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Document 62002TJ0038

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Akteneinsicht – Zweck – Wahrung der Verteidigungsrechte – Umfang – Belastendes Material – Ausschluss der nicht übermittelten Beweismittel

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

2. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Akteneinsicht – Unterlagen, die nicht in der Ermittlungsakte enthalten sind – Unterlagen, die den Beteiligten zur Verteidigung dienen können – Pflicht der Beteiligten, deren Übermittlung zu beantragen

3. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt

(Verordnung Nr. 17 des Rates)

4. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Verteidigungsrechte – Gerichtliche Nachprüfung – Befugnis des Gemeinschaftsrichters zu unbeschränkter Nachprüfung

(Artikel 229 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 17)

5. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlungen – Erschwerende Umstände – Keine Verpflichtung der Kommission, sich an ihre frühere Entscheidungspraxis zu halten

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

6. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Akteneinsicht – Umfang – Von einem Dritten mündlich mitgeteiltes belastendes Material – Verpflichtung, dieses Material dem betroffenen Unternehmen gegebenenfalls durch Anfertigung eines schriftlichen Vermerks zugänglich zu machen

7. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Angemessenheit – Gerichtliche Nachprüfung – Gesichtspunkte, die der Gemeinschaftsrichter berücksichtigen kann – Informationen, die nicht in der Entscheidung enthalten sind, mit der die Geldbuße verhängt wird, und die für ihre Begründung nicht erforderlich sind – Einbeziehung

(Artikel 229 EG, 230 EG und 253 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 17)

8. Handlungen der Organe – Begründungspflicht – Umfang – Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden – Angabe der Gesichtspunkte, anhand deren die Kommission die Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung bestimmen konnte – Ausreichende Angabe

(Artikel 253 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2 Satz 2; Mitteilungen 96/C 207/04 und 98/C 9/03 der Kommission)

9. Wettbewerb – Kartelle – Abgrenzung des Marktes – Gegenstand – Bestimmung der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

10. Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Geldbußen – Festsetzung – Kriterien – Anhebung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 17 des Rates)

11. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – In den Leitlinien der Kommission festgelegte Berechnungsmethode – Bindungswirkung für die Kommission – Folgen – Begründungspflicht im Falle einer Abweichung

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

12. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Zuwiderhandlungen, die bereits aufgrund ihres Wesens als besonders schwer qualifiziert werden – Kein Erfordernis, ihre Auswirkungen und ihren räumlichen Umfang zu bestimmen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

13. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlungen – Berücksichtigung des Gesamtumsatzes des betreffenden Unternehmens und des Umsatzes, der mit dem Verkauf der Waren erzielt worden ist, auf die sich die Zuwiderhandlung bezogen hat – Grenzen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

14. Wettbewerb – Kartelle – Teilnahme an Unternehmenszusammenkünften mit wettbewerbswidrigem Zweck – Umstand, der bei fehlender Distanzierung von den getroffenen Beschlüssen auf die Beteiligung an der daraus resultierenden Absprache schließen lässt – Angeblich erzwungene Beteiligung – Umstand, der keinen Rechtfertigungsgrund für ein Unternehmen darstellt, das von der Möglichkeit einer Anzeige bei den zuständigen Behörden keinen Gebrauch gemacht hat

(Artikel 81 Absatz 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 3)

15. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlungen verbunden mit der angestrebten Abschreckungswirkung

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

16. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der im Anschluss an eine andere, auf dasselbe Unternehmen bezogene Entscheidung der Kommission eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Fehlende Identität der Zuwiderhandlungen, die Gegenstand der beiden Entscheidungen sind – Kein Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem

17. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlungen – Beurteilung anhand des absoluten Wertes des betreffenden Absatzes – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

18. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beizubringende Beweismittel – Erforderlicher Grad der Beweiskraft

(Artikel 81 Absatz 1 EG )

19. Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Grundrechte – Unschuldsvermutung – Verfahren in Wettbewerbssachen – Anwendbarkeit

20. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung – Von mehreren Unternehmen begangene Zuwiderhandlung – Schwere für jeden Einzelfall zu beurteilen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

21. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Erschwerende Umstände – Drohung eines Unternehmens mit Vergeltungsmaßnahmen gegenüber einem anderen Unternehmen

22. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Verwendung von Erklärungen anderer an der Zuwiderhandlung beteiligter Unternehmen als Beweismittel – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Artikel 81 EG und 82 EG)

23. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Einführung von Leitlinien durch die Kommission – Verwendung einer Methode der Berechnung nach der eigenen Schwere der Zuwiderhandlung und deren Dauer unter Berücksichtigung der in Bezug auf den Umsatz jedes Unternehmens festgelegten Obergrenze – Rechtmäßigkeit

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

24. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlungen – Erschwerende Umstände – Wiederholungsfall – Begriff

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

25. Wettbewerb – Geldbußen – Nicht erfolgte Festsetzung einer Verjährungsfrist schließt Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit aus

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

26. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlungen – Mildernde Umstände – Tatsächliche Nichtdurchführung einer Vereinbarung – Beurteilung anhand des individuellen Verhaltens jedes einzelnen Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)

27. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlungen – Mildernde Umstände – Fehlen von Maßnahmen zur Kontrolle der Durchführung des Kartells – Ausschluss

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

28. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlungen – Mildernde Umstände – Finanzlage des betreffenden Unternehmens – Ausschluss

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

29. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Nichtverhängung oder Herabsetzung einer Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens – Erforderlichkeit eines Verhaltens, das es der Kommission erleichtert hat, die Zuwiderhandlung festzustellen – Informationen über Vorgänge, für die keine Geldbußen nach der Verordnung Nr. 17 verhängt werden können – Nichtberücksichtigung

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 11 Absätze 4 und 5 und Artikel 15; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission)

30. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Verhalten des Unternehmens während des Verwaltungsverfahrens – Beurteilung des Umfangs der Kooperation jedes der an dem Kartell beteiligten Unternehmen – Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes – Ungleicher Kooperationsumfang, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission)

31. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Nichtverhängung oder Herabsetzung einer Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens – Herabsetzung, weil der Sachverhalt nicht bestritten wird – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2 ; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission, Nr. D 2)

Leitsätze

1. Der Zweck der Akteneinsicht in Wettbewerbssachen besteht insbesondere darin, es den Adressaten einer Mitteilung der Beschwerdepunkte zu ermöglichen, von den Beweisstücken in den Akten der Kommission Kenntnis zu nehmen, damit sie anhand dieser Beweisstücke sinnvoll zu den Schlussfolgerungen Stellung nehmen können, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte gelangt ist. Die Akteneinsicht gehört somit zu den Verfahrensgarantien, die die Rechte der Verteidigung schützen und insbesondere die effektive Ausübung des Anhörungsrechts sicherstellen sollen.

Die Kommission ist somit verpflichtet, den von einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 1 EG betroffenen Unternehmen die Gesamtheit der belastenden oder entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat; hiervon ausgenommen sind nur Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission und andere vertrauliche Informationen.

Hat sich die Kommission in der angefochtenen Entscheidung auf belastende Unterlagen gestützt, die nicht in der Ermittlungsakte enthalten waren und dem Kläger nicht übermittelt wurden, so sind diese Unterlagen als Beweismittel auszuschließen.

(vgl. Randnrn. 33-35, 65)

2. Befinden sich im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens auf dem Gebiet des Wettbewerbs Unterlagen, die entlastendes Material hätten enthalten können, in der Ermittlungsakte der Kommission, so wird eine etwaige Verletzung der Verteidigungsrechte unabhängig davon festgestellt, wie sich das betroffene Unternehmen im Verwaltungsverfahren verhalten hat und ob es verpflichtet war, zu beantragen, dass die Kommission ihm Einsicht in ihre Akten gewährt oder ihm bestimmte Schriftstücke übermittelt.

Befinden sich hingegen Unterlagen, die entlastendes Material hätten enthalten können, nicht in der Ermittlungsakte der Kommission, so muss der Kläger bei der Kommission ausdrücklich Einsicht in diese Unterlagen beantragen; wird ein solcher Antrag im Verwaltungsverfahren nicht gestellt, so tritt insoweit in Bezug auf eine gegen die endgültige Entscheidung etwa erhobene Nichtigkeitsklage Verwirkung ein.

(vgl. Randnrn. 36-37, 42, 79)

3. Die Kommission kommt ihrer Verpflichtung zur Wahrung des Anhörungsanspruchs der Unternehmen nach, wenn sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betroffenen Unternehmen Geldbußen zu verhängen seien, und ferner die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte anführt, die zu einer Geldbuße führen können, wie z. B. die Schwere und die Dauer der angenommenen Zuwiderhandlung sowie den Umstand, dass diese vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden sein soll. Hiermit gibt sie den Unternehmen die Angaben an die Hand, die für deren Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Verhängung von Geldbußen erforderlich sind.

