EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52022XC0630(01)

Mitteilung der Kommission BEKANNTMACHUNG DER KOMMISSION Leitlinien für vertikale Beschränkungen 2022/C 248/01

C/2022/4238

ABl. C 248 vom 30.6.2022, p. 1–85 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

30.6.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 248/1


MITTEILUNG DER KOMMISSION

BEKANNTMACHUNG DER KOMMISSION

Leitlinien für vertikale Beschränkungen

(2022/C 248/01)

INHALTSVERZEICHNIS

1.

Einleitung 3

1.1.

Zweck und Aufbau dieser Leitlinien 3

1.2.

Anwendbarkeit des Artikels 101 AEUV auf vertikale Vereinbarungen 4

2.

Auswirkungen vertikaler Vereinbarungen 6

2.1.

Positive Auswirkungen 6

2.2.

Negative Auswirkungen 9

3.

Grundsätzlich nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallende vertikale Vereinbarungen 10

3.1.

Keine Beeinträchtigung des Handels, Vereinbarungen von geringer Bedeutung und kleine und mittlere Unternehmen 10

3.2.

Handelsvertreterverträge 11

3.2.1.

Handelsvertreterverträge, die nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen 11

3.2.2.

Anwendung des Artikels 101 Absatz 1 AEUV auf Handelsvertreterverträge 15

3.2.3.

Handelsvertretung und Online-Plattformwirtschaft 16

3.3.

Zuliefervereinbarungen 17

4.

Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2022/720 17

4.1.

Durch die Verordnung (EU) 2022/720 geschaffener geschützter Bereich 17

4.2.

Definition vertikaler Vereinbarungen 18

4.2.1.

Einseitiges Verhalten fällt nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2022/720 18

4.2.2.

Die Unternehmen sind auf verschiedenen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette tätig 19

4.2.3.

Die Vereinbarung bezieht sich auf den Bezug, Verkauf oder Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen 19

4.3.

Vertikale Vereinbarungen in der Online-Plattformwirtschaft 20

4.4.

Grenzen des Anwendungsbereichs der Verordnung (EU) 2022/720 21

4.4.1.

Vereinigungen von Einzelhändlern 21

4.4.2.

Vertikale Vereinbarungen mit Bestimmungen zum Schutz geistigen Eigentums 22

4.4.3.

Vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern 25

4.4.4.

Vertikale Vereinbarungen mit Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten, die eine Hybridstellung innehaben 28

4.5.

Verhältnis zu anderen Gruppenfreistellungsverordnungen 30

4.6.

Spezielle Arten von Vertriebssystemen 30

4.6.1.

Alleinvertriebssysteme 31

4.6.2.

Selektive Vertriebssysteme 35

4.6.3.

Franchising 40

5.

Marktabgrenzung und Berechnung der Marktanteile 42

5.1.

Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes 42

5.2.

Berechnung der Marktanteile nach der Verordnung (EU) 2022/720 42

5.3.

Berechnung der Marktanteile nach der Verordnung (EU) 2022/720 43

6.

Anwendung der Verordnung (EU) 2022/720 43

6.1.

Kernbeschränkungen nach der Verordnung (EU) 2022/720 43

6.1.1.

Preisbindung der zweiten Hand 45

6.1.2.

Kernbeschränkungen nach Artikel 4 Buchstaben b, c, d und e der Verordnung (EU) 2022/720 49

6.1.3.

Beschränkungen des Verkaufs von Ersatzteilen 57

6.2.

Beschränkungen, die von der Verordnung (EU) 2022/720 ausgenommen sind 57

6.2.1.

Wettbewerbsverbote, die eine Dauer von fünf Jahren überschreiten 58

6.2.2.

Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 58

6.2.3.

Wettbewerbsverbote, die den Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems auferlegt werden 59

6.2.4.

Plattformübergreifende Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen 59

7.

Entzug und Nichtanwendung 59

7.1.

Entzug des Rechtsvorteils der Verordnung (EU) 2022/720 59

7.2.

Nichtanwendung der Verordnung (EU) 2022/720 62

8.

Durchsetzung im Einzelfall 63

8.1.

Grundlagen der Prüfung 63

8.1.1.

Maßgebliche Faktoren für die Prüfung nach Artikel 101 Absatz 1 AEUV 64

8.1.2.

Maßgebliche Faktoren für die Prüfung nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV 66

8.2.

Prüfung von spezifischen vertikalen Beschränkungen 67

8.2.1.

Markenzwang 68

8.2.2.

Alleinbelieferung 72

8.2.3.

Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Online-Marktplätzen 74

8.2.4.

Beschränkungen der Nutzung von Preisvergleichsdiensten 75

8.2.5.

Paritätsverpflichtungen 77

8.2.6.

Vorauszahlungen für den Zugang 82

8.2.7.

Produktgruppenmanagement-Vereinbarungen 83

8.2.8.

Kopplungsbindung 83

1.   EINLEITUNG

1.1.   Zweck und Aufbau dieser Leitlinien

(1)

In diesen Leitlinien werden die Grundsätze für die Prüfung vertikaler Vereinbarungen und abgestimmter Verhaltensweisen im Sinne des Artikels 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (1) und der Verordnung (EU) 2022/720 der Kommission (2) dargelegt. Sofern nicht anders angegeben, schließt in diesen Leitlinien der Begriff „Vereinbarung“ auch abgestimmte Verhaltensweisen ein (3).

(2)

Diese Leitlinien der Kommission sollen Unternehmen Orientierungshilfen für die Selbstprüfung von vertikalen Vereinbarungen nach Maßgabe der EU-Wettbewerbsvorschriften an die Hand geben und die Durchsetzung des Artikels 101 AEUV erleichtern. Sie sollten jedoch nicht schematisch angewendet werden, da jede Vereinbarung unter Berücksichtigung des jeweiligen Sachverhalts bewertet werden muss (4). Diese Leitlinien berühren außerdem nicht die Rechtsprechung des Gerichts und des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden „Europäischer Gerichtshof“).

(3)

Vertikale Vereinbarungen können für Zwischen- oder Endprodukte (Waren und Dienstleistungen geschlossen werden. Sofern nicht anders angegeben, beziehen sich diese Leitlinien auf sämtliche Arten von Waren und Dienstleistungen und auf alle Handelsstufen. Des Weiteren schließt der Begriff „Endverbraucher“, sofern nichts anderes angegeben ist, Unternehmen und sonstige Endverbraucher (natürliche Personen, die zu Zwecken handeln, die nicht ihrer geschäftlichen, gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit entsprechen) ein.

(4)

Diese Leitlinien sind wie folgt gegliedert:

Dieser erste Abschnitt ist eine Einführung, in der erläutert wird, aus welchen Gründen und in welchem Umfang die Kommission Orientierungshilfen für vertikale Vereinbarungen gibt. Ferner wird dargelegt, welche Ziele mit Artikel 101 AEUV verfolgt werden, inwiefern Artikel 101 AEUV für vertikale Vereinbarungen gilt und worin die wichtigsten Schritte einer Prüfung vertikaler Vereinbarungen nach Artikel 101 AEUV bestehen.

Der zweite Abschnitt gibt einen Überblick über die positiven und negativen Auswirkungen vertikaler Vereinbarungen. Die Verordnung (EU) 2022/720, diese Leitlinien und die von der Kommission verfolgte Vorgehensweise zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Einzelfall beruhen auf der Abwägung dieser Auswirkungen.

Der dritte Abschnitt behandelt vertikale Vereinbarungen, die grundsätzlich nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen. Auch wenn die Verordnung (EU) 2022/720 auf die betreffenden Vereinbarungen keine Anwendung findet, ist es erforderlich, Orientierungshilfen zu den Bedingungen bereitzustellen, unter denen vertikale Vereinbarungen möglicherweise nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen.

Der vierte Abschnitt enthält weitere Hinweise zum Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2022/720, einschließlich Erläuterungen zu dem durch die Verordnung geschaffenen geschützten Bereich („Safe Harbour“) und zur Definition vertikaler Vereinbarungen. Dieser Abschnitt gibt auch Orientierungshilfen zu vertikalen Vereinbarungen in der Online-Plattformwirtschaft, die beim Vertrieb von Waren und Dienstleistungen eine immer wichtigere Rolle spielt. Des Weiteren enthält dieser Abschnitt Erläuterungen zu den Grenzen des Anwendungsbereichs der Verordnung (EU) 2022/720 gemäß Artikel 2 Absätze 2, 3 und 4 der Verordnung. Hierzu zählen auch die spezifischen Beschränkungen, die nach Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung für den Informationsaustausch zwischen einem Anbieter und einem Abnehmer bei einem zweigleisigen Vertrieb gelten; ebenfalls erläutert werden die Beschränkungen, die nach Artikel 2 Absatz 6 der Verordnung für Vereinbarungen in Bezug auf die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten gelten, bei denen der Anbieter der Online-Vermittlungsdienste eine Hybridstellung innehat. Im vierten Abschnitt wird auch erläutert, wie die Verordnung (EU) 2022/720 in Fällen anzuwenden ist, in denen eine vertikale Vereinbarung in den Anwendungsbereich einer anderen Gruppenfreistellungsverordnung fällt, wie in Artikel 2 Absatz 7 der Verordnung geregelt. Und schließlich enthält dieser Abschnitt eine Beschreibung bestimmter häufiger Arten von Vertriebssystemen, die Gegenstand der in Artikel 4 vorgesehenen besonderen Bestimmungen in Bezug auf Kernbeschränkungen sind.

Im fünften Abschnitt werden unter Bezugnahme auf die Bekanntmachung über die Marktdefinition (5) die Abgrenzung der relevanten Märkte und die Berechnung der Marktanteile behandelt. Dies ist von Bedeutung, weil vertikale Vereinbarungen nur dann unter die in der Verordnung (EU) 2022/720 vorgesehene Gruppenfreistellung fallen können, wenn die an der betreffenden Vereinbarung beteiligten Unternehmen die in Artikel 3 der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegten Marktanteilsschwellen nicht überschreiten.

Der sechste Abschnitt behandelt die in Artikel 4 Verordnung (EU) 2022/720 genannten Kernbeschränkungen sowie die nicht freigestellten Beschränkungen nach Artikel 5 der Verordnung und erklärt, weshalb die Einordnung als Kernbeschränkung oder nicht freigestellte Beschränkung von Bedeutung ist.

Der siebte Abschnitt enthält Orientierungshilfen über die Befugnisse der Kommission und der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten zum Entzug des Rechtsvorteils der Verordnung (EU) 2022/720 in Einzelfällen nach Artikel 29 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates (6) und Artikel 6 der Verordnung (EU) 2022/720; ferner enthält der Abschnitt Orientierungshilfen zur Befugnis der Kommission Verordnungen anzunehmen, in denen die Verordnung (EU) 2022/720 nach Artikel 7 der Verordnung (EU) 2022/720 für nicht anwendbar erklärt wird.

Im achten Abschnitt wird die Vorgehensweise der Kommission bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Einzelfall beschrieben. Zu diesem Zweck werden Erläuterungen gegeben, wie vertikale Vereinbarungen, die nicht von der Verordnung (EU) 2022/720 erfasst werden, nach Artikel 101 Absätze 1 und 3 AEUV geprüft werden; außerdem werden Orientierungshilfen zu verschiedenen häufigen Arten vertikaler Beschränkungen gegeben.

1.2.   Anwendbarkeit des Artikels 101 AEUV auf vertikale Vereinbarungen

(5)

Artikel 101 AEUV soll sicherstellen, dass Unternehmen keine Vereinbarungen, ob horizontale oder vertikale (7), zur Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs auf dem Markt und damit letztlich zum Nachteil der Verbraucher einsetzen (8). Artikel 101 AEUV verfolgt auch das weitergehende Ziel der Schaffung eines integrierten Binnenmarktes, der den Wettbewerb in der Union stärkt. Unternehmen dürfen vertikale Vereinbarungen nicht dazu verwenden, neue Schranken zwischen Mitgliedstaaten zu errichten, wo staatliche Barrieren erfolgreich abgebaut worden sind.

(6)

Artikel 101 AEUV findet Anwendung auf vertikale Vereinbarungen und Beschränkungen in vertikalen Vereinbarungen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und den Wettbewerb verhindern, einschränken oder verfälschen (9). Die Vorschrift schafft einen Rechtsrahmen für die Beurteilung vertikaler Beschränkungen (10), der die Unterscheidung zwischen wettbewerbswidrigen und wettbewerbsfördernden Auswirkungen berücksichtigt. In Artikel 101 Absatz 1 AEUV werden Vereinbarungen, die den Wettbewerb spürbar einschränken oder verfälschen, verboten. Dieses Verbot gilt jedoch nicht für Vereinbarungen, die die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen, insbesondere wenn die Vereinbarung, wie in den Leitlinien zur Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 (11) dargelegt, genügend Vorteile bietet, um ihre wettbewerbswidrigen Auswirkungen auszugleichen.

(7)

Bei der Prüfung von vertikalen Vereinbarungen muss keine Reihenfolge zwingend eingehalten werden, die Prüfung umfasst jedoch grundsätzlich die folgenden Schritte:

Zunächst müssen die beteiligten Unternehmen die Marktanteile des Anbieters und des Abnehmers auf dem relevanten Markt ermitteln, auf dem sie die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkaufen bzw. beziehen.

Liegt weder der Marktanteil des Anbieters noch der des Abnehmers über der in Artikel 3 der Verordnung (EU) 2022/720 aufgeführten Marktanteilsschwelle von 30 %, so fällt die betreffende vertikale Vereinbarung in den durch diese Verordnung geschaffenen Safe Harbour, sofern sie weder Kernbeschränkungen im Sinne des Artikels 4 der Verordnung noch nicht freigestellte Beschränkungen im Sinne des Artikels 5 der Verordnung enthält, die sich nicht vom übrigen Teil der Vereinbarung abtrennen lassen.

Übersteigt der Anteil des Anbieters oder des Abnehmers am relevanten Markt die 30 %-Schwelle oder enthält die Vereinbarung eine oder mehrere Kernbeschränkungen bzw. nicht freigestellte Beschränkungen, die sich nicht abtrennen lassen, so ist zu prüfen, ob die vertikale Vereinbarung unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt.

Fällt die vertikale Vereinbarung unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV, so muss untersucht werden, ob sie die Voraussetzungen für eine Freistellung nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV erfüllt.

(8)

Nachhaltige Entwicklung ist ein Grundprinzip des Vertrags über die Europäische Union und bildet ebenso wie die Digitalisierung und der resiliente Binnenmarkt (12) ein vorrangiges Ziel der Politik der Union (13). Unter den Begriff der Nachhaltigkeit fällt unter anderem die Bekämpfung des Klimawandels (beispielsweise durch die Verringerung der Treibhausgasemissionen), die Begrenzung der Nutzung natürlicher Ressourcen, die Senkung des Abfallaufkommens und die Gewährleistung des Tierwohls (14). Die Ziele der Union auf den Gebieten der Nachhaltigkeit, Resilienz und Digitalisierung werden durch effiziente Liefer- und Vertriebsvereinbarungen zwischen Unternehmen vorangebracht. Vertikale Vereinbarungen, die Nachhaltigkeitsziele verfolgen oder einen Beitrag zu einem digitalen und resilienten Binnenmarkt leisten, stellen nach dem Wettbewerbsrecht der Union keine eigene Kategorie vertikaler Vereinbarungen dar. Vereinbarungen dieser Art müssen daher unter Berücksichtigung des spezifischen Nachhaltigkeitsziels, das sie verfolgen, nach den in diesen Leitlinien dargelegten Grundsätzen geprüft werden. Dementsprechend gilt die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 vorgesehene Freistellung für vertikale Vereinbarungen, mit denen Ziele der Nachhaltigkeit, Resilienz und Digitalisierung verfolgt werden, sofern sie die Voraussetzungen der Verordnung erfüllen. Zur Veranschaulichung der Bewertung vertikaler Vereinbarungen, mit denen Nachhaltigkeitsziele verfolgt werden, umfassen diese Leitlinien Beispiele (15).

(9)

In Fällen, in denen vertikale Vereinbarungen den Wettbewerb im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV beschränken und in denen die Verordnung (EU) 2022/720 nicht gilt, können die betreffenden Vereinbarungen trotzdem die Voraussetzungen für eine Freistellung nach Artikel 101 Absatz 3 erfüllen (16). Dies trifft auch für vertikale Vereinbarungen zu, die Nachhaltigkeitsziele verfolgen oder einen Beitrag zu einem digitalen, resilienten Binnenmarkt leisten. Während Abschnitt 8 unter anderem Orientierungshilfen bezüglich der Einzelfallprüfung solcher vertikalen Vereinbarungen enthält, können auch andere Leitlinien der Kommission maßgeblich sein. Hierzu zählen die Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 Absatz 3, die Horizontalleitlinien (17) sowie Orientierungshilfen, die in künftigen Fassungen der genannten Leitlinien gegeben werden. Insbesondere können diese Leitlinien Hinweise zu den Umständen geben, unter denen Nachhaltigkeits-, Digitalisierungs- oder Resilienzvorteile als qualitative oder quantitative Effizienzgewinne im Sinne des Artikels 101 Absatz 3 AEUV berücksichtigt werden können.

2.   AUSWIRKUNGEN VERTIKALER VEREINBARUNGEN

(10)

Bei der Beurteilung vertikaler Vereinbarungen nach Artikel 101 AEUV und der Anwendung der Verordnung (EU) 2022/720 sind alle relevanten Wettbewerbsparameter wie Preise, Produktion im Hinblick auf Produktmengen, Produktqualität und -bandbreite und Innovation zu berücksichtigen. Außerdem ist in die Beurteilung einzubeziehen, dass vertikale Vereinbarungen zwischen auf unterschiedlichen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette tätigen Unternehmen in der Regel weniger schädlich sind als horizontale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, die substituierbare Waren oder Dienstleistungen anbieten (18). In erster Linie ist dies darin begründet, dass die durchgeführten Tätigkeiten der an einer vertikalen Vereinbarung beteiligten Unternehmen zu einander komplementär sind, was in der Regel mit sich bringt, dass wettbewerbsfördernde Maßnahmen eines der beteiligten Unternehmen dem anderen an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen, und damit letztlich den Verbrauchern, zugutekommen. Im Unterschied zu horizontalen Vereinbarungen haben die an einer vertikalen Vereinbarung beteiligten Unternehmen tendenziell einen Anreiz, niedrigere Preise und ein höheres Dienstleistungsniveau zu vereinbaren, was auch den Verbrauchern zugutekommt. Ebenso besteht für ein an einer vertikalen Vereinbarung beteiligtes Unternehmen gewöhnlich ein Anreiz, sich Maßnahmen des anderen beteiligten Unternehmens zu widersetzen, die Verbraucher benachteiligen, da solche Maßnahmen in der Regel auch die Nachfrage nach den von dem ersten beteiligten Unternehmen gelieferten Waren oder erbachten Dienstleistungen senken. Dass die Tätigkeiten der an einer vertikalen Vereinbarung beteiligten Unternehmen bei der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen zu einander komplementär sind, bedeutet darüber hinaus auch, dass vertikale Beschränkungen größere Effizienzgewinne ermöglichen, zum Beispiel durch die Optimierung der Herstellungs- und Vertriebsprozesse und Dienstleistungen. Beispiele für solche positiven Auswirkungen werden in Abschnitt 2.1 beschrieben.

(11)

Nichtsdestotrotz könnten Unternehmen mit Marktmacht in bestimmten Fällen vertikale Beschränkungen einsetzen, um wettbewerbswidrige Zwecke zu verfolgen, die letztlich den Verbrauchern schaden. Wie in Abschnitt 2.2 noch näher erläutert wird, können vertikale Beschränkungen insbesondere zu Abschottung, Abschwächung des Wettbewerbs oder Kollusion führen. Marktmacht ist die Fähigkeit, über einen nicht unbeträchtlichen Zeitraum die Preise oberhalb des Wettbewerbsniveaus bzw. die Produktion im Hinblick auf Produktmengen, -qualität und -bandbreite oder Innovation unterhalb des Wettbewerbsniveaus zu halten (19). Für die Feststellung einer Zuwiderhandlung im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV muss ein geringeres Maß an Marktmacht vorliegen als für die Feststellung der Marktbeherrschung nach Artikel 102 AEUV.

2.1.   Positive Auswirkungen

(12)

Vertikale Vereinbarungen können positive Auswirkungen wie niedrigere Preise, die Förderung eines nicht über den Preis ausgetragenen Wettbewerbs oder die Verbesserung der Qualität der Dienstleistungen hervorbringen. Einfache vertragliche Vereinbarungen zwischen einem Anbieter und einem Abnehmer, bei denen lediglich der Preis und die Menge für ein bestimmtes Geschäft vereinbart werden, können oft zu einem suboptimalen Investitions- und Absatzniveau führen, da die Externalitäten, die sich aus den sich gegenseitig ergänzenden Tätigkeiten des Anbieters und seiner Händler ergeben, nicht berücksichtigt werden. Diese Externalitäten lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: vertikale Externalitäten und horizontale Externalitäten.

(13)

Vertikale Externalitäten ergeben sich daraus, dass die auf unterschiedlichen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette getroffenen Entscheidungen und ergriffenen Maßnahmen bestimmte Aspekte des Verkaufs von Waren oder Dienstleistungen wie beispielsweise Preis, Qualität, verbundene Dienstleistungen und Vermarktung festlegen, die sich nicht nur auf das die Entscheidung treffende Unternehmen auswirken, sondern auch auf andere Unternehmen auf anderen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette. Beispielsweise kann es sein, dass ein Händler nicht alle Vorteile aus seinen Anstrengungen zur Absatzsteigerung für sich gewinnt, da einige dieser Vorteile dem Anbieter zugutekommen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass bei jeder Einheit, die ein Händler durch Senkung seines Weiterverkaufspreises oder durch verstärkte Verkaufsanstrengungen zusätzlich verkauft, auch der Anbieter profitiert, wenn sein Großhandelspreis über seinen Produktionsgrenzkosten liegt. Dies stellt eine positive Externalität dar, die dem Anbieter durch die absatzfördernden Maßnahmen des Händlers zugutekommt. Umgekehrt kann es Situationen geben, in denen der Händler aus der Sicht des Anbieters zu hohe Preise verlangt (20) oder unzureichende Verkaufsanstrengungen unternimmt oder in denen beides zutrifft.

(14)

Horizontale Externalitäten können sich insbesondere zwischen Händlern derselben Waren oder Dienstleistungen ergeben, wenn es einem Händler nicht gelingt, den vollen Gewinn aus seinen Verkaufsanstrengungen zu ziehen. Wenn beispielsweise nachfragefördernde Kundenbetreuungsleistungen vor dem Verkauf, wie individuelle Beratung zu bestimmten Waren oder Dienstleistungen, von einem Händler erbracht werden, kann dies zu Absatzsteigerungen konkurrierender Händler führen, die dieselben Waren oder Dienstleistungen anbieten, und somit unter Händlern Anreize zum „Trittbrettfahren“ schaffen, bei dem Händler von den kostspieligen Leistungen anderer profitieren. In einem Vertriebsumfeld, in dem alle Kanäle (online und offline) genutzt werden, kann Trittbrettfahren in beide Richtungen vorkommen (21). Zum Beispiel können Kunden einen physischen Verkaufspunkt besuchen, um Waren oder Dienstleistungen zu testen oder weitere für ihre Verkaufsentscheidung nützliche Informationen zu erhalten, aber das Produkt dann online bei einem anderen Händler bestellen. Umgekehrt können Kunden in der Phase vor dem Kauf Informationen bei einem Online-Shop einholen und dann einen physischen Verkaufspunkt besuchen, die online eingeholten Informationen nutzen, um bestimmte Waren oder Dienstleistungen auszuwählen und zu testen, und sie letztendlich offline bei einem physischen Verkaufspunkt kaufen. Wenn solches Trittbrettfahren möglich ist und der Händler, der Kundenbetreuungsleistungen vor dem Verkauf erbringt, nicht in der Lage ist, den vollen Gewinn daraus zu ziehen, kann dies dazu führen, dass diese dem Verkauf vorausgehenden Leistungen nicht in optimaler Quantität oder Qualität erbracht werden.

(15)

Sind solche Externalitäten gegeben, haben Anbieter einen Anreiz, bestimmte Aspekte der Tätigkeiten ihrer Händler zu kontrollieren, und umgekehrt. Insbesondere können vertikale Vereinbarungen dazu genutzt werden, solche Externalitäten zu internalisieren, den gemeinsamen Gewinn der vertikalen Liefer- und Vertriebskette zu steigern sowie unter bestimmten Umständen das Verbraucherwohl zu erhöhen.

(16)

Mit diesen Leitlinien wird zwar angestrebt, einen umfassenden Überblick zu darüber geben, wann vertikale Beschränkungen begründbar sind, es wird jedoch kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Zu den Gründen, die den Rückgriff auf bestimmte vertikale Beschränkungen rechtfertigen können, zählen unter anderem:

a)

Angehen des Problems der „vertikalen Externalitäten“. Dass ein Händler einen zu hohen Preis festlegt, ohne die Auswirkung seiner Entscheidungen auf den Anbieter zu berücksichtigen, kann vermieden werden, indem der Anbieter dem Händler eine Obergrenze für den Höchstweiterverkaufspreis vorgibt. Ebenso kann der Anbieter zur Steigerung der Verkaufsanstrengungen des Händlers auf den selektiven Vertrieb oder den Alleinvertrieb zurückgreifen.

b)

Angehen des „Trittbrettfahrer-Problems“. Zu Trittbrettfahren unter Abnehmern kann es auf Großhandels- und auf Einzelhandelsstufe kommen, insbesondere, wenn es dem Anbieter nicht möglich ist, allen Abnehmern tatsächliche Verpflichtungen in Bezug auf verkaufsfördernde Maßnahmen oder Service-Anforderungen aufzuerlegen. Trittbrettfahren unter Abnehmern ist lediglich bei der Kundenberatung vor dem Verkauf und bei verkaufsfördernden Maßnahmen möglich, nicht jedoch beim Kundendienst nach dem Verkauf, den der Händler seinen Kunden einzeln in Rechnung stellen kann. Kundenberatungsleistungen vor dem Verkauf, bei denen Trittbrettfahren vorkommen kann, können zum Beispiel wichtig sein, wenn die Waren oder Dienstleistungen relativ neu, technisch komplex oder hochwertig sind oder wenn der Ruf der Waren oder Dienstleistungen ein wichtiger Faktor für die Nachfrage ist (22). Beschränkungen in Alleinvertriebssystemen oder selektiven Vertriebssystemen bieten sich ebenso wie andere Beschränkungen an, um ein solches Trittbrettfahren zu vermeiden oder zu verringern. Trittbrettfahrer gibt es auch unter Anbietern, wenn z. B. ein Hersteller in Verkaufsförderungsmaßnahmen in den Räumlichkeiten des Abnehmers investiert, die auch Kunden für die Wettbewerber des betreffenden Herstellers anziehen. In diesem Fall können Beschränkungen in Form eines Wettbewerbsverbots einen Betrag zur Lösung des Problems des Trittbrettfahrens unter Anbietern leisten (23).

c)

Erschließen neuer Märkte bzw. Einstieg in neue Märkte. Will ein Anbieter in einen neuen räumlich relevanten Markt eintreten, also z. B. seine Produkte in ein anderes Land ausführen, so muss der Händler unter Umständen besondere irreversible Investitionen tätigen, um die betreffende Marke auf dem Markt zu etablieren. Um einen Händler vor Ort von diesen Investitionen zu überzeugen, muss ihm gegebenenfalls ein Gebietsschutz gewährt werden, damit der Händler seine Investitionen wieder hereinholen kann. In diesem Fall kann es gerechtfertigt sein, Händler auf anderen räumlich relevanten Märkten am Absatz auf dem neuen Markt zu hindern (siehe auch die Randnummern (118), (136) und (137)). Hierbei handelt es sich um einen Sonderfall des unter Buchstabe b beschriebenen Trittbrettfahrer-Problems.

d)

Angehen des Problems der „Gütesiegel-Trittbrettfahrer“. In einigen Branchen haben bestimmte Händler den Ruf, nur Qualitätswaren zu führen bzw. nur Qualitätsdienstleistungen anzubieten (sogenannte „Premiumhändler“). In diesem Fall kann der Absatz über solche Händler für die erfolgreiche Einführung eines neuen Produkts von entscheidender Bedeutung sein. Kann der Anbieter nicht sicherstellen, dass sich der Vertrieb seiner Produkte auf solche Premiumhändler beschränkt, läuft er Gefahr, dass diese Händler ihn nicht listen. Unter diesen Umständen kann der Einsatz von Alleinvertriebs- oder selektiven Vertriebsregelungen gerechtfertigt sein.

e)

Angehen des „Hold-up“-Problems. Möglicherweise muss der Anbieter oder der Abnehmer vertragsspezifische Investitionen (beispielsweise für eine spezielle Ausrüstung oder Schulung) tätigen, die irreversible Investitionen sind und die außerhalb der betreffenden vertikalen Beziehung keinen oder nur einen geringen Wert haben. Es kann beispielsweise sein, dass ein Hersteller von Bauteilen bestimmte Maschinen bauen muss, um die Anforderungen eines seiner Kunden erfüllen zu können, die Maschinen aber nicht für andere Kunden genutzt und vielleicht auch nicht weiterverkauft werden können. Ohne eine Vereinbarung wird sich die investierende Partei, sobald sie die vertragsspezifische Investition vorgenommen hat, in einer schwachen Verhandlungsposition befinden, denn sie riskiert, dass man sie während der Verhandlungen mit ihrem Handelspartner „in der Luft hängen lässt“ und sie Opfer eines „Hold-up“ wird. Die Gefahr einer solchen opportunistischen Vorgehensweise kann zu suboptimalen Investitionen seitens der investierenden Partei führen. Vertikale Vereinbarungen können den Spielraum für „Hold-ups“ beseitigen (insbesondere dann, wenn die Investitionen in vollem Umfang vertraglich vereinbart werden können und alle künftigen Eventualitäten vorhersehbar sind) oder ihn einengen. Beispielsweise können Wettbewerbsverbote, Mengenvorgaben oder Alleinbezugsverpflichtungen das „Hold-up“-Problem verringern, wenn die vertragsspezifische Investition vom Anbieter vorgenommen wird, während Alleinvertrieb, Kundenbeschränkungen oder Alleinbelieferungsvereinbarungen zu einer Minderung des „Hold-up“-Problems beitragen können, wenn der Abnehmer die Investition tätigt.

f)

Angehen des „Hold-Up“-Problems bei der Übertragung von wesentlichem Know-how. Es kann sein, dass das beteiligte Unternehmen, das das Know-how überträgt, nicht möchte, dass das Know-how, beispielsweise im Franchising, von seinen Wettbewerbern genutzt wird oder diesen zugutekommt. Die Übertragung von Know-how, das dem Abnehmer nicht frei zugänglich war und das für die Durchführung der betreffenden Vereinbarung wesentlich und unerlässlich ist, kann eine Beschränkung in Form eines Wettbewerbsverbots rechtfertigen, die in der Regel in solchen Fällen nicht unter das Verbot des Artikels 101 Absatz 1 AEUV fallen würde.

g)

Erzielen von Größenvorteilen beim Vertrieb. Ein Hersteller, der Größenvorteile erzielen und auf diese Weise den Einzelhandelspreis für seine Waren oder Dienstleistungen senken möchte, wird möglicherweise versuchen, den Weiterverkauf seiner Waren oder Dienstleistungen auf eine begrenzte Anzahl von Händlern zu beschränken. Dies könnte er über Vertragsklauseln erreichen, die einen Alleinvertrieb, Mengenvorgaben in Form von Mindestbezugsmengen, einen selektiven Vertrieb mit der Vorgabe von Mindestbezugsmengen oder einen Alleinbezug vorsehen.

h)

Sicherstellen von Einheitlichkeit und Qualität. Vertikale Beschränkungen können auch zur Schaffung oder Förderung eines Markenimages beitragen, indem den Händlern bestimmte Standards zur Sicherung der Produkteinheitlichkeit und -qualität auferlegt werden. Dadurch kann der Ruf der Marke geschützt, die Attraktivität der betreffenden Waren oder Dienstleistungen für Endverbraucher erhöht und der Absatz gesteigert werden. Eine solche Standardisierung kann beispielsweise durch selektiven Vertrieb oder Franchising erreicht werden.

i)

Beheben von Unzulänglichkeiten der Kapitalmärkte. Die Bereitstellung von Kapital durch Anbieter wie Banken oder Aktienmärkte kann unzulänglich sein, wenn deren Kenntnisse über die Bonität des Darlehensnehmers oder die Grundlagen zur Sicherung des Darlehens unzureichend sind. Der Abnehmer oder der Anbieter verfügt gegebenenfalls über bessere Informationen und – dank einer Geschäftsbeziehung mit Ausschließlichkeitsbindung – über zusätzliche Sicherheiten für seine Investitionen. Gewährt der Anbieter dem Abnehmer ein Darlehen, so kann es sein, dass er ihm auch ein Wettbewerbsverbot oder eine Mengenvorgabe auferlegt. Wenn umgekehrt der Abnehmer dem Anbieter ein Darlehen gewährt, kann er dies mit einer Alleinbelieferungsverpflichtung oder Mengenvorgabe verbinden.

(17)

Die verschiedenen vertikalen Beschränkungen sind in hohem Maß austauschbar, was bedeutet, dass ein und dasselbe Effizienzproblem durch unterschiedliche vertikale Beschränkungen behoben werden kann. So lassen sich z. B. Größenvorteile im Vertrieb erreichen, indem man auf den Alleinvertrieb, den selektiven Vertrieb, Mengenvorgaben oder den Alleinbezug zurückgreift. Die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb können jedoch je nach gewählter vertikaler Beschränkung unterschiedlich sein. Dies wird der Beurteilung der Unerlässlichkeit im Sinne des Artikels 101 Absatz 3 AEUV berücksichtigt.

2.2.   Negative Auswirkungen

(18)

Durch das Wettbewerbsrecht der Union sollen insbesondere die folgenden negativen Auswirkungen vertikaler Beschränkungen auf den Markt verhindert werden:

a)

wettbewerbswidriger Ausschluss anderer Anbieter oder anderer Abnehmer vom Markt durch Errichtung von Schranken für Marktzutritt oder Expansion,

b)

Abschwächung des Wettbewerbs zwischen dem Anbieter und seinen Wettbewerbern und/oder Erleichterung der ausdrücklichen oder stillschweigenden Kollusion zwischen konkurrierenden Anbietern, häufig auch als Verringerung des Markenwettbewerbs bezeichnet,

c)

Abschwächung des Wettbewerbs zwischen dem Abnehmer und seinen Wettbewerbern oder Erleichterung der ausdrücklichen oder stillschweigenden Kollusion zwischen konkurrierenden Abnehmern, häufig auch als Verringerung des markeninternen Wettbewerbs, d. h. des Wettbewerbs zwischen Händlern von Waren oder Dienstleistungen desselben Anbieters, bezeichnet (24),

d)

Behinderung der Marktintegration, insbesondere Einschränkung der Möglichkeiten für die Verbraucher, Waren oder Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat ihrer Wahl zu beziehen.

(19)

Marktabschottung, Abschwächung des Wettbewerbs und Kollusion auf Anbieterebene können den Verbrauchern insbesondere dadurch schaden,

a)

dass die den Abnehmern von Waren oder Dienstleistungen in Rechnung gestellten Preise steigen, was wiederum zu höheren Einzelhandelspreisen führen kann,

b)

dass die Auswahl an Waren oder Dienstleistungen geringer wird,

c)

dass die Qualität der Waren oder Dienstleistungen sinkt,

d)

dass Innovationen und Dienstleistungen auf Anbieterebene zurückgehen.

(20)

Marktabschottung, Abschwächung des Wettbewerbs und Kollusion auf Händlerebene können den Verbrauchern insbesondere dadurch schaden,

a)

dass die Einzelhandelspreise von Waren oder Dienstleistungen steigen,

b)

dass die Auswahl an Preis-Dienstleistungskombinationen und Vertriebsformen geringer wird,

c)

dass die Verfügbarkeit und Qualität der Einzelhandelsdienstleistungen sinkt,

d)

dass die Innovation auf der Vertriebsebene zurückgeht.

(21)

Wenn ein starker Markenwettbewerb (d. h. Wettbewerb zwischen Händlern von Waren oder Dienstleistungen unterschiedlicher Anbieter) herrscht, wird eine Abnahme des markeninternen Wettbewerbs (d. h. des Wettbewerbs zwischen Händlern von Waren oder Dienstleistungen desselben Anbieters) wahrscheinlich keine negativen Auswirkungen auf die Verbraucher haben (25). Insbesondere auf Märkten, auf denen einzelne Einzelhändler nur die Marke(n) eines Anbieters vertreiben, führt eine Abnahme des Wettbewerbs zwischen den Händlern derselben Marke zu einer Abnahme des markeninternen Wettbewerbs zwischen diesen Händlern, hat aber möglicherweise keine negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen den Händlern im Allgemeinen.

(22)

Die möglichen negativen Auswirkungen vertikaler Beschränkungen werden noch verstärkt, wenn mehrere Anbieter und deren Abnehmer ihre Geschäfte in ähnlicher Weise organisieren, was zu sogenannten kumulativen Auswirkungen führt (26).

3.   GRUNDSÄTZLICH NICHT UNTER ARTIKEL 101 ABSATZ 1 AEUV FALLENDE VERTIKALE VEREINBARUNGEN

3.1.   Keine Beeinträchtigung des Handels, Vereinbarungen von geringer Bedeutung und kleine und mittlere Unternehmen

(23)

Bevor auf den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2022/720, ihre Anwendung und generell die Beurteilung vertikaler Vereinbarungen nach Artikel 101 Absätze 1 und 3 AEUV eingegangen wird, sei daran erinnert, dass die Verordnung (EU) 2022/720 nur für Vereinbarungen gilt, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen.

(24)

Vereinbarungen, die nicht geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen (keine Auswirkung auf den Handel) oder die den Wettbewerb nicht spürbar einzuschränken (Vereinbarungen von geringer Bedeutung), fallen nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV (27). Die Kommission hat in den Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des Handels (28) Orientierungshilfen zu den Auswirkungen auf den Handel gegeben und in der De-minimis-Bekanntmachung (29) gibt sie Hinweise zu Vereinbarungen von geringer Bedeutung. Die vorliegenden Leitlinien lassen die Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des Handels und die De-minimis-Bekanntmachung sowie künftige diesbezügliche Leitlinien der Kommission unberührt.

(25)

In den Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des Handels sind die Grundsätze dargelegt, die von den Gerichten der Union in Bezug auf die Auslegung des Begriffs der Beeinträchtigung des Handels entwickelt wurden, und es wird darauf verwiesen, wann Vereinbarungen nicht geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen. Sie beinhalten eine widerlegbare Negativvermutung, die für alle Vereinbarungen im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV, unabhängig von der Art der darin enthaltenen Beschränkungen, gilt und somit auch auf Vereinbarungen, die Kernbeschränkungen enthalten, anzuwenden ist (30). Gemäß dieser Vermutung sind vertikale Vereinbarungen grundsätzlich nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen, wenn

a)

der gemeinsame Marktanteil der beteiligten Unternehmen auf keinem von der Vereinbarung betroffenen relevanten Markt in der Union 5 % überschreitet, und

b)

der gesamte Jahresumsatz des Anbieters mit den von der Vereinbarung erfassten Waren in der Union den Betrag von 40 Mio. EUR nicht überschreitet oder wenn im Fall von Vereinbarungen, die zwischen einem Abnehmer und mehreren Anbietern geschlossen wurden, die zusammengefassten Käufe der von den Vereinbarungen erfassten Waren durch den Abnehmer den Betrag von 40 Mio. EUR nicht überschreiten (31). Die Kommission kann die Vermutung widerlegen, falls eine Prüfung der Merkmale der Vereinbarung und des wirtschaftlichen Zusammenhangs das Gegenteil beweist.

(26)

Wie in der De-minimis-Bekanntmachung dargelegt, werden von Nichtwettbewerbern eingegangene vertikale Vereinbarungen im Allgemeinen als nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallend eingestuft, wenn der von jedem der beteiligten Unternehmen gehaltene Marktanteil auf keinem der von der Vereinbarung betroffenen relevanten Märkte 15 % überschreitet (32). Zu dieser allgemeinen Regel gibt es zwei Ausnahmen. Erstens ist Artikel 101 Absatz 1 AEUV auch dann auf bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen anwendbar, wenn der von jedem der beteiligten Unternehmen gehaltene Marktanteil 15 % nicht überschreitet (33). Dies ist darin begründet, dass eine Vereinbarung, die geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, und die einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, ihrer Natur nach und unabhängig von konkreten Auswirkungen eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung darstellen kann (34). Zweitens wird die Marktanteilsschwelle von 15 % auf 5 % herabgesetzt, wenn der Wettbewerb auf einem relevanten Markt durch die kumulative Wirkung von nebeneinander bestehenden Netzen von Vereinbarungen beschränkt wird. Die Randnummern (257) bis (261) behandeln die kumulativen Auswirkungen im Zusammenhang mit dem Entzug des Rechtsvorteils der Verordnung (EU) 2022/720. In der De-minimis-Bekanntmachung wird klargestellt, dass bei einzelnen Anbietern oder Händlern mit einem Marktanteil, der 5 % nicht überschreitet, in der Regel nicht davon auszugehen ist, dass sie wesentlich zu dem kumulativen Abschottungseffekt beitragen (35).

(27)

Es wird außerdem nicht davon ausgegangen, dass vertikale Vereinbarungen, die von Unternehmen geschlossen werden, von denen eines oder mehrere einen jeweiligen Marktanteil haben, der 15 % überschreitet, automatisch unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen. Auch solche Vereinbarungen haben unter Umständen keine spürbaren Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten bzw. stellen möglicherweise keine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs dar (36). Sie sind deshalb in ihrem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang zu prüfen. Die vorliegenden Leitlinien enthalten Kriterien für die individuelle Beurteilung solcher in Abschnitt 8 beschriebenen Vereinbarungen.

(28)

Die Kommission ist ferner der Auffassung, dass vertikale Vereinbarungen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen („KMU“) (37) selten geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen. Die Kommission vertritt auch die Ansicht, dass derartige Vereinbarungen selten den Wettbewerb im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV (gemäß der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union) spürbar beschränken, sofern sie keine bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV enthalten. Deshalb fallen vertikale Vereinbarungen zwischen KMU in der Regel nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV. In Fällen, in denen solche Vereinbarungen dennoch den Verbotstatbestand des Artikels 101 Absatz 1 AEUV erfüllen, wird die Kommission in der Regel wegen des mangelnden Interesses für die Union kein Prüfverfahren einleiten, sofern die betreffenden Unternehmen nicht in einem wesentlichen Teil des Binnenmarktes einzeln oder gemeinsam eine marktbeherrschende Stellung innehaben.

3.2.   Handelsvertreterverträge

3.2.1.   Handelsvertreterverträge, die nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen

(29)

Ein Handelsvertreter ist eine juristische oder natürliche Person, die damit betraut ist, im Auftrag einer anderen Person (des „Auftraggebers“) entweder im eigenen Namen oder im Namen des Auftraggebers Verträge über den Bezug von Waren oder Dienstleistungen durch den Auftraggeber oder den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen durch den Auftraggeber auszuhandeln und/oder zu schließen.

(30)

Artikel 101 AEUV gilt für Vereinbarungen zwischen zwei oder mehr Unternehmen. Unter bestimmten Umständen kann die Beziehung zwischen einem Handelsvertreter und seinem Auftraggeber als solche eingestuft werden, in welcher der Handelsvertreter nicht mehr als unabhängiger Marktteilnehmer handelt. Dies trifft dann zu, wenn der Handelsvertreter bezüglich der Verträge, die er im Namen des Auftraggebers schließt oder aushandelt, nur unbedeutende finanzielle oder wirtschaftliche Risiken trägt, wie in den Randnummern (31) bis (34) näher ausgeführt wird (38). In einem solchen Fall fällt der Handelsvertretervertrag in Teilen oder zur Gänze nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV (39). Da dies eine Ausnahme von der allgemeinen Anwendbarkeit des Artikels 101 AEUV auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen darstellt, sind die Voraussetzungen für die Einstufung einer Vereinbarung als Handelsvertretervertrag, der nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt, eng auszulegen. Beispielsweise ist die Einstufung eines Handelsvertretervertrags als nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallend weniger wahrscheinlich, wenn der Handelsvertreter Verträge im Namen einer großen Zahl von Auftraggebern aushandelt bzw. schließt (40). Wie die Vereinbarung durch die Unterzeichner oder einzelstaatliches Recht eingestuft wird, ist für die wettbewerbsrechtliche Würdigung nicht von Bedeutung.

(31)

Im Hinblick auf die Einstufung einer Vereinbarung als Handelsvertretervertrag, der nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt, sind drei Arten finanzieller oder wirtschaftlicher Risiken von wesentlicher Bedeutung, nämlich:

a)

Vertragsspezifische Risiken, die – wie die Finanzierung von Lagerbeständen – unmittelbar mit den Verträgen zusammenhängen, die der Vertreter für den Auftraggeber geschlossen und/oder ausgehandelt hat.

b)

Risiken, die marktspezifische Investitionen betreffen. Dies sind Investitionen, die für die Art der vom Vertreter auszuführenden Tätigkeit erforderlich sind, das heißt, die dieser benötigt, um eine bestimmte Art von Vertrag zu schließen und/oder auszuhandeln. Solche Investitionen stellen irreversible Investitionen dar, weil sie nach Aufgabe des betreffenden Geschäftsfelds nicht für andere Geschäfte genutzt oder nur mit erheblichem Verlust veräußert werden können.

c)

Risiken in Verbindung mit anderen Tätigkeiten auf demselben sachlich relevanten Markt, soweit der Auftraggeber im Rahmen des Vertreterverhältnisses vom Handelsvertreter verlangt, diese nicht im Namen des Auftraggebers, sondern auf eigenes Risiko des Handelsvertreters durchzuführen.

(32)

Eine Vereinbarung wird dann als nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallender Handelsvertretervertrag eingestuft, wenn der Handelsvertreter keine der in Randnummer (31) aufgeführten Arten von Risiken trägt oder wenn dies nur in unerheblichem Umfang zutrifft. Für die Beurteilung der Bedeutung der vom Handelsvertreter getragenen Risiken ist grundsätzlich die Vergütung zugrunde zu legen, die der Handelsvertreter durch die Erbringung der Handelsvertreterleistungen erzielt (beispielsweise seine Provision), und nicht die Erträge, die durch den Verkauf der Waren oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Handelsvertretervertrags sind, erzielt werden. Risiken, die mit der Erbringung von Handelsvertreterleistungen im Allgemeinen zusammenhängen, beispielsweise die Abhängigkeit des Einkommens des Handelsvertreters von seinem Erfolg als Vertreter oder von allgemeinen Investitionen in Geschäftsräume oder Angestellte, die für Tätigkeiten jeder Art eingesetzt werden könnten, sind für die Beurteilung nicht von Bedeutung.

(33)

Vor diesem Hintergrund wird eine Vereinbarung in der Regel als nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallender Handelsvertretervertrag eingestuft, wenn alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

a)

Der Handelsvertreter erwirbt kein Eigentum an den im Rahmen des Handelsvertretervertrags ge- oder verkauften Waren und erbringt die im Rahmen des Handelsvertretervertrags ge- oder verkauften Dienstleistungen nicht selbst. Die Tatsache, dass der Handelsvertreter unter Umständen für eine sehr kurze Zeit das Eigentum an den Vertragswaren erwirbt, während er diese im Namen des Auftraggebers verkauft, schließt nicht aus, dass es sich um einen nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallenden Handelsvertretervertrag handelt, sofern der Handelsvertreter keine Kosten oder Risiken im Zusammenhang mit dem Eigentumsübergang trägt.

b)

Der Handelsvertreter beteiligt sich nicht an den Kosten, einschließlich Beförderungskosten, die mit der Lieferung/Erbringung oder dem Erwerb der Vertragswaren oder -dienstleistungen verbunden sind. Dies schließt nicht aus, dass der Handelsvertreter Beförderungsleistungen erbringt, sofern die Kosten vom Auftraggeber übernommen werden.

c)

Der Handelsvertreter hält nicht auf eigene Kosten oder eigenes Risiko Lagerbestände der Vertragswaren, was die Kosten für die Finanzierung der Lagerbestände und für den Verlust von Lagerbeständen einschließt. Dem Handelsvertreter sollte es möglich sein, unverkaufte Waren unentgeltlich an den Auftraggeber zurückzugeben, sofern kein Verschulden des Handelsvertreters vorliegt, weil er es beispielsweise versäumt, zumutbare Anforderungen an Sicherheitsmaßnahmen oder Diebstahlsicherungen zu erfüllen, um den Verlust von Lagerbeständen zu vermeiden.

d)

Der Handelsvertreter übernimmt keine Haftung dafür, dass die Kunden ihre Vertragspflichten nicht erfüllen, mit Ausnahme des Verlustes der Provision des Handelsvertreters,sofern dieser nicht für Verschulden haftet (wenn er es beispielsweise versäumt, zumutbare Anforderungen an Sicherheitsmaßnahmen oder Diebstahlsicherungen zu erfüllen oder weil er keine angemessenen Maßnahmen trifft, dem Auftraggeber oder der Polizei Diebstähle zu melden oder weil er es unterlässt, dem Auftraggeber alle ihm bekannten Informationen hinsichtlich der Zahlungsverlässlichkeit der Kunden zu übermitteln.

e)

Der Handelsvertreter übernimmt gegenüber Kunden oder anderen Dritten keine Haftung für Verluste oder Schäden, die durch die Lieferung bzw. die Erbringung der Vertragswaren oder -dienstleistungen verursacht wurden, es sei denn, es liegt ein Verschulden des Handelsvertreters vor.

f)

Der Handelsvertreter ist weder unmittelbar noch mittelbar verpflichtet, in verkaufsfördernde Maßnahmen zu investieren und sich z. B. an den Werbeaufwendungen des Auftraggebers oder an Werbe- oder Verkaufsförderungsmaßnahmen, die sich speziell auf die Vertragswaren oder -dienstleistungen beziehen, zu beteiligen, es sei denn, diese Kosten werden vom Auftraggeber vollständig erstattet.

g)

Der Handelsvertreter tätigt keine marktspezifischen Investitionen in Ausrüstungen, Räumlichkeiten, Mitarbeiterschulungen oder Werbung, beispielsweise in einen Kraftstofftank beim Kraftstoffeinzelhandel, spezielle Software für den Verkauf von Policen bei Versicherungsvermittlern oder Werbung für Strecken oder Zielorte bei Reisebüros, die Flüge oder Hotelunterkünfte verkaufen, es sei denn, diese Kosten werden vom Auftraggeber vollständig erstattet.

h)

Der Handelsvertreter nimmt keine anderen Tätigkeiten auf Verlangen des Auftraggebers im Rahmen des Handelsvertretervertrags auf demselben sachlich relevanten Markt wahr (z. B. die Lieferung der Waren), es sei denn, diese Kosten werden vom Auftraggeber vollständig erstattet.

(34)

Die Aufstellung in Randnummer (33) ist zwar nicht erschöpfend, aber immer dann, wenn dem Handelsvertreter eines oder mehrere der in den Randnummern (31) bis (33) dieser Leitlinien genannten Risiken bzw. Kosten entstehen, wird die Vereinbarung zwischen dem Handelsvertreter und dem Auftraggeber nicht als Handelsvertretervertrag eingestuft, der nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt (41). Die Frage des Risikos muss im Einzelfall beantwortet werden, wobei vorzugsweise auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten und weniger auf die rechtliche Ausgestaltung der Vereinbarung abzustellen ist. Aus praktischen Erwägungen sollten bei der Beurteilung der Risiken zuerst die vertragsspezifischen Risiken geprüft werden. Hat der Vertreter vertragsspezifische Risiken zu tragen, die nicht unerheblich sind, so lässt sich daraus schließen, dass er ein unabhängiger Händler ist. Gehen die vertragsspezifischen Risiken nicht zulasten des Handelsvertreters, so ist zu prüfen, wer die Risiken trägt, die mit marktspezifischen Investitionen verbunden sind. Sofern der Handelsvertreter weder vertragsspezifische Risiken noch mit marktspezifischen Investitionen verbundene Risiken zu tragen hat, sind die Risiken in Verbindung mit anderen auf demselben sachlich relevanten Markt erforderlichen Tätigkeiten im Rahmen des Handelsvertreterverhältnisses zu prüfen.

(35)

Ein Auftraggeber kann verschiedene Methoden anwenden, um die relevanten Risiken abzudecken, solange diese Methoden sicherstellen, dass der Handelsvertreter keine erheblichen Risiken der unter den Randnummern (31) bis (33) genannten Art trägt. Der Auftraggeber kann zum Beispiel die genauen Kosten, die entstanden sind, übernehmen, die Kosten über einen Pauschalbetrag decken oder dem Handelsvertreter einen festen Prozentsatz der Erlöse zahlen, die mit dem Verkauf der Waren oder Dienstleistungen im Rahmen des Handelsvertretervertrags erzielt wurden. Um sicherzustellen, dass alle relevanten Risiken und Kosten gedeckt sind, sollte die vom Auftraggeber angewendete Methode dem Handelsvertreter die einfache Unterscheidung zwischen dem Betrag bzw. den Beträgen, mit denen die relevanten Risiken und Kosten gedeckt werden sollen, und anderen Beträgen, die dem Handelsvertreter gezahlt werden und beispielsweise als Vergütung des Handelsvertreters für die Bereitstellung seiner Dienstleistungen gedacht sind, ermöglichen. Andernfalls kann der Handelsvertreter möglicherweise nicht überprüfen, ob die vom Auftraggeber gewählte Methode seine Kosten deckt. Möglicherweise kann es auch erforderlich sein, ein einfaches Verfahren vorzusehen, nach dem der Handelsvertreter Kosten, die über den vereinbarten Pauschalbetrag oder festen Prozentsatz hinausgehen, melden und ihre Erstattung beantragen kann. Auch kann es erforderlich sein, dass der Auftraggeber systematisch alle Änderungen der relevanten Kosten überwacht und den Pauschalbetrag bzw. den festen Prozentsatz entsprechend anpasst. Wenn die relevanten Kosten über einen Prozentsatz des Preises der auf Grundlage des Handelsvertretervertrags verkauften Produkte erstattet werden, hat der Auftraggeber auch die Tatsache zu berücksichtigen, dass dem Handelsvertreter selbst dann relevante marktspezifische Kosten für Investitionen entstehen können, wenn er für einen bestimmten Zeitraum nur geringe oder keine Verkäufe erzielt. Diese Kosten sind vom Auftraggeber zu erstatten.

(36)

Ein unabhängiger Händler für einige Waren oder Dienstleistungen eines Anbieters kann auch als Handelsvertreter für andere Waren oder Dienstleistungen desselben Anbieters auftreten, sofern die unter den Handelsvertretervertrag fallenden Tätigkeiten und Risiken klar abgegrenzt werden können (zum Beispiel, weil sie Waren oder Dienstleistungen mit zusätzlichen Funktionen oder neuen Merkmalen betreffen). Damit eine Vereinbarung als nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallender Handelsvertretervertrag eingestuft werden kann, muss der unabhängige Händler eine echte Entscheidungsmöglichkeit haben, ob er den Handelsvertretervertrag abschließt (zum Beispiel darf das Handelsvertreterverhältnis dem Händler nicht de facto aufgezwungen werden, indem der Auftraggeber droht, die Vertriebsbeziehung zu beenden oder schlechtere Bedingungen einzuführen). Ebenso darf der Auftraggeber dem Handelsvertreter weder unmittelbar noch mittelbar eine Tätigkeit als unabhängiger Händler aufzwingen, sofern der Auftraggeber eine solche Tätigkeit nicht in vollem Umfang vergütet, wie in Randnummer (33) Buchstabe h dargelegt. Darüber hinaus müssen alle relevanten Risiken im Zusammenhang mit den im Rahmen des Vertreterverhältnisses verkauften Waren oder Dienstleistungen, einschließlich marktspezifischer Investitionen, wie unter den Randnummern (31) bis (33) ausgeführt, vom Auftraggeber übernommen werden.

(37)

Nimmt ein Handelsvertreter für denselben Anbieter andere, von dem betreffenden Anbieter nicht verlangte Tätigkeiten auf eigenes Risiko wahr, werden dessen Verkaufsanreize und Entscheidungsfreiheit beim Verkauf von Produkten als unabhängiger Händler möglicherweise durch die Verpflichtungen, die dem Handelsvertreter im Zusammenhang mit seiner Vertretungstätigkeit auferlegt wurden, beeinflusst bzw. eingeschränkt. Insbesondere besteht die Möglichkeit, dass die Preisgestaltung des Auftraggebers für die im Rahmen des Handelsvertretervertrags verkauften Produkte Einfluss haben wird auf die Anreize des Handelsvertreters/Händlers, die Preise für die Produkte, die er als unabhängiger Händler verkauft, unabhängig davon festzulegen. Darüber hinaus wird es bei einer Kombination aus Handelsvertretung und unabhängigem Vertrieb für denselben Anbieter schwierig, zwischen Investitionen und Kosten, die sich auf die Vertretungsfunktion beziehen, einschließlich marktspezifischer Investitionen, und solchen, die sich ausschließlich auf die unabhängige Tätigkeit beziehen, zu unterscheiden. In solchen Fällen kann daher die Beurteilung, ob ein Vertretungsverhältnis die unter den Randnummern (30) bis (33) genannten Bedingungen erfüllt, besonders komplex sein (42).

