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Document 62010CJ0109
Judgment of the Court (Grand Chamber) of 25 October 2011.#Solvay SA v European Commission.#Appeal - Competition - Market in soda ash in the Community - Abuse of dominant position - Infringement of the rights of the defence - Access to the file - Hearing of the undertaking.#Case C-109/10 P.
Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 25. Oktober 2011.
Solvay SA gegen Europäische Kommission.
Rechtsmittel - Wettbewerb - Sodamarkt in der Gemeinschaft - Missbrauch einer beherrschenden Stellung - Verletzung der Verteidigungsrechte - Akteneinsicht - Anhörung des Unternehmens.
Rechtssache C-109/10 P.
Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 25. Oktober 2011.
Solvay SA gegen Europäische Kommission.
Rechtsmittel - Wettbewerb - Sodamarkt in der Gemeinschaft - Missbrauch einer beherrschenden Stellung - Verletzung der Verteidigungsrechte - Akteneinsicht - Anhörung des Unternehmens.
Rechtssache C-109/10 P.
Sammlung der Rechtsprechung 2011 I-10329
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:686
Rechtssache C-109/10 P
Solvay SA
gegen
Europäische Kommission
„Rechtsmittel – Wettbewerb – Sodamarkt in der Gemeinschaft – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Verletzung der Verteidigungsrechte – Akteneinsicht – Anhörung des Unternehmens“
Leitsätze des Urteils
1. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Akteneinsicht – Gegenstand – Wahrung der Verteidigungsrechte
(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 27 Abs. 2)
2. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Anhörung der Unternehmen – Umfang der Verpflichtung nach Nichtigerklärung einer ersten Entscheidung der Kommission
(Art. 81 Abs. 1 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 27)
1. Mit dem Recht auf Akteneinsicht in Wettbewerbssachen ist verbunden, dass die Kommission dem betroffenen Unternehmen die Möglichkeit geben muss, alle Schriftstücke in der Ermittlungsakte zu prüfen, die möglicherweise für seine Verteidigung erheblich sind. Dazu gehören sowohl belastende als auch entlastende Schriftstücke mit Ausnahme von Geschäftsgeheimnissen anderer Unternehmen, internen Schriftstücken der Kommission und anderen vertraulichen Informationen.
Die Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht im Verfahren vor dem Erlass einer Entscheidung kann grundsätzlich deren Nichtigerklärung nach sich ziehen, wenn die Verteidigungsrechte beeinträchtigt worden sind. In einem solchen Fall wird die eingetretene Verletzung nicht durch den bloßen Umstand geheilt, dass die Einsicht im Gerichtsverfahren im Rahmen einer Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission ermöglicht worden ist. Da sich nämlich die Prüfung durch das Gericht auf eine gerichtliche Kontrolle der geltend gemachten Klagegründe beschränkt, wird mit ihr ein Ersatz für die umfassende Sachverhaltsermittlung im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens weder bezweckt noch bewirkt. Außerdem versetzt die verspätete Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken das Unternehmen, das Klage gegen eine Entscheidung der Kommission erhoben hat, nicht in die Lage, in der es sich befunden hätte, wenn es sich bei der Abgabe seiner schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen gegenüber der Kommission auf diese Schriftstücke hätte berufen können.
Wird die Akteneinsicht und insbesondere die Einsicht in entlastende Unterlagen im Stadium des Gerichtsverfahrens gewährt, so braucht das betroffene Unternehmen nicht zu beweisen, dass die Entscheidung der Kommission, wenn es Einsicht in die nicht übermittelten Unterlagen gehabt hätte, anders ausgefallen wäre, sondern nur, dass die fraglichen Unterlagen seiner Verteidigung hätten dienlich sein können. Wenn das betroffene Unternehmen keinen Zugang zu fehlenden Unterlagen hatte, bei denen nicht ausgeschlossen ist, dass es darin Anhaltspunkte hätte finden können, die es ihm erlaubt hätten, die Fakten anders zu interpretieren als die Kommission, und wenn der Inhalt dieser Unterlagen weder bestimmt noch bestimmbar ist, kann diesem Unternehmen insoweit nicht aufgegeben werden, die Argumente auszuführen, die es hätte vorbringen können, wenn es über diese Unterlagen, die es tatsächlich nicht kennen konnte, verfügt hätte.
(vgl. Randnrn. 54-57, 62-63)
2. Erlässt die Kommission, nachdem eine Entscheidung, mit der Sanktionen gegen Unternehmen verhängt wurden, die gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen haben, wegen eines Verfahrensfehlers, der ausschließlich die Modalitäten der endgültigen Annahme der Entscheidung durch das Kollegium der Mitglieder der Kommission betrifft, für nichtig erklärt wurde, eine neue Entscheidung mit einem im Wesentlichen identischen Inhalt und aufgrund der gleichen Beschwerdepunkte, so muss sie keine erneute Anhörung der betroffenen Unternehmen durchführen.
Das gilt allerdings nicht, wenn dem Erlass der ersten Entscheidung ein Mangel anhaftet, der ein früheres Verfahrensstadium betrifft als der vorstehend genannte Verfahrensfehler, nämlich eine Verletzung der Verteidigungsrechte dadurch, dass die Kommission dem betroffenen Unternehmen in dem Verwaltungsverfahren, das zum Erlass der ersten Entscheidung führte, keinen ausreichenden Zugang zu den Unterlagen, insbesondere zu den Unterlagen, die seiner Verteidigung hätten dienlich sein können, gewährt hatte. Indem die Kommission unter solchen Umständen eine gleiche Entscheidung erlässt wie die aufgrund des genannten Verfahrensfehlers für nichtig erklärte Entscheidung, ohne ein neues Verwaltungsverfahren zu eröffnen, in dessen Rahmen sie das betroffene Unternehmen nach gewährter Akteneinsicht angehört hätte, verletzt sie die Verteidigungsrechte dieses Unternehmens.
(vgl. Randnrn. 67-71)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
25. Oktober 2011(*)
„Rechtsmittel – Wettbewerb – Sodamarkt in der Gemeinschaft – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Verletzung der Verteidigungsrechte – Akteneinsicht – Anhörung des Unternehmens“
In der Rechtssache C‑109/10 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 26. Februar 2010,
Solvay SA mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: P. Foriers, R. Jafferali, F. Louis und A. Vallery, avocats,
Rechtsmittelführerin,
andere Verfahrensbeteiligte:
Europäische Kommission, vertreten durch J. Currall und F. Castillo de la Torre als Bevollmächtigte im Beistand von N. Coutrelis, avocate, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.‑C. Bonichot und U. Lõhmus, des Richters A. Rosas (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Levits, A. Ó Caoimh, L. Bay Larsen, T. von Danwitz, A. Arabadjiev und E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2011,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 14. April 2011
folgendes
Urteil
1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Solvay SA (im Folgenden: Solvay) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 17. Dezember 2009, Solvay/Kommission (T‑57/01, Slg. 2009, II‑4621, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung 2003/6/EG der Kommission vom 13. Dezember 2000 in einem Verfahren nach Artikel 82 EG-Vertrag (COMP/33.133 – C: Natriumkarbonat – Solvay) (ABl. 2003, L 10, S. 10, im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen hat; hilfsweise beantragt die Rechtsmittelführerin die Aufhebung oder Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße.
