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Document 62003CO0085

Beschluss des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 10. Februar 2004.
Mavrona & Sia OE gegen Delta Etaireia Symmetochon AE, vormals Delta Protypos Viomichania Galaktos AE.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Polymeles Protodikeio Athinon - Griechenland.
Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung - Richtlinie 86/653/EWG - Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter - Anwendbarkeit auf Kommissionäre.
Rechtssache C-85/03.

Sammlung der Rechtsprechung 2004 I-01573

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2004:83

Ordonnance de la Cour

Rechtssache C-85/03


Mavrona & Sia OE
gegen
Delta Etaireia Symmetochon AE



(Vorabentscheidungsersuchen des Polymeles Protodikeio Athinon)

«Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung – Richtlinie 86/653/EWG – Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter – Anwendbarkeit auf Kommissionäre»

Beschluss des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 10. Februar 2004
    

Leitsätze des Beschlusses

Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Selbständige Handelsvertreter – Richtlinie 86/653 – Anwendungsbereich – … – Ausschluss

(Richtlinie 86/653 des Rates)

Die Richtlinie 86/653 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ist dahin auszulegen, dass Personen, die für Rechnung eines Unternehmers, aber im eigenen Namen tätig werden, nicht in ihren Anwendungsbereich fallen.

Die Tätigkeit von Personen, die für Rechnung eines Dritten, jedoch im eigenen Namen handeln, unterscheidet sich nämlich von derjenigen der Handelsvertreter, und die Interessen sowie das Schutzbedürfnis der beiden Berufsgruppen sind − wie die deutsche Regierung zutreffend ausführt − nicht dieselben.

vgl. Randnrn. 17, 21 und Tenor




BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)
10. Februar 2004(1)

„Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung – Richtlinie 86/653/EWG – Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter – Anwendbarkeit auf Kommissionäre“

In der Rechtssache C-85/03

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Polymeles Protodikeio Athen (Griechenland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Mavrona & Sia OE

gegen

Delta Etaireia Symmetochon AE

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, S. 17)

erlässt



DER GERICHTSHOF (Erste Kammer),



unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter A. La Pergola, S. von Bahr, der Richterin R. Silva de Lapuerta und des Richters K. Lenaerts,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: R. Grass,

nach Unterrichtung des vorlegenden Gerichts von der Absicht des Gerichtshofes, gemäß Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,nachdem den in Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung hierzu gegeben worden ist,nach Anhörung des Generalanwalts

folgenden



Beschluss



1
Mit Beschluss vom 27. April 2001, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 26. Februar 2003, hat das Polymeles Protodikeio Athen nach Artikel 234 EG vier Fragen zur Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 82, S. 17) vorgelegt.

2
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Mavrona & Sia OE (im Folgenden: Mavrona), einer offenen Handelsgesellschaft griechischen Rechts, und der Delta Etaireia Symmetochon AE (im Folgenden: Delta) über Vergütungen und Ausgleichsansprüche aus einem Kommissionsvertrag.


Rechtlicher Rahmen

3
Der Anwendungsbereich der Richtlinie 86/653 ist in ihren Artikeln 1 und 2 wie folgt festgelegt:

„Artikel 1

(1)     Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Harmonisierungsmaßnahmen gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Rechtsbeziehungen zwischen Handelsvertretern und ihren Unternehmern regeln.

(2)     Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im Folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen.

(3)     Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist insbesondere nicht

eine Person, die als Organ befugt ist, für eine Gesellschaft oder Vereinigung verbindlich zu handeln;

ein Gesellschafter, der rechtlich befugt ist, für die anderen Gesellschafter verbindlich zu handeln;

ein Zwangsverwalter (receiver), ein gerichtlich bestellter Vermögensverwalter (receiver and manager), ein Liquidator (liquidator) oder ein Konkursverwalter (trustee in bankruptcy).

Artikel 2

(1)     Diese Richtlinie ist nicht anzuwenden

auf Handelsvertreter, die für ihre Tätigkeit kein Entgelt erhalten;

auf Handelsvertreter, soweit sie an Handelsbörsen oder auf Rohstoffmärkten tätig sind;

auf die unter der Bezeichnung ‚Crown Agents for Overseas Governments and Administrations‘ bekannte Körperschaft, wie sie im Vereinigten Königreich nach dem Gesetz von 1979 über die ‚Crown Agents‘ eingeführt worden ist, oder deren Tochterunternehmen.