(38)

Die unter Randnummer (37) beschriebenen Schwierigkeiten werden eher auftreten, wenn der Handelsvertreter für denselben Auftraggeber auf demselben relevanten Markt weitere Tätigkeiten als unabhängiger Händler wahrnimmt. Umgekehrt ist mit dem Auftreten dieser Schwierigkeiten weniger zu rechnen, wenn sich die weiteren Tätigkeiten, die der Handelsvertreter als unabhängiger Händler ausübt, auf einen anderen relevanten Markt beziehen (43). Je weniger austauschbar die im Rahmen des Handelsvertretervertrags verkauften Produkte und die vom Handelsvertreter eigenständig verkauften Produkte sind, desto geringer ist im Allgemeinen die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten solcher Schwierigkeiten. Sind die objektiven Unterschiede zwischen den Merkmalen der Produkte (beispielsweise höhere Qualität, neuartige Merkmale oder zusätzliche Funktionen) unbedeutend, könnte die Abgrenzung den beiden Tätigkeiten des Handelsvertreters schwieriger sein und ein erhebliches Risiko bestehen, dass der Handelsvertreter bei den Produkten, die er unabhängig vertreibt, durch die Bedingungen des Handelsvertretervertrags, insbesondere hinsichtlich der Preisgestaltung, beeinflusst wird.

(39)

Um die marktspezifischen Investitionen zu ermitteln, die vom Auftraggeber im Fall des Abschlusses eines Handelsvertretervertrags mit einem seiner unabhängigen Händler, der bereits am relevanten Markt tätig ist, zu erstatten sind, muss der Auftraggeber die hypothetische Situation eines Handelsvertreters zugrunde legen, der noch nicht am relevanten Markt tätig ist, um zu beurteilen, welche Investitionen für die Art der vom Handelsvertreter auszuführenden Tätigkeit von Belang sind. Der Auftraggeber müsste marktspezifische Investitionen tragen, die erforderlich sind, um auf dem relevanten Markt tätig zu werden; dies schließt Investitionen ein, die auch differenzierte Produkte betreffen, die außerhalb des Anwendungsbereichs des Handelsvertretervertrags vertrieben werden, aber nicht ausschließlich mit dem Verkauf solcher differenzierter Produkte zusammenhängen. Der Auftraggeber müsste marktspezifische Investitionen auf dem relevanten Markt nur dann nicht übernehmen, wenn sich diese Investitionen ausschließlich auf den Verkauf von differenzierten Produkten beziehen, die nicht auf der Grundlage des Handelsvertretervertrags verkauft, sondern unabhängig vertrieben werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Handelsvertreter für eine Tätigkeit auf dem Markt alle marktspezifischen Kosten zu tragen hätte, dass ihm aber die ausschließlich mit dem Verkauf der differenzierten Produkte verbundenen marktspezifischen Kosten dann nicht entstehen würden, wenn er nicht auch als unabhängiger Händler für die betreffenden Produkte tätig wäre (sofern er am relevanten Markt tätig sein kann, ohne die in Rede stehenden differenzierten Produkte zu verkaufen). Soweit die relevanten Investitionen bereits abgeschrieben wurden (z. B. Investitionen in Ausrüstungsgegenstände, die speziell für die Tätigkeit benötigt werden), kann die Erstattung in einem angemessenen Verhältnis angepasst werden. Ebenso kann die Erstattung angepasst werden, wenn die von dem unabhängigen Händler getätigten marktspezifischen Investitionen erheblich höher sind als die marktspezifischen Investitionen, die ein Handelsvertreter aufgrund seiner Tätigkeit als unabhängiger Händler für die Aufnahme seiner Tätigkeit auf dem relevanten Markt tätigen muss.

(40)

Beispiel für die Kostenzuordnung für den Fall, dass ein Händler für denselben Anbieter auch als Handelsvertreter für bestimmte Produkte tätig ist.

Die Produkte A, B und C werden in der Regel von demselben Händler bzw. denselben Händlern verkauft. Die Produkte A und B gehören zu demselben sachlich und räumlich relevanten Markt, sind jedoch differenzierte Produkte und weisen objektiv unterschiedliche Merkmale auf. Produkt C gehört einem anderen sachlich relevanten Markt an.

Ein Anbieter, der seine Produkte in der Regel über unabhängige Händler vertreibt, möchte für den Vertrieb seines Produkts A, das sich durch eine neue Funktionalität auszeichnet, einen Handelsvertretervertrag nutzen. Er bietet seinen unabhängigen Händlern (für Produkt B), die bereits in demselben sachlich und räumlich relevanten Markt tätig sind, diesen Handelsvertretervertrag an, ohne von ihnen rechtlich oder faktisch den Abschluss dieses Vertrags zu verlangen.

Damit der Handelsvertretervertrag nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt und die Voraussetzungen unter den Randnummern (30) bis (33) erfüllt, muss der Auftraggeber alle für die Tätigkeit des Verkaufs sowohl des Produkts A als auch des Produkts B (und nicht nur des Produkts A) relevanten Investitionen übernehmen, da diese zu demselben sachlich und räumlich relevanten Markt gehören. Zum Beispiel gelten die Kosten für die Anpassung oder Möblierung eines Ladengeschäfts, in dem die Produkte A und B ausgestellt und verkauft werden, wahrscheinlich als marktspezifisch. Ebenso sind wahrscheinlich auch die Kosten für die Schulung des Personals für den Verkauf der Produkte A und B und die Kosten im Zusammenhang mit spezifischen Lagereinrichtungen, die möglicherweise für die Produkte A und B benötigt werden, marktspezifisch. Diese relevanten Investitionen, die normalerweise für den Markteinstieg eines Handelsvertreters und den Verkaufsstart der Produkte A und B erforderlich sind, sollten vom Auftraggeber in der Regel auch dann übernommen werden, wenn der betreffende Handelsvertreter an dem relevanten Markt bereits als unabhängiger Händler etabliert ist.

Die Investitionen im Zusammenhang mit dem Verkauf des Produkts C, das nicht zum gleichen sachlich relevanten Markt wie die Produkte A und B gehört, müssten dagegen nicht vom Auftraggeber übernommen werden. Sind für den Verkauf des Produkts B besondere Investitionen erforderlich, die für den Verkauf des Produkts A nicht benötigt werden, beispielsweise eine spezielle Ausrüstung oder Mitarbeiterschulungen, so sind diese nicht relevant und müssten daher nicht vom Auftraggeber übernommen werden, sofern ein Händler auf dem relevanten, die Produkte A und B umfassenden Markt tätig sein kann, wenn er nur Produkt A verkauft.

Was Werbung betrifft, würden im Gegensatz zu Investitionen für speziell auf Produkt A ausgerichtete Werbung Investitionen in Werbung für das Ladengeschäft des Handelsvertreters an sich sowohl dem Ladengeschäft des Handelsvertreters im Allgemeinen als auch dem Verkauf der Produkte A, B und C zugutekommen, während nur Produkt A auf der Grundlage des Handelsvertretervertrags verkauft wird. Diese Kosten wären daher nur teilweise für die Beurteilung des Handelsvertretervertrags relevant, nämlich nur insoweit, als sie sich auf den Verkauf des Produkts A beziehen, das auf der Grundlage des Handelsvertretervertrags verkauft wird. Die Kosten einer Werbekampagne, die sich ausschließlich auf die Produkte B oder C bezieht, wären dagegen nicht relevant und müssten folglich nicht vom Auftraggeber übernommen werden, sofern ein Händler auf dem relevanten Markt tätig sein kann, wenn er nur Produkt A verkauft.

Dieselben Grundsätze gelten auch für Investitionen in eine Website oder einen Online-Shop, denn ein Teil dieser Investitionen wäre nicht relevant, da er auch unabhängig von den im Rahmen des Handelsvertretervertrags verkauften Produkten getätigt worden wäre. Der Auftraggeber müsste daher allgemeine Investitionen in das Design einer Website nicht erstatten, soweit die Website als solche auch für den Verkauf anderer Produkte als derjenigen, die zum sachlich relevanten Markt gehören (d. h. Produkt C bzw. generell andere Produkte als die Produkte A und B), genutzt werden kann. Investitionen im Zusammenhang mit Verkaufs- oder Werbetätigkeiten für die Produkte auf dem sachlich relevanten Markt, d. h. sowohl Produkt A als auch Produkt B, auf der Website wären dagegen relevant. Je nach dem Umfang der Investitionen, die für Werbung und Verkauf der Produkte A und B auf der Website erforderlich sind, würde der Auftraggeber daher einen Teil der Kosten für die Einrichtung der Website bzw. den Betrieb des Online-Shops übernehmen müssen. Investitionen, die sich speziell auf die Werbung für oder den Verkauf von Produkt B beziehen, müssten nicht übernommen werden, sofern ein Händler auf dem relevanten Markt tätig sein kann, wenn er nur Produkt A verkauft.

3.2.2.   Anwendung des Artikels 101 Absatz 1 AEUV auf Handelsvertreterverträge

(41)

Erfüllt eine Vereinbarung die Voraussetzungen für die Einstufung als Handelsvertretervertrag, der nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt, sind die Ankaufs- und die Verkaufsfunktionen des Vertreters Teil der Tätigkeiten des Auftraggebers. Da der Auftraggeber die geschäftlichen und finanziellen Risiken trägt, die mit dem Verkauf und Ankauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen verbunden sind, fallen sämtliche dem Handelsvertreter auferlegten Verpflichtungen bezüglich der im Namen des Auftraggebers geschlossenen und/oder ausgehandelten Verträge nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV. Die Übernahme der in dieser Randnummer aufgeführten Verpflichtungen durch den Handelsvertreter wird als untrennbarer Bestandteil eines Handelsvertretervertrags angesehen, da diese Verpflichtungen die Befugnis des Auftraggebers betreffen, den Umfang der Tätigkeiten des Vertreters in Bezug auf die Vertragswaren oder -dienstleistungen festzulegen. Dies ist entscheidend, wenn der Auftraggeber die Risiken in Verbindung mit den vom Handelsvertreter im Namen des Auftraggebers geschlossenen und/oder ausgehandelten Verträgen übernehmen soll. Der Auftraggeber ist somit in der Lage, die Geschäftsstrategie in folgenden Bereichen festzulegen:

a)

Beschränkungen hinsichtlich des Gebiets, in dem der Vertreter die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkaufen darf,

b)

Beschränkungen hinsichtlich der Kunden, an die der Vertreter die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkaufen darf,

c)

die Preise und die Bedingungen, zu denen der Vertreter die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkaufen oder beziehen muss.

(42)

Trägt der Handelsvertreter hingegen eines oder mehrere der unter den Randnummern (31) bis (33) dieser Leitlinien beschriebenen relevanten Risiken, stellt die Vereinbarung zwischen dem Handelsvertreter und dem Auftraggeber keinen Handelsvertretervertrag dar, der nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt. In einer solchen Situation wird der Handelsvertreter als unabhängiges Unternehmen behandelt und die Vereinbarung zwischen ihm und dem Auftraggeber fällt wie jede andere vertikale Vereinbarung ebenfalls unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV. Aus diesem Grund stellt Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe k der Verordnung (EU) 2022/720 klar, dass ein Unternehmen, das auf der Grundlage einer unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallenden Vereinbarung Waren oder Dienstleistungen für Rechnung eines anderen Unternehmens verkauft, Abnehmer ist.

(43)

Selbst wenn der Handelsvertreter keine bedeutenden Risiken der unter den Randnummern (31) bis (33) beschriebenen Art trägt, bleibt er ein vom Auftraggeber getrenntes Unternehmen, und die Klauseln, die das Verhältnis zwischen dem Handelsvertreter und dem Auftraggeber regeln, können unabhängig davon, ob sie Bestandteil der Vereinbarung über den Verkauf oder Ankauf von Waren oder Dienstleistungen sind oder eine getrennte Vereinbarung bilden, unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen. Für solche Klauseln kann die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 vorgesehene Freistellung gelten, sofern die Voraussetzungen der Verordnung erfüllt sind. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung (EU) 2022/720 erfordern solche Klauseln eine Einzelprüfung nach Artikel 101 AEUV, wie sie in Abschnitt 8.1 beschrieben wird; sie dient insbesondere zur Feststellung, ob die betreffenden Klauseln wettbewerbsbeschränkende Wirkungen im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV hervorrufen, und wenn ja, ob sie die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. Dies gilt zum Beispiel, wenn Handelsvertreterverträge Klauseln enthalten, die den Auftraggeber daran hindern, andere Vertreter für eine bestimmte Art von Geschäft, Kunden oder Gebiet zu ernennen (Alleinvertreterklauseln), oder Klauseln, die den Handelsvertreter daran hindern, als Vertreter oder Händler für Unternehmen tätig zu werden, die mit dem Auftraggeber im Wettbewerb stehen (Markenzwangklauseln). Alleinvertreterklauseln dürften in der Regel keine wettbewerbsschädigenden Auswirkungen entfalten. Markenzwangklauseln und Wettbewerbsverbote für die Zeit nach Vertragsablauf, hingegen betreffen den Wettbewerb zwischen verschiedenen Marken und können den Wettbewerb im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV beschränken, wenn sie allein oder kumulativ zur Abschottung des relevanten Marktes beitragen, auf dem die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkauft oder bezogen werden (siehe insbesondere die Abschnitte 6.2.2 und 8.2.1).

(44)

Ein Handelsvertretervertrag kann aber auch in Fällen, in denen der Auftraggeber alle relevanten finanziellen und wirtschaftlichen Risiken übernimmt, unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen, wenn er kollusive Verhaltensweisen fördert. Dies dürfte u. a. dann der Fall sein, wenn mehrere Auftraggeber die Dienste derselben Handelsvertreter in Anspruch nehmen und gemeinsam andere davon abhalten, diese Handelsvertreter ebenfalls in Anspruch zu nehmen, oder wenn sie die Handelsvertreter zur Kollusion bei der Marketingstrategie oder zum Austausch vertraulicher Marktdaten untereinander benutzen.

(45)

Im Falle eines unabhängigen Händlers, der auch als Handelsvertreter für bestimmte Waren oder Dienstleistungen desselben Anbieters tätig ist, muss streng geprüft werden, ob die unter den Randnummern (36) bis (39) genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies ist notwendig, um einen Missbrauch des Handelsvertreterkonzepts in Szenarien auszuschließen, in denen der Anbieter nicht mittels des Handelsvertretervertrags auf der Einzelhandelsstufe aktiv wird und alle diesbezüglichen geschäftlichen Entscheidungen trifft und alle damit verbundenen Risiken gemäß den unter den Randnummern (30) bis (33) ausgeführten Grundsätzen übernimmt, sondern vielmehr das Handelsvertreterkonzept als Mittel zum Zweck wählt, um die Einzelhandelspreise für Produkte, die hohe Weiterverkaufsmargen ermöglichen, zu kontrollieren. Da Preisbindungen der zweiten Hand, wie in Abschnitt 6.1.1 erläutert, nach Artikel 4 der Verordnung (EU) 2022/720 eine Kernbeschränkung und nach Artikel 101 Absatz 1 AEUV eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen, darf das Vertretungsverhältnis von Anbietern nicht dazu missbraucht werden, die Anwendung des Artikels 101 Absatz 1 AEUV zu umgehen.

3.2.3.   Handelsvertretung und Online-Plattformwirtschaft

(46)

Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die in der Online-Plattformwirtschaft tätig sind, erfüllen in der Regel nicht die Voraussetzungen für eine Einstufung als Handelsvertreterverträge, die nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen. Solche Unternehmen handeln im Allgemeinen als unabhängige Wirtschaftsteilnehmer und nicht als Teil der Unternehmen, für die sie Dienstleistungen erbringen. Unternehmen, die in der Online-Plattformwirtschaft tätig sind, bedienen oft eine sehr große Zahl von Verkäufern, was sie daran hindert, tatsächlich Teil eines Unternehmens der Verkäufer zu werden. Darüber hinaus können starke Netzwerkeffekte und andere Merkmale der Online-Plattformwirtschaft zu deutlichen Ungleichgewichten bei der Größe und der Verhandlungsmacht der Vertragsparteien führen. Dies kann zu einer Situation führen, in der die Bedingungen, zu denen die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkauft werden, sowie die Geschäftsstrategie von dem in der Online-Plattformwirtschaft tätigen Unternehmen bestimmt werden und nicht von den Verkäufern der Waren oder Dienstleistungen. Darüber hinaus leisten in der Online-Plattformwirtschaft tätige Unternehmen in der Regel bedeutende marktspezifische Investitionen, zum Beispiel in Software, Werbung und Kundendienst, woraus sich schließen lässt, dass diese Unternehmen in Verbindung mit den Transaktionen, die sie vermitteln, erhebliche finanzielle oder wirtschaftliche Risiken tragen.

3.3.   Zuliefervereinbarungen

(47)

Zulieferverträge werden in der Bekanntmachung über Zulieferverträge (44) als Verträge definiert, durch die ein Unternehmen, der „Auftraggeber“, – gegebenenfalls nach Eingang einer Bestellung von dritter Seite – ein anderes Unternehmen, den „Zulieferer“, beauftragt, nach seinen Weisungen Erzeugnisse herzustellen, Dienstleistungen zu erbringen oder Arbeiten zu verrichten, die für den Auftraggeber bestimmt sind oder für seine Rechnung ausgeführt werden. Zulieferverträge fallen grundsätzlich nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV. Die Bekanntmachung über Zulieferverträge enthält weitere Erläuterungen zur Anwendung dieser allgemeinen Regel. Insbesondere fallen der Bekanntmachung über Zulieferverträge zufolge Klauseln, mit denen die Verwendung von Technologien oder Ausrüstung beschränkt wird, die der Auftraggeber einem Zulieferer zur Verfügung stellt, unter der Voraussetzung nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV, dass die Technologie oder Ausrüstung für den Zulieferer unerlässlich ist, um die betroffenen Produkte herstellen zu können (45). In der Bekanntmachung über Zulieferverträge wird ferner der Anwendungsbereich dieser allgemeinen Regel klargestellt, insbesondere, dass andere dem Zulieferer auferlegte Beschränkungen, wie der Verzicht auf eigene Forschung und Entwicklung oder die Nutzung ihrer Ergebnisse oder die Verpflichtung, grundsätzlich nicht für Dritte zu produzieren, unter Artikel 101 AEUV fallen können (46).

4.   ANWENDUNGSBEREICH DER VERORDNUNG (EU) 2022/720

4.1.   Durch die Verordnung (EU) 2022/720 geschaffener Safe Harbour

(48)

Mit der Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 wird ein Safe Harbour für vertikale Vereinbarungen im Sinne der Verordnung geschaffen, sofern die Anteile des Anbieters und des Abnehmers an den relevanten Märkten die in Artikel 3 der Verordnung festgelegten Schwellen nicht überschreiten (siehe Abschnitt 5.2) und sofern die Vereinbarung keine der Kernbeschränkungen des Artikels 4 der Verordnung enthält (siehe Abschnitt 6.1) (47) . Der Safe Harbour gilt, solange der Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung nicht im Einzelfall durch die Kommission oder eine zuständige nationale Behörde nach Artikel 29 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 entzogen wurde (siehe Abschnitt 7.1). Die Tatsache, dass für eine vertikale Vereinbarung der Safe Harbour nicht gilt, bedeutet nicht, dass die betreffende Vereinbarung unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt oder dass sie die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV nicht erfüllt.

(49)

Nutzt ein Anbieter ein- und dieselbe vertikale Vereinbarung, um mehrere Arten von Waren oder Dienstleistungen zu vertreiben, kann die Anwendung der in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 aufgeführten Marktanteilsschwellen zur Folge haben, dass die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung für einige Waren und Dienstleistungen, nicht aber für andere, gilt. Hinsichtlich der Waren oder Dienstleistungen, für die Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung nicht gilt, ist eine Einzelprüfung nach Artikel 101 AEUV erforderlich.

4.2.   Definition vertikaler Vereinbarungen

(50)

Artikel 101 Absatz 1 AEUV bezieht sich auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Es erfolgt keine Unterscheidung dahingehend, ob diese Unternehmen auf derselben Stufe oder verschiedenen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind. Artikel 101 Absatz 1 AEUV gilt folglich sowohl für horizontale als auch für vertikale Vereinbarungen (48).

(51)

Gemäß der der Kommission durch Artikel 1 der Verordnung Nr. 19/65/EWG übertragenen Befugnis, durch Verordnung zu erklären, dass Artikel 101 Absatz 1 AEUV auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen nicht anwendbar ist, definiert Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 vertikale Vereinbarungen als „eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise zwischen zwei oder mehr Unternehmen, die für die Zwecke der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise jeweils auf einer anderen Stufe der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind und die die Bedingungen betrifft, zu denen die beteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen“ (49).

4.2.1.   Einseitiges Verhalten fällt nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2022/720

(52)

Die Verordnung (EU) 2022/720 gilt nicht für einseitiges Verhalten von Unternehmen. Einseitiges Verhalten kann jedoch unter Artikel 102 AEUV fallen, in dem der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung untersagt wird (50).

(53)

Die Verordnung (EU) 2022/720 gilt für vertikale Vereinbarungen. Eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 101 AEUV liegt bereits dann vor, wenn die Beteiligten ihrer gemeinsamen Absicht Ausdruck verliehen haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (sogenannte Willensübereinstimmung). Hierbei ist die Form, in der dies zum Ausdruck gebracht wird, unerheblich, sofern sie den Willen der beteiligten Unternehmen getreu wiedergibt (51).

(54)

Gibt es keine explizite Vereinbarung über eine Willensübereinstimmung der Beteiligten, obliegt es der Partei oder Behörde, die eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 AEUV vorbringt, nachzuweisen, dass das einseitige Handeln eines Unternehmens mit Zustimmung der übrigen beteiligten Unternehmen erfolgte. Was vertikale Vereinbarungen betrifft, so kann die Zustimmung zu einem bestimmten einseitigen Handeln ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen:

a)

Die ausdrückliche Zustimmung lässt sich aus den Befugnissen ableiten, die den beteiligten Unternehmen im Rahmen einer vorab getroffenen generellen Vereinbarung übertragen werden. Wenn in den Bestimmungen einer solchen Vereinbarung vorgesehen ist oder einem beteiligten Unternehmen die Befugnis eingeräumt wird, nachfolgend ein bestimmtes einseitiges Verhalten zu verfolgen, das für ein anderes beteiligtes Unternehmen bindend ist, so kann hieraus die Zustimmung dieses Unternehmens zu dem Verhalten abgeleitet werden (52).

b)

Für eine stillschweigende Zustimmung ist darzulegen, dass ein beteiligtes Unternehmen die Mitwirkung des anderen Unternehmens bei der Verwirklichung seines einseitigen Handelns ausdrücklich oder stillschweigend verlangt und dass das andere beteiligte Unternehmen dieser Forderung nachgekommen ist, indem es dieses einseitige Verhalten in die Praxis umgesetzt hat (53). Beispielsweise ist von einer stillschweigenden Zustimmung zum einseitigen Handeln eines Anbieters auszugehen, wenn dieser einseitig eine Lieferverringerung ankündigt, um parallelen Handel auszuschließen, und die Händler ihre Aufträge unverzüglich verringern und sich aus dem parallelen Handel zurückziehen. Ein solcher Schluss kann allerdings nicht gezogen werden, wenn die Händler weiterhin parallelen Handel betreiben oder nach neuen Möglichkeiten für parallelen Handel suchen.

(55)

Vor diesem Hintergrund stellt die Auferlegung allgemeiner Geschäftsbedingungen durch ein beteiligtes Unternehmen eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV dar, wenn diese allgemeinen Geschäftsbedingungen von dem anderen beteiligten Unternehmen stillschweigend akzeptiert worden sind (54).

4.2.2.   Die Unternehmen sind auf verschiedenen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette tätig

(56)

Die Verordnung (EU) 2022/720 gilt für Vereinbarungen zwischen zwei oder mehr Unternehmen unabhängig von deren Geschäftsmodell. Die Verordnung gilt nicht für Vereinbarungen mit natürlichen Personen, die zu Zwecken handeln, die nicht ihrer geschäftlichen, gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, da solche Personen keine Unternehmen sind.

(57)

Damit eine Vereinbarung als vertikale Vereinbarung im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 bezeichnet werden kann, muss sie zwischen Unternehmen geschlossen werden, die für die Zwecke der Vereinbarung auf verschiedenen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind. Eine vertikale Vereinbarung liegt zum Beispiel vor, wenn ein Unternehmen einen Rohstoff erzeugt oder eine Dienstleistung erbringt und an ein anderes Unternehmen verkauft, das diesen Rohstoff bzw. diese Dienstleistung als Vorleistung verwendet, oder wenn ein Hersteller ein Produkt an einen Großhändler verkauft, der es an einen Einzelhändler weiterverkauft. Ebenso liegt eine vertikale Vereinbarung vor, wenn ein Unternehmen Waren oder Dienstleistungen an ein anderes Unternehmen verkauft, bei dem es sich um den Endverbraucher der Waren oder Dienstleistungen handelt.

(58)

Da sich die Definition in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 auf den Zweck der spezifischen Vereinbarung bezieht, schließt die Tatsache, dass eines der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen auf mehr als einer Stufe der Produktions- oder Vertriebskette tätig ist, die Anwendung der Verordnung (EU) 2022/720 nicht aus. Wird eine vertikale Vereinbarung jedoch zwischen Wettbewerbern geschlossen, so gilt die Verordnung (EU) 2022/720 nur dann, wenn die Voraussetzungen des Artikels 2 Absatz 4 der Verordnung erfüllt sind (siehe die Abschnitte 4.4.3. und 4.4.4.).

4.2.3.   Die Vereinbarung bezieht sich auf den Bezug, Verkauf oder Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen

(59)

Damit eine Vereinbarung als vertikale Vereinbarung im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 bezeichnet werden kann, muss sie sich auf die Bedingungen beziehen, zu denen die beteiligten Unternehmen „bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen“. Gemäß dem Zweck der Gruppenfreistellungsverordnungen, nämlich für Rechtssicherheit zu sorgen, ist Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 weit auszulegen, d. h. als auf alle vertikalen Vereinbarungen anwendbar, unabhängig davon, ob sie Zwischenprodukte oder Endprodukte oder Dienstleistungen betreffen. Hinsichtlich der Anwendung der Verordnung auf eine bestimmte Vereinbarung werden sowohl die vom Anbieter bereitgestellten Waren oder Dienstleistungen als auch im Fall von Zwischenprodukten (Waren oder Dienstleistungen) die daraus resultierenden Endprodukte als Vertragswaren oder -dienstleistungen angesehen.

(60)

Vertikale Vereinbarungen in der Online-Plattformwirtschaft, darunter Vereinbarungen, die mit Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/720 geschlossen werden, fallen unter Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720. Bei vertikalen Vereinbarungen in Bezug auf die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten gelten sowohl die Online-Vermittlungsdienste als auch die Waren oder Dienstleistungen, die Gegenstand der dadurch vermittelten Transaktionen sind, für die Zwecke der Anwendung der Verordnung (EU) 2022/720 auf die Vereinbarung als Vertragswaren oder -dienstleistungen.

(61)

Die Verordnung (EU) 2022/720 gilt nicht für vertikale Beschränkungen, die sich nicht auf die Bedingungen beziehen, zu denen Waren oder Dienstleistungen bezogen, verkauft oder weiterverkauft werden dürfen. Solche Beschränkungen sind daher einer Einzelfallprüfung zu unterziehen, um festzustellen, ob sie unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen, und wenn ja, ob sie die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. Zum Beispiel ist die Verordnung (EU) 2022/720 nicht auf eine Verpflichtung anwendbar, die das Recht der beteiligten Unternehmen einschränkt, eigenständige Forschungs- und Entwicklungsarbeiten durchzuführen, auch wenn sie dies gegebenenfalls in ihre vertikale Vereinbarung aufgenommen haben. Ein weiteres Beispiel sind Miet- und Pachtverträge. Obschon die Verordnung (EU) 2022/720 für Vereinbarungen über den Verkauf und Bezug von Waren zum Zweck der Vermietung an Dritte gilt, fallen Miet- und Pachtverträge als solche nicht unter die Verordnung, weil in ihrem Fall kein Verkauf oder Bezug von Waren stattfindet.

4.3.   Vertikale Vereinbarungen in der Online-Plattformwirtschaft

(62)

In der Online-Plattformwirtschaft tätige Unternehmen spielen eine immer wichtigere Rolle im Vertrieb von Waren und Dienstleistungen. Sie ermöglichen neue Geschäftsmodelle, deren Zuordnung anhand der herkömmlich auf vertikale Vereinbarungen im stationären Handel angewandten Konzepte mitunter nicht einfach ist.

(63)

In der Online-Plattformwirtschaft tätige Unternehmen werden im Vertrags- oder Handelsrecht häufig als Handelsvertreter eingestuft. Diese Einstufung ist jedoch für die Einordnung ihrer Vereinbarungen unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV nicht von Bedeutung (55). Vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die in der Online-Plattformwirtschaft tätig sind, werden nur dann als nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallende Handelsvertreterverträge eingestuft, wenn sie die in Abschnitt 3.2 aufgeführten Voraussetzungen erfüllen. Aufgrund der in Abschnitt 3.2.3 genannten Faktoren werden Vereinbarungen, die von in der Online-Plattformwirtschaft tätigen Unternehmen, geschlossen werden, diese Voraussetzungen in der Regel nicht erfüllen.

(64)

Erfüllt eine vertikale Vereinbarung eines in der Online-Plattformwirtschaft tätigen Unternehmens nicht die Voraussetzungen für eine Einstufung als Handelsvertretervertrag, der nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt, so ist zu prüfen, ob sich die Vereinbarung auf die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten bezieht. In Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe e der Verordnung (EU) 2022/720 werden Online-Vermittlungsdienste als Dienste der Informationsgesellschaft (56) definiert, die es Unternehmen ermöglichen, anderen Unternehmen oder Endverbrauchern Waren oder Dienstleistungen anzubieten, indem sie die Einleitung direkter Transaktionen zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und Endverbrauchern vermitteln, und zwar unabhängig davon, ob bzw. wo die Transaktionen letztlich abgeschlossen werden (57). Beispiele für Online-Vermittlungsdienste sind Online-Marktplätze, Stores für Software-Anwendungen, Preisvergleichsinstrumente und Social-Media-Dienste, die von Unternehmen genutzt werden.

(65)

Um als Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten zu gelten, muss ein Unternehmen die Einleitung direkter Transaktionen zwischen zwei anderen beteiligten Unternehmen vermitteln. Grundsätzlich müssen die von einem Unternehmen wahrgenommenen Funktionen für jede von dem betreffenden Unternehmen geschlossene vertikale Vereinbarung einzeln geprüft werden, da in der Online-Plattformwirtschaft tätige Unternehmen häufig in unterschiedlichen Branchen oder sogar innerhalb einer Branche unterschiedliche Geschäftsmodelle einsetzen. So können solche Unternehmen nicht nur Online-Vermittlungsdienste anbieten, sondern darüber hinaus auch Waren oder Dienstleistungen beziehen und weiterverkaufen, wobei sie in einigen Fällen beide Funktionen gegenüber einer einzigen Gegenpartei wahrnehmen.

(66)

Der Umstand, dass ein Unternehmen Zahlungen für von ihm vermittelte Transaktionen einzieht oder zusätzlich zu seinen Vermittlungsdiensten Nebenleistungen wie Werbedienstleistungen, Rating-Dienstleistungen, Versicherungen oder Garantien für Schadensfälle anbietet, schließt nicht aus, dass das Unternehmen als Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten eingestuft wird (58).

(67)

Für die Anwendung der Verordnung (EU) 2022/720 werden an vertikalen Vereinbarungen beteiligte Unternehmen entweder als Anbieter oder als Abnehmer eingestuft. Nach Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung wird ein Unternehmen, das Online-Vermittlungsdienste im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe e der Verordnung erbringt, im Hinblick auf diese Dienstleistungen als Anbieter eingestuft, und ein Unternehmen, das Waren oder Dienstleistungen unter Nutzung von Online-Vermittlungsdiensten anbietet oder verkauft, wird in Bezug auf diese Online-Vermittlungsdienste als Abnehmer eingestuft, unabhängig davon, ob es für die Nutzung der Online-Vermittlungsdienste etwas bezahlt (59). Für die Anwendung der Verordnung (EU) 2022/720 hat dies folgende Konsequenzen:

a)

Das Unternehmen, das die Online-Vermittlungsdienste erbringt, kann in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen, die von Dritten über die betreffenden Online-Vermittlungsdienste angeboten werden, nicht als Abnehmer im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe k der Verordnung eingestuft werden.

b)

Für die Anwendung der in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung festgelegten Marktanteilsschwellen wird der Marktanteil des Unternehmens, das die Online-Vermittlungsdienste erbringt, auf dem für die Erbringung dieser Dienste relevanten Markt berechnet. Der Umfang des relevanten Marktes hängt von den Umständen des jeweiligen Falles ab, insbesondere vom Grad der Substituierbarkeit zwischen Online- und Offline-Vermittlungsdiensten, zwischen Vermittlungsdiensten, die für verschiedene Kategorien von Waren oder Dienstleistungen genutzt werden, sowie zwischen Vermittlungsdiensten und direkten Vertriebskanälen.

c)

Beschränkungen, die das Unternehmen, das die Online-Vermittlungsdienste erbringt, den Abnehmern dieser Dienste hinsichtlich eines möglichen Verkaufs der vermittelten Waren oder Dienstleistungen in Bezug auf den Verkaufspreis, die Gebiete oder die Kunden auferlegt und die auch Beschränkungen in Bezug auf Online-Werbung oder Online-Verkauf einschließen, unterliegen den Bestimmungen des Artikels 4 der Verordnung (Kernbeschränkungen). Nach Artikel 4 Buchstabe a der Verordnung gilt beispielsweise die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung vorgesehene Freistellung nicht für Vereinbarungen, in denen der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten einen Fest- oder Mindestverkaufspreis für die von ihm vermittelte Transaktion vorschreibt.

d)

Nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung gilt die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung vorgesehene Freistellung nicht für plattformübergreifende Einzelhandel-Paritätsverpflichtungen, die den Abnehmern dieser Dienste durch das die Online-Vermittlungsdienste erbringende Unternehmen auferlegt werden.

e)

Nach Artikel 2 Absatz 6 der Verordnung gilt die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung vorgesehene Freistellung nicht für Vereinbarungen in Bezug auf die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten, bei denen der Anbieter der Dienste ein Wettbewerber auf dem relevanten Markt für den Verkauf der vermittelten Waren oder Dienstleistungen ist (Hybridstellung). Wie in Abschnitt 4.4.4 dargelegt, müssen Vereinbarungen dieser Art im Hinblick auf mögliche Kollusionseffekte im Rahmen der Horizontalleitlinien und im Hinblick auf vertikale Beschränkungen im Rahmen von Abschnitt 8 dieser Leitlinien geprüft werden.

(68)

Unternehmen, die in der Online-Plattformwirtschaft tätig sind und keine Online-Vermittlungsdienste im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe e der Verordnung (EU) 2022/720 erbringen, können für die Zwecke der Anwendung der Verordnung entweder als Anbieter oder als Abnehmer eingestuft werden. Diese Unternehmen können beispielsweise als Anbieter vorgelagerter Input-Dienstleistungen oder nachgelagert als (Wieder-)Verkäufer von Waren oder Dienstleistungen eingestuft werden. Diese Einstufung kann sich für die Zwecke der Anwendung der in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung festgelegten Marktanteilsschwellen, die Anwendbarkeit des Artikels 4 der Verordnung (Kernbeschränkungen) und die Anwendbarkeit des Artikels 5 der Verordnung (nicht freigestellte Beschränkungen) insbesondere auf die Definition des relevanten Marktes auswirken.

4.4.   Grenzen des Anwendungsbereichs der Verordnung (EU) 2022/720

4.4.1.   Vereinigungen von Einzelhändlern

(69)

Nach Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2022/720 können vertikale Vereinbarungen von Unternehmensvereinigungen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, in den Safe Harbour fallen, womit alle übrigen vertikalen Vereinbarungen von anderen Unternehmensvereinigungen von dem Safe Harbour ausgeschlossen sind. Genauer gesagt, fallen vertikale Vereinbarungen zwischen einer Unternehmensvereinigung und einzelnen Mitgliedern oder zwischen einer solchen Vereinigung und einzelnen Anbietern nur dann unter die Verordnung (EU) 2022/720, wenn alle Mitglieder der Vereinigung Einzelhändler sind, die Waren (nicht Dienstleistungen) an sonstige Endverbraucher verkaufen, und kein Mitglied mehr als 50 Mio. EUR Umsatz erzielt (60). Die kartellrechtliche Würdigung nach Artikel 101 AEUV wird jedoch in der Regel nicht anders ausfallen, wenn der Umsatz einer begrenzten Anzahl von Mitgliedern einer solchen Unternehmensvereinigung über der genannten Umsatzschwelle von 50 Mio. EUR liegt und wenn auf diese Mitglieder insgesamt weniger als 15 % des Gesamtumsatzes aller Mitglieder der Vereinigung entfällt.

(70)

Unternehmensvereinigungen können sowohl horizontale als auch vertikale Vereinbarungen schließen. Horizontale Vereinbarungen sind nach den Grundsätzen der Horizontalleitlinien zu prüfen. Ergibt diese Prüfung, dass eine Zusammenarbeit zwischen Unternehmen im Bereich des Einkaufs oder Verkaufs insbesondere aus dem Grund keinen Anlass zu Bedenken gibt, da sie die Voraussetzungen erfüllt, die in den genannten Leitlinien für Einkaufs- und/oder Vermarktungsvereinbarungen festgelegt sind, dann sind weiterhin die vertikalen Vereinbarungen zwischen der Vereinigung und einzelnen Anbietern oder einzelnen Mitgliedern zu untersuchen. Diese weitere Prüfung hat nach den Regeln der Verordnung (EU) 2022/720 zu erfolgen, insbesondere nach den Bedingungen, die in den Artikeln 3, 4 und 5 der genannten Verordnung und in diesen Leitlinien festgelegt sind. So sind horizontale Vereinbarungen, die zwischen den Mitgliedern einer Vereinigung geschlossen wurden, oder Entscheidungen der Vereinigung, wie z. B. jene, die Mitglieder zum Einkauf bei der Vereinigung verpflichten oder mit denen den Mitgliedern Gebiete mit Ausschließlichkeitsbindung zugewiesen werden, zunächst als horizontale Vereinbarungen zu würdigen. Nur wenn diese Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass eine horizontale Vereinbarung oder Entscheidung nicht wettbewerbswidrig ist, wird es notwendig, die vertikalen Vereinbarungen zwischen der Vereinigung und einzelnen Mitgliedern oder zwischen der Vereinigung und einzelnen Anbietern zu untersuchen.

4.4.2.   Vertikale Vereinbarungen mit Bestimmungen zu Rechten des geistigen Eigentums

(71)

Nach Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2022/720 kann für vertikale Vereinbarungen, die Bestimmungen bezüglich der Übertragung oder Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums enthalten, unter bestimmten Voraussetzungen die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung vorgesehene Freistellung gelten. Dementsprechend gilt die Verordnung (EU) 2022/720 nicht für andere vertikale Vereinbarungen, die Bestimmungen zu Rechten des geistigen Eigentums enthalten.

(72)

Die Verordnung (EU) 2022/720 gilt für vertikale Vereinbarungen mit Bestimmungen zu Rechten des geistigen Eigentums, wenn alle nachstehend genannten Bedingungen erfüllt sind:

a)

Die Bestimmungen zu Rechten des geistigen Eigentums müssen Bestandteil einer vertikalen Vereinbarung sein, also einer Vereinbarung, die die Voraussetzungen enthält, unter denen die Vertragsparteien bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen.

b)

Die Rechte des geistigen Eigentums müssen dem Abnehmer übertragen werden oder es muss ihm eine Lizenz zu deren Nutzung erteilt werden.

c)

Die Bestimmungen zu Rechten des geistigen Eigentums dürfen nicht den Hauptgegenstand der Vereinbarung bilden.

d)

Die Bestimmungen zu Rechten des geistigen Eigentums müssen unmittelbar die Nutzung, den Verkauf oder den Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen durch den Abnehmer oder dessen Kunden betreffen. Bei Franchiseverträgen, bei denen der Zweck der Nutzung der Rechte des geistigen Eigentums in der Vermarktung liegt, werden die Waren oder Dienstleistungen vom Hauptfranchisenehmer bzw. von den Franchisenehmern angeboten.

e)

Die Bestimmungen zu Rechten des geistigen Eigentums dürfen im Verhältnis zu den Vertragswaren oder -dienstleistungen keine Wettbewerbsbeschränkungen enthalten, die denselben Zweck wie vertikale Beschränkungen haben, die nicht durch die Verordnung (EU) 2022/720 freigestellt sind.

(73)

Durch solche Bedingungen ist sichergestellt, dass die Verordnung (EU) 2022/720 nur für vertikale Vereinbarungen gilt, mit denen sich die Nutzung, der Verkauf oder der Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen durch die Übertragung oder Lizenzierung von Rechten des geistigen Eigentums für den Abnehmer effizienter gestalten lässt. Beschränkungen hinsichtlich der Übertragung oder Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums können somit unter die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung vorgesehene Freistellung fallen, wenn die betreffende Vereinbarung den Bezug oder den Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen zum Hauptgegenstand hat.

(74)

Die erste, in Randnummer (72) Buchstabe a aufgeführte Voraussetzung stellt klar, dass die fraglichen Rechte des geistigen Eigentums im Rahmen einer Vereinbarung über den Bezug oder Vertrieb von Waren bzw. den Bezug oder die Erbringung von Dienstleistungen gewährt werden müssen, nicht jedoch im Rahmen einer Vereinbarung über die Übertragung oder Lizenzierung von Rechten des geistigen Eigentums für die Herstellung von Waren oder im Rahmen einer reinen Lizenzvereinbarung. Die Verordnung (EU) 2022/720 gilt beispielsweise nicht für:

a)

Vereinbarungen, in denen ein beteiligtes Unternehmen einem anderen ein Rezept überlässt und eine Lizenz für die Herstellung eines Getränks anhand dieses Rezepts erteilt,

b)

reine Lizenzverträge für die Nutzung einer Marke oder eines Zeichens zu Merchandising-Zwecken,

c)

Sponsorenverträge über das Recht, sich selbst als offiziellen Sponsor einer Veranstaltung zu nennen,

d)

Urheberrechtslizenzen im Rundfunkbereich im Zusammenhang mit dem Recht, Veranstaltungen aufzunehmen oder zu übertragen.

(75)

Aus der zweiten, in Randnummer (72) Buchstabe b dargelegten Voraussetzung folgt, dass die Verordnung (EU) 2022/720 nicht gilt, wenn der Abnehmer dem Anbieter die Rechte des geistigen Eigentums überlässt, und zwar unabhängig davon, ob die Rechte die Art der Herstellung oder des Vertriebs betreffen. Vereinbarungen über die Übertragung von Rechten des geistigen Eigentums auf den Anbieter, die gegebenenfalls Einschränkungen im Hinblick auf den Absatz des Anbieters enthalten, fallen nicht unter die Verordnung (EU) 2022/720. Das bedeutet, dass die Vergabe von Unteraufträgen, die mit der Übertragung von Know-how an einen Unterauftragnehmer verbunden sind, nicht unter die Verordnung (EU) 2022/720 fallen (siehe auch Abschnitt 3.3). Dagegen fallen vertikale Vereinbarungen, bei denen der Abnehmer dem Anbieter lediglich Spezifikationen zur Verfügung stellt, mit denen die zu liefernden Waren oder Dienstleistungen beschrieben werden, unter die Verordnung (EU) 2022/720.

(76)

Die dritte, in Randnummer (72) Buchstabe c aufgeführte Voraussetzung schreibt vor, dass die Übertragung oder Lizenzierung von Rechten des geistigen Eigentums nicht Hauptgegenstand der Vereinbarung sein darf. Eigentlicher Gegenstand der Vereinbarung muss der Bezug, der Verkauf oder Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen sein, und etwaige Bestimmungen über Rechte des geistigen Eigentums dürfen lediglich der Durchführung der vertikalen Vereinbarung dienen.

(77)

Die in Randnummer (72) Buchstabe d aufgeführte vierte Voraussetzung erfordert, dass die Bestimmungen zu Rechten des geistigen Eigentums die Nutzung bzw. den Verkauf oder Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen für den Abnehmer oder dessen Kunden erleichtern. Die Waren oder Dienstleistungen für die Nutzung oder den Weiterverkauf werden üblicherweise vom Lizenzgeber geliefert, können aber auch vom Lizenznehmer bei einem dritten Anbieter gekauft werden. Die Bestimmungen zu Rechten des geistigen Eigentums betreffen im Allgemeinen die Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen. Das ist beispielsweise der Fall bei Franchisevereinbarungen, bei denen der Franchisegeber dem Franchisenehmer Waren zum Weiterverkauf verkauft und ihm für die Vermarktung der Waren eine Lizenz zur Nutzung seiner Marke und seines Know-hows erteilt. Dies trifft ebenfalls zu, wenn der Anbieter eines Konzentrats dem Abnehmer eine Lizenz zur Verdünnung des Konzentrats und zur Abfüllung der daraus hergestellten Flüssigkeit zum Verkauf als Getränk erteilt.

(78)

Die in Randnummer (72) Buchstabe e aufgeführte fünfte Voraussetzung erfordert, dass die Bestimmungen zu Rechten des geistigen Eigentums nicht denselben Zweck haben dürfen, wie die Kernbeschränkungen, die in Artikel 4 der Verordnung (EU) 2022/720 aufgeführt sind, bzw. wie die Beschränkungen, die nach Artikel 5 der Verordnung nicht freistellungsfähig sind (siehe Abschnitt 6).

(79)

Rechte des geistigen Eigentums, die für die Durchführung vertikaler Vereinbarungen im Sinne des Artikels 2 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2022/720 maßgeblich sind, betreffen hauptsächlich drei Bereiche: Marken, Urheberrechte und Know-how.

4.4.2.1.   Marken

(80)

Markenlizenzen werden Händlern u. a. für den Vertrieb von Produkten des Lizenzgebers in einem bestimmten Gebiet erteilt. Handelt es sich um eine ausschließliche Lizenz, so stellt der betreffende Vertrag eine Alleinvertriebsvereinbarung dar.

4.4.2.2.   Urheberrechte

(81)

Wiederverkäufer von Waren oder Dienstleistungen, für die ein Urheberrecht besteht (z. B. Bücher und Software), können vom Inhaber des Rechts dazu verpflichtet werden, nur unter der Voraussetzung weiterzuverkaufen, dass der Abnehmer – sei es ein anderer Wiederverkäufer oder der Endverbraucher – das Urheberrecht nicht verletzt. Soweit derartige Verpflichtungen für den Wiederverkäufer unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen, werden sie von der Verordnung (EU) 2022/720 erfasst.

(82)

Wie in Erwägungsgrund 62 der Leitlinien für Technologietransfers (61) erwähnt wird, fällt die Lizenzierung von Software-Urheberrechten für die reine Vervielfältigung und den reinen Vertrieb eines geschützten Werks nicht unter die Verordnung (EU) Nr. 316/2014 der Kommission (62); stattdessen gelten für sie die Verordnung (EU) 2022/720 und diese Leitlinien analog.

(83)

Des Weiteren sind Vereinbarungen über die Lieferung von Kopien einer Software auf einem physischen Träger zum Zweck des Weiterverkaufs, mit denen der Wiederverkäufer keine Lizenz für Rechte an der Software erwirbt, sondern lediglich das Recht, die Hartkopien weiterzuverkaufen, im Hinblick auf die Anwendung der Verordnung (EU) 2022/720 als Vereinbarungen über die Lieferung von Waren zum Weiterverkauf anzusehen. Bei dieser Art des Vertriebs wird die die Software betreffende Lizenzvereinbarung nur zwischen dem Inhaber der Urheberrechte und dem Nutzer der Software geschlossen. Dies kann in Form einer „Schutzhüllenlizenz“ (Shrink Wrap License) erfolgen, bei der davon ausgegangen wird, dass der Endverbraucher mit dem Öffnen der Verpackung eine Reihe von Bedingungen, die in der Verpackung eines physischen Datenträgers enthalten sind, automatisch akzeptiert.

(84)

Abnehmer von Hardware, die mit urheberrechtlich geschützter Software geliefert wird, können vom Urheberrechtsinhaber dazu verpflichtet werden, nicht gegen das Urheberrecht zu verstoßen, und daher die Software nicht zu kopieren oder weiterzuverkaufen oder in Verbindung mit einer anderen Hardware zu verwenden. Soweit derartige Nutzungsbeschränkungen unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen, werden sie von der Verordnung (EU) 2022/720 erfasst.

4.4.2.3.   Know-how

(85)

Ein Beispiel für die Weitergabe von Know-how an den Abnehmer zu Marketingzwecken sind – mit Ausnahme von Herstellungsfranchising – Franchisevereinbarungen (63). Sie enthalten Lizenzen zur Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums an Marken oder Zeichen und von Know-how zum Zwecke der Nutzung und des Vertriebs von Waren bzw. der Erbringung von Dienstleistungen. Neben der Lizenz für die Nutzung dieser Rechte des geistigen Eigentums gewährt der Franchisegeber dem Franchisenehmer in der Regel während der Laufzeit der Vereinbarung geschäftliche oder technische Unterstützung, z. B. in Form von Beschaffungsleistungen, Schulungsmaßnahmen, Immobilienberatung und Finanzplanung. Die Lizenz und die Unterstützung sind Bestandteile des Franchising-Geschäftskonzepts.

(86)

Lizenzbestimmungen in Franchisevereinbarungen fallen unter die Verordnung (EU) 2022/720, wenn alle fünf unter Randnummer (72) genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies trifft auf die meisten Franchisevereinbarungen (einschließlich Verträgen mit Hauptfranchisenehmern) zu, da der Franchisegeber dem Franchisenehmer Waren und/oder Dienstleistungen bereitstellt und insbesondere kommerzielle und technische Unterstützung gewährt. Die überlassenen Rechte des geistigen Eigentums helfen dem Franchisenehmer, die Produkte, die ihm entweder der Franchisegeber selbst oder ein von diesem beauftragtes Unternehmen liefert, weiterzuverkaufen oder zu nutzen und die daraus resultierenden Waren oder Dienstleistungen weiterzuverkaufen. Franchisevereinbarungen, die ausschließlich oder in erster Linie die Vergabe von Lizenzen für die Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums betreffen, fallen nicht unter die Verordnung (EU) 2022/720; die Kommission wird in der Regel aber auch auf diese Vereinbarungen die in der Verordnung (EU) 2022/720 und in diesen Leitlinien dargelegten Grundsätze anwenden.

(87)

Die folgenden Verpflichtungen des Franchisenehmers in Bezug auf Rechte des geistigen Eigentums werden grundsätzlich als zum Schutz des geistigen Eigentums des Franchisegebers notwendig angesehen und werden von der Verordnung (EU) 2022/720 erfasst, soweit sie unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen:

a)

die Verpflichtung des Franchisenehmers, weder unmittelbar noch mittelbar in einem ähnlichen Geschäftsbereich tätig zu werden,

b)

die Verpflichtung des Franchisenehmers, keine Anteile am Kapital eines Wettbewerbers zu erwerben, sofern dies dem Franchisenehmer ermöglichen würde, das geschäftliche Verhalten des betreffenden Unternehmens zu beeinflussen,

c)

die Verpflichtung des Franchisenehmers, das vom Franchisegeber mitgeteilte Know-how nicht an Dritte weiterzugeben, solange dieses Know-how nicht öffentlich zugänglich ist,

d)

die Verpflichtung, dem Franchisegeber alle bei der Nutzung der Franchise gewonnenen Erfahrungen mitzuteilen und ihm sowie anderen Franchisenehmern die nichtausschließliche Nutzung des auf diesen Erfahrungen beruhenden Know-hows zu gestatten,

e)

die Verpflichtung, dem Franchisegeber Verletzungen seiner Rechte des geistigen Eigentums mitzuteilen, für die er Lizenzen gewährt hat, gegen Rechtsverletzer selbst rechtliche Schritte einzuleiten oder den Franchisegeber in einem Rechtsstreit gegen Verletzer zu unterstützen,

f)

die Verpflichtung, das vom Franchisegeber mitgeteilte Know-how nicht für andere Zwecke als die Nutzung der Franchise zu verwenden,

g)

die Verpflichtung, Rechte und Pflichten aus der Franchisevereinbarung nur mit Erlaubnis des Franchisegebers auf Dritte zu übertragen.

4.4.3.   Vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern

(88)

Was vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern betrifft, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Artikel 2 Absatz 7 der Verordnung (EU) 2022/720, auf den in Abschnitt 4.5 genauer eingegangen wird, die Verordnung nicht für vertikale Vereinbarungen gilt, deren Gegenstand in den Anwendungsbereich einer anderen Gruppenfreistellungsverordnung fällt, es sei denn, in dieser anderen Verordnung ist etwas anderes bestimmt.

(89)

Artikel 2 Absatz 4 Satz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 enthält die allgemeine Regel, dass die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung nicht für vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern gilt.

(90)

Ein Wettbewerber ist nach der Definition in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung (EU) 2022/720 ein tatsächlicher oder potenzieller Wettbewerber. Zwei Unternehmen gelten als tatsächliche Wettbewerber, wenn sie auf demselben (sachlich und räumlich) relevanten Markt tätig sind. Ein Unternehmen gilt als potenzieller Wettbewerber eines anderen Unternehmens, wenn wahrscheinlich ist, dass es, sofern zwischen den Unternehmen keine vertikale Vereinbarung geschlossen wird, innerhalb kurzer Zeit (in der Regel binnen höchstens eines Jahres) die notwendigen Zusatzinvestitionen durchführen bzw. die notwendigen Kosten auf sich nehmen würde, um in den relevanten Markt, auf dem das andere Unternehmen tätig ist, einzutreten. Diese Einschätzung muss auf realistischen Annahmen beruhen und die Marktstruktur sowie das wirtschaftliche und rechtliche Umfeld berücksichtigen. Die rein theoretische Möglichkeit eines Marktzutritts reicht nicht aus. Es müssen reale und konkrete Möglichkeiten bestehen, dass das Unternehmen in den Markt eintreten kann und es dürfen keine unüberwindbare Hindernisse für den Markteintritt bestehen. Es ist hingegen nicht erforderlich, sicher nachzuweisen, dass das Unternehmen tatsächlich in den betreffenden Markt eintreten wird und dass es in der Lage sein wird, seinen Platz auf dem Markt zu behaupten (64).

(91)

Vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, die nicht unter die in Artikel 2 Absatz 4 Satz 2 der Verordnung (EU) 2022/720 genannten Ausnahmen fallen und zu denen in den Randnummern (93) bis (95) Orientierungshilfen enthalten sind, sind einer Einzelfallprüfung nach Artikel 101 AEUV zu unterziehen. Diese Leitlinien sind für die Beurteilung vertikaler Beschränkungen in solchen Vereinbarungen maßgeblich. Die Horizontalleitlinien können einschlägige Orientierungshilfen für die Beurteilung möglicher Kollusionseffekte bieten.

(92)

Ein Groß- oder Einzelhändler, der einem Hersteller für die Produktion von Waren zum Verkauf unter dem Markennamen dieses Groß- oder Einzelhändlers Spezifikationen zur Verfügung stellt, gilt für die Zwecke der Anwendung des Artikels 2 Absatz 4 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 nicht als Hersteller solcher Eigenmarkenwaren und folglich nicht als Wettbewerber des Herstellers. Daher kann die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung auf eine vertikale Vereinbarung zwischen einem Groß- oder Einzelhändler, der von einem Dritten (und nicht von ihm selbst) hergestellte Eigenmarkenwaren verkauft, und einem Hersteller konkurrierender Markenwaren Anwendung finden (65). Dagegen werden Groß- und Einzelhändler, die selbst Waren zum Verkauf unter ihrem eigenen Markennamen herstellen, als Hersteller betrachtet, sodass die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung nicht für vertikale Vereinbarungen gilt, die solche Groß- oder Einzelhändler mit Herstellern konkurrierender Markenwaren schließen.