(vgl. Randnr. 50)

4. Der Anhörungsanspruch der betroffenen Unternehmen gegenüber der Kommission wird, was die Bemessung der wegen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbuße angeht, durch die Möglichkeit gewahrt, zu Dauer, Schwere und Erkennbarkeit der Wettbewerbswidrigkeit der Zuwiderhandlung Stellung zu nehmen. Außerdem ist zu beachten, dass die Unternehmen bezüglich der Bemessung der Geldbuße über eine zusätzliche Garantie verfügen, weil das Gericht nach Artikel 17 der Verordnung Nr. 17 bei Klagen gegen Entscheidungen der Kommission, mit denen eine Geldbuße festgesetzt wird, die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung im Sinne von Artikel 229 EG hat, so dass es die verhängte Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen kann. Das Gericht hat im Rahmen seiner unbeschränkten Nachprüfung zu beurteilen, ob die Höhe der verhängten Geldbuße im Verhältnis zu der Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung steht, sowie die Schwere der Zuwiderhandlung und die von dem Unternehmen geltend gemachten Umstände gegeneinander abzuwägen.

(vgl. Randnrn. 51, 136)

5. Allein aus der Tatsache, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis bestimmte Gesichtspunkte bei der Bemessung der Geldbuße nicht als erschwerenden Umstand angesehen hat, kann nicht abgeleitet werden, dass sie verpflichtet wäre, in einer späteren Entscheidung ebenso zu verfahren. Überdies bedeutet die einem Unternehmen in einer anderen Sache eingeräumte Möglichkeit, zu der ihm gegenüber beabsichtigten Feststellung einer Tatwiederholung Stellung zu nehmen, keineswegs, dass die Kommission verpflichtet wäre, in jedem Fall so zu verfahren, und auch nicht, dass das betroffene Unternehmen in Ermangelung einer derartigen Möglichkeit daran gehindert wäre, sein Anhörungsrecht in vollem Maße auszuüben.

(vgl. Randnrn. 57, 153, 395)

6. Die Kommission ist nicht allgemein verpflichtet, Protokolle über die Gespräche anzufertigen, die sie im Rahmen der Durchführung der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages bei Zusammenkünften mit nur einigen der an einer Zuwiderhandlung Beteiligten geführt hat.

Dies entbindet die Kommission jedoch nicht von ihren Verpflichtungen hinsichtlich der Akteneinsicht. Es kann nämlich nicht zugelassen werden, dass die Verteidigungsrechte durch eine Praxis verletzt werden, bei der die Beziehungen zu Dritten nur mündlich bestehen. Daher muss die Kommission, wenn sie in ihrer Entscheidung belastendes Material verwenden will, das ihr von einem anderen an der Zuwiderhandlung Beteiligten mündlich mitgeteilt worden ist, dieses Material dem betroffenen Unternehmen zugänglich machen, damit dieses sinnvoll zu den Schlussfolgerungen Stellung nehmen kann, zu denen die Kommission anhand des genannten Materials gelangt ist. Sie muss hierfür gegebenenfalls einen schriftlichen Vermerk für ihre Akte anfertigen.

(vgl. Randnrn. 66-67)

7. Bei Klagen gegen Entscheidungen der Kommission, mit denen gegen Unternehmen Geldbußen wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln verhängt werden, verfügt das Gericht über zweierlei Befugnisse. Zum einen hat es gemäß Artikel 230 EG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung zu prüfen. In diesem Rahmen muss es u. a. die Einhaltung der in Artikel 253 EG aufgestellten Begründungspflicht überwachen, bei deren Verletzung die Entscheidung für nichtig erklärt werden kann. Zum anderen ist es im Rahmen der ihm durch Artikel 229 EG und Artikel 17 der Verordnung Nr. 17 verliehenen Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung dafür zuständig, zu beurteilen, ob die Höhe der Geldbußen angemessen ist. Diese Beurteilung kann die Vorlage und Heranziehung zusätzlicher Informationen erfordern, die an sich nicht in der angefochtenen Entscheidung erwähnt zu werden brauchen, damit diese dem Begründungserfordernis nach Artikel 253 EG genügt.

