EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 17.5.2019
COM(2018) 773 final/2
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MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN
EUROPÄISCHEN RAT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND
SOZIALAUSSCHUSS, DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN UND DIE
EUROPÄISCHE INVESTITIONSBANK
Ein sauberer Planet für alle
Eine Europäische strategische, langfristige Vision für eine wohlhabende, moderne, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft
1.Einleitung – Der Schutz unseres Planeten duldet keinen Aufschub
Der Klimawandel löst bei der europäischen Bevölkerung große Besorgnis aus. Der Klimawandel, der sich derzeit auf unserem Planeten vollzieht, gestaltet die Welt um und erhöht die Risiken für Instabilität in jeder Form. In den vergangenen beiden Jahrzehnten wurden die 18 wärmsten Jahre seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen beobachtet. Die Tendenz ist eindeutig. Sofortige, entschiedene
Klimaschutzmaßnahmen
sind unverzichtbar.
Die Auswirkungen der Erderwärmung verändern unsere Umwelt und führen zu immer häufigeren und intensiveren Extremwetterereignissen. In vier der vergangenen fünf Jahre traten in Europa extreme Hitzewellen auf. Im vergangenen Sommer lagen die Temperaturen nördlich des Polarkreises um 5 °C über dem Normalwert. In weiten Teilen Europas herrschte starke Dürre, während besonders Mittel- und Osteuropa in den letzten Jahren von Hochwasserkatastrophen getroffen wurden. Klimainduzierte Extremereignisse wie Waldbrände, Sturzfluten und tropische Wirbelstürme verursachen ebenfalls massive Zerstörungen und fordern Todesopfer, wie die Hurrikane Irma und Maria im Jahr 2017 bewiesen haben, die die Karibik heimsuchten und auch mehrere europäische Regionen in äußerster Randlage trafen. Nun ist auch das europäische Festland betroffen: 2017 erreichte mit dem Sturm Ophelia erstmals ein schwerer ostatlantischer Hurrikan Irland, und 2018 entfaltete der Sturm Leslie seine zerstörerische Wucht in Portugal und Spanien.
Der Weltklimarat IPCC (International Panel on Climate Change) legte im Oktober 2018 seinen Sonderbericht über die Folgen einer globalen Erwärmung um 1,5 °C gegenüber vorindustriellem Niveau und die damit verbundenen globalen Treibhausgasemissionspfade vor. Anhand wissenschaftlicher Daten wies er nach, dass der vom Menschen verursachte globale Temperaturanstieg bereits 1 °C über dem vorindustriellen Niveau erreicht hat, und die Erwärmung mit durchschnittlich 0,2 °C pro Jahrzehnt voranschreitet. Werden die internationalen Klimaschutzmaßnahmen nicht intensiviert, könnte der durchschnittliche globale Temperaturanstieg kurz nach dem Jahr 2060 2 °C erreichen und sich danach weiter fortsetzen.
Ein solch ungebremster Klimawandel kann die Erde in ein „Treibhaus“ verwandeln, in dem gewaltige irreversible Klimaauswirkungen wahrscheinlicher werden. Der IPCC-Bericht bestätigt, dass bei einem globalen Temperaturanstieg von 1 °C voraussichtlich auf rund 4 % der weltweiten Landfläche Ökosysteme von einem Typ zu einem anderen umgeformt werden; dieser Anteil steigt auf 13 % im Falle eines Temperaturanstiegs um 2 °C. Ein Beispiel: Bei einem Temperaturanstieg um 2 °C dürften weltweit 99 % der Korallenriffe absterben. Bei einer Erderwärmung zwischen 1,5 °C und 2 °C könnte das Grönlandeis unwiderruflich abschmelzen. Dadurch würde mit der Zeit der Meeresspiegel um bis zu 7 Meter steigen, wovon weltweit Küstengebiete betroffen wären, auch die Flachlandgebiete und Inseln in Europa. Bereits heute schmilzt das arktische Meereis im Sommer rapide ab, wodurch die Biodiversität in der nordischen Region und die Existenzgrundlage der lokalen Bevölkerung bedroht sind.
Darüber hinaus würden in Europa die Produktivität der Wirtschaft, die Infrastruktur, die Möglichkeiten der Nahrungsmittelerzeugung, die Gesundheit der Menschen sowie die Biodiversität und die politische Stabilität stark beeinträchtigt. Wetterbedingte Katastrophen verursachten im vergangenen Jahr wirtschaftliche Kosten in Rekordhöhe (283 Mrd. EUR) und könnten um das Jahr 2100 rund zwei Drittel der europäischen Bevölkerung treffen (heute: 5 %). So könnten Flusshochwasser in Europa jedes Jahr Schäden in Höhe von 112 Mrd. EUR verursachen (heute: 5 Mrd. EUR). 16 % der Gebiete, in denen zurzeit Mittelmeerklima herrscht, könnten bis zum Ende des Jahrhunderts aride werden, und in mehreren südosteuropäischen Ländern könnte bei Arbeiten im Freien die Produktivität im Vergleich zu heute um rund 10 bis 15 % zurückgehen. Außerdem ist Schätzungen zufolge bei einer Erderwärmung um 2 °C mit einer deutlich schlechteren Nahrungsmittelversorgung zu rechnen als bei einem Temperaturanstieg um 1,5 °C. Dies gilt auch für Regionen, die für die Sicherheit der EU von wesentlicher Bedeutung sind, wie Nordafrika und der übrige Mittelmeerraum. Dadurch könnten Sicherheit und Wohlstand im weitesten Sinne untergraben und die Systeme für Wirtschaft sowie für die Nahrungsmittel-, Wasser- und Energieversorgung geschädigt werden, was weitere Konflikte auslösen und den Migrationsdruck verstärken würde. Dies alles zeigt, dass es ohne Klimaschutzmaßnahmen unmöglich ist, die nachhaltige Entwicklung Europas sicherzustellen und die global vereinbarten Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen zu verwirklichen.
Abbildung 1: Auswirkungen des Klimawandels in Europa
2.Eine europäische Vision für eine moderne, wettbewerbsfähige, wohlhabende und klimaneutrale Wirtschaft
Diese langfristige Strategie soll das Engagement der EU bekräftigen, beim globalen Klimaschutz den Weg zu weisen, und eine Vision vorstellen, nach der es kostenwirksam gelingen kann, durch einen sozial gerechten Übergang bis zum Jahr 2050 Netto-Treibhausgasemissionen von null zu erreichen. In der Strategie wird herausgestellt, welche Chancen dieser Übergang den europäischen Bürgerinnen und Bürgern und der EU-Wirtschaft bietet, doch werden auch die bevorstehenden Schwierigkeiten aufgezeigt. Mit der vorgeschlagenen Strategie sollen keine neuen politischen Maßnahmen in die Wege geleitet werden; ebenso wenig will die Europäische Kommission die Zielsetzungen für das Jahr 2030 ändern. Die Strategie soll vielmehr die Richtung vorgeben, in die die Klima- und Energiepolitik der EU gehen muss, und den Rahmen dafür schaffen, was die EU als ihren langfristigen Beitrag zur Verwirklichung der Temperaturziele des Übereinkommens von Paris im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen der VN ansieht. Dies wird künftig die Vorgehensweisen in einem breiteren Spektrum der EU-Politik beeinflussen. Mit der Strategie wird eine umfassende Debatte mit Beteiligung der europäischen Entscheidungsträger und der breiten Öffentlichkeit zu der Frage eingeleitet, wie die EU sich auf einen Zeithorizont 2050 vorbereiten sollte. Im Anschluss daran soll der VN-Klimarahmenkonvention bis 2020 die langfristige Strategie der EU vorgelegt werden.
Die EU engagiert sich an vorderster Front, um gegen die Ursachen des Klimawandels vorzugehen und im Rahmen des Klimaschutzübereinkommens von Paris eine koordinierte globale Reaktion auf den Klimawandel zu fördern. Das Übereinkommen von Paris wurde von 181 Vertragsparteien ratifiziert. Es sieht auf globaler Ebene resolute, zügige Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgasemissionen vor, um den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 °C zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, um ihn auf 1, 5 °C zu begrenzen. Ein weiteres Ziel besteht darin, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts weltweit ein Gleichgewicht zwischen den Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken zu erzielen. Alle Vertragsparteien müssen bis zum Jahr 2020 eine langfristige Strategie für eine hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarme Entwicklung vorlegen, mit der die Ziele des Übereinkommens verwirklicht werden sollen.
Im Juni 2017 bekräftigte der Europäische Rat nachdrücklich, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten entschlossen seien, das Klimaschutzübereinkommen von Paris zügig und vollständig umzusetzen, und hob hervor, das Übereinkommen sei „ein wesentliches Element für die Modernisierung der europäischen Industrie und Wirtschaft“. Anschließend ersuchte er im März 2018 die Europäische Kommission, „bis zum ersten Quartal 2019 einen Vorschlag für eine Strategie zur langfristigen Verringerung der Treibhausgasemissionen der EU nach Maßgabe des Übereinkommens von Paris vorzulegen, wobei die nationalen Pläne zu berücksichtigen sind“.
Im Oktober 2017 forderte auch das Europäische Parlament die Europäische Kommission auf, „bis zur COP24 eine bis Mitte des Jahrhunderts reichende EU-Emissionsvermeidungsstrategie auszuarbeiten“. Schließlich muss die Kommission nach Maßgabe der Verordnung über das Governance-System der Energieunion des Europäischen Parlaments und des Rates bis April 2019 eine langfristige EU-Strategie vorlegen.
Die EU, die für 10 % der weltweiten Emissionen verantwortlich ist, ist weltweit Vorreiterin beim Übergang zu einer Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen. Bereits 2009 setzte sich die EU das Ziel, die Emissionen bis zum Jahr 2050 um 80–95 % zu verringern. In der EU ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, die Treibhausgasemissionen vom Wirtschaftswachstum abzukoppeln. Nachdem die Treibhausgasemissionen der EU im Jahr 1979 ihren Höchststand erreicht hatten, führten Energieeffizienz, Maßnahmen für die Umstellung auf andere Brennstoffe und die zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien zu einem beträchtlichen Emissionsrückgang. Infolgedessen betrug im Zeitraum 1990 bis 2016 der Rückgang beim Energieverbrauch 2 % und bei den Treibhausgasemissionen 22 %, während das BIP gleichzeitig um 54 % wuchs.
Die Energiewende hat Impulse für die Modernisierung der europäischen Wirtschaft gegeben, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum begünstigt und der europäischen Bevölkerung erhebliche gesellschaftliche und ökologische Vorteile gebracht. Die Bestrebungen der EU, ihre energie- und klimapolitischen Zielsetzungen für das Jahr 2020 zu erreichen, haben bereits neue Industriezweige hervorgebracht, Arbeitsplätze in Europa geschaffen und die technologische Innovation angetrieben, wodurch die Technologiekosten sanken. Die Revolution auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien ist das beste Beispiel hierfür. Der Anteil erneuerbarer Energieträger am Endenergieverbrauch ist von 9 % im Jahr 2005 auf derzeit 17 % gestiegen. Die Vorreiterrolle der EU führt den übrigen Teilen der Welt vor Augen, dass diese Wende möglich und zudem mit weiteren Vorteilen verbunden ist, die über den Klimaschutz hinausgehen.
Die EU ist weitgehend auf Kurs, um ihre für 2020 gesteckten Ziele hinsichtlich Treibhausgasen, erneuerbaren Energien und Energieeffizienz zu verwirklichen. Weitere Anstrengungen sind allerdings erforderlich, um neue Dynamik in die Verbesserung der Energieeffizienz und Minderung der Treibhausgasemissionen zu bringen, die in jüngster Zeit stagnieren.
Die EU macht Fortschritte bei ihrer Strategie für die Energieunion und legt derzeit letzte Hand an einen modernen, fortschrittlichen und kostenwirksamen Rechtsrahmen für die Verwirklichung ihrer Treibhausgasminderungsziele für das Jahr 2030 und ihrer Energiewende, mit dem sie das Ziel der Juncker-Kommission erreichen will, der Energieeffizienz absoluten Vorrang einzuräumen und weltweit führend bei erneuerbaren Energien zu werden. Dies ist eine Investition in unseren Wohlstand und in die Nachhaltigkeit der europäischen Wirtschaft. Die Rechtsstabilität ist ein wichtiger Aspekt sowohl für Behörden als auch für Privatunternehmen, damit dieser Rechtsrahmen vollständig umgesetzt werden kann. Auf europäischer Ebene wurden ambitionierte politische Maßnahmen vereinbart, darunter die Reform des EU-Emissionshandelssystems, mit der das CO2-Preissignal verstärkt wird. Auch für die nicht unter das EU-EHS fallenden Sektoren wurden nationale Treibhausgasminderungsziele festgelegt und Rechtsvorschriften eingeführt, die sicherstellen, dass in der EU die Senken „Land“ und „Wälder“ erhalten bleiben, die mehr CO2 aufnehmen, als sie emittieren. Im Energiebereich wurden nun die Vorgaben verabschiedet, nach denen bis zum Jahr 2030 die Energieeffizienz in der EU um mindestens 32,5 % gesteigert und der Anteil der erneuerbaren Energien auf mindestens 32 % des Endenergieverbrauchs der EU angehoben werden sollen. Die vorgeschlagenen Rechtsvorschriften zur Verbesserung der CO2-Effizienz von Personenkraftwagen, leichten Nutzfahrzeugen und Lastkraftwagen werden den Übergang im Verkehrssektor beschleunigen.