(93)

Artikel 2 Absatz 4 Satz 2 der Verordnung (EU) 2022/720 enthält zwei Ausnahmen von der allgemeinen Regel, dass die Gruppenfreistellung nicht für Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern gilt. Insbesondere sieht Satz 2 des Artikels 2 Absatz 4 vor, dass die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung vorgesehene Freistellung auf nicht wechselseitige vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, die die Voraussetzungen nach Artikel 2 Absatz 4 Buchstabe a oder Buchstabe b der Verordnung erfüllen, Anwendung findet. Unter „nicht wechselseitig“ ist insbesondere zu verstehen, dass der Abnehmer der Vertragswaren oder -dienstleistungen dem Anbieter keine konkurrierenden Waren oder Dienstleistungen liefert.

(94)

Beide Ausnahmen nach Artikel 2 Absatz 4 Satz 2 der Verordnung (EU) 2022/720 betreffen Szenarios des zweigleisigen Vertriebs, also Szenarios, in denen ein Anbieter von Waren oder Dienstleistungen auch auf der nachgelagerten Stufe tätig ist und damit mit seinen unabhängigen Händlern im Wettbewerb steht. Artikel 2 Absatz 4 Buchstabe a der Verordnung betrifft ein Szenario, bei dem der Anbieter die Vertragswaren auf mehreren Handelsstufen verkauft, nämlich auf der vorgelagerten Stufe als Hersteller, Importeur oder Großhändler und auf der nachgelagerten Stufe als Importeur, Groß- oder Einzelhändler, während der Abnehmer die Vertragswaren auf der nachgelagerten Stufe als Importeur, Groß- oder Einzelhändler verkauft und auf der vorgelagerten Stufe, auf der er die Vertragswaren bezieht, kein Wettbewerber ist. Artikel 2 Absatz 4 Buchstabe b der Verordnung betrifft ein Szenario, bei dem der Anbieter Dienstleistungen erbringt und auf mehreren Handelsstufen tätig ist, während der Abnehmer Dienstleistungen auf Einzelhandelsstufe erbringt und auf der Handelsstufe, auf der er die Vertragsdienstleistungen bezieht, kein Wettbewerber ist.

(95)

Der Sinn und Zweck für die Ausnahmen nach Artikel 2 Absatz 4 Buchstaben a und b der Verordnung (EU) 2022/720 besteht darin, dass in einem Szenario des zweigleisiger Vertriebs die potenziellen negativen Auswirkungen der vertikalen Vereinbarung auf die Wettbewerbsbeziehungen zwischen dem Anbieter und dem Abnehmer auf der nachgelagerten Stufe als weniger bedeutend angesehen werden als die potenziellen positiven Auswirkungen der vertikalen Vereinbarung auf den Wettbewerb im Allgemeinen auf der vor- oder nachgelagerten Stufe. Da Artikel 2 Absatz 4 Buchstaben a und b Ausnahmen zu der allgemeinen Regel enthält, dass die Verordnung (EU) 2022/720 nicht für Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern gilt, sind diese Ausnahmen eng auszulegen.

(96)

Sind die Voraussetzungen nach Artikel 2 Absatz 4 Buchstabe a oder b der Verordnung (EU) 2022/720 erfüllt, so gilt die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung für alle Aspekte der betreffenden vertikalen Vereinbarung, wobei dies generell auch den Informationsaustausch zwischen den beteiligten Unternehmen bezüglich der Umsetzung der Vereinbarung einschließt (66). Informationsaustausch kann zu den wettbewerbsfördernden Auswirkungen vertikaler Vereinbarungen beitragen, einschließlich der Optimierung der Produktions- und Vertriebsprozesse. Dies gilt auch in Szenarios des zweigleisigen Vertriebs. Allerdings ist nicht jeder Informationsaustausch zwischen einem Anbieter und einem Abnehmer in einem Szenario mit zweigleisigem Vertrieb effizienzsteigernd. Aus diesem Grund sieht Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung (EU) 2022/720 vor, dass die Ausnahmen nach Artikel 2 Absatz 4 Buchstaben a und b nicht für den Informationsaustausch zwischen Anbietern und Abnehmern gelten, der entweder nicht direkt die Umsetzung der vertikalen Vereinbarung betrifft oder nicht zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragswaren oder -dienstleistungen erforderlich ist oder keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt. Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung und die Orientierungshilfen in den Randnummern (96) bis (103) betreffen nur den Informationsaustausch in einem Szenario des zweigleisigen Vertriebs, also den zwischen den an einer vertikalen Vereinbarung beteiligten Unternehmen stattfindenden Informationsaustausch, der die Voraussetzungen des Artikels 2 Absatz 4 Buchstabe a oder b der Verordnung erfüllt.

(97)

Für die Zwecke der Anwendung des Artikels 2 Absatz 5 der Verordnung und dieser Leitlinien umfasst der Informationsaustausch jede Mitteilung von Informationen durch ein an der vertikalen Vereinbarung beteiligtes Unternehmen an das andere, unabhängig von den Merkmalen des Austauschs, beispielsweise unabhängig davon, ob die Informationen von nur einem beteiligten Unternehmen oder von beiden beteiligten Unternehmen mitgeteilt werden oder ob die Informationen schriftlich oder mündlich ausgetauscht werden. Unerheblich ist auch, ob Form und Inhalt des Informationsaustausches in der vertikalen Vereinbarung ausdrücklich vereinbart wurden oder ob dieser informell stattfindet und beispielsweise ein an der vertikalen Vereinbarung beteiligtes Unternehmen Informationen übermittelt, ohne dass das andere beteiligte Unternehmen diese angefordert hat.

(98)

Ob ein Informationsaustausch in einem Szenario des zweigleisigen Vertriebs einen direkten Bezug zur Umsetzung der vertikalen Vereinbarung hat und zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragswaren oder -dienstleistungen im Sinne des Artikels 2 Absatz 5 der Verordnung (EU) 2022/720 erforderlich ist, kann vom jeweiligen Vertriebsmodell abhängen. So kann es beispielsweise im Rahmen einer Alleinvertriebsvereinbarung erforderlich sein, dass die beteiligten Unternehmen Informationen über Verkaufstätigkeiten in bestimmten Gebieten oder bei bestimmten Kundengruppen austauschen. Im Rahmen einer Franchisevereinbarung kann es erforderlich sein, dass Franchisegeber und Franchisenehmer Informationen über die Anwendung eines einheitlichen Geschäftsmodells im Franchisenetz austauschen (67). In einem selektiven Vertriebssystem kann es erforderlich sein, dass der Händler dem Anbieter Informationen bezüglich der Einhaltung der Auswahlkriterien und der Beschränkungen des Verkaufs an nicht zugelassene Händler zugänglich macht.

(99)

Die nachfolgende Liste enthält eine nicht abschließende Aufzählung von Beispielen für Informationen, die – abhängig von den jeweiligen Umständen – einen direkten Bezug zur Umsetzung der vertikalen Vereinbarung haben und zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragswaren oder -dienstleistungen erforderlich sein können (68):

a)

Technische Informationen im Zusammenhang mit den Vertragswaren oder -dienstleistungen, wie Informationen über die Registrierung, Zertifizierung, Handhabung Verwendung, Wartung, Instandsetzung, Modernisierung oder das Recycling der Vertragswaren oder -dienstleistungen, insbesondere wenn diese Informationen zur Einhaltung von Regulierungsmaßnahmen erforderlich sind, sowie Informationen, die es dem Anbieter oder Abnehmer ermöglichen, die Vertragswaren oder -dienstleistungen an die Anforderungen des Auftraggebers anzupassen,

b)

Logistische Informationen über die Produktion und den Vertrieb der Vertragswaren oder -dienstleistungen auf der vor- oder nachgelagerten Stufe, einschließlich Informationen in Bezug auf Produktionsprozesse, Inventar und Lagerbestände und, vorbehaltlich der Randnummer (100) Buchstabe b, über Verkaufsmengen und Rücksendungen,

c)

Vorbehaltlich der Randnummer (100) Buchstabe b Informationen über Kundenkäufe der Vertragswaren oder -dienstleistungen sowie Präferenzen und Rückmeldungen der Kunden, sofern der Austausch solcher Informationen nicht zur Beschränkung des Gebiets oder der Kunden, in das bzw. an die der Abnehmer die Vertragswaren oder -dienstleistungen im Sinne des Artikels 4 Buchstabe b, c oder d der Verordnung (EU) 2022/720 verkaufen darf, genutzt wird,

d)

Informationen über die Preise, zu denen der Anbieter die Vertragswaren oder -dienstleistungen an den Abnehmer verkauft,

e)

Vorbehaltlich Randnummer (100) Buchstabe a Informationen über die Weiterverkaufspreisempfehlungen oder Höchstweiterverkaufspreise des Anbieters für die Vertragswaren oder -dienstleistungen sowie Informationen über die Preise, zu denen der Abnehmer die Waren oder Dienstleistungen weiterverkauft, sofern dieser Informationsaustusch nicht zur Beschränkung der Möglichkeit des Abnehmers zur Festlegung seines Verkaufspreise oder zur Durchsetzung eines Fest- oder Mindestverkaufspreises im Sinne des Artikels 4 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 genutzt wird (69),

f)

Vorbehaltlich Randnummer (100) sowie Buchstabe e dieser Randnummer Informationen über die Vermarktung der Vertragswaren oder -dienstleistungen, einschließlich Informationen über Werbekampagnen und Informationen über neue Waren oder Dienstleistungen, die im Rahmen der vertikalen Vereinbarung geliefert werden sollen,

g)

Leistungsbezogene Informationen einschließlich zusammengefasster Informationen, die der Anbieter dem Abnehmer in Bezug auf die Vermarktungs- und Verkaufstätigkeiten anderer Abnehmer der Vertragswaren oder -dienstleistungen mitteilt, sofern dies den Abnehmer nicht in die Lage versetzt, die Tätigkeiten bestimmter konkurrierender Abnehmer zu ermitteln, sowie Informationen über die Menge oder den Wert der Verkäufe der Vertragswaren oder -dienstleistungen durch den Abnehmer im Verhältnis zu seinen Verkäufen konkurrierender Waren oder Dienstleistungen.

(100)

Die nachstehenden Beispiele betreffen Informationen, bei denen es dann, wenn sie in einem Szenario des zweigleisigen Vertriebs zwischen einem Anbieter und einem Abnehmer ausgetauscht werden, in der Regel unwahrscheinlich ist, dass die zwei in Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind:

a)

Informationen über die künftigen Preise, zu denen der Anbieter oder Abnehmer die Vertragswaren oder -dienstleistungen nachgelagert zu verkaufen beabsichtigt,

b)

Informationen über identifizierte Endverbraucher der Vertragswaren oder -dienstleistungen, es sei denn, der Austausch dieser Informationen ist erforderlich,

1.

um den Anbieter oder Abnehmer in die Lage zu versetzen, die Anforderungen eines bestimmten Endverbrauchers zu erfüllen, beispielsweise die Vertragswaren oder -dienstleistungen an die besonderen Bedingungen des Endverbrauchers anzupassen, dem Endverbraucher Sonderkonditionen zu gewähren, u. a. im Rahmen einer Regelung zur Kundenbindung, oder um Kundenberatungsdienste vor dem Kauf und Kundendienstleistungen nach dem Kauf zu erbringen, was auch Garantiedienstleistungen einschließt,

2.

um eine selektive Vertriebsvereinbarung bzw. eine Alleinvertriebsvereinbarung, in deren Rahmen einem Anbieter oder Abnehmer bestimmte Endverbraucher zugewiesen werden, umzusetzen oder deren Einhaltung verfolgen.

c)

Informationen über Waren, die ein Abnehmer unter seinem eigenen Markennamen verkauft, die zwischen dem Abnehmer und einem Hersteller konkurrierender Markenwaren ausgetauscht werden, es sei denn, der Hersteller ist auch der Hersteller der betroffenen Eigenmarkenwaren.

(101)

Die unter den Randnummern (99) und (100) aufgeführten Beispiele sollen Unternehmen bei ihrer Selbsteinschätzung unterstützen. Die Aufnahme einer bestimmten Art von Informationen in Randnummer (99) bedeutet jedoch nicht, dass beim Austausch von Informationen dieser Art die beiden in Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung (EU) 2022/720 aufgeführten Voraussetzungen in jedem Fall erfüllt sind. Ebenso lässt sich aus der Aufnahme einer bestimmten Art von Informationen in Randnummer (100) nicht schließen, dass der Austausch dieser Art von Informationen diese beiden Voraussetzungen nie erfüllen wird. Unternehmen müssen daher die Voraussetzungen des Artikels 2 Absatz 5 der Verordnung auf die besonderen Sachverhalte ihrer jeweiligen vertikalen Vereinbarung anwenden.

(102)

Tauschen die an einer die Voraussetzungen des Artikels 2 Absatz 4 Buchstabe a oder b der Verordnung (EU) 2022/720 erfüllenden vertikalen Vereinbarung beteiligten Unternehmen Informationen aus, die entweder nicht die Umsetzung ihrer vertikalen Vereinbarung direkt betreffen, nicht zu Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragswaren oder -dienstleistungen erforderlich sind, oder keine der beiden Voraussetzungen erfüllen, ist der Informationsaustausch einer Einzelfallprüfung nach Artikel 101 AEUV zu unterziehen. Ein solcher Austausch verstößt nicht zwingend gegen Artikel 101 AEUV. Darüber hinaus können die sonstigen Bestimmungen der vertikalen Vereinbarung unter der Voraussetzung, dass die Vereinbarung ansonsten den in der Verordnung aufgeführten Voraussetzungen entspricht, weiterhin von der Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung profitieren.

(103)

Schließen Wettbewerber eine vertikale Vereinbarung und nehmen an einem Informationsaustausch teil, der nicht unter die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (70) vorgesehene Freistellung fällt, können sie Vorkehrungen zur Minimierung des Risikos treffen, dass der Informationsaustausch Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken gibt (71). So können sie beispielsweise nur Informationen in aggregierter Form austauschen oder eine angemessene Verzögerung zwischen der Erzeugung der Informationen und ihrem Austausch gewährleisten. Ferner können sie technische oder administrative Maßnahmen wie Firewalls einsetzen, um sicherzustellen, dass die vom Abnehmer übermittelten Informationen nur dem für die vorgelagerten Tätigkeiten des Anbieters verantwortlichen Personal zugänglich sind und nicht dem Personal, das für die nachgelagerten Direktvertriebstätigkeiten des Anbieters verantwortlich ist. Das Treffen solcher Vorkehrungen kann jedoch nicht dazu führen, dass ein Informationsaustausch unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fällt, der ansonsten nicht unter diese Freistellung fallen würde.

4.4.4.   Vertikale Vereinbarungen mit Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten, die eine Hybridstellung innehaben

(104)

Nach Artikel 2 Absatz 6 der Verordnung (EU) 2022/720 gelten die in Artikel 2 Absatz 4 Buchstaben a und b der Verordnung aufgeführten Ausnahmen für den zweigleisigen Vertrieb nicht für vertikale Vereinbarungen, die die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten betreffen, wenn der Anbieter der Online-Vermittlungsdienste eine Hybridstellung innehat, d. h. dass er auch Wettbewerber auf dem relevanten Markt für den Verkauf der vermittelten Waren oder Dienstleistungen ist (72). Artikel 2 Absatz 6 der Verordnung (EU) 2022/720 gilt für vertikale Vereinbarungen, die die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten „betreffen“, ungeachtet dessen, ob die Vereinbarung die Erbringung dieser Dienste für ein an der Vereinbarung beteiligtes Unternehmen oder für Dritte betrifft.

(105)

Vertikale Vereinbarungen in Bezug auf die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten, die zwischen Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten geschlossen werden, die eine solche Hybridstellung innehaben, entsprechen nicht Sinn und Zweck betreffend die in Artikel 2 Absatz 4 Buchstaben a und b der Verordnung (EU) 2022/720 dargelegten Ausnahmen für den zweigleisigen Vertrieb. Diese Anbieter können einen Anreiz haben, ihren eigenen Absatz zu begünstigen, und in der Lage sein, das Ergebnis des Wettbewerbs zwischen Unternehmen, die ihre Online-Vermittlungsdienste nutzen, zu beeinflussen. Solche vertikalen Vereinbarungen können daher generell Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken auf den relevanten Märkten für den Verkauf der vermittelten Waren oder Dienstleistungen geben.

(106)

Artikel 2 Absatz 6 der Verordnung (EU) 2022/720 gilt für vertikale Vereinbarungen in Bezug auf die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten, bei denen der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten ein tatsächlicher oder potenzieller Wettbewerber auf dem relevanten Markt für den Verkauf der vermittelten Waren oder Dienstleistungen ist. Insbesondere muss es wahrscheinlich sein, dass der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten innerhalb kurzer Zeit (in der Regel nicht länger als ein Jahr) die zusätzlichen Investitionen tätigen oder andere Kosten auf sich nehmen würde, die erforderlich wären, um in den relevanten Markt für den Verkauf der vermittelten Waren oder Dienstleistungen einzutreten (73).

(107)

Vereinbarungen in Bezug auf die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten, die nach Artikel 2 Absatz 6 der Verordnung (EU) 2022/720 nicht unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung fallen, sind nach Artikel 101 AEUV einzeln zu prüfen. Solche Vereinbarungen beschränken nicht zwingend den Wettbewerb im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV; auch erfüllen sie möglicherweise die Voraussetzungen für eine Einzelfreistellung nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV. Halten die beteiligten Unternehmen geringe Anteile an dem relevanten Markt für die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten und dem relevanten Markt für den Verkauf der vermittelten Waren oder Dienstleistungen, kann die De-minimis-Bekanntmachung gelten (74). Die Horizontalleitlinien können einschlägige Orientierungshilfen für die Beurteilung möglicher Kollusionseffekte bieten. Diese Leitlinien können auch Orientierungshilfen für die Beurteilung vertikaler Beschränkungen bieten.

(108)

Liegen keine bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen vor, sind spürbare wettbewerbswidrige Auswirkungen unwahrscheinlich, wenn der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten auf dem relevanten Markt für Online-Vermittlungsdienste keine Marktmacht besitzt, weil er beispielsweise erst kürzlich in den Markt eingetreten ist (Start-up-Phase). In der Plattformwirtschaft können die von einem Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten erwirtschafteten Einnahmen (z. B. Provisionen) nur ein erster Näherungswert für das Ausmaß seiner Marktmacht sein, und es kann darüber hinaus erforderlich sein, alternative Parameter wie die Zahl der vom Anbieter vermittelten Transaktionen, die Zahl der Nutzer der Online-Vermittlungsdienste (Verkäufer und/oder Käufer) und den Umfang, in dem diese Nutzer die Dienste anderer Anbieter nutzen, zu berücksichtigen. Auch ist es unwahrscheinlich, dass ein Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten Marktmacht besitzt, wenn er nicht von spürbaren unmittelbaren oder mittelbaren Netzwerkeffekten profitiert.

(109)

Wenn keine bezweckten Beschränkungen oder signifikante Marktmacht vorliegen, ist es unwahrscheinlich, dass die Kommission Durchsetzungsmaßnahmen in Bezug auf vertikale Vereinbarungen, die die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten betreffen, Vorrang einräumen wird, wenn der Anbieter eine Hybridstellung innehat. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn ein Anbieter in einem zweigleisigen Vertriebsszenario den Abnehmern seiner Waren oder Dienstleistungen gestattet, seine Website für den Vertrieb der Waren oder Dienstleistungen zu nutzen, aber nicht zulässt, dass die Website dazu verwendet wird, konkurrierende Waren- oder Dienstleistungsmarken anzubieten, und wenn er nicht anderweitig auf dem für die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten für die betreffenden Waren oder Dienstleistungen relevanten Markt tätig ist.

4.5.   Verhältnis zu anderen Gruppenfreistellungsverordnungen

(110)

Wie in den Abschnitten 4.1 und 4.2 erläutert, gilt die Verordnung (EU) 2022/720 für vertikale Vereinbarungen. Diese sind ausschließlich nach der Verordnung (EU) 2022/720 und diesen Leitlinien zu prüfen, sofern in den vorliegenden Leitlinien nichts anderes bestimmt ist. Solche Vereinbarungen können in den durch die Verordnung (EU) 2022/720 geschaffenen Safe Harbour fallen.

(111)

Nach Artikel 2 Absatz 7 der Verordnung (EU) 2022/720 gilt die Verordnung nicht für vertikale Vereinbarungen, deren Gegenstand in den Anwendungsbereich einer anderen Gruppenfreistellungsverordnung fällt, es sei denn, in einer solchen Verordnung ist etwas anderes bestimmt. Es ist daher wichtig, von vornherein zu prüfen, ob eine vertikale Vereinbarung in den Anwendungsbereich einer anderen Gruppenfreistellungsverordnung fällt.

(112)

Die Verordnung (EU) 2022/720 gilt nicht für vertikale Vereinbarungen, die von den nachstehend genannten Gruppenfreistellungsverordnungen oder künftigen Gruppenfreistellungsverordnungen, die sich auf die in dieser Randnummer genannten Arten von Vereinbarungen beziehen, erfasst werden, es sei denn, in der betreffenden Verordnung ist etwas anderes bestimmt:

Verordnung (EU) Nr. 316/2014 der Kommission,

Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 der Kommission (75),

Verordnung (EU) Nr. 1218/2010 der Kommission (76).

(113)

Die Verordnung (EU) 2022/720 gilt nicht für die in den Horizontalleitlinien genannten Arten von Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, es sei denn, in den Horizontalleitlinien ist etwas anderes bestimmt.

(114)

Die Verordnung (EU) 2022/720 gilt für vertikale Vereinbarungen, die den Bezug, Verkauf oder Weiterverkauf von Ersatzteilen für Kraftfahrzeuge und die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Kraftfahrzeuge betreffen. Solche Vereinbarungen profitierten nur dann von dem durch die Verordnung (EU) 2022/720 geschaffenen Safe Harbour, wenn sie neben den in der Verordnung (EU) 2022/720 vorgesehenen Voraussetzungen auch die Voraussetzungen erfüllen, die in der Verordnung (EU) Nr. 461/2010 der Kommission (77) und den zugehörigen Leitlinien festgelegt sind.

4.6.   Spezielle Arten von Vertriebssystemen

(115)

Einem Anbieter steht es frei, den Vertrieb seiner Waren oder Dienstleistungen nach eigenem Ermessen zu gestalten. Der Anbieter kann sich zum Beispiel für die vertikale Integration entscheiden, und zwar, dass er seine Waren oder Dienstleistungen direkt an die Endverbraucher verkauft oder sie über seine vertikal integrierten Händler vertreibt, die verbundene Unternehmen im Sinne des Artikels 1 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2022/720 sind. Diese Art von Vertriebssystem betrifft ein einziges Unternehmen und fällt somit nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV.

(116)

Der Anbieter kann auch beschließen, auf unabhängige Händler zurückzugreifen. Zu diesem Zweck kann er ein oder mehrere Arten von Vertriebssystemen nutzen. Bestimmte Arten von Vertriebssystemen, nämlich der selektive Vertrieb und der Alleinvertrieb, werden in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe g bzw. h der Verordnung (EU) 2022/720 definiert. In den Abschnitten 4.6.1 und 4.6.2 werden Erläuterungen zum Alleinvertrieb bzw. zum selektiven Vertrieb gegeben (78). Der Anbieter kann seine Waren und Dienstleistungen auch ohne Rückgriff auf selektiven Vertrieb oder Alleinvertrieb vertreiben. Diese anderen Vertriebsarten werden für die Zwecke der Anwendung der Verordnung als freier Vertrieb eingestuft (79).

4.6.1.   Alleinvertriebssysteme

4.6.1.1.   Definition von Alleinvertriebssystemen

(117)

In einem Alleinvertriebssystem, wie es in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung (EU) 2022/720 definiert wird, weist der Anbieter ein Gebiet oder eine Kundengruppe einem Abnehmer oder einer begrenzten Anzahl von Abnehmern exklusiv zu, während er allen anderen Abnehmern in der Union Beschränkungen hinsichtlich des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Kundengruppen auferlegt, die er exklusiv zugewiesen hat (80).

(118)

Oft greifen Anbieter auf Alleinvertriebssysteme zurück, um Händlern Anreize zu bieten, die finanziellen und nichtfinanziellen Investitionen zu tätigen, die erforderlich sind, um ihre Marke in einem Gebiet zu entwickeln, in dem diese noch wenig bekannt ist, oder um ein neues Produkt in ein bestimmtes Gebiet oder an eine bestimmte Kundengruppe zu verkaufen oder auch um Händlern Anreize zu geben, den Schwerpunkt ihrer Verkaufs- und Werbetätigkeiten auf ein bestimmtes Produkt zu legen. Den Händlern kann der Schutz, der ihnen das Alleinvertriebssystem gewährt, die Möglichkeit bieten, sich ein bestimmtes Geschäftsvolumen und eine Marge zu sichern, der ihre Investitionsaufwendungen rechtfertigt.

4.6.1.2.   Anwendung des Artikels 101 AEUV auf Alleinvertriebssysteme

(119)

In einem Vertriebssystem, in dem der Anbieter ein Gebiet oder eine Kundengruppe ausschließlich einem oder mehreren Abnehmern zuweist, bestehen die möglichen Wettbewerbsrisiken hauptsächlich in einer Marktaufteilung, die Preisdiskriminierungen erleichtern kann, sowie in einem verringerten markeninternen Wettbewerb. Wenn die meisten oder alle der stärksten Anbieter auf einem Markt ein Alleinvertriebssystem betreiben, kann es auch leichter zu einer Abschwächung des Wettbewerbs zwischen den Marken und zu Kollusion kommen, und zwar sowohl auf Anbieter- als auch auf Händlerebene. Außerdem kann der Alleinvertrieb zum Ausschluss anderer Händler und somit zu einer Reduzierung des Markenwettbewerbs und des markeninternen Wettbewerbs auf der Vertriebsstufe führen.

(120)

Alleinvertriebsvereinbarungen können unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen, sofern der Marktanteil des Anbieters und des Abnehmers 30 % nicht übersteigt, die Vereinbarung keine Kernbeschränkungen im Sinne des Artikels 4 der Verordnung (EU) 2022/720 enthält und je exklusiv zugewiesenem Gebiet oder exklusiv zugewiesener Kundengruppe nicht mehr als fünf Händler benannt wurden. Alleinvertriebsvereinbarungen können selbst dann in den durch die Verordnung (EU) 2022/720 geschaffenen Safe Harbour fallen, wenn sie auch andere vertikale Beschränkungen, die keine Kernbeschränkungen sind, wie z. B. Wettbewerbsverbote von höchstens fünf Jahren Dauer, Mengenvorgaben oder Alleinbezugsverpflichtungen enthalten.

(121)

Die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 vorgesehene Freistellung ist auf höchstens fünf Händler pro exklusiv zugewiesenem Gebiet oder exklusiv zugewiesener Kundengruppe begrenzt, um den Anreiz für die Händler zu erhalten, in die Verkaufsförderung und den Verkauf der Waren oder Dienstleistungen des Anbieters zu investieren, und gleichzeitig dem Anbieter ausreichende Flexibilität für die Gestaltung seines Vertriebssystems einzuräumen. Wird diese Zahl überschritten, besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich die Alleinvertriebshändler die Investitionen der anderen als Trittbrettfahrer zunutze machen und damit die Effizienz, die durch den Alleinvertrieb erreicht werden soll, zunichtegemacht wird.

(122)

Damit das Alleinvertriebssystem unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fällt, müssen die benannten Händler vor aktiven Verkäufen durch alle anderen Abnehmer des Anbieters in das exklusiv zugewiesene Gebiet oder an die exklusiv zugewiesene Kundengruppe geschützt werden. Benennt ein Anbieter für ein exklusiv zugewiesenes Gebiet oder eine exklusiv zugewiesene Kundengruppe mehrere Händler, müssen alle diese Händler vor aktiven Verkäufen sämtlicher anderen Abnehmer des Anbieters in dieses Gebiet bzw. an diese Kundengruppe geschützt werden, wobei aktive und passive Verkäufe durch diese Händler innerhalb des exklusiv zugewiesenen Gebiets bzw. innerhalb der exklusiv zugewiesenen Kundengruppe nicht beschränkt werden können. Wenn das exklusiv zugewiesene Gebiet bzw. die exklusiv zugewiesene Kundengruppe aus praktischen Gründen und nicht mit dem Ziel, den Parallelhandel zu verhindern, vorübergehend nicht vor aktiven Verkäufen durch bestimmte Abnehmer geschützt ist, weil der Anbieter beispielsweise das Alleinvertriebssystems ändert und Zeit benötigt, um mit bestimmten Abnehmern Beschränkungen des aktiven Verkaufs neu auszuhandeln, kann das Alleinvertriebssystem weiterhin unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen.

(123)

In den für den Alleinvertrieb genutzten vertikalen Vereinbarungen sollten die Gebiete oder Kundengruppen, die exklusiv zugewiesen werden, klar festgelegt sein. Das exklusiv zugewiesene Gebiet kann beispielsweise dem Gebiet eines Mitgliedstaates oder einem größeren bzw. kleineren Gebiet entsprechen. Eine exklusiv zugewiesene Kundengruppe kann zum Beispiel auf der Grundlage eines oder mehrerer Kriterien, wie des Berufs oder der Tätigkeit der Kunden oder mittels einer Liste ermittelter Kunden, definiert werden. Je nach den angewandten Kriterien kann sich die Kundengruppe unter Umständen auf einen einzigen Kunden beschränken.

(124)

Wurde ein Gebiet oder eine Kundegruppe nicht exklusiv einem oder mehreren Händlern zugewiesen, kann sich der Anbieter das Gebiet bzw. die Kundengruppe selbst vorbehalten; in diesem Fall muss er alle seine Händler davon in Kenntnis setzen. Dies setzt nicht voraus, dass der Anbieter im reservierten Gebiet oder in Bezug auf die reservierte Kundengruppe gewerblich tätig ist. So könnte sich der Anbieter das Gebiet oder die Kundengruppe vorbehalten wollen, um es künftig anderen Vertriebshändlern zuzuweisen.

4.6.1.3.   Orientierungshilfe zur Einzelfallprüfung von Alleinvertriebsvereinbarungen

(125)

Außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung (EU) 2022/720 ist die Marktstellung des Anbieters und seiner Wettbewerber von größter Bedeutung, weil ein Verlust an markeninternem Wettbewerb nur dann Probleme aufwirft, wenn der Markenwettbewerb auf Anbieter- oder Händlerebene eingeschränkt ist (81). Je stärker die Markstellung des Anbieters, insbesondere oberhalb der Schwelle von 30 %, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Markenwettbewerb schwach ist, und desto größer das Wettbewerbsrisiko aufgrund der Verringerung des markeninternen Wettbewerbs.

(126)

Die Marktstellung der Wettbewerber des Anbieters kann in zweifacher Hinsicht von Belang sein. Gibt es starke Wettbewerber, weist dies im Allgemeinen darauf hin, dass ein Verlust an markeninternem Wettbewerb durch ausreichenden Markenwettbewerb ausgeglichen wird. Sind am Markt jedoch nur wenige Anbieter tätig, die – gemessen an den Faktoren Marktanteil, Kapazität und Vertriebsnetz – auch noch eine ähnliche Position haben, besteht die Gefahr der Kollusion und/oder einer Abschwächung des Wettbewerbs. Diese Gefahr kann durch den Verlust an markeninternem Wettbewerb noch größer werden, und zwar insbesondere dann, wenn mehrere Anbieter gleichartige Vertriebssysteme betreiben.

(127)

Alleinvertrieb mehrerer Marken – mehrere Anbieter überlassen dem- bzw. denselben Händler(n) den Alleinvertrieb in einem bestimmten Gebiet – kann die Kollusionsgefahr und die Gefahr einer Abschwächung des Wettbewerbs auf der Anbieter- und der Händlerebene weiter erhöhen. Erhalten ein oder mehrere Händler das ausschließliche Recht zum Vertrieb von zwei oder mehr konkurrierenden und starken Produkten im selben Gebiet, könnte dadurch der Wettbewerb zwischen den betreffenden Marken erheblich eingeschränkt werden. Je größer der kumulative Marktanteil der Marken, die von den Alleinvertriebshändlern vertrieben werden, desto größer ist die Gefahr der Kollusion und/oder der Abschwächung des Wettbewerbs und desto stärker ist die Einschränkung des Markenwettbewerbs. Liegt der Alleinvertrieb mehrerer Marken bei einem oder mehreren Einzelhändlern, besteht die Gefahr, dass die Senkung des Großhandelspreises, die ein Anbieter bei seinem Markenprodukt vornimmt, von den betreffenden Einzelhändlern nicht an die Verbraucher weitergegeben wird, da dies ihren Absatz und Gewinn in Bezug auf die übrigen Markenprodukte schmälern würde. Im Vergleich zu einer Situation, in der keine Vereinbarungen über den Alleinvertrieb mehrerer Marken bestehen, ist der Anreiz für die Anbieter gering, in einen Preiswettbewerb zu treten. Liegen die Marktanteile der einzelnen Anbieter und Abnehmer unter der 30 %-Schwelle, können diese kumulativen Auswirkungen ein Grund sein, den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 zu entziehen.

(128)

Marktzutrittsschranken, die Anbieter unter Umständen daran hindern, ein eigenes integriertes Vertriebsnetz zu gründen oder alternative Händler einzuschalten, sind für die Beurteilung etwaiger wettbewerbswidriger Auswirkungen von Alleinvertriebsvereinbarungen weniger wichtig. Ein Ausschluss anderer Anbieter vom Markt ist nur gegeben, wenn der Alleinvertrieb mit einem Markenzwang verknüpft wird, wodurch der Händler verpflichtet ist oder veranlasst wird, seine Bestellungen für ein bestimmtes Produkt auf einen Anbieter zu konzentrieren. Die Verknüpfung von Alleinvertrieb und Markenzwang kann es anderen Anbietern erschweren, alternative Händler zu finden; dies trifft insbesondere dann zu, wenn der Markenzwang für ein dichtes Netz von Alleinvertriebshändlern gilt, die jeweils nur ein kleines Gebiet abdecken, oder wenn eine kumulative wettbewerbswidrige Wirkung besteht. In einem solchen Szenario sollten die Grundsätze zum Markenzwang in Abschnitt 8.2.1 angewandt werden.

(129)

Die Verknüpfung von Alleinvertrieb und Alleinbezug, die die Alleinvertriebshändler zwingt, die betreffende Marke direkt beim Anbieter zu beziehen, erhöht die Gefahr des Verlusts an markeninternem Wettbewerb und einer Aufteilung von Märkten. Alleinvertrieb als solcher engt schon die Möglichkeiten der Kunden ein, Preisunterschiede auszunutzen, weil er die Zahl der Vertriebshändler begrenzt, die in dem betreffenden Gebiet aktiv verkaufen können. Der Alleinbezug nimmt zudem den Alleinvertriebshändlern etwaige Möglichkeiten, Preisunterschiede auszunutzen, da er sie am Bezug der Produkte bei anderen, dem Alleinvertriebssystem angeschlossenen Händlern hindert. Dadurch werden die Möglichkeiten des Anbieters erhöht, den markeninternen Wettbewerb zu begrenzen und gleichzeitig unterschiedliche Verkaufsbedingungen zum Nachteil der Verbraucher anzuwenden, es sei denn, die Verknüpfung von Alleinvertrieb und Alleinbezug ermöglicht Effizienzgewinne, die den Verbrauchern zugutekommen.

(130)

Der Marktausschluss anderer Händler ist nicht problematisch, wenn der das Alleinvertriebssystem betreibende Anbieter in ein und demselben relevanten Markt eine große Zahl an Alleinvertriebshändlern benennt und diesen keine Beschränkungen im Hinblick auf den Verkauf an andere, nicht benannte Händler auferlegt. Der Ausschluss anderer Händler kann jedoch zum Problem werden, wenn die Abnehmer auf dem nachgelagerten Markt Marktmacht haben, wie dies insbesondere bei sehr großen Gebieten der Fall ist, in denen der Alleinvertriebshändler der einzige Abnehmer auf dem gesamten Markt ist. Ein Beispiel hierfür wäre eine Supermarktkette, die im Lebensmitteleinzelhandel eines Landes als einziger Händler für eine führende Marke übrigbleibt. Der Marktausschluss anderer Händler vom Markt kann sich im Falle des Alleinvertriebs mehrerer Marken verschärfen.

(131)

Nachfragemacht kann auch die Gefahr einer Kollusion unter den Abnehmern erhöhen, wenn nämlich wichtige Abnehmer, die gegebenenfalls in verschiedenen Gebieten operieren, einem oder mehreren Anbietern Alleinvertriebsklauseln auferlegen.

(132)

Die Einschätzung der Marktdynamik ist wichtig, denn in einem Markt mit wachsender Nachfrage, immer neuen Techniken und sich verändernden Marktstellungen der Unternehmen sind negative Auswirkungen von Alleinvertriebssystemen weniger wahrscheinlich als in reifen Märkten.

(133)

Die Beschaffenheit des Produkts kann für die Beurteilung etwaiger wettbewerbswidriger Auswirkungen des Alleinvertriebs ebenfalls relevant sein. Diese Auswirkungen werden in Branchen, in denen Online-Verkäufe häufiger vorkommen, weniger ausgeprägt sein, da der Online-Verkauf den Bezug bei Händlern außerhalb des exklusiv zugewiesene Gebiet bzw. der exklusiv zugewiesenen Kundengruppe erleichtern kann.

(134)

Die Handelsstufe ist bedeutsam, da es bei den möglichen negativen Auswirkungen Unterschiede zwischen der Großhandels- und der Einzelhandelsstufe geben kann. Alleinvertrieb wird hauptsächlich beim Absatz von Endprodukten (Waren oder Dienstleistungen) angewandt. Ein Verlust an markeninternem Wettbewerb ist im Einzelhandel besonders wahrscheinlich, wenn die exklusiv zugewiesenen Gebiete groß sind, da die Verbraucher dann wenig Möglichkeiten haben dürften, bei einer namhaften Marke zwischen einem Händler, der zu hohem Preis hochwertigen Service bietet, und einem Händler, der zu einem niedrigen Preis wenig Service bietet, zu wählen.

(135)

Ein Hersteller, der einem Großhändler den Alleinvertrieb überlässt, wird dies normalerweise für ein größeres Gebiet tun, z. B. für einen ganzen Mitgliedstaat. Solange der Großhändler das Produkt ohne Einschränkungen an Einzelhändler auf dem nachgelagerten Markt verkaufen darf, sind keine spürbaren wettbewerbswidrigen Wirkungen zu erwarten. Etwaige Verluste an markeninternem Wettbewerb auf der Großhandelsstufe können leicht durch Effizienzgewinne bei Logistik und Verkaufsförderung aufgewogen werden, vor allem wenn der Hersteller in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist. Allerdings entstehen im Alleinvertrieb mehrerer Marken auf der Großhandelsstufe größere Risiken für den Markenwettbewerb als auf der Einzelhandelsstufe. Wird ein Großhändler der Alleinvertriebshändler für eine große Zahl von Anbietern, besteht nicht nur die Gefahr einer Verringerung des Wettbewerbs zwischen diesen Marken, sondern es nimmt auch das Abschottungsrisiko auf der Großhandelsstufe zu.

(136)

Ein Alleinvertriebssystem, das den Wettbewerb im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV einschränkt, kann dennoch Effizienzgewinne schaffen, die die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. So kann beispielsweise Exklusivität erforderlich sein, um den Händlern Anreize zu bieten, in die Entwicklung der Marke des Anbieters oder in die Erbringung nachfragesteigernder Dienstleistungen zu investieren. Ist die Verordnung (EU) 2022/720 nicht anwendbar, ist von Folgendem auszugehen: je höher die Zahl der für ein bestimmtes Gebiet benannten Alleinvertriebshändler, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass für sie genügend Anreize zu Investitionen in die Verkaufsförderung für die Produkte des Anbieters und die Entwicklung seiner Marke bestehen, da sich die anderen Alleinvertriebshändler im gleichen Gebiet diese Investitionsaufwendungen als Trittbrettfahrer zunutze machen können.

(137)

Die Beschaffenheit des Produkts ist für die Beurteilung der Effizienzgewinne von Bedeutung. Objektive Effizienzgewinne sind am ehesten zu erwarten bei neuen und bei komplexen Produkten sowie bei Produkten, deren Qualitätseigenschaften vor dem Verbrauch (sogenannte Erfahrungsgüter) oder sogar nach dem Verbrauch (sogenannte Vertrauensgüter) schwierig zu beurteilen sind. Der Alleinvertrieb kann außerdem Einsparungen bei den Logistikkosten mit sich bringen, da bei Transport und Vertrieb Größenvorteile genutzt werden können. Alleinvertrieb in Verbindung mit Markenzwang kann zu einer Erhöhung der Anreize für den oder die Alleinvertriebshändler führen, seine bzw. ihre Anstrengungen auf eine bestimmte Marke zu konzentrieren.

(138)

Für die Beurteilung von Alleinvertriebssystemen, bei denen der Anbieter eine Kundengruppe einem oder mehreren Abnehmern exklusiv zuweist, sind weiterhin die unter den Randnummern (125) bis (137) genannten Faktoren relevant. Außerdem sollten für die Beurteilung dieser Art von Alleinvertriebssystem die unter den Randnummern (139) bis (140) aufgeführten zusätzlichen Faktoren berücksichtigt werden.

(139)

Ähnlich wie bei der exklusiven Zuweisung eines Gebiets erschwert auch die exklusive Zuweisung einer Kundengruppe den Abnehmern in der Regel die Ausnutzung von Preisunterschieden. Da jeder benannte Händler für seine eigene Kundengruppe da ist, kann sich für Abnehmer, die keiner solchen Gruppe angehören, die Beschaffung der Produkte des Anbieters als schwierig erweisen. Folglich ist der Spielraum solcher Abnehmer für die Ausnutzung von Preisunterschieden eingeengt.

(140)

Zusätzlich zu den unter Randnummer (136) genannten Arten von Effizienzgewinnen kann die exklusive Zuweisung von Kunden zu Effizienzgewinnen führen, wenn Investitionen der Händler in besondere Ausrüstungen oder Fertigkeiten oder in spezielles Know-how erforderlich sind, um den Anforderungen einer bestimmen Kundenkategorie gerecht zu werden, oder wenn durch diese Investitionen Größen- oder Verbundvorteile in der Logistik erzielt werden (82). Die Abschreibungsdauer bei solchen Investitionen bietet einen Hinweis darauf, für welchen Zeitraum die exklusive Zuweisung von Kunden gerechtfertigt sein kann. Eine exklusive Zuweisung von Kunden ist grundsätzlich am ehesten dort vertretbar, wo es sich um neue oder komplexe Produkte oder um Produkte handelt, die an die Bedürfnisse eines bestimmten Kunden angepasst werden müssen. Feststellbare unterschiedliche Bedürfnisse sind bei Zwischenprodukten wahrscheinlicher, das heißt bei Produkten, die an verschiedene Arten gewerblicher Abnehmer verkauft werden. Die Zuweisung von Verbrauchern dürfte dagegen kaum zu Effizienzgewinnen führen.

(141)

Es folgt ein Beispiel für die Wirkung des Alleinvertriebs mehrerer Marken auf einem oligopolistischen Markt.

Auf einem nationalen Markt für ein Endprodukt gibt es vier Marktführer mit einem Marktanteil von jeweils rund 20 %. Alle vier verkaufen ihr Produkt über Alleinvertriebshändler auf der Einzelhandelsstufe. Die Einzelhändler erhalten für die Stadt bzw. den Stadtteil, in der/dem ihre Verkaufsstätte liegt, Gebietsschutz. In den meisten Gebieten überlassen die vier Marktführer den Alleinvertrieb ein und demselben Einzelhändler (im Folgenden „Alleinvertrieb mehrerer Marken“), der sich auf das relevante Produkt spezialisiert hat und dessen Verkaufsstätten sich häufig in zentraler Lage befinden. Die restlichen 20 % des nationalen Marktes entfallen auf kleine inländische Hersteller, von denen der größte landesweit einen Marktanteil von 5 % besitzt. Diese inländischen Hersteller setzen ihre Produkte in der Regel über andere Einzelhändler ab, weil die Alleinvertriebshändler der vier großen Anbieter im Allgemeinen kaum Interesse daran zeigen, preisgünstigere Produkte weniger bekannter Marken zu vertreiben. Auf dem Markt besteht eine starke Marken- und Produktdifferenzierung. Die vier Marktführer veranstalten große landesweite Werbekampagnen und verfügen jeweils über ein solides Markenimage, während die kleineren Hersteller für ihre Produkte nicht landesweit werben. Der Markt ist eher als reif anzusehen und durch eine stabile Nachfrage sowie keine nennenswerte Produktinnovation und technische Entwicklung gekennzeichnet. Das Produkt ist verhältnismäßig einfach.

Auf einem solchen oligopolistischen Markt besteht die Gefahr der Kollusion unter den vier Marktführern, die durch den Alleinvertrieb mehrerer Marken erhöht wird. Der markeninterne Wettbewerb ist durch den Gebietsschutz begrenzt. Wettbewerb zwischen den vier führenden Marken findet auf der Einzelhandelsstufe nur in begrenztem Umfang statt, da in jedem Gebiet nur ein Einzelhändler den Preis für alle vier Marken festlegt. Der Alleinvertrieb mehrerer Marken bringt es mit sich, dass der Einzelhändler nicht unbedingt daran interessiert sein wird, Preissenkungen, die ein Hersteller bei seinem Markenprodukt vornimmt, an den Verbraucher weiterzugeben, da dies seinen Absatz und Gewinn in Bezug auf die übrigen Markenprodukte schmälern würde. Den Herstellern ist somit wenig an einem Preiswettbewerb untereinander gelegen. Preiswettbewerb zwischen Marken gibt es im Wesentlichen nur bei den Produkten der unbedeutenderen Hersteller, die kein so ausgeprägtes Markenimage haben. Es gibt nicht viele Argumente, die für potenzielle Effizienzgewinne eines (gemeinsamen) Alleinvertriebs sprechen, da das Produkt relativ einfach ist, der Weiterverkauf keine besonderen Investitionen oder Schulungsmaßnahmen erfordert und Werbung in erster Linie auf der Herstellerebene betrieben wird.

Obwohl der Marktanteil von jedem der Marktführer unter dem zulässigen Wert liegt, sind die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV möglicherweise nicht erfüllt, sodass gegebenenfalls bei Vereinbarungen mit Händlern, deren Anteil am Beschaffungsmarkt unter 30 % liegt, der Entzug des Rechtsvorteils der Gruppenfreistellung notwendig sein kann.

(142)

Es folgt ein Beispiel für eine Kundenbeschränkung.

Ein Unternehmen hat eine technisch anspruchsvolle Sprinkleranlage entwickelt. Derzeit hat es auf dem Markt für Sprinkleranlagen einen Anteil von 40 %. Als es mit dem Verkauf der neuen Anlage begann, hielt es mit einem älteren Produkt einen Marktanteil von 20 %. Die Installation des neuen Sprinklertyps hängt von der Art und dem Verwendungszweck des Gebäudes (z. B. Bürogebäude, Chemiefabrik oder Krankenhaus) ab. Das Unternehmen hat mehrere Händler für den Verkauf und die Installation der technisch anspruchsvollen Sprinkleranlage benannt. Jeder Händler musste seine Beschäftigten im Hinblick auf die allgemeinen und besonderen Anforderungen an den Einbau der technisch anspruchsvollen Sprinkleranlage bei einer bestimmten Gruppe von Kunden schulen. Um sicherzustellen, dass sich die Händler entsprechend spezialisieren, wies das Unternehmen jedem Händler eine bestimmte Kundengruppe zu und untersagte ihm aktive Verkäufe an die anderen Händlern exklusiv zugewiesenen Kundengruppen. Nach fünf Jahren dürfen die Alleinvertriebshändler aktiv an sämtliche Kundengruppen verkaufen, d. h., die Kundenbeschränkung entfällt. Der Anbieter darf dann seinerseits auch an neue Händler verkaufen. Der Markt ist recht dynamisch: Zwei Unternehmen sind erst kürzlich in den Markt eingetreten, und es gibt verschiedene technische Neuerungen. Die Wettbewerber haben Marktanteile zwischen 5 % und 25 % und modernisieren zudem ihre Produkte.

Da der Alleinvertrieb von begrenzter Dauer ist und den Händlern hilft, ihre Investitionen zu amortisieren und ihre ersten Verkaufsanstrengungen auf eine bestimmte Kundengruppe zu konzentrieren, um das Geschäft kennenzulernen, und da mögliche wettbewerbswidrige Auswirkungen in einem dynamischen Markt begrenzt erscheinen, dürften die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV in diesem Fall erfüllt sein.

4.6.2.   Selektive Vertriebssysteme

4.6.2.1.   Definition von selektiven Vertriebssystemen

(143)

In einem selektiven Vertriebssystem nach Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe g der Verordnung (EU) 2022/720 verpflichtet sich der Anbieter, die Vertragswaren oder -dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar nur an Händler zu verkaufen, die anhand festgelegter Merkmale ausgewählt werden. Diese Händler verpflichten sich, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht an Händler zu verkaufen, die innerhalb des vom Anbieter für den Betrieb dieses Systems festgelegten Gebiets nicht zum Vertrieb zugelassen sind.

(144)

Die vom Anbieter für die Auswahl der Händler angewandten Kriterien können qualitativer und/oder quantitativer Art sein. Mit quantitativen Kriterien wird die Zahl der Händler unmittelbar begrenzt, indem beispielsweise eine feste Zahl von Händlern vorgeschrieben wird. Qualitative Kriterien begrenzen die Zahl der Händler mittelbar durch Bedingungen, die nicht von allen Händlern erfüllt werden können und die sich beispielsweise auf die Palette der zu verkaufenden Produkte, die Schulung des Verkaufspersonals, die an der Verkaufsstelle zu erbringenden Dienstleistungen, die Werbung für das Produkt sowie dessen Darstellung beziehen. Qualitative Kriterien können sich auf die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen wie Bekämpfung des Klimawandels, Umweltschutz oder Begrenzung des Verbrauchs natürlicher Ressourcen beziehen. Anbieter könnten beispielsweise von den Händlern verlangen, dass sie in ihren Verkaufsstellen Ladestationen oder Recyclingeinrichtungen anbieten oder dafür sorgen, dass die Auslieferung der Waren auf nachhaltige Weise, beispielsweise per Lastenfahrrad statt Kraftfahrzeug, erfolgt.

(145)

Selektive Vertriebssysteme sind mit Alleinvertriebssystemen insoweit vergleichbar, als sie die Anzahl der zugelassenen Händler und die Möglichkeiten des Weiterverkaufs beschränken. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Arten von Vertriebssystemen besteht in der Art des Schutzes, der dem Händler gewährt wird. In einem Alleinvertriebssystem ist der Händler vor aktiven Verkäufen von außerhalb des ihm exklusiv zugewiesenen Gebiets geschützt, während er in einem selektiven Vertriebssystem vor aktiven und passiven Verkäufe durch nicht zum Vertrieb zugelassene Händler geschützt ist.

4.6.2.2.   Anwendung des Artikels 101 AEUV auf selektive Vertriebssysteme

(146)

Zu den möglichen Gefahren für den Wettbewerb zählen bei selektiven Vertriebssystemen ein Verlust an markeninternem Wettbewerb und – vor allem bei Vorliegen einer kumulativen Wirkung – der Ausschluss bestimmter Arten von Händlern sowie die Abschwächung des Wettbewerbs und die Erleichterung von Kollusion unter Anbietern oder Abnehmern, da die Anzahl der Abnehmer begrenzt wird.

(147)

Um die Vereinbarkeit eines selektiven Vertriebssystems mit Artikel 101 AEUV beurteilen zu können, muss zunächst festgestellt werden, ob das System unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt. Hierfür muss eine Unterscheidung getroffen werden zwischen rein qualitativem Selektivvertrieb und quantitativem Selektivvertrieb.

(148)

Ein rein qualitativer Selektivvertrieb fällt unter Umständen nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV, sofern die vom Gerichtshof der Europäischen Union im Metro-Urteil (83) festgelegten drei Voraussetzungen (sogenannte „Metro-Kriterien“) erfüllt sind. Sind diese Kriterien erfüllt, kann davon ausgegangen werden, dass die mit dem selektiven Vertrieb verknüpfte Beschränkung des markeninternen Wettbewerbs durch eine Verbesserung des Qualitätswettbewerbs zwischen den Marken ausgeglichen wird (84).

(149)

Die drei Metro-Kriterien lassen sich wie folgt zusammenfassen: Erstens muss die Beschaffenheit der fraglichen Waren oder Dienstleistungen einen selektiven Vertrieb notwendig machen. Das heißt, ein solches Vertriebssystem muss ein legitimes Erfordernis zur Wahrung der Qualität und zur Sicherstellung des richtigen Gebrauchs des betreffenden Produkts sein. So kann beispielsweise bei hochwertigen oder hochtechnologischen Produkten (85) oder Luxuswaren der Einsatz eines selektiven Vertriebs gerechtfertigt sein (86). Die Qualität derartiger Waren kann sich nicht nur aus ihren Materialeigenschaften, sondern auch aus ihrer luxuriösen Ausstrahlung ergeben. Daher kann die Errichtung eines selektiven Vertriebssystems, das sicherstellen soll, dass die Waren in einer Weise dargeboten werden, die zu ihrer luxuriösen Ausstrahlung beiträgt, zur Wahrung ihrer Qualität notwendig sein (87). Zweitens müssen die Wiederverkäufer aufgrund objektiver Kriterien qualitativer Art ausgewählt werden, die einheitlich für alle infrage kommenden Wiederverkäufer festzulegen und unterschiedslos anzuwenden sind. Drittens dürfen die aufgestellten Kriterien nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist (88).

(150)

Bei der Prüfung, ob die Metro-Kriterien erfüllt sind, ist nicht nur eine allgemeine Beurteilung der fraglichen selektiven Vertriebsvereinbarungen erforderlich, sondern es ist auch jede potenziell einschränkende Klausel der Vereinbarung separat zu untersuchen (89). Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die einschränkende Klausel im Hinblick auf das Ziel des selektiven Vertriebssystems verhältnismäßig ist oder ob sie über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinausgeht (90). Kernbeschränkungen erfüllen diese Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht. Umgekehrt kann es beispielsweise verhältnismäßig sein, wenn ein Anbieter von Luxuswaren seinen zugelassenen Händlern die Nutzung von Online-Marktplätzen untersagt, solange dies einen zugelassenen Händler nicht indirekt an einer wirksamen Nutzung des Internets für den Verkauf der Waren in bestimmte Gebiete oder an bestimmte Kunden hindert (91). Ein solches Verbot der Nutzung von Online-Marktplätzen schränkt Verkäufe in bestimmte Gebiete oder an bestimmte Kunden insbesondere dann nicht ein, wenn es dem zugelassenen Händler weiterhin freisteht, seinen eigenen Online-Shop zu betreiben und online zu werben, um auf seine Online-Aktivitäten aufmerksam zu machen und potenzielle Kunden anzuziehen (92). In diesem Fall fällt die einschränkende Klausel, sofern sie verhältnismäßig ist, nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV und eine weitere Prüfung ist nicht erforderlich.

(151)

Qualitative und/oder quantitative selektive Vertriebsvereinbarungen können ungeachtet dessen, ob sie die Metro-Kriterien erfüllen, unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen, sofern die Marktanteile des Anbieters und des Abnehmers 30 % nicht übersteigen und die Vereinbarung keine Kernbeschränkungen enthält (93). Der Rechtsvorteil der Freistellung geht nicht verloren, wenn der selektive Vertrieb mit anderen vertikalen Beschränkungen – mit Ausnahme von Kernbeschränkungen – wie Wettbewerbsverboten gemäß der Definition in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe f der Verordnung (EU) 2022/720 verbunden werden. Die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung gilt ungeachtet der Beschaffenheit der betroffenen Produkte und der Art der Auswahlkriterien. Darüber hinaus ist der Anbieter nicht zur Veröffentlichung seiner Auswahlkriterien verpflichtet (94).

(152)

Schränkt in einem bestimmten Fall eine selektive Vertriebsvereinbarung, die unter die Gruppenfreistellung fällt, auf der Anbieter- oder Händlerstufe den Wettbewerb spürbar ein und erzeugt sie keine Effizienzgewinne, die die Auswirkungen der Wettbewerbsbeschränkung aufwiegen, weil beispielsweise zwischen den Auswahlkriterien und den Produktmerkmalen keine Verbindung besteht, oder weil sie zur Verbesserung des Produktvertriebs nicht erforderlich sind, kann ihr der Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung entzogen werden.

