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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 61992TJ0079

    Leitsätze des Urteils

    URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

    1. Dezember 1994

    Rechtssache T-79/92

    Kuno Ditterich

    gegen

    Kommission der Europäischen Gemeinschaften

    „Beamte — Beurteilungen — Nichterstellung — Anträge auf Erstellung der Beurteilungen und auf Ersatz des durch die Verspätung entstandenen Schadens — Zulässigkeitsvoraussetzungen“

    Vollständiger Wonlaut in deutscher Sprache   II-907

    Gegenstand:

    Klage auf Verurteilung der Kommission, die Beurteilungen für die Zeiträume 1983-1985, 1985-1987, 1987-1989 und 1989-1991 zu erstellen, diese Beurteilungen dem Kläger bekanntzugeben sowie eine Entschädigung in Höhe von 100000 ECU an den Kläger zu zahlen.

    Ergebnis:

    Abweisung

    Zusammenfassung des Urteils

    Der Kläger war wissenschaftlicher Beamter der Kommission und der Gemeinsamen Forschungsstelle in Ispra (Italien) vom 4. Oktober 1965 bis zum 31. Juli 1992 zugewiesen; seit diesem Zeitpunkt ist er im Ruhestand. Während seiner gesamten Dienstzeit war er in die Besoldungsgruppe A 5 eingestuft.

    Es liegen keine endgültigen Beurteilungen des Klägers für die Zeiträume 1983-1985, 1985-1987, 1987-1989 und 1989-1991 vor.

    Am 23. Februar 1988 richtete der Kläger ein Scheiben an seinen Vorgesetzten und machte diesen darauf aufmerksam, daß die Beurteilungen für die Zeiträume 1983-1985 und 1985-1987 fehlten.

    Am 11. Dezember 1991 schlug der Vorgesetzte ihm vor, die für den Zeitraum 198I-1983 erstellte Beurteilung für den Zeitraum 1989-1991 aufrechtzuerhalten.

    In seinem Antwortschreiben vom 19. Dezember 1991 hob der Kläger das Fehlen der Beurteilungen für die Zeiträume 1983-1985, 1985-1987 und 1987-1989 hervor und bezeichnete es als einen gravierenden Verstoß gegen die Artikel 43 und 45 des Statuts.

    Am 7. Februar 1992 wurde dem Kläger ein Entwurf übermittelt, wonach die Beurteilung für 198I-1983 für den Zeitraum 1989-1991 aufrechterhalten werden sollte.

    Am 26. Februar 1992 ging bei der Kommission eine Beschwerde des Klägers ein, in der er beanstandete, daß die Beurteilungen seit 1983 trotz seiner Mahnungen fehlten, und geltend machte, das Verlangen, die für 198I-1983 erstellte Beurteilung für den Zeitraum 1989-1991 aufrechtzuerhalten, sei irreführend. Außerdem forderte er eine Entschädigung in Höhe von 100000 ECU als Ersatz des Schadens, der ihm durch diese Lage entstanden sei.

    Diese Beschwerde wurde von seiten der Kommission nicht beantwortet.

    Zur Zulässigkeit

    1. Zur Rüge der Nichteinhaltung des vorprozessualen Verfahrens

    Artikel 91 Absatz 1 Satz 1 des Statuts begrenzt den Geltungsbereich von Satz 2, so daß diese Bestimmung dem Gericht eine Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung nur in den Fällen verleiht, in denen ein Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit einer beschwerenden Maßnahme vorliegt (Randnr. 37).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 10. Dezember 1969, Grasselli/Kommission, 32/68, Slg. 1969,505, Randnr. 10; Gericht, 13. Juli 1993, Moat/Kommission, T-20/92, Slg. 1993, II-799, Randnr. 46.

    Außerdem ist nach Artikel 91 Absatz 2 des Statuts eine Klage beim Gericht nur zulässig, wenn bei der Anstellungsbehörde zuvor eine Beschwerde im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des Statuts innerhalb der dort vorgesehenen Frist eingereicht und diese Beschwerde ausdrücklich oder stillschweigend zurückgewiesen worden ist. Die Beschwerde selbst muß gegen eine beschwerende Maßnahme gerichtet sein (Randnr. 38).