Vorgeschichte des Rechtsstreits
2 Solvay ist ein großes Chemieunternehmen. Der Unternehmensgründer Ernest Solvay erfand ein Verfahren zur synthetischen Herstellung von Soda (Natriumkarbonat), einem Stoff, der hauptsächlich für die Glasherstellung verwendet wird. Soda wird auch in der chemischen Industrie für die Herstellung von Waschmitteln und in der Metallbearbeitung verwendet.
3 Gegen 1870 erteilte Solvay der Brunner, Mond & Co., einer der Gesellschaften, die ursprünglich die Imperial Chemical Industries (im Folgenden: ICI) bildeten, eine Herstellungslizenz. Solvay und Brunner, Mond & Co. teilten ihre Einflussbereiche untereinander auf („Alkali Kartell“), wobei Solvay auf dem europäischen Kontinent tätig war, Brunner, Mond & Co. hingegen auf den britischen Inseln, im britischen Commonwealth und in weiteren Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas. Die ursprüngliche Absprache wurde mehrfach erneuert, u. a. im Jahr 1945.
4 Ende der 1980er-Jahre war Solvay der hauptsächliche Hersteller von Soda sowohl in der Europäischen Gemeinschaft – mit einem Marktanteil von 60 % – als auch weltweit. ICI war der zweitgrößte Hersteller von Soda. Danach kamen vier kleine Hersteller, nämlich Rhône-Poulenc, Akzo, Matthes & Weber und Chemische Fabrik Kalk (im Folgenden: CFK).
5 In den Vereinigten Staaten wurde natürliche Soda abgebaut. Die Gewinnungskosten dafür waren niedriger als für künstliche Soda, aber es mussten die Transportkosten hinzugerechnet werden. Die Gemeinschaftsunternehmen waren einige Jahre lang durch Antidumpingmaßnahmen geschützt, doch diese waren gerade in der Überprüfung begriffen, als die streitigen Verfahren von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingeleitet wurden. Es bestand nämlich die Möglichkeit, dass das Dumping nicht mehr erwiesen war.
6 Auch die Hersteller aus den osteuropäischen Ländern stellten eine Konkurrenz dar, allerdings nur in Bezug auf geringe Sodamengen. Die Einfuhren aus diesen Ländern waren ebenfalls Gegenstand von Antidumpingmaßnahmen.
7 Auf dem Gemeinschaftsmarkt konnten eine Einflussbereichsaufteilung zwischen Solvay und ICI sowie eine Abschottung der nationalen Märkte mit erheblichen Preisunterschieden festgestellt werden.
8 Da die Kommission das Bestehen von Absprachen zwischen den verschiedenen Herstellerunternehmen der Gemeinschaft vermutete, führte sie Anfang 1989 Nachprüfungen bei den hauptsächlichen Sodaherstellern durch und ließ sich zahlreiche Unterlagen in Kopie aushändigen. Diese Nachprüfungen wurden durch Auskunftsersuchen ergänzt.
9 Am 13. März 1990 richtete die Kommission eine gemeinsame Mitteilung der Beschwerdepunkte an Solvay, ICI und CFK. Als Zuwiderhandlungen zur Last gelegt wurden Verstöße gegen
– Art. 85 EWG-Vertrag (später Art. 85 EG-Vertrag, jetzt Art. 81 EG) durch Solvay und ICI,
– Art. 85 des Vertrags durch Solvay und CFK,
– Art. 86 EWG-Vertrag (später Art. 86 EG-Vertrag, jetzt Art. 82 EG) durch Solvay,
– Art. 86 des Vertrags durch ICI.
10 Die Kommission übermittelte den einzelnen beschuldigten Unternehmen nicht alle Unterlagen, sondern nur diejenigen, die die dem betreffenden Unternehmen zur Last gelegte Zuwiderhandlung betrafen. Außerdem wurden den Unternehmen zahlreiche Unterlagen oder Auszüge aus Vertraulichkeitsgründen nicht übermittelt.
11 Die genannten Unternehmen wurden zur Äußerung aufgefordert. Solvay war anscheinend an einer Teilnahme an den Anhörungen nicht interessiert.
12 Am 19. Dezember 1990 erließ die Kommission folgende vier Entscheidungen:
– die Entscheidung 91/297/EWG in einem Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/33.133 – A, Soda – Solvay, ICI) (ABl. 1991, L 152, S. 1), mit der sie Solvay und ICI im Wesentlichen vorwarf, dass sie sich den Sodamarkt trotz ihrer Behauptung, dass die Absprache aus dem Jahr 1945 nicht mehr praktiziert werde, weiterhin untereinander aufgeteilt hätten, und mit der sie für den Nachweis, dass es sich um keine unabhängigen Verhaltensweisen („Parallelverhalten“) handele, insbesondere anführte, dass unter bestimmten Umständen Solvay im Namen von ICI geliefert habe und dass es häufige Kontakte zwischen den beiden Unternehmen gegeben habe;
– die Entscheidung 91/298/EWG in einem Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/33.133 – B: Soda – Solvay und CFK) (ABl. 1991, L 152, S. 16), mit der sie Solvay und CFK vorwarf, eine Preisabsprache getroffen zu haben, für die CFK als Gegenleistung eine jährlich überprüfte Mindestabsatzmengengarantie erhalten habe;
– die Entscheidung 91/299/EWG in einem Verfahren nach Artikel [82 EG] (IV/33.133 – C: Soda – Solvay) (ABl. 1991, L 152, S. 21), mit der sie Solvay vorwarf, ihre beherrschende Stellung missbraucht zu haben, indem sie Systeme von Treuerabatten, Rückvergütungen und Preisabschlägen für Spitzenmengen angewandt habe, mit denen die Bindung der Kunden für ihren gesamten Bedarf und der Ausschluss der Wettbewerber bezweckt worden seien;
– die Entscheidung 91/300/EWG in einem Verfahren nach Artikel [82 EG] (IV/33.133 – D: Soda – ICI) (ABl. 1991, L 152, S. 40), mit der sie ICI ein ähnliches Verhalten vorwarf.