In Kombination werden diese klima- und umweltpolitischen Maßnahmen die EU in die Lage versetzen, ihren Beitrag im Rahmen des Übereinkommens von Paris zu leisten und die Emissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 40 % gegenüber dem Jahr 1990 zu verringern. Bei voller Umsetzung der vereinbarten EU-Rechtsvorschriften dürften Schätzungen zufolge die gesamten Treibhausgasemissionsminderungen im Jahr 2030 tatsächlich bei etwa 45 % liegen. Die heute getroffenen politischen Maßnahmen werden auch nach 2030 wirksam sein und sind daher jetzt schon langfristig angelegt: Bis zum Jahr 2050 werden Emissionsminderungen um 60 % erwartet. Dies reicht jedoch als Beitrag der EU zur Verwirklichung der Temperaturziele des Übereinkommens von Paris nicht aus.
Dem IPCC-Bericht zufolge muss der Klimawandel auf 1,5 °C begrenzt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit von Extremwetterereignissen verringert werden soll. Der Bericht hebt außerdem hervor, dass die Emissionsminderung vordringlicher ist als bislang angenommen. Damit der Temperaturanstieg 1,5 °C nicht übersteigt, müssen auf globaler Ebene bis zum Jahr 2050 die CO2-Nettoemissionen null betragen, und im weiteren Verlauf des Jahrhunderts muss Neutralität in Bezug auf alle übrigen Treibhausgase erreicht werden. Zu diesem Zeitpunkt müssen Treibhausgasemissionen, die in bestimmten Sektoren möglicherweise noch bestehen, durch die Absorption in anderen Sektoren kompensiert werden; den Sektoren Landnutzung, Land- und Forstwirtschaft fällt dabei eine besondere Rolle zu. Dies eröffnet der EU die Chance, mehr zu tun, wegweisend voranzugehen und Gewinn aus ihrem Vorsprung zu ziehen. Dies würde bedeuten, dass die EU bis zum Jahr 2050 Treibhausgasneutralität erreichen muss.
Weitermachen wie bisher ist kein gangbarer Weg. Länder müssen gemeinsam handeln, um ihre Bürgerinnen und Bürger vor den Folgen des Klimawandels zu bewahren. Der Übergang zu einer Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen setzt somit frühzeitige, langfristige Planungen voraus. Die Möglichkeiten des Umbaus unserer gesamten Wirtschaft müssen besser bekannt sein, und in unserer Gesellschaft und bei allen Wirtschaftsakteuren muss das Vertrauen darauf geschaffen werden, dass dieser Wandel möglich und sinnvoll ist.
Der IPCC-Bericht enthält eine ermutigende Botschaft: Die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 °C ist machbar, sofern wir jetzt handeln und alle Mittel einsetzen, die uns zur Verfügung stehen. Bei der Erarbeitung dieser EU-Strategie zur langfristigen Verringerung der Treibhausgasemissionen hat die Europäische Kommission der soliden wissenschaftlichen Grundlage des IPCC-Berichts Rechnung getragen, der an die Entscheidungsträger auf der ganzen Welt gerichtet ist und sich mit der Bekämpfung des Klimawandels, der Modernisierung der Wirtschaft, der Förderung nachhaltiger Entwicklung und der Beseitigung von Armut befasst.
In der Strategie wird daher aufgezeigt, wie Wirtschaft und Gesellschaft unter Einbeziehung aller ihrer Segmente umgestaltet werden müssen, damit bis zum Jahr 2050 Netto-Treibhausgasemissionen von null erreicht werden. Sie soll sicherstellen, dass dieser Wandel sozial gerecht ist und innerhalb der EU weder Menschen noch Regionen abgehängt werden. Außerdem soll sie die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft und -Industrie auf den Weltmärkten verbessern sowie für hochwertige Arbeitsplätze und nachhaltiges Wachstum in Europa sorgen und gleichzeitig Synergien mit anderen Umweltthemen schaffen wie Luftqualität und Verlust von Biodiversität.
Zu diesem Zweck wird betrachtet, welche Optionen den Mitgliedstaaten, Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern zur Wahl stehen und wie diese zur Modernisierung unserer Wirtschaft beitragen, die Lebensqualität der EU-Bevölkerung verbessern, die Umwelt schützen und für Beschäftigung und Wachstum sorgen können.
3. Wege für den Übergang zu einer Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen sowie strategische Prioritäten
Die mit dem Klimawandel einhergehenden Bedrohungen und Risiken sind bekannt, ebenso viele Mittel und Wege der Vorsorge. Die Strategie bietet eine Reihe von Lösungen, wie bis zur Mitte des Jahrhunderts der Übergang zu einer Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen bewirkt werden könnte. Diese Optionen werden unser Energiesystem sowie den Sektor Land und Landwirtschaft radikal umformen, unsere Industrie, die Verkehrssysteme und die Städte modernisieren und sich auf sämtliche Tätigkeiten unserer Gesellschaft auswirken. In diesem Zusammenhang fällt den Bürgerinnen und Bürgern eine zentrale Rolle zu. Der Klimawandel kann nur bekämpft werden, wenn die Menschen sich als Verbraucher und als Bürger aktiv engagieren. Ob die Umgestaltung gelingt, hängt auch davon ab, wie unsere Gesellschaft sich um diejenigen kümmert, die während des Übergangs besonders gefährdet sind.
Beim Übergang zu einer Wirtschaft ohne Netto-Treibhausemissionen kommt der Energie eine entscheidende Rolle zu, da die Energiegewinnung derzeit für mehr als 75 % der Treibhausgasemissionen in der EU verantwortlich ist. Bei allen geprüften Optionen gehen die Netto-Treibhausgasemissionen aus dem Energiesystem Richtung null. Dies setzt eine sichere, nachhaltige Energieversorgung auf Grundlage eines marktbasierten, gesamteuropäischen Konzepts voraus. Das künftige Energiesystem integriert die Strom-, Gas-, Wärme-/Kälte- und Verkehrssysteme und -märkte, wobei intelligente Netze den Menschen in den Mittelpunkt stellen.
Der Übergang setzt auch voraus, dass im Energie-, Gebäude-, Verkehrs-, Industrie- und Landwirtschaftssektor technologische Innovationen großmaßstäblich eingeführt werden. Durchbrüche bei Digitalisierung, Information und Kommunikation, künstlicher Intelligenz und Biotechnologie können diesen Übergang weiter beschleunigen. Darüber hinaus müssen neue Systeme und Prozesse durch sektorübergreifende Zusammenarbeit weiter verbreitet werden. Ein gutes Beispiel für solche systemorientierten Ansätze ist die Kreislaufwirtschaft, die eine Reihe fortschrittlicher Lösungen heranziehen und neue Geschäftsmodelle fördern wird. Voraussetzung ist, dass die Regionen und Mitgliedstaaten auf unterschiedlichen Ebenen zusammenarbeiten, um die Synergieeffekte zu maximieren, indem sie Ressourcen und Wissen bündeln. Heute ist das verarbeitende Gewerbe der EU noch wettbewerbsfähig, doch wird es sowohl von Industrie- als auch von Schwellenländern unter Druck gesetzt. Dabei ist Europa Spitzenreiter auf dem Gebiet neuer wertvoller Patente für CO2-arme Energietechnologien. Es gilt in diesen Sektoren als weltweit führend und muss diesen wissenschaftlichen Vorsprung in wirtschaftlichen Erfolg umwandeln. Späte, nicht koordinierte Maßnahmen würden das Risiko einer Verfestigung der umweltschädlichen CO2-intensiven Infrastruktur und von verlorenen Vermögenswerten („stranded assets“) steigern und die Kosten der unvermeidlichen Umgestaltung in die Höhe treiben.
Der Palette der Optionen liegen bestehende Lösungen zugrunde, von denen einige jedoch noch in den Kinderschuhen stecken. Sie ist breit genug, um Alternativlösungen zu umfassen, sodass die politischen Entscheidungsträger und unsere Bürgerinnen und Bürger versichert sein können, dass eine Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts erreicht werden kann. Die Bewertung stützt sich auf wissenschaftliche Literatur und Beiträge eines breiten Spektrums von Interessenträgern – Unternehmen, Nichtregierungsorganisation, Think-Tanks und die Forschergemeinschaft – sowie auf integrierte Modellierung, die die Umgestaltung der Sektoren Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr, Land- und Forstwirtschaft sowie Abfallwirtschaft und deren Interaktionen untereinander besser verständlich macht.
Überblick über die analysierten Szenarien
Ausgangspunkt der analysierten Wege ist eine gemeinsame Ausgangsbasis, die die vor Kurzem vereinbarten energie- und klimapolitischen Maßnahmen bis 2030 ebenso widerspiegelt wie die Verordnung über das Governance-System der Energieunion und Klimapolitik. Dazu gehören ein reformiertes EU-Emissionshandelssystem, nationale Zielvorgaben für die Verringerung der Treibhausgasemissionen, Rechtsvorschriften zur Erhaltung der Senken „Land“ und „Wälder“, die vereinbarten Zielsetzungen bis 2030 bei Energieeffizienz und dem Anteil erneuerbarer Energien, aber auch die vorgeschlagenen Rechtsvorschriften zur Verbesserung der CO2-Effizienz von Personenkraftwagen, leichten Nutzfahrzeugen und Lastkraftwagen. Diese politischen Maßnahmen und Ziele sollen Prognosen zufolge einen Rückgang der Treibhausgasemissionen um rund -45 % bis zum Jahr 2030 und um rund -60 % bis zum Jahr 2050 bewirken. Dies ist als Beitrag der EU zur Verwirklichung der Temperaturziele des Übereinkommens von Paris nicht ausreichend. Um diese Ziele zu erreichen, wurden acht zusätzliche Wege bewertet, die durchweg mit dem Übereinkommen von Paris im Einklang stehen.
Die acht Szenarien beruhten auf nachteilfreien Maßnahmen (No-regret-Maßnahmen) wie dem umfangreichen Einsatz von erneuerbaren Energieträgern und Energieeffizienz.
Fünf der Szenarien betrachten verschiedene Technologien und Handlungsmöglichkeiten, die den Übergang zu einer Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen fördern. Sie unterscheiden sich darin, mit welcher Intensität Elektrifizierung, Wasserstoff und E-Fuels (synthetische Kraftstoffe, z. B. Power-to-X) sowie Endnutzer-Energieeffizienz und die Kreislaufwirtschaft genutzt werden, um Emissionen zu mindern. Dies gestattet es, ihre gemeinsamen Merkmale ebenso zu untersuchen, wie die verschiedenen Auswirkungen auf das Energiesystem.
In allen Szenarien steigt der Stromverbrauch, doch gibt es beträchtliche Unterschiede. Bei Szenarien, bei denen überwiegend die Elektrifizierung in Endnutzersektoren im Mittelpunkt steht, ergibt sich außerdem ein höherer Bedarf an Speichermöglichkeiten (das Sechsfache der heutigen Kapazitäten), um die Produktionsschwankungen im Elektrizitätssystem abfangen zu können. In Szenarien, in denen vermehrt Wasserstoff zum Einsatz kommt, ist der Strombedarf noch höher, da der Wasserstoff erst gewonnen werden muss. Der höchste Stromverbrauch ist in den Szenarien mit vermehrter Nutzung von E-Fuels vorgesehen, die zu einer Stromerzeugung führen, die knapp 150 % des heutigen Werts beträgt. Bei nachfrageseitig orientierten Szenarien (hohe Endnutzer-Energieeffizienz oder Kreislaufwirtschaft) hingegen ist die geringste Steigerung der Stromerzeugung erforderlich (2050: rund 35 % mehr als gegenwärtig). Sie sehen auch den geringsten Speicherbedarf und die höchsten Energieeinsparungen in den Bereichen Wohnraum und Industrie vor. Darüber hinaus unterscheiden sich diese Szenarien beim Investitionsbedarf und bei der Notwendigkeit der Umgestaltung auf Sektorenebene. Bei Szenarien, die stärker auf CO2-freien Energieträgern beruhen, ist der Umgestaltungs- und Investitionsbedarf im Endnutzerbereich geringer, gleichzeitig jedoch sehen sie den höchsten Investitionsbedarf in den Energieversorgungssektoren vor. Umgekehrt sind bei Szenarien, bei denen Veränderungen auf der Nachfrageseite im Mittelpunkt stehen, die geringsten Investitionen in die Energieversorgungssektoren erforderlich.
Mit diesen fünf Szenarien werden bis zum Jahr 2050 Treibhausgasemissionsminderungen um etwa 80 % gegenüber dem Jahr 1990 erzielt (ohne Landnutzung und Forstwirtschaft). Bei Einbeziehung der Senken „Landnutzung“ und „Forstwirtschaft“, die mehr CO2 absorbieren als sie emittieren, werden bei denen Szenarien die Netto-Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 um rund 85 % gegenüber 1990 verringert. Es fehlen weitere 15 Prozentpunkte zum Erreichen einer Wirtschaft, die klimaneutral ist bzw. keine Netto-Treibhausgasemissionen freisetzt.
