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Document 61994CJ0144

Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 26. Oktober 1995.
Ufficio IVA di Trapani gegen Italittica SpA.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Commissione tributaria centrale - Italien.
Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Auslegung des Artikels 10 Absatz 2 - Eintritt des Steueranspruchs - Umfang der Abweichungsbefugnis der Mitgliedstaaten.
Rechtssache C-144/94.

Sammlung der Rechtsprechung 1995 I-03653

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1995:355

61994J0144

URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 26. OKTOBER 1995. - UFFICIO IVA DI TRAPANI GEGEN ITALITTICA SPA. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COMMISSIONE TRIBUTARIA CENTRALE - ITALIEN. - SECHSTE MEHRWERTSTEUERRICHTLINIE - AUSLEGUNG DES ARTIKELS 10 ABSATZ 2 - EINTRITT DES STEUERANSPRUCHS - UMFANG DER ABWEICHUNGSBEFUGNIS DER MITGLIEDSTAATEN. - RECHTSSACHE C-144/94.

Sammlung der Rechtsprechung 1995 Seite I-03653


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

Steuerrecht ° Harmonisierung ° Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ° Steuertatbestand und Steueranspruch ° Befugnis der Mitgliedstaaten, für bestimmte Umsätze den Eintritt des Steueranspruchs zu verschieben ° Umfang

(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 10 Absatz 2)

Leitsätze


Artikel 10 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern bestimmt: "Der Steuertatbestand und der Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird." Nach Unterabsatz 3 können die Mitgliedstaaten abweichend von dieser Regel den Zeitpunkt der Entstehung des Steueranspruchs so verschieben, daß er "für bestimmte Umsätze oder für Gruppen von Steuerpflichtigen ... entsteht:

° entweder spätestens bei der Ausstellung der Rechnung oder des an deren Stelle tretenden Dokuments

° oder spätestens bei der Vereinnahmung des Preises

° oder im Falle der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung oder des an deren Stelle tretenden Dokuments, binnen einer bestimmten Frist nach dem Zeitpunkt des Eintretens des Steuertatbestands".

Diese Bestimmung erlaubt den Mitgliedstaaten, als Zeitpunkt der Entstehung des Steueranspruchs für alle Dienstleistungen die Vereinnahmung des Preises festzusetzen.

Ein Mitgliedstaat, der von dieser Abweichungsbefugnis Gebrauch macht, ist weder verpflichtet, "eine bestimmte Frist vom Zeitpunkt der Verwirklichung des Steuertatbestands an festzulegen", binnen deren die Rechnung oder das an ihre Stelle tretende Dokument ausgestellt sein muß, selbst wenn der Preis noch nicht bezahlt ist, noch verpflichtet, Bestimmungen für die Erstellung von Dokumenten oder Aufstellungen über die Erbringung von Dienstleistungen und das geschuldete Entgelt zu erlassen, wenn die Rechnung oder das an ihre Stelle tretende Dokument nicht ausgestellt oder der Preis nicht vereinnahmt wird.

Entscheidungsgründe


1 Die Commissione tributaria centrale hat mit Beschluß vom 24. März 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Mai 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 10 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Firma Italittica (Klägerin) und dem Ufficio IVA di Trapani (Mehrwertsteueramt).

3 Die Klägerin, die Fischzucht betreibt, schloß mit der Sangiovanni Industrie Riunite (Sangiovanni) zwei Verträge über die Errichtung eines Gebäudes für ihr Gewerbe. Sangiovanni stellte drei Rechnungen und über den offenen Betrag am 17. Oktober 1980 eine Pro-forma-Rechnung über 338 215 680 LIT aus, ohne die Mehrwertsteuer zu erwähnen.