    Folglich ist das vom Statut verlangte einer Schadensersatzklage vorausgehende vorprozessuale Verfahren unterschiedlich, je nachdem ob der vom Beamten beanstandete auslösende Umstand eine beschwerende Maßnahme darstellt oder nicht (Randnr. 39).

    Will der Beamte eine ihn beschwerende Maßnahme anfechten, so kann er sich unmittelbar mit einer Beschwerde an die Anstellungsbehörde wenden und, wenn seine Beschwerde zurückgewiesen worden ist, beim Gericht Klage auf Aufhebung der beschwerenden Maßnahme, auf Zahlung von Schadensersatz oder auf beides erheben (Randnr. 40).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 22. Oktober 1975, Meyer-Burkhardt, 9/75, Slg. 1975, 1171, Randnm. 10 f. ; Gericht, 8. Oktober 1992, Meskens/Parlament, T-84/91, Slg. 1992, II-2335, Randnr. 42.

    Ist dagegen der vom Beamten beanstandete Umstand keine beschwerende Maßnahme im Sinne des Statuts, so kann er das Verfahren nur dadurch einleiten, daß er an die Anstellungsbehörde einen Antrag nach Artikel 90 Absatz 1 des Statuts richtet; dessen etwaige Ablehnung stellt eine ihn beschwerende Maßnahme dar, gegen die er eine Beschwerde einlegen kann. Die Entscheidung über diese Beschwerde kann gegebenenfalls Gegenstand einer Anfechtungs- und/oder Schadensersatzklage sein (Randnr. 41).

    Verweisung auf: Gericht, 25. September 1991, Marcato/Koramission, T-5/90, SIg. 1991, II-731 ; Gericht, 25. Februar 1992, Marcato/Kommission, T-64/91, Slg. 1992, II-243, Randnrn. 32 bis 34; Gericht, 22. Mai 1992, Moat/Kommission, T-72/91, Slg. 1992, II-1771, Randnrn. 40 f.; Gericht, 16. Juli 1992, Della Pietra/Komrnission, T-1/91, Slg. 1992, II-2145, Randnr. 34; Gericht, 8. Juni 1993, Fiorani/Parlament, T-50/92, Slg. 1993, II-555, Randnrn. 40 f. und 45 f.; Gericht, 15. Juli 1993, Cámara Alloisiou. a./Kommission, T-17/90, T-28/91 und T-17/92, Slg. 1993, II-841, Randnr. 45; Gericht, 15. Juli 1993, Camera-Lampitelli/Kommission, T-27/92, Slg. 1993, II-873, Randnr. 26; Gericht, 12. Januar 1994, White/Kommission, T-65/91, Slg. ÖD 1994, II-23, Randnr. 137.

    2. Zum vorprozessualen Verfahren im vorliegenden Fall

    Das Gericht stellt fest, daß die Schreiben des Klägers vom 23. Februar 1988 und vom 19. Dezember 1991 lediglich an einen Vorgesetzten gerichtete Mahnschreiben sind und keine Anträge im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 des Statuts darstellen (Randnrn. 43 und 44).

    Außerdem stellt das Gericht fest, daß die Beschwerde vom 26. Februar 1992 nicht nach der ausdrücklichen oder stillschweigenden Ablehnung eines Antrags im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 des Statuts eingelegt worden ist. Selbst wenn das Schreiben vom 19. Dezember 1991 einen Antrag darstellte, wäre die Beschwerde vom 26. Februar 1992 verfrüht, nämlich vor einer stillschweigenden Ablehnung gemäß Artikel 90 Absatz 1 des Statuts nach Ablauf von vier Monaten vom Tag der Antragstellung an eingelegt worden (Randnrn. 45 und 46).

