staffelungsmechanismus für die vom Staat erworbenen Aktien vorzusehen, weist das Gericht darauf hin, dass der Zweck dieses Mechanismus darin besteht, einen Anreiz für den Beihilfeempfänger zu schaffen, das für die staatliche Kapitalzuführung verwendete Instrument zurückzukaufen und folglich die Wiederherstellung des Status quo ante zu gewährleisten. Da Finnland beabsichtigte, im Verhältnis zu seiner früheren Beteiligung am Kapital von Finnair neue Aktien zu kaufen, würde die Anwendung des Mechanismus zur Staffelung seiner Vergütung im vorliegenden Fall dazu führen, die Kapitalstruktur von Finnair zu verändern, was über das Ziel dieses Erfordernisses hinausginge.

Das Gericht hebt außerdem hervor, dass die neuen Aktien mit einem ausreichend hohen Abzug auf den Preis angeboten wurden, weshalb davon ausgegangen werden konnte, dass Finnland angemessen vergütet wurde.

Was zweitens das vom Befristeten Rahmen vorgesehene Verbot von Erwerben betrifft, beanstandete die Klägerin den Beschluss der Kommission, Finnair nicht zu verbieten, eine Beteiligung von mehr als 10 % an Wettbewerbern zu erwerben, solange nicht mindestens 75 % der Beihilfe zurückgezahlt worden seien, aber das Finnair von Finnland auferlegte Verbot zu akzeptieren, für einen Zeitraum von drei Jahren ab dem Zeitpunkt der Kapitalzuführung keine Erwerbe zu tätigen.

Da die Anwendung des Verbots von Erwerben, wie es vom Befristeten Rahmen vorgesehen ist, allerdings erneut zum Zweck gehabt hätte, Finnland zu zwingen, seinen Anteil am Kapital von Finnair auf ein niedrigeres Niveau als vor der Covid-19-Pandemie zu senken, ist das Gericht der Auffassung, dass die Kommission zu Recht darauf verzichten konnte.

Drittens stellt das Gericht in Bezug auf die Tatsache, dass es Finnair nicht verboten ist, Dividenden auszuschütten, solange die in Rede stehende Maßnahme nicht vollständig zurückgezahlt worden ist, fest, dass dieses Fehlen eines solchen Verbots dadurch gerechtfertigt ist, dass Finnland seine Beteiligung am Kapital von Finnair aufgrund der gleichzeitigen Beteiligung von privaten Aktionären und Investoren an der Rekapitalisierung der Fluggesellschaft nicht erhöht hat, was die Höhe der Beihilfe verringert. Die Dividenden, die an private Aktionäre und private Investoren ausgeschüttet werden, sind nur die Vergütung für ihre bedeutende Investition in Finnair unter Umständen einer Krise und in einem schlechten Investitionsklima.

Da sich die in Rede stehende Maßnahme somit von den in Abschnitt 3.11 des Befristeten Rahmens genannten Situationen unterscheidet, kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verstoßen hat. Die bloße Tatsache, dass die Kommission von der Anwendung bestimmter in Abschnitt 3.11 vorgesehenen Anforderungen abgewichen ist, um die besonderen Umstände der in Rede stehenden Maßnahme zu berücksichtigen, kann nicht für den Nachweis ausreichen, dass sie Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit dem Binnenmarkt hätte haben müssen.

Das Gericht weist außerdem das Vorbringen der Klägerin zurück, die Kommission habe gegen die vom Befristeten Rahmen vorgesehene Regel verstoßen, wonach, wenn es sich bei dem Empfänger einer Covid-19-Rekapitalisierungsmaßnahme, die sich auf mehr als 250 Mio. Euro belaufe, um ein Unternehmen handele, das auf mindestens einem der relevanten Märkte, auf denen es tätig sei, über beträchtliche Marktmacht verfüge, die Mitgliedstaaten zusätzliche Maßnahmen zur Wahrung eines wirksamen Wettbewerbs auf diesen Märkten vorschlagen müssten. In diesem Rahmen warf die Klägerin der Kommission insbesondere vor, dadurch einen Beurteilungsfehler begangen zu haben, dass sie eine beträchtliche Marktmacht von Finnair verneint habe.

Hierzu führt das Gericht aus, dass die Kommission, da die in Rede stehende Maßnahme darauf abzielte, sämtliche Tätigkeiten von Finnair so weit wie möglich aufrechtzuerhalten, und sie nicht auf bestimmte Strecken abzielte, prüfen konnte, ob auf den Flughäfen, auf denen sie Slots hielt, ein Wettbewerbsdruck auf diese Fluggesellschaft ausgeübt wurde. Im vorliegenden Fall hat die Kommission diese Beurteilung insbesondere auf der Grundlage des Niveaus der Überlastung des Flughafens Helsinki, der wichtigsten Basis und Drehkreuz (hub) von Finnair, und des Anteils der Slots, die Finnair an diesem Flughafen hielt, vorgenommen. Dieser Anteil betrug 2019 weniger als 25 % der Slots dieses Flughafens. Außerdem stehen Slots für neue Marktteilnehmer, einschließlich derjenigen, die mit Finnair auf der einen oder anderen Strecke in Wettbewerb treten wollen, zu jeder Tageszeit zur Verfügung. Daraus folgt, dass der Anteil der von Finnair gehaltenen Slots ihr nicht ermöglicht, die verschiedenen Märkte für Passagierflugdienste mit Abflug und Ankunft am Flughafen Helsinki zu stören.

Nach alledem kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Klägerin auch keinen beweiskräftigen Anhaltspunkt für das Bestehen von Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der in Rede stehenden Maßnahme mit dem Binnenmarkt vorgebracht hat, was die Beurteilung der Kommission in Bezug auf die Marktmacht von Finnair auf den in Rede stehenden Märkten betrifft.

Nachdem das Gericht auch alle anderen Rügen, mit denen das Bestehen von Bedenken die Kommission dazu hätte veranlassen müssen, das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen, zurückgewiesen hat, weist das Gericht den Klagegrund eines Begründungsmangels zurück und infolgedessen die Klage in vollem Umfang ab.


( 1 ) Diese Maßnahme folgte auf die Gewährung einer staatlichen Garantie zugunsten von Finnair, die 90 % eines Darlehens in Höhe von 600 Mio. Euro, das Finnair von einem Pensionsfonds erhalten hatte, abdeckte und die von der Kommission mit ihrem Beschluss C(2020) 3387 final vom 18. Mai 2020 über die staatliche Beihilfe SA.56809 (2020/N) – Finnland COVID-19: Staatliche Garantie zugunsten von Finnair, für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wurde. Mit Urteil vom 14. April 2021, Ryanair/Kommission (Finnair I; Covid-19) (T‑388/20, Rechtsmittel anhängig,EU:T:2021:196), hat das Gericht die Klage der Ryanair DAC gegen diesen Beschluss abgewiesen.

( 2 ) Beschluss C(2020) 3970 final der Kommission vom 9. Juni 2020 über die staatliche Beihilfe SA.57410 (2020/N) – Finnland COVID-19: Rekapitalisierung von Finnair, im Folgenden: angefochtener Beschluss.

( 3 ) Mitteilung der Kommission über den befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 (ABl. 2020, C 91 I, S. 1), geändert am 3. April und 8. Mai 2020 (im Folgenden: Befristeter Rahmen).

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