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Document 62008CJ0393

Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 1. Juli 2010.
Emanuela Sbarigia gegen Azienda USL RM/A und andere.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunale amministrativo regionale per il Lazio - Italien.
Nationale Regelung der Öffnungszeiten von Apotheken - Befreiung - Entscheidungsgewalt der zuständigen Behörden.
Rechtssache C-393/08.

Sammlung der Rechtsprechung 2010 I-06337

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:388

Rechtssache C-393/08

Emanuela Sbarigia

gegen

Azienda USL RM/A u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale amministrativo regionale per il Lazio)

„Nationale Regelung der Öffnungszeiten von Apotheken – Befreiung – Entscheidungsgewalt der zuständigen Behörden“

Leitsätze des Urteils

1.        Vorabentscheidungsverfahren – Zulässigkeit – Grenzen

(Art. 234 EG)

2.        Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs

(Art. 234 EG)

3.        Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Verpflichtungen der Mitgliedstaaten

(Art. 10 EG, 81 EG und 82 EG)

1.        Es ist ausschließlich Sache der mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte, die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung zu übernehmen haben, im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls sowohl zu beurteilen, ob eine Vorabentscheidung erforderlich ist, damit sie ihr Urteil erlassen können, als auch, ob die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen erheblich sind. Daraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der das Unionsrecht betreffenden Fragen spricht. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof daher nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind

(vgl. Randnrn. 19-20)

2.        Wenn im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens der Rechtsstreit, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist, sämtliche Elemente in einem einzigen Mitgliedstaat liegen, kann eine Antwort diesem Gericht gleichwohl von Nutzen sein, insbesondere dann, wenn sein nationales Recht vorschreiben sollte, dass einem Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats die gleichen Rechte zustehen wie die, die einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Unionsrecht zustünden.

Der vorstehend genannte Fall betrifft die Rechte, die einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats kraft Unionsrecht zustehen könnten, wenn er sich in der gleichen Situation wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens befände, die eine Apotheke in einem besonderen Stadtteil betreibt und an die, gestützt auf eine nationale Regelung, eine Entscheidung der zuständigen nationalen Verwaltung über einen Antrag erging, der das in dieser Regelung festgelegte allgemeine System zur Regulierung der Öffnungszeiten und Betriebsferien von Apotheken keineswegs in Frage stellt, sondern mit dem als Ausnahme zu dieser allgemeinen Regelung lediglich eine Genehmigung dafür beantragt wurde, auf jegliche Schließungszeiten zu verzichten.

In Anbetracht der konkreten Umstände des Ausgangsverfahrens ist offensichtlich, dass die Auslegung von Art. 49 EG, um die das vorlegende Gericht in seiner Entscheidung ersucht, nicht entscheidungserheblich ist.

(vgl. Randnrn. 23-25)

3.        Die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften auf dem Gebiet des Wettbewerbs – insbesondere die Art. 81 EG bis 86 EG – kommen im Fall einer nationalen Regelung der möglichen Gewährung einer Ausnahme in Bezug auf die Öffnungszeiten einer in einem besonderen Stadtteil befindlichen Apotheke offensichtlich nicht zur Anwendung. Eine solche Regelung kann als solche oder durch ihre Anwendung nicht den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne der Art. 81 EG und 82 EG beeinträchtigen.

(vgl. Randnrn. 29, 32)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

1. Juli 2010(*)

„Nationale Regelung der Öffnungszeiten von Apotheken – Befreiung – Entscheidungsgewalt der zuständigen Behörden“

In der Rechtssache C‑393/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Italien) mit Entscheidung vom 21. Mai 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 10. September 2008, in dem Verfahren

Emanuela Sbarigia

gegen

Azienda USL RM/A,

Comune di Roma,

Assiprofar – Associazione Sindacale Proprietari Farmacia,

Ordine dei Farmacisti della Provincia di Roma

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter E. Levits (Berichterstatter), A. Borg Barthet, J.‑J. Kasel und der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau Sbarigia, vertreten durch V. Cerulli Irelli und M. di Giandomenico, avvocati,

–        der Comune di Roma, vertreten durch R. Murra, avvocato,

–        der Assiprofar – Associazione Sindacale Proprietari Farmacia, vertreten durch M. Luciani und I. Perego, avvocati,

–        des Ordine dei Farmacisti della Provincia di Roma, vertreten durch S. Cicciotti, avvocato,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Russo, avvocato dello Stato,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch S. Spyropoulos, Z. Chatzipavlou und V. Karra als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. M. Wissels und D. J. M. de Grave als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer und T. Kröll als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Traversa und C. Cattabriga als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. März 2010