4 Bei einer Steuerkontrolle wurde festgestellt, daß die Klägerin das Gebäude in ihre Bilanz für das Jahr 1980 aufgenommen und ihre Schuld gegenüber Sangiovanni unter der Rubrik "offene Rechnungen" eingetragen hatte, ohne die Mehrwertsteuer zu erwähnen. Das Mehrwertsteueramt sah darin einen Verstoß der Klägerin gegen Artikel 41 vierter Gedankenstrich des Dekrets des Präsidenten der Republik Nr. 633 vom 26. Oktober 1972 über die Einführung und Regelung der Mehrwertsteuer (GURI Nr. 292 vom 11. November 1972; Präsidialdekret) und verhängte gegen die Klägerin ein Bußgeld von 94 700 000 LIT.

5 Artikel 41 vierter Gedankenstrich des Präsidialdekrets lautet:

"Ein Lieferungsempfänger oder Auftraggeber, der im Rahmen eines Erwerbsgeschäftes oder eines Berufes Gegenstände oder Dienstleistungen ohne Rechnung oder gegen eine Rechnung bewirkt, die von dem zur Rechnungstellung Verpflichteten unrichtig ausgestellt wurde, ist verpflichtet:

a) falls er binnen vier Monaten nach der Lieferung oder Dienstleistung keine Rechnung erhalten hat, binnen weiterer 30 Tage bei der zuständigen Behörde ein Papier gemäß Artikel 21 im Doppel einzureichen und zugleich die entsprechende Steuer zu bezahlen;

..."

6 Die Klägerin erhob daraufhin Klage vor der Commissione tributaria di primo grado, in der sie unter Berufung auf Artikel 6 dritter Gedankenstrich des Präsidialdekrets geltend machte, daß der Steueranspruch noch nicht eingetreten sei, da sie die Rechnung noch nicht beglichen habe. Nach dieser Bestimmung werden "Dienstleistungen ... bei Zahlung des Entgelts als erbracht angesehen". Die Klägerin sieht in der Pro-forma-Rechnung keine Rechnung, sondern nur ein Papier, mit dem der Stand der Forderung entsprechend dem Fortgang der Arbeiten bewiesen und eine Beihilfe der Regionalbehörden erlangt werden sollte.

7 Gegen das der Klage stattgebende Urteil hat das Mehrwertsteueramt Berufung zur Commissione tributaria di secondo grado Trapani eingelegt, die das Urteil freilich bestätigte.

8 Das Mehrwertsteueramt legte hiergegen ein Rechtsmittel zur Commissione tributaria centrale ein. Diese hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Erlaubt es Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG des Rates den Mitgliedstaaten, zu bestimmen, daß die "Vereinnahmung des Preises" als der Umstand angesehen wird, der bei allen Dienstleistungen zur "Entstehung" des Steueranspruchs führt?

2) Ist ein Mitgliedstaat, der von der Abweichungsbefugnis in Artikel 10 Absatz 2 Gebrauch macht, verpflichtet, "einen bestimmten Zeitraum, der vom Zeitpunkt des Eintretens des Steuertatbestands an berechnet wird", festzusetzen, in dem die Rechnung oder das an deren Stelle tretende Dokument ausgestellt werden muß, auch wenn noch keine "Vereinnahmung des Preises" stattgefunden hat?

3) Muß ein Mitgliedstaat, der von der Abweichungsbefugnis in Artikel 10 Absatz 2 Gebrauch macht, Regelungen treffen, die die Dokumentation und die Erläuterung der erbrachten Leistung und des entsprechenden Entgelts immer dann vorschreiben, wenn die Rechnung oder das an ihre Stelle tretende Dokument nicht ausgestellt worden ist oder es zu keiner "Vereinnahmung" des Preises gekommen ist?