(2)     Jeder Mitgliedstaat kann vorsehen, dass die Richtlinie nicht auf Personen anwendbar ist, die Handelsvertretertätigkeiten ausüben, welche nach dem Recht dieses Mitgliedstaates als nebenberufliche Tätigkeiten angesehen werden.“

4
Die Richtlinie 86/653 wurde durch das Präsidialdekret Nr. 219 vom 18./30. Mai 1991 betreffend Handelsvertreter und durch das Präsidialdekret Nr. 312 vom 8./22. August 1995 zur Änderung und Ergänzung des Präsidialdekrets Nr. 219 in der durch die Präsidialdekrete Nrn. 249/93 (FEK A´ 108/28.6.1993) und 88/94 (FEK A´ 64/22.4.1994) geänderten Fassung, die den Wortlaut dieser Richtlinie offensichtlich im Wesentlichen übernehmen, in die nationale Rechtsordnung umgesetzt


Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

5
Wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, haben Delta und Mavrona einen Vertrag geschlossen, dem zufolge Letztere die von Delta hergestellten Erzeugnisse im eigenen Namen erwerben sollte. Bei Lieferung entrichtete sie den Preis hierfür abzüglich ihrer eigenen Provision in Höhe von 19 % und verkaufte die Erzeugnisse sodann an Dritte, allerdings für Rechnung von Delta.

6
Offensichtlich machte Mavrona gegenüber Delta einen Ausgleichsanspruch nach Artikel 9 Absatz 19 des Präsidialdekrets Nr. 312 mit der Begründung geltend, ihre Tätigkeit entspreche derjenigen eines Handelsvertreters. Da Delta die von Mavrona verlangte Zahlung ablehnte, erhob diese am 2. Juli 1996 Klage beim Polymeles Protodikeio Athen.

7
Dieses Gericht führt aus, eine „grammatikalische Auslegung“ der Richtlinie 86/653 und des Präsidialdekrets Nr. 312 ergebe, dass die Tätigkeit von Mavrona nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften falle, da diese nach griechischem Recht als „Kommissionär“ tätig sei, d. h. Verträge für Rechnung des Unternehmers, aber im eigenen Namen schließe. Allerdings stelle sich die Frage, ob diese Vorschriften auf die betreffende Gesellschaft nicht analog angewandt werden müssten. Zu dieser analogen Anwendung würden im Übrigen in der griechischen Lehre und Rechtsprechung gegensätzliche Auffassungen vertreten.

8
Vor der Umsetzung der Richtlinie 86/653 sei im griechischen Recht nämlich nicht zwischen Handelsvertretern und Kommissionären unterschieden worden, so dass dieses nunmehr eine Lücke oder jedenfalls eine Unklarheit in Bezug auf den letztgenannten Beruf aufweise.

9
Das Polymeles Protodikeio Athen hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.
Ist auch derjenige, der als unabhängiger Vermittler in seinem Namen dem Unternehmer Waren zu einem Preis abkauft, von dem er seine Provision abgezogen hat, und der sie dann an Dritte verkauft, dabei aber für Rechnung des Unternehmers tätig wird, als Handelsvertreter im Sinne des Artikels 1 Absatz 2 der Richtlinie 86/635/EWG anzusehen?

2.
Verneinendenfalls: Schließt die in dem genannten Artikel festgelegte Definition des Handelsvertreters den in der ersten Frage geschilderten Fall (desjenigen, der als unabhängiger Vermittler in seinem Namen dem Unternehmer Waren zu einem Preis abkauft, von dem er seine Provision abgezogen hat, und der sie dann an Dritte verkauft, dabei aber für Rechnung des Unternehmers tätig wird) aus oder besteht eine echte Lücke?

3.
Falls eine Lücke besteht: Kann die in Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie enthaltene Definition aus Gründen der Billigkeit analog auch auf denjenigen angewandt werden, der als unabhängiger Vermittler in seinem Namen dem Unternehmer Waren zu einem Preis abkauft, von dem er seine Provision abgezogen hat, und der sie dann an Dritte verkauft, dabei aber für Rechnung des Unternehmers tätig wird?

4.
Verneinendenfalls: Dürfen die Gerichte der Mitgliedstaaten den Begriff des Handelsvertreters im Rahmen einer analogen Anwendung ihrer nationalen Rechtsvorschriften, mit denen die genannte Richtlinie in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde, auch auf den vorgenannten Fall erstrecken, oder ist dies unzulässig, da es der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts zuwiderlaufen würde?


Zu den Vorlagefragen

10
In der Erwägung, dass die Beantwortung dieser Fragen keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, hat der Gerichtshof das vorlegende Gericht gemäß Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung davon unterrichtet, dass er beabsichtigt, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, und den in Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung hierzu gegeben.