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 EG, 81 EG bis 86 EG, 152 EG und 153 EG.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Sbarigia, Inhaberin einer Apotheke, und der Azienda Unità Sanitaria Locale „Roma A“ (im Folgenden: ASL RM/A), der örtlich zuständigen Behörde der Comune di Roma (im Folgenden: Stadt Rom), über die Entscheidung der ASL RM/A, mit der diese die Anträge von Frau Sbarigia, ihr zu genehmigen, auf die vorgeschriebenen Schließungszeiten und insbesondere auf die jährliche Schließung im Sommer 2006 zu verzichten, zurückgewiesen hatte.

 Rechtlicher Rahmen

3        Die im Ausgangsverfahren anwendbare Regelung ist das Regionalgesetz Latium Nr. 26 vom 30. Juli 2002 über Öffnungszeiten, Bereitschaftszeiten und Betriebsferien öffentlicher Apotheken (Legge regionale del 30 luglio 2002, n. 26, Disciplina dell’orario, dei turni e delle ferie delle farmacie aperte al pubblico, Bollettino Ufficiale della Regione Lazio Nr. 23, Supplemento ordinario Nr. 5, vom 20. August 2002, GURI Nr. 24, Serie speciale Nr. 3, vom 14. Juni 2003, im Folgenden: Legge regionale Nr. 26/02).

4        In den Art. 2 bis 8 der Legge regionale Nr. 26/02 sind die Öffnungszeiten, die freiwilligen Bereitschaftsdienste, die wöchentlichen Ruhetage und die jährlichen Betriebsferien der Apotheken geregelt. Insbesondere sind höchstzulässige Öffnungszeiten, die Verpflichtung, die Apotheke sonntags und an einem halben Tag in der Woche sowie an Feiertagen geschlossen zu halten, und eine Mindestdauer für die jährlichen Betriebsferien vorgeschrieben.

5        Art. 10 der Legge regionale Nr. 26/02 bestimmt:

„(1)      Für die Stadt Rom erlässt jede Unità sanitariale locale [Lokale Gesundheitsbehörde] (im Folgenden: USL) im Einvernehmen mit den anderen betroffenen USL im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die nach diesem Gesetz vorgesehenen Bestimmungen.

(2)      Bei Apotheken in besonderen Gebieten einer Gemeinde können die wöchentlichen Öffnungszeiten, die Betriebsferien der Stadtapotheken und der halbe wöchentliche Ruhetag … durch Beschluss der örtlich zuständigen USL im Einvernehmen mit dem Bürgermeister der betreffenden Gemeinde, dem Ordine provinciale dei farmacisti [regionale Apothekerkammer] und den repräsentativen regionalen Gewerkschaftsorganisationen der öffentlichen und privaten Apotheken geändert werden.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

6        Frau Sbarigia ist Inhaberin einer Apotheke, die sich im sogenannten „Tridente“, einem Gebiet im historischen Zentrum Roms, befindet. Dieser Stadtteil, eine reine Fußgängerzone, liegt im touristischen Herzen dieser Stadt.

7        Aufgrund dieser besonderen Lage und der in den Monaten Juli und August erheblich höheren Kundenzahl beantragte die Klägerin des Ausgangsverfahrens am 31. Mai 2006 gemäß Art. 10 Abs. 2 der Legge regionale Nr. 26/02 bei der örtlich zuständigen ASL RM/A, sie von der Einhaltung der ihr auferlegten Betriebsferien für den Sommer 2006 zu befreien. Dieser Antrag wurde mit Entscheidung vom 22. Juni 2006 abgelehnt, gegen die Frau Sbarigia beim vorlegenden Gericht Klage erhoben hat.

8        Noch vor der Entscheidung über diese Klage stellte Frau Sbarigia am 18. Oktober 2006 einen zweiten, weiter gehenden Antrag mit dem Ziel, sie von der Verpflichtung zu befreien, jährliche Betriebsferien einzulegen und an Feiertagen zu schließen, und ihr zu gestatten, für alle Tage des Jahres längere als die bisher festgelegten wöchentlichen Öffnungszeiten vorzusehen. Frau Sbarigia machte in diesem Zusammenhang geltend, dass am 8. September 2006 einer anderen, in der Nähe des Bahnhofs Termini gelegenen Apotheke, die den gleichen speziellen Kundenkreis wie ihre eigene Apotheke habe, eine ähnliche Genehmigung gewährt worden sei.