(vgl. Randnr. 95)

8. Der Umfang der Begründungspflicht in Bezug auf die Bemessung einer wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft verhängten Geldbuße bestimmt sich nach Artikel 15 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 17, worin es heißt: „Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist neben der Schwere des Verstoßes auch die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.“ Die Anforderungen an das wesentliche Formerfordernis, um das es sich bei der Begründungspflicht handelt, sind erfüllt, wenn die Kommission in ihrer Entscheidung die Beurteilungsgesichtspunkte angibt, die es ihr ermöglicht haben, Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu ermitteln. Im Übrigen enthalten die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, und die Mitteilung über die Zusammenarbeit in Kartellsachen Regeln über die Beurteilungskriterien, die von der Kommission herangezogen werden, um die Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu bemessen. Unter diesen Umständen sind die Anforderungen an das wesentliche Formerfordernis, um das es sich bei der Begründungspflicht handelt, erfüllt, wenn die Kommission in ihrer Entscheidung die Beurteilungskriterien angibt, die sie in Anwendung ihrer Leitlinien und gegebenenfalls ihrer Mitteilung über Zusammenarbeit herangezogen hat und die es ihr ermöglicht haben, für die Berechnung der Höhe der Geldbuße Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu bemessen.

(vgl. Randnr. 97)

9. Im Rahmen von Artikel 81 Absatz 1 EG ist der relevante Markt zu dem Zweck zu bestimmen, entscheiden zu können, ob eine Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt. Folglich muss die Kommission in einer Entscheidung nach Artikel 81 Absatz 1 EG nur dann den relevanten Markt abgrenzen, wenn ohne eine solche Abgrenzung nicht bestimmt werden kann, ob die Vereinbarung, der Beschluss der Unternehmensvereinigung oder die abgestimmte Verhaltensweise, um die es geht, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt.

(vgl. Randnr. 99)

10. Die Kommission verfügt im Rahmen der Verordnung Nr. 17 bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße über einen Ermessensspielraum, um das Verhalten der Unternehmen auf die Einhaltung der Wettbewerbsregeln ausrichten zu können.

Die Kommission wird dadurch, dass sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in einer bestimmten Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen. Die wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft verlangt vielmehr, dass die Kommission das Niveau der Geldbußen jederzeit den Erfordernissen dieser Politik anpassen kann.

(vgl. Randnrn. 134-135, 154, 395, 407, 415)

11. Dadurch, dass die Kommission Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, erlassen hat, die unter Beachtung des Vertrages die Kriterien festlegen sollen, die die Kommission bei der Ausübung ihrer Ermessensbefugnis heranziehen will, ergibt sich eine Selbstbeschränkung dieser Befugnis, da sich die Kommission an die Richtlinien halten muss, die sie sich selbst auferlegt hat. Bei der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung muss die Kommission somit unter einer Vielzahl von Gesichtspunkten auf jeden Fall die Kriterien berücksichtigen, die in den Leitlinien enthalten sind, sofern sie nicht genau die Gründe darlegt, die es gegebenenfalls rechtfertigen, in einem bestimmten Punkt von diesen Kriterien abzuweichen.

(vgl. Randnr. 138)

12. Die Kommission hat in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ausgeführt, dass es sich bei besonders schweren Verstößen zumeist um horizontale Beschränkungen wie z. B. Preiskartelle, Marktaufteilungsquoten und sonstige Beschränkungen der Funktionsweise des Binnenmarktes handelt. Aus dieser als Hinweis dienenden Beschreibung ergibt sich, dass sich Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die insbesondere auf die Festsetzung der Preise und die Aufteilung der Kunden abzielen, bereits aufgrund ihres Wesens als besonders schwer einstufen lassen, ohne dass es erforderlich wäre, dass solche Verhaltensweisen durch eine Rückwirkung oder einen besonderen räumlichen Umfang gekennzeichnet sind. Dies wird dadurch bekräftigt, dass in der als Hinweis dienenden Beschreibung der als schwer anzusehenden Verstöße erwähnt wird, es handele sich dabei um Zuwiderhandlungen der gleichen Art wie bei den als minder schwer eingestuften Verstößen, „die jedoch entschlossener angewandt werden, deren Auswirkungen auf den Markt umfassender sind und die in einem größeren Teil des Gemeinsamen Marktes zum Tragen kommen können“, während bei der Beschreibung der besonders schweren Verstöße kein Erfordernis der Auswirkung auf den Markt oder in einem besonderen räumlichen Bereich erwähnt wird.

