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Document 62005TJ0456

Urteil des Gerichts (Fünfte Kammer) vom 28. April 2010.
Gütermann AG und Zwicky & Co. AG gegen Europäische Kommission.
Wettbewerb – Kartelle – Europäischer Markt für Industriegarne – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR‑Abkommens festgestellt wird – Geldbußen – Schwere der Zuwiderhandlung – Konkrete Auswirkungen auf den Markt – Dauer der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren – Verhältnismäßigkeit – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen.
Verbundene Rechtssachen T-456/05 und T-457/05.

Sammlung der Rechtsprechung 2010 II-01443

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2010:168

Verbundene Rechtssachen T‑456/05 und T‑457/05

Gütermann AG und

Zwicky & Co. AG

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Europäischer Markt für Industriegarne – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR-Abkommens festgestellt wird – Geldbußen – Schwere der Zuwiderhandlung – Konkrete Auswirkungen auf den Markt – Dauer der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren – Verhältnismäßigkeit – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen“

Leitsätze des Urteils

1.      Gemeinschaftsrecht – Auslegung – Handlungen der Organe – Begründung

2.      Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Zuwiderhandlungen – Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die als einheitliche Zuwiderhandlung eingestuft werden können –Zurechnung einer Haftung an ein Unternehmen aufgrund einer Beteiligung an der Zuwiderhandlung als Ganzes – Zulässigkeit

(Art. 81 Abs. 1 EG)

3.      Wettbewerb – Kartelle – Zurechnung an ein Unternehmen – Verantwortlichkeit für Handlungen anderer Unternehmen im Rahmen der gleichen Zuwiderhandlung – Zulässigkeit – Kriterien

(Art. 81 Abs. 1 EG)

4.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Abstellung der Zuwiderhandlungen – Befugnis der Kommission – Anordnungen an die Unternehmen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 7 Abs. 1)

5.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Höchstbetrag

(Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 2)

6.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung – Möglichkeit der Anhebung des Niveaus der Geldbußen, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken

(Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 2)

7.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Angemessenheit – Gerichtliche Nachprüfung

(Art. 229 EG und 253 EG; Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 17, und Nr. 1/2003, Art. 31)

8.      Nichtigkeitsklage – Gerichtliche Nachprüfung – Grenzen der Befassung

(Art. 233 EG)

9.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Konkrete Auswirkungen auf den Markt – Beurteilungskriterien

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

10.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Dauer der Zuwiderhandlung – Zuwiderhandlungen von langer Dauer

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr.1 B Abs. 1)

11.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Tatsächliche Nichtdurchführung einer Vereinbarung – Beurteilung anhand des individuellen Verhaltens jedes einzelnen Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A Abs. 1 und Nr. 3)

12.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Passive Mitwirkung oder Mitläufertum des Unternehmens

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nrn. 2 und 3)

13.    Verfahren – Vorbringen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens – Voraussetzungen – Neues Vorbringen – Begriff

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 48 § 2)

14.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Herabsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für eine Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens – Voraussetzungen – Ermessen der Kommission

(Verordnung Nr. 17 des Rates; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission, Abschnitt D Nr. 2)

15.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Festsetzung der Geldbuße entsprechend der Gesichtspunkte zur Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

1.      Der verfügende Teil eines Rechtsakts kann nicht von seiner Begründung getrennt werden, so dass er, wenn dies erforderlich ist, unter Berücksichtigung der Gründe auszulegen ist, die zu seinem Erlass geführt haben.

(vgl. Randnr. 41)

2.      Ein Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG kann sich nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem fortlaufenden Verhalten ergeben. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass ein oder mehrere Teile dieser Reihe von Handlungen oder dieses fortgesetzten Verhaltens auch für sich genommen und isoliert betrachtet einen Verstoß gegen die genannte Vorschrift darstellen könnten.

Die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung setzt sich oft aus einer Reihe von Handlungen zusammen, die zeitlich aufeinander folgen und auch für sich genommen zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich ereignen, einen Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften darstellen können. Die Besonderheit dieser Handlungen besteht darin, dass sie Teil einer Gesamtstrategie sind.

(vgl. Randnrn. 45-46)

3.      Ein Unternehmen, das sich durch eigene Handlungen, die unter den Begriff der auf ein wettbewerbswidriges Ziel gerichteten Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG fallen und auf die Mitwirkung an der Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit abzielen, an einer komplexen einheitlichen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln beteiligt hat, kann für die gesamte Zeit seiner Beteiligung an der genannten Zuwiderhandlung auch für das Verhalten verantwortlich sein, das andere Unternehmen im Rahmen der Zuwiderhandlung an den Tag legen, wenn das betreffende Unternehmen nachweislich von dem eine Zuwiderhandlung darstellenden Verhalten der anderen Beteiligten weiß oder sie vernünftigerweise vorhersehen kann und bereit ist, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.

Ein Unternehmen kann gegen das in Art. 81 Abs. 1 EG vorgesehene Verbot verstoßen, wenn sein mit dem Verhalten anderer Unternehmen koordiniertes Verhalten die Einschränkung des Wettbewerbs auf einem relevanten speziellen Markt innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt, ohne dass dies unbedingt voraussetzen würde, dass es selbst auf diesem relevanten Markt tätig ist.

(vgl. Randnrn. 50, 53)

4.      Die Wahrnehmung der Befugnis zum Erlass von Anordnungen durch die Kommission muss der Natur der festgestellten Zuwiderhandlung angepasst sein.

In dem Maße, in dem ein Unternehmen nicht mehr auf dem in Rede stehenden Gebiet tätig ist, ist es tatsächlich nicht mehr von der fraglichen Anordnung, die Zuwiderhandlungen einzustellen, betroffen. Es kann also insoweit keine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorliegen.

Die Anwendung von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln kann das Verbot umfassen, bestimmte Tätigkeiten, Praktiken oder Sachverhalte fortzuführen oder fortdauern zu lassen, deren Rechtswidrigkeit festgestellt worden ist, aber auch das Verbot, sich künftig ähnlich zu verhalten oder jegliche Maßnahme zu ergreifen, die geeignet wäre, einen ähnlichen Zweck zu verfolgen oder eine ähnliche Wirkung zu haben.

Hat das betreffende Unternehmen sich nicht verpflichtet, sein wettbewerbswidriges Verhalten nicht zu wiederholen, ist die Kommission berechtigt, die Anordnung mit einzubeziehen, sich künftig jeder Maßnahme zu enthalten, die geeignet wäre, einen ähnlichen Zweck zu verfolgen oder eine ähnliche Wirkung zu haben, selbst wenn dieses Unternehmen auf dem vom Kartell betroffenen Gebiet nicht mehr tätig ist.

Derartige Maßnahmen dürfen jedoch nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des angestrebten Ziels angemessen und erforderlich ist.

(vgl. Randnrn. 61, 63, 65, 67)

5.      Bei der Bestimmung des Begriffs „vorausgegangenes Geschäftsjahr“ muss die Kommission in jedem Einzelfall sowie unter Berücksichtigung des Zusammenhangs und der Ziele, die mit der Sanktionsregelung der Verordnung Nr. 17 und der Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln verfolgt werden, die beabsichtigte Wirkung auf das betreffende Unternehmen beurteilen und dabei insbesondere einen Umsatz berücksichtigen, der die tatsächliche wirtschaftliche Situation des Unternehmens in dem Zeitraum widerspiegelt, in dem die Zuwiderhandlung begangen wurde.

Aus den Zielen der Regelung, zu der Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 gehören, und aus der Rechtsprechung ergibt sich jedoch, dass die Anwendung der Obergrenze von 10 % des Umsatzes zum einen voraussetzt, dass der Kommission die Umsatzzahlen für das letzte Geschäftsjahr vor dem Erlass der Entscheidung vorliegen, und zum anderen, dass diese Zahlen einem abgeschlossenen Jahr normaler wirtschaftlicher Tätigkeit entsprechen, das sich über einen Zeitraum von zwölf Monaten erstreckt.

Wenn das Geschäftsjahr vor Erlass der Entscheidung geendet hat, der Jahresabschluss des fraglichen Unternehmens aber noch nicht festgestellt oder der Kommission noch nicht mitgeteilt worden ist, ist diese somit bei der Anwendung von Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und von Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 berechtigt, ja sogar verpflichtet, den Umsatz heranzuziehen, der in einem früheren Geschäftsjahr erzielt worden ist. Ebenso kann die Kommission, wenn ein Unternehmen aufgrund der Umstellung oder Änderung seiner Abrechnungspraxis für das vorausgegangene Geschäftsjahr einen Abschluss vorlegt, der einen Zeitraum von weniger als 12 Monaten betrifft, im Rahmen der genannten Vorschriften einen Umsatz heranziehen, der in einem früheren, vollständigen Geschäftsjahr erzielt worden ist. Gleiches gilt, wenn ein Unternehmen im vorausgegangenen Geschäftsjahr keine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat und die Kommission somit nicht über Umsatzzahlen für eine Wirtschaftstätigkeit des Unternehmens im genannten Geschäftsjahr verfügt. Denn der Umsatz in diesem Zeitraum liefert keinen Anhaltspunkt für die Größe des Unternehmens und genügt damit nicht den Anforderungen der Rechtsprechung, so dass er nicht als Grundlage für die Bestimmung der Obergrenze nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 herangezogen werden kann.

Selbst in einem Jahr normaler wirtschaftlicher Tätigkeit kann der Umsatz eines Unternehmens aus verschiedenen Gründen wie z. B. wegen schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse, einer Krise in dem betreffenden Sektor, Schadensfällen oder eines Streiks im Vergleich zu den Vorjahren erheblich, ja sogar ganz entscheidend einbrechen. Hat ein Unternehmen jedoch in einem abgeschlossenen Geschäftsjahr, in dem es eine Geschäftstätigkeit, sei es auch in geringem Umfang, ausgeübt hat, tatsächlich einen Umsatz erwirtschaftet, muss die Kommission zur Bestimmung der Grenze nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 auf diesen Umsatz abstellen. Daher muss die Kommission zumindest in den Fällen, in denen es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass ein Unternehmen seine Geschäftstätigkeit eingestellt oder seinen Umsatz verfälscht hat, um einer schweren Geldbuße zu entgehen, die Höchstgrenze der Geldbuße nach dem letzten Umsatz festsetzen, der ein abgeschlossenes Jahr wirtschaftlicher Tätigkeit widerspiegelt.

(vgl. Randnrn. 89-90, 94-97)

6.      Die Befugnis der Kommission, gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln Geldbußen zu verhängen, ist eines der der Kommission zugewiesenen Mittel, um sie in die Lage zu versetzen, die ihr durch das Gemeinschaftsrecht übertragene Überwachungsaufgabe zu erfüllen.

Diese Aufgabe umfasst den Auftrag, einzelne Zuwiderhandlungen zu ermitteln und zu ahnden, sowie die Pflicht, eine allgemeine Politik mit dem Ziel zu verfolgen, die im Vertrag niedergelegten Grundsätze auf das Wettbewerbsrecht anzuwenden und das Verhalten der Unternehmen in diesem Sinne zu lenken. Sie umfasst ebenfalls die Aufgaben, rechtswidrige Verhaltensweisen zu ahnden und ihre Wiederholung zu verhüten.

Daraus folgt, dass die Kommission auf den abschreckenden Charakter der Geldbußen achten muss.

(vgl. Randnrn. 79, 91)

7.      In Bezug auf Klagen gegen die Entscheidungen der Kommission, mit denen Unternehmen Geldbußen wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln auferlegt werden, hat der Gemeinschaftsrichter im Rahmen der ihm durch Art. 229 EG, Art. 17 der Verordnung Nr. 17 und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln eingeräumten Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung zu beurteilen, ob die Höhe der Geldbußen angemessen ist. Diese Beurteilung kann die Vorlage und die Berücksichtigung zusätzlicher Informationen erfordern, die an sich nicht in der die Geldbuße auferlegenden Entscheidung erwähnt zu werden brauchen, damit diese dem Begründungserfordernis gemäß Art. 253 EG genügt.

(vgl. Randnrn. 105-106)

8.      Beschließt ein Adressat einer Entscheidung, Nichtigkeitsklage zu erheben, wird der Gemeinschaftsrichter nur mit den Teilen der Entscheidung befasst, die diesen Adressaten betreffen. Diejenigen Teile, die andere Adressaten betreffen und nicht angefochten worden sind, sind nicht Teil des Streitgegenstands, über den der Gemeinschaftsrichter zu entscheiden hat.

(vgl. Randnr. 112)

9.      Die Kommission muss sich, wenn sie die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt beurteilt, auf den Wettbewerb beziehen, der normalerweise ohne die Zuwiderhandlung geherrscht hätte. Um auf eine Auswirkung auf den Markt schließen zu können, genügt es, dass die vereinbarten Preise als Grundlage für die Festlegung individueller Verkaufspreise dienten und damit den Verhandlungsspielraum der Kunden einschränkten.

Dagegen kann von der Kommission, wenn die Umsetzung eines Kartells erwiesen ist, nicht verlangt werden, systematisch darzutun, dass die Vereinbarungen es den beteiligten Unternehmen tatsächlich ermöglicht haben, ein höheres Niveau der Verkaufspreise zu erreichen, als es ohne das Kartell bestanden hätte. Es wäre unverhältnismäßig, eine solche Darlegung zu verlangen, die beträchtliche Ressourcen in Anspruch nehmen würde, weil sie den Rückgriff auf hypothetische Berechnungen anhand wirtschaftlicher Modelle erfordern würde, deren Genauigkeit nur schwer gerichtlich nachprüfbar und deren Unfehlbarkeit keineswegs erwiesen ist. Bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung ist nämlich entscheidend, ob die Kartellmitglieder alles in ihrer Macht Stehende taten, damit ihre Pläne konkrete Auswirkungen hatten. Was dann auf der Ebene der tatsächlich erzielten Marktpreise geschah, konnte durch andere, von den Kartellmitgliedern nicht kontrollierbare Faktoren beeinflusst werden. Die Kartellmitglieder können externe Faktoren, die ihre Bemühungen durchkreuzten, nicht zu ihren Gunsten anführen und zu Umständen umdeuten, die eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigen.

Das tatsächliche Verhalten, das ein Unternehmen an den Tag gelegt zu haben vorgibt, ist für die Beurteilung der Auswirkung eines Kartells auf den Markt ohne Belang. Zu berücksichtigen sind allein die Auswirkungen der gesamten Zuwiderhandlung. Somit erfolgt die Berücksichtigung des eine wettbewerbsrechtliche Zuwiderhandlung darstellenden Verhaltens eines betroffenen Unternehmens zur Beurteilung seiner individuellen Lage, kann aber keinen Einfluss auf die Einstufung der Zuwiderhandlung in die Kategorie der „besonders schweren“ Verstöße haben.

Bei einer Zuwiderhandlung von langer Dauer ist es wenig wahrscheinlich, dass die betroffenen Unternehmen die ihnen vorgeworfenen Praktiken als völlig wirkungs- und nutzlos angesehen haben sollten.

Die Art der Zuwiderhandlung spielt, insbesondere wenn es darum geht, Zuwiderhandlungen als „besonders schwer“ einzustufen, eine übergeordnete Rolle. In dieser Hinsicht ergibt sich aus der Beschreibung der besonders schweren Verstöße in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, dass Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die u. a. auf die Preisfestsetzung abzielen, allein aufgrund ihres Wesens zu der Einstufung als „besonders schwer“ Anlass geben können, ohne dass derartige Verhaltensweisen durch eine Auswirkung oder eine besondere räumliche Reichweite gekennzeichnet sein müssten. Die Beschreibung der besonders schweren Verstöße enthält kein Erfordernis konkreter Auswirkungen auf den Markt oder auf einen bestimmten räumlichen Bereich.

(vgl. Randnrn. 126, 128-130, 133-134, 136-137)

10.    Die Dauer der Zuwiderhandlung ist eines der Elemente, die bei der Festsetzung der Höhe der gegen Unternehmen, die gegen die Wettbewerbsvorschriften verstoßen haben, zu verhängenden Geldbuße zu berücksichtigen sind. Für Verstöße von langer Dauer kann die Kommission automatisch den Erhöhungs-Höchstsatz von 10 % des für die Schwere des Verstoßes ermittelten Betrags pro Jahr anwenden. Auch wenn nämlich Nr. 1 B Abs. 1 dritter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, keine automatische Erhöhung von 10 % pro Jahr vorsieht, lässt er der Kommission insoweit einen Ermessensspielraum.

Nirgends in den Leitlinien ist es untersagt, die tatsächliche Dauer der Zuwiderhandlung im Rahmen der Berechnung der Höhe der Geldbuße zu berücksichtigen. Ein solches Vorgehen ist völlig logisch und vernünftig und vom Ermessen der Kommission gedeckt.

Wenn ein Unternehmen nachweislich von dem eine Zuwiderhandlung darstellenden Verhalten der anderen Beteiligten wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte und wenn es bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen, wird es auch für den gesamten Zeitraum seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung als für das Verhalten verantwortlich angesehen, das im Rahmen derselben Zuwiderhandlung von anderen Unternehmen an den Tag gelegt wurde. Die Kommission ist berechtigt, implizit die Ansicht zu vertreten, dass die Dauer der Zuwiderhandlung nicht nach der Intensität der Beteiligung des klagenden Unternehmens an der Zuwiderhandlung auf den betreffenden Märkten aufzuteilen sei. Wenn die Rolle, die das fragliche Unternehmen im Kartell gespielt hat, bei der Bestimmung des Ausgangsbetrags der Geldbuße zutreffend berücksichtigt worden ist, kann die Tatsache, dass das Unternehmen nicht an allen Bestandteilen des Kartells beteiligt war, nicht erneut bei der Bestimmung der Dauer der Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.

Die Erhöhung der Geldbuße anhand der Dauer der Zuwiderhandlung richtet sich prozentual nach dem Ausgangsbetrag, der anhand der Schwere des gesamten Verstoßes ermittelt wird und damit bereits die unterschiedliche Intensität der Zuwiderhandlung widerspiegelt. Es wäre deshalb nicht logisch, wenn im Rahmen der Erhöhung dieses Betrags wegen der Dauer der Zuwiderhandlung ein Schwanken der Intensität der Zuwiderhandlung im betreffenden Zeitraum berücksichtigt würde. Es ist wichtig, stets zwischen der tatsächlichen Wirkungsdauer des Kartells und seiner Schwere, wie sie sich aus seinem Wesen ergibt, zu unterscheiden.

(vgl. Randnrn. 147-148, 150, 152, 156-157, 159-160)

11.    Die in Nr. 3 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, genannten mildernden Umstände beruhen alle auf dem eigenen Verhalten jedes Unternehmens. Folglich ist bei ihrer Beurteilung nicht auf die sich aus der Zuwiderhandlung insgesamt ergebenden Wirkungen abzustellen, denen bei der Beurteilung der konkreten Auswirkungen eines Verstoßes auf den Markt zur Beurteilung der Schwere des Verstoßes Rechnung zu tragen ist, sondern auf das individuelle Verhalten jedes Unternehmens, um die relative Schwere des Tatbeitrags jedes einzelnen Unternehmens festzustellen.

Die Unternehmen müssen also weitere Argumente vorbringen, die für den Nachweis geeignet sind, dass sie sich im Zeitraum ihrer Teilnahme an den rechtswidrigen Vereinbarungen tatsächlich deren Durchführung entzogen, indem sie sich auf dem Markt wettbewerbskonform verhielten, oder dass sie sich zumindest den Verpflichtungen zur Umsetzung dieses Kartells so eindeutig und nachdrücklich widersetzten, dass dadurch dessen Funktionieren selbst gestört wurde.

(vgl. Randnrn. 178, 180)

12.    Eine passive Mitwirkung impliziert, dass sich das betroffene Unternehmen „nicht hervorgetan“, d. h. nicht aktiv an der Ausarbeitung der wettbewerbswidrigen Absprache(n) teilgenommen hat. Bei den Gesichtspunkten, die die passive Mitwirkung eines Unternehmens an einem Kartell offenbaren können, kann berücksichtigt werden, dass es deutlich seltener als die gewöhnlichen Mitglieder des Kartells an den Zusammenkünften teilgenommen hat, dass es später in den Markt, auf dem die Zuwiderhandlung stattgefunden hat, eingetreten ist, unabhängig davon, wie lange es an der Zuwiderhandlung mitgewirkt hat, oder dass es entsprechende ausdrückliche Aussagen von Vertretern dritter an der Zuwiderhandlung beteiligter Unternehmen gibt.

Nur unter besonderen Umständen ist die geringe Größe eines Unternehmens ein wichtiger Gesichtspunkt, der zu berücksichtigen ist. Haben dessen Führungskräfte mehrere Zusammenkünfte organisiert und bei ihnen die Funktion des Vorsitzenden wahrgenommen, so zieht die Kommission hieraus zu Recht den Schluss, dass kein passives Verhalten vorlag: Es steht fest, dass die Anberaumung von Treffen, der Vorschlag einer Tagesordnung und die Verteilung von Unterlagen zur Vorbereitung der Treffen mit der passiven Rolle eines Mitläufers, der sich nicht hervortut, unvereinbar sind. Derartige Initiativen lassen eine positive und aktive Haltung der betroffenen Unternehmen bei der Schaffung, Fortführung und Überwachung des Kartells erkennen.

Die Kommission ist durch eine Entscheidungspraxis nicht gebunden. Sie muss nicht deshalb, weil sie in früheren Fällen die wirtschaftliche Situation der Branche als mildernden Umstand berücksichtigt hat, diese Praxis unbedingt fortsetzen. Die Kommission muss die Umstände jedes Einzelfalls individuell prüfen, ohne dass sie dabei durch frühere Entscheidungen gebunden ist, die andere Wirtschaftsteilnehmer, andere Produkt- oder Dienstleistungsmärkte oder andere räumliche Märkte zu anderen Zeiten betrafen.

(vgl. Randnrn. 184-185, 189, 193-195)

13.    Aus den Bestimmungen des Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts folgt, dass neue Angriffs‑ und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können, es sei denn, sie werden auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.

Ein Angriffsmittel, das eine Erweiterung eines bereits vorher – unmittelbar oder implizit – in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels darstellt und mit diesem eng zusammenhängt, ist jedoch für zulässig zu erklären.

(vgl. Randnrn. 198-199)

14.    Hinsichtlich der Methode für die Berechnung von Geldbußen steht der Kommission ein weites Ermessen zu, und sie kann insoweit eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen, zu denen auch die Kooperationsbeiträge der betroffenen Unternehmen während der von den Dienststellen der Kommission durchgeführten Untersuchungen gehören. Die Zusammenarbeit eines Unternehmens mit der Kommission kann eine Herabsetzung der Geldbuße gemäß der Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen nur rechtfertigen, wenn sie die Aufgabe der Kommission erleichtert, die darin besteht, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung festzustellen und dieser Einhalt zu gebieten.

Die Kommission wird durch eine frühere Entscheidungspraxis nicht gebunden, wenn sie für ein bestimmtes Verhalten einen bestimmten Herabsetzungssatz gewährt; sie ist nicht gehalten, bei der Beurteilung eines ähnlichen Verhaltens im Rahmen eines späteren Verwaltungsverfahrens die gleiche proportionale Herabsetzung zu gewähren.

Bei der Beurteilung der Qualität und der Nützlichkeit des Kooperationsbeitrags eines Unternehmens, insbesondere im Vergleich zu den Beiträgen anderer Unternehmen, verfügt die Kommission über ein weites Ermessen. In diesem Rahmen muss die Kommission komplexe Tatsachenwürdigungen, wie die Würdigung der jeweiligen Kooperationsbeiträge dieser Unternehmen, vornehmen. Die in Abschnitt D Nr. 2 der Mitteilung über Zusammenarbeit enthaltene Liste der Umstände, die Anlass zu einer Herabsetzung der Geldbuße geben, ist nur beispielhaft.

Die Kommission kann die Nützlichkeit der gelieferten Information, die zwangsläufig von den sich bereits in ihrem Besitz befindlichen Beweismitteln abhängt, nicht außer Acht lassen. Wenn ein Unternehmen nur bestimmte Informationen, die ein anderes Unternehmen bereits gegeben hat, bestätigt und dies zudem weniger genau und weniger explizit geschieht, so erleichtert dies die Aufgabe der Kommission nicht erheblich und schließt eine Herabsetzung der Geldbuße aufgrund der Zusammenarbeit aus.

Die Kommission lässt Milde walten, wenn ein Unternehmen den Nachweis der Zuwiderhandlung erleichtert, und zwar ganz gleich, in welchem Stadium die Hilfe des Unternehmens erfolgt und ob diese Hilfe in der Lieferung neuer Informationen oder neuer Beweismittel bestand oder darin, dass der Sachverhalt oder dessen rechtliche Einstufung anerkannt wird.