9        Die ASL RM/A lehnte diesen zweiten Antrag mit Entscheidung Nr. 119945/P vom 22. März 2007 ebenfalls ab, gegen die Frau Sbarigia weitere Klagegründe geltend machte und deren Aussetzung sie beantragte.

10      Mit Beschluss vom 22. Juni 2007 gab das vorlegende Gericht dem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung vom 22. März 2007 statt und wies diese zur erneuten Prüfung an die ASL RM/A zurück.

11      Daraufhin erließ die ASL RM/A am 1. August 2007 die Entscheidung Nr. 40249, mit der sie den Antrag der Klägerin des Ausgangsverfahrens gemäß Art. 10 Abs. 2 der Legge regionale Nr. 26/02 nach abschlägiger Stellungnahme der Stadt Rom, des Ordine dei Farmacisti della Provincia di Roma (Apothekerkammer der Provinz Rom) und der Gewerkschaftsorganisationen Assiprofar – Associazione Sindacale Proprietari Farmacia (im Folgenden: Assiprofar) und Confservizi zurückwies.

12      Frau Sbarigia hat die letztgenannte Entscheidung angefochten, wobei sie im Rahmen des vor dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens neue Klagegründe geltend macht.

13      Nach Ansicht des Tribunale amministrativo regionale per il Lazio genügt es nicht, den Apothekendienst als öffentliche Dienstleistung zum Schutz der Gesundheit der Kunden zu bezeichnen, um damit die zwingenden Regelungen der Modalitäten der Apothekenöffnungszeiten zu rechtfertigen. Eine Liberalisierung der Öffnungszeiten aller Apotheken – wie es im Übrigen die italienische Autorità garante della concorrenza e del mercato (Aufsichtsbehörde für Markt und Wettbewerb) in einem am 1. Februar 2007 veröffentlichten Bericht empfehle – hätte generell ein erweitertes Angebot im Interesse der Kunden zur Folge (wobei die Apothekendienstpläne für eine ausgewogene geografische Verteilung der Apotheken sorgten).

14      Die Vorschriften der Legge regionale Nr. 26/02 seien außerdem offenbar zu weitgehend und nicht gerechtfertigt. Das öffentliche Interesse und die Bedürfnisse im Zusammenhang mit dem Apothekendienst könnten nämlich ohne Zweifel besser durch Maßnahmen zur Liberalisierung der Öffnungsmodalitäten der Apotheken geschützt werden, die den Ausbau des Wettbewerbs förderten.

15      Deshalb wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob die streitigen Beschränkungen mit den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet des freien Wettbewerbs der Unternehmen auf der einen und den Maßnahmen der Europäischen Union zur Verbesserung und zum Schutz der Gesundheit auf der anderen Seite vereinbar sind. Insbesondere verhindert der derzeit in der Region Latium bestehende rechtliche Rahmen für die Organisation des Apothekendienstes nach Ansicht des Gerichts eine wirksame Förderung des Schutzes der öffentlichen Gesundheit.

16      Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist es mit den u. a. in den Art. 49 EG und 81 EG bis 86 EG enthaltenen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts zum Schutz des freien Wettbewerbs und der Dienstleistungsfreiheit vereinbar, wenn die Legge regionale Lazio Nr. 26/02 den Apotheken verbietet, auf die jährlichen Betriebsferien zu verzichten, ihnen Beschränkungen für die Öffnungszeiten auferlegt und für die Apotheken der Stadt Rom die Gewährung einer Ausnahme von diesen Beschränkungen (Art. 10 Abs. 2) von der Voraussetzung abhängig macht, dass die Verwaltung in Ausübung ihres Ermessens (im Einvernehmen mit den im selben Artikel näher bestimmten Einrichtungen und Verbänden) feststellt, dass das Kriterium der Besonderheit des Gebiets der Gemeinde erfüllt ist?

2.      Sind die Beschränkungen, die die Legge regionale Lazio Nr. 26/02 zum Gesundheitsschutz für die Ausübung des öffentlichen Apothekendienstes hinsichtlich der Modalitäten der täglichen, wöchentlichen und jährlichen Öffnungszeiten vorsieht, mit den Art. 152 EG und 153 EG vereinbar?

 Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

17      Die italienische und die griechische Regierung vertreten in ihren schriftlichen Erklärungen die Auffassung, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen unzulässig sei. In der mündlichen Verhandlung haben sich die Assiprofar und stillschweigend der Ordine dei Farmacisti della Provincia di Roma dieser Ansicht angeschlossen.

