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Document 62000TJ0213
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
1. Handlungen der Organe - Wahl der Rechtsgrundlage - Heranziehung mehrerer Rechtsgrundlagen - Ungeeignetheit einiger der herangezogenen Rechtsgrundlagen - Unbeachtlichkeit bei Fehlen nachteiliger Auswirkungen für den Adressaten des Rechtsakts
2. Wettbewerb - Seeverkehr - Verordnung Nr. 4056/86 - Horizontale Preisabsprachen zwischen den Mitgliedern einer Linienkonferenz und konferenzunabhängigen Reedereien - Verbot - Unanwendbarkeit der Gruppenfreistellung für solche Absprachen zwischen den Mitgliedern einer Linienkonferenz
(Artikel 81 Absatz 1 Buchstabe a EG; Verordnungen Nrn. 1017/68 des Rates, Artikel 2 Buchstabe a, und 4056/86, Artikel 3)
3. Wettbewerb - Verwaltungsverfahren - Wahrung der Verteidigungsrechte - Mitteilung der Beschwerdepunkte - Notwendiger Inhalt
(Verordnungen Nrn. 17 des Rates, Artikel 19 Absatz 1, 1017/68, Artikel 26 Absatz 1, und 4056/86, Artikel 23 Absatz 1)
4. Wettbewerb - Verwaltungsverfahren - Wahrung der Verteidigungsrechte - Kein Recht der Beteiligten, sich zu der Berücksichtigung ihres eigenen Vorbringens zu äußern
5. Wettbewerb - Kartelle - Beeinträchtigung des Wettbewerbs - Vereinbarungen zwischen Linienkonferenzen, die Preisnachlässe auf die veröffentlichten Tarife für Gebühren und Zuschläge verbieten - Wettbewerbswidriger Zweck und Spürbarkeit - Absicht der Wettbewerbsbeschränkung und tatsächliche Durchführung der Vereinbarung - Unerheblich
(Artikel 81 Absatz 1 Buchstabe a EG; Verordnung Nr. 1017/68 des Rates, Artikel 2 Buchstabe a)
6. Nichtigkeitsklage - Anfechtbare Handlungen - Begriff - Handlungen, die eine Rechtsstellung beeinträchtigen können - Klage, die ausschließlich gegen die Begründung eines Rechtsakts gerichtet ist - Unzulässigkeit
(Artikel 230 EG)
7. Wettbewerb - Verwaltungsverfahren - Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird - Verpflichtung zur Abgrenzung des relevanten Marktes - Tragweite
(Artikel 81 EG)
8. Wettbewerb - Kartelle - Vereinbarungen zwischen Unternehmen - Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten - Kriterien - Geringfügige Beeinträchtigung des Marktes - Nicht verbotene Vereinbarung
(Artikel 81 Absatz 1 EG)
9. Wettbewerb - Verkehr - Kartelle - Verbot - Freistellung - Kumulative Voraussetzungen für die Gewährung - Auswirkung auf die Verpflichtung zur Abgrenzung des relevanten Marktes
(Artikel 81 Absatz 3 EG; Verordnung Nr. 1017/68 des Rates, Artikel 5)
10. Wettbewerb - Geldbußen - Höhe - Festsetzung - In den Leitlinien der Kommission festgelegte Kriterien - Anwendbarkeit auf Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Verkehrs
(EGKS-Vertrag, Artikel 65 Absatz 5; Verordnungen Nrn. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2, 1017/68, Artikel 22 Absatz 2, und 4056/86, Artikel 19 Absatz 2)
11. Wettbewerb - Geldbußen - Höhe - Ermessen der Kommission - Gerichtliche Nachprüfung - Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung - Auswirkung
(Artikel 229 EG; Verordnungen Nrn. 17 des Rates, Artikel 17, 1017/68, Artikel 24 und 4056/86, Artikel 21)
12. Wettbewerb - Geldbußen - Höhe - Festsetzung - In den Leitlinien der Kommission festgelegte Berechnungsmethode - Entscheidung der Kommission, die Methode in einem konkreten Fall anzuwenden - Folgen - Begründungspflicht im Falle einer Abweichung
(EGKS-Vertrag, Artikel 65 Absatz 5; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)
13. Wettbewerb - Geldbußen - Höhe - Festsetzung - Kriterien - Dauer der Zuwiderhandlungen - Vereinbarung, die unabhängig von ihren Wirkungen wegen ihres wettbewerbswidrigen Zwecks geahndet worden ist - Berücksichtigung der Dauer des Bestehens der Vereinbarung ungeachtet ihrer Nichtanwendung
(Verordnungen Nrn. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2, 1017/68, Artikel 22 Absatz 2, und 4056/86, Artikel 19 Absatz 2)