Die Herabsetzung der Geldbuße im Hinblick auf die Zusammenarbeit hängt hauptsächlich von der Qualität und Nützlichkeit der geleisteten Zusammenarbeit ab, die die Kommission im Rahmen ihres weiten Wertungsspielraums beurteilt, wobei lediglich ein offenkundiges Überschreiten dieses Spielraums beanstandet werden kann.

Bei ihrer Beurteilung der Zusammenarbeit durch die Unternehmen darf die Kommission den Grundsatz der Gleichbehandlung nicht außer Acht lassen, der verletzt ist, wenn vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist.

Die Beurteilung der Nützlichkeit der Zusammenarbeit beruht nicht auf einer arithmetischen Formel, die von Amts wegen zu einer Herabsetzung um mindestens 20 % führt, wenn beide Gedankenstriche von Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit einschlägig sind.

(vgl. Randnrn. 219-225, 238, 246, 248)

15.    Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Handlungen der Gemeinschaftsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was für die Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist.

Bei der Bemessung von Geldbußen ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand von zahlreichen Faktoren zu ermitteln, und keinem dieser Faktoren ist gegenüber den anderen Beurteilungsfaktoren unverhältnismäßiges Gewicht beizumessen.

Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt in diesem Zusammenhang, dass die Kommission die Geldbuße verhältnismäßig nach den Faktoren festsetzen muss, die sie für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigt hat, und dass sie diese Faktoren dabei in schlüssiger und objektiv gerechtfertigter Weise bewerten muss.

Die Kommission ist nicht verpflichtet, bei der Bemessung der Geldbuße die schlechte Finanzlage eines Unternehmens zu berücksichtigen, da die Anerkennung einer solchen Verpflichtung darauf hinauslaufen würde, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Im Übrigen bedeutet, einmal unterstellt, dass eine von einer Gemeinschaftsbehörde getroffene Maßnahme zur Auflösung eines Unternehmens führt, eine derartige Auflösung eines Unternehmens in seiner bestehenden Rechtsform, auch wenn sie die finanziellen Interessen der Eigentümer, Aktionäre oder Anteilseigner beeinträchtigen kann, gleichwohl nicht, dass auch die durch das Unternehmen repräsentierten personellen, materiellen und immateriellen Mittel ihren Wert verlören.

Weder die Verordnung Nr. 17 noch die Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln oder die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, sehen vor, dass die Höhe der Geldbußen unmittelbar nach Maßgabe der Größe des betroffenen Marktes festzusetzen ist, da dieser Faktor nur ein einschlägiger Gesichtspunkt unter anderen ist.

Zwar sehen die Leitlinien nicht vor, dass die Höhe der Geldbußen anhand des Gesamtumsatzes oder des Umsatzes der Unternehmen auf dem betreffenden Markt berechnet wird; sie schließen es aber auch nicht aus, dass diese Umsätze bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden, damit die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gewahrt bleiben und wenn die Umstände es erfordern. Der Teil des Umsatzes, der mit den Waren erzielt wurde, auf die sich die Zuwiderhandlung bezog, kann einen zutreffenden Anhaltspunkt für das Ausmaß einer Zuwiderhandlung und für die Verantwortlichkeit jedes Kartellmitglieds auf den genannten Märkten liefern. Er ist nämlich ein objektives Element, das einen zutreffenden Maßstab für die Schädlichkeit dieser Verhaltensweise in Bezug auf das normale Spiel des Wettbewerbs und somit einen guten Indikator für die Fähigkeit jedes betroffenen Unternehmens darstellt, einen Schaden zu verursachen. Das Gemeinschaftsrecht enthält jedenfalls keinen allgemein anwendbaren Grundsatz, wonach die Sanktion in angemessenem Verhältnis zu dem Umsatz stehen muss, den das Unternehmen mit dem Verkauf des Produkts erzielt, auf das sich die Zuwiderhandlung bezog.

Für den Fall, dass gegen mehrere an der gleichen Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen Geldbußen verhängt werden, muss die Kommission nicht sicherstellen, dass die endgültigen Beträge der Geldbußen, die sich aus ihrer Berechnung für die betreffenden Unternehmen ergeben, jede Differenzierung zwischen diesen Unternehmen hinsichtlich ihres Gesamtumsatzes oder ihres Umsatzes auf dem fraglichen Produktmarkt wiedergeben. Die Kommission muss bei der Bemessung der Geldbuße nicht die Größe der betroffenen Unternehmen berücksichtigen; es gibt keinen Grund, kleine oder mittlere Unternehmen anders als andere Unternehmen zu behandeln, da diese Tatsache sie nicht von ihrer Verpflichtung zur Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften befreit.

(vgl. Randnrn. 260-261, 264, 266-267, 275, 277-283)







URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

28. April 2010(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Europäischer Markt für Industriegarne – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR‑Abkommens festgestellt wird – Geldbußen – Schwere der Zuwiderhandlung – Konkrete Auswirkungen auf den Markt – Dauer der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren – Verhältnismäßigkeit – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen“

In den verbundenen Rechtssachen T‑456/05 und T‑457/05

Gütermann AG mit Sitz in Gutach-Breisgau (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J. Burrichter und B. Kasten sowie Rechtsanwältin S. Orlikowski-Wolf,

Klägerin in der Rechtssache T‑456/05,

Zwicky & Co. AG mit Sitz in Wallisellen (Schweiz), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J. Burrichter und B. Kasten sowie Rechtsanwältin S. Orlikowski-Wolf,

Klägerin in der Rechtssache T‑457/05,

gegen

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch F. Castillo de la Torre, M. Schneider und K. Mojzesowicz, sodann durch F. Castillo de la Torre und K. Mojzesowicz als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung K (2005) 3452 der Kommission vom 14. September 2005 in einem Verfahren nach den Artikeln 81 [EG] und 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/38.337 – PO/Garne) in ihrer durch die Entscheidung K (2005) 3765 der Kommission vom 13. Oktober 2005 geänderten Fassung und, hilfsweise, Herabsetzung der mit dieser Entscheidung gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Vilaras sowie der Richter M. Prek (Berichterstatter) und V. M. Ciucǎ,

Kanzler: T. Weiler, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2008

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1.     Gegenstand des Rechtsstreits

1        Mit der Entscheidung K (2005) 3452 vom 14. September 2005 in einem Verfahren nach den Artikeln 81 [EG] und 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/38.337 – PO/Garne) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) in ihrer durch die Entscheidung K (2005) 3765 der Kommission vom 13. Oktober 2005 geänderten Fassung, von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 26. Januar 2008 (ABl. C 21, S. 10) veröffentlicht worden ist, stellte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften fest, dass die Klägerinnen, die Gütermann AG (im Folgenden: Gütermann) und die Zwicky & Co. AG (im Folgenden: Zwicky), an einer Reihe von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen auf dem Markt für Garne für Industriekunden in den Benelux- und den nordischen Ländern beteiligt gewesen seien, und zwar Gütermann im Zeitraum von Januar 1990 bis September 2001 und Zwicky im Zeitraum von Januar 1990 bis November 2000.

2        Gegen Gütermann verhängte die Kommission eine Geldbuße von 4,021 Millionen Euro und gegen Zwicky eine Geldbuße von 0,174 Millionen Euro wegen ihrer Beteiligung an dem Industriegarne betreffenden Kartell in den Benelux- und den nordischen Ländern.

2.     Verwaltungsverfahren

3        Am 7. und am 8. November 2001 führte die Kommission in den Geschäftsräumen mehrerer Hersteller von Nähgarn Nachprüfungen gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81 EG] und [82 EG] (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204) durch. Diese Nachprüfungen erfolgten aufgrund von Auskünften, die The English Needle & Tackle Company im August 2000 erteilt hatte.

4        Am 26. November 2001 stellte die Coats Viyella plc (im Folgenden: Coats) gemäß der Mitteilung der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 1996, C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit) einen Kronzeugenantrag, dem Beweise für das Vorliegen folgender Kartelle beigefügt waren: erstens eines Kartells auf dem Markt für Garne für die Automobilindustrie im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), zweitens eines Kartells auf dem Markt für Garne für Industriekunden im Vereinigten Königreich und drittens eines Kartells auf dem Markt für Garne für Industriekunden in den Beneluxländern sowie in Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden (im Folgenden zusammen: nordische Länder).

5        Die Kommission richtete aufgrund der Schriftstücke, die sie bei den Nachprüfungen mitgenommen hatte, und derjenigen, die sie von Coats erhalten hatte, im März und im August 2003 Auskunftsverlangen im Sinne des Art. 11 der Verordnung Nr. 17 an die betroffenen Unternehmen.

6        Am 15. März 2004 nahm die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die sie an mehrere Unternehmen wegen ihrer Beteiligung an einem oder mehreren der oben in Randnr. 4 genannten Kartelle richtete, darunter das Kartell auf dem Markt für Garne für Industriekunden in den Benelux- und den nordischen Ländern.

7        Alle Unternehmen, an die die Mitteilung der Beschwerdepunkte gesandt worden war, nahmen schriftlich Stellung. Gütermann antwortete im eigenen Namen und im Namen von Zwicky.

8        Am 19. und 20. Juli 2004 fand eine Anhörung statt.

9        Am 24. September 2004 wurde den Beteiligten Zugang zu der nichtvertraulichen Fassung der Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte sowie zu den Stellungnahmen der Beteiligten zu der Anhörung gewährt und ihnen eine Frist für weitere Stellungnahmen eingeräumt.

10      Am 14. September 2005 erließ die Kommission die angefochtene Entscheidung.

3.     Angefochtene Entscheidung

 Bestimmung der relevanten Märkte

 Produktmarkt

11      In der angefochtenen Entscheidung weist die Kommission darauf hin, dass der Wirtschaftszweig Garne in zwei Kategorien unterteilt werden könne, nämlich zum einen den der Industriegarne zum Nähen oder Sticken verschiedener Bekleidungs- und sonstiger Waren wie Lederwaren, Erzeugnisse für die Automobilindustrie und Matratzen, und zum anderen den Markt der für Endverbraucher bestimmten Garne, die Einzelpersonen zum Nähen, Stopfen und für Handarbeiten verwendeten.

12      Die Kategorie der Industriegarne könne entsprechend ihrer Verwendung in drei Gruppen unterteilt werden: Bekleidungsnähgarne für verschiedene Arten von Bekleidungswaren, Stickereigarne, die auf computergestützten industriellen Stickmaschinen zur Verschönerung von Bekleidungswaren, Sportschuhen und Möbeln verwendet würden, und Spezialgarne, die in verschiedenen Wirtschaftszweigen wie bei der Herstellung von Schuhen und Lederwaren sowie in der Automobilindustrie verwendet würden.

13      Nach Ansicht der Kommission können, da kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Endverwendung und der Faserart und/oder der Garnstruktur bestehe, Industriegarne von der Angebotsseite her betrachtet als ein einziger Produktmarkt gelten.

14      Die Kommission unterscheidet allerdings zwischen den Garnen für die Automobilindustrie und den übrigen Industriegarnen. Denn obwohl diese beiden Garnarten ähnliche oder leicht substituierbare Herstellungsprozesse durchliefen, stamme die Nachfrage der Automobilindustrie von Großkunden, die für einige der von ihnen verwendeten Produkte – beispielsweise Garne für Sicherheitsgurte – höhere Anforderungen stellten und in den verschiedenen Ländern, in denen sie die Garne benötigten, Wert auf die Gleichartigkeit der Waren legten.

15      In den vorliegenden Sachen sei der Produktmarkt, für den die den Klägerinnen zur Last gelegte Zuwiderhandlung geprüft werde, der Markt für Industriegarne unter Ausschluss der Automobilindustrie (im Folgenden: Industriegarne).

 Die räumlichen Märkte

16      In der angefochtenen Entscheidung stellt die Kommission fest, dass nach den von den Parteien gelieferten Informationen der räumlich relevante Markt für Industriegarne ein regionaler Markt sei. Die Region könne sich je nach Fall über mehrere Länder des EWR, beispielsweise die Benelux- oder die nordischen Länder, oder auf ein einziges Land, beispielsweise das Vereinigte Königreich, erstrecken.

17      Der im vorliegenden Fall von der den Klägerinnen zur Last gelegten Zuwiderhandlung betroffene räumliche Markt sei der Markt in den Benelux- und den nordischen Ländern.

 Größe und Struktur der relevanten Märkte

18      Aus der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass sich der Umsatz mit Industriegarnen in den Benelux- und den nordischen Ländern auf rund 50 Millionen Euro im Jahr 2000 und rund 40 Millionen Euro im Jahr 2004 belief.

19      Außerdem ergibt sich aus dieser Entscheidung, dass Ende der Neunzigerjahre insbesondere Gütermann, Zwicky, Amann und Söhne GmbH & Co. KG (im Folgenden: Amann), Barbour Threads Ltd, bevor das Unternehmen von Coats übernommen wurde, Belgian Sewing Thread NV (im Folgenden: BST) und Coats die wichtigsten Lieferanten von Industriegarnen in den Benelux- und den nordischen Ländern waren.

 Beschreibung der Verstöße

20      In der angefochtenen Entscheidung weist die Kommission darauf hin, dass sich die Vorkommnisse betreffend das Kartell auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern zwischen 1990 und 2001 zugetragen hätten.

21      Die betreffenden Unternehmen hätten mindestens einmal im Jahr ein Treffen abgehalten, und diese Zusammenkünfte hätten in Form zweier Sitzungen – die eine für den Markt der Beneluxländer, die andere für den der nordischen Länder – stattgefunden, wobei das Hauptziel dieser Zusammenkünfte darin bestanden habe, die Preise auf jedem dieser beiden Märkte auf einem hohen Niveau zu halten.

22      Die Teilnehmer hätten Preislisten und Informationen über Rabatte, über die Erhöhung der Listenpreise, über die Senkung von Preisnachlässen und über die Erhöhung der Sonderpreise für bestimmte Kunden ausgetauscht. Es seien auch Vereinbarungen über die zukünftigen Preislisten, Maximalrabatte, Rabattsenkungen und die Erhöhung der Sonderpreise für bestimmte Kunden sowie Vereinbarungen zwecks Verhinderung der Unterbietung der Preise des etablierten Lieferanten und Aufteilung der Kunden geschlossen worden (angefochtene Entscheidung, Erwägungsgründe 99 bis 125).

 Verfügender Teil der angefochtenen Entscheidung

23      In Art. 1 Abs. 1 der angefochtenen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass acht Unternehmen, darunter Gütermann und Zwicky, dadurch gegen Art. 81 EG und gegen Art. 53 des EWR-Abkommens verstoßen hätten, dass sie sich, was Gütermann betrifft, in der Zeit von Januar 1990 bis September 2001 und, was Zwicky angeht, von Januar 1990 bis November 2000 an einer Reihe von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern beteiligt hätten.

24      Mit Art. 2 Abs. 1 der angefochtenen Entscheidung wurden insbesondere gegen folgende Unternehmen für das Kartell auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern folgende Geldbußen verhängt:

–        Coats: 15,05 Millionen Euro;

–        Amann: 13,09 Millionen Euro;

–        BST: 0,979 Millionen Euro;

–        Gütermann: 4,021 Millionen Euro;

–        Zwicky: 0,174 Millionen Euro.

25      In Art. 3 der angefochtenen Entscheidung gab die Kommission den in der genannten Entscheidung aufgeführten Unternehmen auf, die Zuwiderhandlungen, die sie festgestellt habe, unverzüglich einzustellen, soweit dies nicht bereits geschehen sei. Sie verpflichtete sie außerdem dazu, von der Wiederholung der in Art. 1 der angefochtenen Entscheidung genannten Handlungen sowie von allen Handlungen oder Verhaltensweisen abzusehen, die einen ähnlichen Zweck bzw. eine ähnliche Wirkung hätten.

 Verfahren und Anträge der Parteien

26      Die Klägerinnen haben mit Klageschriften, die am 30. Dezember 2005 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, die vorliegenden Klagen erhoben.

27      Gütermann beantragt in der Rechtssache T‑456/05,

–        Art. 1 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin ein Verstoß der Klägerin gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen für den Markt Finnlands, Norwegens und Schwedens für die Zeit von Januar 1990 bis September 2001 und, hilfsweise, für die Zeit von Januar 1990 bis einschließlich Dezember 1993 festgestellt wird;

–        Art. 2 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin der Klägerin eine Geldbuße von 4,021 Millionen Euro auferlegt wird, oder, hilfsweise, den Betrag dieser Geldbuße angemessen herabzusetzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

28      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        Gütermann die Kosten aufzuerlegen.

29      Zwicky beantragt in der Rechtssache T‑457/05,

–        Art. 1 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin ein Verstoß der Klägerin gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen für den Markt Finnlands, Norwegens und Schwedens für die Zeit von Januar 1990 bis November 2000 und, hilfsweise, für die Zeit von Januar 1990 bis einschließlich Dezember 1993 festgestellt wird;

–        Art. 2 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin der Klägerin eine Geldbuße von 0,174 Millionen Euro auferlegt wird, oder, hilfsweise, den Betrag dieser Geldbuße angemessen herabzusetzen;

–        Art. 3 der angefochtenen Entscheidung bezüglich der Klägerin für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

30      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        Zwicky die Kosten aufzuerlegen.

31      Mit Beschluss vom 9. Dezember 2008 hat der Präsident der Fünften Kammer des Gerichts nach Anhörung der Parteien beschlossen, die Rechtssachen T‑456/05 und T‑457/05 gemäß Art. 50 der Verfahrensordnung des Gerichts zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden.

 Rechtliche Würdigung

32      Erstens machen die Klägerinnen zwei Klagegründe hinsichtlich des eine Zuwiderhandlung darstellenden Verhaltens geltend. Sie führen zunächst den Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) an. Zwicky führt sodann einen Klagegrund an, wonach die Anordnungen, die Zuwiderhandlung abzustellen und sich ihrer Wiederholung zu enthalten, nicht gerechtfertigt seien.

33      Zweitens machen die Klägerinnen eine Reihe von Klagegründen geltend, die auf die Aufhebung oder Herabsetzung der Geldbuße gerichtet sind. Zum einen wirft Zwicky der Kommission vor, gegen sie eine Geldbuße verhängt zu haben, deren Betrag die Obergrenze von 10 % ihres Umsatzes übersteige. Zum anderen machen die Klägerinnen fünf Klagegründe geltend, die aus einer unzutreffenden Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung im Hinblick auf deren Wirkungen, einer unzutreffenden Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlung, der Nichtberücksichtigung bestimmter mildernder Umstände, einer unzutreffenden Beurteilung der Mitteilung über Zusammenarbeit und der Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße hergeleitet werden.

1.     Zu den Klagegründen, die gegen die Feststellung eines Verstoßes und die Anordnungen gerichtet sind, diesen abzustellen und nicht zu wiederholen

 Zum von Gütermann und Zwicky geltend gemachten Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003

 Vorbringen der Parteien

34      Nach Ansicht der Klägerinnen hat die Kommission gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen, der bestimmt: „Stellt die Kommission auf eine Beschwerde hin oder von Amts wegen eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 [EG] oder Artikel 82 [EG] fest, so kann sie die beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen.“ Indem die Kommission nämlich den Klägerinnen zum Vorwurf gemacht habe, durch ihre Beteiligung an Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, und zwar Gütermann im Zeitraum von Januar 1990 bis September 2001 und Zwicky im Zeitraum von Januar 1990 bis November 2000, auf den Märkten für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR‑Abkommens verstoßen zu haben, habe sie die Tatsache nicht berücksichtigt, dass das EWR‑Abkommen erst am 1. Januar 1994 in Kraft getreten sei und somit seine Bestimmungen vor diesem Datum für Finnland, Norwegen und Schweden nicht gegolten hätten. Außerdem sei, da Finnland und Schweden der Europäischen Gemeinschaft erst am 1. Januar 1995 beigetreten seien, Art. 81 EG erst zu diesem Zeitpunkt unmittelbar anwendbar geworden.

35      Die Klägerinnen sind außerdem der Ansicht, dass die Kommission zu Recht der Auffassung gewesen sei, eine Zuwiderhandlung im Rechtssinn, d. h. ein Verstoß gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR‑Abkommens aufgrund ihres Verhaltens, habe für Finnland, Norwegen und Schweden erst ab dem 1. Januar 1994 vorliegen können. Der Kommission sei somit ein Fehler unterlaufen, indem sie in rechtlicher Hinsicht vom Vorliegen einer sich lediglich intensivierenden Zuwiderhandlung ausgegangen sei. Die Kommission unterscheide nicht zwischen der tatsächlichen Würdigung des Verhaltens der Klägerinnen als einheitliches und von Januar 1990 bis September 2001 (Gütermann) bzw. von Januar 1990 bis November 2000 (Zwicky) fortgesetztes Kartell und der rechtlichen Bewertung dieses Verhaltens als Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften innerhalb dieser beiden Zeiträume.

36      Ferner halten die Klägerinnen ihren Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 für zulässig. Die Kommission mache zu Unrecht geltend, dieser Klagegrund sei deshalb unzulässig, weil die Klägerinnen keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler bei der Einordnung ihres Verhaltens als einheitliches und fortgesetztes Kartell rügten. Die Kommission habe das Verhalten der Klägerinnen in tatsächlicher Hinsicht als einheitliches und fortgesetztes Kartell eingeordnet, was die Klägerinnen im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes nicht rügten. Dagegen enthalte Art. 1 Abs. 1 der angefochtenen Entscheidung eine rechtlich fehlerhafte Beurteilung, weil zum einen Zwicky auf dem Markt für Industriegarne der nordischen Länder nicht tätig gewesen sei und zum anderen für Schweden, Norwegen und Finnland im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 1993 kein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln vorgelegen haben könne.

37      Die Kommission macht in erster Linie geltend, der vorliegende Klagegrund sei unzulässig, und stellt hilfsweise dessen Begründetheit in Abrede.

 Würdigung durch das Gericht

38      Das Gericht ist der Ansicht, dass die Begründetheit des Klagegrundes eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 zu beurteilen ist, ohne dass seine Zulässigkeit geprüft zu werden braucht.

39      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in Art. 1 Abs. 1 Buchst. g und h der angefochtenen Entscheidung feststellt, dass die Klägerinnen durch ihre Beteiligung an aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen von Januar 1990 bis September 2001 (Gütermann) bzw. von Januar 1990 bis November 2000 (Zwicky) auf den Märkten für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR‑Abkommens verstoßen hätten.

40      Es ist festzustellen, dass dieser Artikel, isoliert betrachtet, so verstanden werden könnte, dass die Kommission eine Zuwiderhandlung der Klägerinnen durch ihre Beteiligung an aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen auf dem Markt für Industriegarne in Finnland, Norwegen und Schweden zwischen Januar 1990 und Dezember 1993, also vor Inkrafttreten des EWR‑Abkommens, bejaht hat. Es steht fest, dass zu dieser Zeit keine Rechtsgrundlage existierte, die es der Kommission erlaubt hätte, eine derartige Zuwiderhandlung den Klägerinnen anzulasten.

41      Allerdings ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass der verfügende Teil eines Rechtsakts nicht von seiner Begründung getrennt werden kann, so dass er, wenn dies erforderlich ist, unter Berücksichtigung der Gründe auszulegen ist, die zu seinem Erlass geführt haben (Urteil des Gerichtshofs vom 15. Mai 1997, TWD/Kommission, C‑355/95 P, Slg. 1997, I‑2549, Randnr. 21, Urteil des Gerichts vom 13. Juni 2000, EPAC/Kommission, T‑204/97 und T‑270/97, Slg. 2000, II‑2267, Randnr. 39).

42      Insoweit geht klar aus den Erwägungsgründen 246, 295 bis 298 und 331 der angefochtenen Entscheidung hervor, dass das Kartell, soweit es Finnland, Norwegen und Schweden betrifft, erst ab dem 1. Januar 1994, dem Datum des Inkrafttretens des EWR‑Abkommens, einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft und die des EWR dargestellt hat. Daher ist Art. 1 Abs. 1 Buchst. g und h der angefochtenen Entscheidung im Licht dieser klaren und unmissverständlichen Begründung zu lesen. Somit ist davon auszugehen, dass der verfügende Teil der angefochtenen Entscheidung so zu verstehen ist, dass für Finnland, Norwegen und Schweden der Tatbestand der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung erst ab dem 1. Januar 1994 vorgelegen hat.

43      Zweitens dringen die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen nicht durch, das im Kern darin besteht, die Kommission habe in der angefochtenen Entscheidung zwischen der rechtlichen Bewertung eines Verstoßes gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR‑Abkommens zum einen und der tatsächlichen Würdigung ihres Verhaltens als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung in den Erwägungsgründen 264 bis 277 der angefochtenen Entscheidung zum anderen unterschieden. Daraus folgern sie ebenfalls zu Unrecht, dass der Kommission, weil eine Zuwiderhandlung „im Rechtssinn“ für Finnland, Norwegen und Schweden erst ab dem 1. Januar 1994 habe vorliegen können, bei der Bejahung einer sich lediglich intensivierenden Zuwiderhandlung ein Fehler unterlaufen sei.