18      Die italienische Regierung macht insbesondere geltend, das vorlegende Gericht habe keine Angaben zu der Sach‑ und Rechtslage gemacht, die es dazu veranlasst habe, die Frage der Vereinbarkeit der einschlägigen nationalen Vorschrift mit den von ihm genannten Bestimmungen des EG-Vertrags aufzuwerfen. Die griechische Regierung, Assiprofar und der Ordine dei Farmacisti della Provincia di Roma wiederum tragen vor, dass es den Vorlagefragen in Ermangelung eines grenzüberschreitenden Bezugs an jeder Verbindung zum Recht der Union fehle.

19      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es ausschließlich Sache der mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte ist, die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung zu übernehmen haben, im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls sowohl zu beurteilen, ob eine Vorabentscheidung erforderlich ist, damit sie ihr Urteil erlassen können, als auch, ob die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen erheblich sind. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (vgl. Urteil vom 10. März 2009, Hartlauer, C‑169/07, Slg. 2009, I‑1721, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Daraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der das Unionsrecht betreffenden Fragen spricht. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof daher nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Dezember 2006, Cipolla u. a., C‑94/04 und C‑202/04, Slg. 2006, I‑11421, Randnr. 25, sowie vom 7. Juni 2007, van der Weerd u. a., C‑222/05 bis C‑225/05, Slg. 2007, I‑4233, Randnr. 22).

21      Zu der von der italienischen Regierung erhobenen Einrede der Unzulässigkeit ist festzustellen, dass die Entscheidung des vorlegenden Gerichts den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits hinreichend beschreibt und dass die Angaben des vorlegenden Gerichts es ermöglichen, die Reichweite der Vorlagefragen zu bestimmen. Die genannte Entscheidung hat somit den Beteiligten eine tatsächliche Möglichkeit eröffnet, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs Erklärungen einzureichen, was im Übrigen der Inhalt der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen belegt.

22      Dieser Einrede kann daher nicht stattgegeben werden.

23      Zu dem Vorbringen der Assiprofar, des Ordine dei Farmacisti della Provincia di Roma und der griechischen Regierung, dass sämtliche Elemente des Ausgangsrechtsstreits innerhalb eines einzigen Mitgliedstaats lägen, ist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu verweisen, wonach dessen Antwort dem vorlegenden Gericht auch unter derartigen Umständen von Nutzen sein kann, insbesondere dann, wenn sein nationales Recht vorschreiben sollte, dass einem inländischen Staatsangehörigen die gleichen Rechte zustehen wie die, die einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Unionsrecht zustünden (vgl. u. a. Urteile vom 30. März 2006, Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti, C‑451/03, Slg. 2006, I‑2941, Randnr. 29, Cipolla u. a., Randnr. 30, sowie vom 1. Juni 2010, Blanco Pérez und Chao Gómez, C‑570/07 und C‑571/07, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 36).

24      Der in der zuvor erwähnten Rechtsprechung angesprochene Fall betrifft im Rahmen des Ausgangsverfahrens die Rechte, die einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats kraft Unionsrecht zustehen könnten, wenn er sich in der gleichen Situation wie Frau Sbarigia befände, die eine Apotheke in einem besonderen Gebiet der Stadt Rom betreibt und an die, gestützt auf Art. 10 Abs. 2 der Legge regionale Nr. 26/02, eine Entscheidung der zuständigen nationalen Verwaltung über einen Antrag erging, der das in diesem Gesetz festgelegte allgemeine System zur Regulierung der Öffnungszeiten und Betriebsferien von Apotheken keineswegs in Frage stellt, sondern mit dem als Ausnahme zu dieser allgemeinen Regelung lediglich eine Genehmigung dafür beantragt wurde, auf jegliche Schließungszeiten zu verzichten.

25      In Anbetracht der konkreten Umstände des Ausgangsverfahrens ist offensichtlich, dass die Auslegung von Art. 49 EG, um die das vorlegende Gericht in seiner Entscheidung ersucht, nicht entscheidungserheblich ist.

26      Wie der Generalanwalt nämlich in den Nrn. 72 und 73 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, fällt nach ständiger Rechtsprechung ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der in beständiger und kontinuierlicher Weise eine Berufstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, unter die Vorschriften des Kapitels über das Niederlassungsrecht und nicht unter die des Kapitels über die Dienstleistungen (vgl. u. a. Urteile vom 21. Juni 1974, Reyners, C‑2/74, Slg. 1974, 631, Randnr. 21, und vom 30. November 1995, Gebhard, C‑55/94, Slg. 1995, I‑4165, Randnr. 28).