14. Wettbewerb - Geldbußen - Höhe - Bestimmung - Kriterien - Schwere der Zuwiderhandlungen - Mildernde Umstände - Nichtanwendung der Vereinbarung - Berücksichtigung dieses mildernden Umstands bei der Prüfung der Schwere der Zuwiderhandlung - Zulässigkeit
(EGKS-Vertrag, Artikel 65 Absatz 5; Verordnungen Nrn. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2, 1017/68, Artikel 22 Absatz 2, und 4056/86, Artikel 19 Absatz 2)
15. Wettbewerb - Geldbußen - Höhe - Festsetzung - Kriterien - Mitwirkung des Unternehmens im Verwaltungsverfahren - Begriff
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 11 Absätze 4 und 5)
16. Wettbewerb - Verwaltungsverfahren - Verpflichtungen der Kommission - Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer
(Verordnungen Nrn. 17, 1017/68 und 4056/86 des Rates)
17. Wettbewerb - Verwaltungsverfahren - Verjährung bei Geldbußen - Ausschließliche Anwendung der Verordnung Nr. 2988/74 - Kein Raum für Überlegungen im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer
(Verordnung Nr. 2988/74 des Rates, Artikel 2 Absätze 1 und 3)
18. Wettbewerb - Geldbußen - Verhängung - Kein Erfordernis eines Vorteils aus der Zuwiderhandlung für das Unternehmen
(EGKS-Vertrag, Artikel 65 Absatz 5; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)
19. Wettbewerb - Geldbußen - Höhe - Festsetzung - Kriterien - Finanzielle Situation des betreffenden Unternehmens - Berücksichtigung - Keine Verpflichtung
(Verordnungen Nrn. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2, 1017/68, Artikel 22 Absatz 2, und 4056/86, Artikel 19 Absatz 2)
20. Wettbewerb - Geldbußen - Höhe - Bestimmung - Kriterien - Schwere der Zuwiderhandlungen - Mildernde Umstände - Keine Verpflichtung der Kommission, sich an ihre frühere Entscheidungspraxis zu halten
(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)
21. Wettbewerb - Geldbußen - Höhe - Festsetzung - Aufteilung eines Gesamtbetrags auf verschiedene Gruppen von Unternehmen, die entsprechend der Bedeutung der Tätigkeit der an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen in dem betreffenden Sektor gebildet worden sind - Zulässigkeit - Voraussetzungen
(Verordnungen Nrn. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2, 1017/68, Artikel 22 Absatz 2 und 4056/86, Artikel 19 Absatz 2)
22. Wettbewerb - Geldbußen - Höhe - Festsetzung - Kriterien - Schwere der Zuwiderhandlung - Beurteilung auf der Grundlage des Gesamtumsatzes des betreffenden Unternehmens - Zulässigkeit - Berücksichtigung der eigenen Rolle eines jeden Unternehmens
(Verordnungen Nrn. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2, 1017/68, Artikel 22 Absatz 2, und 4056/86, Artikel 19 Absatz 2)
23. Wettbewerb - Geldbußen - Höhe - Festsetzung - Kriterien - Schwere der Zuwiderhandlung - Beurteilung anhand der wirtschaftlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung
(Artikel 81 Absatz 1 EG; Verordnungen Nrn. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2, 1017/68, Artikel 22 Absatz 2, und 4056/86, Artikel 19 Absatz 2)
24. Wettbewerb - Verwaltungsverfahren - Verfolgungsverjährung - Unterbrechung - Auskunftsverlangen - Voraussetzung - Erfordernis eines Zusammenhangs zwischen den verlangten Auskünften und der untersuchten Zuwiderhandlung
(Verordnungen Nrn. 17 des Rates, Artikel 11 Absatz 1, 1017/68, Artikel 19, 2988/74, Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b und 2 Absätze 1 Buchstabe a und 3, und 4056/86, Artikel 16)
1. Stützt die Kommission eine Entscheidung, mit der ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt wird und Geldbußen gegen die Urheber der Verstöße festgesetzt werden, auf mehrere Rechtsgrundlagen, kann die möglicherweise fehlerhafte Heranziehung einer dieser Grundlagen, sofern die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer eine von ihnen nicht beanstanden, die Nichtigerklärung dieser Entscheidung nur rechtfertigen, wenn der mögliche Fehler zu negativen Folgen für die Betroffenen geführt hat.