44      An erster Stelle ist zu beachten, dass die Klägerinnen keineswegs den Charakter der Zuwiderhandlung als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern in Frage gestellt haben.

45      Sodann ist daran zu erinnern, dass sich ein Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder auch aus einem fortlaufenden Verhalten ergeben kann. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass ein oder mehrere Teile dieser Reihe von Handlungen oder dieses fortgesetzten Verhaltens auch für sich genommen und isoliert betrachtet einen Verstoß gegen die genannte Vorschrift darstellen könnten (Urteil des Gerichtshofs vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni, C‑49/92 P, Slg. 1999, I‑4125, Randnr. 81, Urteil des Gerichts vom 5. April 2006, Degussa/Kommission, T‑279/02, Slg. 2006, II‑897, Randnr. 155).

46      So setzt sich die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung oft aus einer Reihe von Handlungen zusammen, die zeitlich aufeinanderfolgen und auch für sich genommen zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich ereignen, einen Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften darstellen können. Die Besonderheit dieser Handlungen besteht darin, dass sie Teil einer Gesamtstrategie sind. Dies hat die Kommission im Kern in den Erwägungsgründen 264 bis 277 der angefochtenen Entscheidung für das Kartell auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern festgestellt.

47      Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen erschöpfen sich die in den vorgenannten Erwägungsgründen der angefochtenen Entscheidung dargelegten Erwägungen nicht allein in einer bloßen Feststellung von Sachverhaltselementen, sondern führen objektive Gründe an, die die Kommission zu dem Schluss zwingen, dass die Zuwiderhandlung auf dem Markt für Industriegarne in den nordischen Ländern zusammen mit der auf dem Markt für Industriegarne in den Beneluxländern eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung bildete.

48      Dass die Rechtsgrundlage, auf die sich die Kommission für die Bejahung der Zuwiderhandlung auf den Märkten für Industriegarne in Finnland, Norwegen und Schweden gestützt hat, erst nach Beginn der Zuwiderhandlung vorlag, ist insoweit ohne Belang, da das Verhalten der Klägerinnen auf diesem Markt, wie dies aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, erst ab dem 1. Januar 1994 berücksichtigt wurde.

49      An zweiter Stelle ist der von Zwicky vorgebrachte Einwand, dass dieses Unternehmen auf dem Markt der nordischen Länder nicht tätig gewesen sei, zurückzuweisen. Wie oben in Randnr. 44 angeführt, hat Zwicky bestätigt, dass sie die Einstufung des Kartells auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung nicht in Frage stelle.

50      Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass ein Unternehmen, das sich durch eigene Handlungen, die den Begriff von auf ein wettbewerbswidriges Ziel gerichteten Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Art. 81 EG erfüllen und zur Mitwirkung an der Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit bestimmt sind, an einer komplexen einheitlichen Zuwiderhandlung beteiligt hat, für die gesamte Zeit seiner Beteiligung an der genannten Zuwiderhandlung auch für das Verhalten verantwortlich sein kann, das andere Unternehmen im Rahmen der Zuwiderhandlung an den Tag legen, wenn das betreffende Unternehmen nachweislich von dem eine Zuwiderhandlung darstellenden Verhalten der anderen Beteiligten weiß oder sie vernünftigerweise vorhersehen kann und bereit ist, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 45 angeführt, Randnr. 203, Urteil des Gerichts vom 20. März 2002, Brugg Rohrsysteme/Kommission, T‑15/99, Slg. 2002, II‑1613, Randnr. 73).

51      Im vorliegenden Fall bestreitet Zwicky nicht, regelmäßig an den Zusammenkünften teilgenommen zu haben, die den Industriegarnen auf dem Markt der nordischen Länder galten, hat in keiner Weise die Behauptung der Kommission in Frage gestellt, sie sei auf diesem Markt der Industriegarne in den nordischen Ländern vor Beginn der einheitlichen Zuwiderhandlung tätig gewesen, hat nicht bestritten, an Tatbestandsmerkmalen der Zuwiderhandlung betreffend den Markt der Industriegarne in den Beneluxländern beteiligt gewesen zu sein, und hat außerdem nicht bestritten, dass die genannten Tatbestandsmerkmale Teil einer Gesamtstrategie und somit nur einige der Bestandteile der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern waren.

52      Daraus folgt, dass der Umstand allein, dass Zwicky auf dem Markt für Industriegarne in den nordischen Ländern in dem Zeitraum, in dem die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung begangen wurde, nicht tätig war, sie nicht von ihrer Verantwortlichkeit für das Verhalten zu entlasten vermag, das die übrigen Unternehmen im Rahmen der genannten Zuwiderhandlung auf diesem räumlichen Markt gezeigt haben.

53      Außerdem ist, soweit die Rüge von Zwicky so zu verstehen ist, dass nur die Unternehmen, die in ihrer Eigenschaft als Wettbewerber – Anbieter oder Nachfrager – auf dem räumlichen Markt der nordischen Länder tätig sind, ihr Verhalten als (Mit‑)Täter einer Zuwiderhandlung zu koordinieren vermögen, darauf hinzuweisen, dass ein Unternehmen gegen das in Art. 81 Abs. 1 EG vorgesehene Verbot verstoßen kann, wenn sein mit dem anderer Unternehmen koordiniertes Verhalten die Einschränkung des Wettbewerbs auf einem relevanten speziellen Markt innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt, ohne dass dies unbedingt voraussetzen würde, dass es selbst auf diesem relevanten Markt tätig ist (vgl. entsprechend Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2008, AC‑Treuhand/Kommission, T‑99/04, Slg. 2008, II‑1501, Randnr. 122).

54      In Anbetracht der oben in Randnr. 51 getroffenen Feststellungen kann Zwicky nicht mit Erfolg in Abrede stellen, dass sie auch als Mittäter für einen Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften wegen eines Kartells für Industriegarne auf dem Markt der nordischen Länder verantwortlich ist.

55      Folglich ist der Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 zurückzuweisen.

 Zu dem von Zwicky geltend gemachten Klagegrund, die Anordnungen, die Zuwiderhandlung abzustellen und sich ihrer Wiederholung zu enthalten, seien nicht gerechtfertigt

 Vorbringen der Parteien

56      Zwicky weist darauf hin, dass die Kommission in Art. 3 der angefochtenen Entscheidung den betreffenden Unternehmen aufgegeben habe, unverzüglich die festgestellten Zuwiderhandlungen einzustellen, soweit dies nicht bereits geschehen sei, und künftig von jeder unter die festgestellten Zuwiderhandlungen fallenden Handlung oder jedem Verhalten mit ähnlichem Zweck abzusehen.

57      Zwicky macht geltend, dass sie nicht nur seit November 2000 nicht mehr auf den von der angefochtenen Entscheidung betroffenen Märkten tätig sei, sondern dass sie auch sämtliche Geschäftsaktivitäten eingestellt habe, um sich nunmehr auf die Verwaltung von Immobilien zu beschränken. Die vorgenannten Anordnungen verstießen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, und Art. 3 der angefochtenen Entscheidung sei rechtswidrig. Soweit es der Kommission möglich sei, ohne Vornahme zusätzlicher Prüfungen festzustellen, dass die Zuwiderhandlungen bereits eingestellt worden seien und dass keine Wiederholungsgefahr bestehe, habe die Kommission kein berechtigtes Interesse daran, eine Anordnung zu erlassen. Hierfür stützt sich Zwicky auf ein Urteil des Gerichtshofs vom 2. März 1983, GVL/Kommission (7/82, Slg. 1983, 483, Randnrn. 24 ff.).

58      Die Kommission beantragt, diesen Klagegrund zurückzuweisen.

 Würdigung durch das Gericht

59      Mit dem vorliegenden Klagegrund beantragt Zwicky, Art. 3 des verfügenden Teils der angefochtenen Entscheidung, soweit dieser Artikel sie betrifft, für nichtig zu erklären.

60      Es ist festzustellen, dass Art. 3 des verfügenden Teils der angefochtenen Entscheidung tatsächlich zwei Anordnungen enthält.

61      Zunächst wird in dieser Bestimmung verlangt, dass die betreffenden Unternehmen die in Art. 1 des verfügenden Teils der angefochtenen Entscheidung genannten Zuwiderhandlungen unverzüglich einstellen, soweit dies nicht bereits geschehen ist. Da Zwicky zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung nicht mehr auf dem Gebiet der Industriegarne tätig war, hat das gegen diese Bestimmung angeführte Vorbringen offenkundig keine Grundlage. Denn selbst wenn Zwicky zu den in Art. 1 der angefochtenen Entscheidung aufgeführten Unternehmen gehört, hatte sie durch die genannte Aufgabe ihrer Tätigkeiten bereits die Zuwiderhandlung eingestellt und war somit tatsächlich nicht mehr von der fraglichen Anordnung betroffen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 20. April 1999, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, T‑305/94 bis T‑307/94, T‑313/94 bis T‑316/94, T‑318/94, T‑325/94, T‑328/94, T‑329/94 und T‑335/94, Slg. 1999, II‑931, Randnr. 1247). Aufgrund dieses Umstands geht auch das Vorbringen von Zwicky zu einer insoweit vorliegenden Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ins Leere (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 18. Juni 2008, Hoechst/Kommission, T‑410/03, Slg. 2008, II‑4451, Randnr. 196).

62      Sodann wird in Art. 3 der angefochtenen Entscheidung verlangt, dass die in Art. 1 aufgeführten Unternehmen künftig von der Wiederholung der in Art. 1 der angefochtenen Entscheidung genannten Handlungen oder Verhaltensweisen sowie von jeder Maßnahme absehen, die einen ähnlichen Zweck bzw. eine ähnliche Wirkung hätte.

63      Es ist daran zu erinnern, dass die Anwendung von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 das Verbot umfassen kann, bestimmte Tätigkeiten, Praktiken oder Sachverhalte fortzuführen oder fortdauern zu lassen, deren Rechtswidrigkeit festgestellt worden ist, aber auch das Verbot, sich künftig ähnlich zu verhalten. Derartige den Unternehmen auferlegte Verpflichtungen dürfen jedoch nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des angestrebten Ziels angemessen und erforderlich ist (vgl. entsprechend Urteil des Gerichts vom 15. März 2000, Cimenteries CBR u. a./Kommission, T‑25/95, T‑26/95, T‑30/95 bis T‑32/95, T‑34/95 bis T‑39/95, T‑42/95 bis T‑46/95, T‑48/95, T‑50/95 bis T‑65/95, T‑68/95 bis T‑71/95, T‑87/95, T‑88/95, T‑103/95 und T‑104/95, Slg. 2000, II‑491, Randnrn. 4704 und 4705 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Übrigen muss die Wahrnehmung der Befugnis zum Erlass von Anordnungen durch die Kommission der Natur der festgestellten Zuwiderhandlung angepasst sein (Urteil des Gerichtshofs vom 6. März 1974, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission, 6/73 und 7/73, Slg. 1974, 223, Randnr. 45; Urteile des Gerichts vom 7. Oktober 1999, Irish Sugar/Kommission, T‑228/97, Slg. 1999, II‑2969, Randnr. 298, und vom 12. Dezember 2000, Aéroports de Paris/Kommission, T‑128/98, Slg. 2000, II‑3929, Randnr. 82).

64      Im vorliegenden Fall hat die Kommission in Art. 1 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass Zwicky mit anderen Unternehmen gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR‑Abkommens verstoßen habe, indem sie sich, überdies über einen sehr langen Zeitraum hinweg, an Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Bereich der Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern beteiligt habe, in deren Rahmen sie und andere Unternehmen vereinbart hätten, zukünftige Preislisten, Maximalrabatte, Rabattsenkungen und die Erhöhung der Sonderpreise für bestimmte Kunden festzusetzen sowie die Unterbietung der Preise des etablierten Lieferanten zu vermeiden und die Kunden untereinander aufzuteilen. Zwicky tritt den dazu in der angefochtenen Entscheidung angestellten Erwägungen nicht entgegen.

65      Unter diesen Umständen hat die Kommission dadurch, dass sie den betroffenen Unternehmen aufgab, sich künftig im Rahmen des Marktes der Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern jeder Maßnahme zu enthalten, die geeignet wäre, einen ähnlichen Zweck zu verfolgen oder eine ähnliche Wirkung zu haben, nicht die ihr durch Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 übertragenen Befugnisse überschritten (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnr. 199).

66      Dass Zwicky am Tag des Erlasses der angefochtenen Entscheidung nicht mehr im Bereich der Industriegarne tätig war, vermag dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen. Denn eine Anordnung wie die vorliegende ist ihrem Wesen nach präventiv und hängt nicht von der Lage der betreffenden Unternehmen zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung ab.

67      Die Kommission war umso mehr berechtigt, diese Anordnung in den verfügenden Teil der angefochtenen Entscheidung aufzunehmen, als Zwicky sich nicht verpflichtet hatte, ihr wettbewerbswidriges Verhalten nicht zu wiederholen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 11. März 1999, Thyssen Stahl/Kommission, T‑141/94, Slg. 1999, II‑347, Randnr. 678).

68      Darüber hinaus ist das oben in Randnr. 57 angeführte Urteil GVL/Kommission, auf das Zwicky sich beruft, im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Denn abgesehen davon, dass die Umstände in dieser Rechtssache sich von denjenigen in der vorliegenden Rechtssache unterscheiden, ist in den obigen Randnrn. 60 bis 67 zum einen dargetan worden, dass Zwicky nicht von der Anordnung, unverzüglich die in Art. 1 der angefochtenen Entscheidung genannten Zuwiderhandlungen einzustellen, betroffen war, und zum anderen, dass die Kommission ein völlig berechtigtes Interesse daran hatte, die an Zwicky gerichtete Anordnung zu erlassen, künftig von jeder unter die festgestellten Zuwiderhandlungen fallenden Handlung oder von jedem Verhalten mit ähnlichem Zweck abzusehen.

69      Aus allen diesen Gründen ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.

2.     Zu den gegen die Geldbuße und ihren Betrag gerichteten Klagegründen

 Zu dem von Zwicky geltend gemachten Klagegrund, wonach die Obergrenze von 10 % des Umsatzes überschritten worden sei

 Vorbringen der Parteien

70      Nach dem Hinweis darauf, dass sie ihre Geschäftstätigkeiten in Bezug auf Industriegarne im November 2000 eingestellt habe, wirft Zwicky der Kommission zunächst vor, für ihre Berechnung der Obergrenze von 10 % des Umsatzes auf den von Gütermann erzielten Umsatz abgestellt zu haben. Denn Gütermann habe lediglich einen Teil ihrer Aktivitäten übernommen und unterliege nicht ihrer Kontrolle. Somit sei allein der Umsatz von Zwicky entscheidend. Da Zwicky seit 2001 keinen Umsatz mehr erziele, könne gegen sie keine Geldbuße in Anwendung von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verhängt werden. Die Verordnung Nr. 1/2003 stelle nämlich auf den Gesamtumsatz des letzten Geschäftsjahrs vor dem Erlass der Entscheidung ab. Die Tatsache, dass für die Geldbuße an diesen Umsatz angeknüpft werde, erlaube es, die Größe und den Einfluss des Unternehmens auf dem Markt zu berücksichtigen. Entscheidend sei daher die aktuelle Umsatzsituation der Unternehmen. Ein keine Umsätze mehr tätigendes Unternehmen habe keinen Einfluss auf den Markt, so dass gegen dieses Unternehmen keine Geldbuße mehr verhängt werden könne.

71      Zwicky weist sodann darauf hin, dass das von der Kommission angeführte Urteil des Gerichts vom 29. November 2005, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission (T‑33/02, Slg. 2005, II‑4973), dahin auszulegen sei, dass die Berücksichtigung eines Umsatzes, der nicht der des abgeschlossenen Geschäftsjahrs vor Erlass der Entscheidung sei, möglich sei, wenn das betreffende Unternehmen seine Geschäftstätigkeiten eingestellt oder seinen Umsatz zur Vermeidung der Verhängung einer schweren Geldbuße verfälscht habe. Im vorliegenden Fall sei dies nicht gegeben. Insoweit trägt Zwicky vor, sie habe ihren Geschäftsbereich ein Jahr vor den Nachprüfungen der Kommission infolge einer Verschlechterung ihrer Wettbewerbssituation veräußert.

72      Zwicky betont weiter, dass im vorliegenden Fall ihre Geschäftstätigkeit von Gütermann im Rahmen eines Asset deal erworben worden sei und daher die mit der so übernommenen Tätigkeit verbundenen Einkünfte auf Gütermann übergegangen seien und deren für die Anwendung von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zu berücksichtigenden Umsatz hätten erhöhen müssen. Ferner handele es sich bei dem Verkauf ihrer Tätigkeiten an Gütermann nicht um eine rein unternehmensinterne Reorganisation.

73      Schließlich erkläre sich der Umstand, dass die Klägerinnen in Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte ein einziges Dokument übersandt hätten, dadurch, dass die Geschäftsaktivitäten im Bereich Industriegarne von Gütermann übernommen worden seien und dass der Präsident des Verwaltungsrats von Zwicky infolge dieses Vorgangs als Mitglied des Vorstands von Gütermann bestellt worden sei. Dies ändere allerdings nichts daran, dass Zwicky von Gütermann unabhängig sei und Gütermann nicht Aktionär von Zwicky geworden sei.

74      Nach Ansicht der Kommission geht dieser Klagegrund ins Leere, da sie, selbst wenn das Vorbringen von Zwicky zuträfe, die maximale Höhe der Geldbuße unter Berücksichtigung des Umsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs bestimmt hätte, wie sie es bereits in anderen Rechtssachen getan habe. Sie stellt fest, dass der Gesamtumsatz von Zwicky 1999 4,5 Millionen Euro betragen habe und die Geldbuße von 0,174 Millionen Euro keineswegs die Obergrenze von 10 % dieses Umsatzes übersteige.

75      Hilfsweise macht die Kommission zunächst geltend, dass sie, auch wenn Gütermann im November 2000 den vom Kartell auf dem Markt für Industriegarne betroffenen Geschäftsbereich von Zwicky gekauft habe, berücksichtigt habe, dass Zwicky zehn Jahre lang an der geahndeten Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei, und dass sie der Auffassung gewesen sei, dass der Umstand, dass Zwicky nach Verkauf ihrer Geschäftsaktivitäten rechtlich in Form einer „leeren Hülle“ fortbestanden habe, ein mit dem besonderen Ziel inszeniertes Manöver gewesen sei, wegen Verstoßes gegen Wettbewerbsregeln zu verhängenden Sanktionen zu entgehen. Zwicky sei außerdem nicht der Rechtsprechung entgegengetreten, nach der grundsätzlich die natürliche oder juristische Person, die das betreffende Unternehmen zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung leite, für diese einzustehen habe. Da der Präsident des Verwaltungsrats von Zwicky in der Geschäftsleitung von Gütermann vertreten gewesen sei und somit über genaue Kenntnisse über die Beteiligung der beiden Unternehmen an dem Kartell verfügt habe, ließen sich die Gründe für die Entscheidung, Zwicky fortbestehen zu lassen, leicht nachvollziehen.

76      Sodann ist die Kommission der Ansicht, dass die Auslegung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 1/2003, die Zwicky vertrete, mit dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit nicht vereinbar sei, denn sie erlaube es den Unternehmen, sich ihrer Verantwortung durch rein interne Reorganisationen zu entledigen. Dieser Gedanke liege dem oben in Randnr. 71 angeführten Urteil Britannia Alloys & Chemicals/Kommission zugrunde.

77      Schließlich macht die Kommission geltend, dass die engen Verbindungen zwischen Zwicky und Gütermann daraus hervorgingen, dass sie gemeinsam zur Mitteilung der Beschwerdepunkte Stellung genommen hätten und sich vor dem Gericht durch dieselben Anwälte vertreten ließen.

 Würdigung durch das Gericht

78      Nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 kann die Kommission den Unternehmen Geldbußen auferlegen, die 10 % des Umsatzes nicht übersteigen, den sie im dem Erlass der Entscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielt haben. Diese Obergrenze von 10 % soll verhindern, dass die Geldbußen außer Verhältnis zur Größe des Unternehmens stehen und insbesondere, dass Geldbußen verhängt werden, bei denen vorhersehbar ist, dass die Unternehmen sie nicht werden begleichen können. Da tatsächlich allein der Gesamtumsatz einen ungefähren Anhaltspunkt in dieser Hinsicht liefern kann, ist dieser Prozentsatz so zu verstehen, dass er sich auf den Gesamtumsatz bezieht (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juni 1983, Musique diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnr. 119).

79      Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 sollen zudem der Kommission die Befugnis verleihen, Geldbußen zu verhängen, um sie in die Lage zu versetzen, die ihr durch das Gemeinschaftsrecht übertragene Überwachungsaufgabe zu erfüllen (Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, oben in Randnr. 78 angeführt, Randnr. 105, und Urteil des Gerichts vom 9. Juli 2003, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, T‑224/00, Slg. 2003, II‑2597, Randnr. 105). Diese Aufgabe umfasst den Auftrag, einzelne Zuwiderhandlungen zu ermitteln und zu ahnden, sowie die Pflicht, eine allgemeine Politik mit dem Ziel zu verfolgen, die im Vertrag niedergelegten Grundsätze auf das Wettbewerbsrecht anzuwenden und das Verhalten der Unternehmen in diesem Sinne zu lenken. Daraus folgt, dass die Kommission darauf achten muss, dass die Geldbußen abschreckenden Charakter haben (Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnrn. 105 und 106).

80      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass mit dem „vorausgegangenen Geschäftsjahr“ im Sinne von Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 das letzte abgeschlossene Geschäftsjahr eines jeden der betroffenen Unternehmen zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung gemeint ist (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juni 2007, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, C‑76/06 P, Slg. 2007, I‑4405, Randnr. 32).

81      Da die angefochtene Entscheidung vom 14. September 2005 datiert, war im vorliegenden Fall das vorausgegangene Geschäftsjahr das vom 1. Juli 2004 bis 30. Juni 2005. Zwicky übertrug ihren Tätigkeitsbereich Industriegarne im November 2000 an Gütermann. Folglich meinte die Kommission, dass sie für Zwicky zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung nicht über Umsatzzahlen verfügt habe, die eine wirtschaftliche Tätigkeit abbildeten, die dieses Unternehmen im vorausgegangenen Geschäftsjahr ausgeübt habe. Indem sie sich außerdem im 383. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung darauf stützte, dass infolge der Übertragung der Aktivitäten im Industriegarnebereich von Zwicky an Gütermann ein Mutter‑Tochter‑Verhältnis zwischen Gütermann und Zwicky bestanden habe, war sie der Ansicht, sie könne sich zur Anwendung der Obergrenze von 10 % auf die Umsätze von Gütermann stützen.

82      Bei den von Zwicky vorgebrachten Rügen sind zwei Gesichtspunkte zu unterscheiden: zum einen, dass die Kommission sich dafür entschieden habe, die Umsätze von Gütermann heranzuziehen, und zum anderen, dass sie nicht die Umsätze von Zwicky im am 30. Juni 2005 zu Ende gegangenen Geschäftsjahr berücksichtigt habe, obwohl diese Umsätze sich auf null belaufen hätten.

83      Zum ersten Gesichtspunkt der von Zwicky vorgebrachten Rügen ist festzustellen, dass die Kommission zu Unrecht auf die Umsätze von Gütermann Bezug genommen hat, um die Obergrenze von 10 % des Umsatzes zu bestimmen, die bei der Berechnung der gegen Zwicky verhängten Geldbußen nicht überschritten werden durfte.

84      Gütermann hat nämlich im November 2000 lediglich die Aktivitäten von Zwicky im Industriegarnebereich übernommen. In der mündlichen Verhandlung hat Zwicky erläutert, dass diese Übertragung der Aktivitäten auf zweierlei Weise vonstatten gegangen sei, nämlich zum einen dadurch, dass in der Schweiz ein Vertrag über die Übertragung von Vermögenswerten wie Lagerstätten und Maschinen geschlossen worden sei, und zum anderen dadurch, dass in Deutschland Aktien veräußert worden seien.

85      Die Kommission hat allerdings in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass Gütermann Zwicky keineswegs übernommen habe und dass folglich Gütermann nicht Eigentümer von Zwicky geworden sei. Die Übertragung der Aktivitäten im Industriegarnebereich hat sich somit nicht auf die rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit von Zwicky ausgewirkt.