27      Was nun die Niederlassungsfreiheit angeht, hat das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio den Gerichtshof zwar nicht ausdrücklich um eine Auslegung von Art. 43 EG gebeten, aber es ist auch offensichtlich, dass die Auslegung dieses Artikels für den Rechtsstreit, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist, ebenfalls nicht entscheidungserheblich ist.

28      Die in Rede stehende Apotheke ist nämlich, wie bereits in Randnr. 23 dieses Urteils festgestellt worden ist, ein in der Fußgängerzone der Innenstadt Roms etablierter Betrieb, dessen Inhaberin, selbst wenn sie Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats wäre, bereits in kontinuierlicher Weise eine Berufstätigkeit ausübt. Daher steht die Ausübung der in Art. 43 EG verankerten Niederlassungsfreiheit im Ausgangsverfahren offensichtlich nicht in Frage.

29      Somit ergibt sich, dass die anderen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften auf dem Gebiet des Wettbewerbs – insbesondere die Art. 81 EG bis 86 EG –, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens ebenfalls offensichtlich nicht zur Anwendung kommen.

30      Erstens ist nämlich festzustellen, dass die Art. 83 EG bis 85 EG im Rahmen des Rechtsstreits, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist, keine Rolle spielen, weil es sich entweder um reine Verfahrensvorschriften (Art. 83 EG und 85 EG) oder um Übergangsbestimmungen (Art. 84 EG) handelt.

31      Zweitens betreffen die Art. 81 EG und 82 EG zwar nur das Verhalten von Unternehmen und nicht als Gesetz oder Verordnung ergangene Maßnahmen der Mitgliedstaaten; in Verbindung mit Art. 10 EG, der eine Pflicht zur Zusammenarbeit begründet, verbieten sie es jedoch den Mitgliedstaaten, Maßnahmen, auch in Form von Gesetzen oder Verordnungen, zu treffen oder beizubehalten, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnten (vgl. Urteil Cipolla u. a., Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      In diesem Zusammenhang ist es jedoch offensichtlich, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung der möglichen Gewährung einer Ausnahme in Bezug auf die Öffnungszeiten einer in einem besonderen Gebiet der Stadt Rom befindlichen Apotheke als solche oder durch deren Anwendung nicht den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne der Art. 81 EG und 82 EG beeinträchtigen kann (vgl. im Umkehrschluss Urteile vom 17. Oktober 1972, Vereniging van Cementhandelaren/Kommission, 8/72, Slg. 1972, 977, Randnr. 29, vom 10. Dezember 1991, Merci convenzionali porto di Genova, C‑179/90, Slg. 1991, I‑5889, Randnrn. 14 und 15, sowie vom 19. Februar 2002, Arduino, C‑35/99, Slg. 2002, I‑1529, Randnr. 33).

33      Demzufolge ist festzustellen, dass die erste Frage des vorlegenden Gerichts, soweit sie die Art. 81 EG und 82 EG betrifft, unzulässig ist.

34      Drittens folgt aus der Tatsache, dass die genannten Wettbewerbsvorschriften des Unionsrechts im Ausgangsverfahren nicht zur Anwendung kommen, dass Art. 86 EG ebenfalls nicht zur Anwendung kommt.

35      Zu Art. 28 EG, der von einigen der Verfahrensbeteiligten erwähnt worden ist, die beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht haben, ist der Vollständigkeit halber festzustellen, dass aus den in Randnr. 32 dieses Urteils genannten Gründen eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten und insofern die Möglichkeit eines Verstoßes gegen den freien Warenverkehr ebenfalls von vornherein ausgeschlossen ist.

36      Daraus folgt also, dass die Auslegung von Art. 28 EG für die Beilegung des Rechtsstreits, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist, nicht erheblich ist.

37      Hinsichtlich der Art. 152 EG und 153 EG schließlich, die das vorlegende Gericht in seiner zweiten Frage erwähnt, genügt die Feststellung, dass diese Artikel – wie der Generalanwalt in den Nrn. 48 bis 51 seiner Schlussanträge und nahezu alle Verfahrensbeteiligten, die im vorliegenden Verfahren schriftliche Erklärungen eingereicht haben, hervorheben – an die Organe der Union und an die Mitgliedstaaten gerichtet sind und offensichtlich nicht geltend gemacht werden können, um die Vereinbarkeit nationaler Bestimmungen mit dem Unionsrecht prüfen zu lassen.

38      Nach alledem ist das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen als unzulässig anzusehen.

 Kosten

39      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Das mit Entscheidung vom 21. Mai 2008 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale amministrativo regionale per il Lazio ist unzulässig.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.

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