    Dem Vorbringen des Klägers, es sei davon auszugehen, daß die Beschwerde vom 26. Februar 1992 am 19. April 1992 wirksam geworden sei, d. h. vier Monate nach dem Eingang des Schreibens vom 19. Dezember 1991, ist jedenfalls nicht zu folgen, denn das durch Artikel 90 Absätze 1 und 2 geschaffene Rechtsbehelfssystem setzt voraus, daß eine Beschwerde nur gegen eine beschwerende Maßnahme eingelegt werden kann, die bei Einlegung der Beschwerde bereits vorhanden ist. Außerdem ist eine vor einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Zurückweisung der Beschwerde erhobene Klage unzulässig, und nach der Rechtsprechung sind nicht nur die Klagefristen, sondern auch die Beschwerdefristen durch zwingende Vorschriften geregelt (Randnr. 47).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 19. Februar 1981, Schiavo/Rat, 122/79 und 123/79, Slg. 1981, 473, Randnr. 22 ; Gerichtshof, 27. Okiober 1981, Venus und Oben/Kommissionund Rat, 783/79 und 786/79, Slg. 1981, 2445, Randnr. 25; Gericht, 27. Juni 1991, Valverde Mordt/Gerichtshof, T-156/89, Slg. 1991, II-407, Randnr. 29; Gericht, 4. Dezember 1991, Moat/Kommission, T-78/91, Slg. 1991, II-1387, Randnr. 4; Gericht, 13. Juli 1993, Moat/Kommission, a. a. O., Randnr. 31.

    Eine verfrühte Beschwerde kann daher nur unter außergewöhnlichen Umständen als rechtsgültig angesehen werden, z. B. wenn sie später ergänzt worden ist. Im vorliegenden Fall liegt kein solcher Umstand vor (Randnr. 48).

    Verweisung auf: Gericht, Valverde Mordt/Gerichtshof, a. a. 0., Randnr. 30; Gericht, 10. Juli 1992, Eppe/Kommission, T-59/91 und T-79/91, Slg. 1992, II-2061, Randnr. 111.

    Nach alledem fehlt es an einem zweistufigen vorprozessualen Verfahren. Unter diesen Umständen hat das Gericht zu prüfen, ob die Nichterstellung einer Beurteilung mindestens alle zwei Jahre durch die Verwaltung gemäß Artikel 43 des Statuts innerhalb der in den Allgemeinen Durchführungsbestimmungen vorgesehenen Fristen eine „Unterlassung einer im Statut vorgeschriebenen Maßnahme“ und damit eine beschwerende Maßnahme im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des Statuts darstellt (Randnr. 49).

    3. Zum Begriff „ Unterlassung einer im Statut vorgeschriebenen Maßnahme“

    Nur die Maßnahmen sind beschwerend, die die Rechtsstellung eines Beamten unmittelbar und sofort berühren können (Randnr. 65).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 21. Januar 1987, Stroghili/Rechnungshof, 204/85, Slg. 1987,389; Gericht, 24. Juni 1993, T-69/92, Seghers/Rat, Slg. 1993, II-651.

    Das Fehlen einer Beurteilung oder eine bei ihrer Erstellung eingetretene Verspätung sind aber in der Rechtsprechung immer als Amtsfehler und nie als beschwerende Maßnahme qualifiziert worden (Randnr. 66).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 5. Juni 1980, Oberthür/Kommission, 24/79, Slg. 1980, 1743, Randnr. 14; Gerichtshof, 5. Mai 1983, Ditterich/Kommission, 207/81, Slg. 1983, 1359, Randnrn. 27 und 28; Gerichtshof, 6. Februar 1986, Castille/Koramission, 173/82, 157/83 und 186/84, Slg. 1986,497, Randnr. 34; Gericht, 8. November 1990, Barbi/Kommission, T-73/89, Slg. 1990, II-619, Randnrn. 35, 43 und 50; Gericht, 24. Januar 1991, Latham/Koramission, T-63/89, Slg. 1991, II-21, Randnr. 39; Gericht, 24. Januar 1991, Latham/Kommission, T-27/90, Slg. 1991, II-35; Gericht, 10. Juli 1992, Barbi/Kommission, T-68/91, Slg. 1992, II-2127; Gericht, 17. März 1993, Moat/Kommission, T-13/92, Slg. 1993, II-287, Randnrn. 34 und 48; Gericht, 16. Dezember 1993, Moritz/Kommission, T-20/89 RV, Slg. 1993, II-1423, Randnr. 37.

