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Document 61995TJ0135

Leitsätze des Urteils

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

20. November 1996

Rechtssache T-135/95

Z

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Beamte — Anfechtungsklage — Unbefugtes Fernbleiben vom Dienst — Artikel 59 und 60 des Statuts — Ärztliche Bescheinigungen — Arbeitsunfähigkeit“

Vollständiger Wonlaut in französischer Sprache   II-1413

Gegenstand:

Klage auf Aufhebung der Entscheidung vom 6. September 1994, mit der Artikel 60 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften auf die Klägerin angewandt wurde, in der Form, in der sie durch die Entscheidung der Kommission vom 4. April 1995 über die Zurückweisung der Beschwerde der Klägerin aufrechterhalten worden ist

Ergebnis:

Abweisung

Zusammenfassung des Urteils

Sachverhalt und Verfahren

Die Klägerin, eine Beamtin der Kommission der Besoldungsgruppe C 1, die im Juli 1992 für ihren Jahresurlaub in ihr Herkunftsland Spanien reiste, nahm ihre Arbeit nach ihrem Urlaub im August 1992 nicht wieder auf. Sie übersandte der Kommission ärztliche Bescheinigungen über das Vorliegen einer Fibromyalgie. Diese Bescheinigungen, die keinen Arztstempel aufwiesen, wurden im Dezember 1992 richtiggestellt. Die Kommission weigerte sich jedoch, diese als gültig anzuerkennen, da sie sich auf eine Erkrankung bezogen, für die der Invaliditätsausschuß bereits festgestellt hatte, daß die Klägerin arbeitsfähig sei.

Am 23. Dezember 1992 beschloß die Kommission, Artikel 60 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften auf die Klägerin anzuwenden, und setzte die Zahlung ihrer Dienstbezüge ab 1. Januar 1993 aus. Mit Urteil vom 26. Januar 1995 hob das Gericht diese Entscheidung auf, da die Kommission die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht anerkannt und angenommen habe, daß diese dem Dienst unbefugt fernbleibe, ohne zuvor die nach Artikel 59 des Statuts vorgeschriebene ärztliche Kontrolluntersuchung durchgefühlt zu haben.

Verweisung auf: Gericht, 26. Januar 1995, O/Kommission, T-527/93, Slg. ÖD 1995, II-29

Bis zum 26. Juli 1993 rechtfertigte die Klägerin ihr Fernbleiben vom Dienst weiterhin dadurch, daß sie der Kommission ärztliche Bescheinigungen über ihre Fibromyalgie übersandte. Da bis zu diesem Zeitpunkt keine ärztliche Kontrolle wegen des Fernbleibens der Klägerin durchgefühlt worden war, sah es die Kommission nicht als unbefugt an. Vom 27. Juli 1993 bis zum 20. Januar 1994 übersandte die Klägerin der Kommission ärztliche Bescheinigungen über andere, im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch stehende Erkrankungen. Diese Bescheinigungen wurden entsprechend der Auffassung des Ärztlichen Dienstes als Rechtfertigung für einen Krankheitsurlaub der Klägerin während dieses Zeitraums anerkannt.

Die Klägerin wurde zweimal nacheinander zu ärztlichen Kontrollen nach Brüssel geladen, zu denen sie nicht erschien. Sie übersandte in beiden Fällen Bescheinigungen ihres Arztes darüber, daß sie nicht reisefällig sei.

Nach der zweiten Weigerung der Klägerin, sich nach Brüssel zu begeben, ließ sie der Ärztliche Dienst der Kommission am 16. März 1994 in Spanien von einem Ärztekollegium bestehend aus zwei Psychiatern und zwei Psychologen untersuchen. Nach den Ergebnissen des von diesem Kollegium am 24. März 1994 erstellten Gutachtens leidet die Klägerin an „allgemeiner Angst“, die sie jedoch nicht daran hindere, sich nach Brüssel zu begeben. Die Klägerin erhielt durch ein Schreiben des Sekretärs des Disziplinarrats der Kommission an ihren Anwalt vom 11. April 1994 von den Ergebnissen dieses Gutachtens Kenntnis. Danach wurde das gesamte Gutachten einem von der Klägerin gewählten Arzt übermittelt, wie sich aus einem Schreiben des Vorsitzenden des Disziplinarrats vom 18. April 1994 an deren Anwalt ergibt.