4.6.2.3.   Hinweise zur Einzelfallprüfung selektiver Vertriebsvereinbarungen

(153)

Außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung (EU) 2022/720 ist die Marktstellung des Anbieters und seiner Wettbewerber für die Würdigung möglicher wettbewerbswidriger Auswirkungen von größter Bedeutung, da der Verlust an markeninternem Wettbewerb grundsätzlich nur dann zu einem Problem wird, wenn der Wettbewerb zwischen den Marken begrenzt ist (95). Je stärker die Marktstellung des Anbieters, insbesondere über der Schwelle von 30 %, desto größer ist die Gefahr für den Wettbewerb durch den Verlust an markeninternem Wettbewerb. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Anzahl der selektiven Vertriebsnetze, die in ein und demselben relevanten Markt bestehen. Bedient sich nur ein Anbieter auf dem Markt eines selektiven Vertriebssystems, hat der quantitative Selektivvertrieb gewöhnlich keine wettbewerbswidrigen Auswirkungen. In der Praxis wird diese Vertriebsmethode allerdings häufig gleichzeitig von mehreren Anbietern in einem bestimmten Markt angewandt (kumulative Wirkung).

(154)

Im Falle einer kumulativen Wirkung ist die Marktstellung der Anbieter zu berücksichtigen, die selektiven Vertrieb betreiben. Wird selektiver Vertrieb von der Mehrheit der führenden Anbieter auf einem Markt genutzt, kann dies zum Ausschluss bestimmter Arten von Händlern wie beispielsweise Discountern führen. Die Gefahr, dass leistungsfähigere Händler vom Markt ausgeschlossen werden, ist beim selektiven Vertrieb größer als beim Alleinvertrieb, da in einem selektiven Vertriebssystem der Verkauf an nicht zugelassene Händler Beschränkungen unterliegt. Diese Beschränkung soll selektiven Vertriebssystemen einen geschlossenen Charakter verleihen, in dem nur die zugelassenen Händler, die die Kriterien erfüllen, Zugang zum Produkt haben und das nicht zugelassenen Händlern die Beschaffung des Produkts unmöglich macht. Deshalb ist der selektive Vertrieb ein besonders geeignetes Mittel, um dem Wettbewerbsdruck zu entgehen, den Discountbetriebe (ob Offline- oder reine Online-Händler) auf die Gewinnspannen des Herstellers und der Vertragshändler ausüben. Der Ausschluss solcher Vertriebsformate, ob aufgrund kumulativer Anwendung des selektiven Vertriebs oder aufgrund dessen Anwendung durch einen einzelnen Anbieter mit einem Marktanteil von über 30 %, reduziert Möglichkeiten der Verbraucher, die mit diesen Vertriebsformaten verbundenen Vorteile wie niedrigere Preise, mehr Transparenz und besserer Zugang zum Produkt in Anspruch zu nehmen.

(155)

Soweit einzelne selektive Vertriebsnetze unter die in der Verordnung (EU) 2022/720 vorgesehene Freistellung fallen, kann der Entzug der Gruppenfreistellung oder die Nichtanwendung der Verordnung (EU) 2022/720 in Betracht gezogen werden, wenn solche Netze kumulative wettbewerbswidrige Auswirkungen hervorrufen. Solche kumulativen wettbewerbswidrigen Auswirkungen sind jedoch unwahrscheinlich, wenn solche Systeme weniger als 50 % eines Marktes abdecken. Wettbewerbsrechtliche Bedenken sind auch dann unwahrscheinlich, wenn die Marktabdeckung 50 % übersteigt, der gemeinsame Marktanteil der fünf größten Anbieter jedoch nicht höher als 50 % ist. Werden beide Schwellen – 50 % Marktanteil der fünf größten Anbieter und 50 % Marktabdeckungsquote – überschritten, richtet sich die Bewertung danach, ob alle fünf Anbieter selektiven Vertrieb anwenden. Je stärker die Wettbewerber sind, die sich nicht des selektiven Vertriebs bedienen, desto unwahrscheinlicher ist der Ausschluss anderer Vertriebshändler vom Markt. Wettbewerbsrechtliche Bedenken können dann entstehen, wenn sich alle fünf großen Anbieter des selektiven Vertriebs bedienen. Dies wäre wahrscheinlich dann der Fall, wenn die von den größten Anbietern geschlossenen Vereinbarungen quantitative Auswahlkriterien enthalten, die die Zahl der zugelassenen Händler unmittelbar begrenzen, oder wenn die angewandten qualitativen Kriterien bestimmte Vertriebsformate ausschließen (z. B. die Bedingung, dass der Händler über eine oder mehrere physische Verkaufsstätten verfügen oder bestimmte Dienstleistungen erbringen muss, die üblicherweise nur im Rahmen einer bestimmten Vertriebsform erbracht werden können).

(156)

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen für eine Freistellung nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV erfüllt werden, ist eher gering, wenn die zur kumulativen Wirkung beitragenden Selektivvertriebssysteme den Zugang neuer Vertriebshändler (insbesondere Discounter oder reine Internethändler, die den Verbrauchern niedrigere Preise anbieten), die in der Lage sind, die fraglichen Produkte angemessen zu verkaufen, zum Markt verwehren und dadurch den Vertrieb zugunsten bestimmter bestehender Vertriebskanäle und zum Schaden der Endverbraucher einschränken. Indirektere Formen des quantitativen Selektivvertriebs, die sich z. B. aus der Verknüpfung rein qualitativer Kriterien mit der Vorgabe eines Mindestwerts für die jährliche Bezugsmengen der Händler ergeben, dürften insbesondere dann mit weniger negativen Auswirkungen verbunden sein, wenn der vorgegebene Mindestwert keinen erheblichen Teil des vom Händler erzielten Umsatzes aus dem Verkauf des betreffenden Produkts ausmacht und nicht über das hinausgeht, was für den Anbieter notwendig ist, um seine vertragsspezifischen Investitionen zu amortisieren und/oder Größenvorteile im Vertrieb zu erzielen. Bei Anbietern mit einem Marktanteil von weniger als 5 % wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass sie keinen erheblichen Beitrag zu einer kumulativen Wirkung leisten.

(157)

Marktzutrittsschranken sind hauptsächlich beim Marktausschluss von nicht zugelassenen Händlern von Bedeutung. Sie dürften in der Regel hoch sein, wenn selektiver Vertrieb von Markenproduktherstellern praktiziert wird, da es im Allgemeinen viel Zeit und erhebliche Investitionen seitens der vom selektiven Vertriebssystem ausgeschlossenen Händler erfordert, eigene Marken auf den Markt zu bringen oder ihren Bedarf bei konkurrierenden Quellen zu decken.

(158)

Nachfragemacht kann das Risiko der Kollusion zwischen Händlern erhöhen. Händler mit einer starken Marktposition können die Anbieter anhalten, Auswahlkriterien anzuwenden, die neue und leistungsfähigere Händler vom Zugang zum Markt ausschließen. Nachfragemacht kann folglich bei der Beurteilung möglicher wettbewerbswidriger Wirkungen des selektiven Vertriebs stark ins Gewicht fallen. Zu einem Ausschluss leistungsfähigerer Händler vom Markt kann es kommen, wenn eine gut aufgestellte Händlerorganisation einem Anbieter Kriterien aufdrängt, um den Vertrieb zum Vorteil ihrer Mitglieder einzuschränken.

(159)

Nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung (EU) 2022/720 darf der Anbieter den Vertragshändlern weder unmittelbar noch mittelbar untersagen, die Marken bestimmter konkurrierender Anbieter zu verkaufen. Mit dieser Bestimmung soll einer Kollusion auf horizontaler Ebene entgegengewirkt werden, die bezweckt, dass führende Anbieter durch die Schaffung einer exklusiven Gruppe von Marken bestimmte Marken vom Markt ausschließen. Es ist unwahrscheinlich, dass eine solche Verpflichtung freistellungsfähig ist, wenn der gemeinsame Marktanteil der fünf größten Anbieter 50 % oder mehr beträgt, es sei denn, keiner der Anbieter, die eine Verpflichtung dieser Art auferlegen, gehört zu den fünf größten Anbietern auf dem Markt.

(160)

Wettbewerbsrechtliche Bedenken bezüglich des Ausschlusses anderer Anbieter stellen sich im Allgemeinen nicht, solange es anderen Anbietern nicht verwehrt wird, dieselben Händler einzusetzen; dies kann zum Beispiel eintreten, wenn ein selektives Vertriebssystem mit Markenzwang einhergeht. Bei einem dichten Vertragshändlernetz oder im Falle einer kumulativen Wirkung kann eine Kombination aus selektivem Vertrieb und Wettbewerbsverbot den Ausschluss anderer Anbieter vom Markt bewirken. In diesem Fall gelten die in Abschnitt 8.2.1 aufgeführten Hinweise zum Markenzwang. Selbst wenn selektiver Vertrieb nicht mit einem Wettbewerbsverbot verknüpft ist, kann der Ausschluss konkurrierender Anbieter vom Markt Probleme aufwerfen. Dies ist der Fall, wenn die führenden Anbieter nicht nur rein qualitative Auswahlkriterien anwenden, sondern ihren Händlern auch bestimmte zusätzliche Verpflichtungen auferlegen, in deren Rahmen diese beispielsweise den Produkten der Anbieter ein Minimum an Regalfläche vorbehalten oder gewährleisten müssen, dass ein bestimmter Anteil am Gesamtumsatz des Händlers auf den Absatz ihrer Produkte entfällt. Das Problem dürfte sich nicht stellen, wenn nicht mehr als 50 % des Marktes durch selektive Vertriebssysteme abgedeckt sind oder – im Falle einer höheren Abdeckungsquote – die Summe der Marktanteile der fünf größten Anbieter nicht mehr als 50 % beträgt.

(161)

Die Einschätzung der Marktdynamik ist wichtig, denn in einem Markt mit wachsender Nachfrage, immer neuen Techniken und sich verändernden Marktstellungen der Unternehmen sind negative Auswirkungen weniger wahrscheinlich als in reifen Märkten.

(162)

Selektiver Vertrieb kann effizient sein, wenn aufgrund von Größenvorteilen beim Transport Logistikkosten eingespart werden können, und zwar unabhängig von der Beschaffenheit des Produkts (siehe Randnummer (16), Buchstabe g)). Diese Art von Effizienz ist jedoch in selektiven Vertriebssystemen in der Regel nur geringfügig gegeben. Für die Beurteilung, ob selektiver Vertrieb gerechtfertigt ist, um das Trittbrettfahrerproblem zwischen Händlern zu lösen (siehe Randnummer 16 Buchstabe b) oder zur Schaffung oder Wahrung eines Markenimages beizutragen (siehe Randnummer 16 Buchstabe h), ist vor allem die Beschaffenheit des Produkts von Bedeutung. Im Allgemeinen dürfte der Einsatz selektiver Vertriebssysteme zur Erzielung von Effizienzgewinnen dieser Art am ehesten bei neuen und bei komplexen Produkten sowie bei Produkten, deren Qualitätseigenschaften vor dem Verbrauch (sogenannte Erfahrungsgüter) oder sogar nach dem Verbrauch (sogenannte Vertrauensgüter) schwierig zu beurteilen sind, gerechtfertigt sein. Die Verknüpfung von selektivem Vertrieb mit einer Standortklausel, die einen Vertragshändler vor dem Wettbewerb anderer Vertragshändler schützen soll, die ein Geschäft in dessen Nähe eröffnen, dürfte vor allem dann die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen, wenn sie zum Schutz erheblicher vertragsspezifischer Investitionen des Vertragshändlers erforderlich ist (siehe Randnummer 16 Buchstabe e). Damit jeweils die Beschränkung angewandt wird, die den Wettbewerb am wenigsten beeinträchtigt, ist zu prüfen, ob sich dieselben Effizienzgewinne bei vergleichbarem Kostenaufwand nicht auch auf andere Weise – beispielsweise allein durch Service-Anforderungen – erzielen lassen.

(163)

Es folgt ein Beispiel für einen quantitativen selektiven Vertrieb.

Auf einem Markt für langlebige Konsumgüter verkauft Markenhersteller A, der Marktführer mit einem Marktanteil von 35 % ist, sein Produkt über ein selektives Vertriebssystem an die Verbraucher. Seine Vertragshändler müssen mehrere Kriterien erfüllen: Sie müssen geschultes Personal beschäftigen und Kundenbetreuung vor dem Verkauf bieten, in den Geschäftsräumen muss es einen besonderen Bereich für den Verkauf des Produkts und ähnlicher Spitzentechnologieprodukte geben und es muss im Geschäft eine breite Palette von Modellen des Anbieters angeboten und auf ansprechende Weise aufgestellt werden. Darüber hinaus ist die Anzahl der Händler, die zu dem Vertriebssystem zugelassen werden können, insofern direkt beschränkt, als eine Höchstzahl von Händlern je Einwohnerzahl eines Bezirks oder eines Stadtgebiets festgelegt wurde. Hersteller A hat sechs Wettbewerber auf dem Markt. Seine größten Wettbewerber sind die Markenhersteller B, C und D mit Marktanteilen von 25 %, 15 % bzw. 10 %, während die anderen Hersteller kleinere Marktanteile haben. A ist der einzige Hersteller, der sich des selektiven Vertriebs bedient. Die Vertragshändler für Marke A bieten stets auch einige konkurrierende Marken an. Diese werden aber auch in sehr vielen Geschäften verkauft, die nicht dem selektiven Vertriebssystem des Herstellers A angeschlossen sind. Die Vertriebswege sind dabei unterschiedlich: Die Marken B und C werden beispielsweise hauptsächlich in den von A zugelassenen Läden verkauft, aber auch in anderen Geschäften, die hochwertigen Service bieten, sowie in Verbrauchergroßmärkten. Marke D wird hauptsächlich in Geschäften mit hochwertigem Service verkauft. Die Technologie entwickelt sich auf diesem Markt recht schnell, und die großen Anbieter sichern ihren Produkten durch Werbung ein wirksames Qualitätsimage.

Das selektive Vertriebssystem deckt hier 35 % des Markts ab. Der Markenwettbewerb wird durch das Vertriebssystem von A nicht unmittelbar beeinträchtigt. Der markeninterne Wettbewerb in Bezug auf Marke A ist möglicherweise reduziert; die Verbraucher haben aber Zugang zu Einzelhändlern mit wenig Service und niedrigen Preisen, die die Marken B und C anbieten, deren Qualitätsimage mit dem von Marke A vergleichbar ist. Auch ist anderen Marken der Zugang zu Einzelhändlern mit hoher Serviceleistung nicht verschlossen, da die Möglichkeiten für zugelassene Händler, konkurrierende Marken anzubieten, nicht eingeschränkt sind und die aufgrund quantitativer Kriterien vorgenommene Begrenzung der Anzahl der Händler für Marke A dazu führt, dass für konkurrierende Marken andere Einzelhändler mit hochwertigem Service zur Verfügung stehen. In Anbetracht der Service-Anforderungen und der Effizienzgewinne, die diese wahrscheinlich hervorbringen, sowie angesichts der begrenzten Auswirkungen auf den markeninternen Wettbewerb sind die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV wahrscheinlich erfüllt.

(164)

Es folgt ein Beispiel für den selektiven Vertrieb mit kumulativen Auswirkungen.

Auf einem Markt für einen bestimmten Sportartikel gibt es sieben Hersteller mit einem Marktanteil von 25 %, 20 %, 15 %, 15 %, 10 %, 8 % bzw. 7 %. Während die fünf größten Hersteller ihre Produkte im Wege des selektiven Vertriebs absetzen, bedienen sich die beiden kleinsten Hersteller anderer Vertriebssysteme, sodass 85 % des Marktes durch selektiven Vertrieb abgedeckt werden. Die Kriterien für die Zulassung zu den selektiven Vertriebssystemen der einzelnen Hersteller sind einheitlich: Die Händler müssen über eine oder mehrere physische Verkaufsstätten verfügen; diese Geschäfte müssen geschultes Personal beschäftigen und Kundenberatung vor dem Verkauf bieten; es muss im Geschäft einen besonderen Bereich für den Verkauf des betreffenden Produkts geben, der eine bestimmte Mindestgröße haben muss. Darüber hinaus muss in dem Geschäft eine breite Palette von Produkten der fraglichen Marke angeboten und das Produkt auf ansprechende Weise dargeboten werden; das Geschäft muss in einer Geschäftsstraße liegen, und die betreffende Produktart muss mindestens 30 % des Gesamtumsatzes des Geschäfts ausmachen. Im Allgemeinen ist ein und derselbe Händler Vertragshändler für alle fünf Marken. Die beiden Hersteller, die ohne Selektivvertrieb arbeiten, nutzen in der Regel weniger spezialisierte Einzelhändler mit wenig Service für den Verkauf ihrer Produkte. Der Markt ist sowohl angebots- als auch nachfrageseitig stabil; Produktdifferenzierung und Markenimage sind sehr ausgeprägt. Während die fünf Marktführer über ein gutes Markenimage verfügen, das durch Werbung und Sponsoring aufgebaut wurde, zielt die Absatzstrategie der beiden kleinen Hersteller auf preisgünstigere Produkte ohne besonderes Markenimage ab.

Auf diesem Markt ist allgemeinen Discountern und reinen Internethändlern der Zugang zu den fünf führenden Marken verwehrt. Der Grund hierfür ist, dass die Vorgabe, dass das Produkt mindestens 30 % der Tätigkeit des Händlers ausmacht, und die Kriterien in Bezug auf Präsentation und Kundenbetreuung vor dem Verkauf die meisten Discounter vom Vertragshändlernetz ausschließen. Außerdem schließt die Bedingung, dass Händler über eine oder mehrere physische Verkaufsstätten verfügen müssen, reine Internethändler vom Händlernetz aus. Die Verbraucher haben infolgedessen nur die Wahl, die fünf führenden Marken in Läden mit hoher Serviceleistung und hohen Preisen zu kaufen. Dies hat einen Verlust an Wettbewerb zwischen den fünf führenden Marken zur Folge. Der Umstand, dass die Marken der zwei kleinsten Hersteller in Läden mit wenig Service und niedrigen Preisen gekauft werden können, fängt den Verlust nicht auf, weil die Marken der fünf Marktführer ein viel besseres Image haben. Der Markenwettbewerb wird auch dadurch eingeschränkt, dass ein und derselbe Händler gleichzeitig mehrere Marken vertreibt. Obwohl markeninterner Wettbewerb bis zu einem gewissen Grad vorhanden und die Anzahl der Händler nicht direkt begrenzt ist, sind die Kriterien doch so streng, dass für den Vertrieb der fünf führenden Marken in jedem Gebiet nur eine kleine Anzahl von Händlern zur Verfügung steht.

Die mit diesen quantitativen Selektivvertriebssystemen verbundenen Effizienzgewinne sind gering: Das Produkt ist nicht sehr komplex und rechtfertigt keinen besonders hochwertigen Service. Sofern die Hersteller nicht nachweisen können, dass ihre selektiven Vertriebssysteme mit eindeutigen Effizienzgewinnen einhergehen, ist es wahrscheinlich, dass der Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung entzogen werden muss, da die kumulativen wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen geringere Wahlmöglichkeiten und höhere Preise für die Verbraucher mit sich bringen.

4.6.3.   Franchising

(165)

Franchisevereinbarungen beinhalten Lizenzen für insbesondere Marken oder Zeichen und Know-how betreffende Rechte des geistigen Eigentums zum Zweck der Nutzung und des Vertriebs von Waren oder Dienstleistungen. Neben der Lizenz für die Nutzung der Rechte des geistigen Eigentums gewährt der Franchisegeber dem Franchisenehmer während der Laufzeit der Vereinbarung in der Regel geschäftliche oder technische Unterstützung. Die Lizenzgabe und die geschäftliche oder technische Unterstützung sind feste Bestandteile des Franchising-Geschäftskonzepts. Der Franchisegeber erhält in der Regel eine Franchisegebühr vom Franchisenehmer für die Nutzung eines bestimmten Geschäftskonzepts. Franchisevereinbarungen können es dem Franchisegeber ermöglichen, mit einem begrenzten Investitionsaufwand ein einheitliches Netz für den Vertrieb seiner Produkte aufzubauen. Neben der Bereitstellung des Geschäftskonzepts enthalten Franchisevereinbarungen in der Regel eine Kombination unterschiedlicher vertikaler Beschränkungen hinsichtlich der Produkte, die vertrieben werden, beispielsweise Selektivvertrieb und/oder Wettbewerbsverbote.

(166)

Franchising (mit Ausnahme von Herstellungsfranchising) weist einige besondere Merkmale auf, beispielsweise die Verwendung eines einheitlichen Geschäftsnamens, einheitliche Geschäftskonzepte (einschließlich der Lizenzierung von Rechten des geistigen Eigentums) und die Zahlung von Gebühren für die gewährten Vorteile. Angesichts dieser Merkmale können Bestimmungen, die für das Funktionieren solcher Franchisesysteme unbedingt notwendig sind, als nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallend angesehen werden. Dies betrifft beispielsweise Beschränkungen, die den Franchisenehmer daran hindern, das Know-how und die Unterstützung des Franchisegebers zum Vorteil von dessen Wettbewerbern zu nutzen (96), oder Wettbewerbsverbote in Bezug auf die vom Franchisenehmer erworbenen Waren oder Dienstleistungen, die zum Erhalt der Einheitlichkeit und des Rufs des Franchisenetzes erforderlich sind. Im letzteren Fall ist die Dauer des Wettbewerbsverbots irrelevant, sofern sie nicht über die Laufzeit der Franchisevereinbarung selbst hinausgeht.

(167)

Franchisevereinbarungen können unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen, sofern weder der Marktanteil des Anbieters noch der des Abnehmers 30 % übersteigt. Unter der Randnummer (174) werden Orientierungshilfen für die Berechnung von Marktanteilen im Zusammenhang mit Franchising gegeben. Die in Franchisevereinbarungen enthaltene Lizensierung von Rechten des geistigen Eigentums wird unter den Randnummern (71) bis (87) behandelt. In Franchisevereinbarungen enthaltene vertikale Beschränkungen werden anhand der Grundsätze beurteilt, die für das Vertriebssystem gelten, das der betreffenden Franchisevereinbarung am ähnlichsten ist. Franchisevereinbarungen, durch die ein geschlossenes Netz entsteht, in dem den Franchisenehmern der Verkauf an Nicht-Franchisenehmer verboten ist, sind zum Beispiel nach den für den selektiven Vertrieb geltenden Grundsätzen zu beurteilen. Für die Beurteilung von Franchisevereinbarungen, die kein geschlossenes Netz schaffen, aber Gebietsschutz und Schutz vor aktivem Verkauf durch andere Franchisenehmer gewähren, sind dagegen die für den Alleinvertrieb geltenden Grundsätze maßgeblich.

(168)

Für Franchisevereinbarungen, die nicht von der Verordnung (EU) 2022/720 erfasst werden, ist eine Einzelfallprüfung nach Artikel 101 AEUV erforderlich. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass es, je bedeutender der Transfer von Know-how, desto wahrscheinlicher ist, dass durch die vertikalen Beschränkungen Effizienzgewinne geschaffen werden und/oder diese für den Schutz des Know-hows unerlässlich sind und somit die Beschränkungen die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen.

(169)

Es folgt ein Beispiel für Franchising.

Ein Hersteller hat eine neue Form des Bonbonverkaufs in sogenannten „Fun Shops“ entwickelt, in denen die Bonbons nach den Wünschen der Verbraucher gefärbt werden können. Der Bonbonhersteller hat auch die Maschinen zum Bonbonfärben entwickelt und stellt selbst die nötigen Lebensmittelfarben her, deren Qualität und Frische für die Produktion guter Bonbons von entscheidender Bedeutung sind. Der Hersteller hat seine Bonbons erfolgreich vermarktet, indem er sie über eine Reihe von eigenen Einzelhandelsgeschäften absetzte, die alle unter demselben Markennamen firmierten und ein einheitliches „Fun“-Image verbreiteten (beispielsweise ein einheitliches Design der Läden und Werbung). Zur Umsatzsteigerung lancierte der Bonbonhersteller ein Franchisesystem. Um eine einheitliche Produktqualität und identische Aufmachung der Läden sicherzustellen, sind die Franchisenehmer verpflichtet, Bonbons, Lebensmittelfarben und Färbemaschine vom Hersteller zu kaufen, unter demselben Markennamen zu firmieren, eine Franchisegebühr zu entrichten, zur gemeinsamen Werbung beizutragen und die Vertraulichkeit der vom Franchisegeber erstellten Betriebsanleitung zu gewährleisten. Außerdem dürfen sie nur in den anerkannten Räumlichkeiten und nur an Endverbraucher oder andere Franchisenehmer verkaufen. Der Verkauf markenfremder Bonbons ist ihnen untersagt. Der Franchisegeber verpflichtet sich, in einem bestimmten Vertragsgebiet keine anderen Franchisenehmer zu benennen oder selbst ein Einzelhandelsgeschäft zu betreiben. Er ist ferner verpflichtet, seine Produkte, die Geschäftsperspektiven und die Betriebsanleitung zu aktualisieren bzw. weiterzuentwickeln und diese Verbesserungen allen Franchisenehmern zur Verfügung zu stellen. Die Franchisevereinbarungen werden für zehn Jahre abgeschlossen.

Bonbon-Einzelhändler kaufen ihre Ware im Inland ein, und zwar entweder von inländischen Herstellern, die sich auf die Geschmackspräferenzen der Verbraucher des betreffenden Landes eingestellt haben, oder von Großhändlern, die die Bonbons neben inländischen auch von ausländischen Herstellern beziehen. Auf dem Markt konkurrieren die Produkte des Franchisegebers mit einer Reihe nationaler und internationaler Bonbonmarken, die teilweise von großen diversifizierten Nahrungsmittelkonzernen hergestellt werden. Bei Maschinen zum Einfärben von Lebensmitteln hält der Franchisegeber einen Marktanteil von weniger als 10 %. Auf den Franchisegeber entfallen 30 % aller Bonbons, die an Einzelhändler verkauft werden. Es bestehen viele Bonbonverkaufsstellen in Form von Tabakläden, Lebensmittelläden, Cafeterias und Süßwarengeschäften.

Bei den meisten der in den Franchisevereinbarungen enthaltenen Verpflichtungen kann davon ausgegangen werden, dass sie notwendig sind, um Rechte des geistigen Eigentums zu schützen bzw. die Einheitlichkeit und den Ruf des Franchisenetzes zu erhalten, sodass sie nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen. Die Beschränkungen in Bezug auf den Verkauf (z. B. die Zuweisung eines Vertragsgebiets und selektiver Vertrieb) sind ein Anreiz für die Franchisenehmer, in das Franchisekonzept und die Färbemaschine zu investieren, und tragen dazu bei, die Einheitlichkeit des Netzes zu bewahren und damit den Verlust an markeninternem Wettbewerb auszugleichen. Das Wettbewerbsverbot, durch das anderen Bonbonmarken der Zugang zu den Geschäften für die gesamte Vertragsdauer verwehrt wird, ermöglicht es dem Franchisegeber, die Läden einheitlich zu gestalten und zu vermeiden, dass Wettbewerber von seinem Markennamen profitieren. Da andere Bonbonhersteller auf eine sehr große Zahl potenzieller Verkaufsstätten zurückgreifen können, hat das Verbot keine gravierende Marktabschottung zur Folge. Folglich dürften die Franchisevereinbarungen die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 erfüllen, soweit sie unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen.

5.   MARKTABGRENZUNG UND BERECHNUNG DER MARKTANTEILE

5.1.   Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes

(170)

Die Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes enthält Orientierungshilfen zu den Regeln, Kriterien und Nachweisen, die die Kommission bei der Abgrenzung des betroffenen Marktes an- bzw. verwendet. Daher sollte der relevante Markt für die Zwecke der Anwendung des Artikels 101 AEUV auf vertikale Vereinbarungen auf der Grundlage dieser Orientierungshilfen und künftiger Orientierungshilfen bezüglich der Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Union abgegrenzt werden; dies schließt Leitlinien ein, die in Zukunft an die Stelle der Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes treten könnten. In den vorliegenden Leitlinien werden nur Fragen angesprochen, die sich im Zusammenhang mit der Anwendung der Verordnung (EU) 2022/720 ergeben und nicht in der Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes behandelt werden.

5.2.   Berechnung der Marktanteile nach der Verordnung (EU) 2022/720

(171)

Nach Artikel 3 der Verordnung (EU) 2022/720 ist für die Bestimmung der Anwendbarkeit der Gruppenfreistellung der Marktanteil sowohl des Anbieters als auch des Abnehmers maßgebend. Die Verordnung (EU) 2022/720 findet nur Anwendung, wenn sowohl der Anteil des Anbieters an dem Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen an den Abnehmer verkauft, als auch der Anteil des Abnehmers an dem Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen bezieht, höchstens 30 % beträgt. Für Vereinbarungen zwischen KMU ist es in der Regel nicht notwendig, Marktanteile zu berechnen (siehe Randnummer (28)).

(172)

Auf der Vertriebsebene betreffen vertikale Beschränkungen zumeist nicht nur den Verkauf von Produkten oder Dienstleitungen durch den Anbieter an den Abnehmer, sondern auch den Weiterverkauf dieser Produkte. Da in der Regel unterschiedliche Vertriebsformen miteinander im Wettbewerb stehen, werden die Märkte im Allgemeinen nicht anhand der angewandten Vertriebsform, d. h. Alleinvertrieb, selektiver Vertrieb oder freier Vertrieb, abgegrenzt. In Branchen, in denen Anbieter im Allgemeinen ganze Produktpaletten verkaufen, kann die gesamte Palette die Marktabgrenzung bestimmen, wenn die Produktpaletten – und nicht die darin enthaltenen einzelnen Waren oder Dienstleistungen – von den Abnehmern als Substitute angesehen werden.

(173)

Sind an einer vertikalen Vereinbarung drei Unternehmen beteiligt, die auf unterschiedlichen Handelsstufen tätig sind, so darf, damit die Vereinbarung nach der Verordnung (EU) 2022/720 freigestellt ist, ihr jeweiliger Marktanteil 30 % nicht überschreiten. Für den Fall, dass ein Unternehmen (erstes Unternehmen) im Rahmen einer Mehrparteienvereinbarung die Vertragswaren oder -dienstleistungen von einer Vertragspartei bezieht und sie anschließend an eine andere Vertragspartei verkauft, gilt die Freistellung nach Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2022/720 nur, wenn der Anteil des ersten Unternehmens an dem relevanten Markt sowohl als Anbieter als auch als Abnehmer jeweils nicht mehr als 30 % beträgt. Wenn beispielsweise zwischen einem Hersteller, einem Großhändler (oder einer Einzelhändlervereinigung) und einem Einzelhändler ein Wettbewerbsverbot vereinbart wird, dürfen die Marktanteile des Herstellers und des Großhändlers (bzw. der Einzelhändlervereinigung) auf ihren jeweiligen Angebotsmärkten den Schwellenwert von 30 % nicht überschreiten und der Marktanteil des Großhändlers (oder der Einzelhändlervereinigung) und des Einzelhändlers darf auf ihren jeweiligen Bezugsmärkten nicht mehr als 30 % betragen, damit die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 gilt.

(174)

Enthält die vertikale Vereinbarung über die Lieferung der Vertragswaren oder -dienstleistungen hinaus auch Bestimmungen in Bezug auf Rechte des geistigen Eigentums (beispielweise über die Nutzung der Marke des Anbieters), die dem Abnehmer bei der Vermarktung der Vertragswaren oder -dienstleistungen helfen, so ist für die Anwendung der Verordnung (EU) 2022/720 der Anteil des Anbieters an dem Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkauft, von Bedeutung. Ein Franchisegeber, der keine Waren oder Dienstleistungen zum Weiterverkauf liefert, sondern ein Paket von Waren oder Dienstleistungen in Verbindung mit Bestimmungen über Rechte des geistigen Eigentums bereitstellt, d. h. das Geschäftskonzept, für das das Franchise erteilt wird, muss den Marktanteil zugrunde legen, den er als Anbieter eines Geschäftskonzepts für die Bereitstellung von bestimmten Waren oder Dienstleistungen für Endverbraucher hat. Dazu muss er seinen Anteil an dem Markt berechnen, auf dem das Geschäftskonzept eingesetzt wird, also den Markt, auf dem die Franchisenehmer das Konzept nutzen, um Endverbrauchern Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Der Franchisegeber muss daher seinen Marktanteil am Wert der Waren oder Dienstleistungen messen, die die Franchisenehmer auf diesem Markt anbieten. Wettbewerber des Franchisegebers auf Märkten dieser Art können Unternehmen sein, die andere Geschäftskonzepte aufgrund von Franchiseverträgen anbieten, aber auch Anbieter substituierbarer Waren oder Dienstleistungen, die kein Franchising praktizieren. So müsste beispielsweise ein Franchisegeber auf einem Markt für Schnellimbissdienste, sofern ein solcher existiert und unbeschadet der Abgrenzung eines solchen Marktes, seinen Marktanteil anhand der Absatzdaten der betreffenden Franchisenehmer auf diesem Markt ermitteln.

5.3.   Berechnung der Marktanteile nach der Verordnung (EU) 2022/720

(175)

Wie in Artikel 8 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 dargelegt, sollten die Marktanteile des Anbieters und des Abnehmers unter Berücksichtigung sämtlicher Einnahmequellen aus dem Verkauf der Waren oder Dienstleistungen und grundsätzlich auf der Grundlage der jeweiligen Absatz- bzw. Bezugswerte berechnet werden. Liegen keine Angaben über den Absatz- bzw. Bezugswert vor, können Schätzungen vorgenommen werden, die auf anderen verlässlichen Marktdaten wie z. B. Absatz- und Bezugsmengen beruhen.

(176)

Die Eigenproduktion, d. h. die Erzeugung oder Lieferung von Zwischenprodukten (Waren oder Dienstleistungen) für den Eigenverbrauch des Anbieters kann bei der wettbewerbsrechtlichen Untersuchung im Einzelfall relevant sein, wird aber bei der Marktabgrenzung oder der Berechnung des Marktanteils nach der Verordnung (EU) 2022/720 nicht berücksichtigt. In Szenarien des zweigleisigen Vertriebs müssen dagegen nach Artikel 8 Buchstabe c der Verordnung (EU) 2022/720 bei der Marktabgrenzung und der Berechnung des Marktanteils die Verkäufe von Waren mit einbezogen werden, die der Anbieter über vertikal integrierte Händler und Handelsvertreter erzielte (97). Integrierte Händler sind verbundene Unternehmen im Sinne des Artikels 1 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2022/720.

6.   ANWENDUNG DER VERORDNUNG (EU) 2022/720

6.1.   Kernbeschränkungen nach der Verordnung (EU) 2022/720

(177)

Artikel 4 der Verordnung (EU) 2022/720 enthält eine Liste von Kernbeschränkungen. Dies sind schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen, die in den meisten Fällen wegen des Schadens, den sie den Verbrauchern zufügen, verboten werden sollten. Enthält eine vertikale Vereinbarung eine oder mehrere Kernbeschränkungen, wird die Vereinbarung insgesamt aus dem Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2022/720 ausgeschlossen.

(178)

Die in Artikel 4 der Verordnung (EU) 2022/720 aufgeführten Kernbeschränkungen gelten für vertikale Vereinbarungen, die den Handel innerhalb der Union betreffen. Soweit vertikale Vereinbarungen Ausfuhren außerhalb der Union oder Importe/Re-Importe von außerhalb der Union betreffen, kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass sie eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb der Union bezwecken oder geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten als solchen zu beeinträchtigen (98).

(179)

Kernbeschränkungen nach Artikel 4 der Verordnung (EU) 2022/720 sind in der Regel bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV (99). Bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen handelt es sich um Formen der Koordinierung zwischen Unternehmen, die ihrem Wesen nach als schädlich für das ordnungsgemäße Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können (100). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union lassen bestimmte Arten der Koordinierung zwischen Unternehmen einen hinreichenden Grad der Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen, sodass sich eine Prüfung ihrer Auswirkungen erübrigen kann (101). Zur Feststellung einer bezweckten Beschränkung ist eine individuelle Beurteilung der betreffenden vertikalen Vereinbarung erforderlich. Bei Kernbeschränkungen handelt es sich dagegen um eine Kategorie von Beschränkungen nach der Verordnung (EU) 2022/720, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie im Allgemeinen zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs führen. Daher können vertikale Vereinbarungen, die solche Kernbeschränkungen enthalten, nicht unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen.

(180)

Kernbeschränkungen fallen jedoch nicht zwangsläufig unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV. Ist eine in Artikel 4 der Verordnung (EU) 2022/720 aufgeführte Kernbeschränkung für die Umsetzung einer bestimmten vertikalen Vereinbarung objektiv erforderlich, um beispielsweise die Einhaltung eines behördlichen Verbots des Verkaufs gefährlicher Stoffe an bestimmte Kunden aus Gründen der Sicherheit oder Gesundheit zu gewährleisten, fällt diese Vereinbarung ausnahmsweise nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die Kommission bei der Beurteilung einer vertikalen Vereinbarung die folgenden Grundsätze anwenden wird:

a)

Enthält eine vertikale Vereinbarung eine Kernbeschränkung nach Artikel 4 der Verordnung (EU) 2022/720, fällt diese Vereinbarung voraussichtlich unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV.

b)

Enthält eine vertikale Vereinbarung eine Kernbeschränkung nach Artikel 4 der Verordnung (EU) 2022/720, erfüllt diese Vereinbarung voraussichtlich nicht die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV.

(181)

Ein Unternehmen kann im Einzelfall wettbewerbsfördernde Auswirkungen nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV nachweisen (102). Zu diesem Zweck muss das Unternehmen im Rahmen des Nachweises, dass alle Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllt sind, belegen, dass Effizienzgewinne wahrscheinlich sind und dass diese Effizienzgewinne wahrscheinlich aus der Aufnahme der Kernbeschränkung in die Vereinbarung resultieren. Ist dies der Fall, prüft die Kommission die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb, die sich wahrscheinlich aus der Aufnahme der Kernbeschränkung in die Vereinbarung ergeben, bevor sie abschließend beurteilt, ob die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllt sind.

(182)

Anhand der Beispiele in den Randnummern (183) und (184) soll dargestellt werden, wie die Kommission die oben genannten Grundsätze anwenden wird.

(183)

Es folgt ein Beispiel für Querlieferungen zwischen zugelassenen Händlern.

Innerhalb eines selektiven Vertriebssystems müssen Querlieferungen zwischen zugelassenen Händlern möglich sein. (siehe Randnummer (237)). Beschränkungen des aktiven Verkaufs können jedoch unter bestimmten Umständen die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn zugelassene Großhändler, die in verschiedenen Gebieten angesiedelt sind, in dem Gebiet, in dem sie die betreffenden Waren oder Dienstleistungen vertreiben, in verkaufsfördernde Maßnahmen investieren müssen, um den Verkauf von zugelassenen Einzelhändlern zu unterstützen, und es sich als nicht praktikabel erwiesen hat, die erforderlichen verkaufsfördernden Maßnahmen im Vertrag als Verpflichtung festzulegen.

(184)

Es folgt ein Beispiel für eine echte Markterprobung.

Bei einer echten Markterprobung eines neuen Produkts in einem begrenzten Gebiet oder bei einer begrenzten Kundengruppe oder bei einer gestaffelten Einführung eines neuen Produkts können den Händlern, denen der Vertrieb des neuen Produkts auf dem Testmarkt übertragen wurde oder die an der/den ersten Runde(n) der gestaffelten Einführung teilnehmen, Beschränkungen in Bezug auf den aktiven Verkauf außerhalb des Testmarkts oder an Kundengruppen, bei denen das Produkt noch nicht eingeführt wurde, auferlegt werden. Solche Beschränkungen können für den Zeitraum, der für die Markterprobung oder Markteinführung des Produkts erforderlich ist, nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen.

6.1.1.   Preisbindung der zweiten Hand

(185)

Die in Artikel 4 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 beschriebene Kernbeschränkung betrifft die Preisbindung der zweiten Hand, d. h. Vereinbarungen, deren unmittelbarer oder mittelbarer Zweck darin besteht, die Möglichkeiten des Abnehmers zur Festlegung seines Verkaufspreises einzuschränken, wobei dies Vereinbarungen einschließt, in denen ein Fest- oder Mindestpreis festgesetzt wird, den der Abnehmer einzuhalten hat (103). Eine Verpflichtung des Abnehmers, seinen Verkaufspreis innerhalb einer bestimmten Spanne festzusetzen, ist eine Preisbindung der zweiten Hand im Sinne des Artikels 4 Buchstabe a der Verordnung.

(186)

Die Preisbindung der zweiten Hand kann durch direkte Mittel angewendet werden. Dies trifft auf Vertragsklauseln oder abgestimmte Verhaltensweisen zu, mit denen unmittelbar der Preis festgesetzt wird, den der Abnehmer seinem Kunden in Rechnung stellen muss (104), oder die es dem Anbieter erlauben, den Weiterverkaufspreis festzulegen oder die es dem Abnehmer verbieten, unter einem bestimmten Preisniveau zu verkaufen. Die Beschränkung ist auch dann eindeutig, wenn ein Anbieter eine Preiserhöhung verlangt und der Abnehmer diesem Verlangen nachkommt.

(187)

Eine Preisbindung der zweiten Hand kann auch durch indirekte Mittel angewendet werden, z. B. durch Anreize zur Einhaltung eines Mindestpreises oder durch negative Anreize zur Abweichung von einem Mindestpreis. Die folgenden Beispiele stellen eine nicht abschließende Liste solcher indirekten Mittel dar:

a)

Festlegen der Weiterverkaufsspanne,

b)

Festlegen eines Nachlasses, den der Händler auf ein vorgegebenes Preisniveau höchstens gewähren darf,

c)

Festlegen von Bestimmungen, nach denen das Gewähren von Nachlässen oder das Erstatten von Werbeaufwendungen durch den Anbieter von der Einhaltung eines vorgegebenen Preisniveaus abhängig gemacht wird,

d)

Festlegen von Mindestwerbepreisen, wodurch es dem Händler untersagt ist, mit Preisen unterhalb eines bestimmten vom Anbieter festgelegten Preisniveaus zu werben,

e)

Binden des vorgeschriebenen Weiterverkaufspreises an die Weiterverkaufspreise von Wettbewerbern,

f)

Drohungen, Einschüchterungen, Warnungen, Strafen, Verzögern oder Aussetzen von Lieferungen bzw. Vertragskündigung bei Nichteinhaltung eines bestimmten Preisniveaus.

(188)

Nach Artikel 4 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 ist die Vorgabe eines Höchstweiterverkaufspreises oder die Empfehlung eines Höchstweiterverkaufspreises keine Kernbeschränkung. Kombiniert der Anbieter jedoch einen solchen Höchstpreis oder die Empfehlung eines Höchstweiterverkaufspreises mit Anreizen zur Anwendung eines bestimmten Preisniveaus oder mit Negativanreizen zur Senkung des Verkaufspreises, kann dies auf eine Preisbindung der zweiten Hand hinauslaufen. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn der Anbieter Werbekosten, die dem Abnehmer entstanden sind, unter der Bedingung erstattet, dass der Abnehmer nicht vom Höchstweiterverkaufspreis oder vom empfohlenen Weiterverkaufspreis abweicht. Ein Negativanreiz für die Senkung des Verkaufspreises läge beispielsweise vor, wenn der Anbieter auf eine Abweichung des Abnehmers vom maximalen oder empfohlenen Weiterverkaufspreis mit der Drohung reagiert, weitere Lieferungen zu kürzen.

(189)

Obwohl Mindestwerbepreise den Händler grundsätzlich nicht daran hindern, zu einem niedrigeren als dem beworbenen Preis zu verkaufen, stellen sie dadurch, dass sie die Möglichkeiten des Händlers beschränken, potenzielle Kunden über erhältliche Rabatte zu informieren, für den Händler einen Negativanreiz zur Festsetzung eines niedrigeren Verkaufspreises dar. Dadurch wird ein Schlüsselparameter für den Preiswettbewerb zwischen Einzelhändlern beseitigt. Hinsichtlich der Anwendung des Artikels 4 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 werden beworbene Mindestwerbepreise daher als indirekte Mittel zur Anwendung von Preisbindungen der zweiten Hand behandelt.

(190)

Direkte oder indirekte Mittel zur Anwendung der Preisbindung der zweiten Hand können noch wirksamer sein, wenn sie mit Maßnahmen kombiniert werden, um Händler zu ermitteln, die Preise unterbieten, beispielsweise durch die Einrichtung von Preisüberwachungssystemen oder die Verpflichtung für Einzelhändler, andere Mitglieder des Vertriebsnetzes zu melden, die vom Standardpreisniveau abweichen.

(191)

Die Preisüberwachung wird zunehmend im elektronischen Geschäftsverkehr eingesetzt, bei dem sowohl Anbieter als auch Einzelhändler häufig Preisüberwachungssoftwares einsetzen (105). Diese Software erhöht die Preistransparenz auf dem Markt und ermöglicht den Herstellern, die Weiterverkaufspreise in ihrem Vertriebsnetz effektiv zu verfolgen (106). Ferner erlaubt sie den Einzelhändlern, die Preise ihrer Wettbewerber zu verfolgen. Allerdings stellen die Überwachung und Meldung von Preisen allein genommen keine Preisbindung der zweiten Hand dar.

(192)

Im Rahmen eines Handelsvertretervertrags legt der Auftraggeber in der Regel den Verkaufspreis fest, da er die wirtschaftlichen und finanziellen Risiken im Zusammenhang mit dem Verkauf trägt. Erfüllt eine solche Vereinbarung jedoch nicht die Voraussetzungen für eine Einstufung als Handelsvertretervertrag, der nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt (siehe insbesondere die Randnummern (30) bis (34) dieser Leitlinien), so ist jede unmittelbare oder mittelbare Verpflichtung, die den Handelsvertreter daran hindert oder einschränkt, seine Provision mit dem Kunden zu teilen, unabhängig davon, ob es sich um eine feste oder eine variable Provision handelt, eine Kernbeschränkung im Sinne des Artikels 4 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 (107). Dem Handelsvertreter sollte es daher freigestellt sein, den vom Kunden tatsächlich zu zahlenden Preis zu senken, ohne dass dadurch das Einkommen des Auftraggebers geschmälert wird (108).

(193)

Im Rahmen eines Erfüllungsvertrags schließt der Anbieter mit einem Abnehmer eine vertikale Vereinbarung zum Zweck der Ausführung (Erfüllung) eines zuvor zwischen dem Anbieter und einem bestimmten Kunden geschlossenen Liefervertrags. Wählt der Anbieter das Unternehmen aus, das die Erfüllungsdienstleistungen erbringen wird, gilt die Festsetzung eines Weiterverkaufspreises durch den Anbieter nicht als Preisbindung der zweiten Hand. In diesem Fall schränkt der im Erfüllungsvertrag vorgeschriebene Weiterverkaufspreis weder den Wettbewerb bei der Lieferung der Waren oder Dienstleistungen an den Kunden noch den Wettbewerb bei der Erbringung der Erfüllungsdienstleistungen ein. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Kunden Waren bei einem in der Online-Plattformwirtschaft tätigen Unternehmen kaufen, das von einer Gruppe unabhängiger Einzelhändler unter einer gemeinsamen Marke betrieben wird, und wenn dieses Unternehmen den Verkaufspreis der Waren bestimmt und den Einzelhändlern Erfüllungsaufträge übermittelt (109). Wählt der Kunde hingegen das Unternehmen aus, das die Erfüllungsdienste erbringen wird, kann das Vorschreiben eines Weiterverkaufspreises durch den Anbieter den Wettbewerb bei der Erbringung der Erfüllungsdienstleistungen einschränken. In diesem Fall kann die Festsetzung eines Weiterverkaufspreises auf eine Preisbindung der zweiten Hand hinauslaufen.

(194)

Artikel 4 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 findet in der Online-Plattformwirtschaft uneingeschränkt Anwendung. Insbesondere wenn ein Unternehmen Online-Vermittlungsdienste im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe e der Verordnung erbringt, ist es in Bezug auf diese Dienste ein Anbieter, und daher gilt Artikel 4 Buchstabe a der Verordnung für Beschränkungen, die das Unternehmen den Abnehmern der Online-Vermittlungsdienste in Bezug auf den Verkaufspreis von Waren oder Dienstleistungen auferlegt, die über die Online-Vermittlungsdienste verkauft werden. Dies hindert einen Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten zwar nicht daran, den Nutzern der Online-Vermittlungsdienste Anreize zu geben, ihre Waren oder Dienstleistungen zu einem wettbewerbsfähigen Preis zu verkaufen oder ihre Preise zu senken, doch stellt die Auferlegung eines Fest- oder Mindestverkaufspreises durch den Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten für die von ihm vermittelten Transaktionen eine Kernbeschränkung im Sinne des Artikels 4 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 dar.

(195)

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat wiederholt entschieden, dass die Preisbindung der zweiten Hand eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV ist (110). Wie unter den Randnummern (179) bis (181) dargelegt, bedeutet die Einstufung einer Beschränkung als Kernbeschränkung oder bezweckte Beschränkung jedoch nicht, dass es sich dabei per se um einen Verstoß gegen Artikel 101 AEUV handelt. Sind Unternehmen der Auffassung, dass eine Preisbindung der zweiten Hand im Einzelfall effizienzsteigernd ist, können sie sich auf Effizienzgründe nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV stützen.

(196)

Preisbindung der zweiten Hand kann den markeninternen und/oder markenübergreifenden Wettbewerb auf verschiedene Weise einschränken:

a)

Preisbindung der zweiten Hand kann zu Kollusion zwischen Anbietern führen, indem die Preistransparenz auf dem Markt verbessert wird und es somit einfacher ist festzustellen, ob ein Anbieter vom kollusiven Gleichgewicht abweicht, indem er seine Preise senkt. Von diesen negativen Auswirkungen ist eher auf Märkten auszugehen, die anfällig für Kollusion sind, z. B. wenn Anbieter ein enges Oligopol bilden und für einen wesentlichen Teil des Marktes Vereinbarungen über Preisbindungen der zweiten Hand bestehen.

b)

Preisbindungen der zweiten Hand können Absprachen zwischen den Abnehmern auf der Vertriebsebene erleichtern, insbesondere wenn der Vertrieb von den Abnehmern gesteuert wird. Starke und gut organisierte Abnehmer können in der Lage sein, einen oder mehrere ihrer Anbieter zu zwingen oder davon zu überzeugen, ihren Weiterverkaufspreis oberhalb des Preises des freien Marktes festzulegen und den Abnehmern auf diese Weise helfen, ihr kollusives Gleichgewicht zu erreichen bzw. zu stabilisieren. Eine Preisbindung der zweiten Hand dient als Selbstverpflichtungsinstrument für Einzelhändler, nicht durch Preisnachlässe vom kollusiven Gleichgewicht abzuweichen.

c)

Eine Preisbindung der zweiten Hand kann mitunter den Wettbewerb zwischen Herstellern und/oder zwischen Einzelhändlern abschwächen; insbesondere wenn die Hersteller ihre Produkte über dieselben Händler vertreiben und alle oder viele dieser Händler eine Preisbindung zweiter Hand anwenden.

d)

Eine Preisbindung der zweiten Hand kann den Druck auf die Marge des Anbieters verringern, insbesondere wenn der Hersteller ein Problem hat, eine Selbstverpflichtung einzuhalten, d. h., er ein Interesse daran hat, seine Preise für nachfolgende Händler zu senken. In dieser Situation zieht es der Hersteller unter Umständen vor, einer Preisbindung der zweiten Hand zuzustimmen, um sich so verpflichten zu können, die Preise für nachfolgende Händler nicht zu senken, und gleichzeitig den Druck auf seine eigene Marge zu verringern.

e)

Indem sie den Preiswettbewerb zwischen Händlern unmöglich macht, kann eine Preisbindung der zweiten Hand den Marktzutritt und die Expansion effizienterer oder neuer Vertriebsformate verhindern oder erschweren und somit Innovationen auf der Vertriebsebene verringern.

f)

Eine Preisbindung der zweiten Hand kann von einem Anbieter mit Marktmacht eingesetzt werden, um kleinere Wettbewerber vom Markt auszuschließen. Die durch eine Preisbindung der zweiten Hand entstehende höhere Marge kann Händler dazu verleiten, bei der Beratung ihrer Kunden eher die Marke des Anbieters zu empfehlen als die Marken anderer Wettbewerber, selbst wenn eine solche Empfehlung nicht im Interesse dieser Kunden ist, oder die Marken anderer Wettbewerber überhaupt nicht zu verkaufen.

g)

Die unmittelbare Auswirkung einer Preisbindung der zweiten Hand ist die Ausschaltung des markeninternen Preiswettbewerbs, indem alle oder einige Händler daran gehindert werden, ihren Verkaufspreis für die betreffende Marke zu senken, was zu einer Preiserhöhung für diese Marke führt.

(197)

Jedoch kann eine Preisbindung der zweiten Hand auch zu Effizienzsteigerungen führen, insbesondere wenn sie von den Anbietern ausgeht. Berufen sich Unternehmen im Zusammenhang mit einer Preisbindung der zweiten Hand auf die Einrede der Effizienz, müssen sie in der Lage sein, dies durch konkrete Nachweise zu belegen und darzulegen, dass alle Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 im Einzelfall erfüllt sind (111). Es folgen vier Beispiele für solche Effizienzgewinne.

a)

Wenn ein Hersteller ein neues Produkt einführt, kann eine Preisbindung der zweiten Hand eine wirksame Maßnahme sein, um die Händler zu veranlassen, das Interesse des Herstellers an der Förderung dieses Produkts besser zu berücksichtigen. Nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV ist es ferner erforderlich, dass keine realistischen, weniger restriktiven alternativen Methoden bestehen, die Händler zur Förderung des Produkts zu veranlassen. Um diese Anforderung zu erfüllen, können Anbieter z. B. nachweisen, dass es in der Praxis nicht möglich ist, allen Abnehmern wirksame Werbeverpflichtungen vertraglich aufzuerlegen. Unter solchen Umständen kann eine befristete Festsetzung von Fest- oder Mindestpreisen im Einzelhandel, um die Einführung des neuen Produkts zu erleichtern, insgesamt als wettbewerbsfördernd angesehen werden.

b)

Feste Weiterverkaufspreise und nicht nur Höchstweiterverkaufspreise können insbesondere in einem Vertriebssystem mit einheitlichen Vertriebsformate wie im Falle eines Franchisesystems erforderlich sein, um eine kurzfristige Sonderangebotskampagne (in den meisten Fällen von zwei bis sechs Wochen) zu koordinieren, von der auch die Verbraucher profitieren. In einem solchen Fall kann die Festsetzung von Festpreisen im Einzelhandel, da sie vorübergehend erfolgt, insgesamt als wettbewerbsfördernd angesehen werden.

c)

Um einen bestimmten Händler daran zu hindern, das Produkt eines Anbieters als Lockvogelangebot zu nutzen, kann ein Mindestpreis für den Weiterverkauf oder ein Mindestwerbepreis festgelegt werden. Verkauft ein Händler ein Produkt regelmäßig unter dem Großhandelspreis weiter, kann dies das Markenimage beschädigen und im Laufe der Zeit die Gesamtnachfrage nach dem Produkt und die Anreize für den Anbieter, in die Qualität zu investieren, schwächen. In diesem Fall kann es als wettbewerbsfördernd betrachtet werden, wenn dieser Vertriebshändler daran gehindert wird, zu einem unter dem Großhandelspreis liegenden Preis zu verkaufen, indem ihm ein bestimmter Mindestpreis für den Weiterverkauf oder ein bestimmter Mindestwerbepreis vorgeschrieben wird.

d)

Unter bestimmten Umständen könnte die durch eine Preisbindung zweiter Hand gewonnene zusätzliche Marge die Einzelhändler in die Lage versetzen, eine zusätzliche Kundenberatung vor dem Verkauf anzubieten, insbesondere wenn es sich um komplexe Produkte handelt. Wenn genügend Kunden solche Beratungsdienste in Anspruch nehmen, um ihre Wahl zu treffen, allerdings dann das Produkt zu einem billigeren Preis bei Einzelhändlern kaufen, die eine derartige Beratungsleistung nicht erbringen (d.h. denen keine solche Kosten entstehen), dann könnten Einzelhändler mit hoher Serviceleistung diese Beratungsdienste, die die Nachfrage nach dem Produkt des Anbieters steigern, einschränken oder ganz einstellen. Der Anbieter muss nachweisen, dass auf der Vertriebsebene die Gefahr von Trittbrettfahren besteht, dass Fest- oder Mindestverkaufspreise genügend Anreize für Investitionen in Beratungsdienste vor dem Verkauf bieten und dass keine realistischen, weniger restriktiven Alternativen bestehen, solches Trittbrettfahren zu beseitigen. In dieser Situation ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Preisbindung aus zweiter Hand als wettbewerbsfördernd angesehen wird, höher, wenn der Wettbewerb zwischen Anbietern intensiv und die Markmacht des Anbieters begrenzt ist.

(198)

Der Einsatz von Weiterverkaufspreisempfehlungen oder von Höchstweiterverkaufspreisen kann unter die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 vorgesehene Freistellung fallen, wenn die Marktanteile der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen jeweils nicht mehr als 30 % betragen und sofern dies nicht darauf hinausläuft, das ein Mindest- oder Festpreis infolge des Drucks oder der Anreize durch eines der beteiligten Unternehmen vorgeschrieben wird, wie in den Randnummern (187) und (188) dargelegt. Die Randnummern (199) bis (201) enthalten Orientierungshilfen für die Beurteilung empfohlener oder maximaler Weiterverkaufspreise in Fällen, in denen die Marktanteilsschwelle überschritten wird.