13 Diese vier Entscheidungen wurden beim Gericht angefochten. Solvay beantragte die Nichtigerklärung der Entscheidungen 91/297 (Rechtssache T‑30/91), 91/298 (Rechtssache T‑31/91) und 91/299 (Rechtssache T‑32/91). ICI beantragte die Nichtigerklärung der Entscheidungen 91/297 (Rechtssache T‑36/91) und 91/300 (Rechtssache T‑37/91). CFK dagegen zahlte die Geldbuße, die ihr mit der Entscheidung 91/298 auferlegt worden war.
14 Dazu ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht am 27. Februar 1992 eine Entscheidung der Kommission über ein Kartell von Polyvinylchlorid (PVC) herstellenden Unternehmen mangels ordnungsgemäßer Feststellung der Entscheidung für inexistent erklärte (Urteil vom 27. Februar 1992, BASF u. a./Kommission, T‑79/89, T‑84/89, T‑85/89, T‑86/89, T‑89/89, T‑91/89, T‑92/89, T‑94/89, T‑96/89, T‑98/89, T‑102/89 und T‑104/89, Slg. 1992, II‑315). Solvay reichte in den in Randnr. 13 des vorliegenden Urteils genannten Rechtssachen, in denen sie Klägerin war, „klageerweiternde Schriftsätze“ ein, in denen sie einen neuen Klagegrund geltend machte, mit dem sie unter Verweis auf zwei Zeitungsartikel, nach denen die Kommission eingeräumt hatte, seit 25 Jahren keine Entscheidung ausgefertigt zu haben, die Feststellung begehrte, dass die Entscheidung, deren Nichtigerklärung sie ursprünglich beantragt hatte, inexistent sei.
15 Nachdem der Gerichtshof mit Urteil vom 15. Juni 1994, Kommission/BASF u. a. (C‑137/92 P, Slg. 1994, I‑2555), über das Rechtsmittel gegen dieses Urteil des Gerichts entschieden hatte, erließ das Gericht weitere prozessleitende Maßnahmen in der vorliegenden Sache, wobei es insbesondere die Kommission aufforderte, u. a. den Text der von der Rechtsmittelführerin angefochtenen Entscheidung in der seinerzeit festgestellten Fassung vorzulegen. Die Kommission erklärte daraufhin, dass sie es für angezeigt halte, in die Prüfung der Begründetheit dieses Klagegrundes nicht einzutreten, solange das Gericht nicht über seine Zulässigkeit entschieden habe. Da das Gericht der Kommission dennoch mit Beschluss vom 25. Oktober 1994 aufgab, den genannten Text vorzulegen, fügte sich die Kommission und legte den Text dieser Entscheidung vor. In der Sitzung vom 6. und 7. Dezember 1994 verhandelten die Parteien mündlich und beantworteten Fragen des Gerichts.
16 Am 29. Juni 1995 verkündete das Gericht fünf Urteile.
17 Die Entscheidung 91/297 wurde mit den Urteilen vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission (T‑30/91, Slg. 1995, II‑1775) und ICI/Kommission (T‑36/91, Slg. 1995, II‑1847), wegen Verletzung der Verteidigungsrechte für nichtig erklärt, weil die Kommission im Verwaltungsverfahren keinen ausreichenden Zugang zu den Unterlagen insbesondere zu den Unterlagen, die der Verteidigung hätten dienlich sein können, gewährt hatte. Gegen die Möglichkeit einer Heilung des Mangels des Verwaltungsverfahrens im Gerichtsverfahren führte das Gericht insbesondere in Randnr. 98 des Urteils Solvay/Kommission Folgendes an: „Wenn die Klägerin im Verwaltungsverfahren sich auf möglicherweise entlastende Schriftstücke hätte berufen können, hätte sie … eventuell die Feststellungen des Kollegiums der Kommissionsmitglieder zumindest insoweit beeinflussen können, als es um den Beweiswert des ihr vorgeworfenen passiven und parallelen Verhaltens seit Beginn und somit für die Dauer der Zuwiderhandlung ging.“ Sowohl im Urteil Solvay/Kommission als auch im Urteil ICI/Kommission befand das Gericht, dass die Kommission zumindest ein Verzeichnis der von den anderen Unternehmen stammenden Unterlagen hätte übermitteln müssen, um eine Überprüfung ihres genauen Inhalts und ihres Nutzens für die Verteidigung zu ermöglichen.
18 Die Entscheidung 91/298 wurde, soweit sie Solvay betrifft, mit Urteil vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission (T‑31/91, Slg. 1995, II‑1821), für nichtig erklärt, weil diese Entscheidung der Kommission nicht ordnungsgemäß festgestellt worden war.
19 Die Entscheidung 91/299 wurde mit Urteil vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission (T‑32/91, Slg. 1995, II‑1825), aus demselben Grund für nichtig erklärt.
20 Zur Entscheidung 91/300 erging das Urteil vom 29. Juni 1995, ICI/Kommission (T‑37/91, Slg. 1995, II‑1901). Das Gericht wies die Gründe und Argumente zurück, die auf die Nichtübermittlung der von anderen Unternehmen stammenden Unterlagen gestützt waren, weil diese Unterlagen seiner Ansicht nach der Verteidigung der Klägerin nicht hätten dienlich sein können, sowie die Gründe und Argumente, mit denen die Nichtübermittlung eines Verzeichnisses der von der Klägerin selbst stammenden Unterlagen gerügt wurde. Es erklärte die angefochtene Entscheidung jedoch mangels ordnungsgemäßer Feststellung für nichtig.
21 Gegen die Urteile vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission (T‑31/91) und Solvay/Kommission (T‑32/91), legte die Kommission Rechtsmittel ein, über die im Urteil vom 6. April 2000, Kommission/Solvay (C‑287/95 P und C‑288/95 P, Slg. 2000, I‑2391), entschieden wurde. Auch gegen das Urteil vom 29. Juni 1995, ICI/Kommission (T‑37/91), wurde Rechtsmittel eingelegt, über das mit Urteil vom 6. April 2000, Kommission/ICI (C‑286/95 P, Slg. 2000, I‑2341), entschieden wurde. Diese Rechtsmittel wurden vom Gerichtshof mit den vorstehend genannten Urteilen Kommission/Solvay und Kommission/ICI zurückgewiesen.
22 In Bezug auf Solvay erließ die Kommission am 13. Dezember 2000 die folgenden zwei neuen Entscheidungen:
– Die streitige Entscheidung, die der Entscheidung 91/299 entspricht. Beide Entscheidungen sind im Wesentlichen gleichlautend. Die streitige Entscheidung enthält darüber hinaus eine Beschreibung des Verfahrens. Sie ist an Solvay gerichtet, gegen die die Kommission eine Geldbuße von 20 Mio. Euro verhängt.