Das Szenario, das alle fünf Optionen kombiniert, allerdings auf einem niedrigeren Niveau, sieht Nettotreibhausgasverringerungen von bis zu 90 % (mit den Senken „Landnutzung“ und „Forstwirtschaft“) vor. Doch auch mit diesem Szenario kann bis zum Jahr 2050 keine Treibhausgasemissionsneutralität erreicht werden, weil es einige Treibhausgasemissionen immer geben wird, vor allem in der Landwirtschaft. Die Land- und die Forstwirtschaft sind insofern einmalig, als sie auch CO2 aus der Luft entfernen können. Jährlich werden so beträchtliche Mengen entfernt, was in der EU eine Nettosenke von etwa 300 Millionen Tonnen CO2 bewirkt. Ohne zusätzliche Maßnahmen zur Stärkung der Rolle unserer Böden reicht dies jedoch nicht aus, um die verbleibenden Emissionen zu kompensieren. Deswegen muss mehr getan werden, um zu prüfen, wie eine nachhaltige Bereitstellung von Biomasse gewährleistet werden kann, die gleichzeitig unsere natürliche Senke stärkt oder mit CO2-Abscheidung und -Speicherung kombiniert wird – beides Möglichkeiten, höhere negative Emissionen zu erzielen.
In den Szenarien 7 und 8 werden daher explizit diese Interaktionen untersucht, um zu bewerten, wie bis zum Jahr 2050 Treibhausgasneutralität (null Nettoemissionen) und danach negative Nettoemissionen erzielt werden können. Beim Szenario 7 werden alle CO2-freien Energieträger sowie Energieeffizienz stark gefördert, außerdem beruht es auf Technologien mit negativen Emissionen in Form von Bioenergie, die zum Ausgleich der verbleibenden Emissionen mit CO2-Abscheidung- und -Speicherung kombiniert werden.
Das Szenario 8 baut auf dem vorgenannten Szenario auf, bewertet jedoch die Auswirkungen einer intensiven Kreislaufwirtschaft und die potenziell positive Rolle einer Änderung des Verbraucherverhaltens, das weniger CO2-intensiv wird. Darüber hinaus untersucht es, wie die Senke „Landnutzung“ verstärkt werden kann und wie stark dadurch der Bedarf an Technologien für negative Emissionen zurückgeht.
Den Modellbewertungen zufolge reicht die Umsetzung von No-Regret-Optionen wie erneuerbaren Energien einschließlich nachhaltiger Biobrennstoffe der nächsten Generation, Energieeffizienz, Impulse für die Kreislaufwirtschaft in Verbindung mit individuellen Optionen wie Elektrifizierung, Wasserstoff und alternativen Kraftstoffen oder neuen Verkehrskonzepten nicht aus, um bis zum Jahr 2050 eine Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen verwirklichen zu können. Bei solchen Technologie-Szenarien gehen die Emissionen bis 2050 gegenüber 1990 nur um 80 % zurück. Auch wenn durch die Kombination aller Optionen eine Nettoemissionsminderung um etwa 90 % (mit den Senken „Landnutzung“ und „Forstwirtschaft“) erzielt werden kann, wird es bestimmte Treibhausgasemissionen immer geben, namentlich im Agrarsektor. Um zu null Netto-Treibhausgasemissionen zu gelangen, ist es notwendig, das Potenzial der technologie- und kreislaufbasierten Optionen zu maximieren, die auf naturbelassenem Land beruhenden CO2-Senken, u. a. in der Land- und Forstwirtschaft, in großem Maßstab zu verwirklichen und ein Umdenken bei der Mobilität zu bewirken.
Der Weg zu einer Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen könnte demnach darauf beruhen, dass wir gemeinsam auf der Grundlage von sieben wesentlichen strategischen Bausteinen handeln:
1. Maximierung des Nutzens von Energieeffizienz, einschließlich Nullemissionsgebäude
Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz sollten beim Erreichen von null Netto-Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 eine zentrale Rolle spielen, indem sie einen Rückgang des Energieverbrauchs um bis zu 50 % gegenüber dem Jahr 2005 bewirken. Energieeffizienz, Digitalisierung und Heimautomatisierung, Kennzeichnung und Festsetzung von Normen wirken weit über die EU hinaus, da Haushalts- und Elektronikgeräte in Auslandsmärkte exportiert oder in die EU importiert werden und Hersteller im Ausland deswegen die EU-Normen beachten müssen.
Der Energieeffizienz fällt bei der Dekarbonisierung industrieller Verfahren eine zentrale Rolle zu; allerdings wird ein großer Teil des Rückgangs der Energienachfrage auf Gebäude sowohl im Wohn- als auch im Dienstleistungssektor entfallen, die derzeit für 40 % des Energieverbrauchs verantwortlich sind. Angesichts der Tatsache, dass der Großteil des Wohnungsbestands des Jahres 2050 bereits heute vorhanden ist, setzt dies höhere Renovierungsquoten, einen Umstieg bei den Heizstoffen, sodass die meisten Wohnungen mithilfe erneuerbarer Energien (Strom, Fernwärme, erneuerbarem Gas oder Solarwärme) beheizt werden, die Verbreitung der effizientesten Produkte und Geräte, intelligente Gebäude- und Gerätemanagementsysteme und bessere Dämmstoffe voraus. Eine wichtige Rolle übernimmt nachhaltige erneuerbare Wärme. Gas, z. B. verflüssigtes Erdgas als Gemisch mit Wasserstoff, oder E-Methan, die aus einem Mix von Strom aus erneuerbaren Quellen und Biogas erzeugt werden, könnten in Bestandsgebäuden und in vielen industriellen Anwendungen eine Schlüsselrolle übernehmen. Geeignete Finanzinstrumente, mit denen das derzeitige Marktversagen überwunden werden kann, genügend Fachleute mit den passenden Qualifikationen und die Erschwinglichkeit für jedermann sind von zentraler Bedeutung, um höhere Renovierungsquoten zu erreichen und aufrechtzuerhalten. Ein integriertes Konzept und Kohärenz über alle relevanten politischen Strategien hinweg sind für die Modernisierung der bebauten Umwelt und die Mobilisierung aller Akteure unverzichtbar. Eine Schlüsselrolle bei diesem Prozess fällt der Einbindung der Verbraucher unter anderem über die Verbraucherverbände zu.
2. Maximale Nutzung von erneuerbaren Energien und von Strom für die vollständige Dekarbonisierung der Energieversorgung Europas
Gegenwärtig beruht unser Energiesystem überwiegend auf fossilen Brennstoffen. Alle geprüften Szenarien gehen davon aus, dass sich dies bis zur Mitte des Jahrhunderts grundlegend ändern wird, da die großflächige Elektrifizierung des Energiesystems durch den immer breiteren Einsatz erneuerbarer Energien vorangetrieben wird, sei es auf Ebene des Endverbrauchers oder zur Erzeugung von CO2-freien Brenn- und Einsatzstoffen für die Industrie.
Die Energiewende dürfte in ein Energiesystem münden, in dem die Primärenergieversorgung überwiegend aus erneuerbaren Energiequellen stammt, wodurch die Versorgungssicherheit sich erheblich verbessern und Arbeitsplätze in der EU geschaffen würden. Die Abhängigkeit der EU von Energieimporten, namentlich Erdöl und Erdgas, liegt heute bei rund 55 % und soll bis zum Jahr 2050 auf 20 % zurückgehen. Dies wäre positiv für den Handel und die geopolitische Lage der EU, da dadurch die Ausgaben für die Einfuhren fossiler Brennstoffe (derzeit 266 Mrd. EUR) deutlich geringer würden – einigen Szenarien zufolge würden die Importe um über 70 % zurückgehen. Durch geringere Importkosten ließen sich im Zeitraum 2031-2050 insgesamt Einsparungen von 2-3 Bio. EUR erzielen, wodurch Ressourcen für künftige potenzielle Investitionen in die Modernisierung der EU-Wirtschaft freigesetzt würden.
Der großflächige Einsatz von erneuerbaren Energien führt zur Elektrifizierung unserer Wirtschaft und einer starken Dezentralisierung. Bis zum Jahr 2050 wird sich der Anteil von Strom an der Endenergienachfrage mindestens auf 53 % verdoppeln. Um null Netto-Treibhausgasemissionen zu erreichen, wird die Stromerzeugung erheblich, bis auf das 2,5-fache der heutigen Werte steigen, je nachdem, welche Optionen für die Energiewende gewählt werden.
Bei der Umgestaltung der Stromerzeugung in der EU wurden bereits grundlegende Fortschritte erzielt. Die unter Führung der EU eingeleitete, weltweite Expansion der Nutzung erneuerbarer Energien führte in den vergangenen zehn Jahren dazu, dass – vor allem bei Solaranlagen sowie On- und Off-shore-Windparks – die Kosten massiv gesunken sind. Heute erfolgt mehr als die Hälfte der Stromversorgung in der EU ohne Treibhausgasemissionen. Bis zum Jahr 2050 werden über 80 % des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energieträgern (die sich zunehmend Off-shore befinden) stammen. Zusammen mit einem Kernkraftanteil von etwa 15 % bildet dies das Rückgrat eines CO2-freien europäischen Stromsystems. Diese Übergänge sind den globalen Pfaden, die im IPCC-Bericht untersucht werden, vergleichbar. Durch die Elektrifizierung werden den Unternehmen in der EU auf dem Weltmarkt für saubere Energien neue Horizonte im Wert von derzeit rund 1,3 Bio. EUR eröffnet. Das Potenzial einiger Quellen erneuerbarer Energie muss noch erschlossen werden; dies ist insbesondere für die Meeresenergie der Fall. Der EU, in der 6 der 25 größten auf dem Gebiet erneuerbarer Energien tätigen Unternehmen mit 1,5 Millionen Beschäftigten (von 10 Millionen weltweit) ihren Sitz haben, bietet dies einzigartige Geschäftsmöglichkeiten. Auch den Verbrauchern, die selbst Energie erzeugen („Prosumenten“), und lokalen Gemeinschaften fällt dadurch die wichtige Rolle zu, zum Einsatz von erneuerbaren Energien in Wohngebäuden zu ermutigen.
Abbildung 2: Brennstoffmix des Bruttoinlandsverbrauchs
Der wettbewerbsorientierte Einsatz von erneuerbarer Energie bietet – durch direkte Nutzung von Strom oder indirekt durch die E-Fuel-Erzeugung durch Elektrolyse (z. B. E-Wasserstoff), wenn die Direktnutzung von Strom oder nachhaltiger Bioenergie nicht möglich ist – auch für die Dekarbonisierung anderer Sektoren wie Wärme, Verkehr und Industrie wichtige Chancen. Der potenzielle Vorteil von Power-to-X besteht darin, dass synthetische Brennstoffe gespeichert und für verschiedene Zwecke in unterschiedlichen Wirtschaftssektoren verwendet werden können, deren Dekarbonisierung ansonsten schwierig wäre (z. B. Industrie und Verkehr). In einem vollständig dekarbonisierten Stromsystem könnten diese Technologien in Nischenanwendungen das bei industriellen Prozessen abgeschiedene CO2 als Einsatzstoff verwenden. Bei Direktabscheidung aus nachhaltiger Bioenergie oder sogar direkt aus der Luft können diese Technologien emissionsfreie Brennstoffe liefern (wobei jedoch einzuräumen ist, dass sie bislang noch nicht großtechnisch erprobt wurden).
Wasserstoff und Power-to-X (P2X)
Wasserstoff wird in der chemischen Industrie seit Langem als Einsatzstoff für industrielle Prozesse genutzt. In einem vollständig dekarbonisierten Energiesystem dürfte ihm eine größere Rolle zufallen. Damit Wasserstoff diese Rolle übernehmen kann, muss er durch Elektrolyse von Wasser mit CO2-freiem Strom oder durch Dampfreformierung mit CO2-Abscheidung und -Speicherung aus Erdgas gewonnen werden. So gewonnener Wasserstoff kann dann zur Dekarbonisierung verschiedener Sektoren beitragen: erstens als Speicher im Stromsektor, um die schwankende Erzeugung aus erneuerbaren Energiequellen zu stabilisieren; zweitens als möglicher Energieträger für die Nutzung im Wärme-, Verkehrs- und Industriesektor und schließlich als Einsatzstoff für die Industrie (z. B. Stahl, Chemikalien und E-Fuels) in den Branchen, in denen die Dekarbonisierung am schwierigsten ist.
Der Begriff „Power-to-X-Technologien“ bezeichnet Technologien, mit denen Strom in synthetische Gase (Wasserstoff, Methan oder andere Gase) und Flüssigkeiten umgewandelt werden kann. Mit CO2-freiem Strom gewonnener Wasserstoff kann in Verbindung mit CO2 aus nachhaltiger Biomasse oder aus der Direktabscheidung aus der Luft (Direct Air Capture, DAC) eine CO2-neutrale Alternative darstellen, die dieselben Moleküle umfasst wie Erdgas oder Erdöl und somit über die bestehenden Fernleitungs-/Verteilersysteme verteilt und in bestehenden Anlagen und Anwendungen eingesetzt werden. Solche Technologien werden dann attraktiv, wenn genügend Strom aus CO2-freien Quellen (erneuerbare Quellen und Kernenergie) vorhanden ist. Ihr Nachteil besteht in den energieintensiven Produktionsverfahren.