(199)

Das Risiko für den Wettbewerb, welches mit Weiterverkaufspreisempfehlungen und Höchstweiterverkaufspreisen verbunden ist, besteht darin, dass diese Preise als Orientierung dienen könnten, an die sich die meisten oder alle Wiederverkäufer halten. Zweitens können sie den Wettbewerb abschwächen oder Absprachen zwischen Anbietern erleichtern.

(200)

Ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung möglicher wettbewerbswidriger Auswirkungen empfohlener oder maximaler Weiterverkaufspreise ist die Marktstellung des Anbieters. Je stärker die Marktstellung des Anbieters, desto größer ist die Gefahr, dass ein empfohlener oder maximaler Weiterverkaufspreis zu einem mehr oder weniger einheitlichen Preisniveau unter den Wiederverkäufern führt, weil es diese als schwierig empfinden könnten, von dem Preis abzuweichen, den sie als den von einem so wichtigen Anbieter vorgeschlagenen, bevorzugten Weiterverkaufspreis ansehen.

(201)

Rufen empfohlene oder maximale Weiterverkaufspreise spürbare wettbewerbswidrige Auswirkungen hervor, muss geprüft werden, ob sie die Voraussetzungen für die in Artikel 101 Absatz 3 AEUV vorgesehene Ausnahme erfüllen. Hinsichtlich der maximalen Weiterverkaufspreise könnte die Vermeidung einer „doppelten Gewinnmaximierung“ (112) von besonderer Bedeutung sein. Ein maximaler Weiterverkaufspreis könnte zudem helfen sicherzustellen, dass sich die Marke des Anbieters besser gegen andere, von demselben Händler vertriebene Marken (einschließlich Eigenmarken) behaupten kann.

6.1.2.   Kernbeschränkungen nach Artikel 4 Buchstaben b, c, d und e der Verordnung (EU) 2022/720

6.1.2.1.   Einstufung als Kernbeschränkung nach Artikel 4 Buchstaben b, c, d und e der Verordnung (EU) 2022/720

(202)

Artikel 4 Buchstaben b, c und d der Verordnung (EU) 2022/720 enthält eine Liste von Kernbeschränkungen und Ausnahmen, die für verschiedene Vertriebssysteme, nämlich den Alleinvertrieb, den selektiven Vertrieb bzw. den freien Vertrieb gelten. Die in Artikel 4 Buchstabe b, Buchstabe c Ziffer i und Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/720 genannten Kernbeschränkungen betreffen Vereinbarungen, die mittel- oder unmittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der beteiligten Unternehmen eine Beschränkung des Gebiets bzw. der Kundengruppe zum Zweck haben, in das bzw. an den der Abnehmer oder dessen Kunden die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkaufen dürfen. Gemäß Artikel 4 Buchstabe c Ziffern ii und iii der Verordnung (EU) 2022/720 stellen in einem selektiven Vertriebssystem Beschränkungen von Querlieferungen zwischen den Mitgliedern des selektiven Vertriebssystems, die auf derselben oder auf unterschiedlichen Handelsstufen tätig sind, sowie Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher durch Mitglieder des selektiven Vertriebssystems, die auf der Einzelhandelsstufe tätig sind, Kernbeschränkungen dar. Artikel 4 Buchstaben b, c und d der Verordnung gelten unabhängig von dem Vertriebsweg, der genutzt wird, also beispielsweise unabhängig davon, ob der Verkauf offline oder online erfolgt.

(203)

Gemäß Artikel 4 Buchstabe e der Verordnung (EU) 2022/720 stellt eine vertikale Vereinbarung, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der beteiligten Unternehmen zum Zweck hat, die wirksame Nutzung des Internets durch den Abnehmer oder dessen Kunden für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen an Kunden in bestimmte Gebiete oder an bestimmte Kunden zu verhindern, eine Kernbeschränkung dar. Eine vertikale Vereinbarung, die eine oder mehrere Beschränkungen von Online-Verkäufen oder Online-Werbung (113) enthält, die es dem Abnehmer de facto verbieten, das Internet für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen zu nutzen, bezweckt zumindest die Beschränkung des passiven Verkaufs an Endverbraucher, die online kaufen möchten und sich außerhalb des physischen Handelsgebiets des Abnehmers befinden, zu beschränken (114). Vereinbarungen dieser Art fallen daher unter Artikel 4 Buchstabe e der Verordnung (EU) 2022/720. Dasselbe gilt für vertikale Vereinbarungen, die die wirksame Nutzung des Internets durch einen Abnehmer oder dessen Kunden für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen an Kunden in bestimmte Gebiete oder an bestimmte Kunden zwar nicht verbieten, aber zum Zweck haben, diese zu verhindern. Dies trifft beispielsweise auf vertikale Vereinbarungen zu, die eine erhebliche Verringerung des Gesamtumfangs der Online-Verkäufe von Vertragswaren oder -dienstleistungen oder der Möglichkeiten für den Endverbraucher, Vertragswaren oder -dienstleistungen online zu werben, bezwecken. Dies gilt ebenfalls für vertikale Vereinbarungen, die darauf abzielen, den Abnehmer an der Nutzung eines oder mehrerer ganzen Online-Werbekanäle (z. B. Suchmaschinen (115) oder Preisvergleichsdienste) oder der Gründung oder dem Betrieb eines einen eigenen Online-Shops zu hindern (116). Bei der Beurteilung, ob eine Beschränkung eine Kernbeschränkung im Sinne des Artikels 4 Buchstabe e der Verordnung (EU) 2022/720 ist, können Inhalt und Kontext der Beschränkung berücksichtigt werden, sie kann aber nicht von marktspezifischen Umständen oder individuellen Eigenschaften der an der vertikalen Vereinbarung beteiligten Unternehmen abhängen.

(204)

Die Kernbeschränkungen, auf die in Randnummer (202) Bezug genommen wird, kann durch unmittelbare Verpflichtungen bewirkt werden, z. B. die Verpflichtung, nicht an Kunden in bestimmten Gebieten oder an bestimmte Kundengruppen zu verkaufen, oder die Verpflichtung, Bestellungen solcher Kunden an andere Händler weiterzuleiten. Sie lassen sich aber auch durch indirekte Maßnahmen des Anbieters erreichen, mit denen der Händler dazu gebracht werden soll, nicht an die betreffenden Kunden zu verkaufen, beispielsweise

a)

Verpflichtung des Abnehmers, für Verkäufe an solche Kunden die Genehmigung des Anbieters einzuholen (117),

b)

Verweigerung oder Reduzierung von Prämien oder Nachlässen, wenn der Abnehmer Verkäufe an solche Kunden tätigt (118), oder Ausgleichszahlungen an den Abnehmer, wenn er den Verkauf an solche Kunden einstellt,

c)

Einstellung der Lieferung von Produkten, wenn der Abnehmer Verkäufe an diese Kunden tätigt,

d)

Beschränkung oder Verringerung der Liefermengen beispielsweise in der Weise, dass die Mengen der Nachfrage der Kunden in bestimmten Gebieten oder der Nachfrage bestimmter Kundengruppen entsprechen,

e)

Drohung, die vertikale Vereinbarung zu kündigen (119) oder nicht zu verlängern, wenn der Abnehmer Verkäufe an solche Kunden tätigt,

f)

Berechnung höherer Händlerpreise für Produkte, die an solche Kunden verkauft werden (120),

g)

Begrenzung des Anteils der Verkäufe, die der Abnehmer bei solchen Kunden tätigt,

h)

Hinderung des Abnehmers an der Verwendung zusätzlicher Sprachen auf der Verpackung oder zur Verkaufsförderung der Produkte (121),

i)

Lieferung eines anderen Produkts als Gegenleistung für die Einstellung des Verkaufs an solche Kunden seitens des Abnehmers,

j)

Leistung von Zahlungen an den Abnehmer, damit dieser den Verkauf an solche Kunden einstellt,

k)

Verpflichtung des Abnehmers, die bei solchen Kunden erzielten Gewinne an den Anbieter weiterzuleiten (122),

l)

Ausschluss von Produkten, die außerhalb des Gebiets des Abnehmers weiterverkauft werden, oder von Produkten, die von in anderen Gebieten ansässigen Abnehmern im Gebiet des Abnehmers verkauft werden, von der unionsweiten, durch den Anbieter erstatteten Garantieleistung (123).

(205)

Maßnahmen, die einem Hersteller die Überprüfung des Bestimmungsortes der gelieferten Waren erlauben, beispielsweise die Verwendung unterschiedlicher Etiketten, spezifischer Sprachcluster oder Seriennummern oder aber die Androhung oder Durchführung von Audits zur Überprüfung der Einhaltung anderer Beschränkungen durch den Abnehmer (124), stellen für sich genommen keine Wettbewerbsbeschränkungen dar. Sie können jedoch als Teil einer Kernbeschränkung der Verkäufe des Abnehmers angesehen werden, wenn sie vom Anbieter zur Kontrolle des Bestimmungsorts der gelieferten Waren genutzt werden, z. B. wenn sie in Verbindung mit einer oder mehreren der in den Randnummern (203) und (204) genannten Praktiken angewendet werden.

(206)

Zusätzlich zu den unter den Randnummern (202) bis (204) aufgeführten unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen können Kernbeschränkungen, die sich speziell auf den Online-Verkauf beziehen, ebenfalls das Ergebnis unmittelbarer oder mittelbarer Verpflichtungen sein. Neben einem direkten Verbot der Nutzung des Internets zum Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen gibt es folgende Beispiele für Verpflichtungen, deren mittelbarer Zweck darin besteht, die wirksame Nutzung des Internets durch den Abnehmer für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen an Kunden in bestimmte Gebiete oder an bestimmte Kunden im Sinne des Artikels 4 Buchstabe e der Verordnung (EU) 2022/720 zu verhindern:

a)

Verpflichtung des Abnehmers, zu verhindern, dass Kunden aus einem anderen Gebiet seine Website einsehen können, oder Verpflichtung des Abnehmers, auf seiner Website eine Umleitung zum Online-Shop des Herstellers oder eines anderen Verkäufers einzurichten. Die Verpflichtung des Abnehmers, Links zu den Online-Shops des Anbieters oder anderer Verkäufer einzurichten, ist jedoch keine Kernbeschränkung (125).

b)

Die Anforderung, dass der Händler die Online-Transaktionen von Verbrauchern beendet, sobald deren Kreditkartendaten eine Adresse ergeben, die nicht im Gebiet des Händlers liegt (126).

c)

Die Anforderung, dass der Abnehmer die Vertragswaren oder -dienstleistungen nur in einem physischen Raum oder in physischer Anwesenheit von Fachpersonal verkaufen darf (127).

d)

Die Anforderung, dass der Abnehmer die Genehmigung des Anbieters einholt, bevor er einzelne Online-Verkaufstransaktionen vornimmt.

e)

Das Verbot, dass der Abnehmer Marken oder Markennamen des Anbieters auf seiner Website oder in seinem Online-Geschäft zu verwendet.

f)

Das Verbot, dass der Abnehmer einen oder mehrere Online-Shops einrichtet oder betreibt, unabhängig davon, ob das Hosting des Online-Stores auf dem eigenen Server des Abnehmers oder dem Server eines Dritten erfolgt (128).

g)

Das Verbot für den Abnehmer, einen ganzen Online-Werbekanal (z. B. Suchmaschinen (129) oder Preisvergleichsdienste) zu nutzen, oder Beschränkungen, durch die indirekt die Nutzung eines ganzen Online-Werbekanals verboten wird (z. B. die Verpflichtung des Händlers, die Marken oder Markennamen des Anbieters nicht für Angebote zu verwenden, auf die in Suchmaschinen verwiesen werden soll) oder eine Beschränkung der Übermittlung preisbezogener Informationen an Preisvergleichsdienste. Solche Beschränkungen haben zum Ziel, die wirksame Nutzung des Internets durch den Abnehmer für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen an Kunden in bestimmten Gebieten oder an bestimmte Kunden zu verhindern, denn sie schränken die Möglichkeiten des Abnehmers ein, Kunden, die sich außerhalb seines physischen Handelsgebiets befinden, gezielt anzusprechen, sie über sein Angebot zu informieren und sie in seinen Online-Shop oder auf andere Kanäle zu lenken. Das Verbot der Nutzung bestimmter Preisvergleichsdienste oder Suchmaschinen stellt in der Regel keine Kernbeschränkung dar, da der Abnehmer andere Online-Werbedienste nutzen kann, um auf seine Online-Verkaufsaktivitäten aufmerksam zu machen. Ein Verbot der Nutzung der am weitesten verbreiteten Werbedienste im jeweiligen Online-Werbekanal kann jedoch auf eine Kernbeschränkung hinauslaufen, wenn die verbleibenden Dienste in dem betroffenen Werbekanal de facto nicht in der Lage sind, Kunden für den Online-Shop des Abnehmers zu gewinnen.

(207)

Anders als die in Randnummer (204) genannten Beschränkungen können Anforderungen, die der Anbieter dem Abnehmer bezüglich der Art und Weise auferlegt, in der die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkauft werden sollen, unabhängig von der Art des Vertriebssystems unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen. Der Anbieter kann insbesondere Qualitätsanforderungen vorschreiben. Beispielsweise kann der Anbieter in einem selektiven Vertriebssystem Anforderungen hinsichtlich der Mindestgröße und des Erscheinungsbildes des Geschäfts des Abnehmers (beispielsweise in Bezug auf Ausstattung, Möblierung, Gestaltung, Beleuchtung und Bodenbeläge) oder die Produktpräsentation (beispielsweise in Bezug auf die Mindestzahl der ausgestellten Produkte der betreffenden Marke oder den Mindestabstand zwischen Produkten) vorschreiben (130).

(208)

Ebenso kann der Anbieter dem Abnehmer Anforderungen in Bezug auf die Art und Weise, in der die Vertragswaren oder -dienstleistungen online verkauft werden sollen, vorschreiben. Für Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung bestimmter Online-Vertriebskanäle wie Online-Marktplätze oder für die Auferlegung von Qualitätsstandards für Online-Verkäufe kann in der Regel unabhängig von der Art des verwendeten Vertriebssystems die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 vorgesehene Freistellung gelten, sofern sie nicht indirekt darauf abzielen, die wirksame Nutzung des Internets durch den Abnehmer für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen an Kunden in bestimmten Gebiete oder an bestimmte Kunden zu verhindern. Beschränkungen von Online-Verkäufen dienen in der Regel nicht diesem Ziel, wenn es dem Abnehmer weiterhin freisteht, einen eigenen Online-Shop (131) zu betreiben und online zu werben (132). In diesen Fällen wird der Abnehmer nicht daran gehindert, das Internet für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen wirksam zu nutzen. Nachstehend sind Beispiele für Anforderungen im Zusammenhang mit Online-Verkäufen aufgeführt, für die die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung in Anspruch genommen werden kann:

a)

Anforderungen, mit denen die Qualität oder ein bestimmtes Erscheinungsbild des Online-Shops des Abnehmers sichergestellt werden soll,

b)

Anforderungen hinsichtlich der Darstellung der Vertragswaren oder -dienstleistungen im Online-Shop (beispielsweise die Mindestanzahl der dargestellten Artikel, die Art und Weise, in der die Marken des Anbieters dargestellt werden),

c)

ein mittel- oder unmittelbares Verbot der Nutzung von Online-Marktplätzen (133),

d)

eine Anforderung, dass der Abnehmer eine oder mehrere physische Verkaufsstätten oder Ausstellungsräume betreibt, beispielsweise als Voraussetzung dafür, dass er Mitglied des selektiven Vertriebssystems des Anbieters wird,

e)

eine Anforderung, dass der Abnehmer die Vertragswaren oder -dienstleistungen in einem nach Wert oder Menge, aber nicht nach dem Anteil seines Gesamtumsatzes bestimmten absoluten Mindestumfang offline verkauft, um einen effizienten Betrieb seiner physischen Verkaufsstätte zu gewährleisten. Diese Anforderung kann für alle Abnehmer identisch sein oder anhand objektiver Kriterien, wie der Größe des Abnehmers im Vergleich zu anderen Abnehmern oder seiner geografischen Lage, unterschiedlich festgelegt werden.

(209)

Eine Anforderung, dass der Abnehmer für online verkaufte Produkte einen anderen Großhandelspreis zahlt als für offline verkaufte Produkte (Doppelpreissystem) kann unter die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 vorgesehene Freistellung fallen, da sie Anreize oder Belohnungen für ein angemessenes Niveau an Investitionen in Online- oder Offline-Absatzkanäle bieten kann, sofern sie nicht nach Artikel 4 Buchstaben b, c und d der Verordnung (EU) 2022/720 eine Beschränkung der Verkäufe an Kunden in bestimmten Gebieten oder an bestimmte Kunden zum Zweck hat (134). Wenn der Unterschied beim Großhandelspreis jedoch zum Zweck hat, die wirksame Nutzung des Internets durch den Abnehmer für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen an Kunden in bestimmten Gebieten oder an bestimmte Kunden zu verhindern, stellt er eine Kernbeschränkung im Sinne des Artikels 4 Buchstabe e der Verordnung (EU) 2022/720 dar. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn der Unterschied im Großhandelspreis den Online-Verkauf unrentabel oder finanziell nicht tragbar (135) werden lässt oder wenn das Doppelpreissystem zu einer Mengenbeschränkung der Produkte, die dem Abnehmer zum Online-Verkauf zur Verfügung gestellt werden, genutzt wird (136). Umgekehrt kann ein Doppelpreissystem unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen, wenn der Unterschied im Großhandelspreis in einem angemessenen Verhältnis zu den Unterschieden bei den Investitionen und Kosten steht, die der Anbieter für die Erzielung von Verkäufen in den einzelnen Kanälen trägt. Ebenso kann der Anbieter für Produkte, die über eine Kombination aus Offline- und Online-Kanälen verkauft werden sollen, einen anderen Großhandelspreis in Rechnung stellen, wenn der Preisunterschied Investitionen oder Kosten im Zusammenhang mit dieser Art des Vertriebs berücksichtigt. Die beteiligten Unternehmen können eine geeignete Methode zur Umsetzung des Doppelpreissystems vereinbaren, die beispielsweise auch einen nachträglichen Kontenausgleich auf Basis der tatsächlichen Verkäufe einschließt.

(210)

Beschränkungen für Online-Werbung können unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen, sofern sie nicht darauf abzielen, die Nutzung eines ganzen Werbekanals durch den Abnehmer zu verhindern. Werbebeschränkungen, die unter die Freistellung fallen können, sind beispielsweise:

a)

eine Anforderung, dass Online-Werbung bestimmte Qualitätsstandards erfüllt oder spezielle Inhalte oder Informationen einschließt,

b)

eine Anforderung, dass der Abnehmer keine Dienste bestimmter Anbieter von Online-Werbediensten nutzt, die gewisse Qualitätsstandards nicht erfüllen,

c)

eine Anforderung, dass der Abnehmer den Markennamen des Anbieters nicht im Domainnamen seines Online-Shops verwendet.

6.1.2.2.   Unterschied zwischen „aktivem Verkauf“ und „passivem Verkauf“

(211)

In Artikel 4 der Verordnung (EU) 2022/720 wird m Kontext von Alleinvertriebssystemen zwischen Beschränkungen des aktiven Verkaufs und Beschränkungen des passiven Verkaufs unterschieden. In Artikel 1 Absatz 1 Buchstaben l und m der Verordnung (EU) 2022/720 werden die Begriffe „aktiver Verkauf“ und „passiver Verkauf“ definiert.

(212)

In Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe m der Verordnung (EU) 2022/720 wird dargelegt, dass Verkäufe an Kunden, die der Verkäufer nicht aktiv angesprochen hat, passive Verkäufe darstellen, wenn es sich um Verkäufe an Kunden in einem Alleinvertriebsgebiet oder an exklusiv zugewiesene Kundengruppen handelt. So ist beispielsweise die Einrichtung eines Online-Shops eine Form des passiven Verkaufs, da sie potenziellen Kunden ermöglicht, den Verkäufer zu erreichen. Der Betrieb eines Online-Shops kann Auswirkungen haben, die über das physische Handelsgebiet des Verkäufers hinausgehen, unter anderem dadurch, dass Online-Käufe durch Kunden ermöglicht werden, die in anderen Gebieten ansässig sind oder anderen Kundengruppen angehören. Dennoch handelt es sich bei solchen Käufen (einschließlich der Lieferung der Produkte) um passive Verkäufe, sofern der Verkäufer nicht aktiv auf den jeweiligen Kunden oder das spezielle Gebiet oder die Kundengruppe abzielt, dem bzw. der der Kunde angehört. Gleiches gilt, wenn ein Kunde sich dazu entscheidet, automatisch vom Verkäufer informiert zu werden und diese Information zu einem Verkauf führt. Ebenso stellen die Nutzung der Suchmaschinenoptimierung, d. h. Instrumente oder Techniken zur Erhöhung der Sichtbarkeit oder des Rankings des Online-Shops in Suchmaschinenergebnissen, oder das Anbieten einer App in einem Store für Software-Anwendungen grundsätzlich Mittel dar, die es potenziellen Kunden ermöglichen, den Verkäufer zu erreichen, und stellen daher Formen des passiven Verkaufs dar.

(213)

Umgekehrt wird in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe l der Verordnung (EU) 2022/720 dargelegt, dass bei Verkäufen an Kunden in einem Alleinvertriebsgebiet oder einer exklusiv zugewiesenen Kundengruppe, in deren Rahmen in einem Online-Shop eine Sprachoption angeboten wird, die sich von der im Gebiet des Sitzes des Verkäufers gebräuchlichen Sprache unterscheidet, im Allgemeinen davon auszugehen ist, dass der Verkäufer auf das Gebiet abzielt, in dem diese Sprache gebräuchlich ist, sodass dies auf einen aktiven Verkauf hinausläuft (137). Das Angebot einer englischen Sprachoption in einem Online-Shop ist jedoch für sich genommen kein Anzeichen dafür, dass der Verkäufer auf englischsprachige Gebiete abzielt, denn Englisch wird in der gesamten Union weithin verstanden und genutzt. Ebenso ist die Einrichtung eines Online-Shops mit einer Top-Level-Domain, die einem anderen Gebiet entspricht als dem, in dem der Händler niedergelassen ist, eine Form des aktiven Verkaufs in dieses Gebiet, während das Anbieten eines Online-Shops mit einem generischen und nicht länderspezifischen Domainnamen eine Form des passiven Verkaufs ist.

(214)

Nach Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe l der Verordnung (EU) 2022/720 sind unter aktiven Verkäufen solche Verkäufe zu verstehen, die sich durch das aktive Ansprechen von Kunden mittels Besuchen, Briefen, E-Mails, Anrufen oder anderen Mitteln der direkten Kommunikation ergeben. Gezielte Werbung oder Verkaufsförderung ist eine Form des aktiven Verkaufs. Insbesondere Online-Werbedienste ermöglichen es Verkäufern häufig, Gebiete oder Kundengruppen auszuwählen, in denen die Online-Werbung angezeigt wird. Dies gilt beispielsweise für Suchmaschinenwerbung und andere Online-Werbung, z. B. in Websites, Stores für Software-Anwendungen und sozialen Medien, sofern es der Werbedienst dem Werbekunden ermöglicht, Kunden entsprechend ihren besonderen Merkmalen, einschließlich ihres geografischen Standorts oder ihres persönlichen Profils, anzusprechen. Wenn der Verkäufer dagegen Online-Werbung an Kunden in seinem eigenen Gebiet oder an seine eigene Kundengruppe richtet und es nicht möglich ist, zu verhindern, dass diese Werbung für Kunden in anderen Gebieten oder Kundengruppen sichtbar ist, handelt es sich um eine Form des passiven Verkaufs. Zu Beispielen für eine solche allgemeine Werbung zählen gesponserte Inhalte auf der Website einer lokalen oder überregionalen Zeitung, auf die jeder Besucher dieser Website zugreifen kann, oder die Verwendung von Preisvergleichsdiensten mit generischen und nicht länderspezifischen Domainnamen. Erfolgt dagegen eine solche allgemeine Werbung in Sprachen, die in dem Gebiet des Verkäufers nicht gebräuchlich sind, oder auf Websites mit Top-Level-Domains, die einem anderen Gebiet als dem des Verkäufers entsprechen, läuft dies auf aktiven Verkauf in diese anderen Gebiete hinaus.

(215)

Die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen ist unabhängig von der Art des öffentlichen Vergabeverfahrens (z. B. offenes Verfahren, nichtoffenes Verfahren oder anders Verfahren) eine Form des passiven Verkaufs. Diese Einstufung entspricht den Zwecken des öffentlichen Vergaberechts, zu denen auch die Förderung des markeninternen Wettbewerbs zählt. Folglich stellt die in einer vertikalen Vereinbarung vorgesehene Beschränkung der Möglichkeit eines Abnehmers zur Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen eine Kernbeschränkung im Sinne des Artikels 4 Buchstaben b, c und d der Verordnung (EU) 2022/720 dar. Ebenso stellt die Beantwortung einer Aufforderung einer nichtöffentlichen Einrichtung zur Angebotsabgabe eine Form des passiven Verkaufs dar. Solche Ausschreibungen sind eine Form der unaufgeforderten Anfrage eines Kunden, die sich an mehrere potenzielle Verkäufer richtet, und daher ist die Abgabe eines Angebots als Reaktion auf eine Ausschreibung durch eine nicht öffentliche Einrichtung eine Form des passiven Verkaufs.

6.1.2.3.   Kernbeschränkungen in Bezug auf bestimmte Vertriebssysteme

(216)

Artikel 4 Buchstaben b, c und d der Verordnung (EU) 2022/720 enthält eine Liste von Kernbeschränkungen und Ausnahmen, die je nach Art des vom Anbieter betriebenen Vertriebssystems gelten: Alleinvertrieb, selektiver Vertrieb oder freier Vertrieb.

6.1.2.3.1.   Anbieter betreibt Alleinvertriebssystem

(217)

Die Kernbeschränkung nach Artikel 4 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2022/720 betrifft Vereinbarungen, die unmittelbar oder mittelbar die Beschränkung des Gebiets oder der Kundengruppe bezwecken, in das oder an die ein Abnehmer, dem ein Gebiet oder eine Kundengruppe exklusiv zugewiesen wurde, die Vertragswaren oder -dienstleistungen aktiv oder passiv verkaufen darf.

(218)

Es gibt fünf Ausnahmen von der in Artikel 4 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegten Kernbeschränkung.

(219)

Erstens erlaubt Artikel 4 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung (EU) 2022/720 dem Anbieter, den aktiven Verkauf eines Alleinvertriebshändlers in ein Gebiet oder an eine Kundengruppe zu beschränken, das bzw. die höchstens fünf Abnehmern exklusiv zugewiesen oder dem Anbieter vorbehalten ist. Um die Investitionsanreize der Alleinvertriebshändler zu erhalten, muss der Anbieter sie vor aktiven Verkäufen, einschließlich gezielter Online-Werbung, aller seiner anderen Abnehmer in das Gebiet oder an die Kundengruppe, das oder die den Alleinvertriebshändlern exklusiv zugewiesen wurde, schützen.

(220)

Die Investitionsanreize von Alleinvertriebshändlern könnten auch durch aktive Verkäufe geschwächt werden, die Kunden anderer Abnehmer des Anbieters tätigen. Daher lässt Artikel 4 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung (EU) 2022/720 es auch zu, dass der Anbieter von seinen anderen Abnehmern verlangt, ihren Direktkunden Beschränkungen hinsichtlich aktiver Verkäufe in Gebiete oder an Kundengruppen aufzuerlegen, die der Anbieter anderen Händlern exklusiv zugewiesen oder sich selbst vorbehalten hat. Der Anbieter kann von diesen anderen Abnehmern jedoch nicht verlangen, die Beschränkung aktiver Verkäufe an Kunden weiterzugeben, die auf weiter nachgelagerten Vertriebsstufen tätig sind.

(221)

Der Anbieter darf die Zuweisung eines exklusiven Gebiets und einer exklusiv zugewiesenen Kundengruppe miteinander verknüpfen, indem er beispielsweise einem Händler den Alleinvertrieb an eine bestimmte Kundengruppe in einem bestimmten Gebiet überlässt.

(222)

Der Schutz von exklusiv zugewiesenen Gebieten oder Kundengruppen ist nicht absolut. Um eine Marktaufteilung zu verhindern, darf der passive Verkauf in solche Gebiete oder an solche Kundengruppen nicht beschränkt werden. Artikel 4 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2022/720 gilt nur für Beschränkungen, die dem Abnehmer auferlegt werden. Der Anbieter kann daher Beschränkungen des eigenen Verkaufs – sowohl online als auch offline – in das Alleinvertriebsgebiet oder an alle oder einen Teil der Kunden, die einer exklusiv zugewiesenen Kundengruppe angehören, akzeptieren. Beschränkungen des passiven Verkaufs an Endverbraucher können jedoch unter bestimmten Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2018/302 des Europäischen Parlaments und des Rates (138) nichtig sein.

(223)

Zweitens erlaubt Artikel 4 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung (EU) 2022/720 einem Anbieter, der in einem bestimmten Gebiet ein Alleinvertriebssystem und in einem anderen Gebiet ein selektives Vertriebssystem betreibt, seine Alleinvertriebshändler daran zu hindern, aktiv oder passiv an nicht zugelassene Händler zu verkaufen, die in dem Gebiet ansässig sind, in dem der Anbieter bereits ein selektives Vertriebssystem betreibt oder das er für den Betrieb eines solchen Systems vorgesehen hat. Der Anbieter kann zudem von seinen Alleinvertriebshändlern verlangen, ihren Kunden Beschränkungen hinsichtlich des aktiven und passiven Verkaufs an nicht zugelassene Händler in Gebieten aufzuerlegen, in denen der Anbieter ein selektives Vertriebssystem betreibt oder das er zu diesem Zweck vorgesehen hat. Die Möglichkeit, in diesem Szenario Beschränkungen des aktiven und passiven Verkaufs an nachgelagerte Vertriebsstufen weiterzugeben, dient dem Zweck, den geschlossenen Charakter selektiver Vertriebssysteme zu schützen.

(224)

Drittens kann ein Anbieter gemäß Artikel 4 Buchstabe b Ziffer iii der Verordnung (EU) 2022/720 den Niederlassungsort des Abnehmers, dem er ein Gebiet oder eine Kundengruppe exklusiv zugewiesen hat, beschränken („Standortklausel“). Das bedeutet, dass der Anbieter vom Abnehmer verlangen kann, dass er seine Vertriebsstellen und Lager auf eine bestimmte Anschrift, einen bestimmten Ort bzw. ein bestimmtes Gebiet beschränkt. Was mobile Verkaufsstätten betrifft, so kann in der Vereinbarung ein Gebiet festgelegt werden, außerhalb dessen die mobile Verkaufsstätte nicht betrieben werden darf. Die Einrichtung und Nutzung eines Online-Shops durch den Händler ist jedoch nicht gleichbedeutend mit der Eröffnung einer physischen Verkaufsstätte und kann daher nicht eingeschränkt werden (139).

(225)

Viertens erlaubt Artikel 4 Buchstabe b Ziffer iv der Verordnung (EU) 2022/720 einem Anbieter, den aktiven und passiven Verkauf eines Alleinvertriebshändlers des Großhandels an Endverbraucher zu beschränken, sodass der Anbieter die Großhandels- und die Einzelhandelsstufe getrennt halten kann. Diese Ausnahme sieht vor, dass es dem Großhändler gestattet wird, an bestimmte Endverbraucher (z. B. einige Großverbraucher) zu verkaufen, während Verkäufe an alle anderen Endverbraucher untersagt werden (140).

(226)

Fünftens kann ein Anbieter nach Artikel 4 Buchstabe b Ziffer v der Verordnung (EU) 2022/720 die Möglichkeit eines Alleinvertriebshändlers einschränken, zum Zwecke des Einbaus gelieferte Komponenten aktiv oder passiv an Wettbewerber des Anbieters zu verkaufen, die diese zur Herstellung der gleichen Art von Waren wie die vom Anbieter hergestellten Waren verwenden würden. Der Begriff „Teil“ schließt alle Zwischenprodukte ein; der Begriff „Weiterverwendung“ bezieht sich auf alle Vorleistungen für die Herstellung von Waren.

6.1.2.3.2.   Anbieter betreibt selektives Vertriebssystem

(227)

Die in Artikel 4 Buchstabe c Ziffer i der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegte Kernbeschränkung betrifft Vereinbarungen, die unmittelbar oder mittelbar die Beschränkung des Gebiets oder der Kundengruppe bezwecken, in das oder an die die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems (im Folgenden „zugelassene Händler“) die Vertragswaren oder -dienstleistungen aktiv oder passiv verkaufen dürfen. Dies schließt Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher ein, die ein Anbieter auf der Einzelhandelsstufe tätigen Vertragshändlern auferlegt.

(228)

Es gibt fünf Ausnahmen von der in Artikel 4 Buchstabe c Ziffer i der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegten Kernbeschränkung.

(229)

Die erste Ausnahme betrifft Beschränkungen der Möglichkeit von Vertragshändlern, außerhalb des selektiven Vertriebssystems zu verkaufen. Sie erlaubt es dem Anbieter, den aktiven Verkauf, einschließlich Online-Werbung, durch Vertragshändler in andere Gebiete oder an Kundengruppen zu beschränken, die anderen Händlern exklusiv zugewiesen oder ausschließlich dem Anbieter vorbehalten sind. Der Anbieter kann vom Vertragshändler auch verlangen, seinen Direktkunden solche zulässigen Beschränkungen des aktiven Verkaufs vorzuschreiben. Der Schutz solcher exklusiv zugewiesenen Gebiete oder Kundengruppen ist jedoch nicht absolut, da der Anbieter den passiven Verkauf in solche Gebiete oder an solche Kundengruppen nicht beschränken darf.

(230)

Die zweite Ausnahme ermöglicht es dem Anbieter, seine zugelassenen Händler und deren Kunden daran zu hindern, aktiv oder passiv an nicht zugelassene Händler zu verkaufen, die in einem Gebiet ansässig sind, in dem der Anbieter bereits ein selektives Vertriebssystem betreibt.

(231)

Die dritte Ausnahme erlaubt es dem Anbieter, seinen zugelassenen Händlern eine Standortklausel aufzuerlegen, um sie daran zu hindern, ihre Geschäftstätigkeit von anderen Räumlichkeiten aus auszuüben oder eine neue Verkaufsstätte an einem anderen Standort zu eröffnen. Somit geht der Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 nicht verloren, wenn der Händler zustimmt, seine Vertriebsstellen und Lager auf eine bestimmte Anschrift, einen bestimmten Ort bzw. ein bestimmtes Gebiet zu beschränken. Was mobile Verkaufsstätten betrifft, so kann in der Vereinbarung ein Gebiet festgelegt werden, außerhalb dessen die mobile Verkaufsstätte nicht betrieben werden darf. Die Einrichtung und Nutzung eines Online-Shops durch den Händler ist jedoch nicht gleichbedeutend mit der Eröffnung einer physischen Verkaufsstätte und kann daher nicht eingeschränkt werden (141).

(232)

Die vierte Ausnahme erlaubt es dem Anbieter, den aktiven und passiven Verkauf eines zugelassenen Großhändlers an Endverbraucher zu beschränken, sodass der Anbieter die Großhandels- und Einzelhandelsstufe voneinander getrennt halten kann. Diese Ausnahme sieht vor, dass es dem Großhändler gestattet wird, an bestimmte Endverbraucher (z. B. einige Großverbraucher) zu verkaufen, während Verkäufe an alle anderen Endverbraucher untersagt werden (142).

(233)

Die fünfte Ausnahme erlaubt es dem Anbieter, die Möglichkeit eines zugelassenen Abnehmers einschränken, zum Zwecke des Einbaus gelieferte Komponenten aktiv oder passiv an Wettbewerber des Anbieters zu verkaufen, die sie zur Herstellung der gleichen Art von Waren wie die vom Anbieter hergestellten verwenden würden. Der Begriff „Teil“ schließt alle Zwischenprodukte ein; der Begriff „Weiterverwendung“ bezieht sich auf alle Vorleistungen für die Herstellung von Waren.

(234)

Die in Artikel 4 Buchstabe c Ziffer iii der Verordnung (EU) 2022/720 dargelegte Kernbeschränkung betrifft die Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher durch auf der Einzelhandelsstufe tätige Mitglieder eines selektiven Vertriebsnetzes. Dies bedeutet, dass der Anbieter seine zugelassenen Händler nicht daran hindern darf, an Endverbraucher oder im Namen von Endverbrauchern handelnde Einkäufer zu verkaufen, es sei denn, diese Endverbraucher sind in einem Gebiet ansässig oder gehören einer Kundengruppe an, die einem anderen Händler exklusiv zugewiesen oder dem Anbieter in einem Gebiet vorbehalten wurde, in dem er ein Alleinvertriebssystem betreibt (siehe Artikel 4 Buchstabe c Ziffer i Nummer 1 der Verordnung sowie Randnummer (229)). Dies schließt auch nicht die Möglichkeit aus, den zugelassenen Händlern zu untersagen, von einem nicht genehmigten Niederlassungsort aus tätig zu werden (siehe Artikel 4 Buchstabe c Ziffer i Nummer 3 der Verordnung sowie Randnummer (231) der vorliegenden Leitlinien).

(235)

Ein Anbieter, der ein selektives Vertriebssystem betreibt, kann seine zugelassenen Händler auf der Grundlage qualitativer und/oder quantitativer Kriterien auswählen. Qualitative Kriterien müssen in der Regel sowohl für Online- als auch für Offline-Kanäle festgelegt werden. In Anbetracht der Tatsache, dass Online- und Offline-Kanäle unterschiedliche Merkmale aufweisen, kann ein Anbieter, der ein selektives Vertriebssystem betreibt, seinen zugelassenen Händlern Kriterien für Online-Verkäufe auferlegen, die nicht mit denen für Verkäufe in physischen Verkaufsstätten gleichwertig sind, sofern die für Online-Verkäufe vorgeschriebenen Anforderungen nicht indirekt bezwecken, den Abnehmer an der wirksamen Nutzung des Internets für den Online-Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen in bestimmte Gebiete oder an bestimmte Kunden zu hindern. So kann ein Anbieter zur Sicherstellung bestimmter Qualitätsstandards für Online-Verkäufe Anforderungen wie die Einrichtung und den Betrieb eines Online-Helpdesks für den Kundendienst, die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten für die Rücksendung der von Kunden erworbenen Produkte oder die Verwendung von sicheren Zahlungssystemen stellen. Ebenso kann ein Anbieter unterschiedliche Kriterien bezüglich der nachhaltigen Entwicklung bei Online- und Offline-Vertriebskanälen festlegen. Beispielsweise könnte ein Anbieter umweltgerechte Verkaufsstätten oder die Inanspruchnahme von Zustelldiensten mit Öko-Fahrrädern verlangen.

(236)

Eine Kombination aus selektivem Vertrieb und Alleinvertrieb innerhalb desselben Gebiets fällt auch dann nicht unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720, wenn der Anbieter den Alleinvertrieb auf der Großhandelsstufe und den selektiven Vertrieb auf Einzelhandelsstufe anwendet. Dies ist darin begründet, dass solche Kombinationen das Einverständnis der zugelassenen Händler mit Kernbeschränkungen im Sinne des Artikels 4 Buchstabe b oder c der Verordnung (EU) 2022/720 erfordern würden, beispielsweise Beschränkungen des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Kunden, die nicht exklusiv zugewiesen wurden, Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher (143) oder Beschränkungen für Querlieferungen zwischen zugelassenen Händlern (144). Der Anbieter kann sich jedoch verpflichten, nur bestimmte zugelassene Händler, beispielsweise in bestimmten Teilen des Gebiets, in dem das selektive Vertriebssystem betrieben wird, zu beliefern oder selbst keine aktiven Verkäufe in dem betreffenden Gebiet zu tätigen (145). Der Anbieter kann gemäß der dritten Ausnahme zu Artikel 4 Buchstabe c Ziffer i der Verordnung (EU) 2022/720 seinen zugelassenen Händlern eine Standortklausel vorschreiben.

(237)

Bei der in Artikel 4 Buchstabe c Ziffer ii der Verordnung (EU) 2022/720 dargelegten Kernbeschränkung geht es um die Beschränkung von Querlieferungen zwischen zugelassenen Händlern innerhalb eines selektiven Vertriebssystems. Dies bedeutet, dass der Anbieter den aktiven oder passiven Verkauf zwischen seinen zugelassenen Händlern nicht verhindern darf; ihnen muss es freistehen, die Vertragsprodukte von anderen zugelassenen Händlern innerhalb des Netzes zu beziehen, die entweder auf derselben oder auf einer anderen Handelsstufe tätig sind (146). Der selektive Vertrieb darf also nicht mit vertikalen Beschränkungen einhergehen, mit denen die Händler gezwungen werden sollen, die Vertragsprodukte ausschließlich von einer bestimmten Quelle zu beziehen. Dies bedeutet auch, dass der Anbieter in einem selektiven Vertriebssystem die Verkäufe zugelassener Großhändler an zugelassene Händler nicht beschränken darf.

6.1.2.3.3.   Anbieter betreibt freies Vertriebssystem

(238)

Die in Artikel 4 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/720 aufgeführte Kernbeschränkung betrifft Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen, die mittel- oder unmittelbar die Beschränkung des Gebiets oder der Kunden bezwecken, in das oder an die ein Abnehmer in einem System des freien Vertriebs die Vertragswaren oder -dienstleistungen aktiv oder passiv verkaufen darf (147).

(239)

Es gibt fünf Ausnahmen von der in Artikel 4 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegten Kernbeschränkung.

(240)

Erstens erlaubt Artikel 4 Buchstabe d Ziffer i der Verordnung (EU) 2022/720 dem Anbieter, den aktiven Verkauf, einschließlich gezielter Online-Werbung, durch den Abnehmer in Gebiete oder an Kundengruppen zu beschränken, die anderen Abnehmern exklusiv zugewiesen wurden oder dem Anbieter vorbehalten sind. Der Anbieter kann vom zugelassenen Abnehmer auch verlangen, seinen Direktkunden solche zulässigen Beschränkungen des aktiven Verkaufs vorzuschreiben. Der Schutz solcher exklusiv zugewiesenen Gebiete oder Kundengruppen ist jedoch nicht absolut, da der Anbieter den passiven Verkauf in solche Gebiete oder an solche Kundengruppen nicht beschränken darf.

(241)

Zweitens gestattet Artikel 4 Buchstabe d Ziffer ii der Verordnung (EU) 2022/720 dem Abnehmer Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs an nicht zugelassene Händler in einem Gebiet aufzuerlegen, in dem der Anbieter ein selektives Vertriebssystem betreibt oder das er für den Betrieb eines solchen Systems reserviert hat; ferner kann er vom Abnehmer verlangen, seinen Kunden solche Beschränkungen aufzuerlegen. Die Beschränkung kann sich auf den aktiven oder passiven Verkauf auf jeder Handelsstufe beziehen.

(242)

Drittens gestattet Artikel 4 Buchstabe d Ziffer iii der Verordnung (EU) 2022/720 dem Anbieter, dem Abnehmer eine Standortklausel aufzuerlegen, um dessen Niederlassungsort einzuschränken. Das bedeutet, dass der Anbieter vom Abnehmer verlangen kann, dass er seine Vertriebsstellen und Lager auf eine bestimmte Anschrift, einen bestimmten Ort bzw. ein bestimmtes Gebiet beschränkt. Was mobile Verkaufsstätten betrifft, so kann in der Vereinbarung ein Gebiet festgelegt werden, außerhalb dessen die mobile Verkaufsstätte nicht betrieben werden darf. Die Einrichtung und Nutzung eines Online-Shops durch den Abnehmer ist jedoch nicht gleichbedeutend mit der Eröffnung einer physischen Verkaufsstätte und kann daher nicht eingeschränkt werden (148).

(243)

Viertens erlaubt Artikel 4 Buchstabe d Ziffer iv der Verordnung (EU) 2022/720 dem Anbieter, den aktiven und passiven Verkauf eines Großhändlers an Endverbraucher zu beschränken, sodass der Anbieter die Großhandels- und die Einzelhandelsstufe getrennt halten kann. Diese Ausnahme sieht vor, dass es dem Großhändler gestattet wird, an bestimmte Endverbraucher (z. B. bestimmte Großverbraucher) zu verkaufen, während Verkäufe an andere Endverbraucher untersagt werden (149).

(244)

Fünftens kann ein Anbieter nach Artikel 4 Buchstabe d Ziffer v der Verordnung (EU) 2022/720 die Möglichkeit eines Abnehmers einschränken, zum Zwecke des Einbaus gelieferte Komponenten aktiv oder passiv an Wettbewerber des Anbieters zu verkaufen, die sie zur Herstellung der gleichen Art von Waren wie die vom Anbieter hergestellten verwenden würden. Der Begriff „Teil“ schließt alle Zwischenprodukte ein; der Begriff „Weiterverwendung“ bezieht sich auf alle Vorleistungen für die Herstellung von Waren.

6.1.3.   Beschränkungen des Verkaufs von Ersatzteilen

(245)

Die in Artikel 4 Buchstabe f der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegte Kernbeschränkung betrifft Vereinbarungen, die es Endverbrauchern, unabhängigen Reparaturbetrieben, Großhändlern und Dienstleistern untersagen oder nur mit Einschränkungen gestatten, Ersatzteile unmittelbar vom Hersteller dieser Ersatzteile zu beziehen. Durch eine Vereinbarung zwischen einem Ersatzteilehersteller und einem Abnehmer, der die Teile bei seinen eigenen Produkten weiterverwendet (beispielsweise einem Erstausrüster) darf der Verkauf dieser Ersatzteile durch den Hersteller dieser Ersatzteile an Endverbraucher, unabhängige Reparaturbetriebe, Großhändler oder Dienstleister weder unmittelbar noch mittelbar verhindert oder beschränkt werden. Indirekte Beschränkungen können insbesondere dann vorliegen, wenn der Hersteller der Ersatzteile in seiner Freiheit beschränkt wird, technische Angaben und Spezialausrüstungen bereitzustellen, die für die Verwendung der Ersatzteile durch Endverbraucher, unabhängige Reparaturbetriebe oder Dienstleister notwendig sind. Die Vereinbarung darf jedoch bezüglich der Lieferung der Ersatzteile an Reparaturbetriebe und Dienstleister, die der Erstausrüster mit der Reparatur oder Wartung seiner eigenen Waren betraut hat, Beschränkungen enthalten. Dies bedeutet auch, dass der Erstausrüster von seinem eigenen Reparatur- und Servicenetz verlangen kann, Ersatzteile bei sich oder bei anderen Mitgliedern seines selektiven Vertriebssystems zu kaufen, sofern er ein solches System betreibt.

6.2.   Beschränkungen, die von der Verordnung (EU) 2022/720 ausgenommen sind

(246)

Artikel 5 der Verordnung (EU) 2022/720 schließt bestimmte, in vertikalen Vereinbarungen enthaltene Verpflichtungen vom Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung unabhängig davon aus, ob die in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung festgelegten Marktanteilsschwellen überschritten werden oder nicht. Insbesondere in Artikel 5 der Verordnung werden Verpflichtungen aufgeführt, bei denen nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass sie die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. Eine Vermutung, dass die in Artikel 5 der Verordnung genannten Verpflichtungen in den Anwendungsbereich des Artikels 101 Absatz 1 AEUV fallen oder die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV nicht erfüllen, besteht hingegen nicht. Der Ausschluss dieser Verpflichtungen von der Gruppenfreistellung bedeutet lediglich, dass sie einer Einzelprüfung nach Artikel 101 AEUV unterliegen. Außerdem ist der Ausschluss einer Verpflichtung von der Gruppenfreistellung nach Artikel 5 der Verordnung (EU) 2022/720 im Gegensatz zu Artikel 4 der Verordnung auf die jeweilige Verpflichtung beschränkt, sofern sich die betreffende Verpflichtung vom Rest der vertikalen Vereinbarung trennen lässt. In diesem Fall gilt für den verbleibenden Teil der vertikalen Vereinbarung weiterhin die Gruppenfreistellung.

6.2.1.   Wettbewerbsverbote, die eine Dauer von fünf Jahren überschreiten

(247)

Nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 sind Wettbewerbsverbote, die eine Dauer von fünf Jahren überschreiten, von einer Freistellung ausgeschlossen. Wettbewerbsverbote im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe f der Verordnung (EU) 2022/720 sind Vereinbarungen, die den Abnehmer dazu veranlassen, gemessen am Beschaffungswert des Vorjahres mehr als 80 % seiner Vertragswaren und -dienstleistungen sowie deren Substitute vom Anbieter oder von einem anderen vom Anbieter benannten Unternehmen zu beziehen. Dies bedeutet, dass der Abnehmer daran gehindert wird, konkurrierende Waren oder Dienstleistungen zu kaufen, oder dass solche Käufe auf weniger als 20 % seiner Gesamtkäufe beschränkt sind. Liegen für die Käufe des Abnehmers in dem Kalenderjahr vor Abschluss der vertikalen Vereinbarung keine einschlägigen Daten vor, kann stattdessen die bestmögliche Schätzung des jährlichen Gesamtbedarfs des Abnehmers zugrunde gelegt werden. Jedoch sollten die tatsächlichen Einkaufsdaten verwendet werden, sobald sie verfügbar sind.

(248)

Wettbewerbsverbote können nicht unter die Gruppenfreistellung fallen, wenn ihre Dauer unbestimmt ist oder fünf Jahre überschreitet. Wettbewerbsverbote, die stillschweigend über einen Zeitraum von fünf Jahren hinaus verlängert werden können, fallen unter die Gruppenfreistellung, sofern der Abnehmer die vertikale Vereinbarung, die die Verpflichtung enthält, mit einer angemessenen Kündigungsfrist und zu angemessenen Kosten wirksam neu aushandeln oder kündigen kann, sodass er nach Ablauf der Fünfjahresfrist seinen Anbieter effektiv wechseln könnte. Wenn beispielsweise die vertikale Vereinbarung ein fünfjähriges Wettbewerbsverbot enthält und der Anbieter dem Abnehmer ein Darlehen gewährt, darf die Tilgung des Darlehens den Abnehmer nicht daran hindern, das Wettbewerbsverbot nach Ablauf der Fünfjahresfrist effektiv zu beenden. Ebenso sollte ein Abnehmer die Möglichkeit haben, Ausrüstungen, die ihm der Anbieter zur Verfügung gestellt hat und die nicht vertragsspezifisch sind, nach dem Ende des Wettbewerbsverbots zum Marktwert zu übernehmen.

(249)

Nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2022/720 gilt die Begrenzung von Wettbewerbsverboten auf einen Zeitraum von fünf Jahren nicht, wenn die Vertragswaren oder -dienstleistungen vom Abnehmer in Räumlichkeiten und auf Grundstücken verkauft werden, die im Eigentum des Anbieters stehen oder die der Anbieter von nicht mit dem Abnehmer verbundenen Dritten gemietet oder gepachtet hat. In solchen Fällen kann das Wettbewerbsverbot für einen längeren Zeitraum auferlegt werden, sofern es nicht länger andauert als der Zeitraum, in dem der Abnehmer die Verkaufsstätte nutzt. Der Grund für diese Ausnahme liegt darin, dass von einem Anbieter in der Regel nicht erwartet werden kann, dass er den Verkauf konkurrierender Produkte in den Räumlichkeiten und auf den Grundstücken, die in seinem Eigentum stehen, ohne seine Erlaubnis zulässt. Analog gelten dieselben Grundsätze, wenn der Abnehmer seine Produkte über eine mobile Verkaufsstätte verkauft, die im Eigentum des Anbieters steht oder die der Anbieter von nicht mit dem Abnehmer verbundenen Dritten gemietet oder gepachtet hat. Künstliche Konstruktionen, wie die zeitlich begrenzte Übertragung von Eigentumsrechten an Räumlichkeiten und Grundstücken des Händlers an den Anbieter, mit denen die Fünfjahresfrist umgangen werden soll, fallen nicht unter diese Ausnahme.

6.2.2.   Nachvertragliche Wettbewerbsverbote

(250)

Nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b in Verbindung mit Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2022/720 sind nachvertragliche Wettbewerbsverbote für den Abnehmer vom Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung ausgeschlossen, es sei denn, alle nachstehend aufgeführten Voraussetzungen sind erfüllt:

a)

Das Wettbewerbsverbot ist unerlässlich, um Know-how, das dem Abnehmer vom Anbieter übertragen wurde, zu schützen.

b)

Das Wettbewerbsverbot ist auf die Verkaufsstätte beschränkt, von der aus der Abnehmer während der Vertragslaufzeit tätig war.

c)

Das Wettbewerbsverbot ist auf einen Zeitraum von höchstens einem Jahr begrenzt.

(251)

Das betroffene Know-how muss im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe j der Verordnung (EU) 2022/720 geheim, wesentlich und identifiziert sein und insbesondere Informationen enthalten, die für den Abnehmer bei der Verwendung, dem Verkauf oder dem Weiterverkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen bedeutsam und nützlich sind.

6.2.3.   Wettbewerbsverbote, die den Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems auferlegt werden

(252)

Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung (EU) 2022/720 betrifft den Verkauf konkurrierender Waren oder Dienstleistungen in einem selektiven Vertriebssystem. Die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung gilt für die Kombination des selektiven Vertriebs mit einem Wettbewerbsverbot, wonach zugelassene Händler keine konkurrierenden Marken weiterverkaufen dürfen. Hingegen fällt eine Verpflichtung, mit der der Anbieter seine zugelassenen Händler unmittelbar oder mittelbar daran hindert, Produkte zum Zwecke des Weiterverkaufs von bestimmten konkurrierenden Anbietern zu beziehen, nicht unter die Gruppenfreistellung. Mit diesem Ausschluss sollen Situationen vermieden werden, in denen mehrere Anbieter, die dieselben Verkaufsstellen innerhalb eines selektiven Vertriebsnetzes nutzen, einen bestimmten oder mehrere bestimmte Wettbewerber daran hindern, beim Vertrieb ihrer Produkte auf diese Verkaufsstellen zurückzugreifen. Ein solches Szenario könnte zum Ausschluss eines konkurrierenden Anbieters durch eine Art von kollektivem Boykott führen.

6.2.4.   Plattformübergreifende Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen

(253)

Der vierte Ausschluss von der Gruppenfreistellung, der in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegt ist, betrifft die von Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten auferlegten plattformübergreifenden Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen, d. h. die unmittelbare oder mittelbare Verpflichtung, die die Abnehmer dieser Dienste dazu anhalten, Endverbrauchern Waren oder Dienstleistungen nicht zu günstigeren Bedingungen unter Nutzung konkurrierender Online-Vermittlungsdienste anzubieten, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen. Die Bedingungen können Preise, Bestand, Verfügbarkeit oder andere Angebots- oder Verkaufsbedingungen betreffen. Die Einzelhandels-Paritätsverpflichtung kann sich aus einer Vertragsklausel oder anderen unmittelbaren oder mittelbaren Maßnahmen ergeben, einschließlich der Anwendung von Preisstaffelungen oder anderen Anreizen, deren Anwendung von den Bedingungen abhängt, unter denen der Abnehmer der Online-Vermittlungsdienste Endverbrauchern Waren oder Dienstleistungen unter Nutzung konkurrierender Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten anbietet. Wenn beispielsweise ein Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten das Angebot einer besseren Sichtbarkeit der Waren oder Dienstleistungen des Abnehmers auf der Website des Anbieters oder die Anwendung eines niedrigeren Provisionssatzes davon abhängig macht, dass der Abnehmer ihm im Vergleich zu konkurrierenden Anbietern solcher Dienste gleiche Bedingungen einräumt, stellt dies eine plattformübergreifende Einzelhandels-Paritätsverpflichtung dar.

(254)

Alle anderen Arten von Paritätsverpflichtungen können unter die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 vorgesehene Freistellung fallen. Zu ihnen zählen beispielsweise:

a)

Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen, die sich auf die direkten Vertriebskanäle der Abnehmer von Online-Vermittlungsdiensten beziehen (sogenannte „enge“ Einzelhandel-Paritätsverpflichtungen),

b)

Paritätsverpflichtungen bezüglich der Voraussetzungen, unter denen Unternehmen, die keine Endverbraucher sind, Waren oder Dienstleistungen angeboten werden,

c)

Paritätsverpflichtungen bezüglich der Voraussetzungen, unter denen Hersteller, Groß- oder Einzelhändler Waren oder Dienstleistungen als Vorleistungen beziehen (im Folgenden „Meistbegünstigungsverpflichtungen“).

(255)

Abschnitt 8.2.5 enthält Orientierungshilfen für die Beurteilung von Paritätsverpflichtungen in Einzelfällen, in denen die Verordnung (EU) 2022/720 nicht gilt.

