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Document 62003TJ0112
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
1. Gemeinschaftsmarke – Bemerkungen Dritter und Widerspruch – Prüfung des Widerspruchs – Nachweis der Benutzung der älteren Marke – Notwendigkeit, die Frage dieser Benutzung, wenn sie vom Markenanmelder einmal aufgeworfen worden ist, vor der Entscheidung über den Widerspruch zu beantworten – Auswirkung – Verpflichtung des Anmelders, seine Stellungnahmen innerhalb der vom Amt gesetzten Frist einzureichen
(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 42 und 43 Absätze 2 und 3)
2. Gemeinschaftsmarke – Beschwerdeverfahren – Beschwerde gegen eine Entscheidung einer erstinstanzlich befassten Stelle des Amtes, die der Beschwerdekammer vorgelegt wird – Funktionale Kontinuität zwischen diesen beiden Stellen – Prüfung der Beschwerde durch die Beschwerdekammer – Umfang
(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 74 Absatz 2)
3. Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Gefahr der Verwechslung mit der älteren Marke – Geringe Unterscheidungskraft der älteren Marke – Auswirkung
(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b)
4. Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Gefahr der Verwechslung mit der älteren Marke – Wortmarken FLEXI AIR und FLEX
(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b)
5. Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer identischen oder ähnlichen älteren Marke, die in einem Mitgliedstaat für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragen ist – Gefahr der Verwechslung mit der älteren Marke – Prüfung und gegebenenfalls Zurückweisung der Anmeldung der Marke aufgrund der Verordnung Nr. 40/94 allein
(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 8 Absätze 1 Buchstabe b und 2 Buchstabe a Ziffer ii)
6. Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer identischen oder ähnlichen älteren Marke, die in einem Mitgliedstaat für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragen ist – Gefahr der Verwechslung mit der älteren Marke – Dem Inhaber einer älteren nationalen Marke durch die Verordnung Nr. 40/94 verliehene Rechte – Rechte, die ihrem Umfang nach nicht über durch die das betreffende nationale Recht verliehenen hinausgehen
(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 8 Absätze 1 Buchstabe b und 2 Buchstabe a Ziffer ii; Richtlinie 89/104 des Rates, Artikel 4 Absätze 1 Buchstabe b und 2 Buchstabe a Ziffer ii)
1. Nach Artikel 43 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke gilt die ältere Marke für die Zwecke der Prüfung eines gemäß Artikel 42 dieser Verordnung erhobenen Widerspruchs als ernsthaft benutzt, solange der Anmelder nicht den Nachweis einer solchen Benutzung verlangt. Wird ein solches Verlangen gestellt, trägt daher der Widersprechende die Beweislast für die ernsthafte Benutzung (oder für das Vorliegen berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung); andernfalls wird sein Widerspruch zurückgewiesen. Diese Wirkung tritt nur ein, wenn das Verlangen ausdrücklich und rechtzeitig beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) gestellt worden ist.
Zwar heißt es hierzu in der neunten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 40/94, dass „der Schutz der Gemeinschaftsmarke sowie jeder eingetragenen älteren Marke, die ihr entgegensteht, ... nur insoweit berechtigt [ist], als diese Marken tatsächlich benutzt werden“, und erscheint es unter diesem Blickwinkel angebracht, das Recht des Anmelders einer Marke, den Nachweis der Benutzung der der Eintragung der angemeldeten Marke entgegenstehenden Marke zu verlangen, nicht ungebührlich zu beschränken; ist jedoch die Frage der ernsthaften Benutzung der älteren Marke vom Markenanmelder einmal aufgeworfen worden, muss sie vor der Entscheidung über den Widerspruch selbst beantwortet werden.
Da nämlich sowohl das Widerspruchs- als auch das Beschwerdeverfahren kontradiktorische Verfahren sind, fordert das Amt die Beteiligten so oft wie erforderlich auf, eine Stellungnahme zu seinen Bescheiden oder zu den Schriftsätzen der anderen Beteiligten einzureichen. Im Hinblick auf eine Straffung des Verfahrens sind diese Stellungnahmen grundsätzlich innerhalb der vom Amt gesetzten Frist einzureichen.
(vgl. Randnrn. 24-27)
2. Zur Zuständigkeit der Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) gehört eine Überprüfung der Entscheidungen, die die als erste Instanz entscheidenden Stellen des Amtes erlassen. Im Rahmen dieser Überprüfung hängt der Erfolg der Beschwerde davon ab, ob zu dem Zeitpunkt, zu dem über die Beschwerde entschieden wird, eine neue Entscheidung mit dem gleichen Tenor wie die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung rechtmäßig erlassen werden kann oder nicht. So können die Beschwerdekammern der Beschwerde auf der Grundlage neuer Tatsachen oder Beweismittel stattgeben, die der Beschwerdeführer vorbringt; eine Einschränkung ergibt sich insoweit nur aus Artikel 74 Absatz 2 der Verordnung Nr. 40/94.
