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Document 61996CJ0035

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    1 Vertragsverletzungsverfahren - Einleitung zweier verschiedener Verfahren durch die Kommission, in denen es um denselben Sachverhalt geht, bei denen die Klagen jedoch auf unterschiedliche Bestimmungen gestützt werden - Keine Verletzung der Verteidigungsrechte

    (EG-Vertrag, Artikel 155 und 169)

    2 Wettbewerb - Gemeinschaftsvorschriften - Unternehmen - Begriff - Zollspediteur - Einbeziehung

    (EG-Vertrag, Artikel 85 und 86)

    3 Wettbewerb - Kartelle - Vereinbarungen zwischen Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen - Nationaler Berufsverband, der eine einheitliche und verbindliche Gebührenordnung für Zollspediteure festgesetzt hat

    (EG-Vertrag, Artikel 85)

    4 Wettbewerb - Kartelle - Beeinträchtigung des Wettbewerbs - Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten - Festsetzung einer einheitlichen und verbindlichen Gebührenordnung für alle Zollspediteure durch einen nationalen Berufsverband

    (EG-Vertrag, Artikel 85)

    5 Wettbewerb - Gemeinschaftsvorschriften - Verpflichtungen der Mitgliedstaaten - Regelung, die eine Verstärkung der Wirkungen bestehender Kartellabsprachen bezweckt - Begriff - Rechtsvorschriften, die einen Berufsverband verpflichten, als Unternehmensvereinigung einen Beschluß zu fassen, mit dem eine für alle Zollspediteure verbindliche Gebührenordnung festgelegt wird

    (EG-Vertrag, Artikel 5 und 85)

    Leitsätze

    6 In Anbetracht der allgemeinen Systematik der Bestimmungen über die Vertragsverletzungsklage kann der Umstand, daß sich ein Mitgliedstaat in zwei verschiedenen Rechtsstreitigkeiten verteidigen muß, in denen es um denselben Sachverhalt geht, bei denen die Klagen jedoch auf unterschiedliche gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen gestützt werden, für sich allein keine Verletzung der Verteidigungsrechte darstellen.

    7 Die Tätigkeit eines Zollspediteurs fällt unter den Begriff des Unternehmens im Sinne der gemeinschaftlichen Wettbewerbsbestimmungen, da dieser Begriff im Rahmen des Wettbewerbsrechts jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung erfasst, insbesondere wenn diese wirtschaftliche Tätigkeit darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.

    Selbst wenn es sich bei der Tätigkeit eines Zollspediteurs um eine geistige Tätigkeit handeln sollte, für die eine Genehmigung erforderlich wäre und die ohne eine Zusammenfassung personeller, materieller und immaterieller Elemente ausgeuebt werden könnte, wäre sie nicht dem Anwendungsbereich der Artikel 85 und 86 des Vertrages entzogen, da sie eine wirtschaftliche Tätigkeit ist. Ein Zollspediteur bietet nämlich gegen Entgelt Dienstleistungen an, die darin bestehen, Zollformalitäten, die vor allem die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Waren betreffen, vorzunehmen, sowie andere ergänzende Dienstleistungen, so auf dem Gebiet der Devisen, der Warenkunde und der Steuern, er übernimmt die mit der Ausübung dieser Tätigkeit verbundenen finanziellen Risiken und muß das Defizit selbst tragen, wenn sich die Ausgaben und Einnahmen nicht ausgleichen.

    8 Setzt der Berufsverband, der sich aus Vertretern des Berufsstandes zusammensetzt, eine für alle Zollspediteure verbindliche Gebührenordnung fest, so verhält er sich wie eine Unternehmensvereinigung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages, wenn diese Vertreter nach dem nationalen Recht nicht als unabhängige Sachverständige qualifiziert werden können und sie nicht gesetzlich verpflichtet sind, bei der Gebührenfestsetzung nicht nur die Interessen der Unternehmen oder der Unternehmensvereinigungen des Sektors, den sie vertreten, sondern auch das Interesse der Allgemeinheit und das Interesse der Unternehmen anderer Sektoren oder derjenigen, die die betreffenden Dienstleistungen in Anspruch nehmen, zu berücksichtigen.

    Insoweit steht der Umstand, daß der betreffende Berufsverband eine öffentlich-rechtliche Einrichtung ist, der Anwendung von Artikel 85 des Vertrag nicht entgegen, der nach seinem Wortlaut für Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen gilt. Der rechtliche Rahmen, in dem solche Vereinbarungen geschlossen und solche Beschlüsse gefasst werden, ist für die Anwendbarkeit der gemeinschaftlichen Wettbewerbsbestimmungen, insbesondere des Artikels 85 des Vertrages, ebensowenig erheblich wie die rechtliche Einordnung dieses Rahmens durch die nationalen Rechtsordnungen.

    9 Die Beschlüsse, mit denen ein Berufsverband eine für alle Zollspediteure einheitliche und verbindliche Gebührenordnung festlegt, schränken den Wettbewerb im Sinne von Artikel 85 des Vertrages ein, wenn durch die Gebührenordnung unmittelbar die Preise für die Dienstleistungen der Zollspediteure festgelegt werden, darin für die verschiedenen Leistungsarten Hoechst- und Mindestpreise, die von den Kunden verlangt werden können, sowie verschiedene Preisstufen je nach Wert oder Gewicht der zu verzollenden Ware oder der konkreten Warenart bzw. der Art der gewerblichen Leistungen vorgesehen sind und die Gebührenordnung verbindlich ist, so daß ein Zollspediteur nicht von sich aus von ihr abweichen kann.

    Diese Beschlüsse sind geeignet, den innergemeinschaftlichen Handel zu beeinträchtigen, wenn die Gebührenordnung, die sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, schon ihrem Wesen nach die Wirkung hat, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verstärken, indem sie die vom Vertrag gewollte wirtschaftliche Verflechtung behindert. Diese Wirkung ist umso spürbarer, als verschiedenartige Vorgänge der Warenein- oder -ausfuhr innerhalb der Gemeinschaft sowie Vorgänge zwischen Wirtschaftsteilnehmern der Gemeinschaft die Erfuellung von Zollformalitäten erfordern und daher die Einschaltung eines in das Register eingetragenen selbständigen Zollspediteurs notwendig machen können.

    10 Artikel 85 des Vertrages betrifft an sich nur das Verhalten von Unternehmen, nicht aber durch Gesetz oder Verordnung getroffene Maßnahmen der Mitgliedstaaten; das ändert jedoch nichts daran, daß die Mitgliedstaaten aufgrund von Artikel 85 in Verbindung mit Artikel 5 des Vertrages keine Maßnahmen, und zwar auch nicht in Form von Gesetzen oder Verordnungen, treffen oder beibehalten dürfen, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnten. Ein solcher Fall wäre insbesondere dann gegeben, wenn ein Mitgliedstaat gegen Artikel 85 verstossende Kartellabsprachen vorschreiben, erleichtern oder deren Auswirkungen verstärken würde oder wenn er seiner eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nähme, daß er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern übertrüge.

    Ein Mitgliedstaat verstösst somit gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 5 und 85 des Vertrages, wenn er ein Gesetz erlässt und beibehält, das einen Berufsverband unter Übertragung des entsprechenden Beschlußfassungsrechts dazu verpflichtet, als Unternehmensvereinigung einen gegen Artikel 85 des Vertrages verstossenden Beschluß zu fassen, mit dem eine für alle Zollspediteure verbindliche Gebührenordnung festgelegt wird.

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