7.   ENTZUG UND NICHTANWENDUNG

7.1.   Entzug des Rechtsvorteils der Verordnung (EU) 2022/720

(256)

Nach Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 kann die Kommission den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 gemäß Artikel 29 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 entziehen, wenn sie in einem bestimmten Fall feststellt, dass eine vertikale Vereinbarung, die unter die Verordnung (EU) 2022/720 fällt, bestimmte Wirkungen hat, die mit Artikel 101 AEUV unvereinbar sind. Hat darüber hinaus gemäß Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2022/720 eine vertikale Vereinbarung in einem bestimmten Fall Auswirkungen, die unvereinbar sind mit Artikel 101 Absatz 3 AEUV im Gebiet eines Mitgliedstaats oder in einem Teil davon, der alle Merkmale eines gesonderten räumlich relevanten Marktes aufweist, kann die nationale Wettbewerbsbehörde dieses Mitgliedstaats ebenfalls den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 entziehen. In Artikel 29 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 werden die Gerichte der Mitgliedstaaten nicht erwähnt, sodass diese nicht befugt sind, den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 (150) zu entziehen, es sei denn, das betreffende Gericht ist eine nach Artikel 35 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 bestimmte Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats.

(257)

Die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden können den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 in zwei Szenarien entziehen. Erstens können sie den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 entziehen, wenn eine vertikale Vereinbarung, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt, für sich genommen Auswirkungen auf den relevanten Markt hat, die mit Artikel 101 Absatz 3 AEUV unvereinbar sind. Zweitens können sie, wie in Erwägungsgrund 20 der Verordnung (EU) 2022/720 erwähnt, den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 auch entziehen, wenn die vertikale Vereinbarung diese Auswirkungen in Verbindung mit ähnlichen Vereinbarungen konkurrierender Anbieter oder Abnehmer hat. Dies liegt daran, dass parallele Netze ähnlicher vertikaler Vereinbarungen kumulative wettbewerbswidrige Auswirkungen haben können, die mit Artikel 101 Absatz 3 AEUV unvereinbar sind. Die Beschränkung des Zugangs zu dem relevanten Markt und die Beschränkung des Wettbewerbs auf diesem Markt sind Beispiele für solche kumulativen Auswirkungen, die einen Entzug des Rechtsvorteils der Verordnung (EU) 2022/720 rechtfertigen können (151).

(258)

Parallele Netze vertikaler Vereinbarungen sind als ähnlich anzusehen, wenn sie die gleiche Art von Beschränkungen mit ähnlichen Auswirkungen auf den Markt enthalten. Derartige kumulative Auswirkungen können sich etwa aus Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen, selektiven Vertriebssystemen oder Wettbewerbsverboten ergeben.

(259)

Artikel 6 der Verordnung (EU) 2022/720 sieht im Hinblick auf Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen für direkte Vertriebskanäle (enge Einzelhandel-Paritätsverpflichtungen) vor, dass der Rechtsvorteil der Verordnung nach Artikel 29 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 insbesondere dann entzogen werden kann, wenn der relevante Markt für die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten stark konzentriert ist und wenn der Wettbewerb zwischen den Anbietern solcher Dienste durch die kumulative Wirkung paralleler Netzer ähnlicher Vereinbarungen eingeschränkt wird, mit denen die Abnehmer der Online-Vermittlungsdienste daran gehindert werden, in ihren direkten Vertriebskanälen den Endverbrauchern Waren oder Dienstleistungen zu günstigeren Bedingungen anzubieten, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen. Weitere Hinweise zu diesem Szenario sind Abschnitt 8.2.5.2. zu entnehmen.

(260)

Was den selektiven Vertrieb betrifft, so kann eine Situation hinreichend ähnlicher paralleler Netze vorliegen, wenn auf einem bestimmten Markt bestimmte Anbieter einen rein qualitativen selektiven Vertrieb betreiben, während andere Anbieter einen quantitativen selektiven Vertrieb mit ähnlichen Auswirkungen auf den Markt betreiben. Solche kumulativen Auswirkungen können auch entstehen, wenn auf einem bestimmten Markt parallele selektive Vertriebsnetze qualitative Kriterien anwenden, die Händler ausschließen. Unter diesen Umständen sind bei der Würdigung die wettbewerbswidrigen Auswirkungen zu berücksichtigen, die sich aus jedem einzelnen Netz von Vereinbarungen ergeben. Gegebenenfalls kann der Entzug des Rechtsvorteils der Verordnung (EU) 2022/720 auf bestimmte qualitative oder quantitative Kriterien beschränkt werden, die z. B. die Zahl der zugelassenen Händler begrenzen.

(261)

Die Verantwortung für eine kumulative wettbewerbswidrige Wirkung kann nur denjenigen Unternehmen angelastet werden, die einen spürbaren Beitrag hierzu leisten. Vereinbarungen zwischen Unternehmen, deren Beitrag zur kumulativen Wirkung unerheblich ist, fallen nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV (152). Sie unterliegen damit nicht dem Entzugsmechanismus (153).

(262)

Gemäß Artikel 29 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 kann die Kommission den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 von sich aus oder aufgrund einer Beschwerde entziehen. Dies schließt die Möglichkeit für die nationalen Wettbewerbsbehörden ein, die Kommission zu ersuchen, den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 in einem bestimmten Fall zu entziehen, unbeschadet der Anwendung der Regeln für die Fallzuweisung und Unterstützung innerhalb des Europäischen Wettbewerbsnetzes (154) sowie unbeschadet ihrer eigenen Entzugsbefugnis gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003. Wenn mindestens drei nationale Wettbewerbsbehörden die Kommission ersuchen, Artikel 29 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 in einem bestimmten Fall anzuwenden, erörtert die Kommission den Fall im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes. In diesem Zusammenhang berücksichtigt die Kommission weitestgehend die Ansichten der nationalen Wettbewerbsbehörden, die die Kommission um Entzug des Rechtsvorteils der Verordnung (EU) 2022/720 ersucht haben, um fristgerecht zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für einen Entzug im konkreten Fall erfüllt sind.

(263)

Nach Artikel 29 Absätze 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 hat die Kommission die ausschließliche Zuständigkeit für den unionsweiten Entzug des Rechtsvorteils der Verordnung (EU) 2022/720, d. h. sie kann den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 in Bezug auf vertikale Vereinbarungen entziehen, die den Wettbewerb auf einem räumlich relevanten Markt beschränken, der größer ist als das Gebiet eines einzelnen Mitgliedstaats, während die nationalen Wettbewerbsbehörden den Rechtsvorteil der Verordnung nur in Bezug auf das Gebiet ihres jeweiligen Mitgliedstaats entziehen können.

(264)

Daher bezieht sich die Entzugsbefugnis einer einzelnen nationalen Wettbewerbsbehörde auf Fälle, in denen der relevante Markt einen einzigen Mitgliedstaat oder eine Region umfasst, die sich ausschließlich in einem Mitgliedstaat bzw. einem Teil desselben befindet. In einem solchen Fall ist die nationale Wettbewerbsbehörde dieses Mitgliedstaats befugt, den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 in Bezug auf die vertikale Vereinbarung zu entziehen, die auf diesem nationalen oder regionalen Markt Wirkungen hat, die mit Artikel 101 Absatz 3 AEUV unvereinbar sind. Es handelt sich insofern um eine konkurrierende Zuständigkeit, als Artikel 29 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 die Kommission auch ermächtigt, den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 in Bezug auf einen nationalen oder regionalen Markt zu entziehen, sofern die betreffende vertikale Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann.

(265)

Wenn mehrere getrennte nationale oder regionale Märkte betroffen sind, können mehrere zuständige nationale Wettbewerbsbehörden den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 gleichzeitig entziehen.

(266)

Aus dem Wortlaut des Artikels 29 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 ergibt sich, dass die Kommission, wenn sie den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 entzieht, erstens nachweisen muss, dass die betreffende vertikale Vereinbarung spürbare wettbewerbswidrige Auswirkungen im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV hat (155). Zweitens muss die Kommission nachweisen, dass die Vereinbarung Wirkungen hat, die mit Artikel 101 Absatz 3 AEUV unvereinbar sind, was bedeutet, dass die Vereinbarung mindestens eine der vier Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV nicht erfüllt (156). Nach Artikel 29 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 gelten die gleichen Anforderungen, wenn eine nationale Wettbewerbsbehörde den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 in Bezug auf das Gebiet ihres Mitgliedstaat entzieht. Was die Beweislast für das Vorliegen der zweiten Voraussetzung anbelangt, so muss die zuständige Wettbewerbsbehörde nach Artikel 29 nachweisen, dass mindestens eine der vier Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV nicht erfüllt ist (157).

(267)

Sind die Voraussetzungen des Artikels 29 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 erfüllt, kann die Kommission den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 in einem Einzelfall entziehen. Ein solcher Entzug und die in diesem Abschnitt dargelegten Anforderungen sind von den Feststellungen in einer Entscheidung der Kommission bezüglich einer Zuwiderhandlung gemäß Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zu unterscheiden. Ein Entzug kann jedoch beispielsweise mit der Feststellung einer Zuwiderhandlung und der Verhängung einer Abhilfemaßnahme und sogar mit einstweiligen Maßnahmen verbunden werden (158).

(268)

Entzieht die Kommission den Rechtsvorteil der Verordnung (EU) 2022/720 gemäß Artikel 29 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003, entfaltet der Entzug nur eine Rechtswirkung in die Zukunft (ex nunc), d. h. der Freistellungsstatus der betreffenden Vereinbarungen bleibt für den Zeitraum vor dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Entzugs unberührt. Im Falle eines Entzugs gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 muss die betreffende nationale Wettbewerbsbehörde auch ihren Verpflichtungen gemäß Artikel 11 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 Rechnung tragen, insbesondere ihrer Verpflichtung, der Kommission alle einschlägigen geplanten Beschlüsse zu übermitteln.

7.2.   Nichtanwendung der Verordnung (EU) 2022/720

(269)

Im Einklang mit Artikel 1a der Verordnung Nr. 19/65/EWG ist die Kommission nach Artikel 7 der Verordnung (EU) 2022/720 ermächtigt, parallele Netze ähnlicher vertikaler Beschränkungen, die mehr als 50 % eines relevanten Marktes abdecken, durch Verordnung vom Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2022/720 auszuschließen. Eine solche Verordnung richtet sich nicht an einzelne Unternehmen, sondern betrifft alle Unternehmen, deren Vereinbarungen die in einer Verordnung nach Artikel 7 der Verordnung (EU) 2022/720 genannten Voraussetzungen erfüllen. Bei der Beurteilung, ob eine solche Verordnung zu erlassen ist, prüft die Kommission, ob ein individueller Entzug eine geeignetere Abhilfemaßnahme darstellen würde. Zwei bei dieser Beurteilung besonders relevante Aspekte sind die Anzahl der konkurrierenden Unternehmen, die zu einer kumulativen Wirkung auf einem relevanten Markt beitragen, und die Anzahl der betroffenen räumlichen Märkte innerhalb der Union.

(270)

Die Kommission prüft, ob eine Verordnung gemäß Artikel 7 der Verordnung (EU) 2022/720 zu erlassen ist, wenn ähnliche Beschränkungen, die mehr als 50 % des relevanten Marktes abdecken, den Zugang zu diesem Markt oder den Wettbewerb darin wahrscheinlich spürbar beschränken. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn parallele selektive Vertriebsnetze, die mehr als 50 % eines Marktes abdecken, aufgrund der Anwendung von Auswahlkriterien, die durch die Art der betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht erforderlich sind oder die bestimmte Arten des Vertriebs solcher Waren oder Dienstleistungen diskriminieren, den Markt abschotten könnten. Zur Berechnung der 50 %-Marktabdeckungsquote muss jedes einzelne Netz vertikaler Vereinbarungen berücksichtigt werden, das Beschränkungen oder Kombinationen von Beschränkungen mit ähnlichen Wirkungen auf den Markt enthält. Die Kommission ist jedoch nach Artikel 7 der Verordnung (EU) 2022/720 nicht verpflichtet, eine solche Verordnung zu erlassen, wenn die Marktabdeckungsquote von 50 % überschritten wird.

(271)

Eine nach Artikel 7 der Verordnung (EU) 2022/720 erlassene Verordnung hat zur Folge, dass die Verordnung (EU) 2022/720 in Bezug auf die Beschränkungen und die betroffenen Märkte keine Anwendung mehr findet und Artikel 101 Absätze 1 und 3 AEUV daher uneingeschränkt gelten.

(272)

In einer nach Artikel 7 der Verordnung (EU) 2022/720 erlassenen Verordnung muss deren Anwendungsbereich eindeutig festgelegt sein. Dies bedeutet, dass die Kommission zum einen den bzw. die sachlich und räumlich relevanten Markt bzw. Märkte und zum anderen die Art der vertikalen Beschränkung(en) definieren muss, auf die die Verordnung (EU) 2022/720 keine Anwendung mehr findet. Im letztgenannten Fall kann sie den Anwendungsbereich der Verordnung auf das Wettbewerbsproblem abstimmen, das sie adressieren möchte. Während z. B. bei der Ermittlung der Marktabdeckungsquote von 50 % alle parallelen Netze von Vereinbarungen mit Markenzwang zu berücksichtigen sind, kann die Kommission dennoch den Anwendungsbereich einer nach Artikel 7 der Verordnung (EU) 2022/720 erlassenen Verordnung auf Wettbewerbsverbote beschränken, die eine bestimmte Dauer überschreiten. Damit könnten Vereinbarungen von kürzerer Dauer oder Vereinbarungen, die weniger einschränkend sind, in Anbetracht der aufgrund solcher Beschränkungen geringeren Ausschlusswirkung unberührt bleiben. Ebenso könnte in Fällen, in denen Unternehmen auf einem bestimmten Markt selektiven Vertrieb in Verbindung mit zusätzlichen Beschränkungen wie Wettbewerbsverboten oder Mengenvorgaben praktizieren, eine nach Artikel 7 der Verordnung (EU) 2022/720 erlassene Verordnung nur diese zusätzlichen Beschränkungen betreffen. Gegebenenfalls kann die Kommission auch das Marktanteilsniveau angeben, bis zu dem in einem konkreten Marktumfeld davon ausgegangen werden kann, dass ein einzelnes Unternehmen keinen erheblichen Beitrag zur kumulativen Wirkung leistet.

(273)

Gemäß Artikel 1a der Verordnung Nr. 19/65/EWG muss in einer nach Artikel 7 der Verordnung (EU) 2022/720 erlassenen Verordnung ein Übergangszeitraum von mindestens sechs Monaten vor ihrem Inkrafttreten festgelegt werden. Diese Frist soll den beteiligten Unternehmen die Möglichkeit geben, ihre vertikalen Vereinbarungen entsprechend anzupassen.

(274)

Eine nach Artikel 7 der Verordnung (EU) 2022/720 erlassene Verordnung berührt für den Zeitraum vor Geltungsbeginn dieser Verordnung nicht den Freistellungsstatus der betreffenden Vereinbarungen.

8.   DURCHSETZUNG IM EINZELFALL

8.1.   Grundlagen der Prüfung

(275)

Wenn die durch die Verordnung (EU) 2022/720 geschaffene Gruppenfreistellung für eine vertikale Vereinbarung nicht gilt, ist zu prüfen, ob die vertikale Vereinbarung im Einzelfall unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt und, falls ja, ob die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllt sind. Sofern vertikale Vereinbarungen keine Wettbewerbsbeschränkungen und insbesondere keine Kernbeschränkungen im Sinne des Artikels 4 der Verordnung (EU) 2022/720 enthalten, kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass vertikale Vereinbarungen, die nicht von der Verordnung (EU) 2022/720 erfasst sind, unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen oder die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV nicht erfüllen. Solche Vereinbarungen müssen individuell bewertet werden. Vereinbarungen, die entweder den Wettbewerb nicht im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV beschränken oder die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen, sind gültig und durchsetzbar.

(276)

Nach Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 müssen Unternehmen ihre vertikalen Vereinbarungen nicht anmelden, um eine Einzelfreistellung nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV zu erlangen. Nimmt die Kommission eine Einzelprüfung vor, so trägt sie die Beweislast dafür, dass die betreffende vertikale Vereinbarung den Wettbewerb im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV beschränkt. Unternehmen, die sich auf Artikel 101 Absatz 3 AEUV berufen, tragen die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllt sind. Wenn nachgewiesen ist, dass wettbewerbswidrige Auswirkungen wahrscheinlich sind, können die Unternehmen substantiiert vortragen, dass Effizienzgewinne zu erwarten sind, und erläutern, warum eine bestimmte Vertriebsregelung unerlässlich ist, um wahrscheinliche Vorteile für die Verbraucher hervorzubringen, ohne den Wettbewerb auszuschalten. Anschließend entscheidet die Kommission, ob die Vereinbarung die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllt.

(277)

Um festzustellen, ob eine vertikale Vereinbarung eine Beschränkung des Wettbewerbs bewirkt, wird die Situation, die auf dem relevanten Markt mit den vertikalen Beschränkungen besteht, mit der Situation verglichen, die ohne die in der vertikalen Vereinbarung vorgesehenen vertikalen Beschränkungen bestehen würde. Bei der Prüfung im Einzelfall kann die Kommission sowohl tatsächliche als auch wahrscheinliche Auswirkungen berücksichtigen. Damit vertikale Vereinbarungen eine Beschränkung des Wettbewerbs bewirken, müssen sie den tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerb in einem solchen Umfang beeinträchtigen, dass auf dem relevanten Markt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit negative Auswirkungen auf Preise, Produktion, Innovation oder Bandbreite oder Qualität von Waren und Dienstleistungen zu erwarten sind. Die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb müssen spürbar sein (159). Spürbare wettbewerbswidrige Auswirkungen sind wahrscheinlicher, wenn mindestens eines der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen eine gewisse Marktmacht besitzt oder erlangt und die Vereinbarung zur Begründung, Erhaltung oder Verstärkung dieser Marktmacht beiträgt oder den beteiligten Unternehmen ermöglicht, diese Marktmacht auszunutzen. Marktmacht ist die Fähigkeit, über einen nicht unbeträchtlichen Zeitraum die Preise oberhalb des Wettbewerbsniveaus bzw. die Produktion im Hinblick auf Produktmengen, Produktqualität und -bandbreite oder Innovation unterhalb des Wettbewerbsniveaus zu halten. Für die Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV muss in der Regel ein geringeres Maß an Marktmacht vorliegen als für die Feststellung der Marktbeherrschung nach Artikel 102 AEUV.

8.1.1.   Maßgebliche Faktoren für die Prüfung nach Artikel 101 Absatz 1 AEUV

(278)

Bei der Beurteilung einzelner vertikaler Vereinbarungen zwischen Unternehmen mit Marktanteilen über der 30 %-Schwelle führt die Kommission eine umfassende wettbewerbsrechtliche Analyse durch. Für die Feststellung, ob eine vertikale Vereinbarung zu einer spürbaren Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV führt, sind insbesondere die nachstehenden Faktoren maßgebend:

a)

Art der Vereinbarung,

b)

Marktstellung der beteiligten Unternehmen,

c)

Marktstellung der Wettbewerber (vor- und nachgelagert),

d)

Marktstellung der Abnehmer der Vertragswaren oder -dienstleistungen,

e)

Marktzutrittsschranken,

f)

die betroffene Stufe der Produktions- oder Vertriebskette,

g)

Beschaffenheit des Produkts,

h)

Dynamik des Marktes.

(279)

Andere maßgebliche Faktoren können ebenfalls berücksichtigt werden.

(280)

Die Wichtigkeit der einzelnen Faktoren kann je nach den Umständen des Falls variieren. Ein hoher Marktanteil der beteiligten Unternehmen ist in der Regel ein guter Indikator für Marktmacht. Auf Märkten mit niedrigen Zutrittsschranken kann die Marktmarkt jedoch durch tatsächliche oder potenzielle Zutritte ausreichend beschränkt sein. Deshalb ist es nicht möglich, feste, allgemeingültige Regeln für die Gewichtung der einzelnen Faktoren aufzustellen.

(281)

Vertikale Vereinbarungen können viele Formen und Ausprägungen annehmen. Aus diesem Grund muss die Art der Vereinbarung anhand der in ihr enthaltenen Beschränkungen, der Dauer dieser Beschränkungen und des Anteils des von diesen Beschränkungen betroffenen Gesamtumsatzes auf dem (nachgelagerten) Markt geprüft werden. Dabei darf die Prüfung nicht auf den Wortlaut der Vereinbarung beschränkt bleiben. Das Vorliegen impliziter Beschränkungen kann z. B. daraus abgeleitet werden, wie die Vereinbarung von den beteiligten Unternehmen umgesetzt wird und welche Anreize sie ihnen bietet.

(282)

Die Marktstellung der beteiligten Unternehmen ist ein Anhaltspunkt dafür, in welchem Maß der Anbieter, der Abnehmer oder beide über Marktmacht verfügen. Je größer ihr Marktanteil, desto ausgeprägter dürfte ihre Marktmacht sein. Dies gilt insbesondere, wenn sich im Marktanteil Kostenvorteile oder andere Wettbewerbsvorteile gegenüber Wettbewerbern niederschlagen. Solche Wettbewerbsvorteile können sich beispielsweise aus einer Vorreiterrolle auf dem Markt (mit Standortvorteil), wichtigen Patenten, überlegener Technologie, Markenführerschaft oder einer überlegenen Produktpalette ergeben. Auch der Grad der Produktdifferenzierung kann ein relevanter Indikator für das Vorhandensein von Marktmacht sein. Markenbildung führt tendenziell zu einer stärkeren Produktdifferenzierung und geringeren Substituierbarkeit, was die Nachfrageelastizität reduziert und mehr Spielraum für Preiserhöhungen bietet.

(283)

Die Marktstellung der Wettbewerber ist ebenfalls wichtig. Je stärker die Wettbewerbsposition der Wettbewerber und je größer ihre Zahl ist, desto geringer ist das Risiko, dass die beteiligten Unternehmen einzeln Marktmacht ausüben und den Markt abschotten oder den Wettbewerb abschwächen können. Es ist auch zu prüfen, ob die Wettbewerber über wirksame und zeitnahe Gegenstrategien verfügen, auf die sie bei Bedarf zurückgreifen würden. Ist jedoch die Zahl der Unternehmen auf dem Markt eher gering und ihre Marktstellung (beispielsweise in Bezug auf Größe, Kosten und FuE-Potenzial) ähnlich, können vertikale Beschränkungen die Gefahr von Kollusion erhöhen. Schwankende Marktanteile oder Marktanteile, die sich abrupt ändern, deuten im Allgemeinen auf intensiven Wettbewerb hin.

(284)

Die Marktstellung der nachgelagerten Kunden der an der vertikalen Vereinbarung beteiligten Unternehmen lässt darauf schließen, ob einer oder mehrere dieser Kunden über Nachfragemacht verfügen. Der erste Indikator für Nachfragemacht ist der Marktanteil des Kunden auf dem Beschaffungsmarkt. Der Marktanteil spiegelt die Bedeutung der Nachfrage des Kunden für infrage kommende Anbieter wider. Andere Indikatoren sind die Stellung des Kunden auf dem Weiterverkaufsmarkt, auf dem er tätig ist. Dazu gehören Merkmale wie eine breite geografische Streuung seiner Verkaufsstätten, Eigenmarken (einschließlich Händlermarken) und sein Markenimage bei den Endverbrauchern. Unter bestimmten Umständen kann durch die Nachfragemacht ein Schaden für den Verbraucher aus einer ansonsten problematischen vertikalen Vereinbarung verhindert werden. Dies gilt insbesondere, wenn starke Kunden die Fähigkeit und den Anreiz haben, im Falle einer geringen, aber stetigen Erhöhung der relativen Preise neue Bezugsquellen auf den Markt zu bringen.

(285)

Marktzutrittsschranken werden daran gemessen, inwieweit etablierte Unternehmen ihren Preis über das Niveau des Marktpreises anheben können, ohne den Einstieg neuer Anbieter in den Markt zu provozieren. In der Regel können Marktzutrittsschranken als niedrig angesehen werden, wenn ein wirksamer Marktzutritt, der geeignet ist, die Ausübung von Marktmacht durch die etablierten Unternehmen zu verhindern oder zu erschweren, innerhalb von einem oder zwei Jahren zu erwarten ist. Marktzutrittsschranken kann es auf der Anbieter- oder auf der Abnehmerebene oder auf beiden Ebenen gleichzeitig geben. Marktzutrittsschranken können sich aus einer Vielzahl von Faktoren ergeben, beispielsweise aus Größen- und Verbundvorteilen (einschließlich Netzwerkeffekte von mehrseitigen Unternehmen), staatlichen Vorschriften (vor allem in Bezug auf die Festlegung ausschließlicher Rechte), staatlichen Beihilfen, Einfuhrzöllen, Rechten des geistigen Eigentums, Eigentum an Ressourcen, bei denen das Angebot (beispielsweise aufgrund natürlicher Gegebenheiten) knapp ist, wesentlichen Einrichtungen, Erstanbietervorteilen oder durch eine durch langfristige massive Werbung erwirkte Markentreue der Verbraucher. Die Antwort auf die Frage, ob der eine oder andere Faktor als Marktzutrittsschranke anzusehen ist, hängt vor allem davon ab, ob sie irreversible Kosten („sunk costs“) mit sich bringen. Hierbei handelt es sich um Kosten, die zu tragen sind, um in einen Markt eintreten oder dort tätig sein zu können, die aber beim Austritt aus dem Markt nicht wieder hereingeholt werden können. Zu den irreversiblen Kosten zählen in der Regel Werbeaufwendungen zur Bindung der Verbraucher an eine bestimmte Marke, es sei denn, das aus dem Markt ausscheidende Unternehmen kann seinen Markennamen ohne Verlust verkaufen oder anderweitig verwenden. Wenn ein Marktzutritt hohe irreversible Kosten erfordert, kann die Gefahr eines harten Wettbewerbs durch die etablierten Unternehmen nach dem Marktzutritt diesen Zutritt verhindern, da potenzielle neue Marktteilnehmer das Risiko des Verlusts ihrer irreversible Investitionen nicht rechtfertigen können.

(286)

Vertikale Beschränkungen können auch als Marktzutrittsschranke wirken, indem sie den Marktzutritt erschweren und (potenzielle) Wettbewerber ausschließen. So kann beispielsweise ein Wettbewerbsverbot, das Händler an einen Anbieter bindet, eine erhebliche Abschottungswirkung haben, wenn dem potenziellen Neueinsteiger verlorene Kosten durch den Aufbau eigener Händler entstehen.

(287)

Bei den verschiedenen Stufen in der Produktions- oder Vertriebskette ist zu unterscheiden, ob es sich um Zwischen- oder Endprodukte (Waren oder Dienstleistungen) handelt. Zwischenprodukte (Waren oder Dienstleistungen) werden an Unternehmen verkauft, die sie als Vorleistung für andere Waren oder Dienstleistungen einsetzen; im Endprodukt sind sie in der Regel nicht wiederzuerkennen. Die Abnehmer von Zwischenprodukten (Waren oder Dienstleistungen) sind üblicherweise gut informierte Kunden, die die Qualität eines Produkts beurteilen können und deshalb weniger auf Marke und Image achten. Endprodukte (Waren oder Dienstleistungen) werden dagegen direkt oder indirekt an Endverbraucher verkauft, die sich häufig stärker auf Marke und Image verlassen.

(288)

Insbesondere auf der Ebene der Endprodukte (Waren oder Dienstleistungen) spielt die Beschaffenheit des Produkts bei der Beurteilung der zu erwartenden negativen und positiven Auswirkungen eine wichtige Rolle. Bei der Beurteilung der wahrscheinlichen negativen Wirkungen auf den Wettbewerb ist die Feststellung wichtig, ob die auf dem betreffenden Markt verkauften Waren oder Dienstleistungen gleichartig oder eher verschiedenartig sind (160), ob das Produkt teuer ist und das Budget des Verbrauchers stark belastet oder ob es billig ist und ob es sich um ein Produkt handelt, das nur einmal oder wiederholt bezogen wird.

(289)

Die Dynamik des relevanten Marktes muss sorgfältig geprüft werden. In einigen dynamischen Märkten können die potenziellen negativen Auswirkungen bestimmter vertikaler Beschränkungen unproblematisch sein, da der Markenwettbewerb durch dynamische und innovative Wettbewerber als ausreichender Wettbewerbsdruck wirken kann. In anderen Fällen können vertikale Beschränkungen in einem dynamischen Markt jedoch dauerhafte Wettbewerbsvorteile verschaffen und somit langfristige negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben. Dies kann der Fall sein, wenn Wettbewerber durch eine vertikale Beschränkung daran gehindert werden, von Netzeffekten zu profitieren, oder wenn ein Markt zu Kippeffekten neigt.

(290)

Für die Bewertung können auch andere Faktoren maßgeblich sein. Zu solchen Faktoren zählen im Einzelnen:

a)

die Existenz kumulativer Auswirkungen, die sich aus der Abdeckung des Marktes durch ähnliche Vereinbarungen anderer Anbieter oder Abnehmer ergeben,

b)

ob die Vereinbarung „auferlegt“ (d. h. die meisten Beschränkungen oder Verpflichtungen gelten nur für eines der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen) oder „vereinbart“ ist (beide beteiligte Unternehmen akzeptieren Beschränkungen oder Verpflichtungen),

c)

das regulatorische Umfeld,

d)

Verhaltensweisen die auf Kollusion hindeuten oder diese erleichtern können, wie Preisführerschaft, im Voraus angekündigte Preisänderungen und Preisdiskussionen, Preisstarrheit als Reaktion auf Überkapazitäten, Preisdiskriminierung und kollusives Verhalten in der Vergangenheit.

8.1.2.   Maßgebliche Faktoren für die Prüfung nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV

(291)

Wettbewerbsbeschränkende vertikale Vereinbarungen im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV können auch wettbewerbsfördernde Auswirkungen in Form von Effizienzgewinnen haben, die die wettbewerbswidrigen Auswirkungen überwiegen. Die Beurteilung der Effizienzgewinne im Hinblick auf wettbewerbswidrige Auswirkungen findet im Rahmen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV statt, der eine Ausnahme vom Verbot nach Artikel 101 Absatz 1 AEUV enthält. Damit diese Ausnahmeregelung zur Anwendung kommt, muss die vertikale Vereinbarung die folgenden vier kumulativen Voraussetzungen erfüllen:

a)

aus der Vereinbarung müssen objektive wirtschaftliche Vorteile hervorgehen,

b)

die Verbraucher müssen angemessen an dem entstehenden Vorteilen beteiligt werden (161),

c)

die Wettbewerbsbeschränkungen müssen für das Erzielen dieser Vorteile unerlässlich sein und

d)

die Vereinbarung darf den beteiligten Unternehmen nicht die Möglichkeit eröffnen, für einen wesentlichen Teil der betroffenen Waren oder Dienstleistungen den Wettbewerb auszuschalten (162).

(292)

Nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV erfolgt die Beurteilung vertikaler Vereinbarungen unter Berücksichtigung des konkreten Zusammenhangs, in dem sie geschlossen werden (163), und auf der Grundlage des zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Sachverhalts. Wesentliche Änderungen des Sachverhalts werden bei der Beurteilung berücksichtigt. Die Ausnahme nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV findet Anwendung, solange die vier Voraussetzungen erfüllt sind, und findet keine Anwendung mehr, wenn dies nicht mehr der Fall ist (164). Bei der Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 AEUV im Einklang mit diesen Grundsätzen sind die Investitionen der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen ebenso zu berücksichtigen wie der Zeitaufwand und die Beschränkungen, die für die Durchführung einer effizienzsteigernden Investition und deren Amortisierung erforderlich sind.

(293)

Die erste Voraussetzung nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV erfordert eine Prüfung der durch die Vereinbarung entstehenden objektiven Effizienzgewinne. Wie in Abschnitt 2.1 erläutert, können vertikale Vereinbarungen häufig zur Erzielung von Effizienzgewinnen beitragen, indem sie die Art und Weise verbessern, in der die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen ihre einander ergänzenden Tätigkeiten ausüben.

(294)

Die zweite Voraussetzung des Artikels 101 Absatz 3 AEUV sieht vor, dass die Verbraucher einen angemessenen Anteil an den Vorteilen erhalten müssen. Dies bedeutet, dass die Verbraucher der im Rahmen der vertikalen Vereinbarung gekauften und/oder (weiter)verkauften Waren oder Dienstleistungen zumindest für die negativen Auswirkungen der Vereinbarung entschädigt werden müssen (165). Mit anderen Worten müssen die Effizienzgewinne etwaige negative Auswirkungen der vertikalen Vereinbarung auf Preise, Produktion und andere relevante Faktoren in vollem Umfang ausgleichen.

(295)

Drittens wird die Kommission bei der Prüfung der Unerlässlichkeit im Sinne des Artikels 101 Absatz 3 AEUV insbesondere untersuchen, ob einzelne Beschränkungen es möglich machen, die Herstellung, den Bezug und/oder den (Weiter-)Verkauf der Vertragsprodukte (Waren und Dienstleistungen) effizienter zu gestalten, als dies ohne die betreffende Beschränkung der Fall wäre. Dabei ist den Marktverhältnissen und den Umständen, mit denen die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen konfrontiert sind, Rechnung zu tragen. Unternehmen, die sich auf Artikel 101 Absatz 3 AEUV berufen, brauchen nicht auf hypothetische oder theoretische Alternativen einzugehen. Sie müssen jedoch darlegen und nachweisen, warum offensichtlich realistische und deutlich weniger restriktiv erscheinende Alternativen nicht ebenso effizient wären. Würde eine Alternative, die wirtschaftlich realistisch und weniger restriktiv erscheint, zu erheblichen Effizienzeinbußen führen, so wird die fragliche Beschränkung als unerlässlich betrachtet.

(296)

Die vierte Voraussetzung des Artikels 101 Absatz 3 AEUV verlangt, dass die vertikale Vereinbarung den beteiligten Unternehmen nicht die Möglichkeit eröffnen darf, den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren oder Dienstleistungen auszuschalten. Dies setzt eine Prüfung des noch vorhandenen Wettbewerbsdrucks auf den Markt und der Auswirkungen der Vereinbarung auf solche verbleibenden Wettbewerbsquellen voraus. Die Anwendung dieser Voraussetzung erfordert die Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen Artikel 101 Absatz 3 und Artikel 102 AEUV. Nach ständiger Rechtsprechung darf die Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 AEUV der Anwendung des Artikels 102 AEUV nicht entgegenstehen (166). Da sowohl Artikel 101 als auch Artikel 102 AEUV das Ziel verfolgen, einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt aufrechtzuerhalten, ist Artikel 101 Absatz 3 AEUV im Interesse der Kohärenz so auszulegen, dass jede Anwendung der Ausnahmeregelung auf wettbewerbsbeschränkende vertikale Vereinbarungen, die als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung anzusehen sind, ausgeschlossen wird (167). Die vertikale Vereinbarung darf den wirksamen Wettbewerb nicht ausschalten, indem alle bzw. fast alle bestehenden Quellen tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbs beseitigt werden. Der Wettbewerb zwischen Unternehmen ist ein wichtiger Faktor wirtschaftlicher Effizienz, u. a. auch für dynamische Effizienzgewinne in Form von Innovationen. Ohne sie hätte das marktbeherrschende Unternehmen keinen Anreiz, sich um Effizienzgewinne zu bemühen und diese weiterzugeben. Eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung, die eine marktbeherrschende, monopolähnliche Stellung aufrechterhält, schafft oder verstärkt, kann normalerweise nicht mit damit einhergehenden Effizienzgewinnen gerechtfertigt werden.

8.2.   Prüfung von spezifischen vertikalen Beschränkungen

(297)

Während Abschnitt 6 Orientierungshilfen für die Beurteilung vertikaler Beschränkungen enthält, die auf Kernbeschränkungen im Sinne des Artikels 4 der Verordnung (EU) 2022/720 oder auf nicht freigestellte Beschränkungen im Sinne des Artikels 5 der Verordnung hinauslaufen, sind in den folgenden Absätzen Hinweise zu anderen spezifischen vertikalen Beschränkungen zu finden. Was vertikale Beschränkung betrifft, die in diesen Leitlinien nicht ausdrücklich behandelt werden, so wird die Kommission diese vertikalen Beschränkungen nach den gleichen Grundsätzen und unter Berücksichtigung der maßgeblichen Faktoren beurteilen, die in diesem Abschnitt 8 dargelegt werden.

8.2.1.   Markenzwang

(298)

Unter den Begriff „Markenzwang“ fallen Vereinbarungen, deren zentrales Element darin besteht, dass der Abnehmer verpflichtet oder veranlasst wird, seine Bestellungen für ein bestimmtes Produkt auf einen Anbieter zu konzentrieren. Dieses Element findet sich u. a. in Wettbewerbsverboten und Mengenvorgaben, die mit dem Abnehmer vereinbart werden. Einer Abmachung mit Wettbewerbsverbot liegt eine Verpflichtung bzw. Anreizregelung zugrunde, die den Abnehmer veranlasst, mehr als 80 % seines Bedarfs auf einem bestimmten Markt bei einem einzigen Anbieter zu decken. Dies bedeutet nicht, dass der Abnehmer direkt bei dem betreffenden Anbieter kaufen muss, sondern vielmehr, dass er de facto keine konkurrierenden Waren oder Dienstleistungen kaufen, weiterverkaufen oder in eigenen Produkten weiterverwenden darf. Mengenvorgaben für den Abnehmer sind eine schwächere Form des Wettbewerbsverbots, bei der zwischen dem Anbieter und dem Abnehmer vereinbarte Anreize oder Verpflichtungen dazu führen, dass letzterer seine Einkäufe weitgehend auf einen Anbieter konzentriert. Ihre Erscheinungsformen sind u. a. Mindestabnahmemengen, Auflagen für die Vorratshaltung oder eine nichtlineare Preisfestsetzung wie bedingte Rabatte oder zweiteilige Tarife (Grundgebühr und variable Preiskomponente). Bei einer sogenannten „englischen Klausel“, die den Abnehmer verpflichtet, ein günstigeres Angebot zu melden und nur darauf einzugehen, wenn der Anbieter kein entsprechendes Angebot unterbreitet, kann die gleiche Wirkung erwartet werden wie bei einem Markenzwang, und zwar vor allem dann, wenn der Abnehmer den Namen des günstigeren Anbieters preisgeben muss.

(299)

Die möglichen Wettbewerbsrisiken des Markenzwangs sind die Abschottung des Marktes gegenüber konkurrierenden und potenziellen Anbietern, die Abschwächung des Wettbewerbs und die Erleichterung von Absprachen zwischen Anbietern im Falle einer kumulativen Nutzung und, sollte es sich beim Abnehmer um einen Einzelhändler handeln, ein Verlust des Markenwettbewerbs in den Verkaufsstätten. Solche wettbewerbsbeschränkenden Szenarien wirken sich unmittelbar auf den Markenwettbewerb aus.

(300)

Vereinbarungen mit Markenzwang können unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen, sofern weder der Marktanteil des Anbieters noch der des Abnehmers 30 % übersteigt und das Wettbewerbsverbot den Zeitraum von fünf Jahren nicht überschreitet. Wie in Randnummer (248) dargelegt, können Vereinbarungen mit Markenzwang, die stillschweigend über einen Zeitraum von fünf Jahren hinaus verlängert werden können, unter die Gruppenfreistellung fallen, sofern der Abnehmer die Vereinbarung mit Markenzwang mit einer angemessenen Kündigungsfrist und zu angemessenen Kosten wirksam neu aushandeln oder kündigen kann, sodass er nach Ablauf der Fünfjahresfrist seinen Anbieter effektiv wechseln kann. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, muss die Vereinbarung mit Markenzwang einer Einzelfallprüfung unterzogen werden.

(301)

Vereinbarungen mit Markenzwang können insbesondere dann zu einer wettbewerbswidrigen Marktabschottung führen, wenn ohne diese Verpflichtungen erheblicher Wettbewerbsdruck von Wettbewerbern ausgehen würde, die zu dem Zeitpunkt, an dem die Markenzwangsvereinbarung geschlossen wird, entweder noch nicht auf dem Markt vertreten oder aber hinsichtlich der umfassenden Belieferung der Kunden noch nicht konkurrenzfähig sind. So ist denkbar, dass Wettbewerber nicht den gesamten Bedarf eines Kunden decken können, weil der betreffende Anbieter zumindest für einen Teil der Nachfrage am Markt ein unvermeidlicher Handelspartner ist, weil etwa seine Marke bei vielen Verbrauchern besonders beliebt ist („Must Stock Item“) oder weil die Kapazitäten der anderen Anbieter so knapp sind, dass ein Teil der Nachfrage nur von dem betreffenden Anbieter gedeckt werden kann (168). Die Marktstellung des Anbieters ist somit von zentraler Bedeutung für die Beurteilung von möglichen wettbewerbswidrigen Auswirkungen, die von Vereinbarungen mit Markenzwang ausgehen.

(302)

Können Wettbewerber unter gleichen Bedingungen um die gesamte Nachfrage jedes einzelnen Kunden konkurrieren, wird der Wettbewerb in der Regel durch Vereinbarungen mit Markenzwang eines bestimmten Anbieters nicht spürbar beeinträchtigt, es sei denn, den Kunden wird der Anbieterwechsel durch die Marktabdeckung und die Dauer dieser Vereinbarungen mit Markenzwang erschwert. Je größer der Marktanteil ist, den ein Anbieter im Rahmen einer Vereinbarung mit Markenzwang verkauft, und je länger die Dauer der Vereinbarung mit Markenzwang ist, desto ausgeprägter dürfte die Marktabschottung ausfallen. Vereinbarungen mit Markenzwang führen eher zu einer wettbewerbswidrigen Marktabschottung, wenn sie von marktbeherrschenden Unternehmen eingegangen werden.

(303)

Bei der Beurteilung der Marktmacht des Anbieters spielt die Marktstellung seiner Wettbewerber eine wichtige Rolle. Solange die Wettbewerber ausreichend zahlreich und stark sind, sind keine nennenswerten wettbewerbswidrigen Auswirkungen zu erwarten. Ein Marktausschluss von Wettbewerbern ist nicht sehr wahrscheinlich, wenn sie eine vergleichbare Marktstellung innehaben und ähnlich attraktive Produkte anbieten können. In einem solchen Fall kann es jedoch zu einer Abschottung für potenzielle neue Marktteilnehmer kommen, wenn mehrere große Anbieter mit einer erheblichen Anzahl von Abnehmern auf dem relevanten Markt Vereinbarungen schließen, die einen Markenzwang enthalten (kumulative Wirkung). Unter diesen Bedingungen könnten Vereinbarungen mit Markenzwang auch die Kollusion unter konkurrierenden Anbietern erleichtern. Soweit diese Vereinbarung jeweils einzeln unter die in der Verordnung (EU) 2022/720 vorgesehene Freistellung fallen, kann der Entzug des Rechtsvorteils der Gruppenfreistellung erforderlich sein, um einer solchen negativen kumulativen wettbewerbswidrigen Wirkung entgegenzuwirken. Sind weniger als 5 % des Marktes durch die betreffende Vereinbarung gebunden, ist im Allgemeinen nicht von einem spürbaren Beitrag zu solch einer kumulativen Wirkung auszugehen.

(304)

Beträgt der Marktanteil des größten Anbieters weniger als 30 % und decken die fünf größten Anbieter zusammen weniger als 50 % des Marktes ab, ist eine einfache oder kumulative wettbewerbswidrige Wirkung unwahrscheinlich. Gelingt in solchen Fällen einem potenziellen neuen Marktteilnehmer kein gewinnbringender Markteinstieg, dürfte dies auf andere Faktoren als Markenzwang (z. B. Präferenzen der Verbraucher) zurückzuführen sein.

(305)

Um festzustellen, ob eine wettbewerbswidrige Marktabschottung wahrscheinlich ist, muss die Größenordnung der Marktzutrittsschranken bewertet werden. Wenn es für konkurrierende Anbieter relativ einfach ist, ein eigenes integriertes Vertriebsnetz aufzubauen oder andere Händler für ihr Produkt zu finden, ist eine Marktabschottung eher unwahrscheinlich.

(306)

Ausgleichende Nachfragemacht ist insofern von Belang, als einflussreiche Abnehmer sich nicht ohne Weiteres von Bezugsquellen für konkurrierende Waren oder Dienstleistungen abschneiden lassen. Um Kunden davon zu überzeugen, einen Markenzwang zu akzeptieren, muss der Anbieter sie unter Umständen ganz oder teilweise für den Wettbewerbsnachteil entschädigen, der ihnen durch die Ausschließlichkeitsbindung entsteht. Wird ein solcher Ausgleich gewährt, kann es für den einzelnen Kunden von Interesse sein, mit dem Anbieter eine solche Vereinbarung mit Markenzwang einzugehen. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass alle Vereinbarungen mit Markenzwang zusammengenommen für die Kunden auf diesem Markt und für die Endverbraucher insgesamt von Vorteil sind. Es ist insbesondere unwahrscheinlich, dass die Verbraucher in ihrer Gesamtheit davon profitieren, wenn die Vereinbarungen mit Markenzwang in ihrer Gesamtheit dazu führen, dass der Marktzutritt oder die Expansion von Wettbewerbern verhindert wird.

(307)

Maßgeblich ist schließlich auch die Stufe der Produktions- oder Vertriebskette. Bei Zwischenprodukten ist eine Marktabschottung weniger wahrscheinlich. Handelt es sich bei dem Anbieter eines Zwischenprodukts nicht um ein Unternehmen in marktbeherrschender Stellung, so bleibt den Wettbewerbern ein erheblicher Teil ungebundener Nachfrage. In einer Situation, in der bereits kumulative Wirkungen vorliegen, kann Markenzwang jedoch auch unterhalb einer marktbeherrschenden Stellung wettbewerbswidrige Abschottungseffekte hervorrufen. Eine kumulative wettbewerbswidrige Wirkung ist unwahrscheinlich, solange weniger als 50 % des Marktes gebunden sind.

(308)

Betrifft eine Vereinbarung die Lieferung eines Endprodukts auf der Großhandelsstufe, so hängt die Wahrscheinlichkeit eines Wettbewerbsproblems weitgehend von der Art des Großhandels und den Marktzutrittsschranken im Großhandel ab. Es besteht keine konkrete Abschottungsgefahr, wenn konkurrierende Hersteller problemlos ein eigenes Großhandelssystem aufbauen können. Ob die Marktzutrittsschranken niedrig sind, hängt zum Teil von der Art des Großhandelssystems ab, das der Abnehmer effizient aufbauen kann. Auf einem Markt, auf dem der Großhandel nur mit dem von der Vereinbarung betroffenen Produkt (z.B. Speiseeis) effizient arbeiten kann, können für den Hersteller Möglichkeiten und Anreize für den Aufbau eines eigenen Großhandelssystems bestehen, und in diesem Fall ist es unwahrscheinlich, dass er von diesem Markt ausgeschlossen wird. Hingegen ist es auf einem Markt, auf dem es effizienter ist, eine ganze Palette von Produkten über den Großhandel zu vertreiben (z. B. Tiefkühlkost), für einen Hersteller, der nur ein einziges Produkt verkauft, nicht effizient, einen eigenen Großhandel zu gründen. Ohne Zugang zu etablierten Großhändlern wird der Hersteller wahrscheinlich von diesem Markt ausgeschlossen. Unter solchen Umständen kann es durchaus zu wettbewerbswidrigen Auswirkungen kommen. Zusätzlich können kumulative wettbewerbswidrige Wirkungen auftreten, wenn mehrere Anbieter die Mehrheit der verfügbaren Großhändler binden.

(309)

Im Hinblick auf Endprodukte ist eine Abschottung im Allgemeinen eher auf der Einzelhandelsstufe wahrscheinlich, da Hersteller, die Verkaufsstätten ausschließlich zum Absatz ihrer eigenen Produkte einrichten wollen, erhebliche Marktzutrittsschranken zu überwinden haben. Außerdem können Vereinbarungen mit Markenzwang im Einzelhandel einen Rückgang beim Markenwettbewerb in den Verkaufsstätten bewirken. Aus diesen Gründen können sich im Hinblick auf Endprodukte auf der Einzelhandelsstufe spürbare wettbewerbswidrige Auswirkungen ergeben, wenn unter Berücksichtigung aller übrigen maßgeblichen Faktoren ein nicht marktbeherrschender Anbieter 30 % des relevanten Marktes oder mehr durch entsprechende Vereinbarungen an sich bindet. Bei einem marktbeherrschenden Unternehmen kann bereits die Bindung eines bescheidenen Teils des Marktes erhebliche wettbewerbswidrige Wirkungen nach sich ziehen.

(310)

Auch auf der Einzelhandelsstufe kann es zu einer kumulativen Abschottungswirkung kommen. Liegt der Marktanteil eines jeden Anbieters unter 30 %, ist eine kumulative Abschottungswirkung unwahrscheinlich, wenn insgesamt weniger als 40 % des Marktes durch die Vereinbarungen gebunden sind; in einem solchen Fall ist ein Entzug des Rechtsvorteils der Gruppenfreistellung unwahrscheinlich. Der genannte Wert kann auch höher ausfallen, wenn noch andere Faktoren wie die Anzahl der Wettbewerber berücksichtigt werden. Liegt der Marktanteil einiger Unternehmen über dem in Artikel 3 der Verordnung (EU) 2022/720 aufgeführten Schwellenwert und nimmt kein Unternehmen eine beherrschende Stellung ein, so ist eine kumulative Abschottungswirkung unwahrscheinlich, wenn insgesamt weniger als 30 % des gesamten Markts gebunden sind.

(311)

Betreibt der Abnehmer seine Geschäfte in Räumlichkeiten und auf Grundstücken, die dem Anbieter gehören oder die dieser von einem Dritten gemietet hat, der mit dem Abnehmer nicht in Verbindung steht, dürften die Möglichkeiten, wirksame Maßnahmen zur Beseitigung einer etwaigen, durch eine Vereinbarung mit Markenzwang hervorgerufenen Abschottungswirkung zu treffen, begrenzt sein. In diesem Fall ist ein Eingreifen der Kommission unwahrscheinlich, solange keine Marktbeherrschung vorliegt.

(312)

In Branchen, in denen der Verkauf von mehr als einer Marke an ein und derselben Verkaufsstätte schwer möglich ist, lässt sich ein gegebenenfalls auftretendes Abschottungsproblem besser durch die Begrenzung der Vertragsdauer lösen.

(313)

Wenn ein Markenzwang spürbare wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat, ist zu prüfen, ob die betreffende Vereinbarung zu Effizienzgewinnen führt, die die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. Bei Wettbewerbsverboten können die Effizienzgewinne von besonderer Bedeutung sein, die unter Randnummer 16 Buchstabe b (Trittbrettfahren unter Anbietern), Buchstaben e und f („Hold-up“-Probleme) und Buchstabe i (Unzulänglichkeiten der Kapitalmärkte) dieser Leitlinien beschrieben werden.

(314)

Was die unter Randnummer 16 Buchstaben b, e und i beschriebenen Effizienzgewinne betrifft, könnte eine dem Abnehmer auferlegte Mengenvorgabe möglicherweise eine Alternative sein, die den Wettbewerb weniger stark einschränkt. Ein Wettbewerbsverbot wiederum kann sich als das einzig mögliche Mittel erweisen, einen Effizienzgewinn im Sinne von Randnummer 16 Buchstabe f („Hold-up“-Problem in Verbindung mit der Übertragung von Know-how) zu erzielen.

(315)

Bei vertragsspezifischen Investitionen des Anbieters, wie sie unter Randnummer 16 Buchstabe e beschrieben werden, erfüllen Wettbewerbsverbote oder Mengenvorgaben während des Abschreibungszeitraums der Investition grundsätzlich die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV. Handelt es sich dabei um sehr umfangreiche vertragsspezifische Investitionen, kann ein Wettbewerbsverbot begründet sein, das länger als fünf Jahre dauert. Eine vertragsspezifische Investition liegt beispielsweise vor, wenn der Anbieter eine Anlage errichtet oder umstellt, mit der nur Teile für einen bestimmten Abnehmer gefertigt werden können. Allgemeine oder marktspezifische Investitionen in (zusätzliche) Kapazitäten sind in der Regel nicht vertragsspezifisch. Wenn aber ein Anbieter speziell in Verbindung mit der Tätigkeit eines bestimmten Abnehmers neue Anlagen installiert (z. B. ein Blechdosenhersteller, der in oder neben der Konservenfabrik eines Lebensmittelherstellers neue Anlagen für die Herstellung von Dosen aufstellt), können diese nur insofern rentabel betrieben werden, als sie für den betreffenden Kunden produzieren; in diesem Fall wäre die Investition vertragsspezifisch.

(316)

Wettbewerbsverbote können auch zur Lösung von „Hold-up“-Problemen bei Investitionen, die der Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen dienen, eingesetzt werden. Ein „Hold-up“-Problem könnte beispielsweise bestehen, wenn ein Energieanbieter angesichts einer gestiegenen Nachfrage nach erneuerbaren Energien (169) in ein Wasserkraftwerk oder einen Windpark investieren möchte. Der Anbieter ist möglicherweise nur dann bereit, dieses langfristige Investitionsrisiko einzugehen, wenn genügend Abnehmer bereit sind, sich für einen längeren Zeitraum zur Abnahme erneuerbarer Energie zu verpflichten. Solche vertikalen Vereinbarungen mit Abnehmern können dann wettbewerbsfördernd sein, wenn das langfristige Wettbewerbsverbot erforderlich ist, damit die Investition überhaupt oder in der vorgesehenen Größenordnung oder Zeit getätigt werden kann. Daher können solche Wettbewerbsverbote die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen, wenn die Investition des Anbieters eine lange Abschreibungsdauer hat, die über die in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegte Abschreibungsdauer von fünf Jahren hinausgeht (170).

(317)

Gewährt der Anbieter dem Abnehmer ein Darlehen oder stellt er dem Abnehmer Ausrüstungen zur Verfügung, die nicht vertragsspezifisch sind, ist es in der Regel eher unwahrscheinlich, dass diese für sich genommen einen Effizienzgewinn darstellen, der die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllt, wenn die betreffende Vereinbarung wettbewerbswidrige Abschottungswirkungen hervorruft. Bei Unzulänglichkeiten der Kapitalmärkte kann es vorteilhafter sein, dass ein Anbieter ein Darlehen bereitstellt als eine Bank (siehe Randnummer 16 Buchstabe i dieser Leitlinien). In diesem Fall sollte das Darlehen mit möglichst wenigen Einschränkungen gewährt werden, und der Abnehmer sollte im Allgemeinen nicht daran gehindert werden, jederzeit und ohne Zahlung einer Vertragsstrafe das Wettbewerbsverbot aufzuheben und das Restdarlehen zu tilgen.

(318)

Der Effizienzgewinn im Zusammenhang mit der Übertragung von wesentlichem Know-how nach Randnummer 16 Buchstabe f rechtfertigt in der Regel ein Wettbewerbsverbot für die gesamte Dauer der Liefervereinbarung, so z. B. beim Franchising.

(319)

Es folgt ein Beispiel für ein Wettbewerbsverbot.

Ein marktführendes Unternehmen hält auf einem nationalen Markt bei einem Impulskonsum-Produkt einen Marktanteil von 40 % und verkauft 90 % seiner Produkte über gebundene Einzelhändler (damit sind 36 % des Marktes gebunden). Die Einzelhändler sind aufgrund der mit dem Unternehmen geschlossenen vertikalen Vereinbarungen verpflichtet, ihren Bedarf vier Jahre lang ausschließlich bei dem Marktführer zu decken. Der Marktführer ist in dicht besiedelten Gebieten wie der Hauptstadt besonders stark vertreten. Er hat zehn Wettbewerber, wobei die Produkte einiger von ihnen nur an bestimmten Orten erhältlich sind, und auf sie alle entfallen jeweils sehr viel kleinere Marktanteile, im Höchstfall 12 %. Diese zehn Wettbewerber decken zusammen weitere 10 % des Markts über gebundene Verkaufsstätten ab. Der Markt zeichnet sich durch ausgeprägte Marken- und Produktdifferenzierung aus. Der Marktführer vertreibt die stärksten Marken. Er ist der einzige, der regelmäßig nationale Werbekampagnen durchführt, zudem stellt er den gebundenen Einzelhändlern spezielles Mobiliar zur Ausstellung seines Produkts zur Verfügung.