Zur ersten Frage

9 Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie bestimmt: "Der Steuertatbestand und der Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird." Sonderregelungen gelten für Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlaß geben, sowie für Anzahlungen, bevor die Lieferung von Gegenständen oder die Dienstleistung bewirkt ist. Artikel 10 Absatz 2 Unterabsatz 3 lautet wie folgt:

"Abweichend von den vorstehenden Bestimmungen können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder für Gruppen von Steuerpflichtigen zu den folgenden Zeitpunkten entsteht:

° entweder spätestens bei der Ausstellung der Rechnung oder des an deren Stelle tretenden Dokuments

° oder spätestens bei der Vereinnahmung des Preises

° oder im Falle der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung oder des an deren Stelle tretenden Dokuments, binnen einer bestimmten Frist nach dem Zeitpunkt des Eintretens des Steuertatbestands."

10 Aufgrund dieser Abweichungsbefugnis sieht Artikel 6 dritter Gedankenstrich des Präsidialdekrets vor, daß Dienstleistungen bei Zahlung des Entgelts als erbracht angesehen werden.

11 Das nationale Gericht äussert Zweifel an der Vereinbarkeit der italienischen Regelung mit der Richtlinie. Eine Abweichung sei nur zugunsten "bestimmter Umsätze" (oder bestimmter Arten von Dienstleistungen) oder bestimmter "Gruppen von Steuerpflichtigen" zulässig. Aus mehreren Bestimmungen der Richtlinie ergebe sich, daß die Zahlung des Entgelts grundsätzlich nicht zum Eintritt des Steuertatbetands oder des Steueranspruchs führe; aus den Artikeln 2 und 4 Absätze 1 und 2 der Richtlinie, die den Begriff des Steuerpflichtigen definierten, folge, daß dieser im Hinblick auf die Steuer, die ihm vom Käufer oder Dienstleistungsnehmer, auf den sie abgewälzt worden sei, vorab gezahlt worden sei, nicht als schlichter Steuereinnehmer betrachtet werden könne. Im Gegenteil gehe die Richtlinie in den Bestimmungen über den Vorsteuerabzug von der Abwälzung der Steuer aus. Schließlich könne die Berücksichtigung des Zeitpunkts der Zahlung als Zeitpunkt des Eintritts des Mehrwertsteueranspruchs für alle Dienstleistungen die Dienstleistungserbringer und die Auftraggeber dazu verleiten, einverständlich den Entstehungszeitpunkt des Steueranspruchs innerhalb des für sie passendsten Steuerzeitraums festzusetzen.

12 Nach Auffassung der Kommission konnte die Italienische Republik nicht für alle Dienstleistungen von der Abweichungsbefugnis des Artikels 10 Absatz 2 Unterabsatz 3 Gebrauch machen. Das ergebe sich zum einen aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, die als Ausnahme von der Regel, daß der Steueranspruch im Zeitpunkt der Lieferung oder der Dienstleistung eintrete, eng auszulegen sei, und zum anderen aus Artikel 11 Teil C der Richtlinie.

13 Dem ist nicht zu folgen.

14 Selbst wenn nämlich Artikel 10 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie mit der Kommission eng auszulegen wäre, so besteht doch die Gesamtheit der in dieser Bestimmung erwähnten Umsätze, wie die französische Regierung zu Recht ausführt, aus Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen. Die Dienstleistungen insgesamt stellen eine homogene Untergruppe dar. Der Ausdruck "bestimmte Umsätze", der keine besondere Beschränkung enthält, erlaubt somit, sämtliche Dienstleistungen zu erfassen.

15 Artikel 6 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (ABl. L 71 vom 14. April 1967, S. 1303) ebenso wie der Vorschlag der Kommission für die Sechste Richtlinie (Ergänzung 11/73 zum Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, S. 13) sahen nur wenige Ausnahmen von der Regel vor, daß der Steueranspruch mit der Erbringung der Dienstleistung entstehe. Wie der Generalanwalt in Nummer 22 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, legt der Umstand, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber die zulässigen Abweichungen erheblich ausgedehnt hat, die Schlußfolgerung nahe, daß er den Mitgliedstaaten einen erheblichen Spielraum einräumen wollte. Die französische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, daß der Rat Artikel 10 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie beschlossen habe, um bestimmten Mitgliedstaaten, etwa der Italienischen und der Französischen Republik, die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage zu ermöglichen, die die Entstehung des Steueranspruchs bei Dienstleistungen im Zeitpunkt der Zahlung vorsah.

