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Document 61992TJ0034

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

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1. Handlungen der Organe ° Gültigkeitsvermutung ° Bestreiten ° Beweisaufnahme durch den Gemeinschaftsrichter ° Voraussetzungen

(EWG-Vertrag, Artikel 189)

2. Wettbewerb ° Verwaltungsverfahren ° Anhörungen ° Niederschrift ° Änderung ° Unterrichtung der betroffenen Unternehmen ° Modalitäten

3. Handlungen der Organe ° Begründungspflicht ° Umfang ° Entscheidung, mit der eine ständige Entscheidungspraxis fortgesetzt wird ° Notwendigkeit einer ausführlichen Begründung nur dann, wenn über die bisherige Praxis hinausgegangen wird

(EWG-Vertrag, Artikel 190)

4. Handlungen der Organe ° Begründungspflicht ° Umfang ° Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln ° Entscheidung der Kommission, mit der eine Freistellung versagt wird

(EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 3 und Artikel 190)

5. Wettbewerb ° Kartelle ° Verbot ° Abstellung der Zuwiderhandlungen ° Anordnungen an die Unternehmen ° Deklaratorischer Charakter einer Anordnung, sich nicht an einer Zusammenarbeit von der Art derjenigen zu beteiligen, für die eine Freistellung versagt worden ist

(EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 3 Absatz 1)

6. Wettbewerb ° Kartelle ° Beeinträchtigung des Wettbewerbs ° Vereinbarung ohne wettbewerbswidrigen Zweck ° Beurteilung im Hinblick auf die Auswirkungen auf den Markt ° Kriterien

(EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

7. Wettbewerb ° Kartelle ° Beeinträchtigung des Wettbewerbs ° Vereinbarung über die Einrichtung eines Informationsaustauschsystems, das weder die Preise betrifft noch zur Unterstützung eines anderen wettbewerbswidrigen Mechanismus dient ° Zulässigkeit auf einem vom Wettbewerb geprägten Markt ° Unzulässigkeit auf einem oligopolistischen Markt

(EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

8. Wettbewerb ° Kartelle ° Verbot ° Freistellung ° Kumulativer Charakter der Voraussetzungen für die Freistellung

(EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 3)

9. Wettbewerb ° Kartelle ° Verbot ° Freistellung ° Verpflichtung des Unternehmens, die Begründetheit seines Antrags darzutun

(EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 3)

Leitsätze

1. Für eine Entscheidung der Kommission gilt, wenn kein Anhaltspunkt für ihre eventuelle Ungültigkeit vorliegt, die Gültigkeitsvermutung für Rechtsakte der Gemeinschaften. Hat der Kläger nicht den geringsten Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit dieser Vermutung vorgebracht, so steht es dem Gemeinschaftsrichter nicht zu, Beweiserhebungen anzuordnen, um zu klären, ob die in der Geschäftsordnung der Kommission vorgeschriebenen Förmlichkeiten im betreffenden Fall eingehalten worden sind.

2. Wird in einem Verfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln eine Änderung der Niederschrift über die Anhörung des beschuldigten Unternehmens unmittelbar diesem und nicht seinem Rechtsbeistand zur Kenntnis gebracht, so kann dies die Wirksamkeit der so übermittelten Mitteilung nicht in Frage stellen.

3. Wird mit einer Entscheidung eine ständige Entscheidungspraxis fortgesetzt, so kann sie summarisch, insbesondere durch Hinweis auf diese Praxis, begründet werden. Geht eine Entscheidung dagegen erheblich weiter als die bisherigen Entscheidungen, so hat die Kommission ihre Gründe ausführlich darzulegen.