Nachdem die Klägerin von den Ergebnissen des nach der Untersuchung vom 16. März 1994 erstellten Gutachtens Kenntnis erlangt hatte, übermittelte sie der Kommission mehrere ärztliche Bescheinigungen. Durch die erste Bescheinigung vom 30. Mai 1994 wird bestätigt, daß sich die Klägerin einer medizinischpsychiatrischen Behandlung unterziehe und ihr Zustand die Fortsetzung der Arztbesuche erfordere. Nach der zweiten vom 20. Juni 1994 verlief ihre seit acht bis neun Wochen bestehende Schwangerschaft normal. Die dritte Bescheinigung vom 14. Juli 1994 besagt, daß ihre Schwangerschaft eine Unterbrechung ihrer Behandlung notwendig mache, daß eine Psychotherapie aber jedenfalls weiterhin die zur Stabilisierung ihres Zustands und zur Beseitigung ihrer Symptome angezeigte Behandlungsmethode sei. Mit der vierten Bescheinigung vom 21. Juli 1994 wird ihre Behandlung während ihres dritten Schwangerschaftsmonats und ihre fehlende Reisefähigkeit bestätigt. Eine fünfte Bescheinigung vom 1. September 1994 schließlich bestätigt eine Überwachung und eine psychiatrische Behandlung zur Milderung der durch ihre Schwangerschaft verstärkten depressiven Symptome, die die Ursache für ihre, zum Teil auch auf früher eingenommene Medikamente zurückzuführenden Angstzustände seien.

Die Generaldirektion für Personal der Kommission teilte der Klägerin mit Schreiben vom 6. September 1994 mit, daß der Ärztliche Dienst die von ihr bislang eingereichten Bescheinigungen nicht anerkenne und ihr Fernbleiben von ihrem Dienstort und von ihrem Dienst folglich weiterhin als unbefugt im Sinne von Artikel 60 des Statuts angesehen werden müsse.

Am 23. November 1994 erhob die Klägerin eine Beschwerde gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts gegen diese Entscheidung der Kommission, ihr Fernbleiben als ungerechtfertigt anzusehen, obwohl sie am 25. Juli die ärztliche Bescheinigung vom 21. Juli 1994 übersandt hatte.

Während dieser Zeit wurde die Klägerin am 25. Oktober 1994 an ihrem Wohnsitz in Spanien einer erneuten ärztlichen Kontrolle unterzogen. Der die Klägerin untersuchende Arzt kam zum Ergebnis, es lägen keine klinischen Symptome vor, die bei ihr die Anerkennung einer Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen würden. „Wegen der familiären Lage und [der] fortgeschrittenen Schwangerschaft“ der Klägerin wurde jedoch vorgeschlagen, sie „aus rein humanitären, nicht medizinischen Gründen“ vom 25. Oktober 1994 bis zum Ende ihres Mutterschaftsurlaubs für arbeitsunfähig zu erklären.

Durch eine der Klägerin am 4. April 1995 mitgeteilte Entscheidung wurde ihre Beschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, die ärztliche Untersuchung, der sie sich am 16. März 1994 unterzogen habe, habe nichts ergeben, woraus der Ärztliche Dienst der Kommission schließen könne, daß sie aus Gesundheitsgründen daran gehindert sei, ihren Dienst wieder aufzunehmen oder zu reisen. Nach dieser Entscheidung wird in den von der Klägerin seit dem 20. Januar 1994 eingereichten Bescheinigungen entweder nicht festgestellt, daß sie aufgrund einer Erkrankung arbeitsunfähig sei, oder es werden, soweit dies festgestellt wird, keine Daten für eine Arbeitsunfähigkeit angegeben. Unter diesen Umständen müsse das Fernbleiben der Klägerin vom Dienst vom 16. März 1994 bis zum 6. September 1994, ja bis zum 25. Oktober 1994, an dem die Kommission die Klägerin in Spanien einer erneuten ärztlichen Kontrolle unterzogen habe, wegen des Fehlens eines stichhaltigen Grundes als nicht gerechtfertigt angesehen werden.

Schließlich heißt es in dieser Entscheidung, die Klägerin sei am 20. Mai 1994 im Rahmen einer Verwaltungsuntersuchung nach Brüssel gekommen und wieder nach Spanien gereist, ohne für die Zeit nach ihrem Aufenthalt einen Jahresurlaub oder die Zustimmung beantragt zu haben, einen Kranklieitsurlaub an einem anderen Ort als dem Ort ihrer dienstlichen Verwendung zu verbringen.

Würdigung durch das Gericht

Die angefochtene Entscheidung vom 6. September 1994 zur Anwendung von Artikel 60 des Statuts, die durch die Entscheidung vom 4. April 1995 über die Zurückweisung der Beschwerde bestätigt wurde, beruht auf einem ungerechtfertigten Fernbleiben der Klägerin von ihrem Dienstort und von ihrem Dienst vom 16. März bis zum 6. September 1994, tatsächlich bis zum 25. Oktober 1994 (Randnr. 28).