86      Das Vorbringen, wonach der Präsident des Verwaltungsrats von Zwicky Mitglied der Geschäftsleitung von Gütermann geworden sei, dass die beiden Unternehmen sich durch denselben Rechtsanwalt beraten ließen und dass sie auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte eine gemeinsame Antwort eingereicht hätten, vermag im vorliegenden Fall für sich genommen nicht den Standpunkt der Kommission zu rechtfertigen, dass zwischen den beiden Unternehmen ein Mutter‑Tochter‑Verhältnis vorliege.

87      Außerdem hat die Kommission keineswegs dargetan, inwiefern sie die von Zwicky auf ihr Ersuchen um Auskünfte hinsichtlich der Übertragung der Aktivitäten und ihrer Beziehungen zu Gütermann gelieferten Informationen zu einem Irrtum veranlasst hätten.

88      Daraus folgt, dass der Kommission dadurch, dass sie auf den Umsatz von Gütermann Bezug genommen hat, ein Beurteilungsfehler unterlaufen ist, dessen Folgen in den Randnrn. 104 ff. dargestellt werden.

89      Zum zweiten Gesichtspunkt der von Zwicky vorgebrachten Rügen, nämlich dass nicht berücksichtigt worden sei, dass sie keine Umsätze aus ihrer angeblichen wirtschaftlichen Tätigkeit während des Jahres vor Erlass der angefochtenen Entscheidung erzielt habe, ist zu prüfen, wie die Kommission den Begriff des „vorausgegangenen Geschäftsjahrs“ in Fällen zu bestimmen hat, in denen wesentliche Änderungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation des betroffenen Unternehmens zwischen dem Ende des Zeitraums, in dem die Zuwiderhandlung begangen worden ist, und dem Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung der Kommission, mit der die Geldbuße verhängt wird, eingetreten sind.

90      Zum Begriff des „vorausgegangenen Geschäftsjahrs“ ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. Urteile des Gerichtshofs vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C‑17/03, Slg. 2005, I‑4983, Randnr. 41, vom 1. März 2007, Jan De Nul, C‑391/05, Slg. 2007, I‑1793, Randnr. 20, und vom 7. Juni 2007, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, oben in Randnr. 80 angeführt, Randnr. 21).

91      Insoweit sollen Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003, wie oben in Randnr. 79 dargestellt, der Kommission die Befugnis verleihen, Geldbußen zu verhängen, um sie in die Lage zu versetzen, die ihr durch das Gemeinschaftsrecht übertragene Überwachungsaufgabe zu erfüllen. Dieser Auftrag umfasst u. a. die Aufgaben, rechtswidrige Verhaltensweisen zu ahnden und ihre Wiederholung zu verhüten (Urteil des Gerichtshofs vom 15. Juli 1970, ACF Chemiefarma/Kommission, 41/69, Slg. 1970, 661, Randnr. 173).

92      Weiter hat die Kommission gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 die Schwere und die Dauer der betreffenden Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.

93      In Anbetracht dessen soll mit der auf den Umsatz bezogenen Obergrenze in Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verhindert werden, dass die von der Kommission verhängten Geldbußen außer Verhältnis zur Größe des betreffenden Unternehmens stehen (Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, oben in Randnr. 78 angeführt, Randnr. 119).

94      Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Kommission bei der Bestimmung des Begriffs des „vorausgegangenen Geschäftsjahrs“ in jedem Einzelfall sowie unter Berücksichtigung des Zusammenhangs und der Ziele, die mit der Sanktionsregelung der Verordnung Nr. 17 und der Verordnung Nr. 1/2003 verfolgt werden, die beabsichtigte Wirkung auf das betreffende Unternehmen beurteilen und dabei insbesondere einen Umsatz berücksichtigen muss, der die tatsächliche wirtschaftliche Situation des Unternehmens in dem Zeitraum widerspiegelt, in dem die Zuwiderhandlung begangen wurde (vgl. Urteil vom 7. Juni 2007, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, oben in Randnr. 80 angeführt, Randnr. 25).

95      Aus den Zielen der Regelung, zu der Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 gehören, und aus der vorstehend in Randnr. 80 angeführten Rechtsprechung ergibt sich jedoch, dass die Anwendung der Obergrenze von 10 % zum einen voraussetzt, dass der Kommission die Umsatzzahlen für das letzte Geschäftsjahr vor dem Erlass der Entscheidung vorliegen, und zum anderen, dass diese Zahlen einem abgeschlossenen Jahr normaler wirtschaftlicher Tätigkeit entsprechen, das sich über einen Zeitraum von zwölf Monaten erstreckt (vgl. Urteil vom 29. November 2005, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, oben in Randnr. 71 angeführt, Randnr. 38).

96      Wenn z. B. das Geschäftsjahr vor Erlass der Entscheidung geendet hat, der Jahresabschluss des Unternehmens aber noch nicht festgestellt oder der Kommission noch nicht mitgeteilt worden ist, ist diese bei der Anwendung von Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und von Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 berechtigt, ja sogar verpflichtet, den Umsatz heranzuziehen, der in einem früheren Geschäftsjahr erzielt worden ist. Ebenso kann die Kommission, wenn ein Unternehmen aufgrund der Umstellung oder Änderung seiner Abrechnungspraxis für das vorausgegangene Geschäftsjahr einen Abschluss vorlegt, der einen Zeitraum von weniger als 12 Monaten betrifft, im Rahmen der genannten Vorschriften einen Umsatz heranziehen, der in einem früheren, vollständigen Geschäftsjahr erzielt worden ist (vgl. Urteil vom 29. November 2005, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, oben in Randnr. 71 angeführt, Randnr. 39). Gleiches gilt, wenn ein Unternehmen im vorausgegangenen Geschäftsjahr keine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat und die Kommission somit nicht über Umsatzzahlen für eine Wirtschaftstätigkeit des Unternehmens im genannten Geschäftsjahr verfügt. Denn der Umsatz in diesem Zeitraum liefert keinen Anhaltspunkt für die Größe des Unternehmens und genügt damit nicht den Anforderungen der Rechtsprechung, so dass er nicht als Grundlage für die Bestimmung der Obergrenze nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 herangezogen werden kann (vgl. Urteil vom 29. November 2005, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, oben in Randnr. 71 angeführt, Randnr. 42).

97      Aus dem oben in Randnr. 71 angeführten Urteil vom 29. November 2005 (Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, Randnr. 49), das auf den vorliegenden Fall entsprechend anwendbar ist, geht zudem hervor, dass selbst in einem Jahr normaler wirtschaftlicher Tätigkeit der Umsatz eines Unternehmens aus verschiedenen Gründen wie z. B. wegen schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse, einer Krise in dem betreffenden Sektor, Schadensfällen oder eines Streiks im Vergleich zu den Vorjahren erheblich, ja sogar ganz entscheidend einbrechen kann. Erwirtschaftet ein Unternehmen in einem abgeschlossenen Geschäftsjahr, in dem es eine Geschäftstätigkeit, sei es auch in geringem Umfang, ausgeübt hat, tatsächlich einen Umsatz, muss die Kommission zur Bestimmung der Grenze nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 auf diesen Umsatz abstellen. Daher muss die Kommission zumindest in den Fällen, in denen es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass ein Unternehmen seine Geschäftstätigkeit eingestellt oder seinen Umsatz verfälscht hat, um einer schweren Geldbuße zu entgehen, die Höchstgrenze der Geldbuße nach dem letzten Umsatz festsetzen, der ein abgeschlossenes Jahr wirtschaftlicher Tätigkeit widerspiegelt (Urteil vom 29. November 2005, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, oben in Randnr. 71 angeführt, Randnr. 49).

98      Nach Ansicht von Zwicky hat die Kommission keineswegs dargetan, dass dieses Unternehmen seinen Umsatz verfälscht habe, und daher zu Unrecht die Ausnahme von dem Grundsatz angewandt, auf den Umsatz des letzten Geschäftsjahrs abzustellen. Wie jedoch die Kommission in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, wirft sie Zwicky keineswegs missbräuchliches Handeln zur Vermeidung der Verhängung einer schweren Geldbuße vor, sondern beschränkt sich auf die Feststellung, dass das Unternehmen tatsächlich seine Tätigkeit eingestellt habe und somit als „leere Hülle“ fortbestehe.

99      Zwicky hat in ihren Schriftsätzen ausgeführt, dass sie seit 2001 nur noch Immobilien verwalte und seither keinen Umsatz mehr erziele. Folglich ist festzustellen, dass sie auch im Lauf des der angefochtenen Entscheidung vorausgehenden abgeschlossenen Geschäftsjahrs, nämlich im Zeitraum vom 1. Juli 2004 bis 30. Juni 2005, keinen Umsatz mehr erzielt hat. Zwicky hat auf die ihr in der Sitzung gestellte Frage, welche Art von Tätigkeit sie ausübe, ihre Behauptungen wiederholt, sie verwalte die Immobilien, die ihr weiterhin gehörten. Ihr Immobilienpark setze sich aus Immobilien zusammen, die sie früher für ihre Tätigkeit im Industriegarnesektor genutzt habe und die seit der Übertragung dieser Tätigkeit auf Gütermann nunmehr leer stünden, sowie aus Wohnungen, die an ehemalige Arbeitnehmer vermietet seien. Diese könnten zum Zweck der Vermietung genutzt werden, und es würden dahin gehende Investitionen getätigt. Außerdem sei zusammen mit den örtlichen Behörden ein Entwicklungsplan erarbeitet worden. Seit der Übertragung ihrer Tätigkeiten auf dem Markt der Industriegarne beschäftige sie keine Arbeitnehmer mehr.

100    Es steht zwar fest, dass Zwicky nach der Übertragung ihrer Aktivitäten auf Gütermann rechtlich fortbestand, doch ist festzustellen, dass ernst zu nehmende Indizien, wie das Fehlen jeglichen Umsatzes während mehrerer Jahre, das Fehlen von Arbeitnehmern oder das Fehlen auch jedes konkreten Beweises für eine Nutzung ihrer Immobilien oder von Investitionsprojekten zum Zweck ihrer Nutzung die Vermutung erlauben, dass Zwicky insbesondere zwischen dem 1. Juli 2004 und dem 30. Juni 2005 keine normale wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung mehr ausgeübt hat.

101    Die Antworten, die Zwicky in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung gegeben hat, sind vage geblieben und haben es dem Gericht nicht ermöglicht, das Vorhandensein einer „normalen wirtschaftlichen Tätigkeit“ festzustellen. Überdies hat Zwicky den Inhalt eines Aktenauszugs bestätigt, der eine wirtschaftliche Gesamtschau ihrer Lage darstellt und von der Kommission in der mündlichen Verhandlung verlesen worden ist und aus dem sich das Fehlen von Umsatz, Gewinnen und Arbeitnehmern ergibt, und bestreitet nicht, dass es sich insbesondere in dem Zeitraum im Anschluss an die Übertragung ihrer Aktivitäten im Bereich der Industriegarne an Gütermann bis zum 30. Juni 2005 so verhalten habe.

102    Insoweit vermag entgegen dem Vorbringen von Zwicky in der mündlichen Verhandlung die Tatsache allein, dass sich ein Verwaltungsrat und ein Geschäftsleiter mit dem Entwicklungsplan der Gesellschaft befassen, dessen tatsächliches Bestehen im Übrigen nicht bewiesen ist, keinen entscheidenden Beweis für das Vorliegen einer normalen wirtschaftlichen Tätigkeit der genannten Gesellschaft gemäß dem Verständnis des Gerichts in seinem oben in Randnr. 71 angeführten Urteil vom 29. November 2005, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, zu liefern.

103    Daraus folgt, dass die Kommission auf einen Gesamtumsatz von Zwicky abstellen musste, der vor dem des am 30. Juni 2005 zu Ende gegangenen Geschäftsjahrs liegt.

104    Hinsichtlich der Folgen des Beurteilungsfehlers, der der Kommission unterlaufen ist und darin bestanden hat, auf den Gesamtumsatz von Gütermann Bezug zu nehmen, ist festzustellen, ob dieser zugunsten von Zwicky eine Herabsetzung der Geldbuße oder sogar deren Aufhebung durch die Gemeinschaftsrichter rechtfertigt.

105    Hinsichtlich Klagen gegen Entscheidungen der Kommission, mit denen gegen Unternehmen wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln Geldbußen festgesetzt werden, verfügt das Gericht über zweierlei Befugnisse. Zum einen hat es ihre Rechtmäßigkeit nach Art. 230 EG zu überprüfen (Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, SCA Holding/Kommission, C‑297/98 P, Slg. 2000, I‑10101, Randnrn. 53 und 54).

106    Zum anderen hat das Gericht im Rahmen der ihm durch Art. 229 EG, Art. 17 der Verordnung Nr. 17 und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 eingeräumten Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung zu beurteilen, ob die Höhe der Geldbußen angemessen ist. Diese Beurteilung kann die Vorlage und die Berücksichtigung zusätzlicher Informationen erfordern, die an sich nicht in der Entscheidung erwähnt zu werden brauchen, damit diese dem Begründungserfordernis gemäß Art. 253 EG genügt (Urteil SCA Holding/Kommission, oben in Randnr. 105 angeführt, Randnr. 55).

107    Im vorliegenden Fall ist das Gericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Ansicht, dass nicht der Umsatz von Gütermann, sondern der von Zwicky heranzuziehen ist.

108    Aus den oben dargelegten Gründen und im Licht der Rechtsprechung Britannia Alloys & Chemicals/Kommission (oben in den Randnrn. 71 und 80 angeführt) ist der letzte sich aus ihren tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten ergebende Umsatz von Zwicky, den die Kommission hätte heranziehen müssen, der des Geschäftsjahrs vom 1. Juli 1999 bis 30. Juni 2000. Aus dem 76. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass der genannte Umsatz 4,5 Millionen Euro betrug. Die von der Kommission gegen Zwicky verhängte Geldbuße beläuft sich auf 205 000 Euro und übersteigt somit in keiner Weise 10 % ihres Umsatzes.

109    Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass Zwicky in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, dass die hilfsweise Bezugnahme auf ihren Umsatz des am 30. Juni 2000 abgelaufenen Geschäftsjahrs deshalb unzulässig sei, weil dies darauf hinauslaufe, dass ihr Umsatz doppelt veranschlagt werde. Denn da ihre Industriegarne betreffenden Aktivitäten von Gütermann übernommen worden seien, sei der mit diesen Aktivitäten getätigte Umsatz bereits von der Kommission im Rahmen des Gesamtumsatzes von Gütermann berücksichtigt worden. Die Kommission hat vorgetragen, dass es sich hierbei um neues Vorbringen handele, das somit zurückzuweisen sei.

110    Dieses Vorbringen von Zwicky ist zurückzuweisen, da es der Grundlage entbehrt.

111    Das Vorbringen von Zwicky besteht nämlich in der Behauptung, dass der Hilfsansatz darauf hinauslaufe, Zwicky den bereits Gütermann zugewiesenen Umsatz zuzuschreiben. Nach Ansicht des Gerichts stellt sich im vorliegenden Fall allein die Frage, welches der maßgebliche Umsatz ist, auf den für die Berechnung der Obergrenze von 10 % der gegen Zwicky verhängten Geldbuße abzustellen ist. Wie vorstehend dargelegt worden ist, kann hierfür nur der Umsatz von 4,5 Millionen Euro aus dem Geschäftsjahr vom 1. Juli 1999 bis 30. Juni 2000 von Zwicky herangezogen werden.

112    Wäre davon auszugehen, dass dieser Ansatz darauf hinausliefe, auf dieser Ebene der Berechnung der Geldbußen gegen Gütermann und Zwicky den Umsatz von Zwicky doppelt in Ansatz zu bringen, so wäre anzunehmen, dass der Rechtsverstoß zulasten von Gütermann begangen worden wäre. Das Vorbringen von Zwicky liefe somit in Wirklichkeit darauf hinaus, das Gericht zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Höhe der gegen Gütermann festgesetzten Geldbuße aufzufordern. In dieser Hinsicht fehlt Zwicky jedoch die Klagebefugnis. Beschließt nämlich ein Adressat einer Entscheidung, Nichtigkeitsklage zu erheben, wird der Gemeinschaftsrichter nur mit den Teilen der Entscheidung befasst, die diesen Adressaten betreffen. Diejenigen Teile, die andere Adressaten betreffen und nicht angefochten worden sind, sind nicht Teil des Streitgegenstands, über den der Gemeinschaftsrichter zu entscheiden hat (Urteil des Gerichtshofs vom 14. September 1999, Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a., C-310/97, Slg. 1999, I‑5363, Randnr. 53).

113    In Anbetracht dieser Erwägungen ist der von Zwicky geltend gemachte Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gegen Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zurückzuweisen.

 Zu dem von Gütermann und Zwicky angeführten Klagegrund, die Schwere der Zuwiderhandlung sei im Hinblick auf ihre Auswirkungen falsch beurteilt worden

 Vorbringen der Parteien

114    Die Klägerinnen tragen erstens vor, dass nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 Abs. 5 [KS] festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), und nach ständiger Entscheidungspraxis die Ermittlung der Schwere des Verstoßes ausdrücklich von dessen konkreten Auswirkungen auf den Markt abhänge. Die Kommission sei nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet, diese Auswirkungen bei der Beurteilung der Schwere des Verstoßes zu berücksichtigen. Die Klägerinnen stellen klar, sie wollten mit dieser Rüge nicht den Verstoß als solchen bestreiten, sondern seine Einordnung in die Kategorie der besonders schweren Zuwiderhandlungen in Frage stellen.

115    Zweitens befassen sich die Klägerinnen mit der Frage der konkreten Auswirkungen des Verstoßes auf den Markt und kommen zu dem Ergebnis, dass solche Auswirkungen nicht vorgelegen hätten. Die Kommission könne sich bei der Einstufung des Verstoßes als besonders schwer nicht auf solche Auswirkungen stützen. Zwar seien die bei den Treffen beschlossenen Listenpreiserhöhungen meistens von den einzelnen Unternehmen umgesetzt worden, sie hätten jedoch nicht zu einer Erhöhung der tatsächlichen Nettopreise geführt. Aus den Argumenten der Kommission in Abschnitt 4.1.4 der angefochtenen Entscheidung könne nicht auf solche Auswirkungen geschlossen werden. Allein aufgrund der Tatsache, dass sich die Unternehmen über einen Zeitraum von elf Jahren getroffen hätten, könne nicht angenommen werden, dass die Preiserhöhungen Einfluss auf die Nettopreise gehabt hätten. Die Klägerinnen hätten vielmehr den Nachweis geführt, dass die Treffen vorrangig dem zulässigen Austausch von Informationen gedient hätten. Die Kommission räume selbst ein, dass ihr Beweise für konkrete Auswirkungen fehlten.

116    Aufgrund der Besonderheiten der Preisgestaltung bei Industriegarnen – den Kunden würden praktisch nie die Listenpreise in Rechnung gestellt – könne aus der Umsetzung der Vereinbarung im vorliegenden Fall nicht geschlossen werden, dass diese auch konkrete Auswirkungen auf den Markt gehabt habe. Vielmehr hätten sich die tatsächlichen Durchschnittspreise nicht entwickelt und sogar nachgegeben.

117    Drittens habe sich die Zuwiderhandlung nicht auf die tatsächlichen Durchschnittspreise der Klägerinnen ausgewirkt, die Zuwiderhandlung individuell hätte nicht als besonders schwer eingeordnet werden dürfen, und die Kommission hätte dies zugunsten der Klägerinnen berücksichtigen müssen.

118    Im Hinblick auf den beachtlichen Größenunterschied der betroffenen Unternehmen und die geringen Umsätze, die sie auf dem betreffenden Markt erzielt hätten, hätte die Kommission gemäß Nr. 1 Abschnitt A der Leitlinien zugunsten der Klägerin berücksichtigen müssen, dass der Verstoß keine tatsächliche Auswirkung auf deren Nettopreise gehabt habe.

119    Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, sie habe, indem sie auf ihre Umsätze abgestellt habe, nur die relative Bedeutung der Unternehmen am Markt verglichen und somit lediglich die abstrakte wirtschaftliche Fähigkeit der einzelnen Unternehmen, den Wettbewerb zu beeinflussen, nicht aber die konkreten Auswirkungen des Verhaltens der einzelnen Unternehmen auf die Nettopreise berücksichtigt.

120    Viertens habe die Kommission zu Unrecht zulasten von Zwicky eine Beteiligung an den Zuwiderhandlungen auf dem Markt für Industriegarne in den nordischen Ländern bejaht, während Zwicky in diesen Ländern niemals auf dem Industriegarnmarkt tätig gewesen sei.

121    Die Kommission beantragt, diesen Klagegrund zurückzuweisen.

 Würdigung durch das Gericht

122    Vorab ist daran zu erinnern, dass für die Beurteilung der Schwere des Verstoßes als solchen die Leitlinien unter Nr. 1 Abschnitt A Abs. 1 und 2 Folgendes vorsehen:

„Bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes sind seine Art und die konkreten Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar sind, sowie der Umfang des betreffenden räumlichen Marktes zu berücksichtigen.

Die Verstöße werden in folgende drei Gruppen unterteilt: minder schwere, schwere und besonders schwere Verstöße …“

123    In der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission drei Feststellungen getroffen:

–        Die fragliche Zuwiderhandlung habe hauptsächlich im Austausch sensibler Informationen über Preislisten und/oder die von den einzelnen Kunden verlangten Preise, in Vereinbarungen über Preiserhöhungen und/oder Zielpreise und in der Verhinderung der Unterbietung der Preise des etablierten Lieferanten bestanden, wobei solche Verhaltensweisen ihrem Wesen nach die schwerwiegendsten Verstöße gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 des EWR‑Abkommens darstellten (angefochtene Entscheidung, 345. Erwägungsgrund).

–        Die Kartellvereinbarungen seien umgesetzt worden und hätten sich für das betreffende Produkt auf den EWR-Markt ausgewirkt, aber diese Auswirkung lasse sich nicht genau abschätzen (angefochtene Entscheidung, 351. Erwägungsgrund).

–        Das Kartell habe sich auf mehrere EWR-Vertragsparteien erstreckt, nämlich die Benelux- und die nordischen Länder (angefochtene Entscheidung, 352. Erwägungsgrund).

124    Die Schlussfolgerung der Kommission lautet wie folgt (angefochtene Entscheidung, 353. Erwägungsgrund):

„Unter Berücksichtigung all dieser Einflussfaktoren ist die Kommission der Ansicht, dass die Unternehmen, an die sich die [angefochtene] Entscheidung richtet, eine besonders schwere Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen begangen haben.“

125    Die Klägerinnen stellen in Abrede, dass es sich um eine besonders schwere Zuwiderhandlung gehandelt habe, und machen zum einen geltend, dass die Kommission auf konkrete Auswirkungen auf den Markt erkannt habe, ohne dies allerdings belegen zu können, und tragen zum anderen vor, es habe keine Auswirkungen auf die Nettopreise oder zumindest keine konkreten Auswirkungen auf die tatsächlichen Durchschnittspreise gegeben.

126    Erstens ist daran zu erinnern, dass sich die Kommission, wenn sie die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt beurteilt, auf den Wettbewerb beziehen muss, der normalerweise ohne die Zuwiderhandlung geherrscht hätte (Urteil des Gerichts vom 8. Oktober 2008, Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, T‑69/04, Slg. 2008, II‑2567, Randnr. 165; vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 14. Mai 1998, Mayr-Melnhof/Kommission, T‑347/94, Slg. 1998, II‑1751, Randnr. 235, und Thyssen Stahl/Kommission, oben in Randnr. 67 angeführt, Randnr. 645).

127    Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass die Umsetzung des Kartells von den Klägerinnen nicht in Frage gestellt wird. Im Gegenteil geht aus Randnr. 40 der Klageschrift von Gütermann und aus Randnr. 46 der Klageschrift von Zwicky hervor, dass sie „sowohl in der Stellungnahme als auch bei der … Sachverhaltsdarstellung [in den Klageschriften] … ausdrücklich eingeräumt“ haben, dass „die bei den Treffen beschlossenen Listenpreiserhöhungen meistens durch die einzelnen Unternehmen umgesetzt worden sind“.

128    Insbesondere im Fall eines Preiskartells darf die Kommission ihre Schlussfolgerung, dass die Zuwiderhandlung Auswirkungen hatte, daraus ableiten, dass die Kartellmitglieder Maßnahmen zur Anwendung der vereinbarten Preise getroffen haben, indem sie z. B. die Listenpreise, die als Grundlage der Berechnung der tatsächlichen Preise dienen, erhöhten, auf Preisnachlässe verzichteten, Sonderpreise erhöhten und über Beschwerden Druck auf das Unternehmen ausübten, das gegen die Vereinbarung zur Nichtunterbietung der Preise des etablierten Lieferanten verstößt. Um auf eine Auswirkung auf den Markt schließen zu können, genügt es nämlich, dass die vereinbarten Preise als Grundlage für die Festlegung individueller Verkaufspreise dienten und damit den Verhandlungsspielraum der Kunden einschränkten (Urteil Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, oben in Randnr. 126 angeführt, Randnr. 166, vgl. in diesem Sinne Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnrn. 743 bis 745).