( vgl. Randnr. 85 )
2. Eine Vereinbarung zwischen den Mitgliedern einer Linienkonferenz und unabhängigen Reedereien über das Verbot von Nachlässen auf die Gebühren und Zuschläge ist als eine kollektive horizontale Preisabsprache anzusehen. Horizontale Preisabsprachen sind aber, abgesehen davon, dass sie nach Artikel 81 Absatz 1 Buchstabe a EG und Artikel 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1017/68 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs ausdrücklich verboten sind, als Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft schlechthin anzusehen. Dies gilt auch im Rahmen der Verordnung Nr. 4056/86 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel [81 EG und 82 EG] auf den Seeverkehr, da eine solche Preisabsprache, weil sie zwischen den Mitgliedern einer Linienkonferenz und unabhängigen Reedereien geschlossen worden ist, den tatsächlichen Wettbewerb der Linienreedereien außerhalb der Konferenzen beeinträchtigt, obwohl gerade einer der Hauptgründe für die Gruppenfreistellung nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 4056/86 laut ihrer achten Begründungserwägung der tatsächliche Wettbewerb der Liniendienste, die nicht Mitglieder der Konferenzen sind, ist.
( vgl. Randnrn. 100, 210 )
3. In der Mitteilung der Beschwerdepunkte, zu der die Kommission nach den Wettbewerbsvorschriften verpflichtet ist, müssen die Beschwerdepunkte, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, dass die Betroffenen tatsächlich erkennen können, welches Verhalten ihnen die Kommission zur Last legt. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Mitteilung der Beschwerdepunkte nämlich den ihr durch die Gemeinschaftsverordnungen zugewiesenen Zweck erfuellen, der darin besteht, den Unternehmen und Unternehmensvereinigungen alle erforderlichen Angaben zur Verfügung zu stellen, damit sie sich sachgerecht verteidigen können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt. Dieses Erfordernis ist erfuellt, wenn die Entscheidung den Betroffenen keine anderen Zuwiderhandlungen zur Last legt als die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genannten und nur Tatsachen berücksichtigt, zu denen die Betroffenen sich äußern konnten.
( vgl. Randnr. 109 )
4. Wird ein Argument, das ein Unternehmen in dem zum Erlass einer gegen es gerichteten Wettbewerbsentscheidung führenden Verwaltungsverfahren vorgebracht hat, berücksichtigt, ohne dass dem Unternehmen vor Erlass der endgültigen Entscheidung Gelegenheit gegeben wurde, sich dazu zu äußern, so kann allein darin keine Verletzung seiner Verteidigungsrechte liegen.
( vgl. Randnr. 113 )
5. Eine Vereinbarung über die Beförderung von Containerfracht im Linienseeverkehr zwischen Nordeuropa und dem Fernen Osten, die zwischen den Mitgliedern einer Linienkonferenz und unabhängigen Reedereien geschlossen worden ist und den Vertragsparteien verbietet, ihren Kunden Preisnachlässe auf die veröffentlichten Tarife für Gebühren und Zuschläge zu gewähren, bezweckt durch die mittelbare Preisfestsetzung eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 Buchstabe a EG oder Artikel 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1017/68 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs, da die Vertragsparteien aufgrund dieser Vereinbarung gegenseitig auf die Möglichkeit verzichtet haben, ihren Kunden Preisnachlässe auf die veröffentlichten Tarife einzuräumen.
Der Umstand, dass diese Vereinbarung den Vertragsparteien nicht verbot, den Tarif für die Zuschläge oder die Fracht zu ändern, kann der Wettbewerbsbeschränkung nicht ihre spürbare Wirkung nehmen, da die Parteien 90 % des gesamten Verkehrs auf den betreffenden Linien sicherstellten und die Mitglieder der Linienkonferenz einen einheitlichen und gemeinsamen Tarif anwendeten. Es steht nämlich fest, dass die streitigen Gebühren und Zuschläge einen erheblichen Teil der Gesamtkosten der Beförderung ausmachen konnten.