Für den Übergang zu einem weitgehend dezentralen Stromsystem auf der Grundlage von erneuerbaren Energien ist ein intelligenteres, flexibles System erforderlich, das auf der Mitwirkung der Verbraucher, stärkerer Vernetzung, wirksamerer Energiespeicherung in großem Maßstab, nachfrageseitiger Steuerung und digitalisiertem Management beruht. Der Ausbau und die Intelligenz des Stromsystems, der Stromerzeugung und stromverbrauchender Anwendungen setzen voraus, dass die geeignete Gestaltung des Energiebinnenmarkts in den kommenden Jahrzehnten weit oben auf der politischen Agenda steht, damit CO2-freier Strom kostenwirksam erreicht wird und verlorene Vermögenswerte vermieden werden. Bei der Energiewende muss auch der Schutz vor den wachsenden Cybersicherheitsrisiken Berücksichtigung finden.
3. Entscheidung für saubere, sichere und vernetzte Mobilität
Der Verkehr ist für rund ein Viertel der Treibhausgasemissionen in der EU verantwortlich. Infolgedessen müssen alle Verkehrsträger zur Dekarbonisierung des Mobilitätssystems beitragen. Dies setzt ein systembasiertes Konzept voraus. Der erste Teil dieses Konzept sind emissionsarme und emissionsfreie Fahrzeuge mit hocheffizienten alternativen Antrieben für alle Verkehrsträger. Wie im Falle der erneuerbaren Energien im vergangenen Jahrzehnt investiert die Automobilindustrie bereits heute hohe Summen in die Entwicklung von emissionsfreien und emissionsarmen Fahrzeugtechnologien wie Elektrofahrzeuge. Eine Kombination aus dekarbonisiertem, dezentralisiertem und digitalisiertem Strom, effizienteren, nachhaltigeren Batterien, hocheffizienten Elektroantrieben, Vernetzung und autonomem Fahren bietet Möglichkeiten zur Dekarbonisierung des Straßenverkehrs, die insgesamt mit großen Vorteilen verbunden sind, wie saubere Luft, weniger Lärm und unfallfreier Verkehr, und sich im Großen und Ganzen positiv auf die Gesundheit von Mensch und Wirtschaft in der EU auswirken. Auch die Elektrifizierung des Kurzstreckenseeverkehrs und der Binnenwasserstraßen ist eine Option, soweit das Verhältnis Strom/Gewicht dies zulässt.
Auf der Grundlage der heutigen Kenntnisse und Technologien wird die Elektrifizierung mithilfe von erneuerbaren Energien für sich genommen jedoch keine Patentlösung für alle Transportträger sein. Batterien haben bislang eine geringe Energiedichte und sind gegenwärtig wegen ihres noch hohen Gewichts kaum geeignet für die Luftfahrt und die Seeschifffahrt. Auch bei Fernlastern und -bussen ist derzeit ungewiss, ob Batterien das erforderlich Preis- und Leistungsniveau erreichen werden, auch wenn Aussichten auf eine Elektrifizierung mit Kettenfahrleitungen bestehen. Die Eisenbahn ist und bleibt die energieeffizienteste Lösung für die Beförderung von Fracht über mittlere und lange Strecken. Deswegen sollte der Schienengüterverkehr gegenüber dem Straßenverkehr wettbewerbsfähiger gemacht werden, indem betriebliche und technische Barrieren zwischen nationalen Schienennetzen beseitigt und Innovation und Effizienz netzübergreifend gefördert werden. Bis neue Technologien entwickelt sind, mit denen mehr Verkehrsträger als heute elektrifiziert werden können, sind alternative Kraftstoffe wichtig. Darüber hinaus könnten wasserstoffbasierte Technologien (wie Elektrofahrzeuge und -schiffe mit Brennstoffzellen) mittel- bis langfristig wettbewerbsfähig werden. Verflüssigtes Erdgas mit hohen Biomethananteilen könnte ebenfalls kurzfristig als Alternative für den Güterfernverkehr dienen. In der Luftfahrt ist ein Übergang zu modernen Biokraftstoffen und CO2-freien E-Fuels unumgänglich, wobei durch Hybridisierung und andere flugzeugtechnische Verbesserungen Effizienzgewinne zu erzielen sind. Beim Güterfernverkehr und bei schweren Nutzfahrzeugen können nicht nur Biokraftstoffe und Biogas, sondern auch E-Fuels eine Rolle spielen, sofern sie entlang der gesamten Produktionskette CO2-frei sind. E-Fuels können in konventionellen Fahrzeugmotoren verwendet werden, wobei auf die bestehende Betankungsinfrastruktur zurückgegriffen werden kann. Durch Forschung und Entwicklung müssen bei der Herstellung dekarbonisierter Kraftstoffe und bei der Fahrzeugtechnologie (Batterien, Brennstoffzellen und Wasserstoffverbrennungsmotoren) weitere erhebliche Fortschritte erzielt werden.
Als Zweites muss unter allen Umständen das gesamte Mobilitätssystem auf der Grundlage von Digitalisierung, Datenaustausch und interoperablen Standards effizienter organisiert werden, damit die Mobilität sauberer wird. Dadurch werden eine intelligente Verkehrssteuerung und die zunehmend automatisierte Mobilität bei allen Verkehrsträgern möglich, was die Verkehrsüberlastung verringert und die Besetzungsraten erhöht. Die regionale Infrastruktur und die Raumplanung sollten so verbessert werden, dass die Vorteile einer stärkeren Nutzung öffentlicher Verkehrsträger vollständig ausgeschöpft werden können.
Nicht zuletzt wegen des Vorherrschens von Kurzstreckenfahrten und der Luftqualitätsproblematik werden Stadtgebiete und intelligente Städte die ersten Zentren der Mobilitätsinnovation sein. 75 % unserer Bevölkerung lebt in städtischen Gebieten. Stadtplanung, sichere Fahrrad- und Fußwege, ein sauberer öffentlicher Nahverkehr, die Einführung neuer Zustellungstechnologien wie Drohnen und Mobilität als Dienstleistung, einschließlich des Aufkommens von Sharing-Diensten für Personenkraftwagen und Fahrräder, werden die Mobilität verändern. In Verbindung mit dem Übergang zu CO2-freien Verkehrstechnologien mit weniger Luftverschmutzung, Lärm und niedrigeren Unfallzahlen wird sich die Lebensqualität in Städten erheblich verbessern.
Verhaltensänderungen von Einzelpersonen und Unternehmen müssen diese Entwicklung untermauern. Für Fernreisen können die Entwicklungen bei digitalen Technologien und Videokonferenzen möglicherweise bedeuten, dass es für bestimmte Zwecke wie Geschäftsreisen zu einer Präferenzverschiebung kommt und die Nachfrage nach Reisen geringer sein wird als heute erwartet. Gut informierte Reisende und Verkehrsunternehmen werden bessere Entscheidungen treffen, vor allem, wenn für alle Verkehrsträger gleiche – auch regulatorische und steuerliche – Ausgangsbedingungen geschaffen werden. Die Internalisierung der externen Kosten ist die Voraussetzung dafür, dass in Bezug auf Technologien und Verkehrsträger die effizientesten Entscheidungen getroffen werden.
Der Übergang zu null Nettoemissionen bis zum Jahr 2050 ist auf die notwendige Infrastruktur – also die Vollendung des transeuropäischen Verkehrs-Kernnetzes (TEN-T) bis 2030 und des Gesamtnetzes bis 2050 – angewiesen. Künftige Investitionen müssen auf die am wenigsten umweltschädlichen Verkehrsträger konzentriert werden, Synergien zwischen den Verkehrs-, Digital- und Stromnetzen fördern, um Innovationen wie Netzintegrationsdienste für Fahrzeuge zu ermöglichen, und von Anfang an intelligente Komponenten wie das Europäische Eisenbahnverkehrsleitsystem (ERTMS) einschließen. Dadurch könnten beispielsweise Hochgeschwindigkeitsbahnverbindungen auf Kurz- und Mittelstrecken für Reisende in der EU zu einer echten Alternative zum Flugzeug werden.
Europa muss ein überzeugter Verfechter des Multilateralismus sein und bleiben. Da Seeschifffahrt und Luftverkehr naturgemäß global sind, muss die EU mit ihren globalen Partnern zusammenarbeiten, um weitere Anstrengungen anzutreiben und auf die Fortschritte, die vor Kurzem innerhalb der Internationalen Seeschifffahrtorganisation (IMO) und der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) erzielt wurden, aufzubauen , damit diese fest verankert werden und somit ein wesentlicher erster Schritt hin zur Dekarbonisierung dieser Sektoren verwirklicht wird. Allerdings sind weitere Anstrengungen erforderlich.
4. Eine wettbewerbsfähige EU-Industrie und die Kreislaufwirtschaft als Schlüssel für die Senkung der Treibhausgasemissionen
Die EU-Industrie gehört bereits heute zu den weltweit effizientesten Industrien, und dies soll auch so bleiben, weswegen eine wettbewerbsfähige, ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft entwickelt werden muss. Insbesondere bei steigenden Recyclingquoten werden der Energiebedarf und die bei der Herstellung vieler Industriegüter wie Glas, Stahl und Kunststoffe anfallenden Prozessemissionen weiter zurückgehen. Rohstoffe sind unverzichtbar, um CO2-neutrale Lösungen in allen Wirtschaftssektoren zu ermöglichen. Angesichts der Größenordnung des rapide wachsenden Rohstoffbedarfs wird auch künftig ein großer Teil der Nachfrage durch Primärrohstoffe gedeckt werden. Da jedoch dank Wiederverwendung und Recycling der Rohstoffeinsatz abnimmt, steigt die Wettbewerbsfähigkeit, werden Geschäftsmöglichkeiten und Arbeitsplätze geschaffen und sinkt der Energiebedarf, wodurch wiederum auch die Umweltverschmutzung und die Treibhausgasemissionen zurückgehen. Besonders wichtig sind Rohstoffverwertung und -recycling in den Sektoren und Technologien, in denen sich neue Abhängigkeiten ergeben könnten, beispielweise von kritischen Rohstoffen wie Kobalt, seltenen Erden oder Grafit, deren Gewinnung heute in einigen wenigen Ländern außerhalb Europas konzentriert ist. Doch auch durch eine verstärkte EU-Handelspolitik kann gewährleistet werden, dass die EU nachhaltig und sicher mit diesen Stoffen versorgt wird.
Auch werden neue Werkstoffe eine wichtige Rolle spielen, unabhängig davon, ob traditionelle Verwendungszwecke wiederentdeckt werden, wie der Einsatz von Holz im Baugewerbe, oder ob neue Verbundwerkstoffe energieintensive Materialien ersetzen. Die Nachfrage nach Produkten hängt auch von Verbraucherentscheidungen ab. Einige davon können sich aus laufenden Veränderungen ergeben, wie der Digitalisierung, die zu einer geringeren Papiernachfrage führt. Bei anderen handelt es sich um klimabewusstere Entscheidungen: Verbraucher verlangen zunehmend klima- und umweltfreundliche Waren und Dienstleistungen. Dies setzt voraus, dass die Verbraucher transparenter über den CO2- und den ökologischen Fußabdruck von Waren und Dienstleistungen informiert werden und auf dieser Grundlage bessere Entscheidung treffen können.
Treibhausgasfrei produzieren heißt in vielen Fällen, dass bestehende Anlagen erheblich modernisiert oder vollständig ersetzt werden müssen. Diese Investition ist Teil der nächsten industriellen Revolution. Indem die moderne, wettbewerbsfähige und wohlhabende EU-Industrie auch künftig als Wegbereiterin bei Übergangsmaßnahmen vorangeht, könnte sie ihre Präsenz in einer Weltwirtschaft verstärken, die zwangsläufig immer strengere CO2-Obergrenzen vorgibt. Die Digitalisierung und die Automatisierung werden kurzfristig als die meistversprechenden und wirksamsten Wege gesehen, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, da sie sowohl Effizienzsteigerungen als auch eine Minderung der Treibhausgasemissionen bewirken. Wie in jedem anderen Endnutzersektor auch kann die Elektrifizierung in Verbindung mit einer stärkeren Nutzung von Wasserstoff, Biomasse und erneuerbarem synthetischem Gas die energiebedingten Emissionen bei der Herstellung von Industriegütern mindern.
Viele prozessbedingte Industrieemissionen lassen sich kaum vermeiden, es gibt aber Optionen für ihre Minderung. CO2-kann abgeschieden, gespeichert und genutzt werden. Für eine Reihe industrieller Prozesse wie die Produktion von Stahl und verschiedenen Chemikalien können sowohl erneuerbarer Wasserstoff als auch nachhaltige Biomasse fossile Brennstoffe als Einsatzstoff ersetzen.
Die Abscheidung und Nutzung von CO2 (Carbon Capture and Utilisation, CCU) in der Industrie bezeichnet Prozesse, in denen CO2 abgeschieden und zu einem neuen Produkt verarbeitet wird. E-Fuels können als Beispiel angeführt werden, bei dem das CO2 bei der Verbrennung des Brennstoffs erneut freigesetzt wird und Emissionen aus fossilen Brennstoffen verdrängt. Es gibt andere CCU-Produkte wie Kunststoffe und Baustoffe, in denen das CO2 über längere Zeiträume zurückgehalten wird.