129    Dagegen kann von der Kommission, wenn die Umsetzung eines Kartells erwiesen ist, nicht verlangt werden, systematisch darzutun, dass es die Vereinbarungen den beteiligten Unternehmen tatsächlich ermöglicht haben, ein höheres Niveau der Verkaufspreise zu erreichen, als es ohne das Kartell bestanden hätte (Urteil Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnr. 348; vgl. in diesem Sinne Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnrn. 743 bis 745). Es wäre unverhältnismäßig, eine solche Darlegung zu verlangen, die beträchtliche Ressourcen in Anspruch nehmen würde, weil sie den Rückgriff auf hypothetische Berechnungen anhand wirtschaftlicher Modelle erfordern würde, deren Genauigkeit nur schwer gerichtlich nachprüfbar und deren Unfehlbarkeit keineswegs erwiesen ist (Urteil Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, oben in Randnr. 126 angeführt, Randnr. 167).

130    Bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung ist nämlich entscheidend, ob die Kartellmitglieder alles in ihrer Macht Stehende taten, damit ihre Pläne konkrete Auswirkungen hatten. Was dann auf der Ebene der tatsächlich erzielten Marktpreise geschah, konnte durch andere, von den Kartellmitgliedern nicht kontrollierbare Faktoren beeinflusst werden. Die Kartellmitglieder können externe Faktoren, die ihre Bemühungen durchkreuzten, nicht zu ihren Gunsten anführen und zu Umständen umdeuten, die eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigen (Urteil Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, oben in Randnr. 126 angeführt, Randnr. 168).

131    Außerdem hat die Kommission in Punkt 4.1.4 der angefochtenen Entscheidung eine Reihe konkreter und glaubhafter Indizien angeführt, in denen sich ein Beleg dafür sehen lässt, dass das Kartell konkrete Auswirkungen auf den Markt hatte. Insoweit ist zunächst den Erwägungen der Kommission im 164. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung zu folgen, wonach die Erhöhungen der Listenpreise, die im Übrigen von Gütermann selbst eingeräumt werden, für einige kleine Kunden, die generell eine geringere Verhandlungsmacht haben, zu Erhöhungen der Nettopreise geführt haben. Sodann ist der von der Kommission im 165. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellung zu folgen, dass die Erhöhung der Listenpreise möglicherweise auch das Niveau der gegenüber den Großkunden angewandten tatsächlichen Preise beeinflusst hat, da die genannten Listenpreise als Ausgangspunkt für die Verhandlungen mit diesen Kunden gedient hatten. Schließlich lässt sich in den Erwägungen der Kommission in Bezug auf die Tatsache, dass einige Unternehmen eine tatsächliche Erhöhung der Sonderpreise vorgenommen und auf Preisnachlässe verzichtet haben, ein Beleg dafür sehen, dass die Zuwiderhandlung konkrete Auswirkungen auf den betreffenden Markt hatte.

132    Aus diesen Erwägungen und der Feststellung, dass das Kartell über elf Jahre bestanden hat, folgt, dass die Kommission zu Recht Auswirkungen auf den Markt bejahen konnte.

133    Was zweitens das Vorbringen angeht, zum einen habe sich das Kartell nicht konkret auf die tatsächlichen Durchschnittspreise der Klägerinnen ausgewirkt und zum anderen sei Zwicky niemals auf dem Markt für Industriegarne in den nordischen Ländern tätig gewesen, so betrifft dieses Vorbringen das individuelle Verhalten dieser beiden Unternehmen und kann daher keinen Erfolg haben. Denn das tatsächliche Verhalten, das ein Unternehmen an den Tag gelegt zu haben vorgibt, ist für die Beurteilung der Auswirkung eines Kartells auf den Markt ohne Belang. Zu berücksichtigen sind allein die Auswirkungen der gesamten Zuwiderhandlung (Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 45 angeführt, Randnr. 152, und Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991, Hercules Chemicals/Kommission, T‑7/89, Slg. 1991, II‑1711, Randnr. 342).

134    Somit erfolgt die Berücksichtigung des eine Zuwiderhandlung darstellenden Verhaltens von Gütermann und Zwicky durch die Kommission zur Beurteilung der individuellen Lage dieser Unternehmen, sie kann aber keinen Einfluss auf die Einstufung der Zuwiderhandlung in die Kategorie der „besonders schweren“ Verstöße haben.

135    Dass Zwicky niemals auf dem Markt für Industriegarne in den nordischen Ländern tätig war, ist außerdem ohne Belang. Wie oben in Randnr. 51 ausgeführt, hat Zwicky keineswegs den Charakter der Zuwiderhandlung als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern in Frage gestellt.

136    In Bezug auf das von der Kommission im 166. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung angeführte Indiz für die Auswirkung des Kartells, das aus der langen Dauer der Zuwiderhandlung hergeleitet wird, ist festzustellen, dass es angesichts der mindestens elfjährigen Dauer der beanstandeten Praktiken wenig wahrscheinlich ist, dass die Hersteller sie damals als völlig wirkungs- und nutzlos angesehen haben sollten (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnr. 748, und vom 29. November 2005, Heubach/Kommission, T‑64/02, Slg. 2005, II‑5137, Randnr. 130).

137    Schließlich ist festzustellen, dass die drei Aspekte der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung im Rahmen der Gesamtprüfung nicht das gleiche Gewicht haben. Die Art der Zuwiderhandlung spielt, insbesondere wenn es darum geht, Zuwiderhandlungen als „besonders schwer“ einzustufen, eine übergeordnete Rolle. In dieser Hinsicht ergibt sich aus der Beschreibung der besonders schweren Verstöße in den Leitlinien, dass Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die u. a. wie im vorliegenden Fall auf die Preisfestsetzung abzielen, allein aufgrund ihres Wesens zu der Einstufung als „besonders schwer“ Anlass geben können, ohne dass derartige Formen des Verhaltens durch eine Auswirkung oder eine besondere räumliche Reichweite gekennzeichnet sein müssten. Diese Schlussfolgerung wird dadurch bestätigt, dass zwar bei der Beschreibung der schweren Verstöße ausdrücklich die Auswirkung auf den Markt und auf einen größeren Teil des Gemeinsamen Marktes genannt wird, dass aber die Beschreibung der besonders schweren Verstöße demgegenüber kein Erfordernis konkreter Auswirkungen auf den Markt oder auf einen bestimmten räumlichen Bereich enthält (Urteile des Gerichts vom 27. Juli 2005, Brasserie nationale/Kommission, T‑49/02 bis T‑51/02, Slg. 2005, II‑3033, Randnr. 178, vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission, T‑38/02, Slg. 2005, II‑4407, Randnr. 150, Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnr. 345, und Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, oben in Randnr. 126 angeführt, Randnr. 171).

138    Im vorliegenden Fall geht aus dem in Teil I der angefochtenen Entscheidung beschriebenen Sachverhalt sowie aus den Erwägungsgründen 345 und 346 dieser Entscheidung hervor, dass die Zuwiderhandlung ihrer Art nach eine besonders schwere war. Daraus folgt, dass die Einstufung als „besonders schwer“ allein aufgrund der Art der Zuwiderhandlung weiterhin angemessen ist.

139    Aus der Gesamtheit der vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Klagegrund, der aus einer im Hinblick auf ihre Auswirkungen falschen Einstufung der Zuwiderhandlung hergeleitet wird, zurückzuweisen ist.

 Zu dem von Gütermann und Zwicky geltend gemachten Klagegrund, die Dauer der Zuwiderhandlung sei falsch beurteilt worden

 Vorbringen der Parteien

140    Dieser Klagegrund stützt sich auf mehrere Rügen.

141    Erstens werfen die Klägerinnen der Kommission vor, die Erhöhung des Ausgangsbetrags um 10 % pro Jahr der Zuwiderhandlung automatisch angewandt zu haben, wohingegen dieser Prozentsatz lediglich die in den Leitlinien für Verstöße von langer Dauer vorgesehene Obergrenze und nicht die Regel sei. Die Leitlinien sähen nämlich nicht vor, dass die Kommission automatisch den Ausgangsbetrag um einen zusätzlichen Betrag erhöhen müsse, der einem bestimmten Prozentsatz pro Jahr der Zuwiderhandlung entspreche, sondern räumten der Kommission ein Ermessen ein. Im vorliegenden Fall habe die Kommission dieses Ermessen weder hinsichtlich des Grundsatzes der zeitbezogenen Erhöhung des Geldbußenausgangsbetrags selbst noch hinsichtlich der Größenordnung dieser Erhöhung ausgeübt.

142    Zweitens widerspreche die Erhöhung der gegen die Klägerinnen wegen der neunmonatigen Zuwiderhandlung von Gütermann im Jahr 2001 und der zehnmonatigen Zuwiderhandlung von Zwicky im Jahr 2000 verhängten Geldbußen um 5 % dem eindeutigen Wortlaut von Nr. 1 Abschnitt B der Leitlinien, die eine Erhöhung nur für ganze Jahre vorsehe. Im Übrigen sei die von der Kommission dazu vertretene Auffassung von der Rechtsprechung nicht bestätigt worden.

143    Drittens seien die pauschalen Erhöhungen um 115 % (für Gütermann) und um 105 % (für Zwicky) der Ausgangsbeträge der gegen diese beiden Unternehmen verhängten Geldbußen rechtswidrig, weil sie in Verkennung der tatsächlichen Dauer der Verstöße einheitlich für alle von der Zuwiderhandlung betroffenen Länder berechnet worden seien. Die Kommission sei nämlich der Ansicht gewesen, dass die Benelux‑ und die nordischen Länder, obwohl es sich dabei um zwei unterschiedliche Märkte handele, zusammen betrachtet werden müssten, weil sie am selben Tag besprochen worden seien und weil dieselben Unternehmen beteiligt gewesen seien. Zwicky macht allerdings geltend, dass sie niemals auf dem Markt für Industriegarne in den nordischen Ländern präsent und daher an den diese Länder betreffenden Zuwiderhandlungen nicht beteiligt gewesen sei. Das EWR-Abkommen sei erst am 1. Januar 1994 in Kraft getreten, und soweit die Vereinbarungen auch Finnland, Norwegen und Schweden betroffen hätten, hätten sie bis zu diesem Zeitpunkt weder gegen Art. 81 EG noch gegen Art. 53 des EWR-Abkommens verstoßen. Die Kommission hätte dies im Rahmen der Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlung berücksichtigen müssen.

144    Die Klägerinnen tragen damit vor, die Kommission habe es versäumt, zwischen dem Sachverhalt, der die Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht ausmache und der sich von Januar 1990 bis September 2001 für Gütermann und von Januar 1990 bis November 2000 für Zwicky erstrecke, im Sinne einer einheitlichen oder fortgesetzten Tathandlung einerseits und der rechtlichen Bewertung dieses Sachverhalts als Verstoß gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR-Abkommens andererseits zu unterscheiden.

145    Nach Ansicht von Gütermann hätte die Kommission daher konkret eine differenzierende Berechnung des Ausgangsbetrags für die Geldbuße vornehmen müssen, indem sie einerseits den Anteil des auf dem Markt für Industriegarne in den Beneluxländern und Dänemark erzielten Umsatzes und andererseits den Anteil hätte berücksichtigen müssen, der auf dem Markt für Industriegarne in Finnland, Norwegen und Schweden erzielt worden sei. Die Kommission hätte auf diese Weise einen zweigeteilten Ausgangsbetrag erhalten, auf den sodann ein unterschiedlicher Prozentsatz in Anbetracht der Dauer der Zuwiderhandlung für die eine und für die andere dieser Ländergruppen hätte angewandt werden müssen, nämlich 115 % für den Teil des Ausgangsbetrags, der sich auf den die Beneluxländer und Dänemark betreffenden Teil der Zuwiderhandlung bezogen habe, und 75 % für den Ausgangsbetrag, der sich auf den Finnland, Norwegen und Schweden betreffenden Teil bezogen habe.

146    Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.

 Würdigung durch das Gericht

147    Nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 ist die Dauer der Zuwiderhandlung eines der Elemente, die bei der Festsetzung der Höhe der gegen die Unternehmen, die gegen die Wettbewerbsvorschriften verstoßen haben, zu verhängenden Geldbuße zu berücksichtigen sind.

148    Beim Kriterium der Dauer der Zuwiderhandlung unterscheiden die Leitlinien zwischen Verstößen von kurzer Dauer (in der Regel weniger als ein Jahr), bei denen der für die Schwere des Verstoßes festgesetzte Ausgangsbetrag nicht zu erhöhen ist, Verstößen von mittlerer Dauer (in der Regel zwischen einem und fünf Jahren), bei denen dieser Betrag um bis zu 50 % erhöht werden kann, und Verstößen von langer Dauer (in der Regel mehr als fünf Jahre), bei denen dieser Betrag um bis zu 10 % für jedes Jahr erhöht werden kann (Teil 1 Abschnitt B Abs. 1).

149    Wie aus den Erwägungsgründen 359 und 360 der angefochtenen Entscheidung, deren Inhalt von den Klägerinnen nicht bestritten wird, hervorgeht, war an dem Kartell auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern Gütermann von Januar 1990 bis September 2001, also für einen Zeitraum der Zuwiderhandlung von elf Jahren und neun Monaten, und Zwicky von Januar 1990 bis November 2000, also für einen Zeitraum der Zuwiderhandlung von zehn Jahren und zehn Monaten, beteiligt. Beide Zeiträume entsprechen einem Verstoß von langer Dauer. Der Ausgangsbetrag für ihre Geldbuße wurde somit wegen der Dauer des Verstoßes um 115 % bzw. 105 % erhöht.

150    Soweit die Klägerinnen erstens beanstanden, dass die Kommission automatisch den Höchstsatz von 10 % pro Jahr der Zuwiderhandlung angewandt habe, ist daran zu erinnern, dass Nr. 1 Abschnitt B Abs. 1 dritter Gedankenstrich der Leitlinien zwar für Verstöße von langer Dauer keine automatische Erhöhung von 10 % pro Jahr vorsieht, dass er aber der Kommission insoweit einen Ermessensspielraum lässt (Urteile des Gerichts Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnr. 396, und vom 8. Juli 2008, BPB/Kommission, T‑53/03, Slg. 2008, II‑1333, Randnr. 362).

151    Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der vorstehenden Randnr. 149, dass die Kommission die Regeln, die sie sich in den Leitlinien auferlegt hat, beachtet hat, als sie den nach dem Schweregrad der Zuwiderhandlung zugrunde gelegten Geldbußenbetrag gemäß der Dauer der Zuwiderhandlung erhöhte. Unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles ist der Kommission kein offenkundiger Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie die Geldbuße pro Jahr der Zuwiderhandlung um 10 % erhöhte.

152    Zweitens ist die Rüge zurückzuweisen, die fünfprozentige Erhöhung des Ausgangsbetrags der Geldbuße für jeden Zeitraum von mehr als sechs Monaten sei nicht gerechtfertigt. Denn nirgends in den Leitlinien ist es untersagt, die tatsächliche Dauer der Zuwiderhandlung im Rahmen der Berechnung der Höhe der Geldbuße zu berücksichtigen. Ein solches Vorgehen ist völlig logisch und vernünftig und jedenfalls vom Ermessen der Kommission gedeckt (Urteil BPB/Kommission, oben in Randnr. 150 angeführt, Randnr. 361).

153    Drittens machen die Klägerinnen zu Unrecht geltend, die Dauer der Zuwiderhandlung sei für alle von der Zuwiderhandlung betroffenen Länder einheitlich berechnet worden, wobei nicht berücksichtigt worden sei, dass Zwicky auf dem Markt für Industriegarne in den nordischen Ländern nicht tätig gewesen und die tatsächliche Dauer der Zuwiderhandlungen auf dem Markt der Beneluxländer und dem der nordischen Länder verkannt worden sei.

154    Vorab ist daran zu erinnern, dass der Kommission zufolge die Klägerinnen an einer komplexen, einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 des EWR‑Abkommens beteiligt waren und dass diese Zuwiderhandlung sich auf mehrere Länder des Europäischen Wirtschaftsraums erstreckte. Auch ist zu betonen, dass die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, nicht zu bestreiten, dass im vorliegenden Fall eine einheitliche Zuwiderhandlung vorliegt.

155    Was erstens das Vorbringen von Zwicky betrifft, wonach das Unternehmen in den nordischen Ländern nicht auf dem Markt für Industriegarne präsent gewesen sei, so hat dieses Unternehmen nicht dargetan, inwiefern sich eine solche fehlende Präsenz auf die durch die Kommission vorgenommene Berechnung der Dauer der Zuwiderhandlung auswirken sollte. Denn die Berechnung des zusätzlichen, der Dauer der Zuwiderhandlung entsprechenden Geldbußenbetrags ist ausgehend vom Ausgangsbetrag der Geldbuße vorgenommen worden, der als solcher in Anbetracht des Umsatzes von Zwicky auf dem betreffenden Markt im Jahr 1999 berechnet worden ist. Das Fehlen von Aktivitäten dieses Unternehmens auf dem Markt für Industriegarne in den nordischen Ländern spiegelt sich daher schon in diesem Umsatz wider, da er definitionsgemäß keine Einkünfte aus einer nicht vorhandenen Tätigkeit auf dem Markt der nordischen Länder enthält.

156    Außerdem ist, wie oben in Randnr. 50 ausgeführt, für die Bejahung einer Zuwiderhandlung nicht von Belang, dass ein Unternehmen nicht an allen Bestandteilen eines Kartells beteiligt war oder, insoweit es nicht beteiligt war, eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Wenn ein Unternehmen nachweislich von dem eine Zuwiderhandlung darstellenden Verhalten der anderen Beteiligten wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte und wenn es bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen, wird es auch für den gesamten Zeitraum seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung als für das Verhalten verantwortlich angesehen, das im Rahmen derselben Zuwiderhandlung von anderen Unternehmen an den Tag gelegt wurde (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 328). Im vorliegenden Fall hat Zwicky – der das eine Zuwiderhandlung darstellende Verhalten der anderen Beteiligten auf dem Markt für Industriegarne in den nordischen Ländern keineswegs unbekannt war – effektiv an den diesen Markt betreffenden Zusammenkünften teilgenommen. Daher hat die Kommission Zwicky zu Recht eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zur Last gelegt, einschließlich des auf dem Markt der nordischen Länder begangenen Teils, und hat implizit die Ansicht vertreten, dass die Dauer der Zuwiderhandlung nicht nach der Intensität ihrer Beteiligung auf den betreffenden Märkten aufzuteilen sei.

157    Wenn nämlich die Rolle, die das fragliche Unternehmen im Kartell gespielt hat, bei der Bestimmung des Ausgangsbetrags der Geldbuße zutreffend berücksichtigt worden ist, kann die Tatsache, dass das Unternehmen nicht an allen Bestandteilen des Kartells beteiligt war, nicht erneut bei der Bestimmung der Dauer der Zuwiderhandlung berücksichtigt werden (Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2008, Saint-Gobain Gyproc Belgium/Kommission, T‑50/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 108).

158    Zweitens ist das Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, dass die Berechnung der Dauer der Zuwiderhandlung unter Berücksichtigung der Schwankungen in der Intensität der Zuwiderhandlung hätte vorgenommen und dabei folglich nach Ländergruppen – die Beneluxländer und Dänemark auf der einen und Finnland, Norwegen und Schweden auf der anderen Seite – hätte unterschieden werden müssen.

159    Aus der Rechtsprechung geht nämlich hervor, dass sich die Erhöhung prozentual nach dem Ausgangsbetrag richtet, der anhand der Schwere des gesamten Verstoßes ermittelt wird und damit bereits die unterschiedliche Intensität der Zuwiderhandlung widerspiegelt. Es wäre deshalb nicht logisch, wenn im Rahmen der Erhöhung dieses Betrags wegen der Dauer der Zuwiderhandlung ein Schwanken der Intensität der Zuwiderhandlung im betreffenden Zeitraum berücksichtigt würde (Urteil BPB/Kommission, oben in Randnr. 150 angeführt, Randnr. 364).

160    Selbst wenn bestimmte Arten von Kartellen ihrem Wesen nach auf Dauer angelegt sein sollten, ist hierbei nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 stets zwischen ihrer tatsächlichen Wirkungsdauer und ihrer Schwere, wie sie sich aus ihrem Wesen ergibt, zu unterscheiden (Urteil des Gerichts vom 15. Juni 2005, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑71/03, T‑74/03, T‑87/03 und T‑91/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 275). Daher wird bei der Erhöhung wegen der Dauer der Zuwiderhandlung nicht noch einmal die Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigt (Urteil Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnr. 397).

161    Im vorliegenden Fall manifestierte sich die Zuwiderhandlung zunächst auf dem Markt für Industriegarne in Dänemark und in den Beneluxländern. Mit dem Inkrafttreten des EWR‑Abkommens nahm sie an Intensität zu, weil sie sich auf den Markt für Industriegarne in den nordischen Ländern ausdehnte. Da dargetan worden ist, dass diese sich auf verschiedenen räumlichen Märkten manifestierenden Verstöße Teil einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung waren, ist bei der Berechnung des Geldbußenbetrags auf die Dauer dieser Zuwiderhandlung insgesamt abzustellen. Denn der Ausgangsbetrag, der nach der Schwere des Verstoßes festgesetzt worden ist, hatte bereits die unterschiedliche Intensität der Zuwiderhandlung widergespiegelt. Dieser Überlegung steht nicht entgegen, dass die Zunahme der Intensität der Zuwiderhandlung auf den rechtlichen Umstand zurückgeht, dass die Regelung, mit der wettbewerbswidrige Praktiken mit einer Sanktion bedroht werden, auf Gebiete anwendbar geworden war, auf die diese Regelung sich ursprünglich nicht bezog.

162    Daraus folgt, dass die Kommission nicht gehalten war, die unterschiedliche Intensität der Zuwiderhandlung bei der Erhöhung des Ausgangsbetrags der Geldbuße in Anbetracht der Dauer der genannten Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.

163    Unter diesen Umständen ist zu folgern, dass das Vorbringen der Klägerinnen, mit dem die unzutreffende Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlung gerügt wird, zurückzuweisen ist.

 Zu dem von Gütermann und von Zwicky geltend gemachten Klagegrund, bestimmte Milderungsgründe seien nicht berücksichtigt worden

 Vorbringen der Parteien

164    Vorab erinnern die Klägerinnen daran, dass Nr. 3 der Leitlinien eine Reihe von Milderungsgründen anführe, die zu einer Herabsetzung der Geldbuße führten. Die Kommission habe somit ihr Ermessen bei der Bestimmung des Betrags der Geldbußen beschränkt.

165    Die Klägerinnen betonen außerdem, dass Nr. 3 der Leitlinien es erlaube, andere, nicht ausdrücklich genannte Milderungsgründe zu berücksichtigen, und dass die Kommission solche anderen Milderungsgründe in ihrer bisherigen Entscheidungspraxis konkretisiert habe.

166    Die Klägerinnen stützen diesen Klagegrund darauf, dass die Kommission drei Milderungsgründe hätte berücksichtigen müssen.

167    Erstens tragen die Klägerinnen vor, die Kommission hätte das Fehlen konkreter Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf die tatsächlichen Preise als Grund für eine Herabsetzung der Geldbuße berücksichtigen müssen. Sie nehmen insoweit auf Nr. 3 zweiter Gedankenstrich der Leitlinien Bezug, wonach die tatsächliche Nichtanwendung einer Vereinbarung im Zusammenhang mit dem Verstoß bußgeldmindernd zu berücksichtigen sei.

168    Zweitens hätte nach Ansicht der Klägerinnen ihre rein passive Mitwirkung oder reine Mitläuferrolle gemäß Nr. 3 erster Gedankenstrich der Leitlinien berücksichtigt werden müssen.

169    Zwicky macht dazu geltend, sie habe auf den Märkten der nordischen Länder keine Tätigkeit ausgeübt und somit an den diese Länder betreffenden Zuwiderhandlungen nicht teilnehmen können. Außerdem habe sie in Anbetracht ihrer unbedeutenden Stellung auf dem Markt für Industriegarne in den Beneluxländern keinen Einfluss auf die Preislistengespräche für diese drei Länder oder auf die bilateralen Kontakte ausüben können. Gütermann trägt vor, auch sie habe eine wenig bedeutende Rolle auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux‑ und den nordischen Ländern gespielt und habe ebenfalls keinen Einfluss auf die Preislistengespräche oder die bilateralen Kontakte ausüben können; ein derartiger Einfluss sei im Übrigen hauptsächlich von Coats ausgegangen.