– Die Entscheidung 2003/5/EG in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag (COMP/33.133 – B: Natriumkarbonat – Solvay, CFK) (ABl. 2003, L 10, S. 1), die der Entscheidung 91/298 entspricht, aber zusätzlich eine Beschreibung des Verfahrens enthält. Mit dieser Entscheidung verhängt die Kommission eine Geldbuße von 3 Mio. Euro gegen Solvay.
23 Solvay erhob Klage gegen diese Entscheidungen. Mit Urteil vom 17. Dezember 2009, Solvay/Kommission (T‑58/01, Slg. 2009, II‑4781), und dem angefochtenen Urteil hat das Gericht diese Klagen abgewiesen.
Verfahren vor dem Gericht
24 Da die Rechtsmittelführerin den Klagegrund eines mangelnden Aktenzugangs geltend machte, forderte das Gericht die Kommission am 19. Dezember 2003 auf, u. a. ein detailliertes Verzeichnis aller zur Akte gehörenden Schriftstücke vorzulegen. Die Kommission legte, nachdem sie eine Fristverlängerung beantragt hatte, ein erstes und dann ein zweites Verzeichnis vor. Solvay beantragte Einsicht in bestimmte Unterlagen. Im Zuge dieser Beweisaufnahme teilte die Kommission mit, bestimmte Akten verlegt zu haben und kein Verzeichnis der in ihnen enthaltenen Unterlagen erstellen zu können, da auch die Inhaltsverzeichnisse der betreffenden Ordner unauffindbar seien. Die Rechtsmittelführerin und die Kommission reichten am 15. Juli bzw. 17. November 2005 ihre schriftlichen Stellungnahmen zur Nützlichkeit der von Solvay eingesehenen Unterlagen für deren Verteidigung ein. Im Jahr 2008 wurden noch verschiedene Fragen an die Parteien gerichtet. Die mündliche Verhandlung fand am 26. Juni 2008 statt.
Angefochtenes Urteil
Vorbringen zur Begründung des Antrags auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung
25 Die Rechtsmittelführerin machte sechs Klagegründe geltend, die in Teile gegliedert waren, die verschiedene Argumente enthielten.
Erster Klagegrund: Zeitablauf
– Fehlerhafte Anwendung der Verjährungsvorschriften
26 Solvay machte geltend, die gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2988/74 des Rates vom 26. November 1974 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. L 319, S. 1) berechnete Verfolgungsverjährung ruhe während des Rechtsmittelverfahrens nicht. Die Kommission habe sofort nach Verkündung des Urteils vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission (T‑31/91), eine neue Entscheidung erlassen können. Die Kommission sei mit der Einlegung eines Rechtsmittels ein Risiko eingegangen, zumal ihr das Urteil Kommission/BASF u. a. bekannt gewesen sei, in dem sich der Gerichtshof zur Frage der fehlenden Feststellung von Handlungen geäußert habe.
27 Das Gericht hat in dem angefochtenen Urteil unter Berufung auf das zur zweiten PVC‑Entscheidung ergangene Urteil vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission (C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, Slg. 2002, I‑8375), die Auffassung vertreten, dass die Verjährungsfrist während der Dauer der Anhängigkeit des Rechtsmittels beim Gerichtshof ruhe (Randnrn. 96 bis 109). Es hat auf die praktischen Schwierigkeiten der von Solvay vertretenen Lösung hingewiesen, nämlich das etwaige Nebeneinanderbestehen zweier Entscheidungen falls der Gerichtshof dem Rechtsmittel der Kommission stattgegeben hätte.
– Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer
28 Das Gericht hat die einzelnen Verfahrensabschnitte und das Verfahren als Ganzes geprüft. Es hat auch festgestellt, dass die Verteidigungsrechte trotz der Verfahrensdauer nicht verletzt worden seien, da sich die streitige Entscheidung im Wesentlichen mit der Entscheidung 91/299 decke. In Randnr. 141 des angefochtenen Urteils hat es insbesondere darauf hingewiesen, dass die Rechtsmittelführerin ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Herabsetzung der Geldbuße als Entschädigung verzichtet und auch keinen Antrag auf Schadensersatz gestellt habe.
Zweiter Klagegrund: Verletzung wesentlicher Formvorschriften, die für den Erlass und die Feststellung der streitigen Entscheidung gelten
29 Das Gericht hat die ersten beiden Teile dieses Klagegrundes, die auf Verstöße gegen das Kollegialprinzip und gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit gestützt waren, zurückgewiesen. Zur Verletzung des Rechts der Rechtsmittelführerin auf eine neuerliche Anhörung hat das Gericht ausgeführt, dass die streitige Entscheidung im Wesentlichen gleichlautend mit der Entscheidung 91/299 sei und die Kommission deshalb die Rechtsmittelführerin nicht erneut habe anhören müssen (Randnr. 191 des angefochtenen Urteils). Außerdem hat das Gericht einen Teil dieses Klagegrundes zurückgewiesen, der darauf gestützt wurde, dass keine erneute Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen stattgefunden habe und der Ausschuss nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt gewesen sei.
30 In den Randnrn. 218 bis 230 des angefochtenen Urteils hat das Gericht einen Teil desselben Klagegrundes zurückgewiesen, mit dem gerügt wurde, dass in Besitz genommene Unterlagen unter Verstoß gegen die Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zur Anwendung der Artikel [81] und [82] des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204) verwendet worden seien. Solvay war der Ansicht, die Kommission habe die in Besitz genommenen Unterlagen nicht verwenden dürfen, um nach Art. 82 EG gegen sie vorzugehen, da die Nachprüfungsentscheidung vom 5. April 1989 nur einen Verstoß gegen Art. 81 EG betroffen habe. Das Gericht hat dazu ausgeführt, dass die Kommission in dieser Nachprüfungsentscheidung keine strenge Qualifizierung der Zuwiderhandlung habe vornehmen müssen und dass im gegebenen Fall ein Teil der in der Nachprüfungsentscheidung beanstandeten Fakten, nämlich die „Anwendung ausschließlicher Bezugsbindungen“, dieselben gewesen seien wie diejenigen, die im Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung zugrunde gelegt worden seien. Die Kommission habe deshalb den von der Nachprüfungsentscheidung gebildeten Rechtsrahmen nicht überschritten.
31 Ferner hat das Gericht einen Teil des zweiten Klagegrundes zurückgewiesen, der auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der Unparteilichkeit, der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Verhältnismäßigkeit gestützt war.