Dies führt zu einer Situation, in der insgesamt 46 % des Marktes (36 % + 10 %) für potenzielle neue Marktteilnehmer und für auf dem Markt etablierte Unternehmen ohne gebundene Verkaufsstätten abgeschottet sind. Noch schwieriger gestaltet sich der Marktzutritt für potenzielle neue Marktteilnehmer in den von ihnen möglicherweise bevorzugten dicht besiedelten Gebieten, weil dort die Marktabschottung noch ausgeprägter ist. Außerdem führt das Fehlen von Markenwettbewerb in den Verkaufsstätten angesichts der ausgeprägten Marken- und Produktdifferenzierung und der hohen Kosten der Beschaffung von Informationen in Bezug auf den Produktpreis zu einem zusätzlichen Wohlfahrtsverlust für die Verbraucher. Aufgrund der Ausschließlichkeitsbindung der Verkaufsstätte sind mögliche Effizienzgewinne, die der Marktführer auf verringerte Transportkosten und eventuell ein „Hold-up“-Problem beim speziellen Ausstellungsmobiliar zurückführt, begrenzt und wiegen die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht auf. Die Effizienzgewinne sind begrenzt, weil die Transportkosten nicht mit der Ausschließlichkeitsbindung, sondern mit der Liefermenge zusammenhängen, und weil das Mobiliar weder besonderes Know-how beinhaltet noch markenspezifisch ist. Daher ist es unwahrscheinlich, dass die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllt sind.

(320)

Es folgt ein Beispiel für Mengenvorgaben.

Hersteller X mit einem Marktanteil von 40 % setzt 80 % seiner Produkte mittels Verträgen ab, die die Wiederverkäufer verpflichten, mindestens 75 % ihres Bedarfs an dem betreffenden Produkttyp bei ihm zu decken. Als Gegenleistung stellt Hersteller X Finanzierung und Ausrüstung zu günstigen Bedingungen bereit. Die Verträge haben eine Laufzeit von fünf Jahren und das Darlehen ist in gleichen Raten abzuzahlen. Nach Ablauf von zwei Jahren können die Abnehmer den Vertrag jedoch mit einer Frist von sechs Monaten kündigen, wenn sie das Restdarlehen vollständig tilgen und die Ausrüstungen zum Marktwert übernehmen. Am Ende der fünfjährigen Laufzeit gehen die Ausrüstungen ins Eigentum des Abnehmers über. Es gibt zwölf meist kleinere Wettbewerber (der größte hält einen Marktanteil von 20 %), die ähnliche Verträge mit unterschiedlichen Laufzeiten schließen. Hersteller mit Marktanteilen unter 10 % haben oft Verträge mit längeren Laufzeiten und mit weniger großzügigen Kündigungsklauseln. Die Verträge von Hersteller X erlauben den Vertragspartnern, 25 % ihres Bedarfs bei Wettbewerbern decken. In den letzten drei Jahren erfolgte der Markteintritt zweier neuer Hersteller, die zusammen einen Marktanteil von rund 8 % erreicht haben, indem sie u. a. die Darlehen einer Reihe von Wiederverkäufern im Gegenzug für einen Vertragsschluss übernahmen.

Durch Hersteller X sind 24 % (0,75 × 0,80 × 40 %) des Markts gebunden. Weitere 25 % wurden durch die Vereinbarungen der übrigen Hersteller gebunden. Damit sind sowohl potenzielle neue Marktteilnehmer als auch etablierte Unternehmen, die keine Verkaufsstätten an sich gebunden haben, zumindest in den ersten beiden Jahren der Laufzeit der Lieferverträge von 49 % des Marktes ausgeschlossen. Es zeigt sich, dass die Wiederverkäufer häufig auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie Kapital bei einer Bank aufnehmen wollen, und zumeist zu klein sind, um sich Kapital auf anderen Wegen, etwa durch die Emission von Aktien, zu beschaffen. Außerdem kann Hersteller X nachweisen, dass er seinen Absatz besser planen und Transportkosten einsparen kann, wenn er den Verkauf auf eine kleine Zahl von Wiederverkäufern begrenzt. In Anbetracht der durch die Abnahmeverpflichtung geschaffenen Effizienzgewinne einerseits und andererseits des Umstands, dass die Abnehmer von Hersteller X laut Vertrag 25 % ihres Bedarfs anderweitig decken können, der realen Möglichkeit einer vorzeitigen Vertragskündigung, des unlängst erfolgten Marktzutritts neuer Hersteller und der Tatsache, dass rund die Hälfte der Wiederverkäufer nicht gebunden ist, dürfte die vom Hersteller X gehandhabte Mengenvorgabe von 75 % die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen.

8.2.2.   Alleinbelieferung

(321)

Alleinbelieferung bezieht sich auf Beschränkungen, durch die der Anbieter verpflichtet oder angehalten wird, die Vertragsprodukte ausschließlich oder hauptsächlich an einen Abnehmer (im Allgemeinen für einen bestimmten Verwendungszweck) zu verkaufen. Dies kann in Form einer Alleinbelieferungsklausel erfolgen, die den Anbieter dazu verpflichtet, für die Zwecke des Weiterverkaufs oder für einen bestimmten Verwendungszweck nur an einen Abnehmer zu verkaufen. Alleinbelieferungsverpflichtungen können auch die Form einer Mengenvorgabe für den Anbieter annehmen, in deren Rahmen ein Anbieter und ein Abnehmer Anreize vereinbaren, die den Anbieter dazu veranlassen, seine Verkäufe im Wesentlichen auf diesen Abnehmer zu konzentrieren. Die Lieferung von Zwischenprodukten mit Ausschließlichkeitsbindung wird häufig auch als „Industrial Supply“ bezeichnet.

(322)

Hält weder der Anbieter noch der Abnehmer einen Marktanteil von mehr als 30 %, können Alleinbelieferungsvereinbarungen auch dann unter die Gruppenfreistellung nach der Verordnung (EU) 2022/720 fallen, wenn sie mit anderen vertikalen Beschränkungen – mit Ausnahme von Kernbeschränkungen – wie Wettbewerbsverboten kombiniert werden. Im nachstehenden Teil dieses Abschnitts 8.2.2 werden Anhaltspunkte gegeben, wie in einzelnen Fällen, in denen die Marktanteilsschwelle überschritten wird, bei der Prüfung von Alleinbelieferungsvereinbarungen vorzugehen ist.

(323)

Die größte Gefahr für den Wettbewerb besteht bei der Alleinbelieferung in der wettbewerbswidrigen Abschottung des Marktes für andere Abnehmer. Mögliche Auswirkungen ähneln jenen von Alleinvertriebsvereinbarungen, insbesondere wenn der Alleinvertriebshändler zum einzigen Abnehmer auf dem gesamten Markt wird (siehe insbesondere Randnummer (130)). Der Marktanteil des Abnehmers im vorgelagerten Beschaffungsmarkt spielt eine wichtige Rolle bei der Einschätzung, ob dieser in der Lage wäre, dem Anbieter Alleinbelieferungsverpflichtungen aufzuerlegen, die anderen Abnehmern den Zugang zu einer Lieferquelle verschließen würden. Ob ein wettbewerbsrechtliches Problem entstehen könnte, hängt jedoch vor allem von der Bedeutung der Stellung des Abnehmers auf dem nachgelagerten Markt ab. Hat der Abnehmer dort keine Marktmacht, so ist nicht mit spürbaren negativen Auswirkungen auf die Verbraucher zu rechnen. Negative Auswirkungen sind jedoch möglich, wenn der Marktanteil des Abnehmers sowohl auf dem nachgelagerten Vertriebsmarkt als auch auf dem vorgelagerten Beschaffungsmarkt 30 % übersteigt. Doch auch wenn der Marktanteil des Abnehmers die 30 %-Schwelle auf dem vorgelagerten Markt nicht übersteigt, können insbesondere in Fällen, in denen diese Schwelle im nachgelagerten Markt überschritten wird und sich die Alleinvertriebsvereinbarung auf einen bestimmten Verwendungszweck für die Vertragsprodukte bezieht, erhebliche Abschottungswirkungen auftreten. Verpflichtungen, Produkte ausschließlich oder überwiegend an einen Abnehmer zu liefern, der im nachgelagerten Markt eine beherrschende Stellung innehat, können ohne Weiteres erhebliche wettbewerbswidrige Auswirkungen zur Folge haben.

(324)

Neben der Marktstellung des Abnehmers auf dem vor- und nachgelagerten Markt müssen auch der Umfang und die Dauer der Alleinbelieferungsverpflichtung berücksichtigt werden. Je mehr Lieferungen gebunden sind und je länger die Dauer der Alleinbelieferungsverpflichtung ist, desto größer dürfte die Abschottungswirkung sein. Bei Alleinbelieferungsvereinbarungen mit einer Dauer von weniger als fünf Jahren, die Unternehmen in nicht marktbeherrschender Stellung schließen, ist gewöhnlich eine sorgfältige Gegenüberstellung der wettbewerbsfördernden und -schädigenden Auswirkungen erforderlich; beträgt die Dauer mehr als fünf Jahre, ist davon auszugehen, dass die Vereinbarungen bei den meisten Investitionsarten nicht für die Erzielung der behaupteten Effizienzgewinne erforderlich sind bzw. dass diese Gewinne nicht ausreichen, um die Abschottungswirkung zu kompensieren.

(325)

Die Marktstellung der konkurrierenden Abnehmer auf dem vorgelagerten Beschaffungsmarkt ist ebenfalls von Bedeutung, da es wahrscheinlich ist, dass eine Alleinbelieferungsvereinbarung konkurrierende Abnehmer aus wettbewerbswidrigen Gründen, z. B. durch Erhöhung ihrer Kosten, ausschließt, wenn sie wesentlich kleiner sind als der ausschließende Abnehmer. Ein Marktausschluss konkurrierender Abnehmer ist eher unwahrscheinlich, wenn diese Wettbewerber über eine ähnliche Nachfragemacht wie der an der Vereinbarung beteiligte Abnehmer verfügen und den Anbietern ähnliche Absatzmöglichkeiten bieten können. In einem solchen Fall wären gegebenenfalls nur potenzielle neue Marktteilnehmer vom Markt ausgeschlossen, denen es nicht gelingt, sich Lieferquellen zu sichern, weil mehrere große Abnehmer Alleinbelieferungsverträge mit einer Mehrheit der Anbieter in dem betreffenden Markt geschlossen haben. Eine solche kumulative Abschottungswirkung kann zum Entzug des Rechtsvorteils der Verordnung (EU) 2022/720 führen.

(326)

Die Existenz von Marktzutrittsschranken auf der Anbieterebene sowie deren Größe sind für die Beurteilung, ob eine Marktabschottung vorliegt, von Bedeutung. Soweit es für konkurrierende Abnehmer effizient ist, die Ware oder Dienstleistung im Wege der vertikalen Integration im vorgelagerten Markt selbst zu beschaffen, dürfte eine Abschottung kaum ein Problem darstellen.

(327)

Die Gegenmacht von Anbietern sollte ebenfalls berücksichtigt werden, da es wichtige Anbieter nicht ohne Weiteres zulassen, dass ein Abnehmer sie von anderen Abnehmern abschneidet. Die Gefahr einer Marktabschottung besteht daher hauptsächlich dann, wenn die Anbieter schwach und die Abnehmer stark sind. Bei starken Anbietern kann eine Alleinbelieferungspflicht in Verbindung mit Wettbewerbsverboten auftreten. Bei solchen Kombinationen müssen auch die Orientierungshilfen zum Markenzwang berücksichtigt werden. Haben beide Seiten vertragsspezifische Investitionen vornehmen müssen („Hold-up“-Problem), kann eine Kombination von Alleinbelieferung und Wettbewerbsverbot oft gerechtfertigt sein, insbesondere dann, wenn keine marktbeherrschende Stellung vorliegt.

(328)

Schließlich sind die Stufe in der Produktions- oder Handelskette und die Art des Produkts für die Beurteilung möglicher Abschottungswirkungen von Bedeutung. Eine wettbewerbswidrige Marktabschottung ist weniger wahrscheinlich, wenn es sich um ein Zwischenprodukt handelt oder wenn das Produkt homogen ist. Zum einen kann ein vom Markt ausgeschlossener Hersteller, der eine bestimmte Vorleistung benötigt, in der Regel flexibler auf die Nachfrage seiner Kunden reagieren als ein Groß- oder Einzelhändler, der die Nachfrage von Endverbrauchern, für die Marken unter Umständen sehr wichtig sind, zu befriedigen hat. Zum anderen ist bei homogenen Produkten der Verlust einer möglichen Lieferquelle für die vom Markt ausgeschlossenen Abnehmer weniger bedeutsam als bei heterogenen Produkten, die unterschiedliche Güteklassen und Qualitätseigenschaften aufweisen. Bei Marken-Endprodukten oder differenzierten Zwischenprodukten auf Märkten mit Zutrittsschranken können Alleinbelieferungsverpflichtungen spürbare wettbewerbswidrige Auswirkungen haben, wenn die Wettbewerber des Abnehmers im Vergleich zu diesem klein sind; dies gilt selbst dann, wenn der Abnehmer im nachgelagerten Markt keine marktbeherrschende Stellung einnimmt.

(329)

Effizienzgewinne sind bei „Hold-up“-Problemen (Randnummer (16) Buchstaben e) und f)) zu erwarten, und zwar bei Zwischenprodukten mit größerer Wahrscheinlichkeit als bei Endprodukten. Effizienzgewinne anderer Art sind weniger wahrscheinlich. Etwaige Größenvorteile beim Vertrieb (Randnummer (16) Buchstabe g)) dürften keine Rechtfertigung für Alleinbelieferungsverpflichtungen bieten.

(330)

Zur Lösung von „Hold-up“-Problemen und mehr noch zur Erzielung von Größenvorteilen im Vertrieb könnten Mengenvorgaben für den Anbieter (wie z.B. Mindestliefermengen) eine weniger wettbewerbsbeschränkende Alternative darstellen.

(331)

Es folgt ein Beispiel für Alleinbelieferung.

Auf einem Markt für einen bestimmten Teiletyp (Markt für Zwischenprodukte) kommt Anbieter A mit Abnehmer B überein, mit eigenem Know-how und erheblichen Investitionen in neue Maschinen sowie mithilfe der von Abnehmer B vorgegebenen Spezifikationen eine andere Version des Teils zu entwickeln. Anbieter B muss erhebliche Investitionen tätigen, um das neue Teil in sein Produkt einzubauen. Es wird vereinbart, dass Anbieter A das neue Produkt ab dessen Markteinführung fünf Jahre lang ausschließlich an Abnehmer B liefert. Abnehmer B darf das neue Produkt während desselben Fünfjahreszeitraums nur von Anbieter A beziehen. Sowohl A als auch B dürfen weiterhin andere Versionen des Teils an anderer Stelle kaufen bzw. verkaufen. Der Marktanteil von Abnehmer B auf dem vorgelagerten Teilemarkt und auf dem nachgelagerten Endproduktmarkt beträgt jeweils 40 %. Der Marktanteil von Anbieter A beträgt 35 %. Zwei weitere Teileanbieter halten rund 20 % bis 25 % Marktanteil; daneben gibt es noch eine Reihe kleinerer Anbieter.

Wegen der erheblichen Investitionen beider beteiligter Unternehmen dürfte die Vereinbarung in Anbetracht der Effizienzgewinne und der geringen Marktabschottungswirkung die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. Andere Abnehmer sind von einer bestimmten Version eines Produkts eines Anbieters mit 35 % Marktanteil ausgeschlossen, jedoch könnten andere Teileanbieter ähnliche neue Produkte entwickeln. Die Abschottung eines Teils der Nachfrage von Abnehmer B gegenüber anderen Anbietern ist auf maximal 40 % des Marktes begrenzt.

8.2.3.   Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Online-Marktplätzen

(332)

Bei Online-Marktplätzen handelt es sich in der Regel um Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten, die Händler und potenzielle Kunden miteinander in Kontakt bringen, um direkte Käufe zu ermöglichen. Online-Dienste, die keine direkte Kauffunktionalität bieten, sondern Kunden auf andere Websites weiterleiten, auf denen Waren und Dienstleistungen erworben werden können, gelten im Sinne dieser Leitlinien nicht als Online-Marktplätze, sondern als Werbedienste (171).

(333)

Online-Marktplätze sind zu einem wichtigen Vertriebskanal für Anbieter und Einzelhändler geworden, der ihnen Zugang zu einer großen Anzahl von Kunden verschafft, aber auch für Endverbraucher. Online-Marktplätze können es Einzelhändlern ermöglichen, mit geringeren Anfangsinvestitionen in den Online-Verkauf einzusteigen. Ferner können sie den grenzüberschreitenden Verkauf erleichtern und den Bekanntheitsgrad vor allem kleiner und mittlerer Verkäufer erhöhen, die keinen eigenen Online-Shop haben oder bei den Endverbrauchern nicht sehr bekannt sind.

(334)

Anbieter möchten möglicherweise die Nutzung von Online-Marktplätzen durch ihre Abnehmer einschränken (172), um beispielsweise das Image und die Positionierung ihrer Marke zu schützen, den Verkauf von gefälschten Produkten zu verhindern, ausreichende Dienstleistungen vor und nach dem Verkauf zu gewährleisten oder sicherzustellen, dass der Abnehmer eine direkte Beziehung zu den Kunden unterhält. Solche Einschränkungen können von einem völligen Verbot der Nutzung von Online-Marktplätzen bis hin zu Beschränkungen der Nutzung von Online-Marktplätzen reichen, die bestimmte qualitative Anforderungen nicht erfüllen. Beispielsweise können Anbieter die Nutzung von Marktplätzen verbieten, auf denen Produkte versteigert werden, oder sie können von den Abnehmern verlangen, spezialisierte Marktplätze zu nutzen, um bestimmte Qualitätsstandards in Bezug auf das Umfeld, in dem ihre Waren oder Dienstleistungen verkauft werden können, zu gewährleisten. Das Vorschreiben bestimmter qualitativer Anforderungen kann de facto auf ein Verbot der Nutzung von Online-Marktplätzen hinauslaufen, weil kein Online-Marktplatz in der Lage ist, die Anforderung zu erfüllen. Dies kann beispielsweise zutreffen, wenn der Anbieter verlangt, dass das Logo des Online-Marktplatzes nicht sichtbar ist oder dass der Domainname einer vom Einzelhändler genutzten Website den Namen des Unternehmens des Einzelhändlers enthält.

(335)

Vertikale Vereinbarungen, die die Nutzung von Online-Marktplätzen einschränken, können unter der Voraussetzung unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung fallen, dass sie weder mittel- noch unmittelbar zum Zweck haben, die wirksame Nutzung des Internets durch den Abnehmer für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen an Kunden in bestimmten Gebiete oder an bestimmte Kunden im Sinne des Artikels 4 Buchstabe e der Verordnung zu verhindern, und dass die Marktanteile sowohl des Anbieters als auch des Abnehmers die in Artikel 3 der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegten Schwellenwerte nicht übersteigen.

(336)

Wie in Abschnitt 6.1.2. dargelegt, betrifft eine Beschränkung oder ein Verbot des Verkaufs auf Online-Marktplätzen die Art und Weise des Online-Verkaufs durch den Abnehmer und beschränkt nicht den Verkauf in ein bestimmtes Gebiet oder an eine bestimmte Kundengruppe. Eine solche Beschränkung bzw. ein solches Verbot schränkt zwar die Nutzung eines bestimmten Online-Vertriebskanals ein, aber andere Online-Vertriebskanäle stehen dem Abnehmer weiterhin offen (173). Insbesondere kann der Abnehmer trotz einer Beschränkung oder eines Verbots des Verkaufs auf Online-Marktplätzen die Vertragswaren oder -dienstleistungen weiterhin über seinen eigenen Online-Shop und andere Online-Kanäle verkaufen, und er kann Techniken zur Suchmaschinenoptimierung nutzen oder online Werbung betreiben, unter anderem auch auf Plattformen Dritter, um die Sichtbarkeit seines Online-Shops oder anderer Vertriebskanäle zu erhöhen. Daher kann eine solche Beschränkung grundsätzlich unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen.

(337)

Der verbleibende Teil dieses Abschnitts 8.2.3 enthält Orientierungshilfen für die Beurteilung von Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Online-Marktplätzen in Einzelfällen, in denen die in Artikel 3 der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegten Marktanteilsschwellen überschritten werden.

(338)

In selektiven Vertriebssystemen wird häufig eine Beschränkung der Nutzung von Online-Marktplätzen vereinbart. In Abschnitt 4.6.2 werden die Kriterien dargelegt, unter denen ein selektives Vertriebssystem gegebenenfalls nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt (174). In Fällen, in denen der Anbieter keine Vereinbarung mit dem Online-Marktplatz eingeht, kann er möglicherweise nicht überprüfen, ob der Online-Marktplatz den Voraussetzungen entspricht, die seine zugelassenen Händler für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen erfüllen müssen. In diesem Fall kann eine Beschränkung oder ein Verbot der Nutzung von Online-Marktplätzen angemessen sein und nicht über das hinausgehen, was zur Wahrung der Qualität und zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Verwendung der Vertragswaren oder -dienstleistungen erforderlich ist. In Fällen, in denen ein Anbieter den Betreiber eines Online-Marktplatzes als Mitglied seines selektiven Vertriebssystems benennt oder in denen er die Nutzung von Online-Marktplätzen durch einige zugelassene Händler, nicht aber durch andere einschränkt, oder in denen er die Nutzung eines Online-Marktplatzes einschränkt, diesen Marktplatz aber selbst für den Vertrieb der Vertragswaren oder -dienstleistungen nutzt, dürften Beschränkungen der Nutzung solcher Online-Marktplätze die Anforderungen der Angemessenheit und Notwendigkeit jedoch kaum erfüllen (175).

(339)

Fällt ein selektiver Vertrieb unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV, so sind die vertikale Vereinbarung und etwaige Beschränkungen der Nutzung von Online-Marktplätzen nach Artikel 101 AEUV zu prüfen.

(340)

Das Hauptrisiko für den Wettbewerb, das sich aus Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Online-Marktplätzen ergibt, besteht in einer Verringerung des markeninternen Wettbewerbs auf der Vertriebsebene. So können sich beispielsweise bestimmte zugelassene Händler wie kleine oder mittlere Abnehmer auf Online-Marktplätze stützen, um Kunden zu gewinnen. Beschränkungen der Nutzung von Online-Marktplätzen können diesen Abnehmern einen wichtigen potenziellen Absatzkanal entziehen und den Wettbewerbsdruck mindern, den sie auf andere zugelassene Händler ausüben.

(341)

Um die möglichen wettbewerbswidrigen Auswirkungen von Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Online-Marktplätzen zu beurteilen, muss zunächst der Grad des Markenwettbewerbs beurteilt werden, denn eine Verringerung des markeninternen Wettbewerbs an sich wird wahrscheinlich keine negativen Auswirkungen auf die Verbraucher haben, wenn auf der Anbieter- und der Händlerstufe ein starker Markenwettbewerb herrscht (176). Zu diesem Zweck sollte die Marktstellung des Anbieters und seiner Wettbewerber berücksichtigt werden. Zweitens sind die Art und der Umfang der Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Online-Marktplätzen zu berücksichtigen. So ist beispielsweise ein Verbot aller Verkäufe über Online-Marktplätze restriktiver als eine Beschränkung der Nutzung bestimmter Online-Marktplätze oder die Vorgabe, nur Online-Marktplätze zu nutzen, die bestimmte qualitative Kriterien erfüllen. Drittens sollte die relative Bedeutung der eingeschränkten Online-Marktplätze als Vertriebskanal auf den sachlich und räumlich relevanten Märkten berücksichtigt werden. Schließlich sollte die kumulative Wirkung anderer vom Anbieter auferlegter Beschränkungen für Online-Verkäufe oder -Werbung berücksichtigt werden.

(342)

Wie in Randnummer (334) dargelegt, können Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Online-Marktplätzen zu Effizienzgewinnen führen, insbesondere im Zusammenhang mit der Gewährleistung des Markenschutzes oder eines bestimmten Niveaus der Dienstleistungsqualität oder der Verringerung der Möglichkeiten für Fälschungen. Soweit die Beschränkungen innerhalb des Anwendungsbereichs des Artikels 101 Absatz 1 AEUV liegen, muss bei der Beurteilung berücksichtigt werden, ob solche Effizienzgewinne durch weniger restriktive Mittel im Einklang mit den Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erzielt werden können. Dies könnte beispielsweise zutreffen, wenn der Online-Marktplatz zulässt, dass Einzelhändler innerhalb des Marktplatzes eigene Marken-Shops einrichten und dadurch die Art und Weise, in der ihre Waren oder Dienstleistungen verkauft werden, besser steuern können. Qualitätsbezogene Begründungen, auf die sich der Anbieter beruft, dürften in folgenden Situationen die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV nicht erfüllen:

a)

der Anbieter nutzt selbst den Online-Marktplatz, an dessen Nutzung der Abnehmer gehindert ist,

b)

der Anbieter erlegt einigen Händlern Beschränkungen auf, anderen aber nicht,

c)

der Betreiber des Online-Marktplatzes ist selbst ein zugelassenes Mitglied des selektiven Vertriebssystems.

8.2.4.   Beschränkungen der Nutzung von Preisvergleichsdiensten

(343)

Preisvergleichsdienste (177) wie Preisvergleichs-Websites oder -Apps, ermöglichen es Verkäufern, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen und Traffic für ihren Online-Shop zu generieren; ferner bieten sie potenziellen Kunden die Möglichkeit, Einzelhändler zu finden, verschiedene Produkte zu vergleichen und Angebote für dasselbe Produkt zu vergleichen. Preisvergleichsdienste erhöhen die Preistransparenz und haben das Potenzial, den markeninternen und den markenübergreifenden Preiswettbewerb auf der Einzelhandelsstufe zu intensivieren.

(344)

Im Gegensatz zu Online-Marktplätzen bieten Preisvergleichsdienste in der Regel keine Verkaufs- und Kauffunktionalität, sondern leiten die Kunden stattdessen zum Online-Shop des Einzelhändlers weiter und ermöglichen so eine direkte Transaktion zwischen dem Kunden und dem Einzelhändler. Preisvergleichsdienste sind also kein eigenständiger Online-Vertriebskanal, sondern eher ein Online-Werbekanal.

(345)

Anbieter möchten möglicherweise die Nutzung von Preisvergleichsdiensten einschränken (178), um beispielsweise ihr Markenimage zu schützen, da sich Preisvergleichsdienste in der Regel auf den Preis konzentrieren und es Einzelhändlern möglicherweise nicht ermöglichen, sich durch andere Merkmale wie ihr Sortiment oder die Qualität der Vertragswaren oder -dienstleistungen, abzusetzen. Andere Gründe für die Beschränkung der Nutzung von Preisvergleichsdiensten können darin bestehen, die Möglichkeiten für Fälschungen zu verringern oder das Geschäftsmodell des Anbieters zu schützen, das z. B. auf Elemente wie Spezialisierung oder Qualität statt auf den Preis setzt.

(346)

Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Preisvergleichsdiensten können von einem direkten oder indirekten Verbot bis hin zu Beschränkungen basierend auf Qualitätsanforderungen oder Anforderungen, bestimmte Inhalte in die beim Preisvergleichsdienst beworbenen Angebote aufzunehmen, reichen. So kann beispielsweise eine Beschränkung der Bereitstellung von Preisinformationen für Preisvergleichsdienste oder eine Anforderung, vor der Nutzung von Preisvergleichsdienten die Genehmigung des Anbieters einzuholen, oder eine Beschränkung der Verwendung der Marke des Anbieters in Preisvergleichsdiensten einem Verbot der Nutzung von Preisvergleichsdiensten gleichkommen.

(347)

Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Preisvergleichsdiensten können die Suchkosten der Verbraucher erhöhen und dadurch den Preiswettbewerb im Einzelhandel abschwächen. Darüber hinaus können sie die Möglichkeiten des Abnehmers einschränken, potenzielle Kunden anzusprechen, sie über sein Angebot zu informieren und sie zu seinem Online-Shop zu leiten. Wie in Randnummer (203) dargelegt, hindert das Verbot der Nutzung von Preisvergleichsdiensten den Abnehmer an der Nutzung eines ganzen Online-Werbekanals, was eine Kernbeschränkung im Sinne des Artikels 4 Buchstabe e der Verordnung (EU) 2022/720 darstellt. Das Verbot der Nutzung von Preisvergleichsdiensten hindert den Abnehmer daran, an Kunden zu verkaufen, die sich außerhalb seines Gebiets befinden und online kaufen möchten. Ein solches Verbot könnte daher zu einer Aufteilung des Markts und einer Verringerung des markeninternen Wettbewerbs führen.

(348)

Verhindert die vertikale Vereinbarung dagegen die Nutzung von Preisvergleichsdiensten zur Ansprache von Kunden in einem Gebiet oder einer Kundengruppe, das bzw. die exklusiv anderen Händlern zugewiesen oder exklusiv dem Anbieter vorbehalten ist, so kann sie gemäß der in Artikel 4 Buchstabe b Ziffer i, Buchstabe c Ziffer i Nummer 1 und Buchstabe d Ziffer i der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegten Ausnahme bezüglich des Alleinvertriebs unter die in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung vorgesehene Freistellung fallen. So kann man beispielsweise davon ausgehen, dass ein Preisvergleichsdienst auf ein Alleinvertriebsgebiet abzielt, wenn der Dienst eine Sprache verwendet, die in dem betreffenden Gebiet, nicht aber im Gebiet des Abnehmers, üblich ist, oder wenn der Dienst eine Top-Level-Domain verwendet, die dem Alleinvertriebsgebiet entspricht.

(349)

Vertikale Vereinbarungen, die die Nutzung von Preisvergleichsdiensten einschränken, aber weder mittel- noch unmittelbare die Nutzung sämtlicher Preisvergleichsdienste verhindern, indem sie beispielsweise vorschreiben, dass der Preisvergleichsdienst bestimmte Qualitätsstandards erfüllt, können unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen.

(350)

Die folgenden Orientierungshilfen gelten für die Beurteilung vertikaler Vereinbarungen, mit denen die Nutzung von Preisvergleichsdiensten eingeschränkt wird, die nicht unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen, weil beispielsweise die in Artikel 3 der Verordnung festgelegten Marktanteilsschwellen überschritten werden.

(351)

In selektiven Vertriebssystemen wird häufig die Nutzung von Preisvergleichsdiensten eingeschränkt. In Abschnitt 4.6.2 werden die Kriterien dargelegt, nach denen ein selektives Vertriebssystem nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt. Werden in einer Vereinbarung über selektiven Vertrieb Beschränkungen der Nutzung von Preisvergleichsdiensten eingesetzt, ist zunächst zu prüfen, ob die Beschränkungen ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel zur Wahrung der Qualität und zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Verwendung der Vertragswaren oder -dienstleistungen darstellen. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass Preisvergleichsdienste potenzielle Kunden für den Abschluss des Kaufgeschäfts zum Online-Shop des zugelassenen Händlers weiterleiten und dass der Anbieter in der Regel die Möglichkeit hat, mithilfe von Auswahlkriterien und der Auferlegung bestimmter Anforderungen in der selektiven Vertriebsvereinbarung Kontrolle über den Online-Shop des zugelassenen Händlers auszuüben.

(352)

Kommen in einem selektiven Vertriebsvertrag, der unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt, oder in einer anderen Art von Vertriebsvertrag Beschränkungen bei der Nutzung von Preisvergleichsdiensten zum Einsatz, ist zu prüfen, ob die Beschränkung im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV Auswirkungen hat, die den Wettbewerb spürbar einschränken. Beschränkungen der Nutzung von Preisvergleichsdiensten, die nicht unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen, können insbesondere zu einer Abschwächung des Preiswettbewerbs oder Aufteilung der Märkte führen, was sich letztendlich auf den markeninternen und markenübergreifenden Wettbewerb auswirkt. Solche Beschränkungen können beispielsweise den Preiswettbewerb verringern, indem sie die Möglichkeiten des Anbieters beschneiden, potenzielle Kunden über niedrigere Preis zu informieren. Der markeninterne Wettbewerb kann insbesondere dann beeinträchtigt werden, wenn ein Anbieter die Beschränkungen nur einigen seiner Händler auferlegt, oder wenn der Anbieter den unter die Beschränkungen fallenden Preisvergleichsdienst selbst nutzt. Soweit die Abnehmer in ihrer Fähigkeit, sich auf einen potenziell bedeutenden Online-Werbekanal zu verlassen, eingeschränkt sind, können sie möglicherweise nur einen begrenzten Wettbewerbsdruck auf den Anbieter oder andere Händler ausüben, die dieser Beschränkung nicht ausgesetzt sind.

(353)

Maßgebliche Faktoren für die Prüfung nach Artikel 101 Absatz 1 AEUV sind u. a.:

a)

die Marktstellung des Anbieters und seiner Wettbewerber,

b)

die Bedeutung von Preisvergleichsdiensten als Werbekanal auf den relevanten Märkten für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen,

c)

die Art und der Umfang der Beschränkungen und die relative Bedeutung einzelner Preisvergleichsdienste, deren Nutzung eingeschränkt oder verboten wird,

d)

die Frage, ob der Anbieter auch die Möglichkeit des Abnehmers zur Nutzung anderer Formen der Online-Werbung einschränkt.

(354)

Ebenfalls zu berücksichtigen ist die kombinierte Wirkung vom Anbieter auferlegter Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Preisvergleichsdiensten und anderer Beschränkungen hinsichtlich der Online-Werbung.

(355)

Wie in Randnummer (345) dargelegt, können Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Preisvergleichsdiensten zu Effizienzgewinnen führen, insbesondere im Zusammenhang mit der Gewährleistung des Markenschutzes oder eines bestimmten Niveaus der Dienstleistungsqualität oder der Verringerung der Möglichkeiten für Fälschungen. Im Einklang mit den Voraussetzungen nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV ist zu beurteilen, ob solche Effizienzgewinne durch weniger restriktive Mittel erzielt werden können. Dies kann beispielsweise dann zutreffen, wenn eine Bedingung für die Nutzung von Preisvergleichsdiensten darin besteht, dass der Dienst auch Vergleiche oder Bewertungen hinsichtlich der Qualität der betreffenden Waren oder Dienstleistungen, des Niveaus des vom Abnehmer geleisteten Kundendienstes oder anderer Merkmale der Angebote des Abnehmers vorsieht. Bei der Beurteilung von qualitätsbezogenen Begründungen nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV sollte auch berücksichtigt werden, dass der Verkauf nicht auf der Website des Preisvergleichsdienstes, sondern im Online-Shop des Anbieters abgeschlossen wird.

8.2.5.   Paritätsverpflichtungen

(356)

Paritätsverpflichtungen, mitunter auch als Meistbegünstigungsklauseln oder plattformübergreifende Paritätsvereinbarungen bezeichnet, verpflichten einen Anbieter von Waren oder Dienstleistungen, diese Waren oder Dienstleistungen einer anderen Partei zu Bedingungen anzubieten, die nicht ungünstiger sind als die Bedingungen, die der Anbieter bestimmten anderen Parteien oder auf bestimmten anderen Kanälen anbietet. Die Bedingungen können Preise, Bestand, Verfügbarkeit oder andere Angebots- oder Verkaufsbedingungen betreffen. Die Paritätsverpflichtung kann in Form einer Vertragsklausel erfolgen oder sich aus anderen unmittelbaren oder mittelbaren Maßnahmen wie Preisstaffelungen oder anderen Anreizen ergeben, deren Anwendung von den Bedingungen abhängt, unter denen der Abnehmer seine Waren oder Dienstleistungen anderen Parteien oder auf anderen Kanälen anbietet.

(357)

Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen beziehen sich auf die Bedingungen, unter denen Endverbrauchern Waren oder Dienstleistungen angeboten werden. Häufig erlegen Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten (beispielsweise Online-Marktplätze oder Preisvergleichsdienste) den Abnehmern ihrer Vermittlungsdienste (beispielsweise Unternehmen, die über die Vermittlungsplattform Verkäufe tätigen) diese Verpflichtungen auf.

(358)

Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen beziehen sich auf verschiedene andere Absatz- oder Werbekanäle. Plattformübergreifende Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen beispielsweise betreffen die Bedingungen, die mittels konkurrierender Online-Vermittlungsdienste (konkurrierende Plattformen) angeboten werden. Bei sogenannten engen Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen geht es um die Bedingungen, die in den direkten Vertriebskanälen der Verkäufer von Waren oder Dienstleistungen angeboten werden. Einige Paritätsverpflichtungen wiederum betreffen die in allen anderen Verkaufskanälen angebotenen Bedingungen (mitunter als „weite“ Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen bezeichnet).

(359)

Mit Ausnahme plattformübergreifender Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/720 können alle Arten von Paritätsverpflichtungen in vertikalen Vereinbarungen unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung fallen. Die folgenden Orientierungshilfen gelten für die Beurteilung der in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/720 genannten plattformübergreifenden Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen sowie anderer Arten von Paritätsverpflichtungen in Fällen, in denen die Gruppenfreistellung nicht gilt.

8.2.5.1.   Plattformübergreifende Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen

(360)

Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen, die einen Abnehmer von Online-Vermittlungsdiensten dazu anhalten, Endverbrauchern Waren oder Dienstleistungen nicht mittels konkurrierender Online-Vermittlungsdienste im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/720 zu günstigeren Bedingungen anzubieten, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen, haben mit größerer Wahrscheinlichkeit wettbewerbswidrige Auswirkungen als andere Arten von Paritätsverpflichtungen. Diese Art von Einzelhandels-Paritätsverpflichtung kann den Wettbewerb auf folgende Weise beschränken:

a)

Sie kann den Wettbewerb abschwächen und Kollusion zwischen Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten erleichtern. Insbesondere ist ein Anbieter, der diese Art von Paritätsverpflichtung auferlegt, eher in der Lage, den Preis zu erhöhen oder die Qualität seiner Vermittlungsdienste zu verringern, ohne Marktanteile zu verlieren. Unabhängig vom Preis oder der Qualität seiner Dienste sind Verkäufer von Waren oder Dienstleistungen, die sich für die Nutzung der Plattform dieses Anbieters entscheiden, verpflichtet, auf der Plattform Bedingungen anzubieten, die mindestens so gut sind wie die Bedingungen, die sie auf konkurrierenden Plattformen anbieten.

b)

Sie kann neuen oder kleineren Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten den Marktzutritt oder die Expansion verwehren, indem sie deren Möglichkeiten einschränkt, Abnehmern und Endverbrauchern differenzierte Preis-Dienstleistungs-Kombinationen anzubieten.

(361)

Bei der Beurteilung dieser Art von Paritätsverpflichtung sind die folgenden Faktoren zu berücksichtigen:

a)

die Marktstellung des Anbieters von Online-Vermittlungsdiensten, der die Verpflichtung auferlegt, und die seiner Wettbewerber,

b)

der Anteil der Abnehmer der maßgeblichen Online-Vermittlungsdienste, die unter die Verpflichtungen fallen,

c)

das Homing-Verhalten der Abnehmer der Online-Vermittlungsdienste und der Endverbraucher (d. h., wie viele konkurrierende Vermittlungsplattformen sie nutzen),

d)

das Bestehen von Marktzutrittsschranken auf dem relevanten Markt für die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten,

e)

die Bedeutung der direkten Vertriebskanäle der Abnehmer der Online-Vermittlungsdienste und den Umfang, in dem diese Abnehmer ihre Produkte von den Plattformen der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten entfernen können (Auslisten).

(362)

Die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen plattformübergreifender Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen sind im Allgemeinen schwerwiegender, wenn sie von einem oder mehreren führenden Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten genutzt werden. Arbeiten solche Anbieter mit einem ähnlichen Geschäftsmodell, werden die Paritätsverpflichtungen wahrscheinlich den Spielraum für eine Störung des Modells verringern. Diese Art von Verpflichtung kann es einem Marktführer auch ermöglichen, seine Stellung gegenüber kleineren Anbietern zu behaupten.

(363)

Der Anteil der Abnehmer der relevanten, den Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen unterliegenden Online-Vermittlungsdienste und das Homing-Verhalten dieser Abnehmer sind wichtig, da sie darauf hinweisen können, dass die Paritätsverpflichtungen eines Anbieters den Wettbewerb in Bezug auf einen Anteil der Nachfrage einschränken, der den Marktanteil des Anbieters übersteigt. Beispielsweise kann ein Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten einen Anteil von 20 % an den gesamten über solche Dienste getätigten Transaktionen haben, während die Abnehmer, denen er plattformübergreifende Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen auferlegt, mehr als 50 % der gesamten Plattformtransaktionen ausmachen können, weil sie mehrere Plattformen nutzen. In diesem Fall können die Paritätsverpflichtungen des Anbieters den Wettbewerb in Bezug auf mehr als die Hälfte der gesamten relevanten Nachfrage einschränken.

(364)

Abnehmer von Online-Vermittlungsdiensten nutzen oft mehrere Plattformen, um Kunden zu erreichen, die nur eine Plattform nutzen (Single-Homing) und nicht zwischen Plattformen wechseln. Das Multi-Homing von Abnehmern wird durch Plattform-Geschäftsmodelle gefördert, bei denen der Abnehmer nur für die Nutzung des Vermittlungsdienstes zahlen muss, wenn der Dienst eine Transaktion generiert. Wie unter Randnummer (363) erläutert, kann Multi-Homing durch Abnehmer von Online-Vermittlungsdiensten den Anteil der Gesamtnachfrage nach solchen Diensten, der von den Paritätsverpflichtungen eines Anbieters betroffen ist, erhöhen. Single-Homing durch Endverbraucher kann bedeuten, dass jeder Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten den Zugang zu einer bestimmten Gruppe von Endverbrauchern kontrolliert. Dies kann die Verhandlungsmacht des Anbieters und seine Fähigkeit, Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen aufzuerlegen, erhöhen.

(365)

Märkte für die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten sind häufig durch erhebliche Zutritts- und Expansionsschranken gekennzeichnet, die die negativen Auswirkungen von Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen noch verschärfen können. Diese Märkte weisen oft positive indirekte Netzwerkeffekte auf: Für neue oder kleinere Anbieter solcher Dienste kann es sich schwierig gestalten, Abnehmer zu gewinnen, weil ihre Plattformen nur eine unzureichende Anzahl von Endverbrauchern erreichen. Wenn es sich bei den Endverbrauchern um sonstige Endverbraucher handelt, können durch Markentreue, Single-Homing und die Lock-in-Strategien etablierter Anbieter von Vermittlungsdiensten ebenfalls Barrieren für den Marktzutritt entstehen.

(366)

Abnehmer von Online-Vermittlungsdiensten können ihre Waren oder Dienstleistungen auch direkt an Endverbraucher verkaufen. Solche Direktverkäufe können die Fähigkeit der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten einschränken, den Preis für ihre Dienste zu erhöhen. Aus diesem Grund ist eine Beurteilung der Fragen erforderlich, ob solche direkten Vertriebskanäle ebenfalls unter die Einzelhandels-Paritätsverpflichtung fallen, wie hoch die Anteile der über die direkten Vertriebskanäle bzw. über die Online-Vermittlungsdienste getätigten Verkäufe relevanter Waren und Dienstleistungen sind und ob die beiden Arten von Kanälen aus der Sicht der Anbieter und Abnehmer der vermittelten Waren oder Dienstleistungen substituierbar sind.

(367)

Plattformübergreifende Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen können spürbare wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, wenn sie Abnehmern auferlegt werden, die einen erheblichen Anteil an der Gesamtnachfrage nach den betreffenden Online-Vermittlungsdiensten haben. Im Falle einer kumulativen wettbewerbswidrigen Wirkung werden wettbewerbsbeschränkende Wirkungen in der Regel nur den Paritätsverpflichtungen von Anbietern zugeschrieben, deren Marktanteil 5 % übersteigt.

(368)

Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen können grundsätzlich auch von Einzelhändlern in Bezug auf die Bedingungen auferlegt werden, unter denen konkurrierende Einzelhändler die Waren oder Dienstleistungen des Anbieters den Endverbrauchern anbieten. Bezieht sich diese Art von Paritätsverpflichtung jedoch auf den Preis, so verlangt sie in der Regel, dass der Verkäufer von Waren oder Dienstleistungen, der die Verpflichtung akzeptiert, mit den konkurrierenden Einzelhändlern, mit denen er Geschäfte macht, einen Mindestverkaufspreis vereinbart (Preisbindung der zweiten Hand). Eine Preisbindung der zweiten Hand stellt eine Kernbeschränkung im Sinne des Artikels 4 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 dar. In den Fällen, in denen Unternehmen in der Lage sind, solche Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen gemäß den Vorschriften über eine Preisbindung der zweiten Hand zu erfüllen, und in denen sich die Paritätsverpflichtung auf andere Bedingungen als den Preis beziehen, können die Verpflichtungen unter die Gruppenfreistellung fallen. Oberhalb der in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung festgelegten Marktanteilsschwelle gelten die unter den Randnummern (360) bis (367) dieser Leitlinien enthaltenen Orientierungshilfen entsprechend.

8.2.5.2.   Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen in Bezug auf direkte Vertriebskanäle

(369)

Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen, die von den Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten in Bezug auf direkte Vertriebskanäle auferlegt werden, hindern die Abnehmer dieser Dienste daran, in ihren direkten Vertriebskanälen Preise und Bedingungen anzubieten, die günstiger als die Bedingungen sind, die sie auf der Plattform des betreffenden, diese Verpflichtung auferlegenden Anbieters von Online-Vermittlungsdiensten anbieten. Diese Verpflichtungen werden häufig auch als „enge“ Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen bezeichnet. Grundsätzlich schränken enge Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen die Möglichkeiten eines Abnehmers von Online-Vermittlungsdiensten, über andere Online-Vermittlungsdienste günstigere Preise oder Bedingungen anzubieten, nicht ein. Nutzt der Abnehmer jedoch mehrere Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten, die enge Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen anwenden, machen es ihm diese Verpflichtungen unmöglich, in seinen Direktverkaufskanälen günstigere Bedingungen anzubieten als die Bedingungen, die er auf der teuersten Vermittlungsplattform anbietet.

(370)

Enge Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen beseitigen den Wettbewerbsdruck, der von den direkten Vertriebskanälen des Abnehmers ausgeht. Ist der Wettbewerb um die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten begrenzt, können diese Verpflichtungen einem Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten ermöglichen, einen höheren Preis für seine Dienste beizubehalten, was voraussichtlich zu höheren Einzelhandelspreisen für die vermittelten Waren oder Dienstleistungen führt.

(371)

Unter bestimmten Umständen, insbesondere wenn die Zahl der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten begrenzt ist, können sich enge Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen nachteilig auf die Anreize für Abnehmer von Online-Vermittlungsdiensten auswirken, Preisänderungen bei den Vermittlungsdiensten in ihren Einzelhandelspreisen weiterzugeben. Dies kann zu einer Abschwächung des Wettbewerbs zwischen den Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten führen und eine ähnliche Wirkung haben, wie plattformübergreifende Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen.

8.2.5.3.   Beurteilung von Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV

(372)

Wenn Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen spürbare wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, müssen mögliche Effizienzgründe nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV geprüft werden. Die häufigste Begründung für die Anwendung dieser Verpflichtungen durch Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten ist die Behebung eines Trittbrettfahrerproblems. So haben die Anbieter möglicherweise keinen Anreiz, in die Entwicklung ihrer Plattform, in Vorverkaufsdienste oder nachfragefördernde Werbung zu investieren, wenn die Vorteile solcher Investitionen in Form von Umsatzsteigerungen an konkurrierende Plattformen oder direkte Vertriebskanäle gehen, die die gleichen Waren oder Dienstleistungen zu günstigeren Bedingungen anbieten können.

(373)

Maßgebliche Faktoren für die Beurteilung nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV sind unter anderem, ob durch die Investitionen des Anbieters von Online-Vermittlungsdiensten objektive Vorteile geschaffen werden, d. h., ob sie einen Mehrwert für die Verbraucher darstellen, ob das Risiko des Trittbrettfahrens auf den Investitionen des Anbieters real und erheblich ist und ob die besondere Art und der Umfang der Paritätsverpflichtung für das Erreichen der objektiven Vorteile unerlässlich ist. Das wahrscheinliche Ausmaß des Trittbrettfahrens muss so groß sein, dass es die Anreize für Investitionen in die Online-Vermittlungsdienste erheblich beeinträchtigt. Von besonderer Bedeutung ist der Nachweis, inwieweit die Nutzer der Vermittlungsdienste (Verkäufer und Abnehmer) Multi-Homing nutzen, wobei auch zu prüfen ist, ob ihr Verhalten durch die Auswirkungen der Paritätsverpflichtungen beeinflusst wird. Wenn der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten oder seine Wettbewerber auf anderen vergleichbaren Märkten ohne Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen oder mit weniger restriktiven Verpflichtungen tätig sind, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass die Verpflichtungen nicht unerlässlich sind. In Fällen, in denen das Angebot an Online-Vermittlungsdiensten stark konzentriert ist und erhebliche Marktzutrittsschranken bestehen, kann die Notwendigkeit, den verbleibenden Wettbewerb zu schützen, mögliche Effizienzgewinne überwiegen. Andere Begründungen, die sich auf die allgemeinen Vorteile von Vermittlungsplattformen beziehen, z. B. die Bündelung der Werbeausgaben der Nutzer, die Erhöhung der Preistransparenz oder die Senkung der Transaktionskosten, erfüllen nur dann die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV, wenn der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten einen direkten, kausalen Zusammenhang zwischen den vorgebrachten Vorteilen und der Anwendung der jeweiligen Art von Paritätsverpflichtung nachweisen kann.

(374)

Enge Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen erfüllen im Allgemeinen eher die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV als plattformübergreifende Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen. Dies liegt vor allem daran, dass ihre wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen in der Regel weniger schwerwiegend sind und daher eher durch Effizienzgewinne aufgewogen werden können. Darüber hinaus kann das Risiko des Trittbrettfahrens durch Verkäufer von Waren oder Dienstleistungen über ihre direkten Vertriebskanäle höher sein, was insbesondere dadurch zu erklären ist, dass dem Verkäufer für seinen Direktvertrieb keine Kosten für Plattformprovisionen entstehen. Erzeugen enge Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen jedoch keine Effizienzgewinne im Sinne des Artikels 101 Absatz 3 AEUV, kann der Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung entzogen werden. Dies kann insbesondere dann zutreffen, wenn das Risiko des Trittbrettfahrens begrenzt ist oder wenn die engen Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen für die Erzielung der Effizienzgewinne nicht unerlässlich sind. Kommt es nicht zu Effizienzgewinnen, ist die Wahrscheinlichkeit eines Entzugs des Rechtsvorteils besonders hoch, wenn die drei größten Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten auf dem relevanten Markt enge Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen anwenden und wenn diese Anbieter einen gemeinsamen Marktanteil von über 50 % besitzen. Kommt es nicht zu Effizienzgewinnen, kann die Gruppenfreistellung – abhängig von den jeweiligen Umständen – auch entzogen werden, wenn Abnehmer, die einen bedeutenden Anteil der gesamten relevanten Nachfrage nach Online-Vermittlungsdiensten repräsentieren, engen Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen unterliegen. Die Gruppenfreistellung kann in Bezug auf die Vereinbarungen sämtlicher Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten entzogen werden, deren enge Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen einen bedeutenden Beitrag zur kumulativen wettbewerbswidrigen Wirkung leisten, d. h. Anbieter mit Marktanteilen von mehr als 5 %.

(375)

Es folgt ein Beispiel für die Anwendung enger Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen:

In einem Mitgliedstaat werden zwei Drittel der für den Verzehr zu Haus gelieferten Restaurantmahlzeiten über Online-Plattformen bestellt, während ein Drittel direkt bei den Restaurants bestellt werden. Auf die Plattformen A, B, C und D entfallen 25 %, 20 %, 20 % bzw. 15 % der über Plattformen vorgenommenen Bestellungen. Die Plattformen A, B und C sind seit drei bis fünf Jahren in diesem Mitgliedstaat tätig und während dieses Zeitraums ist der Anteil an den insgesamt über Plattformen vorgenommenen Bestellungen gestiegen. Plattform D ist erst vor kürzerer Zeit in den Markt eingetreten. Die Plattformen stellen den Restaurants pro Bestellung eine Provision von 15-20 % in Rechnung. Die meisten Verbraucher, die Plattformen nutzen, verwenden eine oder zwei Plattformen, während die meisten Restaurants, die Plattformen nutzen, zwei oder mehr Plattformen nutzen.

In den letzten zwölf Monaten haben alle Plattformen eine enge Einzelhandels-Paritätsklausel eingeführt, mit der die Restaurants daran gehindert werden, für Bestellungen, die online oder telefonisch direkt bei ihnen getätigt werden, niedrigere Preise anzubieten. Drei der Plattformen erhöhten in diesem Zeitraum ihre Standardprovisionen. Die Plattformen tragen vor, dass die eng gefasste Paritätsklausel erforderlich sei, um zu verhindern, dass Restaurants ihre Investitionen, die sie insbesondere in die Entwicklung nutzerfreundlicher Such- und Vergleichsfunktionen und sicherer Zahlungsdienste vornahmen, als Trittbrettfahrer nutzen.

Keine der drei größten Plattformen hat in den letzten zwölf Monaten neue Leistungsmerkmale oder Dienste hinzugefügt oder ihre Dienstleistungen wesentlich verbessert. Es gibt keine konkreten Nachweise für eine spürbare Gefahr des Trittbrettfahrens, insbesondere in der Form, dass ein erheblicher Teil der Verbraucher die Plattformen für die Suche und den Vergleich von Restaurantangeboten nutzt, aber dann direkt beim Restaurant bestellt. Ebenso fehlt es an Nachweisen dafür, dass sich die angebliche Gefahr des Trittbrettfahrens nachteilig auf die in der Vergangenheit getätigten Investitionen der Plattformen in die Entwicklung ihrer Dienste auswirkten.

Kommt man zu dem Schluss, dass der sachlich relevante Markt in der Erbringung von Plattformdiensten für Restaurants besteht, erfolgt die Erbringung dieser Dienste offenbar in einem konzentrierten Markt. In Anbetracht des jüngsten Anstiegs der Provisionssätze von Plattformen, der kürzlich vorgenommenen Erhöhung der Provisionssätze der Plattformen und der fehlenden Nachweise für Effizienzgewinne durch Paritätsklauseln ist mit einem Entzug des Rechtsvorteils der Gruppenfreistellung für die Vereinbarungen aller vier Plattformen mit Restaurants zu rechnen.

8.2.5.4.   Paritätsverpflichtungen auf vorgelagerter Ebene

(376)

Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten können plattformübergreifende und enge Paritätsverpflichtungen in Bezug auf die Bedingungen auferlegen, unter denen Waren oder Dienstleistungen Unternehmen angeboten werden, die keine Endverbraucher sind (z. B. Einzelhändler). Für diese Art von Paritätsverpflichtung kann die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 gelten. Grundsätzlich ist diese Art von Paritätsverpflichtung auf vorgelagerter Ebene geeignet, den Wettbewerb um die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten in ähnlicher Weise zu beschränken wie Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen. Für die Beurteilung dieser Art von Paritätsverpflichtung auf vorgelagerter Ebene müssen jedoch auch die Wettbewerbsbedingungen auf der nachgelagerten Ebene, d. h. zwischen Unternehmen, die die durch den Online-Vermittlungsdienst vermittelten Waren oder Dienstleistungen abnehmen, berücksichtigt werden. In Fällen, in denen die Gruppenfreistellung nicht gilt, sind die unter den Randnummern (360) bis (374) aufgeführten Leitlinien analog anwendbar.

8.2.5.5.   Meistbegünstigungsverpflichtungen

(377)

Hersteller, Großhändler oder Einzelhändler können auch Paritätsverpflichtungen in Bezug auf die Bedingungen vorschreiben, unter denen sie Waren oder Dienstleistungen als Vorleistungen von Anbietern beziehen. Diese Art der herkömmlichen Meistbegünstigungsverpflichtung wirkt sich nicht unmittelbar auf die Bedingungen aus, unter denen die beziehenden Unternehmen auf dem nachgelagerten Markt miteinander konkurrieren. Die größten Bedenken im Zusammenhang mit Paritätsverpflichtungen in Bezug auf die Bedingungen, unter denen Waren oder Dienstleistungen als Vorleistungen bezogen werden, bestehen darin, dass sie die Anreize für Anbieter von Vorleistungen, in den Wettbewerb zu treten, verringern und dadurch die Vorleistungspreise erhöhen könnten. Relevante Faktoren für die Beurteilung dieser Verpflichtungen sind u. a. die relative Größe und Marktmacht des Anbieters und des Abnehmers, die die Paritätsverpflichtung vereinbaren, der Anteil des relevanten Marktes, der von ähnlichen Verpflichtungen abgedeckt wird, und die Kosten der betreffenden Vorleistung im Verhältnis zu den Gesamtkosten der Abnehmer.

(378)

Herkömmliche Meistbegünstigungsverpflichtungen können zu Effizienzgewinnen führen, die die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. Insbesondere können sie es den an einer langfristigen Liefervereinbarung beteiligten Unternehmen ermöglichen, die Transaktionskosten so gering wie möglich zu halten. Zudem können sie opportunistische Verhaltensweisen des Anbieters verhindern und ein „Hold-up“-Problem für den Abnehmer lösen, wonach der Abnehmer von Investitionen in neue Produkte oder der Einführung neuer Produkte Abstand nehmen könnte, weil er befürchtet, dass der Anbieter der Vorleistung den Preis für spätere Abnehmer senken könnte. Diese Art von Effizienzgewinn ist in langfristigen Beziehungen mit irreversiblen Investitionen wahrscheinlicher.