(vgl. Randnrn. 150-151)

13. Zu den Gesichtspunkten für die Beurteilung der Schwere des Verstoßes können je nach den Umständen des Einzelfalls die Menge und der Wert der Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung bezogen hat, die Größe und die Wirtschaftskraft des Unternehmens und damit der Einfluss gehören, den dieses auf den Markt ausüben konnte. Daraus ergibt sich zum einen, dass bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der – wenn auch nur annähernd und unvollständig – etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes berücksichtigt werden darf, der mit dem Verkauf der Waren erzielt worden ist, auf die sich die Zuwiderhandlung bezogen hat, und der somit einen Anhaltspunkt für das Ausmaß dieser Zuwiderhandlung liefern kann. Zum anderen folgt daraus, dass weder der einen noch der anderen dieser Umsatzzahlen eine im Verhältnis zu den anderen Beurteilungskriterien übermäßige Bedeutung zugemessen werden darf, so dass die Festsetzung einer angemessenen Geldbuße nicht das Ergebnis eines bloßen, auf den Gesamtumsatz gestützten Rechenvorgangs sein kann.

(vgl. Randnrn. 158, 367)

14. EE Ein Unternehmen, dessen Teilnahme an offensichtlich wettbewerbswidrigen Zusammenkünften von Unternehmen feststeht, muss Indizien vortragen, die zum Beweis seiner fehlenden wettbewerbswidrigen Einstellung bei der Teilnahme an den betreffenden Zusammenkünften geeignet sind, und nachweisen, dass es seine Wettbewerber darauf hingewiesen hat, dass es an den Treffen mit einer anderen Zielsetzung als diese teilnimmt. Andernfalls führt selbst eine passive Teilnahme an solchen Zusammenkünften zu der Annahme, dass sich das Unternehmen an dem daraus resultierenden Kartell beteiligt. Zudem kann der Umstand, dass ein Unternehmen die Ergebnisse dieser Zusammenkünfte nicht umsetzt, es nicht von seiner Verantwortung für die Teilnahme an einem Kartell entbinden. Schließlich kann ein Unternehmen, das mit anderen Unternehmen an derartigen Zusammenkünften teilgenommen hat, nicht geltend machen, diese Teilnahme sei unter dem Zwang anderer Teilnehmer mit eventuell größerer Wirtschaftsmacht erfolgt. Statt an den betreffenden Handlungen teilzunehmen, hätte es nämlich den zuständigen Behörden den auf es ausgeübten Zwang anzeigen und bei der Kommission Beschwerde nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 erheben können.

(vgl. Randnrn. 164, 245, 423)

15. Das Bestreben, mit den wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbußen eine Abschreckungswirkung zu erzielen, ist fester Bestandteil der Gewichtung der Geldbußen nach der Schwere der Zuwiderhandlung, da sie verhindern soll, dass nach einer Berechnungsmethode Geldbußen festgesetzt werden, die für bestimmte Unternehmen keine geeignete Höhe erreichen, um eine hinlänglich abschreckende Wirkung zu erzielen.

(vgl. Randnr. 170)

16. Der Grundsatz ne bis in idem, der auch in Artikel 4 des Protokolls Nr. 7 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte niedergelegt ist, gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, die das Gericht zu beachten hat.

Im Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft verbietet dieser Grundsatz, dass die Kommission ein Unternehmen erneut für ein wettbewerbswidriges Verhalten verurteilt oder verfolgt, für das es bereits durch eine frühere, nicht mehr anfechtbare Entscheidung der Kommission mit einer Sanktion belegt oder für nicht verantwortlich erklärt worden war. Die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem hängt von der dreifachen Voraussetzung der Identität des Sachverhalts, des Zuwiderhandelnden und des geschützten Rechtsguts ab.

(vgl. Randnrn. 184-185)

17. Die Schwere einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln kann nicht allein von deren räumlichem Umfang oder dem Verhältnis zwischen dem durch die Zuwiderhandlung erfassten Absatz und dem in der gesamten Europäischen Union erreichten Absatz abhängen. Unabhängig von den oben erwähnten Kriterien stellt nämlich der absolute Wert des betreffenden Absatzes ebenfalls einen relevanten Gradmesser für die Schwere der Zuwiderhandlung dar, da er genau die wirtschaftliche Bedeutung der Geschäftsvorgänge wiedergibt, die dem normalen Wettbewerb durch die Zuwiderhandlung entzogen werden sollen.

(vgl. Randnr. 191)

18. Für den Nachweis eines Verstoßes gegen Artikel 81 Absatz 1 EG hat die Kommission die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und die Beweismittel beizubringen, durch die das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend belegt wird. Bestehen bei dem Gericht Zweifel, so muss dies dem Unternehmen zugute kommen, an das sich die Entscheidung richtet, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird. Das Gericht kann daher nicht davon ausgehen, dass die Kommission das Vorliegen der betreffenden Zuwiderhandlung rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, wenn bei ihm noch Zweifel in dieser Hinsicht bestehen; dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um eine Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung zur Verhängung einer Geldbuße handelt.