Dritter Klagegrund: fehlerhafte Definition des räumlich relevanten Marktes
32 Nach Prüfung dieses Klagegrundes ist das Gericht in Randnr. 256 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis gekommen, dass Solvay eine beherrschende Stellung unabhängig davon innegehabt habe, ob man den räumlich relevanten Markt als die Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands definiere oder als jeden einzelnen der Staaten, in denen ihr Zuwiderhandlungen gegen Art. 82 EG auf dem Sodamarkt vorgeworfen würden.
Vierter Klagegrund: Fehlen einer beherrschenden Stellung
33 In den Randnrn. 275 bis 279 des angefochtenen Urteils hat das Gericht an die Rechtsprechung zum Begriff der beherrschenden Stellung erinnert. Es hat die Marktanteile von Solvay festgestellt und in den Randnrn. 286 bis 304 ausgeführt, dass die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen nicht den Nachweis erbracht habe, dass außergewöhnliche Umstände vorlägen, die es rechtfertigten, die Feststellung in Frage zu stellen, dass sie auf dem relevanten Markt eine beherrschende Stellung eingenommen habe.
Fünfter Klagegrund: kein Missbrauch einer beherrschenden Stellung
34 Nach mehrfachen Klarstellungen in den Randnrn. 325, 327, 349, 368, 369, 376 und 388 des angefochtenen Urteils, dass Solvay die gegen sie geführten Beweise nicht bestreite, ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass in den zur Last gelegten Verhaltensweisen, d. h. den Rabatten für Spitzenmengen, den Treuerabatten, dem Gruppenrabatt für den Hauptkunden und den Ausschließlichkeitsvereinbarungen, der Missbrauch einer beherrschenden Stellung liege. Es hat insbesondere dargestellt, wie das System der Rabatte für Spitzenmengen zu diskriminierenden Praktiken führte.
Sechster Klagegrund: Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht
35 Das Gericht hat geprüft, ob der fehlende Zugang zu bestimmten Unterlagen während des Verwaltungsverfahrens die Rechtsmittelführerin daran hinderte, von Unterlagen, die ihrer Verteidigung hätten dienlich sein können, Kenntnis zu nehmen. Es hat dies verneint, nachdem es überprüft hat, ob die angesprochenen Unterlagen etwas an der Bestimmung des räumlich relevanten Marktes oder des betreffenden Produktmarktes und an der Schlussfolgerung, dass Solvay eine beherrschende Stellung innegehabt und missbraucht habe, ändern konnten. Das Gericht hat sodann den Teil geprüft, mit dem das Fehlen einer vollständigen Akteneinsicht gerügt wurde. Nachdem es versucht hatte, den Inhalt der von der Kommission verlegten Akten zu ermitteln, hat es festgestellt, dass die Solvay zur Last gelegten Verhaltensweisen durch die in den vorhandenen Akten enthaltenen Unterlagen bewiesen seien, und ist in Randnr. 479 des angefochtenen Urteils zu der Schlussfolgerung gelangt, dass „somit ausgeschlossen werden [kann], dass die Klägerin in den fehlenden ‚Teilakten‘ Schriftstücke hätte finden können, die für ihre Verteidigung … hätten nützlich sein können“.
Vorbringen zur Begründung des Antrags auf Aufhebung oder Herabsetzung der Geldbuße
36 Die Rechtsmittelführerin brachte fünf Klagegründe vor, mit denen eine fehlerhafte Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlungen, eine fehlerhafte Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlung, das Vorliegen mildernder Umstände, die Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße und der Zeitablauf geltend gemacht wurden.
37 In den Randnrn. 510 und 511 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, dass in einer Entscheidung in einem Verfahren nach Art. 82 EG der erschwerende Umstand des Wiederholungsfalls nicht mit bereits geahndeten Zuwiderhandlungen gegen Art. 81 EG begründet werden könne und dass sich außerdem die Zuwiderhandlungen, für die Solvay bereits bestraft worden sei, erheblich von den im gegebenen Fall in Rede stehenden unterschieden. Es hat deshalb die verhängte Geldbuße um 5 % herabgesetzt.
38 Auf den fünften Klagegrund hin hat das Gericht entschieden, dass eine Geldbuße auch nach einer gewissen Zeit noch Sanktionscharakter und abschreckende Wirkung habe.
39 Im Ergebnis hat das Gericht die Geldbuße auf 19 Mio. Euro festgesetzt. Es hat der Rechtsmittelführerin ihre eigenen Kosten sowie 95 % der Kosten der Kommission auferlegt und Letztere zur Tragung von 5 % ihrer eigenen Kosten verurteilt.
Zum Rechtsmittel
40 Die Rechtsmittelführerin führt neun Rechtsmittelgründe aus. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wird eine Verletzung des Rechts auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist gerügt. Der zweite Rechtsmittelgrund wird auf einen Verstoß gegen die Art. 14 und 20 der der Verordnung Nr. 17 gestützt. Mit dem dritten Rechtsmittelgrund wird eine Verletzung der Verteidigungsrechte beanstandet, die darin liege, dass die Kommission, nachdem sie der Rechtsmittelführerin im Verwaltungsverfahren den Aktenzugang verweigert habe, einen Teil der Akten verlegt habe. Mit dem vierten Rechtsmittelgrund wird eine Verletzung der Verteidigungsrechte in Bezug auf die bei der Kanzlei einsehbaren entlastenden Unterlagen geltend gemacht. Mit dem fünften Rechtsmittelgrund wird eine Verletzung des Rechts der Rechtsmittelführerin auf Anhörung vor Erlass der streitigen Entscheidung durch die Kommission gerügt. Der sechste Rechtsmittelgrund wird auf einen Verstoß gegen die Urteilsbegründungspflicht und gegen Art. 82 EG hinsichtlich der vom Gericht in dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Definition des räumlich relevanten Marktes gestützt. Mit dem siebten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen die Urteilsbegründungspflicht und gegen Art. 82 EG bei der Würdigung der beherrschenden Stellung in dem angefochtenen Urteil beanstandet. Mit dem achten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen die Urteilsbegründungspflicht und gegen Art. 82 EG in Bezug auf den Gruppenrabatt für Saint-Gobain geltend gemacht. Der neunte Rechtsmittelgrund wird auf einen Verstoß gegen die Urteilsbegründungspflicht und gegen Art. 82 EG hinsichtlich des Vorliegens eines Missbrauchs durch Diskriminierung gestützt.
41 Zunächst sind der dritte und der fünfte Rechtsmittelgrund, die beide auf die Verletzung der Verteidigungsrechte abstellen, zusammen zu prüfen.
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
42 Mit dem ersten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes beanstandet die Rechtsmittelführerin, das Gericht habe ihr, indem es von ihr den Nachweis verlangt habe, dass die verlegten Aktenstücke ihrer Verteidigung hätten dienlich sein können, eine unmöglich zu erfüllende Beweislast auferlegt, da die betreffenden Aktenstücke nicht hätten geprüft werden können.