Der Großteil der industriellen Emissionen wird von der Stahl-, Zement- und chemischen Industrie verursacht. In den kommenden 10 bis 15 Jahren werden sich bereits bekannte Technologien beim großtechnischen Einsatz bewähren müssen; einige davon werden bereits in kleinem Maßstab erprobt, z. B. die wasserstoffbasierte Primärstahlgewinnung.
Durch Forschung, Entwicklung und Demonstration werden die Kosten bahnbrechender Technologien erheblich verringert. Dies wird dazu führen, das wirklich neue Produkte die heutigen Industrieprodukte ersetzen werden, wie Kohlenstofffasern oder stärkere Zemente, durch die das Produktionsvolumen geringer wird, während gleichzeitig der Produktwert steigt. In einer Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen werden sich neue Geschäftskonzepte entwickeln, in deren Zentrum die Wiederverwendung und andere Dienstleistungen stehen.
5. Entwicklung einer adäquaten intelligenten Netzinfrastruktur und von Netzverbindungen
Eine Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen ist nur möglich, wenn eine adäquate, intelligente Infrastruktur vorhanden ist, die eine optimale Vernetzung und Sektorenintegration über ganz Europa sicherstellt. Eine engere Zusammenarbeit über Landes- und Regionalgrenzen hinweg ermöglicht es, vollen Nutzen aus der Modernisierung und Umgestaltung der EU-Wirtschaft zu ziehen. Die frühzeitige Vollendung der transeuropäischen Verkehrs- und Energienetze muss noch stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. Als Minimum sollte hinreichende Infrastruktur vorhanden sein, um die wichtigsten Entwicklungen mitzutragen, die den Rahmen der Energieübertragungs- und ‑verteilungslandschaft von morgen formen werden: intelligente Elektrizitäts- und Daten-/Informationsnetze und erforderlichenfalls Wasserstoffleitungen, die durch Digitalisierung und weitere Sektorenintegration unterstützt werden, beginnend bei der Modernisierung der wichtigsten Industriecluster der EU in den folgenden Jahren. Davon gehen wiederum Impulse für die Clusterbildung bei Industrieanlagen aus.
Für die Wende im Verkehrssektor ist es erforderlich, die einschlägige Infrastruktur zu schaffen und für mehr Synergien zwischen Verkehrs- und Energiesystem zu sorgen, was intelligente Ladestationen oder Tankstellen umfasst, die nahtlose, grenzübergreifende Dienste ermöglichen.
Bei bestehenden Infrastrukturen und Anlagewerten kann eine Nachrüstung dafür sorgen, dass sie ganz oder zum Teil weiterhin genutzt werden können. Indem alternde Infrastrukturen und Anlagewerte frühzeitig durch sorgfältig konzipierte neue ersetzt werden, die mit dem Ziel der tief greifenden Dekarbonisierung vereinbar sind, eröffnen sich gleichzeitig neue Chancen.
6. Vollen Nutzen aus der Bioökonomie ziehen und wesentliche CO2-Senken schaffen
In einer Welt, deren Bevölkerungszahl bis zum Jahr 2050 gegenüber heute um 30 % gestiegen sein wird und in der der Klimawandel Ökosysteme und die weltweite Landnutzung beeinträchtigt, müssen die Land- und die Forstwirtschaft der EU hinreichend Nahrungs- und Futtermittel und Fasern hervorbringen sowie den Energiesektor und verschiedene Zweige der Industrie und der Bauwirtschaft unterstützen. All dies ist für die Wirtschaft und den Lebensstil in Europa unverzichtbar.
Nachhaltiger Biomasse fällt in einer Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen eine wichtige Rolle zu. Biomasse kann direkt Wärme liefern. Sie kann in Biobrennstoffe und Biogas umgewandelt werden, und nach einer Reinigung kann sie anstelle von Erdgas durch das Gasnetz befördert werden. Bei der Nutzung für die Stromerzeugung können die anfallenden CO2-Emissionen abgeschieden werden und durch Speicherung negative Emissionen schaffen. Und sie kann CO2-intensive Stoffe ersetzen, insbesondere im Bauwesen, aber auch in Form neuer, nachhaltiger biobasierter Produkte wie Biochemikalien (z. B. Textilien, Biokunststoffe und Verbundstoffe).
Eine nettoemissionsfreie Wirtschaft setzt voraus, dass gegenüber dem heutigen Verbrauch mehr Biomasse zur Verfügung steht. Dies wird durch welt- und europaweite Bewertungen von Wegen zur CO2-armen Wirtschaft bestätigt. Auch die vorliegende Bewertung bestätigt dies, aber je nachdem, welche Technologien und Maßnahmen gewählt werden, gibt es enorme Unterschiede: Nach den höchsten Prognosen würde der Bioenergieverbrauch von heute bis zum Jahr 2050 um rund 80 % steigen.
Selbst mit besseren Verfahren für eine nachhaltige Bewirtschaftung könnte der derzeitige Waldbestand der EU diese Menge nicht liefern, ohne dass die Senke „Wald“ der EU und die übrigen Ökosystemleistungen erheblich zurückgingen, was es zu verhindern gilt. Höhere Biomasseeinfuhren könnten ebenfalls bedenklich sein, da sie indirekt Emissionen aus Landnutzungsänderungen in den Ausfuhrländern bewirken könnten. Eine höhere Biomasseproduktion muss daher durch eine Kombination von Quellen erreicht werden; gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass unsere natürliche Senke erhalten bleibt oder sogar verstärkt wird.
Die Agrarproduktion wird immer mit Emissionen anderer Treibhausgase als CO2 verbunden sein, doch können diese bis zum Jahr 2050 durch wirksame und nachhaltige Erzeugungsverfahren verringert werden. Innovation wird immer wichtiger. Die Digitalisierung und intelligente Technologien bilden die Grundlage für die Präzisionslandwirtschaft und den dadurch optimierten Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Innerhalb der EU sind nach wie vor erhebliche Unterschiede bei der Produktivität des Viehbestands zu verzeichnen; hier gibt es Spielraum für weitere Verbesserungen. Durch die Behandlung von Gülle in anaeroben Fermentern würden die Nicht-CO2-Emissionen gemindert und Biogas gewonnen. Außerdem verfügen landwirtschaftliche Böden über ein beträchtliches Potenzial für die Bindung und Speicherung von CO2.
Landwirte werden zunehmend als Lieferanten von Ressourcen und wesentlichen Rohstoffen betrachtet. Durch die kreislauforientierte Bioökonomie ergeben sich neue Geschäftsmöglichkeiten. Es gibt bereits bessere Bewirtschaftungsmethoden, insbesondere den Waldfeldbau, die bestehende Nährstoffressourcen effizient nutzen und nicht nur den im Boden gebundenen Kohlenstoff erhöhen, sondern auch der Biodiversität zugutekommen und die Resilienz der Landwirtschaft gegenüber dem Klimawandel selbst stärken. Durch diese Methoden wird in der Regel die Produktivität gesteigert, während der Bedarf an Vorleistungen sinkt und die Umweltbelastungen wie Eutrophierung und Luftverschmutzung geringer werden. Die CO2-Speicherung in landwirtschaftlichen Böden kann durch Nullbodenbearbeitung und die Anpflanzung von Deckfrüchten gesteigert werden, die Bodenschädigungen und Bodenerosion verringern. Die Anpassung bestimmter landwirtschaftlicher Tätigkeiten auf organischen Böden und die Wiederherstellung von Torfmooren und Feuchtgebieten – derzeit noch besonders wichtige Quellen für CO2-Emissionen aus dem Boden – können die Emissionen drastisch vermindern.
Durch Aufforstung und Wiederherstellung von geschädigten Wäldern und anderen Ökosystemen kann die Aufnahme von CO2 weiter gesteigert werden, gleichzeitig kommt dies auch der Biodiversität, den Böden und den Wasserressourcen zugute und steigert im Laufe der Zeit die Verfügbarkeit von Biomasse. Land- und Forstwirte sind die Schlüsselakteure, die diese Ergebnisse erzielen können, und sollten daher dazu angehalten und dabei unterstützt werden.
CO2-Senken sind genauso wichtig wie Emissionsminderung. Die Erhaltung und weitere Stärkung der natürlichen Senken in Wäldern, Böden, landwirtschaftlichen Flächen und Feuchtgebieten an Küsten sind ausschlaggebend für den Erfolg der Strategie, da sie es gestatten, die verbleibenden Emissionen aus Sektoren auszugleichen, in denen die Dekarbonisierung besonders schwierig ist, wozu auch die Landwirtschaft zählt. Vor diesem Hintergrund bieten naturbasierte Lösungen und ökosystembasierte Konzepte häufig vielfältige Vorteile in Bezug auf Wasserbewirtschaftung, Biodiversität und höhere Klimaresilienz.
Eine höhere Nachfrage nach holziger Biomasse könnte auf bis zu 10 % der landwirtschaftlichen Flächen der EU zu einer Diversifizierung der heutigen Geschäftsmodelle der Landwirtschaft führen. Daraus ergeben sich neue Chancen, stillgelegte Flächen wieder in die Produktion zu nehmen und Flächen umzuwandeln, die derzeit für Biokraftstoffe auf Basis von Nahrungspflanzen genutzt werden. Dadurch steigen die Produktivität und die Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe und wahrscheinlich entsprechend auch der Wert von Ackerland.
Dieser biomassebasierte Übergang wird allerdings durch die Verfügbarkeit von Flächen beschränkt. Je nach dem, aus welchen biogenen Stoffen die Biomasse gewonnen wird, fallen die Auswirkungen auf die Landnutzung, die natürliche Senke der EU, die Biodiversität und die Wasserressourcen in der EU ziemlich unterschiedlich aus. Beim Übergang unserer Wirtschaft muss stets sorgfältig geprüft werden, wie die knappen Land- und anderen Ressourcen optimal genutzt werden können, und sichergestellt werden, dass Biomasse nur auf die effizienteste und nachhaltigste Weise zum Einsatz kommt.
Damit die vielfältigen Anforderungen an die Landressourcen der EU entschärft werden können, sollten die zahlreichen Möglichkeiten der Bioökonomie zur Bekämpfung des Klimawandels voll ausgeschöpft werden, indem die Produktivität von Süßwasser- und Meeresressourcen stärker genutzt wird. Dies umfasst beispielsweise die Produktion und Nutzung von Algen und anderen Proteinquellen, die die Inanspruchnahme von landwirtschaftlich genutzten Flächen verringern können.
7. Beseitigung der verbleibenden CO2-Emissionen durch CO2-Abscheidung und ‑Speicherung
Die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) galt ursprünglich als eine zentrale Dekarbonisierungsoption für den Stromsektor und energieintensive Industriezweige. Angesichts der raschen Ausbreitung von Technologien für erneuerbare Energien, anderer Optionen zur Emissionsminderung in Industriesektoren und der Frage der sozialen Akzeptanz der Technologie selbst wird dieses Potenzial heute geringer eingestuft. Allerdings ist der Einsatz von CCS nach wie vor erforderlich, vor allem in energieintensiven Industriezweigen und – während der Übergangszeit – für die Gewinnung von CO2-freiem Wasserstoff. Außerdem ist CCS notwendig, wenn CO2-Emissionen aus Energie und Industrieanlagen auf Biomassebasis abgeschieden und gespeichert werden sollen, um negative Emissionen zu bewirken. Zusammen mit der Senke „Landnutzung“ könnte dies einen Ausgleich für die verbleibenden Treibhausgasemissionen in unserer Wirtschaft darstellen.
Angesichts der Verfestigung von Technologien für fossile Brennstoffe, der Tatsache also, dass eine heute gebaute Anlage 2050 voraussichtlich noch immer in Betrieb sein wird, verbessert die Möglichkeit, Technologien zur Beseitigung von CO2 einzuführen, die Glaubwürdigkeit der langfristigen EU-Strategie. CCS hat das Stadium der kommerziellen Markteinführung noch nicht erreicht; der Mangel an CCS-Demonstrationsprojekten, der fehlende Rentabilitätsnachweis, regulatorische Hemmnisse in einigen Mitgliedstaaten und die geringe Akzeptanz seitens der Öffentlichkeit stehen dem im Wege. Wenn CCS innerhalb der nächsten zehn Jahre in großtechnischen Maßstab verwirklicht werden soll, sind umfangreichere Forschungs-, Innovations- und Demonstrationsmaßnahmen erforderlich, um den Einsatz der Technik für die vorgenannten Optionen (energieintensive Industriezweige, Biomasse und Anlagen für CO2-neutrale synthetische Brennstoffe) sicherzustellen. Darüber hinaus ist für CCS neue Infrastruktur erforderlich, z. B. Transport- und Speichernetze. Damit CCS sein Potenzial voll ausschöpfen kann, sind koordinierte, energische Maßnahmen erforderlich, die dafür sorgen, dass in der EU Demonstrationsanlagen und gewerbliche Einrichtungen errichtet werden und die auf die in einigen Mitgliedstaaten bestehenden Vorbehalte der Öffentlichkeit eingehen.