11
Delta, die deutsche Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften haben sich damit einverstanden erklärt, dass der Gerichtshof durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheidet. Die italienische Regierung hat dem Gerichtshof mitgeteilt, dass sie keine Einwände hiergegen habe. Mavrona hat geltend gemacht, es habe von Anfang an keinen Grund gegeben, dem Gerichtshof diese Vorabentscheidungsfragen vorzulegen, da es hier ganz eindeutig um einen Handelsvertretervertrag und nicht um einen Kommissionsvertrag gehe. Die Richtlinie 86/653 müsse in jedem Fall auf den vorliegenden Sachverhalt angewandt werden.

12
Mit seinen Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Anwendungsbereich der Richtlinie 86/653 sich, abgesehen von den Vermittlern, die im Namen und für Rechnung eines Unternehmers tätig werden, auch auf Personen erstreckt, die für seine Rechnung, aber im eigenen Namen tätig werden, und ob die nationalen Gerichte, wenn dies nicht der Fall sein sollte, gleichwohl diese Richtlinie auf Kommissionäre analog anwenden dürfen.

13
Die griechische und die deutsche Regierung sowie die Kommission sind der Auffassung, der klare und eindeutige Wortlaut der Richtlinie 86/653 stehe ihrer − sei es auch analogen − Anwendung auf Kommissionäre entgegen. Ein solcher Ausschluss gelte in gleicher Weise auf Gemeinschafts- wie auf nationaler Ebene. Die Handelsvertreter und die Kommissionäre übten nämlich verschiedene Berufe aus, und ihre Schutzbedürfnisse gegenüber den Unternehmern seien unterschiedlich. Eine Maßnahme zur Harmonisierung des für eine bestimmte vertragliche Beziehung geltenden Rechts könne nicht auf anders geartete vertragliche Beziehungen erstreckt werden, die nicht von dieser Maßnahme erfasst seien.

14
Mavrona und die italienische Regierung machen dagegen geltend, eine Anwendung der Richtlinie 86/653 auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens sei geboten, weil dessen entscheidender Aspekt darin liege, dass der Betreffende für Rechnung des Unternehmers tätig werde. Ein Kommissionär sei daher einem Handelsvertreter gleichzusetzen.

15
Wie sich insoweit aus dem eindeutigen Wortlaut des Artikels 1 Absatz 2 der Richtlinie 86/653 ergibt, definiert diese den Handelsvertreter als „selbständiger Gewerbetreibender[, der] ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im Folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen“. In den Artikeln 1 Absatz 3 und 2 umschreibt die Richtlinie den Begriff des Handelsvertreters präzis und beschränkt ihn auf genau umrissene Situationen.

16
Keine Vorschrift der Richtlinie 86/653 erwähnt Personen, die zwar für Rechnung eines Dritten handeln, dies jedoch im eigenen Namen tun; überdies enthält die Richtlinie keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass sie auf vertragliche Beziehungen wie diejenigen des Ausgangsverfahrens Anwendung finden könnte.

17
Die Tätigkeit von Personen, die für Rechnung eines Dritten, jedoch im eigenen Namen handeln, unterscheidet sich nämlich von derjenigen der Handelsvertreter, und die Interessen sowie das Schutzbedürfnis der beiden Berufsgruppen sind − wie die deutsche Regierung zutreffend ausführt − nicht dieselben.

18
Es gibt daher keinen vernünftigen Zweifel daran, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie 86/653 sich nicht auf den Sachverhalt erstreckt, um den es im Ausgangsverfahren geht.

19
Unabhängig von der Frage, ob eine Harmonisierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten betreffend den Schutz des Berufszweigs der Kommissionäre möglicherweise zweckmäßig erscheint − eine Frage, zu der sich der Gerichtshof nicht zu äußern hat −, ist es unstreitig, dass eine solche Harmonisierung gegenwärtig nicht besteht. In jedem Fall kann diese Harmonisierung nicht im Wege der Rechtsprechung im Gemeinschaftsrecht erfolgen.

20
Im Übrigen verwehrt ein solcher Gesetzgebungsstand auf Gemeinschaftsebene es einem nationalen Gesetzgeber nicht, zum Schutz der Kommissionäre entsprechende Vorschriften zu erlassen, die sich an der Richtlinie 86/653 ausrichten, wenn dies zweckmäßig erscheint und soweit keine andere Gemeinschaftsvorschrift dem entgegensteht.

21
Auf die vorgelegten Fragen ist daher zu antworten, dass die Richtlinie 86/653 dahin auszulegen ist, dass Personen, die für Rechnung eines Unternehmers, aber im eigenen Namen tätig werden, nicht in ihren Anwendungsbereich fallen.


Kosten

22
Die Auslagen der griechischen, der deutschen und der italienischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Polymeles Protodikeio Athen mit Beschluss vom 27. April 2001 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Luxemburg, den 10. Februar 2004.

Der Kanzler

Der Präsident der Ersten Kammer

R. Grass

P. Jann


1
Verfahrenssprache: Griechisch.

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