8.2.6.   Vorauszahlungen für den Zugang

(379)

Bei Vorauszahlungen für den Zugang handelt es sich um feste Gebühren, die Anbieter im Rahmen einer vertikalen Beziehung zu Beginn eines bestimmten Zeitraums an Händler für den Zugang zu ihren Vertriebsnetzen und für Dienstleistungen, die Einzelhändler gegenüber Anbietern erbringen, zahlen. Hierzu zählen verschiedene Praktiken wie Regalplatzentgelte (179), sogenannte Pay-to-Stay-Gebühren (180) oder auch Zahlungen für den Zugang zu Werbekampagnen eines Händlers. Dieser Abschnitt 8.2.6 enthält Anhaltspunkte, wie in einzelnen Fällen, in denen die in Artikel 3 der Verordnung (EU) 2022/720 festgelegte Marktanteilsschwelle überschritten wird, bei der Prüfung von Vorauszahlungen für den Zugang vorzugehen ist.

(380)

Vorauszahlungen für den Zugang können zu einem wettbewerbswidrigen Marktausschluss anderer Händler führen. Eine hohe Gebühr kann z. B. für einen Anbieter ein Anreiz sein, ein erhebliches Volumen seiner Verkäufe über einen oder eine begrenzte Anzahl von Händlern abzuwickeln, um die Kosten der Gebühr zu decken. In diesem Fall könnten diese Vorauszahlungen dieselbe Marktabschottungswirkung auf dem nachgelagerten Markt haben wie eine Art Alleinbelieferungsklausel. Um die Wahrscheinlichkeit dieser Art negativer Auswirkungen zu beurteilen, können die Leitlinien für Alleinbelieferungsverpflichtungen analog angewandt werden (insbesondere die Randnummern (321) bis (330)).

(381)

In Ausnahmefällen können Vorauszahlungen für den Zugang zu einem wettbewerbswidrigen Marktausschluss auf dem vorgelagerten Markt führen. Wenn beispielsweise der Händler eine starke Verhandlungsposition hat oder wenn die Nutzung von Vorauszahlungen für den Zugang weitverbreitet ist, können solche Zahlungen kleineren Anbietern den Marktzutritt erschweren. Um die Wahrscheinlichkeit dieser Art negativer Auswirkungen zu beurteilen, können die Leitlinien für Vereinbarungen mit Markenzwang analog angewendet werden (insbesondere die Randnummern (298) bis (318)). Bei der Beurteilung muss auch berücksichtigt werden, ob der betreffende Händler konkurrierende Produkte unter seiner eigenen Marke verkauft. In diesem Fall können auch Bedenken bezüglich des horizontalen Wettbewerbs auftreten, was zur Folge hat, dass die Gruppenfreistellung gemäß Artikel 2 Absatz 4 der Verordnung (EU) 2022/720 nicht gilt (siehe Abschnitt 4.4.3).

(382)

Zusätzlich zu einer möglichen Marktabschottung kann durch diese Vorauszahlungen eine Abschwächung des Wettbewerbs und Kollusion zwischen Händlern begünstigt werden. Vorauszahlungen für den Zugang veranlassen die Anbieter mit großer Wahrscheinlichkeit dazu, ihre Preise für die Vertragsprodukte zu erhöhen, da sie diese Kosten decken müssen. Höhere Lieferpreise können das Interesse der Einzelhändler an einem Preiswettbewerb auf dem nachgelagerten Markt schmälern, während die Gewinne der Händler aufgrund der Vorauszahlungen steigen. Eine solche durch die kumulative Verwendung von Vorauszahlungen für den Zugang entstehende Einschränkung des Wettbewerbs zwischen Händlern entsteht in der Regel nur, wenn der Vertriebsmarkt stark konzentriert ist.

(383)

Gleichzeitig können Vorauszahlungen für den Zugang in vielen Fällen zu einer effizienten Regalflächenzuweisung für neue Produkte beitragen. Wenn Anbieter neue Produkte auf den Markt bringen, haben die Händler oft weniger Informationen als der Anbieter über die Erfolgschancen des neuen Produkts und lagern infolgedessen möglicherweise suboptimale Mengen des Produkts. Vorauszahlungen für den Zugang könnten genutzt werden, um die Informationsasymmetrie zwischen Anbietern und Händlern abzubauen, indem Anbietern ausdrücklich erlaubt wird, sich direkt um Regalfläche zu bemühen. Auf diese Weise erhält der Händler somit eine Vorwarnung darüber, welche Produkte höchstwahrscheinlich erfolgreich sein werden, da ein Anbieter in der Regel nur dann bereit ist, eine Vorabgebühr für den Zugang zu zahlen, wenn er die Wahrscheinlichkeit für gering hält, dass die Produkteinführung scheitern wird.

(384)

Aufgrund der unter der vorherigen Randnummer genannten Informationsasymmetrie können die Anbieter außerdem versuchen, von den Verkaufsförderungsbemühungen des Händlers zu profitieren, um suboptimale Produkte einzuführen. Kann sich ein Produkt nicht durchsetzen, müssen die Händler einen Teil der mit dem Scheitern des Produkts verbundenen Kosten tragen. Die Verwendung von Vorauszahlungen für den Zugang könnte Trittbrettfahren vermeiden, indem das Misserfolgsrisiko eines Produkts wieder auf die Anbieterseite verlagert und dadurch zu einer optimalen Produkteinführungsrate beigetragen wird.

8.2.7.   Produktgruppenmanagement-Vereinbarungen

(385)

Produktgruppenmanagement-Vereinbarungen sind Vereinbarungen (181), mit denen ein Händler den Anbieter als „Category Captain“ mit der Vermarktung einer bestimmten Gruppe von Produkten betraut. Eine solche Produktgruppe kann nicht nur die Produkte des Anbieters, sondern auch die Produkte seiner Wettbewerber umfassen. Der „Category Captain“ kann folglich u. a. auf die Produktplatzierung und die Verkaufsförderung für das Produkt im Geschäft sowie auf die Produktauswahl für das Geschäft Einfluss nehmen. Produktgruppenmanagement-Vereinbarungen können von der Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 profitieren, wenn weder der Marktanteil des „Category Captain“ noch der des Händlers 30 % übersteigt und sofern eine solche Vereinbarung keine Kernbeschränkungen enthält, beispielsweise Beschränkungen der Möglichkeit des Händlers, seinen Verkaufspreis im Sinne des Artikels 4 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 selbst festzusetzen.

(386)

Zwar werfen Produktgruppenmanagement-Vereinbarungen in der Regel keine Bedenken auf, gleichwohl können sie den Wettbewerb zwischen Anbietern verfälschen und zu einem wettbewerbswidrigen Marktausschluss anderer Anbieter führen, wenn der „Category Captain“ in der Lage ist, den Vertrieb von Produkten konkurrierender Anbieter zu beschränken oder zu erschweren. Im Allgemeinen hat der Händler kein Interesse daran, seine Produktauswahl einzuschränken. Wenn der Händler jedoch auch konkurrierende Produkte unter seiner eigenen Marke verkauft, kann er auch Anreize haben, bestimmte Anbieter auszuschließen. Um die Wahrscheinlichkeit einer solchen Marktausschlusswirkung auf dem vorgelagerten Markt zu beurteilen, können die Orientierungshilfen für Vereinbarungen mit Markenzwang analog angewendet werden (insbesondere die Randnummern (298) bis (318)). Bei dieser Beurteilung sind insbesondere die Marktabdeckung der Produktgruppenmanagement-Vereinbarungen und die mögliche kumulative Nutzung solcher Vereinbarungen sowie die Marktstellung der konkurrierenden Anbieter und des Händlers zu berücksichtigen.

(387)

Produktgruppenmanagement-Vereinbarungen können darüber hinaus Kollusion zwischen Händlern begünstigen, wenn derselbe Anbieter für alle oder fast alle konkurrierenden Händler als „Category Captain“ fungiert. Außerdem kann diese Art von Vereinbarungen Kollusion zwischen Anbietern erleichtern, indem ihnen mehr Gelegenheiten gegeben werden, mithilfe der Einzelhändler sensible Marktinformationen auszutauschen, beispielsweise Informationen über die künftige Preisfestsetzung, geplante Verkaufsförderungsmaßnahmen oder Werbekampagnen (182). Die Verordnung (EU) 2022/720 findet auf einen solchen Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern keine Anwendung. Insbesondere beziehen sich die Orientierungshilfen zum Informationsaustausch unter den Randnummern (95) bis (103) nur auf den Informationsaustausch im Zusammenhang mit den in Artikel 2 Absatz 4 der Verordnung dargelegten zweigleisigen Vertriebsszenarios. Allerdings könnte die Randnummer (103), in der Vorsichtsmaßnahmen beschrieben werden, die Unternehmen zur Minimierung des aus dem Informationsaustausch im Zusammenhang mit dem zweigleisigem Vertrieb entstehenden Kollusionsrisikos treffen können, hier analog relevant sein.

(388)

Produktgruppenmanagement-Vereinbarungen können Effizienzgewinne mit sich bringen. Solche Vereinbarungen können den Händlern die Möglichkeit eröffnen, sich Zugang zu den Marketingkenntnissen des Anbieters in Bezug auf eine bestimmte Produktgruppe zu verschaffen und Größenvorteile zu erzielen, da sie sicherstellen, dass die Produkte in optimalen Mengen zum richtigen Zeitpunkt präsentiert werden. Je höher der Grad des Markenwettbewerbs und je niedriger die Umstellungskosten der Verbraucher, desto größer sind in der Regel die wirtschaftlichen Vorteile, die durch das Produktgruppenmanagement erzielt werden können.

8.2.8.   Kopplungsbindung

(389)

Die Kopplungsbindung bezieht sich auf Situationen, in denen Kunden, die ein Produkt (Kopplungsprodukt) kaufen, auch ein ausgewähltes anderes Produkt (gekoppeltes Produkt) kaufen müssen, das entweder von dem Anbieter selbst oder aber von einem von ihm benannten Unternehmen angeboten wird. Eine Kopplungsbindung kann eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne des Artikels 102 AEUV darstellen (183). Eine Kopplungsbindung kann aber auch eine vertikale Beschränkung im Sinne des Artikels 101 AEUV darstellen, wenn sie in Bezug auf das gekoppelte Produkt eine dem Markenzwang ähnliche Verpflichtung (siehe Randnummern (298) bis (318)) bewirkt. In den vorliegenden Leitlinien wird nur auf diesen letzten Fall eingegangen.

(390)

Ob Produkte als getrennte Produkte angesehen werden, hängt von der Verbrauchernachfrage ab. Zwei getrennte Produkte liegen dann vor, wenn ohne die Kopplungsbindung eine große Anzahl von Kunden das Kopplungsprodukt kaufen würden bzw. gekauft hätten, ohne auch das gekoppelte Produkt beim selben Anbieter zu erwerben, sodass jedes der beiden Produkte unabhängig vom anderen hergestellt werden kann (184). Als Nachweis dafür, dass es sich um zwei voneinander getrennter Produkte handelt, kann der direkte Nachweis gelten, dass Kunden, wenn sie die Wahl haben, das Kopplungs- und das gekoppelte Produkt von unterschiedlichen Quellen beziehen oder ein indirekter Beweis, u. a. die Marktpräsenz von Unternehmen, die auf die Fertigung oder den Verkauf des gekoppelten Produkts ohne das Kopplungsprodukt spezialisiert sind (185), oder aber der Beweis dafür, dass Unternehmen mit geringer Marktmacht vor allem auf funktionierenden Wettbewerbsmärkten diese Produkte tendenziell nicht koppeln bzw. bündeln. Da Kunden zum Beispiel Schuhe mit Schnürsenkeln kaufen wollen, es für Händler aber nicht möglich ist, neue Schuhe mit den kundenseitig gewünschten Schnürsenkeln zu versehen, ist es für Schuhhersteller zum Handelsbrauch geworden, Schuhe mit Schnürsenkeln zu liefern. Der Verkauf von Schuhen mit den dazugehörigen Schnürsenkeln ist somit kein Kopplungsgeschäft.

(391)

Produktkopplung kann zu einer wettbewerbswidrigen Marktabschottung auf dem Markt für das gekoppelte Produkt, dem Markt für das Kopplungsprodukt oder auf beiden Märkten führen. Die Marktausschlusswirkung hängt davon ab, inwieweit der Absatz auf dem Markt für das gekoppelte Produkt durch entsprechende Bindungen abgedeckt wird. Hinsichtlich der Frage, was als spürbare Abschottung im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV betrachtet werden kann, sind die Kriterien für die wettbewerbsrechtliche Würdigung von Vereinbarungen mit Markenzwang heranzuziehen. Eine Kopplungsbindung bedeutet, dass zumindest eine Form von Mengenvorgabe in Bezug auf das gekoppelte Produkt gemacht wird. Wird zusätzlich ein Wettbewerbsverbot in Bezug auf das gekoppelte Produkt vereinbart, erhöht dies die mögliche Abschottungswirkung auf dem Markt des gekoppelten Produkts. Die Kopplungsbindung kann zu weniger Wettbewerb in Bezug auf Kunden führen, die das gekoppelte Produkt, aber nicht das Kopplungsprodukt kaufen möchten. Gibt es für die Wettbewerber des Anbieters auf dem Markt für das gekoppelte Produkt nicht genügend Kunden, die nur das gekoppelte Produkt kaufen würden, kann die Kopplung für diese Kunden letztlich zu höheren Preisen führen. Handelt es sich bei dem gekoppelten Produkt um ein wichtiges Komplementärprodukt für die Kunden des Kopplungsprodukts, können eine Reduzierung anderer Anbieter des gekoppelten Produkts und die dadurch bewirkte geringere Verfügbarkeit dieses Produkts den Eintritt in den Kopplungsmarkt erschweren.

(392)

Darüber hinaus können Kopplungsgeschäfte Preise zur Folge haben, die über dem freien Marktpreis liegen; dies gilt insbesondere für die drei folgenden Situationen. Erstens, wenn das Kopplungsprodukt und das gekoppelte Produkt in variablen Mengen als Vorleistungen für einen Produktionsprozess verwendet werden können, können die Kunden auf eine Preiserhöhung für das Kopplungsprodukt reagieren, indem ihre Nachfrage nach dem gekoppelten Produkt steigt, während ihre Nachfrage nach dem Kopplungsprodukt sinkt. Durch Kopplung der beiden Produkte kann der Anbieter versuchen, diese Substitution zu unterbinden, um im Endeffekt in der Lage zu sein, seine Preise zu erhöhen. Zweitens kann die Kopplungsbindung je nach Verwendung des Kopplungsprodukts durch den Kunden eine Preisdiskriminierung ermöglichen, zum Beispiel die Kopplung von Tintenpatronen an den Verkauf von Fotokopiergeräten (nutzungsabhängige Preisfestsetzung). Drittens können die Kunden bei Verträgen mit langer Laufzeit oder bei Anschlussmärkten, auf denen Erstausrüstungen erst nach langer Zeit ersetzt werden, die Folgen der Kopplungsbindung unter Umständen nur schwer berechnen.

(393)

Die Kopplungsbindung kann unter die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/720 fallen, wenn der Anbieter weder für das gekoppelte Produkt noch für das Kopplungsprodukt einen Marktanteil von mehr als 30 % hält und wenn der Marktanteil des Abnehmers auf dem relevanten vorgelagerten Markt nicht mehr als 30 % beträgt. Sie kann mit anderen vertikalen Beschränkungen kombiniert werden, die keine Kernbeschränkungen im Sinne der Verordnung darstellen, beispielsweise mit einem Wettbewerbsverbot oder mit Mengenvorgaben für das Kopplungsprodukt oder mit einer Alleinbezugsverpflichtung. Im verbleibenden Teil dieses Abschnitts 8.2.8. wird dargestellt, wie in einzelnen Fällen, in denen die Marktanteilsschwelle überschritten wird, Kopplungsvereinbarungen zu beurteilen sind.

(394)

Bei der Beurteilung etwaiger wettbewerbswidriger Wirkungen ist die Marktstellung des Anbieters auf dem Markt für das Kopplungsprodukt naturgemäß von zentraler Bedeutung. Im Allgemeinen wird diese Form der Vereinbarung vom Anbieter durchgesetzt. Eine starke Marktstellung des Anbieters bei dem Kopplungsprodukt ist der Hauptgrund dafür, dass sich der Abnehmer einer Kopplungsbindung kaum entziehen kann.

(395)

Bei der Würdigung der Marktmacht des Anbieters ist die Marktstellung seiner Wettbewerber auf dem Markt für das Kopplungsprodukt von Belang. Ist die Konkurrenz hinreichend zahlreich und stark, sind keine wettbewerbswidrigen Auswirkungen zu erwarten, da die Abnehmer genügend Alternativen haben, um die betreffenden Produkte ohne das gekoppelte Produkt zu beziehen, sofern nicht andere Anbieter eine ähnliche Praxis verfolgen. Außerdem sind Marktzutrittsschranken bei dem Kopplungsprodukt für die Ermittlung der Marktstellung des Anbieters von Bedeutung. Wird die Kopplungsbindung mit einem Wettbewerbsverbot für das Kopplungsprodukt kombiniert, so ist eine erhebliche Stärkung der Marktstellung des Anbieters die Folge.

(396)

Auch die Nachfragemacht spielt eine Rolle, da große Abnehmer sich nicht leicht zwingen lassen, eine Kopplungsbindung einzugehen, ohne sich selbst zumindest einen Teil der möglichen Effizienzgewinne zu sichern. Kopplungsvereinbarungen, die nicht effizienzsteigernd wirken, sind daher vor allem für Abnehmer mit geringer Nachfragemacht eine Gefahr.

(397)

Werden spürbare wettbewerbswidrige Auswirkungen festgestellt, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllt sind. Kopplungsbindungen können durch gemeinsame Herstellung oder gemeinsamen Vertrieb zu Effizienzgewinnen beitragen. Wird das gekoppelte Produkt nicht vom Anbieter hergestellt, so kann ein Effizienzgewinn auch dadurch entstehen, dass dieser das Produkt in großen Mengen bezieht. Um die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV zu erfüllen, muss für eine Kopplungsbindung nachgewiesen werden, dass zumindest ein Teil der dabei erzielten Kosteneinsparungen an den Verbraucher weitergegeben wird, was normalerweise nicht der Fall ist, wenn sich der Einzelhändler regelmäßig Lieferungen identischer oder gleichwertiger Produkte zu besseren Konditionen sichern kann als sie der Anbieter, der die Kopplung praktiziert, bietet. Ein Effizienzgewinn ist auch in Fällen möglich, in denen Kopplungsbindungen zur Einhaltung bestimmter Produktstandards (Einheitlichkeit und Qualität; Randnummer 16 Buchstabe h) beitragen. Dabei muss jedoch nachgewiesen werden, dass die positiven Auswirkungen nicht ebenso effizient dadurch erzielt werden können, dass der Abnehmer ohne den obligatorischen Bezug bei dem Anbieter oder einem von diesem benannten Unternehmen verpflichtet wird, Produkte zu nutzen oder weiterzuverkaufen, die bestimmte Mindestqualitätsanforderungen erfüllen. Die Anforderungen in Bezug auf die Erfüllung bestimmter Qualitätsstandards würden in der Regel nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen. Verlangt der Anbieter des Kopplungsprodukts vom Abnehmer, das gekoppelte Produkt bei benannten Anbietern zu beziehen, weil beispielsweise keine Mindestqualitätsanforderungen formuliert werden können, fällt dies möglicherweise ebenfalls nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV; dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Anbieter des Kopplungsprodukts aus der Benennung der Anbieter für den Bezug des gekoppelten Produkts keinen unmittelbaren (finanziellen) Vorteil zieht.

(1)  Diese Leitlinien ersetzen die Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen (ABl. C 130 vom 19.5.2010, S. 1).

(2)  Verordnung (EU) 2022/720 der Kommission vom 10. Mai 2022 über die Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. L 134 vom 11.5.2022, S. 4).

(3)  Siehe Randnummer (51).

(4)  Die Kommission wird die Anwendung der Verordnung (EU) 2022/720 und dieser Leitlinien weiterhin beobachten und kann diese Bekanntmachung von Zeit zu Zeit überprüfen und bei Bedarf an neue Entwicklungen anpassen.

(5)  Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft (ABl. C 372 vom 9.12.1997, S. 5) oder künftige Leitlinien der Kommission bezüglich der Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Union einschließlich Leitlinien, die in Zukunft an die Stelle der Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes treten könnten.

(6)  Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1).

(7)  Weitere Orientierungshilfen zur Definition des Begriffs „vertikale Vereinbarung“ im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 finden sich in Abschnitt 4.2 dieser Leitlinien.

(8)  Siehe beispielsweise Urteil des Gerichtshofs vom 21. Februar 1973, Europemballage Corporation und Continental Can Company/Kommission, C-6/72, ECLI:EU:C:1973:22, Rn. 25 und 26; Urteil des Gerichtshofs vom 17. Februar 2011, Konkurrensverket/TeliaSonera Sverige AB, C-52/09, ECLI:EU:C:2011:83, Rn. 20 bis 24, und Urteil des Gerichtshofs vom 18. November 2021, „Visma Enterprise“ SIA/Konkurences padome, C-306/20, ECLI:EU:C:2021:935, Rn. 58 (im Folgenden „C-306/20, Visma Enterprise“).

(9)  Siehe beispielsweise Urteil des Gerichtshofs vom 13. Juli 1966 Grundig-Consten und Grundig/Kommission der EWG, 56/64 und 58/64, ECLI:EU:C:1966:41; Urteil des Gerichtshofs vom 30. Juni 1966, Société Technique Minière/Maschinenbau Ulm, 56/65, ECLI:EU:C:1966:38 (im Folgenden „C-56/65, Société Technique Minière“), und Urteil des Gerichts vom 14. Juli 1994, Parker Pen/Kommission, T-77/92, ECLI:EU:T:1994:85 (im Folgenden „T-77/92, Parker Pen“).

(10)  Für die Anwendung der Verordnung (EU) 2022/720 definiert Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2022/720 vertikale Beschränkungen als „eine Wettbewerbsbeschränkung in einer vertikalen Vereinbarung, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt“ [Hervorhebung hinzugefügt]. Weitere Orientierungshilfen zu vertikalen Vereinbarungen, die grundsätzlich nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen, finden sich in Abschnitt 3 dieser Leitlinien.

(11)  Bekanntmachung der Kommission über Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 AEUV (ABl. C 101 vom 27.4.2004, S. 97) mit einer Darstellung der allgemeinen Methoden und der Auslegung der Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 101 AEUV und insbesondere Artikel 101 Absatz 3 AEUV.

(12)  Siehe Artikel 3 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union.

(13)  Siehe die Mitteilung der Kommission vom 5. Mai 2021 über die Aktualisierung der neuen Industriestrategie von 2020: einen stärkeren Binnenmarkt für die Erholung Europas aufbauen (COM(2021) 350 final).

(14)  Soweit das Unionsrecht Definitionen der Begriffe Nachhaltigkeit, Digitalisierung oder Resilienz enthält, können solche Definitionen bei der Prüfung vertikaler Vereinbarungen berücksichtigt werden.

(15)  Siehe Randnummern (144) und (316).

(16)  Diese Leitlinien gelten nicht für Vereinbarungen zwischen Erzeugern landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die unter Artikel 210a der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 des Rates (ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 671) fallen.

(17)  Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (ABl. C 11 vom 14.1.2011, S. 1).

(18)  Siehe beispielsweise C-306/20, Visma Enterprise, Rn. 78.

(19)  Siehe Randnummer 25 der Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 Absatz 3.

(20)  Dies wird mitunter als „Problem der doppelten Gewinnmarginalisierung“ bezeichnet.

(21)  Siehe Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Evaluation of the Vertical Block Exemption Regulation (SWD(2020) 172 final vom 10. Mai 2017, S. 31 bis 42) und die Evaluierungsstudie, auf die darin verwiesen wird; Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 10. Mai 2017, Abschlussbericht über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel, COM(2017) 229 final (im Folgenden „Abschlussbericht über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel“), Rn. 11.

(22)  Ob die Verbraucher insgesamt tatsächlich von den zusätzlichen Verkaufsförderungsanstrengungen profitieren, hängt davon ab, ob die zusätzlichen verkaufsfördernden Maßnahmen informieren und überzeugen und damit vielen neuen Kunden zugutekommen oder ob sie hauptsächlich Kunden erreichen, die bereits wissen, was sie kaufen wollen, und für die die zusätzlichen verkaufsfördernden Maßnahmen nur eine Preiserhöhung bedeuten.

(23)  Siehe insbesondere die Definition des Begriffs „Wettbewerbsverbot“ in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe f der Verordnung (EU) 2022/720, zu der in Abschnitt 6.2 dieser Leitlinien weitere Orientierungshilfen gegeben werden, sowie die Hinweise zum „Markenzwang“ in Abschnitt 8.2 dieser Leitlinien.

(24)  Zu den Begriffen der ausdrücklichen und der stillschweigenden Kollusion siehe Urteil des Gerichtshofs vom 31. März 1993, Ahlström Osakeyhtiö und andere/Kommission, Verbundene Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, ECLI:EU:C:1993:120.

(25)  Siehe Urteil C-306/20, Visma Enterprise, Rn. 78.

(26)  Kumulative wettbewerbswidrige Auswirkungen können insbesondere den Entzug des Rechtsvorteils der Verordnung (EU) 2022/720 rechtfertigen, siehe Abschnitt 7.1. dieser Leitlinien.

(27)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 13. Dezember 2012, Expedia Inc./Autorité de la concurrence und andere, C-226/11, ECLI:EU:C:2012:795, Rn. 16 und 17 (im Folgenden „C-226/11, Expedia“).

(28)  Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags (ABl. C 101 vom 27.4.2004, S. 81).

(29)  Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union den Wettbewerb nicht spürbar beschränken (De-minimis-Bekanntmachung) (ABl. C 291 vom 30.8.2014, S. 1). Weitere Orientierungshilfen finden sich in der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen, Guidance on restrictions of competition „by object“ for the purpose of defining which agreements may benefit from the De Minimis Notice (Leitlinien zu „bezweckten“ Wettbewerbsbeschränkungen im Hinblick auf die Bestimmung, welche Vereinbarungen unter die De-minimis-Bekanntmachung fallen können) (SWD(2014) 198 final).

(30)  Siehe Randnummer 50 der Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des Handels.

(31)  Siehe Randnummer 52 der Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des Handels.

(32)  Siehe Randnummer 8 der De-minimis-Bekanntmachung, in der auch eine Marktanteilsschwelle für Vereinbarungen zwischen tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbern vorgesehen ist, wonach solche Vereinbarungen den Wettbewerb im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV nicht spürbar beschränken, wenn der gemeinsame Marktanteil der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen auf keinem der von der Vereinbarung betroffenen relevanten Märkte 10 % überschreitet.

(33)  Siehe Urteil C-226/11, Expedia, Rn. 21 bis 23 und 37, mit Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs vom 9. Juli 1969, Völk/Vervaecke, C-5/69, ECLI:EU:C:1969:35; siehe auch das Urteil des Gerichtshofs vom 6. Mai 1971, Cadillon/Höss, C-1/71, ECLI:EU:C:1971:47, und Urteil des Gerichtshofs vom 28. April 1998, Javico/Yves Saint Laurent Parfums, C-306/96, ECLI:EU:C:1998:173, Rn. 16 und 17 (im Folgenden „C-306/96, Javico/Yves Saint Laurent Parfums“).

(34)  Siehe C-226/11, Expedia, Rn. 37.

(35)  Siehe Rn. 8 der De-minimis-Bekanntmachung.

(36)  Siehe Rn. 3 der De-minimis-Bekanntmachung. Siehe Urteil des Gerichts vom 8. Juni 1995, Langnese-Iglo/Kommission, T-7/93, ECLI:EU:T:1995:98, Rn. 98.

(37)  Wie im Anhang der Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen definiert (ABl. L 124 vom 20.5.2003, S. 36).

(38)  Siehe das Urteil des Gerichts vom 15. September 2005 DaimlerChrysler/Kommission, T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322 (im Folgenden „T-325/01, DaimlerChrysler/Kommission“), Urteil des Gerichtshofs vom 14. Dezember 2006, Confederación Espanola de Empresarios de Estaciones de Servicio/CEPSA, C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, und Urteil des Gerichtshofs vom 11. September 2008, CEPSA Estaciones de Servicio SA/LV Tobar e Hijos SL, C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485.

(39)  Siehe Abschnitt 3.2.2 dieser Leitlinien zu den Bestimmungen des Handelsvertretervertrags, die dennoch unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen können.

(40)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 1. Oktober 1987, ASBL Vereniging van Vlaamse Reisbureaus/ASBL Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten, C-311/85, ECLI:EU:C:1987:418, Rn. 20.

(41)  Siehe auch Randnummer (192). Insbesondere muss es dem Handelsvertreter im Rahmen eines unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallenden Handelsvertretervertrags freistehen, den vom Kunden tatsächlich gezahlten Preis zu mindern, indem er seine Vergütung mit dem Kunden teilt.

(42)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 16. Dezember 1975, „Suiker Unie“/Kommission, Verbundene Rechtssachen 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 537 bis 557.

(43)  Siehe T-325/01, DaimlerChrysler/Kommission, Rn. 100 und 113.

(44)  Bekanntmachung der Kommission vom 18. Dezember 1978 über die Beurteilung von Zulieferverträgen nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. C 1 vom 3.1.1979, S. 2).

(45)  Siehe Nummer 2 der Bekanntmachung über Zulieferverträge; darin finden sich weitere Erläuterungen insbesondere zur Nutzung der gewerblichen Schutzrechte und des Know-hows.

(46)  Siehe Nummer 3 der Bekanntmachung über Zulieferverträge.

(47)  Hinweise zu nicht freigestellten Beschränkungen und die Bedeutung des Artikel 5 der Verordnung (EU) 2022/720 sind Abschnitt 6.2 dieser Leitlinien zu entnehmen.

(48)  Siehe Urteil C-56/65 – Société Technique Minière/Maschinenbau Ulm, S. 249.

(49)  Sofern nicht anders angegeben, schließt der Begriff „vertikale Vereinbarung“ gemäß Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2022/720 vertikale abgestimmte Verhaltensweisen ein.

(50)  Umgekehrt gelten bei Vorliegen einer vertikalen Vereinbarung im Sinne des Artikels 101 AEUV die Verordnung (EU) 2022/720 und diese Leitlinien unbeschadet der gleichzeitig möglichen Anwendung des Artikels 102 AEUV auf die vertikale Vereinbarung.

(51)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 14. Januar 2021, Kilpailu- ja kuluttajavirasto, C-450/19, ECLI:EU:C:2021:10, Rn. 21.

(52)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 13. Juli 2006, Kommission/Volkswagen AG, C-74/04 P, ECLI:EU:C:2006:460, Rn. 39 bis 42.

(53)  Siehe Urteil des Gerichts vom 26. Oktober 2000, Bayer AG/Kommission, T-41/96, ECLI:EU:T:2000:242, Rn. 120.

(54)  Siehe Beschluss der Kommission in der Sache AT.40428 – Guess, Erwägungsgrund 97 mit Verweis auf das Urteil des Gerichtshofs vom 11. Januar 1990, Sandoz Prodotti Farmaceutici/Kommission, C-277/87, ECLI:EU:C:1990:6, Rn. 2, und Urteil des Gerichts vom 9. Juli 2009, Peugeot und Peugeot Nederland/Kommission, T-450/05, ECLI:EU:T:2009:262, Rn. 168 bis 209.

(55)  Siehe auch Randnummer (30).

(56)  Siehe Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. L 241 vom 17.9.2015, S. 1).

(57)  Siehe auch Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten (ABl. L 186 vom 11.7.2019, S. 57).

(58)  Siehe beispielsweise Urteil des Gerichtshofs vom 19. Dezember 2019, X, C-390/18, ECLI:EU:C:2019:1112, Rn. 58 bis 69.

(59)  Die Hinweise in diesem Abschnitt 4 der Leitlinien lassen die Einstufung von Unternehmen, die an nicht unter die Verordnung (EU) 2022/720 fallenden Vereinbarungen beteiligt sind, unberührt.

(60)  Die jährliche Umsatzschwelle von 50 Mio. EUR beruht auf der Umsatzschwelle für KMU in Artikel 2 des Anhangs zur Empfehlung der Kommission 2003/361/EG.

(61)  Mitteilung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Technologietransfer-Vereinbarungen (ABl. C 89 vom 28.3.2014, S. 3).

(62)  Verordnung (EU) Nr. 316/2014 der Kommission vom 21. März 2014 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen (ABl. L 93 vom 28.3.2014, S. 17).

(63)  Die Randnummern (85) bis (87) gelten analog für andere Arten von Vertriebsvereinbarungen, die die Weitergabe von wesentlichem Know-how vom Anbieter an den Abnehmer beinhalten.

(64)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 30. Januar 2020, Generics (UK) und andere/Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde, C-307/18, ECLI:EU:C:2020:52, Rn. 36 bis 45, und Urteil des Gerichtshofs vom 25. März 2021, H. Lundbeck A/S und Lundbeck Ltd/Europäische Kommission, C-591/16 P, ECLI:EU:C:2021:243, Rn. 54 bis 57.

(65)  Dies berührt nicht die Anwendung der Bekanntmachung über Zulieferverträge, siehe Randnummer (47) dieser Leitlinien.

(66)  Die Orientierungshilfe in diesen Leitlinien lassen die Anwendung der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1) und anderer für den Informationsaustausch im Sinne von Randnummer (97) dieser Leitlinien geltender Rechtsvorschriften der Union unberührt.

(67)  Siehe Randnummer 31 der Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 Absatz 3.

(68)  Sofern nicht anders angegeben, umfassen die Beispiele Informationen, die vom Anbieter oder Abnehmer übermittelt werden, unabhängig von der Häufigkeit der Mitteilung und unabhängig davon, ob sich die Informationen auf frühere, derzeitige oder künftige Verhaltensweisen beziehen.

(69)  Weitere Orientierungshilfen zur Preisbindung der zweiten Hand einschließlich indirekter Mittel zur Anwendung dieser Preisbindung der zweiten Hand sind Abschnitt 6.1.1 zu entnehmen.

(70)  Weil beispielsweise die Voraussetzungen des Artikels 2 Absatz 4, des Artikels 2 Absatz 5 oder des Artikels 3 Absatz 1 der Verordnung nicht erfüllt sind.

(71)  Siehe das Kapitel über Informationsaustausch in den Horizontalleitlinien und künftigen Fassungen dieser Leitlinien.

(72)  Die Anwendung des Artikels 2 Absatz 6 der Verordnung (EU) 2022/720 setzt voraus, dass die vom Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten mit Hybridstellung geschlossene vertikale Vereinbarung nicht als ein Handelsvertretervertrag gilt, der nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt, siehe Randnummern (46) und (63).

(73)  Siehe Randnummer (90).

(74)  Siehe Randnummer (26).

(75)  Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 der Kommission vom 14. Dezember 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (ABl. L 335 vom 18.12.2010, S. 36).

(76)  Verordnung (EU) Nr. 1218/2010 der Kommission vom 14. Dezember 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen (ABl. L 335 vom 18.12.2010, S. 43).

(77)  Verordnung (EU) Nr. 461/2010 der Kommission vom 27. Mai 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor (ABl. L 129 vom 28.5.2010, S. 52).

(78)  Siehe auch die Abschnitte 6.1.2.3.1 und 6.1.2.3.2.

(79)  Siehe auch Abschnitt 6.1.2.3.3.

(80)  Siehe Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung (EU) 2022/720.

(81)  Siehe C-306/20, Visma Enterprise, Rn. 78.

(82)  Ein Beispiel hierfür ist der Fall, dass ein Anbieter einen bestimmten Händler beauftragt, auf Ausschreibungen öffentlicher Stellen im Bereich IT-Ausrüstung oder Bürobedarf zu antworten.

(83)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 25. Oktober 1977, Metro/Kommission, C-26/76, ECLI:EU:C:1977:167, Rn. 20 und 21 (im Folgenden „C-26/76, Metro/Kommission“); Urteil des Gerichtshofs vom 11. Dezember 1980, L’Oréal/De Nieuwe AMCK, C-31/80, ECLI:EU:C:1980:289, Rn. 15 und 16 (im Folgenden „C-31/80, L’Oréal/De Nieuwe AMCK“); Urteil des Gerichtshofs vom 13. Oktober 2011, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique SAS/Président de l’Autorité de la concurrence, C-439/09, ECLI:EU:C:2011:649, Rn. 41 (im Folgenden „C-439/09, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique“); Urteil des Gerichtshofs vom 6. Dezember 2017, Coty Germany GmbH/Parfümerie Akzente GmbH, C-230/16, ECLI:EU:C:2017:941, Rn. 24 (im Folgenden „C-230/16, Coty Germany“).

(84)  Siehe C-26/76 – Metro/Kommission, Rn. 20 bis 22; Urteil des Gerichtshofs vom 25. Oktober 1983, AEG /Kommission, C-107/82, ECLI:EU:C:1983:293 (im Folgenden „C-107/82, AEG/Kommission“), Rn. 33, 34 und 73; Urteil des Gerichtshofs vom 22. Oktober 1986, Metro/Kommission, C-75/84, ECLI:EU:C:1986:399, Rn. 45; Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1996, Leclerc/Kommission, T-88/92, ECLI:EU:T:1996:192, Rn. 106.

(85)  Siehe C-26/76, Metro/Kommission und C-107/82 – AEG/Kommission.

(86)  Siehe C-230/16, Coty Germany.

(87)  Siehe C-230/16, Coty Germany, Rn. 25 bis 29.

(88)  Siehe C-26/76, Metro/Kommission, Rn. 20 und 21; C-31/80, L’Oréal/De Nieuwe AMCK, Rn. 15 und 16; C-107/82, AEG/Kommission, Rn. 35; vom 27. Februar 1992, Vichy/Kommission, T-19/91, ECLI:EU:T:1992:28, Rn. 65.

(89)  Siehe Randnummer (149).

(90)  Siehe C-230/16, Coty Germany, Rn. 43 bis 58.

(91)  Siehe C-230/16, Coty Germany, insbesondere Rn. 67; siehe auch Randnummer (208) dieser Leitlinien.

(92)  Siehe auch Randnummer (208).

(93)  Siehe C-439/09, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, Rn. 54. Siehe auch Abschnitt 6.1.2.3.2.

(94)  Siehe auch entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 14. Juni 2012, Auto 24 SARL/Jaguar Land Rover France SAS, C-158/11, ECLI:EU:C:2012:351, Rn. 31.

(95)  Siehe C-306/20, Visma Enterprise, Rn. 78.

(96)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 28. Januar 1986, Pronuptia de Paris GmbH/Pronuptia de Paris Irmgard Schillgallis, C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 16.

(97)  Hierbei werden von einem integrierten Händler erzielte Verkäufe der Waren oder Dienstleistungen von Wettbewerben nicht berücksichtigt.

(98)  Siehe C-306/96 – Javico/Yves Saint Laurent Parfums, Rn. 20.

(99)  Siehe Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen, Guidance on restrictions of competition „by object“ for the purpose of defining which agreements may benefit from the De Minimis Notice (Leitlinien zu „bezweckten“ Wettbewerbsbeschränkungen im Hinblick auf die Bestimmung, welche Vereinbarungen unter die De-minimis-Bekanntmachung fallen können), 25. Juni 2014, (SWD(2014) 198 final, S. 4).

(100)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 20. Januar 2016, Toshiba Corporation/Kommission, C-373/14 P, ECLI:EU:C:2016:26, Rn. 26.

(101)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 2. April 2020, Budapest Bank u. a., C-228/18, ECLI:EU:C:2020:265, Rn. 35 bis 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung.

(102)  Siehe insbesondere Randnummer (16) Buchstaben a bis i dieser Leitlinien, in denen allgemein mit vertikalen Beschränkungen verbundene Effizienzgewinne beschrieben werden, sowie Abschnitt 6.1.1 dieser Leitlinien, in dem die Preisbindung der zweiten Hand erläutert wird. Allgemeine Hinweise zur Beurteilung von Effizienzgewinnen sind zudem den Leitlinien in Artikel 101 Absatz 3 zu entnehmen.

(103)  Es ist zu beachten, dass eine Preisbindung der zweiten Hand mit anderen Beschränkungen verbunden sein kann, einschließlich horizontaler Absprachen in Form von „Hub-and-Spoke“-Vereinbarungen. Diese werden in Randnummer 55 der Horizontalleitlinien behandelt.

(104)  Siehe beispielsweise den Beschluss der Kommission in der Sache AT.40428 – Guess, Erwägungsgründe 84, 86 und 137.

(105)  Siehe den Abschlussbericht über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel, Rn. 602 und 603.

(106)  Siehe Beschlüsse der Kommission in den Sachen AT.40182, Pioneer, Erwägungsgründe 136 und 155; AT.40469 – Denon & Marantz, Erwägungsgrund 95; AT.40181 – Philips, Erwägungsgrund 64 und AT.40465 – Asus, Erwägungsgrund 27.

(107)  Beschränkungen der Fähigkeit von Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe e der Verordnung, ihre Vergütung für die Erbringung der Online-Vermittlungsdienste zu teilen, sind keine Kernbeschränkungen im Sinne des Artikels 4 Buchstabe a der Verordnung, da sie die Fähigkeit eines Abnehmers, seinen Verkaufspreis zu bestimmen, nicht beschränken. Siehe Rn. (64) bis (67) der vorliegenden Leitlinien, insbesondere Rn. (67) Buchstabe a.

(108)  Siehe z. B. Beschluss der Kommission in der Sache IV/32.737 – Eirpage, insbesondere Erwägungsgrund 6.

(109)  Diese Hinweise lassen die Beurteilung horizontaler Vereinbarungen zwischen den Einzelhändlern, die ein solches Erfüllungsmodell nach Artikel 101 AEUV unter Berücksichtigung der Orientierungshilfen in den Horizontalleitlinien einrichten und betreiben, unberührt.

(110)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 3. Juli 1985, Binon/AMP, C-243/83, ECLI:EU:C:1985:284, Rn. 44; Urteil des Gerichtshofs vom 1. Oktober 1987, ASBL Vereniging van Vlaamse Reisbureaus/ASBL Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten, C-311/85, ECLI:EU:C:1987:418, Rn. 17; Urteil des Gerichtshofs vom 19. April 1988, Erauw-Jacquery/La Hesbignonne, C-27/87, ECLI:EU:C:1988:183, Rn. 15.

(111)  Nach Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 trägt ein Unternehmen, das sich auf den Rechtsvorteil des Artikels 101 Absatz 3 AEUV beruft, die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen dieses Absatzes des AEUV erfüllt sind.

(112)  Siehe diesbezüglich die Rn. 13 und (16).

(113)  Siehe auch die Rn. (204), (206) und (210) bezüglich verschiedener Arten von Beschränkungen des Online-Verkaufs und der Online-Werbung.

(114)  Siehe auch C-439/09, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, Rn. 54.

(115)  Siehe auch den Beschluss der Kommission in der Sache AT.40428 – Guess, Erwägungsgründe 118 bis 126.

(116)  Siehe C-439/09, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, Rn. 56 und 57 und Randnummer (224) dieser Leitlinien.

(117)  Siehe beispielsweise T-77/92, Parker Pen/Kommission, Rn. 37.

(118)  Siehe beispielsweise Urteil des Gerichts vom 9. Juli 2009, Peugeot und Peugeot Nederland/Kommission, T-450/05, ECLI:EU:T:2009:262, Rn. 47.

(119)  Siehe beispielsweise Urteil des Gerichts vom 6. Juli 2009, Volkswagen/Kommission, T-62/98, ECLI:EU:T:2000:180, Rn. 44.

(120)  Siehe beispielsweise Beschluss der Kommission in der Sache AT.40433 – Film-Merchandising-Produkte, Erwägungsgrund 54.

(121)  Siehe beispielsweise Beschluss der Kommission in der Sache AT.40433 – Film-Merchandising-Produkte, Erwägungsgründe 52 und 53.

(122)  Siehe beispielsweise den Beschluss der Kommission in der Sache AT.40436 – Nike, Erwägungsgrund 57; Beschluss der Kommission in der Sache AT.40433 – Film-Merchandising-Produkte, Erwägungsgründe 61 bis 63.

(123)  Siehe beispielsweise Beschluss der Kommission in der Sache AT.37975 – PO/Yamaha, Erwägungsgründe 111 und 112. Umgekehrt bezweckt eine Regelung, nach der der Anbieter mit seinen Händlern vereinbart, dass dann, wenn ein Händler in einem Gebiet, das einem anderen Händler zugewiesen wurde, einen Verkauf tätigt, der erste Händler dem zweiten eine Gebühr zahlen muss, die auf den Kosten der zu erbringenden Dienstleistungen basiert, nicht die Beschränkung von Verkäufen der Händler außerhalb der ihnen zugewiesenen Gebiete (siehe Urteil des Gerichts vom 13. Januar 2004, JCB Service/Kommission, T-67/01, ECLI:EU:T:2004:3, Rn. 136 bis 145).

(124)  Siehe beispielsweise den Beschluss der Kommission in der Sache AT.40436 – Nike, Erwägungsgründe 71 und 72; Beschluss der Kommission in der Sache AT.40433 – Film-Merchandising-Produkte, Erwägungsgründe 65 und 66.

(125)  Artikel 3 der Verordnung (EU) 2018/302.

(126)  Artikel 5 der Verordnung (EU) 2018/302.

(127)  Siehe C-439/09, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, Rn. 36 und 37.

(128)  Siehe auch Randnummer (203).

(129)  Siehe auch den Beschluss der Kommission in der Sache AT.40428 – Guess, Erwägungsgründe 118 bis 126.

(130)  Weitere Beispiele sind dem Abschlussbericht über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel, Rn. 241 zu entnehmen.

(131)  Siehe C-439/09, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, Rn. 56 und 57 und Randnummer (224) dieser Leitlinien.

(132)  Siehe auch den Beschluss der Kommission in der Sache AT.40428 – Guess, Erwägungsgründe 118 bis 126 und Randnummer 200 dieser Leitlinien.

(133)  C-230/16, Coty Germany, Rn. 64 bis 69; siehe auch Abschnitt 8.2.3. dieser Leitlinien.

(134)  Siehe auch Randnummer (206) Buchstabe g.

(135)  Siehe auch Randnummer 203.

(136)  Siehe auch Randnummer 208 Buchstabe e.

(137)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 7. Dezember 2010, Peter Pammer/Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH/Oliver Heller, C-585/08 und C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, Rn. 93.

(138)  Verordnung (EU) 2018/302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Februar 2018 über Maßnahmen gegen ungerechtfertigtes Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarkts und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 2006/2004 und (EU) 2017/2394 sowie der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. L 60I vom 2.3.2018, S. 1).

(139)  Siehe C-439/09, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, Rn. 56 und 57.

(140)  Siehe auch Randnummer (222) bezüglich der Verordnung (EU) 2018/302.

(141)  Siehe C-439/09, Pierre Fabre Dermo-Cosmetique, Rn. 55 bis 58.

(142)  Siehe auch Randnummer (222) bezüglich der Verordnung (EU) 2018/302.

(143)  Siehe Randnummer (227).

(144)  Siehe Randnummer (237).

(145)  Siehe auch Randnummer (222) bezüglich der Verordnung (EU) 2018/302.

(146)  Siehe z. B. Beschluss der Kommission in der Sache AT.40428 – Guess, Erwägungsgründe 65 bis 78.

(147)  Siehe auch Randnummer (116).

(148)  Siehe C-439/09, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, Rn. 55 bis 58.

(149)  Siehe auch Randnummer (222) bezüglich der Verordnung (EU) 2018/302.

(150)  Auch dürfen die Gerichte der Mitgliedstaaten den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2022/720 nicht ändern, indem sie ihn auf Vereinbarungen ausdehnen, die nicht unter die Verordnung (EU) 2022/720 fallen. Eine solche Ausdehnung wäre nämlich unabhängig von ihrem Gewicht ein Eingriff in die Rechtsetzungsbefugnis der Kommission (Urteil des Gerichtshofs vom 28. Februar 1991, Stergios Delimitis/Henninger Bräu AG, C-234/89, ECLI:EU:C:1991:91, Rn. 46) (im Folgenden „C-234/89, Delimitis“).

(151)  Eine kumulative Abschottungswirkung ist jedoch unwahrscheinlich, wenn die parallelen Netze vertikaler Vereinbarungen weniger als 30 % des relevanten Marktes abdecken; siehe De-minimis-Bekanntmachung, Rn. 10.

(152)  Bei einzelnen Anbietern oder Händlern mit einem Marktanteil von höchstens 5 % wird im Allgemeinen nicht davon ausgegangen, dass sie wesentlich zu einer kumulativen Marktabschottungswirkung beitragen; siehe De-minimis-Bekanntmachung, Rn. 10 und C-234/89, Delimitis/Henninger Bräu, Rn. 24 bis 27.

(153)  Die Beurteilung eines solchen Beitrags erfolgt nach den in Abschnitt 8 aufgeführten Kriterien, die sich auf die Durchsetzung im Einzelfall beziehen.

(154)  Siehe Kapitel IV der Verordnung (EG) Nr. 1/2003.

(155)  Fällt eine vertikale Vereinbarung, wie in Abschnitt 3 dieser Leitlinien erläutert, nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV, stellt sich die Frage der Anwendung der Verordnung (EU) 2022/720 nicht, denn in der Verordnung (EU) 2022/720 werden Gruppen von vertikalen Vereinbarungen definiert, die in der Regel die Voraussetzungen des Artikel 101 Absatz 3 AEUV erfüllen, was voraussetzt, dass die vertikale Vereinbarung in den Anwendungsbereich des Artikels 101 Absatz 1 AEUV fällt.

(156)  Es reicht aus, wenn die Kommission nachweist, dass eine der vier Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV nicht erfüllt ist. Der Grund hierfür ist, dass für die Ausnahme nach Artikel 101 Absatz 3 alle vier Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

(157)  Die Anforderung nach Artikel 29 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 in Bezug auf die Beweislast der zuständigen Wettbewerbsbehörde ergibt sich aus der Situation, in der die Verordnung (EU) 2022/720 nicht anwendbar ist und sich ein Unternehmen auf Artikel 101 Absatz 3 AEUV beruft. In einer solchen Situation trägt das Unternehmen gemäß Artikel 2 der Verordnung(EG) Nr. 1/2003 die Beweislast dafür, dass alle vier Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllt sind. Zu diesem Zweck muss es seine Behauptungen belegen; siehe z. B. Beschluss der Kommission in der Sache AT.39226 – Lundbeck, bestätigt in den Urteilen des Gerichts vom 8. September 2016, Lundbeck/Kommission, T-472/13, ECLI:EU:T:2016:449; und Urteil des Gerichtshofs vom 25. März 2021, Lundbeck/Kommission, C-591/16 P, ECLI:EU:C:2021:243.

(158)  Die Kommission hat in ihren Entscheidungen vom 25. März 1992 (einstweilige Maßnahmen) in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag in der Sache IV/34.072 – Mars/Langnese und Schöller, bestätigt durch das Urteil des Gerichtshofs vom 1. Oktober 1998, Langnese-Iglo/Kommission, C-279/95 P, ECLI:EU:C:1998:447, sowie in ihrer Entscheidung vom 4. Dezember 1991 (einstweilige Maßnahmen) in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag in der Sache IV/33.157 – Eco System/Peugeot, von ihrer Befugnis Gebrauch gemacht, den Rechtsvorteil von zuvor geltenden Gruppenfreistellungsverordnungen zu entziehen.

(159)  Siehe Abschnitt 3.1.

(160)  Siehe auch Randnummer (282).

(161)  Wie in Rn. 84 der Leitlinien zur Anwendbarkeit des Artikels 101 Absatz 3 dargelegt, umfasst der Begriff „Verbraucher“ im Sinne des Artikels 101 Absatz 3 AEUV alle direkten und indirekten Nutzer der Produkte, auf die sich die Vereinbarung bezieht, einschließlich Produzenten, die die Ware als Vorprodukt benötigen, Großhändler, Einzelhändler und Endkunden, d. h. natürliche Personen, die außerhalb ihrer Geschäfts- oder Berufstätigkeit handeln.

(162)  Siehe die Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 Absatz 3.

(163)  Siehe Urteil des Gerichtshofs, Ford/Kommission, verbundene Rechtssachen 25/84 und 26/84, ECLI:EU:C:1985:340, Rn. 24 und 25; Randnummer 44 der Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 Absatz 3.

(164)  Siehe beispielsweise die Entscheidung 1999/242/EG der Kommission in der Sache Nr. IV/36.237 – TPS (ABl. L 90 vom 2.4.1999, S. 6). Ebenso gilt das Verbot nach Artikel 101 Absatz 1 AEUV nur so lange, wie die Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt; Randnummer 44 der Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 Absatz 3.

(165)  Siehe Randnummer 85 der Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 Absatz 3.

(166)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 16. März 2000, Compagnie Maritime Belge, C-395/96 P und C-396/96 P, ECLI:EU:C:2000:132, Rn. 130. Ebenso wenig verhindert die Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 AEUV die Anwendung der Vertragsbestimmungen des AEUV über den freien Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr. Diese Bestimmungen lassen sich unter bestimmten Umständen auf Vereinbarungen, Beschlüsse und abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 AEUV anwenden; siehe hierzu Urteil des Gerichtshofs vom 19. Februar 2002, Wouters und andere, C-309/99, ECLI:EU:C:2002:98, Rn. 120.

(167)  Siehe Urteil des Gerichts vom 10. Juli 1990, Tetra Pak/Kommission, T-51/89, ECLI:EU:T:1990:41. Siehe auch Randnummer 106 der Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 Absatz 3.

(168)  Siehe Urteil des Gerichts vom 23. Oktober 2003, Van den Bergh Foods/Kommission, T-65/98, ECLI:EU:T:2003:281, Rn. 104 und 156.

(169)  Siehe Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (ABl. L 328 vom 21.12.2018, S. 82).

(170)  Für solche Investitionen in erneuerbare Energien können auch noch andere EU-Vorschriften gelten, wie die Vorschriften, die sich aus Artikel 106 Absatz 1 AEUV sowie den Vorschriften zu staatlichen Beihilfen und zum Binnenmarkt ergeben.

(171)  Siehe auch Randnummer (343).

(172)  Abschlussbericht über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel, Abschnitt 4.4.

(173)  Siehe C-230/16, Coty Germany, Rn. 64 bis 69.

(174)  Siehe C-230/16, Coty Germany, Rn. 24 bis 36.

(175)  Siehe die Randnummern (147) bis (150) dieser Leitlinien und C-230/16, Coty Germany, Rn. 43 bis 58.

(176)  Siehe C-306/20, Visma Enterprise, Rn. 78.

(177)  Für die Zwecke dieser Leitlinien bezieht sich der Begriff „Preisvergleichsdienste“ auf Dienste ohne direkte Kauffunktion. Dienste, die Verkaufs- und Kauffunktionalitäten bieten und den Nutzern somit den Abschluss von Kaufgeschäften ermöglichen, werden für die Zwecke dieser Leitlinien als Online-Marktplätze eingestuft. Beschränkungen hinsichtlich der Nutzung von Online-Marktplätzen werden in Abschnitt 8.2.3 behandelt.

(178)  Abschlussbericht über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel, Abschnitt B.4.5.

(179)  Hierbei handelt es sich um feste Gebühren, die Hersteller an die Einzelhändler für den Zugang zu deren Regalplatz zahlen.

(180)  Pauschalbeträge, mit denen sichergestellt wird, dass ein bestehendes Produkt für einen weiteren Zeitraum im Regal verbleibt.

(181)  Eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 101 AEUV kann auch vorliegen, wenn der „Category Captain“ unterverbindliche Empfehlungen ausspricht, die der Händler systematisch umsetzt.

(182)  Siehe Rechtsprechung der Unionsgerichte bezüglich des Informationsaustausches zwischen Wettbewerbern, beispielsweise Urteil des Gerichts vom 10. November 2017, ICAP/Kommission, T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795, Rn. 57; Urteil des Gerichtshofs vom 4. Juni 2009, T-Mobile Netherlands und andere, C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343, Rn. 51; Urteil des Gerichtshofs vom 19. März 2015 Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184, Rn. 127; Urteil des Gerichtshofs vom 21. Januar 2016, Eturas UAB und andere, C-74/14 ECLI:EU:C:2016:42, Rn. 40–44 und Urteil des Gerichts vom 10. November 2017, ICAP/Kommission, T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795, Rn. 57.

(183)  Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 14. November 1996, Tetra Pak/Kommission, C-333/94 P, ECLI:EU:C:1996:436, Rn. 37. Siehe auch Mitteilung der Kommission – Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen (ABl. C 45 vom 24.2.2009, S. 7).

(184)  Siehe Urteil des Gerichts vom 17. September 2007, Microsoft/Kommission, T-201/04, ECLI:EU:T:2007:289, Rn. 917, 921 und 922.

(185)  Siehe Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1991, Hilti/Kommission, T-30/89, ECLI:EU:T:1991:70, Rn. 67.


Top