Überdies wird der Umfang der Prüfung, der die Beschwerdekammer die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung zu unterziehen hat, grundsätzlich nicht durch die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Beschwerdegründe bestimmt. Daher hat die Beschwerdekammer, auch wenn der Beschwerdeführer einen bestimmten Beschwerdegrund nicht vorgetragen hat, gleichwohl im Licht aller relevanten rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte zu prüfen, ob zu dem Zeitpunkt, zu dem über die Beschwerde entschieden wird, eine neue Entscheidung mit dem gleichen Tenor wie die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung rechtmäßig erlassen werden kann oder nicht.
(vgl. Randnr. 36)
3. Zwar ist im Rahmen der Prüfung eines vom Inhaber der älteren Marke nach Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke erhobenen Widerspruchs die Unterscheidungskraft dieser Marke bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen, doch stellt sie nur einen der bei dieser Beurteilung zu berücksichtigenden Faktoren dar. Selbst wenn es also um eine ältere Marke mit geringer Unterscheidungskraft und eine angemeldete Marke, die nicht in deren vollständiger Wiedergabe besteht, geht, kann die Gefahr einer Verwechslung, insbesondere wegen bestehender Ähnlichkeit zwischen den Zeichen bzw. den betroffenen Waren oder Dienstleistungen, gegeben sein.
(vgl. Randnr. 61)
4. Zwischen dem Wortzeichen FLEXI AIR, dessen Eintragung als Gemeinschaftsmarke für „Shampoos; Gele, Schaum und Balsame sowie Mittel in Aerosolform zum Frisieren und zur Haarpflege; Haarlacke; Färbe- und Entfärbungsmittel für Haare; Ondulier- und Dauerwellpräparate; ätherische Öle“, die zur Klasse 3 im Sinne des Abkommens von Nizza gehören, beantragt wird, und der Wortmarke FLEX, die bereits zuvor im Vereinigten Königreich für „Haarshampoos und Mittel zur Haarbehandlung“ der gleichen Klasse dieses Abkommens eingetragen war, besteht für den durchschnittlichen Verbraucher im Vereinigten Königreich die Gefahr einer Verwechslung, da zum einen die Unterscheidungskraft der älteren Marke gering ist und die fraglichen Zeichen in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht ähnlich sind und zum anderen die Waren teils gleich, teils sehr ähnlich sind.
(vgl. Randnrn. 82-83)
5. Da für die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke die Verfahren der Verordnung Nr. 40/94 gelten, ist die angemeldete Marke nach Artikel 8 Absätze 1 Buchstabe b und 2 Buchstabe a Ziffer ii dieser Verordnung von der Eintragung dann zwingend ausgeschlossen, wenn der Inhaber einer in einem Mitgliedstaat früher angemeldeten Marke Widerspruch erhebt und die Gefahr einer Verwechslung zwischen den fraglichen Marken im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 besteht. Dagegen sind die Prüfung der Vorfrage, ob aufgrund dieser älteren Marke nach der für sie geltenden nationalen Regelung Widerspruch erhoben werden kann, und die Beurteilung der Gefahr einer Verwechslung zwischen den beiden einander gegenüberstehenden Marken nach dieser nationalen Regelung in der Verordnung Nr. 40/94 nicht geregelt.
(vgl. Randnr. 91)
6. Die Verordnung Nr. 40/94 kann dem Inhaber einer älteren nationalen Marke gegenüber der Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke keine weiter gehenden Rechte verleihen, als sie ihm nach der für diese ältere Marke geltenden nationalen Regelung zustehen. Denn nach Artikel 4 Absätze 1 Buchstabe b und 2 Buchstabe a Ziffer ii der Ersten Richtlinie 89/104 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken sind die nationalen Regelungen der Mitgliedstaaten, die die Frage der Gefahr einer Verwechslung zwischen der angemeldeten und der älteren nationalen Marke betreffen, vollständig harmonisiert worden. Der Regelungsgehalt dieser Bestimmungen der Richtlinie 89/104 ist aber der gleiche wie der des Artikels 8 Absätze 1 Buchstabe b und 2 Buchstabe a Ziffer ii der Verordnung Nr. 40/94.
(vgl. Randnr. 92)