Angesichts der Wettbewerbswidrigkeit und Spürbarkeit der Einschränkung war die Kommission nicht verpflichtet, die Absicht der Parteien, den Wettbewerb zu beschränken, oder die wettbewerbswidrigen Wirkungen der Vereinbarung zu prüfen.
( vgl. Randnrn. 175, 177-179, 183 )
6. Unabhängig davon, auf welchen Gründen eine beschwerende Maßnahme beruht, kann nur ihr Tenor Rechtswirkungen erzeugen und damit eine Beschwer darstellen. Die Würdigungen in den Gründen des Rechtsakts können als solche nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein, sofern sie nicht als Begründung für die beschwerende Maßnahme den tragenden Grund ihres Tenors darstellen.
( vgl. Randnr. 186 )
7. Um im Rahmen von Artikel 81 EG entscheiden zu können, ob eine Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt, ist, wenn nötig, der relevante Markt zu bestimmen. Folglich muss die Kommission in einer Entscheidung nach Artikel 81 EG nur dann den relevanten Markt abgrenzen, wenn ohne eine solche Abgrenzung nicht bestimmt werden kann, ob die Vereinbarung, der Beschluss der Unternehmensvereinigung oder die abgestimmte Verhaltensweise, um die es geht, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt.
( vgl. Randnr. 206 )
8. Eine Vereinbarung fällt nicht unter das Verbot des Artikels 81 Absatz 1 EG, wenn sie den Wettbewerb nur geringfügig einschränkt und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nur geringfügig beeinträchtigt.
( vgl. Randnr. 207 )
9. Der relevante Markt ist gegebenenfalls nur dann festzulegen, wenn zu entscheiden ist, ob eine Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt.
Dagegen ist die genaue Abgrenzung sämtlicher in Betracht kommender Märkte nicht unbedingt für die Entscheidung erforderlich, ob eine Vereinbarung die vier Voraussetzungen für die Gewährung einer Einzelfreistellung gemäß Artikel 81 Absatz 3 EG und Artikel 5 der Verordnung Nr. 1017/68 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs erfuellt. Zwar muss die Kommission bei der Prüfung, ob die vierte Voraussetzung nach Artikel 81 Absatz 3 Buchstabe b EG und Artikel 5 Buchstabe b der genannten Verordnung erfuellt ist, untersuchen, ob die streitige Vereinbarung den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren bzw., je nach anwendbarer Vorschrift, des betreffenden Verkehrsmarktes ausschalten kann. Die vier Voraussetzungen für die Gewährung einer Freistellung müssen jedoch zusammen erfuellt sein; ist auch nur eine dieser Voraussetzungen nicht erfuellt, muss die Freistellung abgelehnt werden.
Da die Kommission in der Entscheidung festgestellt hatte, dass die ersten drei Voraussetzungen für die Gewährung einer Einzelfreistellung nicht erfuellt waren und sich daher eine Entscheidung über die vierte Voraussetzung erübrigte, musste sie für die Prüfung, ob die streitige Vereinbarung für eine Einzelfreistellung in Betracht kommen konnte, nicht alle relevanten Märkte vorher bestimmen. Bei der Entscheidung, ob die ersten drei Voraussetzungen erfuellt sind, sind nämlich die Vorteile der betreffenden Vereinbarung nicht nur für den relevanten Markt, sondern auch für jeden anderen Markt, auf den sich die betreffende Vereinbarung vorteilhaft auswirken könnte, zu berücksichtigen. Sowohl Artikel 81 Absatz 3 EG als auch Artikel 5 der Verordnung Nr. 1017/68 sehen nämlich die Möglichkeit einer Freistellung u. a. für Vereinbarungen vor, die zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne eine besondere Beziehung zum relevanten Markt zu verlangen.
( vgl. Randnrn. 225-227 )
10. Obwohl die Mitteilung der Kommission über die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ausdrücklich nur die Geldbußen betreffen, die nach diesen Artikeln festgesetzt werden, kann die Kommission aufgrund des gleichen Wortlauts der einschlägigen Bestimmungen der Verordnungen Nr. 4056/86 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 81 EG und 82 EG des Vertrages auf den Seeverkehr und Nr. 1017/68 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs die Leitlinien für die Berechnung der Geldbußen im Rahmen der Verordnungen Nrn. 4056/86 und 1017/68 analog anwenden.