170    Zu den bilateralen Kontakten machen die Klägerinnen geltend, an diesen hätten sie sich im Gegensatz zu Coats und Amann, die viel häufiger bilaterale Kontakte unterhalten hätten, nur selten beteiligt.

171    Um darzutun, dass sie in dem beanstandeten Kartell eine unbedeutende Rolle gespielt hätten, führen die Klägerinnen ihre geringen Marktanteile an. Zwicky trägt vor, dass ihr Anteil auf dem Markt für Industriegarne in den Beneluxländern zwischen 1990 und 2000 weniger als 1 % betragen habe. Gütermann macht einen Marktanteil in den Benelux- und den nordischen Ländern von ungefähr 5,6 % geltend. Im Vergleich zu den Marktanteilen von Coats und Amann auf dem Markt der nordischen Länder (44 % bzw. 46 %) und den Anteilen dieser Unternehmen auf dem Markt der Beneluxländer (40 % bzw. 27 %) seien diese Anteile verschwindend gering.

172    Die Passivität ihres Verhaltens werde nicht dadurch widerlegt, dass ihre ehemaligen Mitarbeiter, Herr B. und Herr F., als sogenannte Vorsitzende bei den Zusammenkünften fungiert hätten. Denn der Vorsitz sei nach Seniorität vergeben worden, und die betreffenden Mitarbeiter hätten keinen Einfluss auf den Ablauf und den Inhalt der Treffen gehabt; diesen Einfluss habe auch in organisatorischer Hinsicht Coats ausgeübt. Hierfür berufen sich die Klägerinnen auf eine E‑Mail des Vertreters von Coats, Herrn L., vom 10. November 2000, aus der hervorgehe, dass dieser in einem Hotel bei Frankfurt am Main (Deutschland) einen Raum reserviert habe, um dort am 6. Januar 2001 ein Treffen durchzuführen, dessen Programm er festgelegt habe.

173    Drittens hätte die Kommission die seit Jahren bestehende Wirtschaftskrise in der europäischen Industriegarnindustrie berücksichtigen müssen. Insoweit nehmen die Klägerinnen Bezug auf die Entscheidung „Nahtlose Stahlrohre“ der Kommission vom 8. Dezember 1999 in einem Verfahren nach Artikel [81 EG] (Sache IV/E-1/35.860-B – Nahtlose Stahlrohre, 168. Erwägungsgrund) und die Entscheidung „Legierungszuschlag“ der Kommission vom 21. Januar 1998 in einem Verfahren nach Artikel 65 [KS] (Sache IV/35.814 – Legierungszuschlag, 83. Erwägungsgrund), in denen die Wirtschaftskrise, von denen diese Bereiche betroffen gewesen seien, berücksichtigt worden sei, sowie auf die Entscheidung „Französisches Rindfleisch“ der Kommission vom 2. April 2003 in einem Verfahren nach Artikel [81 EG] (Sache COMP/C.38.279/F3 – Viandes bovines françaises, 185. Erwägungsgrund), in der die durch die Spongiforme Rinderenzephalopathie (BSE) ausgelöste Krise berücksichtigt worden sei.

174    Vorsorglich tragen sie unter Berufung auf die Rechtsprechung vor, dass die Kommission gemäß dem Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen bei der Feststellung der relativen Schwere des Tatbeitrags jedes Unternehmens das eigene Verhalten des einzelnen Unternehmens hätte berücksichtigen und somit die gegen sie festgesetzten Geldbußen stark herabsetzen müssen.

175    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

 Würdigung durch das Gericht

176    Die Leitlinien sehen in Nr. 3 die Verringerung des Grundbetrags der Geldbuße bei „mildernden Umständen“ wie der ausschließlich passiven Mitwirkung oder reinem Mitläufertum, der tatsächlichen Nichtanwendung der Kartellvereinbarungen, der Beendigung der Verstöße nach dem ersten Eingreifen der Kommission und sonstigen nicht ausdrücklich erwähnten Umständen vor.

177    Erstens tragen die Klägerinnen vor, die Kommission hätte zu ihren Gunsten den mildernden Umstand berücksichtigen müssen, dass die Zuwiderhandlung keine konkrete Auswirkungen auf die Preise gehabt habe und die Vereinbarung somit tatsächlich nicht angewandt worden sei.

178    Es ist jedoch daran zu erinnern, dass alle vorgenannten mildernden Umstände auf dem eigenen Verhalten jedes Unternehmens beruhen. Folglich ist bei der Beurteilung der mildernden Umstände, darunter die Nichtanwendung der Vereinbarungen, nicht auf die sich aus der Zuwiderhandlung insgesamt ergebenden Wirkungen abzustellen, denen bei der Beurteilung der konkreten Auswirkungen eines Verstoßes auf den Markt zur Beurteilung der Schwere des Verstoßes Rechnung zu tragen ist (Nr. 1 Abschnitt A Abs. 1 der Leitlinien), sondern auf das individuelle Verhalten jedes Unternehmens, um die relative Schwere des Tatbeitrags jedes einzelnen Unternehmens festzustellen (Urteil Groupe Danone/Kommission, oben in Randnr. 137 angeführt, Randnr. 384).

179    Daraus folgt, dass das Vorbringen der Klägerinnen, das auf dem Fehlen konkreter Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf die Preise beruht, zurückzuweisen ist.

180    Zu prüfen ist daher, ob die Klägerinnen weitere Argumente vorbringen, die für den Nachweis geeignet sind, dass sie sich im Zeitraum ihrer Teilnahme an den unzulässigen Vereinbarungen tatsächlich deren Durchführung entzogen, indem sie sich auf dem Markt wettbewerbskonform verhielten, oder dass sie sich zumindest den Verpflichtungen zur Umsetzung dieses Kartells so eindeutig und nachdrücklich widersetzten, dass dadurch dessen Funktionieren selbst gestört wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 15. März 2006, Daiichi Pharmaceutical/Kommission, T‑26/02, Slg. 2006, II‑713, Randnr. 113).

181    Es ist festzustellen, dass sie nichts vortragen, was einen dahin gehenden Schluss zuließe. Sie räumen vielmehr ein, dass die Erhöhungen der Preise auf den im Lauf der Treffen beschlossenen Listen meistens von den verschiedenen Unternehmen und von ihnen selbst durchgeführt wurden.

182    Folglich können sich die Klägerinnen nicht mit Erfolg auf eine angebliche tatsächliche Nichtanwendung der Vereinbarungen berufen.

183    Zweitens ist zu dem Vorbringen, sie hätten ausschließlich passiv mitgewirkt oder sich als reine Mitläufer verhalten, festzustellen, dass es keine Grundlage hat.

184    Eine passive Mitwirkung impliziert nämlich, dass sich das betroffene Unternehmen nicht hervorgetan hat, d. h. nicht aktiv an der Ausarbeitung der wettbewerbswidrigen Absprachen teilgenommen hat (Urteile des Gerichts vom 9. Juli 2003, Cheil Jedang/Kommission, T‑220/00, Slg. 2003, II‑2473, Randnr. 167, und vom 8. Juli 2008, Lafarge/Kommission, T‑54/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 765).

185    Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass unter den Faktoren, aus denen die passive Mitwirkung eines Unternehmens an einem Kartell erkannt werden kann, berücksichtigt werden kann, dass es im Vergleich zu den gewöhnlichen Mitgliedern des Kartells deutlich seltener an den Zusammenkünften teilgenommen hat, dass es später in den Markt, der Gegenstand der Zuwiderhandlung gewesen ist, eingetreten ist, unabhängig davon, wie lange es an der Zuwiderhandlung mitgewirkt hat, oder dass es entsprechende ausdrückliche Aussagen von Vertretern dritter an der Zuwiderhandlung beteiligter Unternehmen gibt (Urteile des Gerichts Cheil Jedang/Kommission, oben in Randnr. 184 angeführt, Randnr. 168, vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑236/01, T‑239/01, T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, Slg. 2004, II‑1181, im Folgenden: Urteil Tokai I, Randnr. 331, und vom 29. November 2005, Union Pigments/Kommission, T‑62/02, Slg. 2005, II‑5057, Randnr. 126).

186    Im vorliegenden Fall ist zunächst daran zu erinnern, dass die Kommission rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass die Klägerinnen an zahlreichen Zusammenkünften des Kartells und bilateralen Treffen teilgenommen haben und wiederholt an mehreren Kartellverstößen beteiligt waren, auf die sich die angefochtene Entscheidung bezieht. Die Behauptung, dass die bilateralen Kontakte, die diese Unternehmen mit anderen am Kartell Beteiligten unterhalten hätten, weniger häufig gewesen seien als die bilateralen Kontakte von Amann und Coats mit ihren Mitbewerbern, ist insofern ohne Belang.

187    Sodann führen weder Gütermann noch Zwicky konkrete Umstände oder Beweise wie Erklärungen anderer Kartellmitglieder an, mit denen sich dartun ließe, dass ihr Verhalten sich durch Passivität oder Mitläufertum erheblich vom Verhalten der übrigen Kartellmitglieder unterschieden hätte.

188    Insofern kann an dem geringen oder fehlenden Marktanteil, auf den sich die Klägerinnen berufen, keine passive Mitwirkung oder reines Mitläufertum erkannt werden. Diesen Umstand als mildernden Umstand zuzulassen, würde neben der Berücksichtigung der Größe von Gütermann und von Zwicky bei der differenzierten Behandlung nach Unternehmenskategorien für die Berechnung der Geldbußen zu einer zweifachen Berücksichtigung ein und desselben Aspekts führen, denn diese Größe nach dem Umsatz spiegelt bereits die Bedeutung jedes der Unternehmen für deren Einordnung in die unterschiedlichen Kategorien wider.

189    Es trifft zu, dass das Gericht in seinem oben in Randnr. 184 angeführten Urteil Cheil Jedang/Kommission (Randnr. 180) eingeräumt hat, dass die geringe Größe eines Unternehmens ein wichtiger Gesichtspunkt ist, der zu berücksichtigen ist, wenn die tatsächliche Auswirkung seines späten Eintritts in den von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt und ihr Verhalten gegenüber den anderen Herstellern bewertet werden soll. Diese Rechtssache war jedoch durch einen ganz spezifischen Kontext gekennzeichnet, denn das betreffende Unternehmen war offenkundig im Rahmen des Kartells bei den Verkaufsquoten gegenüber den übrigen Herstellern „benachteiligt“ worden, und dies konnte als unmittelbare Folge seiner sporadischeren Teilnahme an den Zusammenkünften und seines späten Eintritts in den Markt ausgelegt werden. Derartige besondere Umstände liegen im vorliegenden Fall nicht vor.

190    Schließlich vertritt die Kommission zu Recht die Auffassung, dass sich in der Tatsache, dass die Vertreter von Gütermann bzw. Zwicky bei mehreren Zusammenkünften die Funktion des Vorsitzenden wahrgenommen haben, eine Bestätigung dafür sehen lässt, dass kein passives Verhalten dieser Unternehmen vorlag.

191    Sie bestreiten nämlich keineswegs, dass ihre Vertreter förmlich den Vorsitz bei mehreren Zusammenkünften geführt haben. Sie versuchen allerdings, diese Rolle herunterzuspielen, indem sie geltend machen, dass dieser Vorsitz in Wirklichkeit tatsächlich von einem Vertreter von Coats, Herrn L., wahrgenommen worden sei, und zwar auch dann, wenn ihr jeweiliger Vertreter den Vorsitz wahrgenommen habe.

192    Auch wenn es zutrifft, dass die E-Mail vom 10. November 2000, auf die sie sich stützen, erkennen lässt, dass der Vertreter von Coats eine aktive Rolle bei der Organisation des Treffens vom 16. Januar 2001 gespielt hat, so ändert dies doch nichts daran, dass es der Vertreter von Zwicky, Herr F., war, der die Einladung an die übrigen Teilnehmer versandte. Es ist klarzustellen, dass die Tatsache, dass die Einladung am 2. Dezember 2000, also kurz nach dem Zwicky gegenüber festgestellten Zeitraum der Zuwiderhandlung, versandt wurde, hierbei belanglos ist. Eine derartige Versendung ist der letzte Schritt einer vorbereitenden Arbeit, die unmittelbar nach Erhalt der E-Mail vom 10. November 2000 begann. Jedenfalls zeugt allein die Tatsache, dass Zwicky akzeptiert hat, dass ihr Vertreter die Rolle des Vorsitzenden wahrnahm, von einer Haltung, die keineswegs rein passiv oder nur die eines Mitläufers war.

193    Was den Vertreter von Gütermann, Herrn B., betrifft, so hat dieser nicht nur bei den Zusammenkünften des Kartells als Vorsitzender fungiert, sondern er hat diese Treffen auch organisiert, wie aus seinen Erklärungen hervorgeht, die der Antwort von Gütermann auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt ist.

194    Es steht fest, dass die Anberaumung von Treffen, der Vorschlag einer Tagesordnung und die Verteilung von Unterlagen zur Vorbereitung der Treffen mit der passiven Rolle eines Mitläufers, der sich nicht hervortut, unvereinbar ist. Derartige Initiativen lassen eine positive und aktive Haltung der Klägerinnen bei der Schaffung, Fortführung und Überwachung des Kartells erkennen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 27. September 2006, Jungbunzlauer/Kommission, T‑43/02, Slg. 2006, II‑3435, Randnr. 257).

195    Drittens können sich die Klägerinnen auch nicht mit Erfolg auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten berufen, denen sie in der Zeit des Kartells begegnet seien. Denn gerade wegen der Schwierigkeiten, mit denen alle Akteure auf dem Markt für Industriegarne seit Ende der Neunzigerjahre konfrontiert waren, entschlossen sich mehrere von ihnen, darunter Gütermann und Zwicky, zu einem wettbewerbswidrigen Verhalten. Im Allgemeinen entstehen aber Kartelle wie die hier in Rede stehenden dann, wenn eine Branche in Schwierigkeiten ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Tokai I, oben in Randnr. 185 angeführt, Randnr. 345, und Jungbunzlauer/Kommission, oben in Randnr. 194 angeführt, Randnr. 256).

196    Insoweit muss die Kommission, unterstellt man die Richtigkeit der Behauptung von Gütermann und Zwicky, es gebe mehrere Entscheidungen der Kommission, in denen die schlechte Finanzlage der betreffenden Branche berücksichtigt worden sei, nicht deshalb, weil sie in früheren Fällen die wirtschaftliche Situation der Branche als mildernden Umstand berücksichtigt hat, diese Praxis unbedingt fortsetzen (Urteil des Gerichts vom 10. März 1992, ICI/Kommission, T‑13/89, Slg. 1992, II‑1021, Randnr. 372). Die Kommission muss die Umstände jedes Einzelfalls individuell prüfen, ohne dass sie dabei durch frühere Entscheidungen gebunden ist, die andere Wirtschaftsteilnehmer, andere Produkt- oder Dienstleistungsmärkte oder andere räumliche Märkte zu anderen Zeiten betrafen (Urteil des Gerichts vom 30. September 2003, Cableuropa u. a./Kommission, T‑346/02 und T‑347/02, Slg. 2003, II‑4251, Randnr. 191).

197    Viertens rügen die Klägerinnen in ihren Erwiderungen einen Verstoß gegen den Grundsatz der individuellen Strafzumessung.

198    Zum einen ist daran zu erinnern, dass nach Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung neue Angriffs‑ und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können, es sei denn, sie werden auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.

199    Zum anderen ist nach ständiger Rechtsprechung ein Angriffsmittel, das eine Erweiterung eines bereits vorher – unmittelbar oder implizit – in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels darstellt und mit diesem eng zusammenhängt, für zulässig zu erklären (Urteile des Gerichts vom 19. September 2000, Dürbeck/Kommission, T‑252/97, Slg. 2000, II‑3031, Randnr. 39, Cableuropa u. a./Kommission, oben in Randnr. 196 angeführt, Randnr. 111, und vom 12. Juli 2007, AEPI/Kommission, T‑229/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 21).

200    Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass in den Klageschriften nichts zum Grundsatz der individuellen Strafzumessung vorgetragen worden ist, und zweitens, dass dieses Vorbringen keine Erweiterung eines in den Klageschriften vorgetragenen Angriffsmittels darstellt und mit den dort aufgeführten nicht eng zusammenhängt.

201    Da sich das Vorbringen außerdem nicht auf rechtliche oder tatsächliche Gründe bezieht, die während des Verfahrens zutage getreten sind, ist es als unzulässig zurückzuweisen.

202    Daraus folgt, dass der Klagegrund einer fehlenden Berücksichtigung bestimmter mildernder Umstände keinen Erfolg haben kann.

 Zum von Gütermann und Zwicky geltend gemachten Klagegrund einer fehlerhaften Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit

 Vorbringen der Parteien

203    Die Klägerinnen tragen vor, ihnen sei für ihre Kooperation vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte und ihr Nichtbestreiten des Sachverhalts in der Stellungnahme zu dieser eine Herabsetzung der Geldbuße um 15 % gewährt worden. Sie halten diese Herabsetzung für unzureichend, da ihre Kooperation nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte über ein bloßes Nichtbestreiten deutlich hinausgegangen sei.

204    Erstens hätten sie Informationen übermittelt, die der Kommission einen vollständigen Überblick über Ablauf, Inhalt und Hintergrund der Treffen und bilateralen Kontakte ermöglicht hätten.

205    Was zum Ersten den Ablauf der Treffen angeht, machen die Klägerinnen geltend, sie hätten die Ausführungen von Coats richtiggestellt, die fälschlicherweise behauptet habe, dass das Treffen vom 19. September 2000 das einzige gewesen sei, bei dem Erhöhungen von Preisen in den Preislisten diskutiert und vereinbart worden seien. Die Preise in den Preislisten und Preiserhöhungen seien nämlich bei allen Treffen diskutiert worden. Sodann hätten die angeblichen Klarstellungen von Coats in ihrer Stellungnahme zur Mitteilung der Beschwerdepunkte nur den Spezialpreisen gegolten und könnten somit die Nützlichkeit der Richtigstellung durch die Klägerinnen nicht in Frage stellen. Schließlich sind die Klägerinnen der Ansicht, dass die genannten Richtigstellungen einerseits und die Klarstellungen von Coats andererseits im Wesentlichen in demselben Verfahrensabschnitt erfolgt seien, selbst wenn Letztere der Kommission einige Tage vor Ersteren zugegangen seien, so dass die zeitliche Reihenfolge für die Beurteilung der Zusammenarbeit nicht entscheidend sein könne.

206    Die Klägerinnen tragen zum Zweiten vor, sie hätten als einzige Unternehmen klar erklärt, dass es das Ziel der Treffen gewesen sei, die Diskrepanz zwischen den Nettopreisen und den Listenpreisen zu reduzieren, was Erwägungsgrund 167 der angefochtenen Entscheidung bestätige. Insoweit berufe sich die Kommission zu Unrecht auf Nr. 141 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, wenn sie ausführe, sie habe diesen Zweck und die Auswirkungen der Vereinbarungen auf die Listenpreise dort bereits festgestellt. Denn aus dieser Randnummer gehe nur hervor, dass die Kommission habe beweisen können, dass die Teilnehmer der Treffen die mittelbare Anhebung der geplanten Nettopreise in einem Fall versucht hätten, dass die Kommission aber noch nicht über einen Hinweis auf den allgemeinen Hintergrund der Listenpreisgespräche verfügt habe.

207    Zweitens machen die Klägerinnen geltend, ihre Kooperation sei unzutreffend als weniger nützlich als die von BST, der die Kommission eine Herabsetzung der Geldbuße um 20 % gewährt habe, eingeschätzt worden, und berufen sich insoweit auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.

208    Drittens halten die Klägerinnen die ihnen von der Kommission gewährte Herabsetzung der Geldbuße um 15 % für unzureichend, weil nach deren bisheriger Entscheidungspraxis und der Rechtsprechung das bloße Nichtbestreiten zu einer Reduktion der Geldbuße von mindestens 10 %, in einigen Fällen sogar von 20 % führe. Eine Kooperation nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte, die über ein bloßes Nichtbestreiten hinausgehe, hätte daher zu einer deutlich stärkeren Herabsetzung durch die Kommission führen müssen.

209    Viertens machen die Klägerinnen geltend, dass sie im Sinne der beiden Gedankenstriche von Abschnitt D Nr. 2 der Mitteilung über Zusammenarbeit mit der Kommission zusammengearbeitet hätten und dass jeder von ihnen deswegen eine Herabsetzung der Geldbuße von mindestens zweimal 10 % hätte gewährt werden müssen.

210    Insoweit lasse sich der angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen, dass die Kommission die Zusammenarbeit der Klägerinnen nach Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte tatsächlich gewürdigt habe. Selbst wenn sich die Kooperation der Klägerinnen nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte tatsächlich auf das Nichtbestreiten des Sachverhalts beschränkt hätte, hätte ihnen ferner eine Herabsetzung von mindestens 20 % gewährt werden müssen, und zwar selbst dann, wenn ihre Zusammenarbeit keinen anderen Nutzen als die Erhärtung der Beweise der Kommission durch dieses Nichtbestreiten erbracht hätte. Anders als bei der hier anzuwendenden Mitteilung setze die Mitteilung der Kommission vom 19. Februar 2002 über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 45, S. 3) voraus, dass die Beweismittel gegenüber den bereits im Besitz der Kommission befindlichen Beweismitteln einen erheblichen Mehrwert hätten.

211    Fünftens habe die Kommission ihre bisherige Entscheidungspraxis nicht beachtet. Die Klägerinnen machen geltend, ihre Kooperation sei mit der des Unternehmens KME in der Sache „Industrierohre“ vergleichbar; für diese Kooperation sei KME eine Herabsetzung der Geldbuße von 30 % zuerkannt worden (Entscheidung der Kommission vom 16. Dezember 2003 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen, Sache COMP/E‑1/38.240 – Industrierohre, Randnr. 423). Der einzige Unterschied bestehe darin, dass die Klägerinnen die fraglichen Richtigstellungen zu den Erklärungen der übrigen Teilnehmer in der Stellungnahme zur Mitteilung der Beschwerdepunkte und nicht vor dieser Mitteilung vorgenommen hätten. Abschnitt D Nr. 2 der Mitteilung über Zusammenarbeit bewerte die Beiträge der Unternehmen zur Sachverhaltsaufklärung vor und nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht unterschiedlich, so dass die Kommission auch ihnen insgesamt eine Herabsetzung ihrer Geldbußen um mindestens 30 % hätte gewähren müssen.

212    Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.

 Würdigung durch das Gericht

213    In ihrer Mitteilung über Zusammenarbeit hat die Kommission die Voraussetzungen definiert, unter denen Unternehmen, die während der Untersuchung eines Kartellfalls mit ihr zusammenarbeiten, entweder von der Geldbuße befreit werden können oder in den Genuss einer Herabsetzung des Betrags der Geldbuße, den sie normalerweise hätten zahlen müssen, kommen können (vgl. Abschnitt A Nr. 3 der Mitteilung über Zusammenarbeit).

214    Abschnitt D Nr. 1 der Mitteilung über Zusammenarbeit lautet: „Arbeitet ein Unternehmen mit der Kommission zusammen, ohne dass es alle Voraussetzungen [der Abschnitte B und C] erfüllt, so wird die Höhe der Geldbuße, die ohne seine Mitarbeit festgesetzt worden wäre, um 10 bis 50 % niedriger festgesetzt.“

215    Abschnitt D Nr. 2 der Mitteilung über Zusammenarbeit sieht vor:

„Dies gilt insbesondere, wenn

–        ein Unternehmen der Kommission vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte Informationen, Unterlagen oder andere Beweismittel liefert, die zur Feststellung des Vorliegens eines Verstoßes beitragen;

–        ein Unternehmen der Kommission nach Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte mitteilt, dass es den Sachverhalt, auf den die Kommission ihre Einwände stützt, nicht bestreitet.“

216    Im vorliegenden Fall geht aus der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die Kommission der Ansicht war, gemäß Abschnitt D Nr. 2 erster und zweiter Gedankenstrich der Mitteilung über Zusammenarbeit zugunsten von Gütermann und Zwicky den Betrag der Geldbuße um 15 % herabsetzen zu können (angefochtene Entscheidung, 397. Erwägungsgrund).

217    Zur Rechtfertigung ihrer Beurteilung stellte die Kommission zunächst fest, dass die Informationen, Unterlagen und anderen Beweise, die Gütermann und Zwicky vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte geliefert hätten, zum Nachweis des Vorliegens einer Rechtsverletzung beigetragen hätten (angefochtene Entscheidung, 395. Erwägungsgrund). Sie führte sodann aus, dass die Klägerinnen in ihren ersten Antworten auf das Auskunftsverlangen zugegeben hätten, dass die Preislisten während der Treffen ausgetauscht und diskutiert worden seien. Schließlich unterstrich die Kommission, dass die Klägerinnen die Fakten, auf die die Kommission ihre Vorwürfe gestützt habe, nicht substanziell bestritten hätten (angefochtene Entscheidung, 396. Erwägungsgrund).