43 Mit dem zweiten Teil dieses Rechtsmittelgrundes rügt sie, das Gericht habe den Grundsatz missachtet, nach dem den genannten Aktenstücken nur die – etwa auch nur geringe – Aussicht innegewohnt haben müsse, die streitige Entscheidung zu beeinflussen.
44 Mit dem dritten Teil desselben Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe sich nicht auf eine vorläufige Prüfung der Akten beschränkt, um zu überprüfen, ob die fehlenden Aktenstücke die streitige Entscheidung hätten beeinflussen können, sondern es habe zuerst in der Sache entschieden. Es habe nämlich in einem ersten Schritt befunden, dass die Sachgründe, auf die sie ihre Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung gestützt habe, zurückzuweisen seien, um in einem zweiten Schritt daraus zu schließen, dass die ihr nicht übermittelten Unterlagen diese Entscheidung nicht hätten beeinflussen können.
45 Den vierten Teil dieses Rechtsmittelgrundes stützt die Rechtsmittelführerin auf den Vorwurf, dass das Gericht in Randnr. 470 des angefochtenen Urteils mit der allein auf der Grundlage der Marktanteile getroffenen Feststellung, dass „nichts für die Annahme [spricht], dass [sie] in den fehlenden ‚Teilakten‘ Schriftstücke hätte finden können, die die Feststellung entkräftet hätten, dass sie … eine beherrschende Stellung besaß“, die Beweislast umgekehrt und die Unschuldsvermutung missachtet habe. Sie habe das Bestehen einer beherrschenden Stellung bestritten, und es sei nicht auszuschließen, dass sie ihr Vorbringen mit weiteren Unterlagen hätte untermauern können.
46 Mit dem fünften Teil des dritten Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe die Verteidigungsrechte verletzt, indem es in Randnr. 474 des angefochtenen Urteils zum Gruppenrabatt für Saint-Gobain ausgeführt habe, dass sie „hätte … dartun müssen, inwiefern andere Beweise den Inhalt des Geheimprotokolls hätten in Frage stellen oder zumindest in einem anderen Licht erscheinen lassen können“.
47 Mit dem sechsten Teil dieses Rechtsmittelgrundes bringt die Rechtsmittelführerin vor, das Gericht habe die Verteidigungsrechte dadurch verletzt, dass es in Randnr. 471 des angefochtenen Urteils der Auffassung gewesen sei, dass ein Irrtum der Kommission bei der Definition des räumlichen Marktes „das Ergebnis nicht entscheidend hätte beeinflussen können“, so dass sie in den von der Kommission verlegten Ordnern keine ihrer Verteidigung dienlichen Unterlagen hätte finden können.
48 Mit dem ersten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes beanstandet die Rechtsmittelführerin, das Gericht sei nicht auf ihr Vorbringen eingegangen, dass sie trotz des Urteils Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission vor Erlass der streitigen Entscheidung hätte gehört werden müssen, da dem Verwaltungsverfahren wegen des fehlenden Aktenzugangs in einem Stadium vor Erlass dieser Entscheidung Unregelmäßigkeiten angehaftet hätten, die die Gültigkeit der die Entscheidung vorbereitenden Maßnahmen berührten, und diese Unregelmäßigkeiten vom Gericht vor Erlass der streitigen Entscheidung im Urteil vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission (T‑30/91), auch festgestellt worden seien.
49 Mit dem zweiten Teil dieses Rechtsmittelgrundes rügt die Rechtsmittelführerin, das Gericht habe nicht anerkannt, dass die Kommission vor Erlass der streitigen Entscheidung das betroffene Unternehmen deshalb hätte anhören müssen, weil mit einem – wenn auch in einem anderen Verfahren ergangenen – Urteil des Gerichts ein Mangel festgestellt worden sei, der die Maßnahmen zur Vorbereitung der für nichtig erklärten Entscheidung beeinträchtigt habe. Die Rechtsmittelführerin verweist insoweit auf das Urteil vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission (T‑30/91), und betont, dass das Verfahren in der vorliegenden Sache unter den gleichen Mängeln leide wie denjenigen, die in der Sache, in der jenes Urteil ergangen sei, festgestellt worden seien. Nach Art. 233 EG hätte die Kommission alle Konsequenzen aus einem Urteil des Gerichts ziehen müssen. Selbst wenn das Gericht die Entscheidung 91/299 mangels Feststellung für nichtig erklärt habe, hätte die Kommission auch das Urteil vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission (T‑30/91), berücksichtigen müssen, das rechtskräftig eine weitere Verfahrensunregelmäßigkeit festgestellt habe. Die Kommission hätte somit diesen vom Gericht festgestellten Verfahrensmangel beheben müssen, um die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens herzustellen, und ihr somit den Aktenzugang ermöglichen und sie in die Lage versetzen müssen, alle schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen vor Erlass der streitigen Entscheidung vorzubringen.
50 Die Kommission hält die vorstehenden Rechtsmittelgründe und Argumente der Rechtsmittelführerin für unzulässig und unbegründet.
Würdigung durch den Gerichtshof
51 Entgegen dem Vorbringen der Kommission beanstandet die Rechtsmittelführerin mit dem Rechtsmittelgrund einer Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht keine Tatsachenwürdigungen des Gerichts, sondern die Beweislastregeln, die dieses in Bezug auf die Frage der Nützlichkeit der zum Teil verlegten Unterlagen angewandt hat. Die Frage, ob das Gericht bei der Beurteilung der Nützlichkeit dieser Unterlagen für die Verteidigung der Rechtsmittelführerin ein zutreffendes rechtliches Kriterium angewandt hat, ist eine Rechtsfrage, die im Rahmen eines Rechtsmittels der Kontrolle durch den Gerichtshof unterliegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Januar 2007, Sumitomo Metal Industries und Nippon Steel/Kommission, C‑403/04 P und C‑405/04 P, Slg. 2007, I‑729, Randnr. 40, und vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, Slg. 2008, I‑4951, Randnr. 117).
52 Die Verteidigungsrechte gehören als Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat (Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 64).
53 Die Wahrung der Verteidigungsrechte in einem Verfahren vor der Kommission, das die Verhängung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsvorschriften zum Gegenstand hat, verlangt, dass dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit gegeben wurde, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission angeführten Tatsachen und Umstände sowie zu den von ihr für ihre Behauptung einer Zuwiderhandlung gegen den Vertrag herangezogenen Schriftstücken sachdienlich Stellung zu nehmen (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, Randnr. 66). Auf diese Rechte wird in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a und b der Charta der Grundrechte der Europäischen Union abgestellt.