( vgl. Randnr. 242 )
11. Bei der Festlegung der Höhe der einzelnen Geldbußen für Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln verfügt die Kommission über ein Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel anzuwenden. Nach Artikel 17 der Verordnung Nr. 17, Artikel 24 der Verordnung Nr. 1017/68 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs und Artikel 21 der Verordnung Nr. 4056/86 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 81 EG und 82 EG des Vertrages auf den Seeverkehr entscheidet das Gericht jedoch über Klagen gegen Bußgeldentscheidungen der Kommission aufgrund seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung und kann daher die festgesetzte Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen.
( vgl. Randnr. 252 )
12. Wenn die Kommission beschließt, für die Bemessung der Geldbußen, die gegen die Wirtschaftsteilnehmer festzusetzen sind, die gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen haben, die Methode anzuwenden, die sie in den von ihr erlassenen Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, vorgesehen hat, muss sie aufgrund der Verpflichtung, die sie mit deren Veröffentlichung eingegangen ist, sich bei der Bemessung der Geldbußen an diese Leitlinien halten, sofern sie nicht genau die Gründe darlegt, die gegebenenfalls eine Abweichung von der Methode in einem bestimmten Punkt rechtfertigen.
( vgl. Randnr. 271 )
13. Wenn die Kommission nicht nachgewiesen hat, welche Wirkungen eine Vereinbarung hatte, und dazu auch nicht verpflichtet war, weil die Vereinbarung eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte, ist es für die Berechnung der Dauer der Zuwiderhandlung unerheblich, ob die streitige Vereinbarung in Kraft gesetzt worden ist. Für die Berechnung der Dauer einer Zuwiderhandlung, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt, braucht nämlich nur bestimmt zu werden, wie lange die Vereinbarung bestanden hat, d. h. der Zeitraum von ihrem Abschluss bis zu ihrer Beendigung.
( vgl. Randnr. 280 )
14. Es spielt keine Rolle, wenn die Nichtanwendung einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung für die Bemessung der zu verhängenden Geldbußen nicht speziell in dem Teil der Entscheidung berücksichtigt worden ist, der die Prüfung der mildernden Umstände betrifft, sondern bei der Prüfung der Schwere der Zuwiderhandlung, da die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Bemessung der Geldbußen jedenfalls zu einer Verringerung des Grundbetrags führt, wie Nummer 3 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, vorsieht.
( vgl. Randnr. 293 )
15. In einem wettbewerbsrechtlichen Verwaltungsverfahren vor der Kommission rechtfertigt eine Mitwirkung an der Untersuchung, die nicht über das hinausgeht, wozu die Unternehmen nach Artikel 11 Absätze 4 und 5 der Verordnung Nr. 17 verpflichtet sind, keine Herabsetzung der Geldbuße gemäß der Mitteilung der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen.
Wenn ein Unternehmen die Behauptungen, auf die die Kommission ihre Vorwürfe stützt, bestreitet, trägt es im Übrigen nicht zur Erleichterung der Aufgabe der Kommission bei, die in der Feststellung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft besteht.
( vgl. Randnrn. 303-304 )
16. Dass die Kommission Entscheidungen, mit denen Verwaltungsverfahren auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik abgeschlossen werden, innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu erlassen hat, stellt einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der aus dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung folgt. So kann die Kommission ihre Entscheidung nicht unbegrenzt hinausschieben und muss, um die Rechtssicherheit und einen angemessenen Rechtsschutz zu garantieren, innerhalb eines angemessenen Zeitraums eine Entscheidung erlassen oder ein Verwaltungsschreiben abfassen, falls ein solches Schreiben beantragt worden ist.
Die Angemessenheit der Verfahrensdauer beurteilt sich nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere nach dessen Kontext, dem Verhalten der Beteiligten im Laufe des Verfahrens, der Bedeutung der Angelegenheit für die verschiedenen betroffenen Unternehmen und der Komplexität der Sache.