–       Zur Nützlichkeit der Zusammenarbeit

218    Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerinnen nicht in Abrede stellen, dass sie, wie im 385. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung festgestellt worden ist, nicht die Tatbestandsvoraussetzungen der Abschnitte B und C der Mitteilung über Zusammenarbeit erfüllen, so dass ihr Verhalten anhand von Abschnitt D der genannten Mitteilung zu prüfen ist, der die Überschrift „Spürbar niedrigere Festsetzung der Geldbuße“ trägt.

219    Sodann ist zu bemerken, dass der Kommission hinsichtlich der Methode für die Berechnung von Geldbußen ein weites Ermessen zusteht und dass sie insoweit eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen kann, zu denen auch die Kooperationsbeiträge der betroffenen Unternehmen während der von den Dienststellen der Kommission durchgeführten Untersuchungen gehören. In diesem Rahmen muss die Kommission komplexe Tatsachenwürdigungen, wie die Würdigung der jeweiligen Kooperationsbeiträge dieser Unternehmen, vornehmen (Urteil des Gerichtshofs vom 10. Mai 2007, SGL Carbon/Kommission, C‑328/05 P, Slg. 2007, I‑3921, Randnr. 81).

220    In dieser Hinsicht verfügt die Kommission bei der Beurteilung der Qualität und der Nützlichkeit des Kooperationsbeitrags eines Unternehmens, insbesondere im Vergleich zu den Beiträgen anderer Unternehmen, über ein weites Ermessen (Urteil SGL Carbon/Kommission, oben in Randnr. 219 angeführt, Randnr. 88).

221    Schließlich ist festzustellen, dass die Herabsetzung der Geldbußen im Fall der Zusammenarbeit der Unternehmen, die an Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft beteiligt waren, nach der Rechtsprechung auf der Erwägung beruht, dass eine derartige Zusammenarbeit die Aufgabe der Kommission erleichtert, die darauf abzielt, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung festzustellen und dieser gegebenenfalls Einhalt zu gebieten (Urteile des Gerichtshofs vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 399, Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998, Finnboard/Kommission, T‑338/94, Slg. 1998, II‑1617, Randnr. 363). In Anbetracht des Grundes für die Herabsetzung kann die Kommission nicht die Nützlichkeit der gelieferten Information außer Acht lassen, die zwangsläufig von den sich bereits in ihrem Besitz befindlichen Beweismitteln abhängt.

222    In diesem Sinne geht aus der Rechtsprechung hervor, dass dann, wenn ein Unternehmen bei der Kooperation nur bestimmte Informationen, die ein anderes Unternehmen im Rahmen der Zusammenarbeit bereits gegeben hat, bestätigt und dies zudem weniger genau und weniger explizit geschieht, der Grad der Zusammenarbeit dieses Unternehmens, selbst wenn er nicht eines gewissen Nutzens für die Kommission entbehren mag, nicht als dem Grad der Zusammenarbeit des Unternehmens gleich angesehen werden kann, das die betreffenden Informationen als Erstes gegeben hat. Eine Erklärung, die nur in gewissem Maße eine Erklärung erhärtet, die der Kommission bereits vorlag, erleichtert nämlich deren Aufgabe nicht erheblich. Sie reicht damit nicht aus, um eine Herabsetzung der Geldbuße aufgrund der Zusammenarbeit zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil Groupe Danone/Kommission, oben in Randnr. 137 angeführt, Randnr. 455).

223    Im vorliegenden Fall ist zunächst klarzustellen, dass die Tatsache, dass Abschnitt D Nr. 2 der Mitteilung über Zusammenarbeit den Fall einer Übermittlung von Informationen und von neuen Beweismitteln nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht behandelt, keineswegs ausschließt, dass ein derartiger Umstand Anlass zu einer Herabsetzung der Geldbuße auf der Grundlage dieser Bestimmung geben kann. Die Liste der in diesem Abschnitt D Nr. 2 aufgeführten Umstände ist nämlich nur beispielhaft, wie sich aus der Verwendung des Adverbs „insbesondere“ ergibt (Urteil des Gerichts vom 13. Dezember 2001, Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission, T‑45/98 und T‑47/98, Slg. 2001, II‑3757, Randnr. 274).

224    Diese Analyse wird durch das Urteil des Gerichtshofs vom 14. Juli 2005, ThyssenKrupp/Kommission (C‑65/02 P und C‑73/02 P, Slg. 2005, I‑6773, Randnr. 59), insoweit bestätigt, als der Gerichtshof dort befunden hat, dass die Kommission es berücksichtigen kann, wenn ein Unternehmen in einem fortgeschrittenen Stadium des Verfahrens die rechtliche Einstufung des beanstandeten Sachverhalts anerkennt, da dies auf ein Eingeständnis der Zuwiderhandlung hinausläuft. Dieser Fall wird in den Abschnitten B und C der Mitteilung über Zusammenarbeit angesprochen, aber nicht explizit in ihrem Abschnitt D behandelt. Der Gerichtshof hat allerdings die Ansicht vertreten, dass nichts dagegen spricht, ein Unternehmen für ein derartiges Eingeständnis zu belohnen, selbst wenn dieses in einem späteren Stadium des Verfahrens erfolgt als dem, auf das in den Abschnitten B und C der Mitteilung über Zusammenarbeit abgestellt wird. Mit dieser Entscheidung hat der Gerichtshof den allgemeinen Grundsatz bestätigt, wonach die Kommission Milde walten lässt, wenn der Nachweis der Zuwiderhandlung erleichtert wird, und zwar ganz gleich, in welchem Stadium die Hilfe des Unternehmens erfolgt und ob diese Hilfe in den Lieferungen neuer Informationen oder neuer Beweismittel bestanden hat oder darin, dass der Sachverhalt oder dessen rechtliche Einstufung anerkannt wird.

225    Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall die Frage, ob die von Gütermann und Zwicky nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte gelieferten neuen Informationen und neuen Beweismittel zu berücksichtigen sind und ob dies somit Anlass zu einer Herabsetzung der Geldbuße im Hinblick auf die Zusammenarbeit geben kann, hauptsächlich von der Qualität und Nützlichkeit der geleisteten Zusammenarbeit abhängt, die die Kommission im Rahmen ihres weiten Wertungsspielraums, wie oben in den Randnrn. 219 und 220 ausgeführt, beurteilt.

226    Die genannte Frage lässt sich somit nicht mit der bloßen Feststellung zufriedenstellend beantworten, dass die Informationen und Beweismittel nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte übermittelt worden sind, sondern impliziert vielmehr, dass konkret sowohl im Hinblick auf die Qualität und die Nützlichkeit dieser Informationen und Beweismittel als auch im Hinblick auf den Zeitpunkt, zu dem diese übermittelt worden sind, zu bestimmen ist, ob der Kommission ein offenkundiger Beurteilungsfehler hinsichtlich des Grades der Zusammenarbeit von Gütermann und Zwicky unterlaufen ist.

227    Zunächst ist zu beachten, dass die Klägerinnen die Feststellung, dass die Informationen von Coats entscheidend für den Nachweis des Bestehens des Kartells auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern gewesen sind, nicht in Frage stellen. Der 387. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung führt hierfür von Coats beigebrachte Beweise an, auf die zahlreiche Punkte der Mitteilung der Beschwerdepunkte gestützt sind.

228    Allerdings berufen sich die Klägerinnen erstens darauf, dass sie die Erklärungen von Coats zur Häufigkeit der Treffen wegen der Preislisten und der Erhöhung der Preise und zur Häufigkeit der Treffen wegen der Sonderpreise richtiggestellt hätten.

229    Was zum Ersten die Häufigkeit der Treffen wegen der Preislisten und der Erhöhung der Preise betrifft, stützen sich die Klägerinnen zu Unrecht auf eine Erklärung des Vertreters von Coats in dem Antrag auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit, der zufolge das Treffen vom 19. September 2000 das einzige gewesen sei, in dessen Verlauf Erhöhungen der tatsächlichen Preise („actual prices“) besprochen und vereinbart worden seien.

230    Die Kommission hat nämlich in Nr. 100 der Mitteilung der Beschwerdepunkte festgestellt, dass die Hersteller, darunter Coats, BST, Gütermann und Zwicky, eingeräumt hätten, dass während der Zusammenkünfte Preislisten diskutiert und ausgetauscht worden seien. Außerdem ergibt sich aus den Feststellungen in Nr. 102 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, dass Coats anders als Gütermann und Zwicky eingeräumt hat, dass die Unternehmen bei diesen Zusammenkünften zukünftige Preislisten sowie die Termine, ab denen die Preiserhöhungen in Kraft treten würden, abgesprochen haben. Die Informationen von Gütermann und Zwicky über die tatsächlichen Preise haben somit der Kommission nicht mehr Klarheit über das verschafft, was sie bereits wusste. Das Vorbringen der Klägerinnen dringt somit nicht durch.

231    Was zum Zweiten die Häufigkeit der Diskussionen über die Sonderpreise betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in Nr. 107 der Mitteilung der Beschwerdepunkte betont hat, dass die Hersteller, einschließlich Coats, bestritten oder mitzuteilen unterlassen hätten, dass sie Informationen über Sonderpreise und Nettopreise ausgetauscht und hierüber Vereinbarungen getroffen hätten. Was außerdem den Austausch von Informationen über Rabatte und Skonti betrifft, hat die Kommission in Nr. 105 der Mitteilung der Beschwerdepunkte festgestellt, dass die Hersteller, mit Ausnahme von Coats für den Zeitraum vor Mitte der Neunzigerjahre, bestritten oder den Hinweis darauf unterlassen hätten, dass es ihn gegeben habe. Auch ist festzustellen, dass die betreffenden Unternehmen wie Coats, Zwicky, Gütermann und BST erst nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte angegeben haben, dass bei den Treffen Sonderpreise erörtert und vereinbart wurden.

232    Allerdings macht die Kommission zu Recht geltend, dass sie in der Lage war, diese Bestandteile der Zuwiderhandlung dank der Unterlagen nachzuweisen, die Coats ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen beigefügt hatte. Hierbei handelt es sich zunächst um ein von einem Vertreter von Barbour Threads verfasstes Protokoll eines Treffens vom 8. September 1998, das auf das Bestehen von Vereinbarungen über Rabatte und Skontosenkungen und Vereinbarungen über die Erhöhung der Sonderpreise hinwies. In der Mitteilung der Beschwerdepunkte nimmt die Kommission hierauf mehrfach Bezug (Nrn. 106, 108 und 121). Es handelt sich sodann um eine E-Mail vom 10. Oktober 2000, die den Erklärungen des Vertreters von Coats, F. S., beigefügt war und bestätigte, dass anlässlich eines Treffens vom 19. September 2000 Senkungen von Rabatten und Erhöhungen von Sonderpreisen vereinbart worden waren. Dies erwähnt die Kommission in Nr. 126 der Mitteilung der Beschwerdepunkte. Schließlich handelt es sich um E-Mails, die Coats ihrem Kronzeugenantrag beigefügt hat, darunter die von Oktober 2000, die auf den Informationsaustausch mit Amann und Gütermann wegen der Sonderpreise hinweist. Dieses Dokument wird in Nr. 133 der Mitteilung der Beschwerdepunkte in der Fn. 268 erwähnt.

233    Ebenfalls zu Recht hat die Kommission betont, dass die von BST erteilten Auskünfte ihr auch dabei geholfen hatten, Besprechungen und Vereinbarungen über Sonderpreise festzustellen. Diese Feststellung ergibt sich insbesondere aus den Nrn. 104 und 106 sowie den Fn. 173, 174 und 176 der Mitteilung der Beschwerdepunkte.

234    Daraus folgt, dass die Berichtigungen, die die Klägerinnen in Bezug auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgenommen haben wollen, in Wirklichkeit lediglich bestätigten, was die Kommission bereits dank der vorgenannten, vor der genannten Mitteilung erteilten Informationen wusste.

235    Daher hatte die Tatsache, dass die Bemerkungen von Coats über die Sonderpreise, die sich an die Mitteilung der Beschwerdepunkte anschlossen, der Kommission vor denjenigen der Klägerinnen zugingen, keinen Einfluss auf die Beurteilung der Zusammenarbeit der Klägerinnen.

236    Zweitens ist das Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, sie seien die einzigen Unternehmen gewesen, die in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte erklärt hätten, dass es das Ziel der Treffen gewesen sei, die Diskrepanz zwischen den Listenpreisen und den tatsächlichen Nettopreisen zu reduzieren und mittelbar die Nettopreise für bestimmte Produkte zu erhöhen.

237    Zwar hat die Kommission nämlich im 167. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung eine Formulierung von Gütermann in deren Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte übernommen, um das Ziel der Zusammenkünfte zu erklären, doch hatte sie dieses Ziel und die Auswirkungen der Vereinbarungen, wie aus den Nrn. 141 und 142 der Mitteilung der Beschwerdepunkte hervorgeht, bereits festgestellt. Die dort erwähnten Auskünfte hat Coats im Rahmen ihres Kronzeugenantrags übermittelt, und sie haben der Kommission ermöglicht, anhand des in ihnen enthaltenen konkreten Beispiels von Listenpreiserhöhungen auf den allgemeinen Zusammenhang der Diskussionen über die Listenpreise hinzuweisen.

–       Zur vermeintlich fehlerhaften Beurteilung der Zusammenarbeit im Vergleich mit der von BST

238    Was den Antrag der Klägerinnen betrifft, in den Genuss einer Herabsetzung zu kommen, die mindestens derjenigen von BTS gleichwertig ist, ist daran zu erinnern, dass die Kommission nach gefestigter Rechtsprechung bei ihrer Beurteilung der Zusammenarbeit der betroffenen Unternehmen den Grundsatz der Gleichbehandlung nicht außer Acht lassen darf, der verletzt ist, wenn vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteil Tokai I, oben in Randnr. 185 angeführt, Randnr. 394 und die dort angeführte Rechtsprechung). Allerdings ist der Kommission ein weiter Wertungsspielraum bei der Beurteilung der Qualität und der Nützlichkeit der Zusammenarbeit der verschiedenen Kartellmitglieder zuzubilligen, wobei lediglich ein offenkundiges Überschreiten dieses Spielraums beanstandet werden kann.

239    Aus dem Vergleich der Zusammenarbeit dieser Unternehmen geht hervor, dass die Kommission nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen hat.

240    Was nämlich zum Ersten die Zusammenarbeit vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 15. März 2004 betrifft, war die Kommission der Ansicht, dass BTS ihr beträchtlich dabei geholfen habe, den Inhalt zahlreicher Vereinbarungen (darunter den größten Teil des Inhalts der Anfang der Neunzigerjahre geschlossenen Vereinbarungen, den Inhalt der Vereinbarung, die am 8. Oktober 1996 in Wien [Österreich] geschlossen worden war, und der am 9. September 1997 in Zürich [Schweiz] geschlossenen Vereinbarung) festzustellen, dass sie das einzige Unternehmen gewesen sei, das ihr die von den Wettbewerbern bei den Treffen erhaltenen Preislisten habe zukommen lassen, und dass BTS Informationen geliefert habe, die weit über dasjenige hinausgegangen seien, was nach dem Auskunftsverlangen vorzulegen gewesen sei. Insoweit nimmt die Kommission zur Stützung ihrer Feststellungen auf zahlreiche Fußnoten der Mitteilung der Beschwerdepunkte Bezug, in denen sich ein Beleg dafür sehen lässt, dass BST zahlreiche Beweise (darunter die Anlage 14 der Antwort von BTS auf das Auskunftsverlangen) vorgelegt hat und dass sie somit eine wichtige Informationsquelle im Rahmen der vorläufigen Feststellungen der Kommission war.

241    In Bezug auf die Zusammenarbeit der Klägerinnen vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission zwar einräumt, dass diese ihr auch Unterlagen zur Verfügung gestellt haben, die einen Überblick über die Treffen zu Beginn der Neunzigerjahre vermittelten. Dennoch war die Kommission der Ansicht, dass diese Informationen sich als weniger nützlich erwiesen als die von BST übermittelten. Diese Beurteilung haben die Klägerinnen nicht in Frage gestellt, sondern haben sich mit der Behauptung begnügt, dass die ihnen vorliegenden Informationen es ihnen nicht erlaubten, sich eine Meinung darüber zu bilden, ob BST mehr Informationen und Beweismittel als sie selbst vorgelegt habe. Wie oben dargelegt, geht klar aus den Erwägungsgründen 391 bis 397 der angefochtenen Entscheidung sowie zahlreichen Bezugnahmen auf die von BST vorgelegten Unterlagen, die in den Fußnoten zur Stützung der Feststellungen der Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthalten sind, hervor, dass die Zusammenarbeit von BST bedeutender war.

242    Was zum Zweiten die Zusammenarbeit nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte betrifft, ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung, dass sowohl BST als auch die Klägerinnen den festgestellten Sachverhalt nicht bestritten haben und dass die Zusammenarbeit dieser drei Unternehmen in diesem Stadium des Verwaltungsverfahrens identisch war. Denn im Licht dessen, was oben in den Randnrn. 228 bis 237 ausgeführt worden ist, tragen die Klägerinnen zu Unrecht vor, sie hätten nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte Informationen geliefert, die die Kommission nicht gekannt habe. Folglich können sie nicht geltend machen, Informationen von einer solchen Nützlichkeit übermittelt zu haben, dass es gerechtfertigt wäre, ihnen mindestens die gleiche Herabsetzung zu gewähren, wie sie BST gewährt worden ist.

243    Selbst wenn einzuräumen wäre, dass die Klägerinnen ebenso nützliche Klarstellungen geliefert hätten wie die von BST zu bestimmten Punkten der Mitteilung der Beschwerdepunkte, ist der Kommission kein offenkundiger Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie darauf abgestellt hat, dass die von BST gelieferten Informationen und Beweismittel vor der genannten Mitteilung vorgelegt wurden.

–       Zur vermeintlich unzutreffenden Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit und der vermeintlichen Nichtberücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichts

244    Die Klägerinnen tragen zu Unrecht vor, dass die Kommission ihnen jeweils eine Herabsetzung der Geldbuße in Höhe von wenigstens zweimal 10 %, mithin mindestens 20 %, hätte gewähren müssen, da sie anerkannt habe, dass die Kooperation der Klägerinnen die Voraussetzungen der beiden Verhaltenskategorien von Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit erfüllt habe.

245    Es ist nämlich festzustellen, dass die in Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit vorgesehene Bandbreite von 10 % bis 50 % reicht, ohne dass besondere Kriterien für die Abstufung der Herabsetzung innerhalb dieser Bandbreite festgelegt würden. Die Mitteilung schafft daher keine berechtigte Erwartung darauf, in den Genuss eines bestimmten Prozentsatzes der Herabsetzung zu kommen. Außerdem ist Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit entgegen dem, was die Klägerinnen im Wesentlichen geltend machen, keineswegs so auszulegen, dass er die Kommission verpflichten würde, eine besondere Herabsetzung von mindestens 10 % für jeden hierunter fallenden festgestellten Fall der Zusammenarbeit zu gewähren, sondern er muss vielmehr so verstanden werden, dass er lediglich eine einzige Herabsetzung von mindestens 10 % vorsieht.

246    Solange die Kommission nicht offenkundig den weiten Wertungsspielraum überschreitet, über den sie verfügt, wenn sie das Ausmaß bewertet, in dem ihre Arbeit durch die Kooperation des Unternehmens erleichtert worden ist, steht es ihr somit völlig frei, in ihrer Entscheidung die einzelnen Prozentsätze anzugeben, die sie für jeden festgestellten Fall zugrunde gelegt hat, der unter Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit fällt, und diese sodann zu addieren, ebenso wie es ihr unbenommen bleibt, lediglich einen einzigen umfassenden Prozentsatz anzugeben, den sie für dieselben Fallkonstellationen meint gewähren zu können. Denn die Beurteilung der Nützlichkeit der Zusammenarbeit beruht, wie die Kommission zu Recht betont, keineswegs auf einer arithmetischen Formel, die von Amts wegen zu einer Herabsetzung von mindestens 20 % führt, wenn beide Gedankenstriche von Abschnitt D einschlägig sind.

247    Das oben in Randnr. 185 angeführte Urteil Tokai I, auf das die Klägerinnen sich berufen, vermag diese Beurteilung nicht in Frage zu stellen. Denn es ergibt sich klar aus der Entscheidung 2002/271/EG der Kommission vom 18. Juli 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 5 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/36.490 – Graphitelektroden) (ABl. 2002, L 100, S. 1), um die es in diesem Urteil ging, dass die Kommission lediglich und ausdrücklich auf den ersten Gedankenstrich von Abschnitt D Nr. 2 der Mitteilung über Zusammenarbeit für das betreffende Unternehmen abgestellt hat. Das Gericht hat indes festgestellt, dass das betreffende Unternehmen ebenfalls im Sinne des zweiten Gedankenstrichs kooperiert hatte. Die Kommission hat sich bemüht, zu erklären, dass sie lediglich eine einzige Herabsetzung vorgenommen habe, die den beiden Arten der Zusammenarbeit Rechnung trage. Anders jedoch als in der vorliegenden Rechtssache wurde das Nichtbestreiten des Sachverhalts seitens des betreffenden Unternehmens in keinem der sich auf die Zusammenarbeit dieses Unternehmens beziehenden Erwägungsgründe beurteilt. Daher sah sich das Gericht zu der Feststellung gezwungen, dass die Kommission dem betreffenden Unternehmen Abschnitt D Nr. 2 zweiter Gedankenstrich der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht hatte zugutekommen lassen.

–       Zur vermeintlichen Nichtberücksichtigung der früheren Entscheidungspraxis

248    Die Berufung der Klägerinnen auf eine vermeintliche frühere Praxis der Kommission ist zurückzuweisen. Denn allein die Tatsache, dass die Kommission im Rahmen ihrer früheren Entscheidungspraxis für ein bestimmtes Verhalten einen bestimmten Herabsetzungssatz gewährt hat, bedeutet nicht, dass sie gehalten wäre, bei der Beurteilung eines ähnlichen Verhaltens im Rahmen eines späteren Verwaltungsverfahrens die gleiche proportionale Herabsetzung zu gewähren (Urteil Brugg Rohrsysteme/Kommission, oben in Randnr. 50 angeführt, Randnr. 193).

249    Jedenfalls ist die Zusammenarbeit der Klägerinnen in keiner Weise mit der des Unternehmens KME vergleichbar, die in der von den Klägerinnen angeführten Entscheidung der Kommission vom 16. Dezember 2003 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E‑1/38.240 – Industrierohre) festgestellt wurde. Aus dieser Entscheidung ergibt sich eine bedeutende Zusammenarbeit von KME vor Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte, die zum materiellen Nachweis des Bestehens des Kartells während seiner ganzen Dauer beigetragen hat. KME hat nämlich Unterlagen betreffend die Zuwiderhandlung und eine detaillierte Beschreibung der Funktionsweise des Kartells vorgelegt und dabei im Einzelnen erklärt, in welchen Zusammenhang verschiedene Unterlagen, die die Kommission bei ihren Nachprüfungen entdeckt hatte, einzuordnen waren. Die Zusammenarbeit der Klägerinnen vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte war nicht von einer solchen Bedeutung.

250    Nach alledem ist der Klagegrund einer unzutreffenden Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit zurückzuweisen.

 Zu dem von Gütermann und Zwicky geltend gemachten Klagegrund der Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße

 Vorbringen der Parteien

251    Die Klägerinnen stützen ihren Klagegrund der Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße auf mehrere Rügen.

252    Erstens machen sie geltend, die erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denen sie sich seit Jahren infolge des Strukturwandels der Garnindustrie befunden hätten, seien von der Kommission nicht berücksichtigt worden. Die Krise der Branche habe nämlich zu einem Rückgang ihrer Gewinne geführt und Zwicky dazu veranlasst, ihre Aktivitäten auf dem Markt im November 2000 einzustellen. Die Kommission habe außerdem die Probleme von Gütermann mit ihren Banken und die daraus folgende zusätzliche Zinsbelastung außer Acht gelassen.

253    Zweitens seien die gegen Gütermann (4,021 Millionen Euro) und Zwicky (0,174 Millionen Euro) verhängten Geldbußen gegenüber ihren auf dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt erzielten Umsätzen unverhältnismäßig. In diesem Sinne machen sie geltend, dass das Geschäftsergebnis von Gütermann nach Steuern während der elfeinhalb Jahre der Zuwiderhandlung 318 000 Euro und der Umsatz von Zwicky im Jahr 2000 lediglich 200 000 Euro betragen habe.