Die Klägerin rügt, daß die Kommission die angefochtene Entscheidung nicht begründet und gegen die Artikel 59 und 60 des Statuts verstoßen habe (Randnr. 29).

Was die Rüge einer fehlenden Begründung anlangt, so führt die Kommission in ihrer Entscheidung vom 6. September 1994 aus, das Fernbleiben der Klägerin vom Dienst sei im Sinne von Artikel 60 des Statuts unbefugt, weil die von ihr zuvor übersandten Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit vom Ärztlichen Dienst nicht anerkannt worden seien. Obwohl die Kommission in dieser Entscheidung die Gründe nicht im einzelnen erläutert, aus denen diese Bescheinigungen vom Ärztlichen Dienst nicht anerkannt wurden, hat sie erklärt, weshalb das Fernbleiben der Klägerin vom Dienst als unbefugt angesehen wurde. Folglich kann nicht angenommen werden, daß die Entscheidung vom 6. September 1994 nicht, sondern höchstens, daß sie unzureichend begründet ist (Randnr. 30).

Zweitens konnte die Klägerin aus der Entscheidung vom 6. September 1994 zwar nicht entnehmen, aus welchen Gründen der Ärztliche Dienst die von ihr übersandten ärztlichen Bescheinigungen im einzelnen zurückgewiesen hatte, doch fühlte die Kommission in ihrer Entscheidung vom 4. April 1995 zur Zurückweisung ihrer Beschwerde aus, daß die nach der Untersuchung vom 16. März 1994 gestellte Diagnose nichts ergeben habe, woraus geschlossen werden könne, daß die Klägerin unfähig sei, ihren Dienst wieder aufzunehmen oder zu reisen, und bemerkte ferner, daß die streitigen Bescheinigungen nicht besagten, daß die Klägerin arbeitsunfähig sei und die Zeiten der angeblichen Arbeitsunfähigkeit nicht angäben. Die Kommission hat demnach der Klägerin im Vorverfahren eine ausreichende Begründung gegeben, so daß diese die Begründetheit der Zurückweisung ihrer Beschwerde und die Zweckmäßigkeit der Erhebung einer Klage vor dem Gemeinschaftsrichter beurteilen konnte (Randnr. 31).

Was die Rüge eines Verstoßes gegen die Artikel 59 und 60 des Statuts anlangt, so muß der Beamte gemäß Artikel 59 des Statuts, wenn er geltend macht, er könne wegen Erkrankung oder infolge eines Unfalls seinen Dienst nicht ausüben, sein Organ unverzüglich von seiner Dienstunfähigkeit unterrichten und dabei seinen Aufenthaltsort angeben und vom vierten Tag seines Fernbleibens an eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, die sein Fernbleiben rechtfertigt. Die Verwaltung kann die Gültigkeit einer solchen ärztlichen Bescheinigung nur in Abrede stellen und das Fernbleiben des betroffenen Beamten als unbefugt ansehen, wenn sie diesen zuvor einer ärztlichen Kontrolle unterzogen hat, deren Ergebnisse erst ab dem Zeitpunkt ihrer Durchführung verwaltungsrechtliche Auswirkungen entfalten (Randnr. 32).

Verweisung auf: Gerichtshof, 19. Juni 1992, V./Parlament, C-18/91, Slg. 1992, I-3997, Randnr. 34; O/Kommission, a. a. O., Randnr. 36

Nach den Ergebnissen des im Anschluß an die Untersuchung vom 16. März 1994 erstellten ärztlichen Gutachtens vom 24. März 1994 war die Klägerin in der Lage, nach Brüssel zu reisen. Mit Schreiben vom 11. April 1994 teilte der Generalsekretär des Disziplinarrats der Kommission der Klägerin diese Ergebnisse mit. Die Klägerin war daher gemäß Artikel 59 und 60 des Statuts, nach denen ein Beamter außer wegen Erkrankung oder infolge eines Unfalls seinem Dienst nur mit vorheriger Zustimmung fernbleiben darf, vom Zeitpunkt ihrer Kenntnisnahme von diesen Ergebnissen an verpflichtet, sich an ihren Dienstort Brüssel zu begeben, um ihren Dienst wieder aufzunehmen. Falls sie dazu nicht in der Lage war, hätte sie ärztliche Bescheinigungen ausstellen lassen und der Kommission übermitteln müssen, in denen ausdrücklich festgestellt wird, daß sie nicht arbeits- oder nicht reisefällig sei (Randnr. 33).