( vgl. Randnrn. 317-318 )
17. Auch wenn die Überschreitung eines angemessenen Zeitraums, insbesondere wenn damit eine Verletzung der Verteidigungsrechte der Betroffenen einhergeht, die Nichtigerklärung einer Entscheidung rechtfertigt, mit der eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt wird, gilt nicht das Gleiche, wenn die Höhe der in dieser Entscheidung festgesetzten Geldbußen angefochten wird, da sich die Befugnis der Kommission zur Festsetzung von Geldbußen nach der Verordnung Nr. 2988/74 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft richtet. Diese Verordnung hat nämlich eine vollständige Regelung eingeführt, die im Einzelnen die Fristen festgelegt hat, innerhalb deren die Kommission ohne einen Verstoß gegen das grundlegende Gebot der Rechtssicherheit Geldbußen gegen Unternehmen festsetzen kann, gegen die Verfahren nach den Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft anhängig sind: Artikel 2 Absatz 3 dieser Verordnung sieht vor, dass die Verjährung jedenfalls nach zehn Jahren eintritt, wenn sie gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung unterbrochen wurde, so dass die Kommission die Entscheidung über die Festsetzung von Geldbußen nicht unbegrenzt hinauszögern kann, ohne Gefahr zu laufen, dass Verjährung eintritt. Angesichts dieser Regelung ist für Überlegungen im Zusammenhang mit der Verpflichtung der Kommission, ihre Befugnis zur Verhängung von Geldbußen innerhalb eines angemessenen Zeitraums auszuüben, kein Raum.
( vgl. Randnrn. 321, 324 )
18. Auch wenn die Höhe der wegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbuße in einem angemessenen Verhältnis zur Dauer der festgestellten Zuwiderhandlung und zu den anderen Faktoren stehen muss, die für die Beurteilung der Schwere des Verstoßes eine Rolle spielen, darunter dem Vorteil, den das Unternehmen aus seinem Verhalten ziehen konnte, steht die Tatsache, dass ein Unternehmen aus der Zuwiderhandlung keinen Vorteil gezogen hat, der Verhängung einer Geldbuße nicht entgegen, soll diese ihren abschreckenden Charakter nicht verlieren.
Infolgedessen brauchte die Kommission für die Festsetzung der Geldbußen weder nachzuweisen, dass die Zuwiderhandlung den betreffenden Unternehmen einen unrechtmäßigen Vorteil verschafft hat, noch gegebenenfalls das Fehlen eines aus der fraglichen Zuwiderhandlung gezogenen Vorteils zu berücksichtigen, wozu sie sich im Übrigen auch nicht in ihrer Mitteilung über die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, verpflichtet hat.
( vgl. Randnrn. 340-343 )
19. Im Wettbewerbsrecht kann die Kommission es zwar je nach den Umständen für angezeigt halten, aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten des betroffenen Unternehmens von der Verhängung einer Geldbuße abzusehen oder die Geldbuße herabzusetzen.
Sie ist aber nicht verpflichtet, die defizitäre Lage eines Unternehmens bei der Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen, da die Anerkennung einer solchen Verpflichtung darauf hinauslaufen würde, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
( vgl. Randnrn. 351-352 )
20. Im Wettbewerbsrecht bedeutet die Tatsache, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis bestimmte Gesichtspunkte bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße als mildernde Umstände angesehen hat, nicht, dass sie verpflichtet wäre, dies in einer späteren Entscheidung ebenfalls zu tun.
( vgl. Randnr. 353 )
21. Bei der Festlegung der Höhe der Geldbußen, die gegen die einzelnen, an der gleichen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln beteiligten Unternehmen zu verhängen sind, kann die Kommission zunächst den Gesamtbetrag der zu verhängenden Geldbußen festsetzen, um diesen Betrag dann auf die betroffenen Unternehmen aufzuteilen, indem sie diese in Gruppen auf der Grundlage ihrer Tätigkeiten in dem betreffenden Sektor einordnet, sofern die Bestimmung der Schwellenwerte für die Bildung der verschiedenen Gruppen schlüssig und objektiv gerechtfertigt ist, den Erfordernissen des Grundsatzes der Gleichbehandlung entspricht und ausreichend begründet ist.
Diese Methode führt zwar dazu, dass die Größenunterschiede zwischen Unternehmen ein und derselben Gruppe unberücksichtigt bleiben, dient aber dem Ziel, die großen Unternehmen strenger zu bestrafen.
( vgl. Randnrn. 384-385, 416, 437 )
22. Die Methode für die Bemessung der Geldbußen, die gegen die einzelnen, an der gleichen Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen zu verhängen sind, nämlich die Bestimmung der Schwere der Zuwiderhandlung durch Anpassung des nach Maßgabe der Art des Verstoßes festgesetzten Grundbetrags entsprechend der Größe der Unternehmen, steht in Einklang mit dem rechtlichen Rahmen für Sanktionen, wie er in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und den entsprechenden Bestimmungen der Verordnungen Nr. 1017/68 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs und Nr. 4056/86 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel [81 EG und 82 EG] auf den Seeverkehr umschrieben ist.
