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Document 61996TJ0036(01)

Leitsätze des Urteils

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

8. Juli 1999

Rechtssache T-36/96

Giuliana Gaspari

gegen

Europäisches Parlament

„Beamte — Rechtsmittel — Verweisung an das Gericht — Krankheitsurlaub — Ärztliche Bescheinigung — Ärztliche Kontrolluntersuchung — Der ärztlichen Bescheinigung widersprechende Ergebnisse“

Vollständiger Wortlaut in französischer Sprache   II-729

Gegenstand:

Klage auf Aufhebung der Entscheidung vom 22. Mai 1995, mit der das Parlament gemäß Artikel 60 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften das Fernbleiben der Klägerin vom Dienst am 5. Mai 1995 als unbefugt angesehen und einen Tag auf ihren Jahresurlaub angerechnet hat, und — soweit erforderlich — der bestätigenden Entscheidung vom 9. August 1995.

Entscheidung:

Die Klage wird abgewiesen. Jede Partei trägt ihre gesamten eigenen Kosten in den Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof.

Leitsätze

  1. Beamte – Krankheitsurlaub – Nachweis der Krankheit – Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung – Vermutung der Ordnungsmäßigkeit des Fernbleibens vom Dienst – Ärztliche Kontrolluntersuchung – Der ärztlichen Bescheinigung widersprechende Ergebnisse – Folgen – Keine Verpflichtung zur Befassung des Invaliditätsausschusses – Verpflichtung des Beamten, entweder seinen Dienst wiederaufzunehmen oder eine zweite Bescheinigung zu erlangen – Den Ergebnissen der Kontrolluntersuchung widersprechende Ergebnisse der zweiten Bescheinigung – Verpflichtung zur Befassung des Invaliditätsausschusses – Voraussetzungen

    (Beamtenstatut, Artikel 59 Absätze 1 und 3)

  2. Beamte – Krankheitsurlaub – Ärztliche Kontrolluntersuchung – Ärztlicher Bericht des Vertrauensarztes – Gerichtliche Nachprüfung – Umfang und Grenzen

    (Beamtenstatut, Artikel 59 Absatz 1 Unterabsatz 2)

  1.  Um den in Artikel 59 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Statuts vorgesehenen Krankheitsurlaub zu erhalten, muß der Beamte nachweisen, daß er wegen Erkrankung oder infolge eines Unfalls seinen Dienst nicht ausüben kann. Im Hinblick darauf begründet die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung zwar eine Vermutung für die Ordnungsmäßigkeit des Fernbleibens vom Dienst; der Zweck des Artikels 59 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Statuts, dem zufolge der Betroffene „jeder ärztlichen Kontrolle unterstellt werden [kann], die von dem Organ eingerichtet wird“, besteht aber zwangsläufig darin, die Widerlegung dieser Vermutung zu ermöglichen. Sobald die Vermutung widerlegt ist, entfällt der Nachweis, daß der Beamte wegen Krankheit oder infolge eines Unfalls seinen Dienst nicht ausüben kann; er muß daher entweder - insbesondere durch Vorlage einer neuen ärztlichen Bescheinigung — nachweisen, daß er seinen Dienst gleichwohl nicht ausüben kann, oder seinen Dienst zu dem vom Vertrauensarzt angegebenen Datum wieder aufnehmen.

    Ein Abweichung der medizinischen Schlußfolgerungen in der Bescheinigung des behandelnden Arztes von denen in der Bescheinigung des Vertrauensarztes, die dieser im Anschluß an eine ordnungsgemäße ärztliche Kontrolle erteilt hat, stellt an sich keinen Widerspruch im Sinne von Artikel 59 Absatz 3 des Statuts dar, da die Schlußfolgerungen des Vertrauensarztes angesichts dessen, daß ihnen keine Rückwirkung zukommt, die Richtigkeit der zuvor vom behandelnden Arzt gezogenen Schlußfolgerungen nicht wieder in Frage stellen. Infolgedessen verpflichtet Artikel 59 des Statuts das Organ in einem solchen Fall nicht, den Invaliditätsausschuß zu hören.

    Erscheinen die Schlußfolgerungen des Vertrauensarztes dem Beamten medizinisch nicht haltbar, so obliegt es ihm, seine Dienstunfähigkeit erneut feststellen zu lassen. Ab Erteilung einer neuen Dienstunfähigkeitsbescheinigung wird erneut vermutet, daß sein Fernbleiben vom Dienst ordnungsgemäß ist. Verlangt das Organ im Anschluß an diese zweite Bescheinigung des behandelnden Arztes eine erneute Kontrolle, so ist danach zu unterscheiden, ob sich die zweite Bescheinigung auf eine andere Erkrankung bezieht als die, um die es sich in der ersten Bescheinigung gehandelt haben soll. Wenn dies der Fall ist, kann eine abweichende Stellungnahme des Vertrauensarztes aufgrund einer zweiten Kontrolle nicht als Widerspruch gedeutet werden, so daß es keineswegs erforderlich ist, den Invaliditätsausschuß zu hören. Wenn sich jedoch die zweite Dienstunfähigkeitsbescheinigung offensichtlich nicht auf eine andere Erkrankung bezieht, läßt die Abweichung der Bescheinigungen des behandelnden Arztes von den Stellungnahmen des Vertrauensarztes — sofern sie in einem kurzen Zeitraum abgegeben wurden — auf einen echten medizinischen Streitfall schließen, der von dritter Stelle entschieden werden muß. In einem solchen Fall ist gemäß Artikel 59 Absatz 3 des Statuts der Invaliditätsausschuß zu hören.

    (Randnrn. 53 bis 61)

    Vgl. Gerichtshof, 19. Juni 1992, V./Parlament, C-18/91P, Slg. 1992, I-3997, Randnr. 33; Gericht, 26. Januar 1995, O/Kommission, T-527/93, Slg. ÖD 1995, II-29, Randnr. 36

  2.  Die Kontrolle des Gemeinschaftsrichters kann sich nicht auf die eigentlichen ärztlichen Beurteilungen erstrecken, die als endgültig anzusehen sind, wenn sie unter ordnungsgemäßen Bedingungen vorgenommen wurden. Dagegen kann die gerichtliche Kontrolle auf die Ordnungsmäßigkeit der im Anschluß an Kontrolluntersuchungen gemäß Artikel 59 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Statuts erstellten ärztlichen Berichte der Vertrauensärzte erstreckt werden, um zu prüfen, ob ihre Begründung ermöglicht, die Erwägungen, auf denen ihre Schlußfolgerungen beruhen, zu beurteilen, und ob ein verständlicher Zusammenhang zwischen den in ihnen enthaltenen medizinischen Feststellungen und den gezogenen Schlußfolgerungen besteht.

    (Randnr. 71)

    Vgl. Gericht, 27. Oktober 1994, C/Kommission, T-47/93, Slg. ÖD 1994, II-743, Randnr. 47; Gericht, 21. Mai 1996, W/Kommission, T-148/95, Slg. ÖD 1996, II-645, Randnrn. 38 und 39, m.w.N.

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