254    Ferner trägt Gütermann, die sich insoweit Zwicky in ihrer Erwiderung anschließt, vor, dass die Ausgangsbeträge (2,2 Millionen Euro für Gütermann und 100 000 Euro für Zwicky), die für die Berechnung der Geldbußen herangezogen worden seien, zum einen im Vergleich zu den Gesamtumsätzen sämtlicher Unternehmen mit den von der Zuwiderhandlung betroffenen Produkten (50 Millionen Euro) unverhältnismäßig seien und zum anderen überzogen erschienen, wenn man den letztgenannten Betrag, der die Größe des Marktes der von der Zuwiderhandlung betroffenen Produkte widerspiegele, mit der des Weltmarkts für Industriegarne (4 bis 5 Milliarden Euro) vergleiche.

255    Nach der Rechtsprechung müsse die Kommission bei der Prüfung der Schwere der Zuwiderhandlung und der Verhältnismäßigkeit der Geldbuße die Größe des betroffenen Marktes berücksichtigen. Die Kommission mache somit zu Unrecht geltend, dieses Kriterium sei nur ein Faktor unter anderen, so dass sie es nicht habe berücksichtigen müssen.

256    Drittens trägt Gütermann vor, dass die Berechnungsmethode, die zur Ermittlung der ihr gegenüber verhängten Geldbußen angewandt worden sei, kleine und mittlere Unternehmen klar benachteilige. Deren Größe werde nämlich nicht berücksichtigt, so dass die nach dieser Berechnungsmethode ermittelten Geldbußen unverhältnismäßig seien. Dies führe dazu, dass im vorliegenden Fall die Geldbuße, die Gütermann gegenüber festgesetzt worden sei, im Vergleich zu denjenigen, die gegenüber den übrigen Unternehmen wie BST oder Coats festgesetzt worden seien, unverhältnismäßig sei.

257    Viertens sei die Anwendung der Leitlinien im vorliegenden Fall insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit künftigen Fällen, die kleine und mittlere Unternehmen beträfen, für die in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2) eine fairere Behandlung vorgesehen sei, unangemessen.

258    Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.

 Würdigung durch das Gericht

259    Erstens tragen die Klägerinnen zu Unrecht vor, dass die gegen sie verhängte Geldbuße im Hinblick auf ihre prekäre finanzielle Lage und die Gefahr, dass die Geldbuße ihre Existenz bedrohe, unverhältnismäßig sei.

260    Nach ständiger Rechtsprechung und wie im 404. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung in Erinnerung gerufen worden ist, ist die Kommission nämlich nicht verpflichtet, bei der Bemessung der Geldbuße die schlechte Finanzlage eines Unternehmens zu berücksichtigen, da die Anerkennung einer solchen Verpflichtung darauf hinauslaufen würde, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen (Urteile des Gerichtshofs vom 8. November 1983, IAZ International Belgium u. a./Kommission, 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, Slg. 1983, 3369, Randnrn. 54 und 55, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 221 angeführt, Randnr. 327, und vom 29. Juni 2006, SGL Carbon/Kommission, C‑308/04 P, Slg. 2006, I‑5977, Randnr. 105).

261    Im Übrigen bedeutet, einmal unterstellt, dass eine von einer Gemeinschaftsbehörde getroffene Maßnahme zur Auflösung eines Unternehmens führt, eine derartige Auflösung eines Unternehmens in seiner bestehenden Rechtsform, auch wenn sie die finanziellen Interessen der Eigentümer, Aktionäre oder Anteilseigner beeinträchtigen kann, doch nicht, dass auch die durch das Unternehmen repräsentierten personellen, materiellen und immateriellen Mittel ihren Wert verlören (Urteil Tokai I, oben in Randnr. 185 angeführt, Randnr. 372).

262    In Anbetracht dieser Rechtsprechung war die Kommission keinesfalls verpflichtet, die wirtschaftliche Lage von Gütermann in der angefochtenen Entscheidung zu berücksichtigen oder auch nur in dieser Entscheidung die Erläuterungen des Unternehmens in Bezug auf diese Lage zu erwähnen. Dass die Kommission es für zweckdienlich erachtet hat, die finanzielle Lage von Zwicky und nicht die von Gütermann anzusprechen, ist im Hinblick auf die besonders schwierige wirtschaftliche Lage von Zwicky vollauf verständlich, die dieses Unternehmen dazu veranlasst hat, seine Aktivitäten in Bezug auf die Industriegarne an Gütermann zu verkaufen.

263    Zweitens werfen die Klägerinnen der Kommission im Wesentlichen vor, sie habe nicht die Größe des betroffenen Marktes berücksichtigt und somit eine im Hinblick auf diese Größe unverhältnismäßige Geldbuße festgesetzt. Sie berufen sich auch auf die Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße im Vergleich zum Umsatz, den sie jeweils auf dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt erzielt hätten, sowie auf die Unverhältnismäßigkeit des Ausgangsbetrags der Geldbuße gegenüber ihren jeweiligen Umsätzen.

264    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Handlungen der Gemeinschaftsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was für die Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist. Bei der Bemessung von Geldbußen ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand von zahlreichen Faktoren zu ermitteln, und keinem dieser Faktoren ist gegenüber den anderen Beurteilungsfaktoren unverhältnismäßiges Gewicht beizumessen. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt in diesem Zusammenhang, dass die Kommission die Geldbuße verhältnismäßig nach den Faktoren festsetzen muss, die sie für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigt hat, und dass sie diese Faktoren dabei in schlüssiger und objektiv gerechtfertigter Weise bewerten muss (Urteil Jungbunzlauer/Kommission, oben in Randnr. 194 angeführt, Randnrn. 226 bis 228).

265    Was den gegenüber der Kommission erhobenen Vorwurf betrifft, sie habe nicht die Größe des betroffenen Marktes berücksichtigt, ist daran zu erinnern, dass die Kommission nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 gegenüber Unternehmen Geldbußen verhängen darf, deren Betrag 10 % des vom jeweiligen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Umsatzes nicht übersteigt. Zur Bestimmung der Höhe der Geldbuße innerhalb dieser Grenze sehen diese Bestimmungen die Berücksichtigung der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung vor. Außerdem setzt die Kommission gemäß den Leitlinien den Ausgangsbetrag nach Maßgabe der Schwere der Zuwiderhandlung fest, wobei sie deren Art, die konkreten Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar sind, sowie den Umfang des betreffenden räumlichen Marktes berücksichtigt.

266    Weder die Verordnung Nr. 17 noch die Verordnung Nr. 1/2003, noch die Leitlinien sehen somit vor, dass die Höhe der Geldbuße unmittelbar nach Maßgabe der Größe des betroffenen Marktes festzusetzen ist, da dieser Faktor nur ein einschlägiger Faktor unter anderen ist. Dieser rechtliche Rahmen als solcher verpflichtet die Kommission daher nicht dazu, die begrenzte Größe des Produktmarkts zu berücksichtigen. (Urteil des Gerichts vom 27. September 2006, Roquette Frères/Kommission, T‑322/01, Slg. 2006, II‑3137, Randnr. 148).

267    Nach der Rechtsprechung muss die Kommission jedoch bei der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung sehr viele Faktoren berücksichtigen, die je nach der Art der fraglichen Zuwiderhandlung und nach den besonderen Umständen des Einzelfalls von unterschiedlicher Art und Bedeutung sind (Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, oben in Randnr. 78 angeführt, Randnr. 120). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass je nach Fall die Größe des fraglichen Produktmarkts zu diesen die Schwere einer Zuwiderhandlung belegenden Faktoren zählen kann.

268    Die Marktgröße kann zwar demnach einen Faktor darstellen, der bei der Ermittlung der Schwere der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen ist, doch ist dieser Faktor je nach der Art und den Umständen der betreffenden Zuwiderhandlung von unterschiedlicher Bedeutung.

269    Im vorliegenden Fall bestand die Zuwiderhandlung im Wesentlichen im Austausch sensibler Informationen über Preislisten und/oder die von den einzelnen Kunden verlangten Preise, in Vereinbarungen über Preiserhöhungen und/oder Zielpreise, in der Verhinderung der Unterbietung der Preise des etablierten Lieferanten sowie der Aufteilung der Kunden (angefochtene Entscheidung, Erwägungsgründe 99 bis 125 und 345). Solche Praktiken stellen eine horizontale Beschränkung von der Art eines „Preiskartells“ im Sinne der Leitlinien dar und sind daher ihrer Art nach „besonders schwere Verstöße“. In diesem Zusammenhang ist die geringe Größe des fraglichen Marktes, vorausgesetzt, sie wäre erwiesen, im Vergleich zu der Gesamtheit der übrigen Faktoren, die die Schwere der Zuwiderhandlung belegen, nur von geringerer Bedeutung.

270    Jedenfalls ist zu berücksichtigen, dass die Kommission die Ansicht vertreten hat, dass die Zuwiderhandlung als besonders schwer im Sinne der Leitlinien anzusehen sei, die für derartige Fälle vorsehen, dass von ihr ein „voraussichtlicher“ Ausgangsbetrag oberhalb von 20 Millionen Euro in Betracht gezogen werden kann. Im vorliegenden Fall hat die Kommission in der angefochtenen Entscheidung die betroffenen Unternehmen in mehrere Kategorien nach ihrer relativen Bedeutung auf dem fraglichen Markt aufgeteilt. Aus dem 358. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass die Kommission einen Ausgangsbetrag von 14 Millionen Euro nur für Unternehmen zugrunde gelegt hat, die der ersten Kategorie angehören, einen solchen von 5,2 Millionen Euro für diejenigen, die zur zweiten Kategorie gehören, einen von 2,2 Millionen Euro für diejenigen der dritten Kategorie (darunter Gütermann) und einen von 0,1 Millionen Euro für diejenige der vierten Kategorie (nämlich Zwicky). Daraus geht hervor, dass die Ausgangsbeträge, die als Ausgangspunkt für die Berechnung der gegen Gütermann und Zwicky verhängten Geldbußen dienten, deutlich unter denjenigen lagen, die die Kommission nach den Leitlinien für besonders schwere Zuwiderhandlungen „voraussichtlich“ hätte in Betracht ziehen können. In dieser Bestimmung des Ausgangsbetrags der Geldbuße lässt sich eine Bestätigung dafür sehen, dass die Größe des fraglichen Produktmarkts durchaus berücksichtigt worden ist.

271    In Anbetracht dieser Erwägungen ist davon auszugehen, dass die gegen Gütermann und Zwicky verhängten Geldbußen keineswegs außer Verhältnis zur Größe des Industriegarnmarkts in den Benelux‑ und den nordischen Ländern stehen.

272    Des Weiteren ist auch das Vorbringen zurückzuweisen, dass der Ausgangsbetrag angesichts des Umsatzes von Gütermann und desjenigen von Zwicky auf dem betroffenen Markt unverhältnismäßig sei.

273    Es ist nämlich festzustellen, dass die Kommission es bei der Festsetzung des Ausgangsbetrags der Geldbußen anhand der Schwere der Zuwiderhandlung für erforderlich erachtet hat, eine Differenzierung zwischen den an den Kartellen beteiligten Unternehmen vorzunehmen, um die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Zuwiderhandlungen, den Wettbewerb in erheblichem Umfang zu schädigen, zu berücksichtigen und die Geldbuße auf einen Betrag festzusetzen, der eine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet. Sie hat hinzugefügt, es sei nötig, das jeweilige Gewicht und damit die tatsächliche Auswirkung des rechtswidrigen Verhaltens jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen. Als Grundlage für eine Beurteilung dieser Gesichtspunkte hat die Kommission den Umsatz gewählt, den jedes Unternehmen auf dem betreffenden Markt und für das vom Kartell betroffene Produkt erzielt hat.

274    Folglich hat die Kommission, wie oben in Randnr. 270 dargelegt, die betroffenen Unternehmen in vier Kategorien aufgeteilt. Gütermann wurde unter Berücksichtigung ihres Umsatzes von 2,36 Millionen Euro in die dritte Kategorie und Zwicky unter Berücksichtigung ihres Umsatzes von 0,2 Millionen Euro in die vierte Kategorie eingestuft. Nach der Schwere der Zuwiderhandlung hat die Kommission einen Ausgangsbetrag von 2,2 Millionen Euro für Gütermann und von 0,1 Millionen Euro für Zwicky zugrunde gelegt (angefochtene Entscheidung, Erwägungsgründe 356 bis 358).

275    Nach ständiger Rechtsprechung kann der Teil des Umsatzes, der mit den Waren erzielt wurde, auf die sich die Zuwiderhandlung bezog, einen zutreffenden Anhaltspunkt für das Ausmaß einer Zuwiderhandlung auf dem betreffenden Markt liefern (Urteile Cheil Jedang/Kommission, oben in Randnr. 184 angeführt, Randnr. 91, und Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, oben in Randnr. 79 angeführt, Randnr. 196). Denn dieser Umsatz kann einen zutreffenden Anhaltspunkt für die Verantwortlichkeit jedes Mitglieds auf den genannten Märkten liefern, da er ein objektives Element ist, das einen zutreffenden Maßstab für die Schädlichkeit dieser Verhaltensweise in Bezug auf das normale Spiel des Wettbewerbs und somit einen guten Indikator für die Fähigkeit jedes betroffenen Unternehmens darstellt, einen Schaden zu verursachen.

276    Aus diesen Erwägungen ist der Schluss zu ziehen, dass die Ausgangsbeträge, die im Rahmen der Berechnung der gegen Gütermann und gegen Zwicky verhängten Geldbußen zugrunde gelegt wurden, gegenüber den Umsätzen dieser Unternehmen auf dem betreffenden Markt keinesfalls unverhältnismäßig erscheinen.

277    Daraus folgt, dass auch das Vorbringen zurückzuweisen ist, die Geldbußen seien gegenüber den jeweiligen Umsätzen der Klägerinnen auf dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt unverhältnismäßig. Denn die Klägerinnen können nicht mit Erfolg auf eine Unverhältnismäßigkeit des Endbetrags der verhängten Geldbuße schließen, da sich der Ausgangsbetrag ihrer Geldbußen im Licht der von der Kommission für die Beurteilung der Bedeutung jedes Unternehmens auf dem relevanten Markt zugrunde gelegten Kriterien rechtfertigen lässt (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 20. März 2002, LR AF 1998/Kommission, T‑23/99, Slg. 2002, II‑1705, Randnr. 304, und vom 5. Dezember 2006, Westfalen Gassen Nederland/Kommission, T‑303/02, Slg. 2006, II‑4567, Randnr. 185). Jedenfalls ist zu betonen, dass das Gemeinschaftsrecht keinen allgemein anwendbaren Grundsatz enthält, wonach die Sanktion in angemessenem Verhältnis zu dem Umsatz stehen muss, den das Unternehmen mit dem Verkauf des Produkts erzielt, auf das sich die Zuwiderhandlung bezog (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 18. Mai 2006, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, C‑397/03 P, Slg. 2006, I‑4429, Randnr. 339).

278    Drittens ist auch das Vorbringen von Gütermann zurückzuweisen, dass die Berechnungsmethode die kleinen und mittleren Unternehmen benachteilige und im vorliegenden Fall zur Verhängung einer Geldbuße gegen Gütermann geführt habe, die im Vergleich zu denjenigen unverhältnismäßig sei, die gegen die übrigen Unternehmen verhängt worden seien.

279    Da die Kommission nicht verpflichtet ist, die Berechnung der Geldbuße ausgehend von Beträgen vorzunehmen, die auf dem Umsatz der betreffenden Unternehmen beruhen, ist sie auch nicht gehalten, falls gegenüber mehreren an der gleichen Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängt werden, sicherzustellen, dass diese endgültigen Geldbußenbeträge, die sich aus ihrer Berechnung für die betreffenden Unternehmen ergeben, jede Differenzierung zwischen diesen Unternehmen hinsichtlich ihres Gesamtumsatzes oder ihres Umsatzes auf dem fraglichen Produktmarkt wiedergeben (Urteil des Gerichts vom 20. März 2002, Dansk Rørindustri/Kommission, T‑21/99, Slg. 2002, II‑1681, Randnr. 202).

280    In dieser Hinsicht ist klarzustellen, dass Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 auch nicht verlangen, dass bei Verhängung von Geldbußen gegenüber mehreren an der gleichen Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen die gegen ein kleines oder mittleres Unternehmen festgesetzte Geldbuße, als Prozentsatz vom Umsatz ausgedrückt, nicht höher ist als die gegen die größeren Unternehmen festgesetzten Geldbußen. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich nämlich, dass sowohl bei den kleinen oder mittleren Unternehmen als auch bei den größeren Unternehmen für die Festsetzung der Höhe der Geldbuße die Schwere und die Dauer der Zuwiderhandlung berücksichtigt werden müssen. Wenn die Kommission gegen die an derselben Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängt, die angesichts der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung im Fall des jeweiligen Unternehmens gerechtfertigt sind, ist nicht zu beanstanden, dass bei einigen Unternehmen die Geldbuße im Verhältnis zum Umsatz höher ist als bei anderen (Urteile vom 20. März 2002, Dansk Rørindustri/Kommission, oben in Randnr. 279 angeführt, Randnr. 203, und Westfalen Gassen Nederland/Kommission, oben in Randnr. 277 angeführt, Randnr. 174).

281    Die Kommission muss mithin die Geldbußen nicht abmildern, wenn kleine oder mittlere Unternehmen betroffen sind. Der Größe des Unternehmens wird nämlich durch die in Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 festgelegte Obergrenze und durch die Leitlinien Rechnung getragen (Urteil Westfalen Gassen Nederland/Kommission, oben in Randnr. 277 angeführt, Randnr. 174). Abgesehen von diesen Erwägungen zur Größe gibt es keinen Grund, kleine oder mittlere Unternehmen anders als andere Unternehmen zu behandeln. Die Tatsache, dass die Unternehmen von kleiner oder mittlerer Größe sind, befreit sie nicht von ihrer Verpflichtung zur Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften (Urteil des Gerichts vom 29. November 2005, SNCZ/Kommission, T‑52/02, Slg. 2005, II‑5005, Randnr. 84).

282    Der der Kommission gemachte Vorwurf, sie habe den Gesamtumsatz der verschiedenen Unternehmen bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße nicht berücksichtigt, ist nicht stichhaltig. Es ist nämlich daran zu erinnern, dass es den Leitlinien zufolge nötig ist, die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, andere Wettbewerber und insbesondere den Verbraucher in erheblichem Umfang zu schädigen, zu berücksichtigen und die Geldbuße auf einen Betrag festzusetzen, der eine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet (Nr. 1 Abschnitt A Abs. 4). Weiter heißt es in den Leitlinien, dass es bei Verstößen, an denen mehrere Unternehmen beteiligt sind, wie bei Kartellen, angebracht sein kann, den allgemeinen Ausgangsbetrag zu gewichten, um das jeweilige Gewicht und damit die tatsächliche Auswirkung des eine Zuwiderhandlung darstellenden Verhaltens jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, vor allem, wenn an einem Verstoß derselben Art Unternehmen von sehr unterschiedlicher Größe beteiligt waren, und infolgedessen den allgemeinen Ausgangsbetrag dem spezifischen Charakter jedes Unternehmens anzupassen (Nr. 1 Abschnitt A Abs. 6) (Urteil Cheil Jedang/Kommission, oben in Randnr. 184 angeführt, Randnr. 81).

283    Die Leitlinien sehen nicht vor, dass die Höhe der Geldbußen anhand des Gesamtumsatzes oder des Umsatzes der Unternehmen auf dem betreffenden Markt berechnet wird. Sie schließen jedoch auch nicht aus, dass diese Umsätze bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden, damit die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gewahrt bleiben und wenn die Umstände es erfordern. Insbesondere kann der Umsatz eine Rolle spielen, wenn es um die Berücksichtigung der verschiedenen oben in Randnr. 274 angeführten Faktoren geht (vgl. in diesem Sinne Urteile Cheil Jedang/Kommission, oben in Randnr. 184 angeführt, Randnr. 82, und Tokai I, oben in Randnr. 185 angeführt, Randnr. 195).

284    Im vorliegenden Fall war jedoch, wie oben in Randnr. 275 dargelegt, die Entscheidung der Kommission, auf den Umsatz auf dem betreffenden Markt abzustellen, um die Fähigkeit jedes betreffenden Unternehmens, einen Schaden zu verursachen, zu bestimmen, schlüssig und objektiv gerechtfertigt. Dabei verfolgte die Kommission auch ein Ziel der Abschreckung, da sie öffentlich bekundete, dass sie Unternehmen, die an einem Kartell auf einem Markt beteiligt gewesen waren, auf dem sie eine bedeutende Marktmacht innehatten, strenger bestrafen werde.

285    Viertens beruft sich Gütermann zur Stützung ihres sich auf die Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße beziehenden Klagegrundes zu Unrecht für die Berechnung der gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 verhängten Geldbußen auf die Leitlinien von 2006. Es ist nämlich festzustellen, dass der Umstand allein, dass die Anwendung der neuen Berechnungsmethode für Geldbußen, die in den genannten, auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbaren Leitlinien vorgesehen sind, zu einer niedrigeren Geldbuße als der mit der angefochtenen Entscheidung verhängten führen könnte, nicht darzutun vermag, dass die genannte Geldbuße unverhältnismäßig ist.

286    Diese Feststellung ist lediglich Ausdruck des Wertungsspielraums, über den die Kommission verfügt, um unter Beachtung der Erfordernisse, die sich aus der Verordnung Nr. 17 und der Verordnung Nr. 1/2003 ergeben, die Methode festzusetzen, die sie zur Bestimmung der Höhe der Geldbußen und zur Führung der Wettbewerbspolitik, mit der sie betraut ist, anzuwenden gedenkt. Zu den Beurteilungsfaktoren, die das Gericht bei der Bewertung der Verhältnismäßigkeit des Betrags der zu einem bestimmten Zeitpunkt verhängten Geldbußen zu berücksichtigen hat, können somit insbesondere die tatsächlichen und rechtlichen Umstände sowie die von der Kommission gemäß den Anforderungen des EG‑Vertrags definierten Wettbewerbsziele zählen, die zur Zeit des eine Zuwiderhandlung darstellenden Verhaltens bestehen bzw. gelten.

287    Somit ist der Klagegrund der Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße insgesamt zurückzuweisen.

288    Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Klagen in den Rechtssachen T‑456/05 und T‑457/05 abzuweisen sind.

 Kosten

289    Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen unterlegen sind, sind ihnen, wie von der Kommission beantragt, die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klagen werden abgewiesen.

2.      Die Gütermann AG und die Zwicky & Co. AG tragen die Kosten.

Vilaras

Prek

Ciucǎ

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. April 2010.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis


Vorgeschichte des Rechtsstreits

1.  Gegenstand des Rechtsstreits

2.  Verwaltungsverfahren

3.  Angefochtene Entscheidung

Bestimmung der relevanten Märkte

Produktmarkt

Die räumlichen Märkte

Größe und Struktur der relevanten Märkte

Beschreibung der Verstöße

Verfügender Teil der angefochtenen Entscheidung

Verfahren und Anträge der Parteien

Rechtliche Würdigung

1.  Zu den Klagegründen, die gegen die Feststellung eines Verstoßes und die Anordnungen gerichtet sind, diesen abzustellen und nicht zu wiederholen

Zum von Gütermann und Zwicky geltend gemachten Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Zu dem von Zwicky geltend gemachten Klagegrund, die Anordnungen, die Zuwiderhandlung abzustellen und sich ihrer Wiederholung zu enthalten, seien nicht gerechtfertigt

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

2.  Zu den gegen die Geldbuße und ihren Betrag gerichteten Klagegründen

Zu dem von Zwicky geltend gemachten Klagegrund, wonach die Obergrenze von 10 % des Umsatzes überschritten worden sei

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Zu dem von Gütermann und Zwicky angeführten Klagegrund, die Schwere der Zuwiderhandlung sei im Hinblick auf ihre Auswirkungen falsch beurteilt worden

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Zu dem von Gütermann und Zwicky geltend gemachten Klagegrund, die Dauer der Zuwiderhandlung sei falsch beurteilt worden

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Zu dem von Gütermann und von Zwicky geltend gemachten Klagegrund, bestimmte Milderungsgründe seien nicht berücksichtigt worden

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Zum von Gütermann und Zwicky geltend gemachten Klagegrund einer fehlerhaften Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

–  Zur Nützlichkeit der Zusammenarbeit

–  Zur vermeintlich fehlerhaften Beurteilung der Zusammenarbeit im Vergleich mit der von BST

–  Zur vermeintlich unzutreffenden Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit und der vermeintlichen Nichtberücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichts

–  Zur vermeintlichen Nichtberücksichtigung der früheren Entscheidungspraxis

Zu dem von Gütermann und Zwicky geltend gemachten Klagegrund der Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Kosten


* Verfahrenssprache: Deutsch.

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