Nachdem die Klägerin von den Ergebnissen des erwähnten ärztlichen Gutachtens Kenntnis erlangt hatte, übermittelte sie entgegen Artikel 59 Absatz 2 des Statuts der Kommission nicht vom vierten Tag ihres Fernbleibens an solche ärztlichen Bescheinigungen. Aus der Verpflichtung der Gemeinschaftsorgane zur Durchführung ärztlicher Kontrollen folgt jedoch notwendig die Verpflichtung der betroffenen Beamten, den Organen Bescheinigungen vorzulegen, aus denen sich die von ihnen geltendgemachte Unfähigkeit hinreichend deutlich und schlüssig ergibt, da andernfalls die Artikel 59 und 60 des Statuts leerlaufen würden(Randnr. 34).

Verweisung auf: Gericht, 15. April 1991, Harrison/Kommission, T-13/91 R, Slg. 1991, II-179

Was die auf die Abwesenheit der Klägerin von ihrem Dienstort gestützte Begründung anlangt, so konnte aus den Bescheinigungen, die die Klägerin nach ihrer Untersuchung vom 16. März 1994, bei der ihre Reisefähigkeit festgestellt wurde, vorlegte, nicht auf eine Reiseunfähigkeit geschlossen werden. Eine Ausnahme bildet die Bescheinigung vom 21. Juli 1994, aus der sich in Verbindung mit den früheren Bescheinigungen und der nachfolgenden Bescheinigung vom 1. September 1994 eine vorübergehende Unfähigkeit der Klägerin ergab, nach Brüssel zu reisen. Jedenfalls wäre sie sowohl bis zum Zeitpunkt der Übersendung der Bescheinigung vom 21. Juli 1994 als auch danach, bis zum Zeitpunkt der Übersendung der Bescheinigung vom 1. September 1994 verpflichtet gewesen, sich dorthin zu begeben. Die Kommission lehnte es daher in ihrer Entscheidung vom 6. September 1994 zu Recht ab, die Ergebnisse des nach der Untersuchung der Klägerin vom 16. März 1994 erstellten ärztlichen Gutachtens in Frage zu stellen, nach denen sie reisefähig war und sich daher an ihrem Dienstort Brüssel befinden konnte (Randnr. 37).

Soweit die Entscheidung vom 6. September 1994 damit begründet wurde, daß die Klägerin ihrem Dienst unbefugt ferngeblieben sei, da eine ärztliche Bescheinigung über eine Dienstunfähigkeit der Klägerin fehle, kann die Klägerin nicht beanstanden, daß es die Kommission abgelehnt habe, die Ergebnisse in Frage zu stellen, zu denen ihr Ärztlicher Dienst aufgrund des nach der ärztlichen Kontrolle vom 16. März 1994 erstellten Gutachtens gelangt sei, die ebenfalls dahin gingen, daß die Klägerin zur Ausübung ihrer Tätigkeit in der Lage sei. Die Ergebnisse des Ärztlichen Dienstes der Kommission werden ferner durch die Ergebnisse einer erneuten, dieselbe Erkrankung wie die Bescheinigung vom 21. Juli 1994 betreffenden ärztlichen Kontrolle bestätigt, der sich die Klägerin am 25. Oktober 1995 unterzog. Nach den Ergebnissen dieser Kontrolle bestehen keine klinischen Symptome, die eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin begründen würden. Nur wegen der „familiären Lage und aus rein humanitären, nicht medizinischen Gründen“ erkannte die Kommission eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin vom 25. Oktober 1995, dem Zeitpunkt dieser Kontrolle, bis zum Ende ihres Mutterschaftsurlaubs an (Randnr. 38).

Verweisung auf: Gerichtshof, 9. Juli 1975, Vellozzi/Kommission, 42/74 und 62/74, Slg. 1975, 871, Randnrn. 25 und 26

Schließlich ist die Klägerin jedenfalls dadurch, daß sie sich nicht nach Brüssel begab, als sie dazu in der Lage war, sei es vor oder nach der Übersendung der Bescheinigung vom 21. Juli 1994, ihrem Dienstort und damit ihrem Dienst unbefugt ferngeblieben (Randnr. 39).

Unter diesen Umständen war die Kommission, als sie am 6. September 1994 die Entscheidung erließ, Artikel 60 des Statuts auf die Klägerin anzuwenden, hierzu wegen des unbefugten Fernbleibens der Klägerin von ihrem Dienstort und von ihrem Dienst befugt (Randnr. 40).

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

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