Die Umsetzung all dieser strategischen Prioritäten wird dazu beitragen, dass unsere Vision Realität wird. Um den Übergang zu steuern, sind allerdings verstärkte politische Anstrengungen nötig. Forschung und Innovation bedürfen eines Rahmens, in dem private Investitionen stärker fließen, von dem die richtigen Marktsignale ausgehen und der den sozialen Zusammenhalt gewährleistet, damit keine Region und kein Mensch abgehängt werden.
4. Investitionen in eine nachhaltige Gesellschaft – ein europäischer Rahmen für die langfristige Wende
Wie sich die geprüften Optionen und Maßnahmen entwickeln, hängt in hohem Maße vom Tempo ihrer Ersteinführung, dem Umfang, in dem die Bevölkerung aktiv am Übergang mitwirkt, der öffentlichen Akzeptanz für bestimmte CO2-arme oder CO2-freie Technologien sowie davon ab, wie schnell eine hinreichende Größenordnung erreicht werden kann. Deswegen ist es gerechtfertigt, eine Reihe geeigneter politischer Maßnahmen einzuführen und einen Rahmen zu schaffen, von dem Anreize für diese Veränderungen ausgehen. Auf der Grundlage der für die Schaffung der Energieunion bereits geleisteten Arbeit sollte dieser Rahmen alle wesentlichen Trends berücksichtigen, die die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft in der EU bestimmen, wie Klimawandel und Umwelt, Digitalisierung, Überalterung und Ressourceneffizienz.
Abbildung 3: Rahmen Quelle: EPSC
Investitionen und Finanzierung
Die Modernisierung und die Dekarbonisierung der EU-Wirtschaft werden erhebliche zusätzliche Investitionen mobilisieren. Derzeit werden rund 2 % des BIP in unser Energiesystem und die dazugehörige Infrastruktur investiert. Dieser Anteil müsste auf 2,8 % (oder rund 520-575 Mrd. EUR) angehoben werden, um eine Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen verwirklichen zu können. Dies bedeutet sehr umfangreiche zusätzliche Investitionen in der Größenordnung von 175 bis 290 Mrd. EUR jährlich gegenüber dem Ausgangswert und steht im Einklang mit dem IPCC-Sonderbericht, in dem geschätzt wurde, das im Zeitraum 2016–2035 Investitionen in das Energiesystem von etwa 2,5 % des Welt-BIP erforderlich sind. Bestimmte Optionen allerdings, wie der rasche Übergang zur Kreislaufwirtschaft und Verhaltensänderungen können den Bedarf an zusätzlichen Investitionen verringern.
Gleichzeitig könnten erhebliche Krankheitskosten eingespart werden. Heute ist die Luftverschmutzung in der EU für schwere Erkrankungen und knapp eine halbe Million vorzeitiger Todesfälle pro Jahr verantwortlich; Hauptverursacher dieser Luftverschmutzung sind fossile Brennstoffe, industrielle Prozesse, die Landwirtschaft und Abfälle. Dies sind auch die Hauptquellen von Treibhausgasen. Eine Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen bewirkt – zusätzlich zu den bereits laufenden Maßnahmen zur Beseitigung der Luftverschmutzung – einen Rückgang der durch Feinstaub verursachten vorzeitigen Todesfälle um mehr als 40 % und der Folgekosten von Gesundheitsschäden um mehr als 200 Mrd. EUR pro Jahr.
Abbildung 4: Notwendige Investitionen
Der weitaus größte Teil dieser Investitionen wird von Privatunternehmen und Haushalten getragen werden. Um solche Investitionen zu fördern, müssen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten klare, langfristige Signale geben, um die Investoren zu lenken, verlorene Vermögenswerte zu vermeiden, nachhaltige Finanzmittel zu mobilisieren und diese so produktiv wie möglich in saubere Innovationsmaßnahmen zu kanalisieren. Die Bereitstellung einer Vision gibt die Richtung vor, in die die Finanz- und Kapitalströme fließen müssen. Aus diesem Grund müssen Interessenträger unbedingt auf transparente Weise in die Planung einer kohlenstoffarmen Zukunft eingebunden werden. In der neuen Governance-Strategie der Energieunion ist dieses Erfordernis verankert, indem vorgesehen ist, dass die Interessenträger an der Ausarbeitung der nationalen Energie- und Klimapläne beteiligt werden, die mit den Langzeitstrategien und dem veranschlagten Investitionsbedarf im Einklang stehen müssen.
Umwelt-, Ressourcen- und Energieeffizienz nehmen bereits breiten Raum in der Investitionsoffensive für Europa, dem sogenannten Juncker-Plan, ein. Tragende Elemente dieser Offensive sind der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) und der EU-Kohäsionsfonds, aus denen die EU rund 70 Mrd. EUR für die Umsetzung der Strategie für die Energieunion bereitstellt. Als Beitrag zur Verwirklichung der Ziele des Übereinkommens von Paris soll im EFSI 2.0 in allen Sektoren der Schwerpunkt noch nachdrücklicher auf nachhaltige Investitionen gelegt werden, damit der Übergang zu einer ressourceneffizienten, kohlenstoffarmen Kreislaufwirtschaft gelingt. So sollen mindestens 40 % der EFSI-Projekte im Rahmen des Finanzierungsfensters „Infrastruktur und Innovation“ zu den Klimaschutzverpflichtungen der EU nach Maßgabe der Ziele des Übereinkommens von Paris beitragen. Dieser Fokus wird durch InvestEU weiter verstärkt. Neue Finanzinstrumente, die sowohl auf Groß- als auch auf Kleininvestitionen (wie Energiegemeinschaften) ausgelegt sind, tragen ebenfalls zur Energiewende bei.
Der Vorschlag der Europäischen Kommission, im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen in allen Politikbereichen der EU mindestens 25 % für Klimabelange vorzusehen, zeigt, dass der EU-Haushalt auch künftig als Katalysator für die Mobilisierung von nachhaltigen privaten und öffentlichen Investitionen fungiert und die EU-Fördermittel für die Energiewende dahin lenkt, wo sie am meisten benötigt werden. Er trägt auch wesentlich dazu bei, der Forderung der EU nach Netto-Treibhausgasemissionen von null bis zum Jahr 2050 Glaubwürdigkeit zu verleihen. Zügige Fortschritte bei den Verhandlungen über den MFR würden das Ambitionsniveau weiter stabilisieren.
Dem Finanzsektor fällt bei der Förderung des Übergangs zu null Nettoemissionen eine zentrale Rolle zu, da er Kapitalströme und Investitionen zu den notwendigen Lösungen lenken kann und gleichzeitig die Effizienz von Produktionsprozessen verbessert und die Finanzierungskosten senkt. Die Neuorientierung von Privatkapital auf nachhaltigere Investitionen setzt eine reibungslos funktionierende Kapitalmarktunion voraus. Insbesondere der Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen ist hilfreich, um die Finanzwelt mit der EU-Agenda für nachhaltige Entwicklung zu verknüpfen. Gleichzeitig sorgen der Vorschlag der Europäischen Kommission für ein einheitliches Klassifizierungssystem (Taxonomie) für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten, die vorgeschlagenen Vorschriften für kohlenstoffarme Richtwerte und die verbesserten Offenlegungsvorschriften für Anlageprodukte für mehr Transparenz und helfen den Anlegern, gezielt auf die richtigen Investitionen zu setzen. Transparenz trägt dazu bei, zu verhindern, dass energieintensive und/oder von fossilen Brennstoffen abhängige Vermögenswerte Gefahr laufen, vor dem Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer an Wert verlieren. Neben dem Finanzsektor als solchem können auch die Aufsichtsbehörden und Zentralbanken, selbst die Europäische Zentralbank, aktiv zu dieser Neuorientierung beitragen. Es gilt, innovative Lösungen für die Mobilisierung von Investitionen zu entwickeln, die langfristig durch geduldiges Kapital und Risikokapital unterstützt werden.
Systeme für die Umweltbesteuerung und die CO2-Bepreisung sowie die Änderung der Subventionsregelungen sollten bei der Steuerung dieser Wende eine wichtige Rolle spielen. Steuern sind eines der wirksamsten Instrumente für die Umweltpolitik. Daher sollten Steuern und die CO2-Bepreisung eingesetzt werden, um negative Umweltauswirkungen zu sanktionieren und die Steigerung der Energieeffizienz, die Minderung der Treibhausgasemissionen und die Stärkung der Kreislaufwirtschaft in den Mittelpunkt zu stellen. Wichtig ist, dass die Umweltbesteuerung sozial gerecht bleibt. Die EU und die Mitgliedstaaten müssten unbedingt ihre Vorgehensweise abstimmen, um Betriebsverlegungen und Verluste bei der Wettbewerbsfähigkeit zu verhindern. Für die Umsetzung der Strategie sind nachhaltige öffentliche Finanzen und Alternativen für die Finanzierung öffentlicher Infrastruktur erforderlich. Hierfür müssen neue Finanzierungsquellen erschlossen werden, beispielweise Gebühren, die sich aus der konsequenten Anwendung des Verursacherprinzips ergeben, und die schrittweise Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe im Einklang mit den Verpflichtungen, die die EU im Rahmen der G20 eingegangen ist. Reformen, die zu einer effizienten Ressourcenzuteilung an kohlenstoffarme Tätigkeiten mit hoher Produktivität beitragen (z. B. Erleichterung des Markteintritts für neue Unternehmen und Förderung des Wettbewerbs auf Produktmärkten), ermöglichen eine Umgestaltung, die Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum stärkt.
Forschung, Innovation und Einführung
Einige der fortschrittlichen CO2-armen Energieträger und Technologien sind derzeit nach wie vor kostspielig und stehen nur in geringem Umfang zur Verfügung. In der EU müssen in den kommenden 20 Jahren im Rahmen einer kohärenten, strategischen Forschungs-, Innovations- und Investitionsagenda massive, koordinierte Forschungs- und Innovationsanstrengungen unternommen werden, damit CO2-arme und CO2-freie Lösungen wirtschaftlich rentabel werden und neue Lösungen, die derzeit noch nicht ausgereift oder am Markt bekannt sind, zum Einsatz kommen. In diesem Zusammenhang sollte eine zukunftsweisende Forschungs- und Innovationsstrategie durch CO2-freie Lösungen geleitet werden, die möglicherweise bis zum Jahr 2050 eingeführt werden können. Der Klimaschutz steht im Mittelpunkt von Horizont Europa, dem Vorschlag der Europäischen Kommission für das neue Forschungs- und Innovationsprogramm der EU. Die Europäische Kommission schlägt vor, 35 % der Haushaltsmittel von knapp 100 Mrd. EUR im Wege der Entwicklung innovativer und kostenwirksamer CO2-freier Lösungen für Klimaschutzziele zu verwenden. Das Konzept für die Förderung von Projekten und Innovationen muss die Möglichkeit vorsehen, Mittel in hoch riskante, radikale Innovation zu investieren. Die EU führt derzeit solche neuartigen Instrumente ein. Eines dieser Instrumente ist der Europäische Innovationsrat, der sich auf radikal neue, bahnbrechende Produkte, Dienstleistungen und Verfahren konzentriert. Auch das Europäische Innovations- und Technologieinstitut wird weiterhin junge Innovatoren und Start-up-Unternehmen fördern. Darüber hinaus stellt der Innovationsfonds im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems Mittel für die Demonstration bahnbrechender Technologien in kommerziellem Maßstab bereit. Um Unternehmen bei der Innovation und Vernetzung mit Forschungseinrichtungen zu helfen, werden auch künftig im Rahmen der Kohäsionspolitik Fördermittel nach dem Ansatz der intelligenten Spezialisierung gewährt. Damit werden in den kommenden zehn Jahren Chancen für solide Forschungs-, Innovations- und Einführungstätigkeiten geboten. Die Europäische Kommission wird prüfen, wie die Vermögenswerte der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Abwicklung genutzt werden könnten, um bahnbrechende Technologien für die CO2-arme Stahlproduktion zu unterstützen.
Der Fokus der EU-Forschung sollte auf transformativen CO2-neutralen Lösungen in Bereichen liegen, wie Elektrifizierung (erneuerbare Energien, intelligente Netze und Batterien), Wasserstoff und Brennstoffzellen, Energiespeicherung, CO2-neutrale Umgestaltung von energieintensiven Industriezweigen, Kreislaufwirtschaft, Bioökonomie und nachhaltige Intensivierung von Land- und Forstwirtschaft. Mit zunehmender Verbreitung werden die Kosten zurückgehen. In Zeiten wachsender Verzerrungen des Welthandels muss eine proaktive europäische Innovations- und Modernisierungsstrategie für die Industrie jedoch aufzeigen, wie die Ersteinführung stärker unterstützt werden kann. Ein Schlüssel dafür ist die umfassende Nutzung des Binnenmarkts und die Einhaltung internationaler Verpflichtungen, beispielsweise durch die umweltgerechte Vergabe von öffentlichen Aufträgen und gezielte, befristete staatliche Beihilfen. Auf der Grundlage von Initiativen wie der Europäischen Batterie-Allianz sollte die EU starke Wertschöpfungsketten aufbauen, die durch Grundlagentechnologien wie neue Werkstoffe, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Hochleistungsrechnen und Biotechnologie unterstützt werden.