Es ist erforderlich, dass die Kommission aussagekräftige und übereinstimmende Beweise beibringt, um die feste Überzeugung zu begründen, dass die Zuwiderhandlung stattgefunden hat.

Jedoch muss nicht jeder von der Kommission erbrachte Beweis notwendigerweise für jeden Teil der Zuwiderhandlung diesen Kriterien entsprechen. Es genügt, wenn ein von der Kommission geltend gemachtes Bündel von Indizien im Ganzen betrachtet dem genannten Erfordernis entspricht.

(vgl. Randnrn. 215, 217-218)

19. Die Unschuldsvermutung, die sich insbesondere aus Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, gehört zu den Grundrechten, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, die im Übrigen durch die Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte und durch Artikel 6 Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union sowie durch Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erneut bekräftigt wird, in der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützt werden. Angesichts der Art der betreffenden Zuwiderhandlung sowie der Art und der Schwere der ihretwegen verhängten Sanktionen ist die Unschuldsvermutung insbesondere in Verfahren wegen Verletzung der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln anwendbar, die zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können.

(vgl. Randnr. 216)

20. Bei Zuwiderhandlungen, die von mehreren Unternehmen begangen worden sind, ist für die Bemessung der Geldbußen die relative Schwere des Tatbeitrags jedes einzelnen Unternehmens zu prüfen, wobei insbesondere festzustellen ist, welche Rolle es bei der Zuwiderhandlung während der Dauer seiner Beteiligung an dieser gespielt hat.

Dies ist die logische Folge des Grundsatzes der Individualität der Strafen und Sanktionen, wonach ein Unternehmen nur für Handlungen bestraft werden darf, die ihm individuell zur Last gelegt werden; dieser Grundsatz gilt für alle Verwaltungsverfahren, die zu Sanktionen nach den Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft führen können.

(vgl. Randnrn. 277-278)

21. Ein erschwerender Umstand liegt vor, wenn ein an einem Kartell beteiligtes Unternehmen einen anderen Kartellteilnehmer zwingt, das Kartell auszuweiten, indem es ihm Vergeltungsmaßnahmen für den Fall einer Verweigerung androht. Ein derartiges Verhalten bewirkt nämlich eine unmittelbare Vergrößerung des durch das Kartell entstandenen Schadens, so dass ein Unternehmen, das sich in dieser Weise verhalten hat, eine besondere Verantwortung zu tragen hat.

(vgl. Randnr. 281)

22. Es gibt keine Bestimmung und keinen allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz, die es der Kommission verbieten, sich gegenüber einem Unternehmen auf die Aussagen anderer beschuldigter Unternehmen zu berufen. Andernfalls wäre die der Kommission obliegende Beweislast für Verhaltensweisen, die gegen die Artikel 81 EG und 82 EG verstoßen, nicht tragbar und mit der durch den EG-Vertrag der Kommission übertragenen Aufgabe der Überwachung der ordnungsgemäßen Anwendung dieser Bestimmungen unvereinbar. Jedoch kann die Erklärung eines der Teilnahme an einem Kartell beschuldigten Unternehmens, deren Richtigkeit von mehreren anderen beschuldigten Unternehmen in Abrede gestellt wird, nicht ohne Untermauerung durch andere Beweismittel als hinreichender Beleg für die betreffenden Umstände angesehen werden. Wenn das Kartell nur zwei Beteiligte umfasst, genügt das Bestreiten des Inhalts der Erklärung eines der Beteiligten durch den anderen, um eine Untermauerung dieser Erklärung durch andere Beweismittel erforderlich zu machen. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um eine Erklärung handelt, mit der die Verantwortlichkeit des Unternehmens, in dessen Namen die Erklärung abgegeben worden ist, dadurch gemindert werden soll, dass die Verantwortlichkeit eines anderen Unternehmens in den Vordergrund gestellt wird.

Wenn es sich überdies um ein Dokument handelt, das eine von einem Unternehmen gegen ein anderes Unternehmen ausgesprochene Drohung belegen soll und dessen Beweiskraft von dem ersten Unternehmen bestritten wird, ist zur Beurteilung des Beweiswerts eines solchen Dokuments zunächst die Wahrscheinlichkeit der darin enthaltenen Aufzeichnungen zu untersuchen. Dabei ist namentlich zu berücksichtigen, von wem das Dokument stammt, unter welchen Umständen es erstellt worden ist, an wen es gerichtet ist und ob es seinem Inhalt nach vernünftig und glaubwürdig wirkt.

