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Document 61997TJ0131

    Leitsätze des Urteils

    URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

    17. November 1998

    Rechtssache T-131/97

    Carmen Gómez de Enterria y Sanchez

    gegen

    Europäisches Parlament

    „Beamte — Stellenenthebung — Artikel 50 des Statuts“

    Vollständiger Wortlaut in französischer Sprache   II-1855

    Gegenstand:

    Klage auf Aufhebung der vom Europäischen Parlament in seiner Sitzung vom 15. und 16. Juli 1996 erlassenen Entscheidung gemäß Artikel 50 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften, mit der die Klägerin ihrer Stelle enthoben wurde und ihre Bewerbungen um zwei andere Planstellen derselben Besoldungsgruppe abgelehnt wurden

    Ergebnis:

    Teilweise Unzulässigkeit. Aufhebung im übrigen

    Zusammenfassung des Urteils

    Die Klägerin, ehemalige Generaldirektorin im Europäischen Parlament, wurde gemäß Artikel 50 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (Statut) mit Wirkung vom 31. März 1995 ihrer Stelle enthoben. Das Gericht hat mit Urteil vom 14. Mai 1996 in der Rechtssache T-82/95 (Gómez de Enterria y Sanchez/Parlament, Slg. ÖD 1996, II-599) die Entscheidung über die Stellenenthebung mit der Begründung aufgehoben, daß die Klägerin keine Gelegenheit erhalten hatte, ihre Interessen in zweckdienlicher Weise zu vertreten.

    Auf das Urteil hin entschied das Präsidium des Parlaments als Anstellungsbehörde, das Verfahren in der Weise wiederaufzunehmen, daß der Klägerin Gelegenheit gegeben wurde, ihre Interessen in zweckdienlicher Weise zu vertreten. Am 25. Juni 1996 hatte die Klägerin eine Unterredung mit dem Generalsekretär des Parlaments über die Gründe, die das Präsidium dazu veranlaßt hatten, die Möglichkeit einer Stellenenthebung der Klägerin zu erwägen, sowie über die Möglichkeiten einer Verwendung der Klägerin auf einem anderen ihrer Besoldungsgruppe entsprechenden Dienstposten.

    Das Präsidium untersuchte in seiner Sitzung vom 15. und 16. Juli 1996 die Frage der Anwendung von Artikel 50 des Statuts auf die Klägerin. Es beschloß, die vorherige Entscheidung zu bestätigen und dem Antrag der Klägerin, auf eine freie Planstelle eines Sonderberaters (Besoldungsgruppe A 1) ernannt zu werden, nicht stattzugeben. Diese Entscheidung wurde der Klägerin mit Schreiben des Präsidenten des Parlaments vom 9. Oktober 1996 mitgeteilt.

    Zur Begründetheit

    Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 176 Absatz 1 des Vertrages

    Artikel 176 des Vertrages sieht eine Zuständigkeitsverteilung zwischen Justiz und Verwaltung vor, wonach es Aufgabe des Organs ist, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, zu bestimmen, welche Maßnahmen zur Durchführung eines Nichtigkeitsurteils erforderlich sind. Um dem Urteil nachzukommen und es vollständig durchzuführen, hat das Organ nicht nur den Tenor des Urteils zu beachten, sondern auch die Gründe, die zu dem Tenor geführt haben und die dessen notwendige Begründung darstellen. Selbst wenn die Wiedereinweisung eines Beamten nicht von vornherein als Maßnahme zur vollständigen Durchführung eines Urteils ausgeschlossen werden kann, mit dem eine Entscheidung über eine Stellenenthebung aufgehoben wird, so würde eine solche Lösung doch zu weit gehen, wenn mit der Aufhebung dieser Entscheidung eine Verletzung des Rechts des Beamten, seine Interessen zu vertreten, bestätigt würde und der Erlaß einer neuen Entscheidung zur Durchführung des Aufhebungsurteils aufgrund eines Verfahrens erfolgt, in dem diesem Umstand gerade abgeholfen werden sollte. Die Lösung, die darin besteht, die administrative und finanzielle Stellung der Klägerin rückwirkend zu bereinigen, erlaubt es, sowohl ihre Interessen als auch die dienstlichen Interessen miteinander in Einklang zu bringen, und entspricht den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Verwaltung (Randnr. 38).

    Vgl. Gericht, 8. Oktober 1992, Meskens/Parlament, T-84/91, Slg. 1992, II-2335, Randnr. 73; Gericht, 2. Februar 1995, Frederiksen/Parlament, T-106/92, Slg. ÖD 1995, II-99, Randnr. 31

    Die angefochtene Entscheidung kann nicht bloß deshalb als rechtswidrig betrachtet werden, weil sie ausdrücklich auf die aufgehobene Entscheidung Bezug nimmt. Die angefochtene Entscheidung gibt nämlich nicht nur die vorherige Entscheidung über die Stellenenthebung wieder, denn ihr verfügender Teil und das Verfahren, das zu ihrem Erlaß geführt hat, sind unterschiedlich.

    Daher ist der erste Klagegrund zurückzuweisen (Randnr. 40).

    Zum zweiten Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte

    Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß das Schreiben der Klägerin vom 4. Juli 1996 den Mitgliedern des Präsidiums in dessen Sitzung vom 15. und 16. Juli 1996 zur Kenntnis gebracht wurde. Daher oblag der Klägerin der Beweis, daß ihre Ausführungen vom 4. Juli 1996 vom Präsidium nicht berücksichtigt wurden. Die Klägerin hat aber nicht den geringsten Beweis dafür erbracht, daß den Mitgliedern des Präsidiums im vorliegenden Fall der Inhalt und die Tragweite ihrer Ausführungen nicht bekannt gewesen wären und daß daher ihre Verteidigungsrechte verletzt worden wären (Randnrn. 43 und 44).