Wirtschaftliche und soziale Auswirkungen
Auch ohne die auf null Netto-Treibhausgasemissionen abzielende Umgestaltung werden die Wirtschaft und Gesellschaft der EU im Jahr 2050 deutlich anders aussehen als heute. Die demografische Entwicklung geht eindeutig zu einer erheblich alternden Gesellschaft mit möglichen Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen. Andererseits wird unsere Bevölkerung besser dafür gerüstet sein, mit Informations- und Kommunikationstechnologie zu arbeiten. Solche Trends vereinfachen den Übergang.
Die allgemeinen wirtschaftlichen Auswirkungen einer tief greifenden Umgestaltung sind trotz des hohen Bedarfs an zusätzlichen Investitionen in allen Wirtschaftssektoren positiv. Die EU-Wirtschaft wird ihre Wertschöpfung bis zum Jahr 2050 gegenüber 1990 mehr als verdoppeln, auch wenn sie vollständig dekarbonisiert sein wird. In Verbindung mit einem kohärenten Rahmen dürfte sich ein mit null Netto-Treibhausgasemissionen vereinbarer Weg positiv auf das BIP auswirken. Die zusätzliche Wertschöpfung wird mit bis zu 2 % im Jahr 2050 gegenüber dem Ausgangswert veranschlagt. Wichtig ist, dass in diesen Schätzungen der Wert der vermiedenen Schäden infolge des Klimawandels und entsprechende Anpassungskosten nicht inbegriffen sind.
Der Übergang wird Wachstum in neuen Sektoren stimulieren. Derzeit gibt es vier Millionen „grüne Arbeitsplätze“ in der EU. Weitere Investitionen in die Modernisierung der Industrie, die Energiewende, die Kreislaufwirtschaft, saubere Mobilität, grüne und blaue Infrastruktur und die Bioökonomie werden neue, lokale, hochwertige Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Durch die Maßnahmen und Strategien zur Verwirklichung der klima- und energiepolitischen Ziele der EU für 2020 wurden bereits 1 % bis 1,5 % neue Arbeitsplätze in der EU geschaffen, ein Trend, der sich fortsetzt.
Während im Bauwesen, in der Land- und Forstwirtschaft sowie in Sektoren erneuerbarer Energie Arbeitsplätze geschaffen werden, wird der Übergang für manche Sektoren schwierig sein. Besonders betroffen könnten die Regionen sein, deren Wirtschaft von Tätigkeiten abhängt, bei denen entweder eine rückläufige Entwicklung erwartet wird oder die sich künftig umstellen müssen, wie Kohlebergbau sowie Öl- und Gasförderung. Energieintensive Sektoren wie Stahl, Zement und Chemikalien sowie der Automobilbau müssen zu neuen Produktionsverfahren übergehen, für die neue Fertigkeiten gefragt sind. Die Regionen, die wirtschaftlich von diesen Sektoren abhängen, werden mit Problemen konfrontiert werden. Viele dieser Regionen liegen in Mittel- und Osteuropa und häufig in Mitgliedstaaten mit niedrigem Einkommen.
Andere, bestehende Arbeitsplätze müssen umgestaltet und an die neue Wirtschaft angepasst werden. Bei der Bewältigung dieses Umbruchs muss einer voraussichtlich schrumpfenden und alternden Erwerbsbevölkerung in der EU und der zunehmenden Ersetzung von Arbeit aufgrund technologischer Veränderungen (wie Digitalisierung und Automatisierung) Rechnung getragen werden. Ländliche Gebieten beispielsweise müssen eine hinreichend qualifizierte Erwerbsbevölkerung halten, um den wachsenden, sich verändernden Bedarf in der Land- und Forstwirtschaft decken zu können, werden aber gleichzeitig mit einer schrumpfenden Landbevölkerung konfrontiert. Für kleine und mittlere Unternehmen ist der Übergang eine Chance; gleichzeitig stellt er sie jedoch auch vor besondere Herausforderungen, wie den Zugang zu Qualifikationen und Finanzmitteln, für die Lösungen gefunden werden müssen.
Abbildung 5: Regionale Beschäftigung in der Gewinnung von fossilen Brennstoffen und in energieintensiven Industriezweigen (Ebene NUTS2)
Diese Herausforderungen können soziale und regionale Ungleichheiten in der EU vertiefen und gleichzeitig die Dekarbonisierungsanstrengungen behindern. Deswegen muss der anschließende Prozess tief greifender Modernisierung mit Bedacht gesteuert werden, um einen gerechten, sozial tragbaren Übergang für alle im Sinne von Inklusion und Solidarität zu gewährleisten. Die sozialen Folgen des Übergangs können nicht im Nachhinein korrigiert werden. Sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten müssen den sozialen Konsequenzen von Anfang an Rechnung tragen und alle sachdienlichen Maßnahmen treffen, um diese Herausforderungen soweit wie möglich abzufedern. Mithilfe von EU-Haushaltsmitteln sowie der Beschäftigungs-, Sozial- und Kohäsionspolitik lassen sich wirtschaftliche, soziale und territoriale Ungleichheiten in der Union verringern. Die auf Initiative der Juncker-Kommission ins Leben gerufenen regionalen Initiativen, wie die Plattform und die Pilotprojekte für kohle- und CO2-intensive Regionen im Wandel, sind ein Schritt in diese Richtung und sollten in Erwartung des künftigen Bedarfs verstärkt werden. Auch die Einbindung der Sozialpartner in die Ausarbeitung solcher Übergangsmaßnahmen muss gewährleistet sein.
Unterstützt wird der gerechte Übergang im Rahmen der europäischen Säule sozialer Rechte, wobei das Bestreben im Mittelpunkt steht, den Übergang durch angemessene Systeme der sozialen Absicherung zu unterstützen, zu denen auch Schul- und Berufsbildung sowie lebenslanges Lernen gehören. Die Entwicklung von Qualifikationen ist unverzichtbar. Die Menschen brauchen nicht nur spezielle berufliche Qualifikationen, sondern auch „Schlüsselkompetenzen“ aus Kenntnissen in Bereichen wie Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik. Investitionen in die Umschulung und Höherqualifizierung der Bevölkerung sind wesentlich, damit niemand auf der Strecke bleibt.
Sofern keine geeigneten Regulierungs- und Minderungsmaßnahmen getroffen werden, birgt der Übergang die Gefahr, dass Menschen mit geringem Einkommen unverhältnismäßig stark getroffen werden, sodass sich eine Form von Energiearmut herausbilden könnte. Dieses Risiko muss minimiert werden. In den meisten Mitgliedstaaten werden bedürftigen Verbrauchern regulierte Energietarife gewährt, doch können diese Tarife die Marktsignale verzerren und die Wirksamkeit der Strategien zur Steigerung der Energieeffizienz mindern oder der Einführung von Technologien wie intelligenten Messgeräten im Wege stehen. Für die Bewältigung dieser sozialen Probleme sind die Sozialpolitik oder die Wohlfahrtssysteme in der Regel besser geeignet, deren Finanzierung von Steuerverlagerungen und der Wiederverwendung von Einkünften profitieren könnte.
Die globale Rolle der EU
Ob es der EU gelingt, den weltweiten Übergang zu einem geringeren CO2-Ausstoß als Wegbereiterin zum Erfolg zu führen und den Klimawandel letztendlich in den Griff zu bekommen, hängt von der internationalen Zusammenarbeit ab. Sie ist die treibende Kraft des Übereinkommens von Paris, das den Wandel vom Handeln einiger weniger zum Handeln aller ankündigt. Die EU kann ihre langfristige Strategie nicht isoliert verfolgen. Sie muss daher weltweit dafür werben, dass Strategien aufgestellt und Maßnahmen getroffen werden, um die derzeit nicht nachhaltige Entwicklung der Emissionen umzukehren und den geordneten Übergang zu einer weltweit CO2-armen Zukunft zu bewältigen. Die EU sollte weiterhin beispielgebend vorangehen und die multilaterale, geregelte Zusammenarbeit fördern. Dies ist und bleibt das geeignetste Mittel für die EU, diese inhärent globale Herausforderung zu bewältigen, indem sie die Bedeutung der Umsetzung des Übereinkommens von Paris unterstreicht und es zum globalen Erfolg führt.
Hierfür muss sie antizipieren, dass der Übergang zu geringeren CO2-Emissionen mit geopolitischen und geoökonomischen Verschiebungen einhergehen wird, dass sich beispielsweise aus dem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen neue oder andere Abhängigkeiten ergeben, durch die sich die derzeitigen Wirtschaftsbeziehungen wandeln, und sie muss sich dafür wappnen. Dies gilt auch für die Bewältigung von Risiken für die Klimasicherheit, die selbst unter den optimistischsten Prognosen des Temperaturanstiegs um ein Vielfaches steigen werden.
Gleichzeitig muss die EU alle notwendigen Maßnahmen treffen, um ihre eigenen Chancen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu erhalten und zu verbessern, und ihre eigenen Schwächen angehen, die sich aus dem Klimawandel oder den nachteiligen einseitigen politischen Maßnahmen anderer globaler Akteure ergeben.
Im Einklang mit dem Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik wird sich die EU bei der Unterstützung der weltweiten Umstellung auf eine CO2-arme, nachhaltige Entwicklung auf ihr auswärtiges Handeln, ihre Handelspolitik und die internationale Zusammenarbeit stützen. Dies setzt voraus, dass noch mehr getan wird, um Klima- und Umweltschutz stärker in alle öffentlichen Politikbereiche einzubinden, und dass ein verlässlicher Investitionsrahmen in den Partnerländern der EU vorhanden ist.
Die EU ist zwar auf Energieimporte angewiesen, gleichzeitig jedoch ist sie der weltweit größte Exporteur von Industrieerzeugnissen und Dienstleistungen. In nachgeordneten Sektoren wie chemische Erzeugnisse, Maschinenbau und Verkehrsausrüstung ist die EU ein weltweit führender Exporteur. Gleichzeitig ist die EU auch ein wichtiger Importeur, der vollständig in globale Wertschöpfungsketten eingebunden ist.
Als größter Binnenmarkt der Welt wirkt die EU mit ihren hohen Umweltnormen für Waren weit über ihre eigenen Grenzen hinaus. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, dass die EU ihre Vorreiterposition bei der Normensetzung behauptet, sodass die europäischen Unternehmen bei der Entwicklung neuer Technologien und Geschäftsmodelle an der Spitze stehen.
Offene Märkte, eine globalisierte Welt und Multilateralismus sind Voraussetzungen dafür, dass die EU intern, aber auch global von der Energiewende profitieren kann. Mit der Energiewende erlangen neue Arten von Vermögenswerten und Ressourcen strategischen Wert, wie die kritischen Rohstoffe, die für Elektromobilität, digitale Anwendungen oder Patente benötigt werden. Möglicherweise müssen proaktive oder korrektive Maßnahmen getroffen werden, um – im Einklang mit internationalen Verpflichtungen – für vollständig wettbewerbsorientierte, gleiche Ausgangsbedingungen zu sorgen. Im gleichen Maße, wie die EU für klimafreundliche Investitionen und klimafreundlichen Handel offen bleibt, sollte sie auch ihr Recht darauf verteidigen, ihrerseits gerechten und transparent verwalteten Zugang zu den Märkten, der Infrastruktur und den kritischen Rohstoffen von Partnerländern zu haben.
Dies beginnt mit einer Intensivierung der Energie- und Klimadiplomatie der EU und mit der noch stärkeren Einbindung von Klimaschutzzielen und -belangen in politische Dialoge, einschließlich in den Bereichen Migration, Sicherheit und Entwicklungszusammenarbeit. Auf der Grundlage der Strategie „Handel für alle“ der Europäischen Kommission trägt die EU-Handelspolitik bereits zur nachhaltigen Entwicklung in der EU und in Drittländern bei. Ein fairer, regelbasierter Handel kann die weltweite Verbreitung klimafreundlicher Technologien fördern, die Energiewende erleichtern und dazu beitragen, dass die Versorgung mit den notwendigen Rohstoffen, u. a. denjenigen, die in kohlenstoffarmen Technologien eingesetzt werden, gesichert ist. Darüber hinaus sollte die EU weiterhin als Katalysator für nichtstaatliche Akteure wirken, beispielsweise über den globalen Bürgermeisterkonvent.
Die Rolle der Menschen und der lokalen Gebietskörperschaften
Bei der Umstellung auf eine Wirtschafft ohne Netto-Treibhausgasemissionen geht es nicht nur um Technologie und Arbeitsplätze. Es geht um Menschen und ihren Alltag, um die Art und Weise wie die Europäerinnen und Europäer arbeiten, sich fortbewegen und zusammenleben. Der Übergang zu einer Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen kann gelingen, wenn die Bürgerinnen und Bürger den Wandel mittragen, sich engagieren und ihn für ihr Leben und das ihrer Kinder als sinnvoll empfinden. Ein gutes Beispiel ist die lokale Eigenverantwortung für Investitionen. Die Verbraucher müssen wirksam dazu beitragen, den Wandel voranzutreiben und eine Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen in greifbare Nähe zu rücken. Gegenwärtig sind die Verbraucher zunehmend bereit, sich für nachhaltige Tätigkeiten zu engagieren. Jede persönliche Entscheidung beim Kauf eines Hauses, bei der Wahl eines Energieversorgers, eines neuen Wagens oder von Haushalts- und sonstigen Geräten beeinflusst den eigenen CO2-Fußabdruck auf Jahre hinaus. Die Entscheidungen darüber, wie man leben will, können etwas bewirken und gleichzeitig die Lebensqualität steigern. Regulierungsmaßnahmen, Initiativen zur Unternehmensverantwortung und neue Gesellschaftstrends können einander wechselseitig positiv beeinflussen und einen rapiden Wandel bewirken. Dies hat beispielsweise das erfolgreiche EU-Energiekennzeichnungssystem bewiesen, das in vielen Teilen der Welt nachgeahmt wird.