(vgl. Randnrn. 285-286)

23. Auch nach der in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, beschriebenen Methode wird die Berechnung der Geldbußen anhand der beiden in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 genannten Kriterien – Schwere des Verstoßes und Dauer der Zuwiderhandlung – unter Berücksichtigung der dort festgelegten Obergrenze in Bezug auf den Umsatz jedes Unternehmens vorgenommen.

Somit kann nicht angenommen werden, dass die Leitlinien über den in der genannten Bestimmung vorgegebenen rechtlichen Rahmen für Sanktionen hinausgehen.

(vgl. Randnrn. 343-344)

24. Die Kommission muss bei der für die Bemessung der Geldbuße erforderlichen Beurteilung der Schwere eines Rechtsverstoßes nicht nur die besonderen Umstände des Einzelfalls, sondern auch den Kontext der Zuwiderhandlung berücksichtigen und sicherstellen, dass ihr Vorgehen vor allem in Bezug auf solche Zuwiderhandlungen, die die Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft besonders beeinträchtigen, die notwendige abschreckende Wirkung hat.

Bei der Prüfung der Schwere der Zuwiderhandlung ist auch ein etwaiger Wiederholungsfall zu berücksichtigen. Unter dem Gesichtspunkt der Abschreckung ist der Rückfall nämlich ein Umstand, der eine erhebliche Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße rechtfertigt. Denn er beweist, dass die zuvor verhängte Sanktion nicht abschreckend genug war.

Auch ist der Rückfall, obgleich er eine Eigenschaft des Urhebers der Zuwiderhandlung, nämlich seine Neigung zur Begehung solcher Verstöße, betrifft, gerade deshalb ein sehr bedeutsames Anzeichen für die Schwere der betreffenden Vorgehensweise und damit für die Notwendigkeit, die Geldbuße im Hinblick auf eine wirksame Abschreckung zu erhöhen.

Der Begriff des Rückfalls bedeutet in einigen nationalen Rechtsordnungen, dass jemand neue Zuwiderhandlungen begeht, nachdem ähnliche von ihm begangene Zuwiderhandlungen geahndet worden waren.

Indessen umfasst der Begriff des Rückfalls angesichts des mit ihm verbundenen Zweckes nicht notwendigerweise die Feststellung der Verlängerung einer früheren Geldbuße, sondern nur die Feststellung einer früheren Zuwiderhandlung. Durch die Berücksichtigung des Rückfalls soll nämlich eine Zuwiderhandlung des Unternehmens, das sich des eine solche darstellenden Verhaltens schuldig gemacht hat, strenger geahndet werden, da die frühere Feststellung einer Zuwiderhandlung dieses Unternehmens nicht genügt hat, um eine Tatwiederholung zu verhindern. Insofern liegt der ausschlaggebende Gesichtspunkt bei einem Rückfall nicht in einer früheren Ahndung, sondern in der früheren Feststellung einer Zuwiderhandlung des Betroffenen.

(vgl. Randnrn. 347-349, 362-363)

25. Eine Verjährungsfrist kann ihren Zweck der Gewährleistung der Rechtssicherheit nur dann erfüllen und ihre Nichtbeachtung nur dann den genannten Grundsatz verletzen, wenn eine derartige Frist im Voraus festgelegt worden ist; für die Feststellung eines Rückfalls gegenüber einem Unternehmen sehen dies jedoch weder Artikel 15 der Verordnung Nr. 17, der den rechtlichen Rahmen für Sanktionen darstellt, die die Kommission wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft verhängen kann, noch die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, vor.

(vgl. Randnrn. 352-353)

26. Die mildernden Umstände im Sinne von Nummer 3 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, beruhen alle auf dem eigenen Verhalten des einzelnen Unternehmens.

Demgemäß ist bei der Beurteilung der mildernden Umstände, darunter des Umstands der Nichtanwendung der Vereinbarungen, nicht auf die sich aus der Zuwiderhandlung insgesamt ergebenden Wirkungen abzustellen, denen bei der Beurteilung der konkreten Auswirkungen eines Verstoßes auf dem Markt zur Beurteilung der Schwere des Verstoßes Rechnung zu tragen ist (Nr. 1 Abschnitt A Absatz 1 der Leitlinien), sondern auf das Einzelverhalten jedes Unternehmens, um die relative Schwere des Tatbeitrags jedes einzelnen Unternehmens festzustellen.

(vgl. Randnrn. 383-384)

27. Das Fehlen von Zwangsmechanismen für die Einhaltung und die praktische Durchführung einer Absprache kann als solches keinen mildernden Umstand darstellen.