    Somit ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen (Randnr. 45).

    Zum dritten Klagegrund: Fehlende Begründung

    Die Begründung der angefochtenen Entscheidung ermöglicht es, den Zweck der Stellenenthebung der Klägerin leicht zu ermitteln.

    Daher ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung ausreichend, und deidritte Klagegrund ist zurückzuweisen (Randnr. 51).

    Zum vierten Klagegrund: Verstoß gegen das dienstliche Interesse

    Im Zusammenhang mit der Stellenenthebung im dienstlichen Interesse, die für Beamte der Besoldungsgruppen A 1 und A 2 vorgesehen ist, verfügt die Anstellungsbehörde über ein weites Ermessen. Das Statut schränkt die Gründe nicht ein, die eine Stellenenthebung gemäß Artikel 50 rechtfertigen können, und diese können in objektiven Erfordernissen des Dienstes wie auch in der Beurteilung der individuellen Eigenschaften der Beamten im Hinblick auf diese Erfordernisse bestehen. Dieses weite Ermessen setzt sowohl einen großen Entscheidungsspielraum als auch eine sorgfaltige Prüfung der Umstände des Falles voraus, wobei diese Prüfung die erforderliche Gewähr dafür bietet, daß von dem Ermessen in voller Kenntnis der Sachlage Gebrauch gemacht wird. Diese Prüfung bedeutet auch, daß der Beamte, gegen den eine Stellenenthebungsmaßnahme erlassen werden soll, Gelegenheit haben muß, seine Interessen zu vertreten. Das gleiche gilt dann, wenn die Entscheidung erlassen werden soll, den Beamten nicht auf einer anderen seiner Besoldungsgruppe entsprechenden Planstelle im Sinne von Artikel 50 Absatz 3 des Statuts zu beschäftigen.

    Vgl. Gerichtshof,6. Mai 1969, Reinarz/Kommission, 17/68, Slg. 1969,61, Randnrn. 15und 16; Gerichtshof, 30. Juni 1971, Almini/Kommission, 1970, Slg. 1971, 623; Gerichtshof, 11. Mai 1978, Oslizlok/Kommission, 34/77. Slg. 1978, 1099, Randnr. 30; Gerichtshof, 28. September 1983, Angelini/Kommission, 131/82, Slg. 1983, 2801, Randnr. 11; Gerichtshof, 28. September 1983, Renaud/Kommission, 148/82, Slg. 1983, 2823, Randnr. 10

    Im vorliegenden Fall hat das Parlament tatsächlich die verschiedenen widerstreitenden Interessen sorgfältig geprüft (Randnrn. 56 und 57).

    Zum fiinfien Klagegrund: Ermessensmißbrauch

    Die Prüfung des vierten Klagegrundes ergibt, daß die Klägerin nicht dargetan hat, daß die angefochtene Entscheidung unter Verstoß gegen das dienstliche Interesse erlassen wurde. Nach ständiger Rechtsprechung kann bei einer Entscheidung, von der nicht feststeht, daß sie gegen das dienstliche Interesse verstößt, nicht von einem Ermessensmißbrauch gesprochen werden (Randnr. 62).

    Vgl. Gericht, 10. Juli 1992, Eppe/Kommission, T-59/91 und T-79/91, Slg. 1992, II-2061, Randnr. 57

    Zum sechsten Klagegrund: Nichteinhaltung einer angemessenen Frist

    Zwar erfolgte die Mitteilung der angefochtenen Entscheidung mit einer bedauerlichen Verspätung, doch ist daran zu erinnern, daß eine Verspätung bei der Mitteilung einer Einzelfallentscheidung an den Betroffenen nicht zu deren Aufhebung führen kann, da die Mitteilung eine Handlung ist, die auf die Entscheidung folgt, und daher keinen Einfluß auf deren Inhalt hat. Unabhängig davon hat diese Verspätung bei der Mitteilung der angefochtenen Entscheidung die Rechte der Klägerin nicht beeinträchtigt, die ordnungsgemäß Beschwerde einlegen und dann die vorliegende Anfechtungsklage erheben konnte.

    Vgl. Gerichtshof, 29. Oktober 1981, Arning/Kommission, 125/80, Slg. 1981,2539, Randnr. 9; Gerichtshof, 30. Mai 1984, Picciolo/Parlament, 111/83, Slg. 1984, 2323, Randnr. 25

    Nach allem ist die streitige Entscheidung nicht wegen einer Verspätung des Parlaments bei deren Mitteilung an die Klägerin rechtswidrig, weshalb der sechste Klagegrund zurückzuweisen ist (Randnr. 70).

    Somit ist die Klage insgesamt abzuweisen (Randnr. 71).

    Tenor:

    Die Klage ist unzulässig, soweit mit ihr die teilweise Aufhebung des verfügenden Teils der vom Europäischen Parlament in seiner Sitzung vom 15. und 16. Juli 1996 erlassenen Entscheidung beantragt wird, mit der bestätigt worden ist, daß die Bewerbung der Klägerin um den Dienstposten des Leiters der Generaldirektion Parlamentarische Kanzlei des Parlaments nicht berücksichtigt wurde.

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

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