Städte sind bereits Versuchsstätten für transformative, nachhaltige Lösungen. Die Modernisierung von Städten und eine bessere Raumplanung, die auch Grünflächen umfasst, können die Haupttriebkräfte für die Renovierung von Gebäuden sein und Menschen dazu bewegen, wieder in der Nähe ihrer Arbeitsstätten zu wohnen, was die Lebensbedingungen verbessert, den Weg zur Arbeit verkürzt und den damit verbundenen Stress verringert. Der Schutz der Menschen in Europa vor den negativen Auswirkungen des Klimawandels, die Planung und Errichtung von öffentlicher Infrastruktur, die stärkeren Extremwettereignissen widersteht, ist eine unverzichtbare nachteilfreie Option. In diesem Zusammenhang sollte die EU die Rolle der Regionen und Städte verstärken und erweitern. Der Bürgermeisterkonvent der EU, in dem 200 Millionen europäische Bürgerinnen und Bürger vertreten sind, ist ein Beispiel für eine Kollaborationsplattform, bei der lokale Gebietskörperschaften voneinander lernen können. Die gemeinsame Initiative URBIS der Europäischen Kommission und der Europäischen Investitionsbank ist ein konkretes Beispiel dafür, wie die EU Städte dabei unterstützt, ihre Investitionsstrategien zu entwickeln. Die Städteagenda für die EU, die die städtische Dimension einschlägiger EU-Politiken stärkt, kann ebenfalls einen Beitrag leisten.
5. Schlussfolgerung und nächste Schritte
Die EU hat bereits damit begonnen, ihre Wirtschaft zu modernisieren und in eine klimaneutrale Wirtschaft umzuwandeln, und wird auch künftig die Maßnahmen unterstützen, die weltweit in dieser Richtung getroffen werden. Als Antwort auf den jüngsten IPCC-Bericht und als Beitrag zur Stabilisierung des Klimas in diesem Jahrhundert sollte die EU bis zum Jahr 2050 zu den ersten gehören, die null Netto-Treibhausgasemissionen erreichen und weiter die globale Führungsrolle übernehmen. Hierfür muss die EU ihre Anstrengungen intensivieren.
Der Klimawandel ist eine globale Bedrohung, und Europa allein kann ihn nicht aufhalten. Deswegen ist die Zusammenarbeit mit Partnerländern unverzichtbar, um Wege zur Senkung der Treibhausgasemissionen zu stärken, die mit dem Übereinkommen von Paris vereinbar sind.
Allerdings hat die EU ein starkes Interesse daran, auf das Erreichen einer Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts hinzuarbeiten und zu zeigen, dass null Nettoemissionen mit Wohlstand Hand in Hand gehen können, damit andere Wirtschaftsräume ihrem erfolgreichen Beispiel folgen. Die Grundlage des Übergangs sollten die Eigenverantwortung der Bürger und Verbraucher dafür, dass der Wandel möglich wird, und die angemessene Information der Öffentlichkeit bilden.
Dies bietet die enorme Chance, die Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auf strategische Weise zu kanalisieren, anstatt die kommenden Veränderungen zu erdulden und sich daran anzupassen. Nur wenn der Übergang sozial gerecht ist, ist er politisch durchsetzbar. Dies wird schwierig; noch schwieriger wäre es allerdings, nichts zu tun und mit den sich daraus ergebenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen konfrontiert zu sein. Zweck dieser strategischen Vision ist es nicht, Zielwerte vorzugeben. Sie soll vielmehr eine Vision und Orientierung vermitteln, dafür planen und Akteure, Forscher, Unternehmer und Bürger inspirieren und in die Lage versetzen, neue, innovative Industrien, Unternehmen und damit verbundene Arbeitsplätze zu entwickeln.
Indem die EU früh mit den Planungen für die Vision einer solchen Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen beginnt, ermöglicht sie den Mitgliedstaaten, Unternehmen und Bürgern Entscheidungen zu treffen und die möglichen Wege auf die Gegebenheiten, Ressourcenausstattung, Innvotationstätigkeit der Industrie und den Verbrauchergeschmack jedes Mitgliedstaats zuzuschneiden.
Abbildung 6: Verlaufskurve der THG-Emissionen bei einem Temperaturanstieg von 1,5 °C
Es gibt verschiedene Wege, um im Einklang mit unserer Vision eine klimaneutrale Wirtschaft ohne Netto-Treibhausgasemissionen zu erreichen. Jeder Weg ist mit Schwierigkeiten behaftet, könnte jedoch aus technologischer, wirtschaftlicher und sozialer Sicht machbar sein. Die Verwirklichung dieses Ziels setzt innerhalb einer Generation tief greifende gesellschaftliche und wirtschaftliche Umwälzungen voraus, die jeden Wirtschaftssektor betreffen. Nach den Grundsätzen eines wettbewerbsorientierten, inklusiven, sozial gerechten und multilateralen europäischen Konzepts sollte der Übergang zu einem klimaneutralen Europa von einer Reihe übergeordneter Prioritäten geleitet werden, die vollständig mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung im Einklang stehen:
·Beschleunigung der Energiewende, Ausbau der Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen, hohe Energieeffizienz und bessere Versorgungssicherheit mit Fokussierung auf die Verringerung des Cybersicherheitsrisikos bei gleichzeitiger Sicherstellung wettbewerbsfähiger Energiepreise – alles zusammen treibt die Modernisierung unserer Wirtschaft voran;
·Anerkennung und Stärkung der zentralen Rolle von Bürgern und Verbrauchern bei der Energiewende, Förderung und Unterstützung von klimafreundlicheren Verbraucherentscheidungen und Nutzung der positiven gesellschaftlichen Nebeneffekte in Form einer höheren Lebensqualität;
·Einführung einer CO2-freien, vernetzten und automatischen Straßenverkehrsmobilität; Förderung der Multimodalität und Übergang zu CO2-armen Verkehrsträgern wie Eisenbahn und Schiffe; Umstrukturierung von Verkehrsabgaben und -steuern, um Infrastruktur- und externe Kosten zu berücksichtigen; Minderung der Emissionen aus der Luft- und der Seeschifffahrt mit modernen Technologien und Kraftstoffen; Investitionen in moderne Mobilitätsinfrastruktur und Anerkennung der Rolle einer besseren Stadtplanung;
·Förderung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit der EU durch Forschung und Innovation, die auf eine digitalisierte Kreislaufwirtschaft ausgerichtet sind, die das Entstehen neuer Rohstoffabhängigkeiten minimiert; Beginn der großtechnischen Erprobung von bahnbrechenden Technologien; Beobachtung der Folgen für die Handelsbedingungen der EU, insbesondere im Hinblick auf energieintensive Industriezweige und Anbieter von CO2-armen Lösungen, Sicherstellung wettbewerbsfähiger Märkte, die CO2-arme Industrien anlocken, und – nach Maßgabe internationaler Verpflichtungen – Abbau von Wettbewerbsdruck, der zur Verlagerung von CO2-Emissionen und ungewünschten Betriebsverlagerungen führt;
·Förderung einer nachhaltigen Bioökonomie, Diversifizierung von Landwirtschaft, Tierhaltung, Aquakultur und Forstproduktion, weitere Produktivitätssteigerungen bei gleichzeitiger Anpassung an den Klimawandel als solchen, Erhaltung und Wiederherstellung von Ökosystemen und Sicherstellung der nachhaltigen Nutzung und Bewirtschaftung von naturbelassenem Land sowie von aquatischen und marinen Ressourcen;
·Stärkung der Infrastruktur und Verbesserung ihrer Klimaresilienz; Anpassung an die künftigen Erfordernisse von Elektrizitäts-, Gas-, Wärme- und anderen Netzen durch intelligente digitale, cybersichere Lösungen und Ermöglichung der sektoralen Integration anfangs auf lokaler Ebene und mit den wichtigsten Industrie-/Energieclustern;
·Beschleunigung von kurzfristiger Forschung, Innovation und Unternehmertum in einer breiten Palette von CO2-freien Lösungen, Stärkung der weltweiten Führungsposition der EU;
·Mobilisierung und Kanalisierung nachhaltiger Finanzmittel und Investitionen und Mobilisierung von Mitteln aus geduldigem Kapital (d. h. langfristigem Risikokapital); Investitionen in grüne Infrastruktur und Minimierung von verlorenen Vermögenswerten sowie volle Ausschöpfung des Potenzials des Binnenmarkts;
·Investitionen in das Humankapital im kommenden Jahrzehnt und danach, Vermittlung der notwendigen Qualifikationen (auch grüne und digitale Technologien) an derzeitige und künftige Generationen durch die beste Schul- und Berufsbildung mit Bildungssystemen, die rasch auf geänderte Arbeitsplatzanforderungen reagieren;
·Angleichung wichtiger Politiken zur Steigerung und Förderung von Wachstum (z. B. Wettbewerb, Arbeitsmarkt, Qualifikationen, Kohäsionspolitik, Besteuerung und andere Strukturpolitiken) an die Klima- und Energiepolitik;
·Sicherstellung eines sozial gerechten Übergangs; Koordinierung der EU-Politiken mit denen der Mitgliedstaaten, Regionen und Kommunen, um einen gut organisierten, gerechten Übergang zu ermöglichen, bei dem keine Region, keine Gemeinschaft, kein Arbeitnehmer und kein Bürger abgehängt wird;
·Fortsetzung der internationalen Anstrengungen der EU, alle Industriestaaten und Schwellenländer einzubinden, und Fortsetzung der positiven Dynamik zur Steigerung des weltweiten Ambitionsniveaus beim Klimaschutz; Weitergabe von Wissen und Erfahrung auf dem Gebiet der Aufstellung von langfristigen Strategien und der Umsetzung wirksamer Politiken, damit die Ziele des Übereinkommens von Paris gemeinsam verwirklicht werden können. Antizipation von und Vorbereitung auf geopolitische Verschiebungen, einschließlich Migrationsdruck, und Stärkung von bilateralen und multilateralen Partnerschaften, beispielsweise durch Unterstützung von Drittländern bei der Festlegung einer CO2-armen, klimaresilienten Entwicklung mithilfe von Mainstreaming und durch Investitionen.
Die Mitgliedstaaten werden der Europäischen Kommission bis Ende 2018 ihre nationalen Klima- und Energiepläne im Entwurf vorlegen, die wesentlich sind für die Verwirklichung der klima- und energiepolitischen Ziele für 2030 und die unter Berücksichtigung der langfristigen Strategie der EU zukunftsgerichtet sein sollten. Außerdem formulieren immer mehr Regionen, Kommunen und Wirtschaftsverbände ihre eigene Vision für das Jahr 2050, was die Debatte bereichert und dazu beiträgt, die Antwort der EU auf die globale Herausforderung des Klimawandels festzulegen.
Die Europäische Kommission ersucht das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Ausschuss der Regionen, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und die Europäische Investitionsbank die EU-Vision für ein klimaneutrales Europa bis 2050 zu prüfen. Um die Staats- oder Regierungschefs der EU darauf vorzubereiten, auf dem Sondergipfel am 9. Mai 2019 in Sibiu die Zukunft Europas zu gestalten, sollten alle einschlägigen Ratsformationen ausgedehnte politische Debatten darüber führen, welchen Beitrag ihr jeweiliger Politikbereich zu der Gesamtvision leisten kann.
Parallel dazu wird die Europäische Kommission im ersten Halbjahr 2019 die Debatte über die erforderliche tief greifende wirtschaftliche Umgestaltung und den umfangreichen gesellschaftlichen Wandel offen und inklusiv an alle Mitgliedstaaten richten. Die nationalen Parlamente, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, Städte und Gemeinden sowie Bürger und Bürgerinnen im Allgemeinen und die Jugend sollten an Bürgerdialogen teilnehmen und erörtern, welchen gerechten Beitrag die EU leisten kann, damit die Temperaturziele des Übereinkommens von Paris langfristig effizient verwirklicht werden, und welches die Bausteine für diesen Prozess sind.
Die EU-weite informationsbasierte Debatte sollte es der EU ermöglichen, bis Anfang des Jahres 2020 eine ehrgeizige Strategie zu verabschieden und diese gemäß dem Übereinkommen von Paris dem UNFCCC zu übermitteln.
Auf internationaler Ebene sollte die EU in den nächsten Jahren immer enger mit ihren internationalen Partnern zusammenarbeiten, damit alle Vertragsparteien des Übereinkommens von Paris im Lichte des jüngsten IPCC-Sonderberichts über einen Temperaturanstieg von 1,5 °C bis zum Jahr 2020 eine langfristige nationale Strategie bis 2050 erarbeiten und übermitteln.