54 Wie das Gericht in Randnr. 405 des angefochtenen Urteils zu Recht ausgeführt hat, ist mit dem Recht auf Akteneinsicht verbunden, dass die Kommission dem betroffenen Unternehmen die Möglichkeit geben muss, alle Schriftstücke in der Ermittlungsakte zu prüfen, die möglicherweise für seine Verteidigung erheblich sind. Dazu gehören sowohl belastende als auch entlastende Schriftstücke mit Ausnahme von Geschäftsgeheimnissen anderer Unternehmen, internen Schriftstücken der Kommission und anderen vertraulichen Informationen (Urteile Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Randnr. 315, und Aalborg Portland u. a./Kommission, Randnr. 68).
55 Die Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht im Verfahren vor dem Erlass einer Entscheidung kann grundsätzlich deren Nichtigerklärung nach sich ziehen, wenn die Verteidigungsrechte beeinträchtigt worden sind (Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Randnr. 317).
56 In einem solchen Fall wird die eingetretene Verletzung nicht durch den bloßen Umstand geheilt, dass die Einsicht im Gerichtsverfahren ermöglicht worden ist (Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Randnr. 318). Da sich nämlich die Prüfung durch das Gericht auf eine gerichtliche Kontrolle der geltend gemachten Klagegründe beschränkt, wird mit ihr ein Ersatz für die umfassende Sachverhaltsermittlung im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens weder bezweckt noch bewirkt. Außerdem versetzt die verspätete Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken das Unternehmen, das Klage gegen eine Entscheidung der Kommission erhoben hat, nicht in die Lage, in der es sich befunden hätte, wenn es sich bei der Abgabe seiner schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen gegenüber der Kommission auf diese Schriftstücke hätte berufen können (vgl. Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, Randnr. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung).
57 Wird die Akteneinsicht und insbesondere die Einsicht in entlastende Unterlagen im Stadium des Gerichtsverfahrens gewährt, so braucht das betroffene Unternehmen nicht zu beweisen, dass die Entscheidung der Kommission, wenn es Einsicht in die nicht übermittelten Unterlagen gehabt hätte, anders ausgefallen wäre, sondern nur, dass die fraglichen Unterlagen seiner Verteidigung hätten dienlich sein können (Urteile vom 2. Oktober 2003, Corus UK/Kommission, C‑199/99 P, Slg. 2003, I‑11177, Randnr. 128, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Randnr. 318, und Aalborg Portland u. a./Kommission, Randnr. 131).
58 Obwohl das Gericht diese Grundsätze zutreffend ausgeführt hat, hat es in Randnr. 481 des angefochtenen Urteils doch befunden, dass „[s]elbst wenn die Klägerin nicht alle Schriftstücke, die sich in der Ermittlungsakte befanden, einsehen konnte, … dieser Umstand sie im vorliegenden Fall nicht daran gehindert [hat], ihre Verteidigung in Bezug auf die Sachrügen, die die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und in der [streitigen] Entscheidung herangezogen hat, sicherzustellen“.
59 Das Gericht ist zu diesem Ergebnis gelangt, nachdem es vorab die in der streitigen Entscheidung zugrunde gelegten Beschwerdepunkte und die dafür vorgelegten Sachbeweise geprüft hat. Eine solche Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden, da die Nützlichkeit sonstiger Unterlagen für die Verteidigung im Licht dieser Anhaltspunkte zu beurteilen ist.
60 Das Gericht hat jedoch sein Ergebnis insbesondere darauf gestützt, dass erstens „besonders hohe Marktanteile als solche – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung [erbringen]“ und die Rechtsmittelführerin, wenn man das Vorliegen solcher Umstände annehme, sie sehr wohl habe kennen müssen (Randnr. 470 des angefochtenen Urteils), dass zweitens „ein eventueller … Irrtum der Kommission [bei der Definition des räumlichen Marktes] das Ergebnis nicht entscheidend hätte beeinflussen können“ (Randnr. 471 des angefochtenen Urteils) und dass drittens „die Klägerin [hätte] dartun müssen, inwiefern andere Beweise den Inhalt des Geheimprotokolls hätten in Frage stellen oder zumindest in einem anderen Licht erscheinen lassen können“ (Randnr. 474 des angefochtenen Urteils).
61 Diese Ausführungen verkennen die Konsequenzen, die im vorliegenden Fall aus dem Verlust der Akten für die Rechte der Rechtsmittelführerin zu ziehen sind. Mit dieser Argumentation stützt sich das Gericht nämlich auf Hypothesen in Bezug nicht nur auf den Inhalt der verlegten Akten, sondern auch auf die Kenntnis, die die Rechtsmittelführerin davon hätte haben müssen. Insbesondere erklärt das Gericht, wie die Generalanwältin in Nr. 202 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, nicht, weshalb die Rechtsmittelführerin von sich aus Kenntnis von etwaigen außergewöhnlichen Umständen hätte haben sollen, die dazu hätten beitragen können, die aus den Marktanteilwerten abgeleitete Vermutung des Bestehens einer beherrschenden Stellung zu widerlegen.
62 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die fehlenden Teilakten nach Angaben der Kommission wahrscheinlich die Antworten auf die Auskunftsersuchen nach Art. 11 der Verordnung Nr. 17 enthielten. Daher ist nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsmittelführerin darin von anderen Unternehmen stammende Anhaltspunkte hätte finden können, die es ihr erlaubt hätten, die Fakten anders zu interpretieren als die Kommission, was ihrer Verteidigung hätte dienlich sein können.
63 Da die Rechtsmittelführerin keinen Zugang zu diesen Unterlagen hatte und deren Inhalt weder bestimmt noch bestimmbar war, hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen, als es in Randnr. 474 des angefochtenen Urteils von einer Obliegenheit der Rechtsmittelführerin ausgegangen ist, die Argumente auszuführen, die sie hätte vorbringen können, wenn sie über diese Unterlagen verfügt hätte, die sie jedoch tatsächlich nicht kennen konnte.
64 Zu betonen ist, dass es hier nicht um einige fehlende Unterlagen geht, deren Inhalt ausgehend von anderen Quellen hätte rekonstruiert werden können, sondern um ganze Teilakten, die, wenn die in Randnr. 62 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Vermutungen der Kommission zuträfen, wesentliche Aktenstücke des Verfahrens vor der Kommission hätten enthalten können und möglicherweise für die Verteidigung der Rechtsmittelführerin erheblich gewesen wären.
65 Somit hat das Gericht mit der Schlussfolgerung in Randnr. 481 des angefochtenen Urteils, dass die Rechtsmittelführerin dadurch, dass sie nicht alle Schriftstücke in der Ermittlungsakte habe einsehen können, nicht daran gehindert gewesen sei, ihre Verteidigung sicherzustellen, einen Rechtsfehler begangen, was die Verletzung der Verteidigungsrechte durch die Kommission betrifft, gegen die Beweislastgrundsätze verstoßen und sich in Bezug auf den Inhalt der fehlenden Unterlagen auf Hypothesen gestützt, die es selbst nicht überprüfen konnte.