4. Zwar ist Artikel 85 Absatz 2 des Vertrages dahin auszulegen, daß die Nichtigkeit auf die wettbewerbswidrigen Teile einer Vereinbarung zu beschränken ist, falls diese von den anderen Teilen der Vereinbarung getrennt werden können, und daß die Kommission daher im gegenteiligen Fall in der Begründung ihrer Entscheidung angeben muß, weshalb sich diese Teile nach ihrer Auffassung nicht von den anderen Teilen der Vereinbarung trennen lassen. Diese Auslegung lässt sich aber nicht ohne weiteres auf die Prüfung eines Freistellungsantrags nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages übertragen. Denn in diesem Fall ist es Sache der Kommission, bei der Entscheidung über den ihr vorgelegten Antrag der Unternehmen, die die Anmeldung vorgenommen haben, ihren Standpunkt in bezug auf die Vereinbarung, wie sie bei ihr angemeldet worden ist, festzulegen, es sei denn, daß sich die Parteien während der Prüfung der Angelegenheit zu einzelnen Änderungen der angemeldeten Vereinbarung bereit finden.

5. Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages legt ein grundsätzliches Verbot aller wettbewerbswidrigen Vereinbarungen fest. Diese zwingende Vorschrift gilt daher für die betroffenen Unternehmen unabhängig von jeder Anordnung, die die Kommission möglicherweise an sie richtet.

Daher ist ein Verbot als rein deklaratorisch anzusehen, das im verfügenden Teil einer Entscheidung, durch die eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages abgelehnt wird, enthalten ist und durch das den Unternehmen, die die Anmeldung vorgenommen haben, untersagt wird, sich an irgendeiner Zusammenarbeit mit einem gleichartigen oder ähnlichen Ziel wie die angemeldete Vereinbarung zu beteiligen.

6. Wird mit einer Vereinbarung keine Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt, so kann sie nur wegen ihrer Auswirkungen auf den Markt beanstandet werden. In einem solchen Fall ist bei der Beurteilung etwaiger wettbewerbswidriger Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb abzustellen, wie er ohne die streitige Vereinbarung bestehen würde.

7. Eine Vereinbarung über die Einrichtung eines Informationsaustauschsystems, das weder die Preise betrifft noch zur Unterstützung eines anderen wettbewerbswidrigen Mechanismus dient, ist auf einem wirklich vom Wettbewerb geprägten Markt geeignet, den Wettbewerb auf der Angebotsseite zu verstärken, da der Umstand, daß ein Wirtschaftsteilnehmer Informationen, über die er verfügt, berücksichtigt, um sein Verhalten auf dem Markt anzupassen, angesichts der Zersplitterung des Angebots nicht geeignet ist, bei den anderen Wirtschaftsteilnehmern die Unsicherheit über die Vorhersehbarkeit des Verhaltens der Wettbewerber zu verringern oder ganz zu beseitigen. Werden dagegen auf einem hochgradig konzentrierten oligopolistischen Markt, auf dem der Wettbewerb bereits stark eingeschränkt und der Austausch von Informationen erleichtert ist, unter den Wirtschaftsteilnehmern, auf die der grösste Teil des Angebotsvolumens entfällt, allgemein in kurzen zeitlichen Abständen genaue Informationen ausgetauscht, so ist dies geeignet, den noch bestehenden Wettbewerb unter den Wirtschaftsteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Bei einer solchen Fallgestaltung werden nämlich durch die regelmässige und häufige Zusammenfassung der Informationen über das Marktgeschehen allen Wettbewerbern in festen Zeitabständen die Marktpositionen und die Strategien der einzelnen Wettbewerber offengelegt.

8. Die vier Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz 3 des Vertrages für eine Einzelfreistellung einer bei der Kommission ordnungsgemäß angemeldeten Vereinbarung müssen gleichzeitig vorliegen, so daß die Kommission, wenn eine von ihnen nicht erfuellt ist, den bei ihr eingereichten Antrag von Rechts wegen ablehnen kann.

9. Wird eine Einzelfreistellung vom Kartellverbot beantragt, so ist es in erster Linie Sache der betreffenden Unternehmen, der Kommission die Beweise dafür vorzulegen, daß die Vereinbarung die Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz 3 des Vertrages erfuellt.

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