(vgl. Randnr. 393)

28. Die Kommission ist nicht verpflichtet, für die Bemessung der Geldbuße die finanziellen Schwierigkeiten eines Unternehmens zu berücksichtigen, denn dies würde darauf hinauslaufen, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

(vgl. Randnr. 413)

29. Eine Herabsetzung der Geldbuße wegen einer Kooperation im Verwaltungsverfahren ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten des Unternehmens es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen und gegebenenfalls zu beenden.

Die Mitwirkung eines Unternehmens an der Untersuchung berechtigt zu keiner Herabsetzung der Geldbuße, wenn diese Mitarbeit nicht über das hinausgegangen ist, wozu das Unternehmen nach Artikel 11 Absätze 4 und 5 der Verordnung Nr. 17 verpflichtet war. Hat ein Unternehmen hingegen auf ein Auskunftsverlangen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 hin Informationen gegeben, die über die Auskünfte hinausgehen, die die Kommission nach diesem Artikel verlangen kann, so kann dem betreffenden Unternehmen eine Herabsetzung der Geldbuße zugute kommen.

Eine Mitarbeit, die in den Anwendungsbereich der Mitteilung über die Zusammenarbeit in Kartellsachen oder gar unter Abschnitt D dieser Mitteilung fällt, ist indessen nicht gegeben, wenn ein Unternehmen der Kommission im Rahmen ihrer Ermittlungen über ein Kartell Informationen über Vorgänge zur Verfügung stellt, für die das betreffende Unternehmen nach der Verordnung Nr. 17 keinesfalls eine Geldbuße hätte zahlen müssen.

(vgl. Randnrn. 449, 451-452, 471)

30. Die Kommission darf bei der Beurteilung der Kooperation von Unternehmen im Rahmen des wegen einer verbotenen Absprache eingeleiteten Verwaltungsverfahrens nicht den Grundsatz der Gleichbehandlung außer Acht lassen, der ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts ist und der verletzt ist, wenn gleiche Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleichbehandelt werden und eine Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist.

Hierbei darf der Umfang der Mitarbeit der Unternehmen nicht nach rein zufälligen Kriterien beurteilt werden. Eine unterschiedliche Behandlung der betreffenden Unternehmen muss daher auf einem ungleichen Kooperationsumfang beruhen, der sich insbesondere ergibt, wenn unterschiedliche Aufschlüsse gegeben werden oder die Informationen in unterschiedlichen Stadien des Verwaltungsverfahrens oder unter einander nicht entsprechenden Umständen erteilt werden.

Bestätigt ein Unternehmen bei der Kooperation nur bestimmte Aufschlüsse, die ein anderes Unternehmen bei der Kooperation bereits gegeben hat, und geschieht dies zudem weniger genau und weniger explizit, so kann der Mitwirkungsumfang dieses Unternehmens, selbst wenn er nicht eines gewissen Nutzens für die Kommission entbehren mag, nicht als gleich dem Ausmaß der Mitarbeit des Unternehmens angesehen werden, das die betreffenden Aufschlüsse als Erstes gegeben hat. Eine Erklärung, die nur in gewissem Maße eine Erklärung erhärtet, die der Kommission bereits vorlag, erleichtert nämlich deren Aufgabe nicht erheblich und damit in einem Maß, das ausreicht, um eine Herabsetzung der Geldbuße aufgrund der Kooperation zu rechtfertigen.

(vgl. Randnrn. 453-455)

31. Um nach Abschnitt D Nummer 2 zweiter Gedankenstrich der Mitteilung über die Zusammenarbeit in Kartellsachen eine Herabsetzung des Betrages der Geldbuße wegen Nichtbestreitens des Sachverhalts zu erlangen, muss ein Unternehmen nach Kenntnisnahme von der Mitteilung der Beschwerdepunkte der Kommission ausdrücklich mitteilen, dass es den Sachverhalt nicht bestreite.

Es genügt jedoch nicht, dass ein Unternehmen allgemein erklärt, den festgestellten Sachverhalt nach Maßgabe der Mitteilung über Zusammenarbeit nicht zu bestreiten, wenn diese Erklärung nach Lage des Einzelfalls für die Kommission von keinerlei Nutzen ist. Um in den Genuss einer Herabsetzung der Geldbuße aufgrund der Mitarbeit im Verwaltungsverfahren zu kommen, muss nämlich das Verhalten des Unternehmens die Aufgabe der Kommission erleichtern, die in der Feststellung und Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft besteht.

(vgl. Randnrn. 504-505)

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