16 Artikel 11 Teil C Absatz 1 der Richtlinie, auf die sich das vorlegende Gericht und die Kommission berufen, macht keine andere Auslegung erforderlich.

17 Nach dieser Bestimmung wird "im Falle ... der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung ... nach der Bewirkung des Umsatzes ... die Besteuerungsgrundlage unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert". Diese Bestimmung ist zwar im Hinblick auf die allgemeine Regelung verfasst, kann aber, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs vorträgt, entsprechend in dem Fall angewandt werden, daß der Steueranspruch mit der Vereinnahmung des Preises entsteht, um Anpassungen des in Rechnung zu stellenden Steuerbetrags zu ermöglichen, mit denen nach der Zahlung gewährte Erstattungen oder Rabatte berücksichtigt werden können.

18 Nach Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie hat jeder Steuerpflichtige eine Rechnung oder ein an deren Stelle tretendes Dokument auszustellen. Diese Bestimmung ist damit vereinbar, daß der Steueranspruch mit der Vereinnahmung des Preises eintritt. Andernfalls stuende diese Bestimmung selbst einer auf ganz bestimmte Fälle beschränkten Anwendung des Artikels 10 Absatz 2 Unterabsatz 3 entgegen, auf den die Italienische Republik sich beruft.

19 Aus demselben Grund kann auch die Überlegung, wenn der Steueranspruch mit der Vereinnahmung des Preises entstehe, werde der Steuerpflichtige entgegen dem Wesen der Steuer zum schlichten Steuereinnehmer, der Auslegung des Artikels 10 Absatz 2 Unterabsatz 3 nicht entgegengehalten werden, die es erlaubt, den Steueranspruch bei allen Dienstleistungen mit der Zahlung des Preises eintreten zu lassen.

20 Was die Möglichkeit von Betrügereien betrifft, so erlaubt auch die Regelung, nach der der Steueranspruch im Zeitpunkt der Dienstleistungserbringung entsteht, den Erbringern und Empfängern von Dienstleistungen, diesen Zeitpunkt nach Maßgabe ihrer Interessen festzusetzen. Das Interesse des Dienstleistungserbringers an der Bezahlung der Dienstleistung und der Umstand, daß nach Artikel 17 Absatz 1 der Richtlinie das Recht zum Steuerabzug mit dem Steueranspruch entsteht, beschränken zudem die Fälle, in denen die Zahlung hinausgeschoben wird, um das Entstehen des Steueranspruchs zu verschieben.

21 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 10 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie den Mitgliedstaaten erlaubt, als Zeitpunkt der Entstehung des Steueranspruchs für alle Dienstleistungen die Vereinnahmung des Preises festzusetzen.

Zur zweiten Frage

22 Übt ein Mitgliedstaat die Abweichungsbefugnis des Artikels 10 Absatz 2 Unterabsatz 3 erster Gedankenstrich der Richtlinie aus, lässt er also den Steueranspruch spätestens bei der Ausstellung der Rechnung oder des an deren Stelle tretenden Dokuments eintreten, so kann er nach dem dritten Gedankenstrich vorsehen, daß der Steueranspruch "im Falle der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung oder des an deren Stelle tretenden Dokuments binnen einer bestimmten Frist nach dem Zeitpunkt des Eintretens des Steuertatbestands" entsteht.