Bei der Bestimmung der Größe eines Unternehmens kann sich die Kommission statt auf dessen Umsatz auf dem relevanten Markt auf dessen Gesamtumsatz beziehen, der einen Anhaltspunkt für die Wirtschaftskraft und die Möglichkeiten des Unternehmens darstellt, andere Wirtschaftsteilnehmer zu schädigen.
In Bezug auf die Schwere der Zuwiderhandlung muss die Kommission auch die unterschiedliche Rolle, z. B. die eines Anführers oder eines Mitläufers berücksichtigen, die jedes Unternehmen eventuell gespielt hat.
( vgl. Randnrn. 398-403 )
23. Im Wettbewerbsrecht ist die Schwere einer Zuwiderhandlung anhand der wirtschaftlichen Gegebenheiten im Zeitraum der Zuwiderhandlung zu beurteilen. Für die Beurteilung der Größe und der Wirtschaftskraft jedes Unternehmens sowie des Umfangs der von jedem Unternehmen begangenen Zuwiderhandlung, die für die Beurteilung der Schwere der von dem einzelnen Unternehmen begangenen Zuwiderhandlung relevante Gesichtspunkte sind, muss die Kommission von dem Umsatz jedes einzelnen Unternehmens im Zeitraum der Zuwiderhandlung ausgehen.
( vgl. Randnr. 460 )
24. Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 2988/74 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sieht grundsätzlich eine fünfjährige Verjährung vor; im Verhältnis dazu stellt die Unterbrechung der Verjährung gemäß Artikel 2 dieser Verordnung eine Ausnahme dar, die daher eng auszulegen ist.
Wie sich aus dem ersten Unterabsatz des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe a dieser Verordnung ergibt, müssen die schriftlichen Auskunftsverlangen der Kommission, die dort ausdrücklich als Beispiel für verjährungsunterbrechende Handlungen genannt sind, auf Ermittlung oder Verfolgung der Zuwiderhandlung" gerichtet sein, um die Verjährung unterbrechen zu können.
Nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 und - für den Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr - nach Artikel 19 der Verordnung Nr. 1017/68 und Artikel 16 der Verordnung Nr. 4056/86 müssen die Auskunftsverlangen nach Absatz 1 dieser Bestimmungen erforderlich" sein. Ein Auskunftsverlangen ist erforderlich" im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 bzw. der gleichlautenden vorgenannten Artikel 19 und 16, wenn zulässigerweise eine Verbindung mit der vermuteten Zuwiderhandlung angenommen werden kann.
Daraus folgt, dass die fünfjährige Verjährungsfrist nach Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 2988/74 durch ein Auskunftsverlangen nur unterbrochen werden kann, wenn dieses für die Ermittlung oder die Verfolgung der Zuwiderhandlung erforderlich ist.
Obwohl die Übersendung von Auskunftsverlangen die Verjährung in Bußgeldverfahren unterbrechen kann, wenn diese die Kommission in die Lage versetzen sollen, ihre Verpflichtungen bei der Bemessung der Geldbuße einzuhalten, ist es z. B. nicht zulässig, dass die Kommission Auskunftsverlangen übermittelt, die allein dazu dienen, die Verjährungsfrist künstlich zu verlängern, um sich die Befugnis zur Verhängung von Geldbußen zu erhalten. Auskunftsverlangen, die allein diesen Zweck verfolgen, sind nämlich für die Verfolgung der Zuwiderhandlung nicht erforderlich. Würde man der Kommission das Recht zuerkennen, durch die Übersendung von Auskunftsverlangen, die für die Verfolgung der Zuwiderhandlung nicht erforderlich sind, die Verjährungsfrist zu unterbrechen, würde man ihr letztlich die Möglichkeit einräumen, die Verlängerungsfrist bis zu ihrer in Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2988/74 vorgesehenen zehnjährigen Hoechstdauer zu verlängern, was die fünfjährige Verjährungsfrist nach Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung gegenstandslos machte und in eine zehnjährige Verjährungsfrist verwandelte.
( vgl. Randnrn. 484-488 )