66 Was die von der Rechtsmittelführerin mit ihrem fünften Rechtsmittelgrund angesprochene Anhörung des betroffenen Unternehmens vor Erlass der streitigen Entscheidung anbelangt, ist festzustellen, dass eine solche Anhörung zu den Verteidigungsrechten gehört. Ob eine Verletzung der Verteidigungsrechte vorliegt, ist anhand der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu prüfen.
67 In Randnr. 184 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Kommission, wenn sie nach der Nichtigerklärung einer Entscheidung, mit der Sanktionen gegen Unternehmen verhängt wurden, die gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen haben, wegen eines Verfahrensfehlers, der ausschließlich die Modalitäten der endgültigen Annahme der Entscheidung durch das Kollegium der Mitglieder der Kommission betrifft, eine neue Entscheidung mit einem im Wesentlichen identischen Inhalt und aufgrund der gleichen Beschwerdepunkte erlässt, keine erneute Anhörung der betroffenen Unternehmen durchführen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Randnrn. 83 bis 111).
68 Im vorliegenden Fall kann jedoch die Frage der Anhörung der Rechtsmittelführerin nicht von der Akteneinsicht losgelöst werden. Zwar hat nämlich die streitige Entscheidung einen im Wesentlichen identischen Inhalt und ist auf die gleichen Beschwerdepunkte gestützt wie die erste Entscheidung, die vom Gericht wegen eines Verfahrensmangels im letzten Stadium des Verfahrens, nämlich der fehlenden ordnungsgemäßen Feststellung durch das Kollegium der Mitglieder der Kommission, für nichtig erklärt wurde, doch haftete auch dem Erlass jener ersten Entscheidung ein Mangel an, der ein früheres Verfahrensstadium betrifft als der soeben genannte Mangel. Wie sich nämlich aus Randnr. 17 des vorliegenden Urteils ergibt, steht fest, dass die Kommission der Rechtsmittelführerin in dem Verwaltungsverfahren, das zum Erlass jener ersten Entscheidung führte, nicht alle in den Kommissionsakten enthaltenen Unterlagen und insbesondere nicht die entlastenden Unterlagen übermittelte.
69 Wie aber in Randnr. 17 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, hat das Gericht in den Urteilen vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission (T‑30/91) und ICI/Kommission (T‑36/91), zu der in Randnr. 12 des vorliegenden Urteils angeführten Entscheidung 91/297, die mit der streitigen Entscheidung zusammenhängt und Gegenstand der gleichen Mitteilung der Beschwerdepunkte war, festgestellt, dass jenes Verwaltungsverfahren mit dem Mangel einer Verletzung der Verteidigungsrechte behaftet war, weil die Kommission dem betroffenen Unternehmen keinen ausreichenden Zugang zu den Unterlagen, insbesondere zu den Unterlagen, die seiner Verteidigung hätten dienlich sein können, gewährt hatte. Das Gericht hat deshalb die betreffenden Entscheidungen für nichtig erklärt und dazu u. a. ausgeführt, dass zum einen in Wettbewerbssachen die Akteneinsicht zu den Verfahrensgarantien gehört, die die Rechte der Verteidigung schützen sollen, und zum anderen ein genaues Verzeichnis der Unterlagen, aus denen die Akte besteht, erstellt werden muss, damit das betroffene Unternehmen die Zweckmäßigkeit eines Antrags auf Einsicht in bestimmte, möglicherweise seiner Verteidigung dienliche Schriftstücke beurteilen kann (Urteile vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission, T‑30/91, Randnrn. 59 und 101, und ICI/Kommission, T‑36/91, Randnrn. 69 und 111).
70 Ungeachtet dessen und trotz einer die Bedeutung des Zugangs zu den Akten und insbesondere zu den entlastenden Unterlagen bekräftigenden Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. insbesondere Urteil vom 8. Juli 1999, Hercules Chemicals/Kommission, C‑51/92 P, Slg. 1999, I‑4235) hat die Kommission eine gleiche Entscheidung wie die mangels ordnungsgemäßer Feststellung für nichtig erklärte Entscheidung erlassen, ohne ein neues Verwaltungsverfahren zu eröffnen, in dessen Rahmen sie die Rechtsmittelführerin nach gewährter Akteneinsicht angehört hätte.
71 Daraus folgt, dass das Gericht, indem es die besonderen Umstände der Sache nicht berücksichtigt hat und indem es sich insbesondere darauf gestützt hat, dass die erste Entscheidung mangels ordnungsgemäßer Feststellung für nichtig erklärt worden sei und die zweite Entscheidung die gleichen Beschwerdepunkte enthalte, zu Unrecht befunden hat, dass eine Anhörung der Rechtsmittelführerin nicht erforderlich gewesen sei. Es hat so einen Rechtsfehler begangen, als es entschieden hat, dass die Kommission dadurch, dass sie die Rechtsmittelführerin vor Erlass der streitigen Entscheidung nicht angehört habe, die Verteidigungsrechte nicht verletzt habe.
72 Demzufolge sind der dritte und der fünfte Rechtsmittelgrund begründet, und das angefochtene Urteil ist aufzuheben, da das Gericht die streitige Entscheidung mit diesem Urteil nicht wegen Verletzung der Verteidigungsrechte für nichtig erklärt hat.
73 Da die Bejahung der Begründetheit des dritten und des fünften Rechtsmittelgrundes zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt, sind die weiteren Rechtsmittelgründe nicht zu prüfen.
Zur Klage gegen die streitige Entscheidung
74 Nach Art. 61 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hebt dieser, wenn das Rechtsmittel begründet ist, die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist. Dies ist hier der Fall.
75 Aus den Randnrn. 51 bis 72 des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass die Klage begründet ist und dass die streitige Entscheidung aufgrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte für nichtig zu erklären ist.
Kosten
76 Nach Art. 122 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er selbst den Rechtsstreit endgültig entscheidet. Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 118 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Rechtsmittelführerin außer ihren eigenen Kosten die gesamten Kosten der Rechtsmittelführerin in beiden Rechtszügen aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 17. Dezember 2009, Solvay/Kommission (T‑57/01), wird aufgehoben.
2. Die Entscheidung 2003/6/EG der Kommission vom 13. Dezember 2000 in einem Verfahren nach Artikel 82 EG-Vertrag (COMP/33.133 – C: Natriumkarbonat – Solvay) wird für nichtig erklärt.
3. Die Europäische Kommission trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Französisch.