23 Wie die Kommission zu Recht vorbringt, kommt das nicht in Betracht, wenn ein Mitgliedstaat von der Abweichungsbefugnis des zweiten Gedankenstrichs Gebrauch macht. Der Grund dafür liegt vermutlich in dem Umstand, daß nach Auffassung des Gemeinschaftsgesetzgebers das Interesse eines Wirtschaftsteilnehmers an der Vereinnahmung des Entgelts für die bewirkte Dienstleistung genügt, um eine schleunige Bezahlung der Leistung sicherzustellen.

24 Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, daß ein Mitgliedstaat, der von der Abweichungsbefugnis in Artikel 10 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie Gebrauch macht, nicht verpflichtet ist, "eine bestimmte Frist vom Zeitpunkt der Verwirklichung des Steuertatbestands an festzulegen", binnen deren die Rechnung oder das an ihre Stelle tretende Dokument ausgestellt sein muß, selbst wenn der Preis noch nicht bezahlt ist.

Zur dritten Frage

25 Neben der allgemeinen Verpflichtung des Steuerpflichtigen nach Artikel 22 Absatz 2 der Richtlinie, Aufzeichnungen zu führen, die so ausführlich sind, daß sie die Anwendung der Mehrwertsteuer und die Überprüfung durch die Steuerverwaltung ermöglichen, erlegt die Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht die Verpflichtung auf, ausser der Rechnung oder des an ihre Stelle tretenden Dokuments, die in Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe a vorgesehen sind, die Errichtung anderer Unterlagen oder Aufstellungen zu verlangen. Nach Artikel 22 Absatz 8 ist es Sache der Mitgliedstaaten, weitere Pflichten vorzusehen, die sie als erforderlich erachten, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden.

26 Wie der Generalanwalt in Nummer 41 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, erscheint dieser weite Entscheidungsspielraum angebracht, da die Mitgliedstaaten die Grösse von Unternehmen, die Sparte sowie besondere Anforderungen des Gesellschaftsrechts oder des direkten Steuerrechts berücksichtigen müssen.

27 Die Richtlinie darf daher nicht in dem Sinne ausgelegt werden, daß sie die Erstellung bestimmter Unterlagen oder Aufstellungen immer dann verlangt, wenn die Rechnung oder das an ihre Stelle tretende Dokument nicht ausgestellt oder der Preis nicht vereinnahmt wird.

28 Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, daß ein Mitgliedstaat, der von der genannten Abweichungsbefugnis Gebrauch macht, nicht verpflichtet ist, Bestimmungen für die Erstellung von Dokumenten oder Aufstellungen über die Erbringung von Dienstleistungen und das geschuldete Entgelt zu erlassen, wenn die Rechnung oder das an ihre Stelle tretende Dokument nicht ausgestellt oder der Preis nicht vereinnahmt wird.

Kostenentscheidung


Kosten

29 Die Auslagen der Italienischen und der Französischen Republik sowie des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm von der Commissione tributaria centrale mit Beschluß vom 24. März 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Artikel 10 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage erlaubt den Mitgliedstaaten, als Zeitpunkt der Entstehung des Steueranspruchs für alle Dienstleistungen die Vereinnahmung des Preises festzusetzen.

2) Ein Mitgliedstaat, der von der Abweichungsbefugnis in Artikel 10 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388 Gebrauch macht, ist nicht verpflichtet, eine bestimmte Frist vom Zeitpunkt der Verwirklichung des Steuertatbestands an festzulegen, binnen deren die Rechnung oder das an ihre Stelle tretende Dokument ausgestellt sein muß, selbst wenn der Preis noch nicht vereinnahmt ist.

3) Ein Mitgliedstaat, der von der Abweichungsbefugnis in Artikel 10 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388 Gebrauch macht, ist nicht verpflichtet, Bestimmungen über die Errichtung von Dokumenten oder Aufstellungen über die Erbringung von Dienstleistungen und das geschuldete Entgelt zu erlassen, wenn die Rechnung oder das an ihre Stelle tretende Dokument nicht ausgestellt oder der Preis nicht vereinnahmt wird.

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