    Im Lichte dieser Rechtsprechung und in Anbetracht der Systematik der Artikel 90 und 91 des Statuts kann die Unterlassung der Erstellung einer Beurteilung als solche nicht als eine beschwerende Maßnahme im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des Statuts angesehen werden (Randnr. 67).

    Zum einen ist nämlich der bloße Umstand, daß eine Beurteilung nicht fristgemäß erstellt worden ist, als solcher nicht so endgültig oder spürbar, daß er als eine beschwerende „Maßnahme“ — selbst in Form einer „Unterlassung“ einer im Statut vorgeschriebenen Maßnahme — angesehen werden kann, und zum anderen ist das Fehlen einer Beurteilung allein als solches nicht geeignet, die Rechtsstellung eines Beamten in qualifizierter Weise zu verändern, da es als solches keine bindenden Rechtswirkungen hat, durch die der Standpunkt des Organs endgültig festgelegt wird (Randnr. 68).

    Wenn das Fehlen einer Beurteilung als solches eine beschwerende Maßnahme darstellen könnte, würde eine derartige Qualifizierung im übrigen erhebliche Schwierigkeiten verursachen, was die Berechnung der in Artikel 90 Absatz 2 des Statuts vorgesehenen Dreimonatsfrist für die Einlegung einer Besehwerde angeht. Ein Verfahren, durch das Abhilfe für das Fehlen einer Beurteilung geschaffen werden soll, wäre durch Fristablauf ausgeschlossen, wenn es nicht innerhalb von drei Monaten nach dem in den Allgemeinen Durchführungsbestimmungen für die Erstellung der Beurteilung vorgesehenen Zeitpunkt in Gang gesetzt worden wäre, was dazu führen würde, daß die Nichtbeachtung der nach dem Statut bestehenden Pflicht durch die Verwaltung nach Ablauf dieser Frist der Überprüfung durch das Gericht entzogen wäre, obwohl diese Verpflichtung nach Ablauf der drei Monate keineswegs erlischt, sondern ihre Erfüllung durch den Zeitablauf nur um so dringlicher wird (Randnr. 70).

    Dies würde außerdem implizieren, daß ein Beamter, der zum vorgesehenen Zeitpunkt keine Beurteilung erhalten hat, gehalten ist, zur Wahrung seiner Rechte sofort eine Beschwerde einzulegen, was in einem Zusammenhang, in dem allgemein bekannt ist, daß es den Verwaltungen aller Gemeinschaftsorgane schwerfällt, zahlreiche Beurteilungen innerhalb der vorgesehenen Fristen erstellen zu lassen, weder mit der Struktur des Statuts im allgemeinen noch mit den Grundsätzen der Billigkeit und der ordnungsgemäßen Verwaltung vereinbar wäre (Randnr. 71).

    Im übrigen ist in der Rechtsprechung immer wieder festgestellt worden, daß der Verwaltung eine angemessene Frist zur Erstellung der Beurteilung nach dem in den Allgemeinen Durchführungsbestimmungen vorgesehenen Zeitpunkt zuzugestehen ist (Randnr. 72).

    Verweisung auf: Ditterich/Kommission,207/81, a. a. O., Randnr. 25; Gericht, 13. Dezember 1990, Moritz/Kommission, T-29/89, Slg. 1990, II-787, Randnr. 21.

    Nach alledem gibt es in der vorliegenden Rechtssache keine beschwerende Maßnahme, gegen die sich eine Klage richten könnte (Randnr. 73).

    Tenor:

    Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

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